Heemecht fannen

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Heemecht fannen
Heemecht fannen
Ich suche nicht – ich finde
Suchen – das ist das Ausgehen von alten Beständen und ein Finden-Wollen von bereits
Bekanntem im Neuen. Finden – das ist das völlig Neue! Das Neue auch in der Bewegung.
Alle Wege sind offen und was gefunden wird, ist unbekannt. Es ist ein Wagnis, ein heiliges
Abenteuer! Die Ungewissheit solcher Wagnisse können eigentlich nur jene auf sich nehmen,
die sich im Ungeborgenen geborgen wissen (...) Pablo Picasso
Ons Heemecht
Ein konkreter, überschaubarer geographischer Raum, mitten in Europa, mit einer eigenen
Kultur, Sprache und Tradition:
„Wou d'Uelzecht durech d'Wisen zéit,/ Duerch d'Fielsen d'Sauer brëcht./ Wou d'Rief laanscht
d'Musel dofteg bléit,/ Den Himmel Wäin ons mëcht./ Dat as onst Land, fir dat mir géif,/
Heinidden alles won./ Ons Heemechtsland, dat mir sou déif/ An onsen Hierzer dron.“
Und in der vierten Stophe von „Ons Heemecht“ (Text Michel Lentz 1859/ Melodie JohannAnton Zinnen 1864/ Uraufführung 1864 in Ettelbrück/ Nationallhymne mit der 1./4. Strophe
seit 1895) heißt es in Form eines Gebetes:
„O Du do uewen, deem séng Hand/ Duurch d'Welt d'Natioune leet./ Behitt Du d'Lëtzebuerger
Land/ Vru friemem Joch a Leed!/ Du hues ons all als Kanner schon/ de fräie Geescht jo gin./
Looss viru blénken d'Fräiheetssonn/ déi mir sou laang gesin.“
Heemecht
Die Erinnerung an all die Luxemburger, die während der Besetzung durch Nazideutschland
ihr Leben gegeben haben für die Unabhängigkeit und Freiheit des Landes.
Heemecht
Ein kleines Land, das in Zeiten der Globalisierung Eigenes bewahrt und pflegt. Ein kleines
Land, das sich der großen europäischen Idee verschrieben hat und so der Enge entkommt,
die Heimat auch sein kann, und Welt aktiv mitgestaltet. Ein kleines Land, das die Grenzen
öffnete und einer so großen Anzahl von Ausländern zur Heimat wurde.
Heimat
Dort, wo ich herkomme, wo ich meine Wurzeln habe, wo ich mich auskenne, wo Menschen
sind, denen ich vertrauen kann, wo ich zuhause, daheim bin, wo ich sein darf: „Hier bin ich
Mensch, hier darf ich’s sein.“ (Johann Wolfgang von Goethe)
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Heimat – ein Recht
Am Anfang, als im 11. Jahrhundert das Wort und die Idee von „Heimat“ geboren wurde,
stand die Erkenntnis, dass der Mensch einen sicheren Platz braucht und den Schutz der
Gemeinde. Heute: nach einen Jahrhundert von Flucht, Vertreibung und Exil – uns all das
dauert an, denken wir nur an die aktuelle Situation in Syrien! – hat das Heimatrecht als das
elementare Recht eines jeden Menschen (Hannah Arendt) zu gelten: dass es irgendwo auf
der Welt einen sicheren Platz für jeden Menschen geben muss, einen Staat, der Schutz
gewährt, so dass kein Mensch politischer Willkür ausgeliefert sei.
Heimat – die Schwierige
„Denk ich an Deutschland in der Nacht, dann bin ich um den Schlaf gebracht.“, so dichtet
Heinrich Heine 1844 aus dem französischen Exil. Er erzählt von der Sehnsucht nach seiner
Heimat, die er liebt trotz alledem und von der Verzweiflung an seiner Heimat, die ihm keine
Heimat mehr sein kann, weil Mensch dort nicht frei atmen und leben kann.
Und dann in der Zeit des Nationalsozialismus die Idee Heimat, vereinnahmt, zugerichtet und
missbraucht für den dumpfen Blut-und Bodenmythos; Heimatrecht, ja Lebensrecht ausschließlich für die sogenannte „arische Rasse“. Unzählige Verbrechen im Namen von Heimat
und Vaterland.
Heimat – eine süße Ahnung...
...von dem, „das allen in die Kindheit scheint und worin noch niemand war.“ (Ernst Bloch),
eine flüchtige Erfahrung von Beschütztsein, am richtigen Platz sein, zu Hause sein, so wie
sie Uwe Johnson in dieser kurzen Szene einfängt: „ Als Kinder, noch bei Gewitter in einer
Kornhocke, haben wir gedacht: uns sieht einer, wir alle werden gesehen.“
Heimat – eine Utopie, will sagen, noch „kein Ort“
Heimat, die es noch nicht, noch nirgendwo geben kann, solange die Welt nicht allen Menschen eine Heimat ist. Und die Sehnsucht nach Heimat, das Leitbild der Heimat, das uns
antreibt gemeinsam an einer Heimat für alle Menschen zu arbeiten.
Heimat – ein Verheißung also,
die uns in Bewegung hält, immer wieder zu neuen Ufern aufzubrechen, so wie es berichtet
wird in der Geschichte vom Stammvater Abraham, der sein Land verlässt im Vertrauen auf
die Zusage seines Gottes, dass viel mehr Leben , neues Leben möglich werde.
Heimat – sicher kein Kennzeichen der Christen,
denn der Menschensohn, die Rede ist von Jesus von Nazareth, der nicht zu Hause, ja nicht
einmal in einem Haus geboren wurde, „hat keinen Ort, wo er sein Haupt hinlegen kann.“
(Lk 9,58) Christen in der Nachfolge dieses Jesus von Nazareth verbietet es sich, sich behaglich in der Welt einzurichten, solange die Welt so ist wie sie ist, ohne Platz, ohne dauerhafte
Wohnung für den Menschensohn und sein Projekt. Heinrich Böll schreibt von der „Tatsache,
dass wir eigentlich alle wissen – auch wenn wir es nicht zugeben – dass wir auf dieser Erde
nicht zu Hause sind, nicht ganz zu Hause sind. Dass wir also woanders hingehören und
woanders herkommen.“ Christen sind die, die sich immer auch fremd fühlen, weil sie gleichermaßen Erden-und Himmelsbürger sind, frei, immer den Unterschied zu benennen,
zwischen dem, was ist und was möglich sein kann, nicht auf eine blinde Übereinstimmung
mit dem Status Quo verpflichtet, immer unterwegs „Gast auf Erden“ (G. Thurmair 1935), zur
Arbeit an einer besseren Welt hier und jetzt verpflichtet und mit der tröstlichen Zielauskunft
ausgestattet: „Wohin gehen wir? Immer nach Hause.“ (Novalis)
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Heemecht fannen – im Hier und Jetzt unserer Schule und unserer Gesellschaft?
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sich gegenseitig befragen – Lehrer Lehrer, Schüler Schüler, Lehrer Schüler und
Schüler Lehrer – aus so vielen unterschiedlichen Ländern kommend im Raum unserer Schule zusammentreffend: „Was ist das eigentlich für dich, HEIMAT“? Sich im
Gespräch Wesentliches mitteilen, sich austauschen über die Wurzeln und über das,
was uns wirklich wichtig ist. Dafür soll dann auch Raum sein in unserer Schule. So
entsteht Heimat, als ein kleines Stück gemeinsamer Heimat.
Für das Recht auf Heimat sensibilisieren, wach und aufmerksam sein, wenn das
Recht auf Heimat mit Füßen getreten wird, wo Menschen nicht sein dürfen, im Raum
der Schule und darüber hinaus in der Gesellschaft.
Den heute immer mehr gefährdeten Prozess junger Menschen begleiten, Heimat in
der Welt zu finden, Leben als sinnvoll zu erfahren und die Welt als einen guten Platz
zu leben und zu arbeiten und so auch Heimat in sich selbst zu finden, sich selbst zu
finden. Heimat kann man nicht geben, wohl aber einen verbindlichen Rahmen und
verbindliche Beziehungen, die befähigen, Sehnsucht wecken und Lust machen auf
immer neue Aufbrüche, das Ziel „Heimat“ vor Augen.
„Wir geben euch nichts“ – auch keine Heimat....
Gedanken von dem polnischen Kinderarzt und Pädagogen Janusz Korczak, der 1942 freiwillig mit den ihm anvertrauten jüdischen Kindern in die Gaskammern ging und ihnen an diesem NichtOrt, an dem Ort der Vernichtung, die Heimat seiner Anwesenheit schenkte:
Wir geben euch nichts.
Wir geben euch keinen Gott, denn ihr müsst Ihn selbst in der eigenen Seele suchen, im
einsamen Bemühen.
Wir geben euch keine Heimat, denn ihr müsst sie durch eigene Anstrengung eures Herzens
und eurer Gedanken finden.
Wir geben euch keine Menschenliebe, denn es gibt keine Liebe ohne Vergebung, und
Vergeben ist mühselig, eine Strapaze, die jeder selbst auf sich nehmen muss.
Wir geben euch eins: Sehnsucht nach einem besseren Leben, welches es nicht gibt, aber
doch einmal geben wird, ein Leben der Wahrhaftigkeit und Gerechtigkeit.
Vielleicht wird euch diese Sehnsucht zu Gott, zur Heimat und zur Liebe führen."
Christina Fabian-Heidrich
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