Dr. Franz-Josef Ortkemper

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Dr. Franz-Josef Ortkemper
Franz-Josef Ortkemper Gedanken zu Weihnachten
Biblisch und menschennah
Solche Fragen setzen mir zu. Sie lassen sich nicht
Gedanken zur Weihnachtspredigt
vom Tisch wischen. Und sie lassen sich schon gar nicht
Dr. Franz-Josef Ortkemper, ehem. Direktor des Ka-
beantworten. Ich kann nur sagen: Trotz und gegen all
tholischen Bibelwerks
diese Widersinnigkeiten setze ich auf das Gute, das es
inmitten all dieser Schrecken dann doch gibt, die vielen
Ein helles Licht (Jes 9,1-6)
kleinen
Friedensschlüsse,
die
Erfahrungen
von
Freundschaft, von Liebe, von Treue. Diese Welt ist nicht
„Das Volk, das im Dunkel lebt, sieht ein helles
Licht; über denen, die im Land der Finsternis wohnen,
strahlt ein Licht auf!“ Diese Prophetenworte entstanden in einer ganz schlimmen Zeit. Die Assyrer hatten
nur absurd. Ich setze auf die Botschaft der Bibel, wo
Menschen schon vor 2500 Jahren das Bekenntnis
abgelegt haben: Wir hoffen auf das Licht, das unerwartet
in unsere Finsternis dringt.
den ganzen Norden Israels erobert und Samaria zerstört. In Jerusalem ging die Angst um. Die Menschen
Ein Ende der Schrecken
damals hatten das Gefühl: Wir leben in finsteren Zei-
Und dann entfalten diese Menschen eine grandiose
ten. In solche Hoffnungslosigkeit hinein spricht der
Vision: „Du erregst lauten Jubel…“ (Jes 9,2-4). Die er-
Prophet. Er spricht vom Licht, das plötzlich in dieses
beuteten Soldatenstiefel und Kriegsmäntel werden ver-
Dunkel fällt. Fast wie im Schöpfungstext, wo es heißt:
brannt, ein Fraß des Feuers. Und all die demütigenden
Und Gott sprach: Es werde Licht!
Werkzeuge der Fremdherrschaft – das Joch, das Trag-
Das ist eigentlich verrückt. Und noch verrückter
holz, der Stock – sie werden zerbrochen. Hinter dem
ist: In den folgenden Jahrhunderten, erlebte man in
Passiv steht die Überzeugung: Gott selbst wird Krieg,
Israel wahre Schreckensherrschaften, wie die Ver-
Zwangsarbeit und Unterdrückung beenden.
schleppung ins Exil nach Babylon, später nach der
Welch grandiose Vision: Alles Kriegsgerät wird
Heimkehr die Herrschaft der Perser, dann das Joch
verschrottet. Aber wie weit sind wir davon entfernt!
der Griechen… Man hat diese Prophetenworte den-
Wieder könnte man mir sagen: Schmink dir solche Vi-
noch neu gehört, und weitergegeben. Sie wurden
sionen ab. Sieh den Realitäten ins Auge. Und das
zum Zeugnis einer Hoffnung, die sich nicht kleinkrie-
muss ich ja wohl tun. Die gegenwärtige Lage der Welt
gen lässt.
weckt nicht gerade Begeisterung. Und doch höre ich
nicht auf, den großen Visionen der Bibel zu trauen.
Unsere heutigen Ängste
Gerade in unseren Tagen geht weltweit die Angst
um. Die Angst um die Stabilität der Währungen. Die
Angst vor Terroranschlägen. Verblendete Fanatiker,
von religiösem Wahn getrieben, halten die Welt in
Atem. Ein Missbrauch der Religion, den es auch in der
Geschichte des Christentums reichlich gegeben hat.
Das macht für mich als Glaubenden die Sache
Die großen Visionen des Jesaja sind jahrhundertelang
weitergegeben worden. Sie wurden immer wieder von
der Realität eingeholt. Und sie haben sich doch
durchgehalten bis heute.
Allerdings: Das gerade wir Deutschen mit zur Weltspitze gehören, wenn es darum geht, Kriegsgerät in
Krisengebiete zu verkaufen: Das spricht wohl nicht für
unsere Vernunft!
nicht leichter. Haben nicht doch die recht, die sagen:
Schmink dir deinen Glauben ab. Die Welt ist absurd
„Uns ist ein Kind geboren“
und sinnlos. Wo ist denn etwas von Gott zu spüren?
„Denn uns ist ein Kind geboren…“ (Jes 9,5-6). Hier
Wieso lässt er zu, dass in seinem Namen solch
geht es zunächst um die Geburt und die spätere
schändliche Verbrechen geschehen?
Amtseinführung eines Jerusalemer Königs der damali-
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gen Zeit. Ein neuer König bedeutet neue Hoffnung,
ten, unbeschädigten Leben, er wird wahr in der Welt
neue Chancen! Ein neuer König, der endlich Frieden
Gottes.
bringt, der endlich die sozialen Verwerfungen been-
Von Kurt Tucholsky stammt der Satz: „Die Welt ist
den wird und Recht und Gerechtigkeit zum Durch-
eine Nummer zu klein geraten, um die unendliche
bruch verhilft. Eine Hoffnung, die sich hier und da er-
Sehnsucht des Menschen stillen zu können.“ Genau so
füllt – für kurze Zeit, und die dann doch immer wieder
empfinde ich es auch! Und darum ist mir die Botschaft
scheitert. Und doch hören die biblischen Überliefe-
von Jesus so kostbar.
rungen nicht auf, solche Hoffnungen wachzuhalten.
Im Neuen Testament wird diese große Verheißung auf Jesus bezogen. Seine Geburt bedeutet einen ganz neuen Anfang. Wer könnte sich dem Zauber der Weihnachtsgeschichte entziehen? Aber wird
nicht auch er scheitern – im Todesschrei am Kreuz?
Als der Evangelist Lukas seine Weihnachtsgeschichte niederschreibt, waren 80-90 Jahre seit der
Geburt Jesu vergangen. In allen großen Städten des
römischen Reiches gab es inzwischen christliche
Gemeinden. In diesen Gemeinden war vor allem eines lebendig: die Überzeugung, dass Gott dem gekreuzigten Jesus, der auf so schreckliche Weise
umgekommen war, sein bleibendes Leben geschenkt hat. Diese Ostererfahrung spiegelt sich in allen Schriften des Neuen Testaments. Da, wo
menschlich gesehen alles gescheitert ist, wo der Tod
unbarmherzig sein letztes Wort gesprochen hat, hat
Gott gehandelt. Der Gott, der will, dass menschliches Leben gelingt, endgültig gelingt. Ein Gott, der
das Glück des Menschen will. Unrecht, Hass und
Tod werden nicht das letzte Wort haben.
Der Evangelist Lukas erzählt seine Weihnachtsgeschichte schon im Licht des Osterglaubens. Was
der Engel den Hirten verkündet, hat schon den vollen Klang damaliger christlicher Predigt: „Euch ist
heute der Retter geboren, der Messias, der Herr.“ In
Jesus hat Gott selbst in die verfahrene Geschichte
Die Weihnachtsgeschichte – fast ein politisches
Manifest! (Lk 2,1-20)
Welch ein Kontrast schon am Anfang der Weihnachtsgeschichte: Der mächtige Kaiser Augustus in
Rom, der mit einem Federstrich ganze Volksmassen in
Bewegung bringen kann – und kleine, unbedeutende
Leute, die sich seiner Macht nicht entziehen können.
Und am Ende ein Säugling in einem Futtertrog. Lukas
behauptet: Dieses Kind wird die Welt wirklich in Bewegung bringen. Und tatsächlich: seine Botschaft, seine
Bergpredigt, seine Gleichnisse – z.B. der verlorene
Sohn – all das bewegt Menschen bis heute, fasziniert,
tröstet, rüttelt wach. Vom Kaiser Augustus kann man
ähnliches kaum sagen.
Ein weiterer Kontrast. Die Weltstadt Rom – und ein
armseliges Kaff namens Betlehem. Lukas hat auch die
Apostelgeschichte geschrieben. Und die endet damit,
dass Paulus in Rom ankommt, und dort, in der Metropole die Botschaft von Jesus Christus, dem Herrn,
verkündet, ungehindert. In seinem Doppelwerk von
Evangelium und Apostelgeschichte schlägt Lukas einen riesigen Bogen. Am Anfang der Kaiser von Rom,
der sich als der große Herr der Welt aufführt - im Kontrast dazu das verschlafene Betlehem - und von dort
wird die Botschaft von Jesus ihren Ausgang nehmen,
bis Paulus in der Weltstadt Rom den Christus als den
wirklichen Herrn predigt.
der Menschen eingegriffen. Er hat Leben geschenkt,
wo Menschen Jesus den Tod gebracht haben, er hat
Gerechtigkeit geschenkt und die geschändete Menschenwürde wieder hergestellt. Der alte, uralte
Traum der Menschen vom Leben, vom unbegrenz-
Der Kaiser und das Kind
In Priëne, an der Westküste der heutigen Türkei, hat
man eine berühmte Inschrift aus dem Jahr 9 n. Chr. gefunden, in der Kaiser Augustus einen Lobgesang auf
seinen eigenen Geburtstag in Stein hat meißeln lassen.
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In Ankara gibt es übrigens eine ähnliche Inschrift. Das
nicht stillen. Mit dem Motto panem et circenses - „Brot
haben die Mächtigen in der damaligen Welt des Öfte-
und Spiele“ ist die Grund-sehnsucht der Menschen
ren gemacht. Die wussten schon etwas von PR!
nach Leben, nach authentischem, nach als sinnvoll
In der Inschrift von Priëne heißt es: „Dieser Tag ...
erfahrenem Leben nicht zu stillen.
hat der Welt ein anderes Gesicht gegeben. Sie wäre
Das vermag Jesus Christus allein. Er ist der
dem Untergang verfallen, wenn nicht in dem heute
wirkliche Retter. Er, dessen Leben klein und armselig
Geborenen für alle Menschen ein gemeinsames Heil
beginnt. Und es wird ebenso armselig enden, am
aufgestrahlt wäre. ... Wer richtig urteilt, wird in diesem
Kreuz. Aber genau darin, in ihm, hat Gott seine tiefe
Geburtstag den Anfang des Lebens ... für sich erken-
Solidarität mit den leidenden, geschundenen Menschen
nen. ... Die Vorsehung, die über allem Leben waltet,
gezeigt. Er, der Gekreuzigte, ist der Christus, der
hat diesen Mann zum Heil der Menschen mit solchen
Messias, in ihm gewinnt jedes Menschenleben Würde
Gaben erfüllt, dass er uns und den kommenden Ge-
und Sinn. Ihn hat Gott in sein unvergängliches Leben
schlechtern als Heiland gesandt ist. Jedem Krieg wird
geholt – damit auch unser Leben ein Ziel hat.
er ein Ende setzen und alles herrlich machen. In sei-
Daran hat der Evangelist Lukas geglaubt. Davon
ner Erscheinung sind die Hoffnungen der Vorfahren
war er felsenfest überzeugt. Genau das hat er in
erfüllt. ... Mit dem Geburtstag des Gottes beginnt für
seiner Weihnachtsgeschichte in wunderbare Bilder
die Welt das Evangelium, das sich mit seinem Namen
gefasst. Und die bewegen uns bis heute.
verbindet“.
Wohlgemerkt: Hier ist vom Kaiser Augustus die
Die Verkündigung an die Hirten (Lk 2,8-20)
Rede! Und es klingen viele Motive an, die auch in der
Ich weiß nicht, ob es Ihnen jemals beim Hören
Weihnachtsgeschichte des Lukas vorkommen, be-
aufgefallen ist: Die Engel tauchen nicht an der Krippe
sonders in der Botschaft des Engels an die Hirten:
auf, im Stall, sondern draußen auf den Feldern, nur
Euch ist heute der Retter, der Heiland geboren. Und
dort! Draußen bei den Hirten erklingt das „Ehre sei
auch das Wort Evangelium kommt bei Lukas vor. Im
Gott in der Höhe“.
Deutschen merkt man es nur nicht. Ich verkündige
Welch ein Kontrast in dieser grandiosen Erzählung:
Euch große Freude – da steht im Griechischen euag-
An ihrem Anfang steht der mächtige Kaiser Augustus in
gelizomai. „Ich frohbotschafte Euch große Freude...“
Rom, im Zentrum der Macht. Er denkt, er habe alle
Es ist so gut wie sicher, dass der Evangelist Lu-
Fäden in der Hand. Und in der Mitte der Erzählung
kas – er war ein ausgesprochen gebildeter Mann –
stehen ganz einfache Leute, am Rand der Welt, von der
solche Lobhudeleien auf den Kaiser Augustus ge-
großen Weltgeschichte überhaupt nicht beachtet. Ihr
kannt hat. Er ist auch in der Gegend um Priëne of-
armseliges Leben ist kümmerlich und hart, ganz und gar
fensichtlich aufgewachsen. Und in der Weihnachts-
unansehnlich. Und plötzlich bricht der ganze Horizont
geschichte zeichnet er ein ausgesprochenes Kon-
ihres
trastbild: Der Kaiser in Rom ist nicht göttlich legiti-
himmlischer Glanz auf ihr Leben: Euch ist heute der
miert – Jesus von Nazaret ist es! Wenn der Kaiser,
Retter geboren, der Christus, der Messias. Euch ist der
wenn die politische Macht beansprucht, wie ein Gott
geboren,
verehrt zu werden, ist das eine irrsinnige Anmaßung!
Bedeutungslosigkeit herausreißt, der eurem kurzen,
kläglichen
der
Lebens
euer
auf.
kleines
Unvermittelt
Leben
aus
fällt
seiner
vergänglichen Leben Glanz gibt und eine Hoffnung, die
Rettung – woher?
Nicht der Kaiser kann die Rettung bringen – der
kann die tiefere Lebenssehnsucht der Menschen
über euer Ende hinausweist. Und dann stehen die Hirten
vor dem neugeborenen Kind: Staunen und Freude und
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die Ahnung: mit diesem Kind beginnt wirklich
Gott glauben, oder geglaubt haben, in welchen Formen
unvergleichlich Neues.
auch immer, in welchen Vorstellungen auch immer. Sie
beten zu ihm, sie rufen ihn an, sie werfen die ganze
Hoffnung ihres geängstigten Lebens auf ihn.
An Gott glauben – heute?
Kann uns diese alte Botschaft noch erreichen –
Schnappe ich da nicht über? Sollte ich mich nicht
über eine Distanz von 2000 Jahren? In einer Welt,
bescheiden, mich mit kleineren, alltäglichen Hoffnungen
die sich völlig verändert hat, sich in einer rasanten
zufrieden geben, meine Erwartungen nicht zu hoch
Entwicklung befindet, dass es uns manchmal den
schrauben, meine Hoffnungen mäßigen? Ich gestehe:
Atem verschlägt?
Ich kann das nicht. Solange es Menschen auf dieser
Wie soll man sich Gott vorstellen, angesichts un-
Erde gibt, haben sie über ihr Leben, über ihre Grenzen
seres heutigen Wissens vom All, das sich immer
hinausgefragt. Sie haben sich mit ihrer Endlichkeit nicht
mehr ins Unendliche ausweitet? Wenn ich des
abgefunden. Und ich will es auch nicht!
Nachts voller Faszination auf den Sternenhimmel
sehe und mir vergegenwärtige, was wir heute über
Gottes Sympathie für unser Leben
diese schier unendlichen Räume des Kosmos wis-
Die Weihnachtsgeschichte ermutigt mich: Du darfst
sen, verschlägt es mir geradezu den Atem. Ich kann
(Du sollst!) groß von deinem Leben denken. Da sind die
mir Gott nicht mehr so naiv vorstellen wie in meinen
kleinen Leute, die Hirten in Betlehem, am Rand der dama-
Kindertagen.
mich
ligen Welt, mitten in ihrer alltäglichen unscheinbaren Müh-
manchmal die bange Frage: Gibt es vielleicht nur
sal – und unvermutet reißt der enge Horizont ihres Lebens
dieses riesige unvorstellbare große kalte Universum
auf. In Betlehem – nicht in Rom! Bei den kleinen Leuten –
– und sonst nichts? Oder darf ich doch darauf ver-
nicht bei der Prominenz. Bei den Hirten – nicht beim Kai-
trauen, dass sich dieser ganze riesige Kosmos nicht
ser Augustus: Euch ist heute der Retter geboren.
Und
natürlich
überkommt
von selbst erklärt, das er von einem Gott ins Sein
Welch eine Geschichte – atemberaubend! Du darfst
gerufen ist, von ihm erfüllt, von ihm getragen und
(Du sollst!) groß von deinem Leben denken! Die Weih-
durchwirkt, von einem Gott, der all unsere Denk- und
nachtserzählung kann unsere Sehnsucht, die vielleicht
Vorstellungsmöglichkeiten restlos sprengt.
tief verschüttete, neu wecken: die Sehnsucht, in dieser
Schon diese irdische, sichtbare, messbare Wirklich-
ungeborgenen Welt doch so etwas wie Geborgenheit
keit mit ihren riesigen Räumen übersteigt meine Fas-
zu finden, in dieser oft so sinnlos scheinenden Welt
sungskraft. Um wie viel mehr gerät mein Denken an
doch auf so etwas wie Sinn hoffen zu dürfen. Diese
Grenzen, wenn ich mir die Unermesslichkeit Gottes
Sehnsucht lässt sich nicht kleinkriegen. Sie steht immer
vergegenwärtige, die all meine Vorstellungskraft weit
wieder auf. Gott sei Dank!
hinter sich lässt. Könnte ich nur dann an Gott glauben,
wenn mein begrenzter Verstand ihn fassen könnte?
„Im Anfang war das Wort…“ (Joh 1,1-18)
Das wäre schlicht absurd. Dann wäre Gott ja kleiner als
„Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei
ich. Er ist eben der, der alle unsere Denkmöglichkeiten,
Gott, und das Wort war Gott“ – So beginnt, wie mit ei-
alle unsere Horizonte weit hinter sich lässt.
nem Paukenschlag, das Johannesevangelium. Ganz
Es ist vielleicht verrückt: Aber zu diesem all meine
bewusst knüpft es an den Anfang der Bibel an. Auch
Denkfähigkeiten übersteigenden Gott versuche ich zu
dort, in einem großartigen Lobpreis der Schöpfung, ist
beten. Ihn wage ich mit „Du“ anzureden, ihm vertraue
das Wort entscheidend. Dort heißt es: „Im Anfang
ich mich an. Und dabei weiß ich mich im Einklang mit
schuf Gott Himmel und Erde.“ Und dann: „Gott sprach
Menschen aller Religionen. Wo immer Menschen an
– und es ward.“
Franz-Josef Ortkemper Gedanken zu Weihnachten
„Und das Wort war Gott“. Das Wort wird hier zum
Symbolwort für Gott selber. Es sagt – in der Brechung
„Denn alles Fleisch, es ist wie Gras“ - ein Wort aus
dem 1. Petrusbrief (in Anlehnung an Jes 40,6-8).
menschlicher Sprache – etwas darüber aus, wer Gott
„Und das Wort ist Fleisch geworden“. In Jesus von
im tiefsten ist: Er ist kein sprachloser Gott. Er teilt sich
Nazaret geschieht, was letztlich mit unserer Sprache
mit, er spricht zu uns, er will mit uns Menschen Ge-
kaum noch auszudrücken ist: Gott taucht ganz tief ein
meinschaft haben.
in die hinfällige Menschenwelt. Er nimmt die Bedin-
Dieses Wort wird hier zur Person, die im Uran-
gungen des Menschseins auf sich, mit all seiner Be-
fang, vor aller Zeit schon bei Gott weilt: „Im Anfang
grenztheit, Vergänglichkeit, Sterblichkeit. Ein neuge-
war das Wort, und das Wort war bei Gott, und das
borenes Kind, verletzlich und schutzbedürftig. Welch
Wort war Gott.“ Der Gott unseres Glaubens ist kein
eine Zumutung für den Glauben, in diesem Kind und
abstrakter Gedanke, sondern persönliches Gegen-
nirgends sonst die Anwesenheit Gottes in unserer
über. Kein einsamer Gott, sondern Liebe, Aus-
Welt zu erkennen!
tausch, Kommunikation. Ein Gott, der in sich selber
Liebe ist, Zuwendung. Kurt Marti hat es einmal so
ausgedrückt: Der gesellige Gott.
Seine Herrlichkeit
„Und wir haben seine Herrlichkeit gesehen, die
Ich muss gestehen: Hier versuche ich mit
Herrlichkeit des einzigen Sohnes vom Vater, voll Gna-
menschlichen, also mit verletzlichen und missver-
de und Wahrheit.“ Alle Menschen sind nur Fleisch –
ständlichen Worten, mit meiner begrenzten Sprache,
deshalb vergehen sie wie das Gras auf den Feldern.
das unauslotbare tiefste Geheimnis der Wirklichkeit
An sich gibt es für uns vergängliche Menschen keine
auszusprechen.
Rettung; auf uns allein gestellt ließe die Erfahrung des
An einen persönlichen Gott zu glauben, fällt vielen Menschen heute schwer. Aber auch wenn unser
Todes uns ohne Hoffnung zurück. Und da trifft uns die
grandiose Botschaft dieses alten Textes:
menschliches Sprechen hier schwierig wird: Ich halte
Gott selbst, der unbegreifliche, der ganz andere,
an dem Glauben an einen persönlichen Gott fest. Ich
der ferne, er kommt zu uns, hautnah, er nimmt unser
will damit sagen: Ich darf diesen Gott ansprechen,
sterbliches Leben auf sich, erleidet unsere Hinfällig-
mit meinen armseligen, begrenzten Worten. Gott in-
keit, um uns herauszureißen, uns hinüberzuretten in
teressiert sich für mich, für mein unscheinbares Le-
seine Herrlichkeit, in den Glanz seines bleibenden Le-
ben. Wir Menschen sind ihm nicht gleichgültig. Jeder
bens. Am Ende bleibt nur Staunen und Stammeln:
einzelne ist ihm unendlich kostbar. Es ist so etwas
„Aus seiner Fülle haben wir alle empfangen, Gnade
wie eine Beziehung möglich zwischen ihm und uns.
über Gnade.“
„Und das Wort war Gott“.
Ein solches Wort kann unser Herz tatsächlich treffen – aber im ganz positiven, heilenden Sinn. Es kann
„Fleisch geworden“
„Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter
uns gewohnt.“ So sagt es das Johannesevangelium
uns sterbliche Menschen trösten und aufrichten. Mitten in unserer Vergänglichkeit – der unvergängliche
Gott.
– in fast schockierender Direktheit. Das Wort
„Fleisch“ steht in der Bibel für das Hinfällige des
Menschen. Wir sind sterblich, irdisch, vergänglich.
Sie kennen vielleicht den eindrucksvollen Chor aus
dem Deutschen Requiem von Johannes Brahms:
(Aus: Gottesdienst 21/2011, S. 173-177)