Diagnose: „Next-Waritis“? US-Verteidigungsminister
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Diagnose: „Next-Waritis“? US-Verteidigungsminister
13. Mai 2009 1.95 Euro Nr. 9/2009 Gegründet 1956 P.b.b, Verlagspostamt 1010 Wien Zul. Nr 02Z031871 M Diagnose: „Next-Waritis“? US-Verteidigungsminister Robert Gates versucht mit seinem Budgetvoranschlag für den amerikanischen Militärhaushalt 2010 ein Anti-Serum. Dieses impft wohl für heutige Einsätze, Nebenwirkung ist die Reduktion an gewohnter Überlegenheit in etwaigen künftigen Kriegen. Washington DC. Nur wenige im Pentagon sowie den Teilstreitkräften werden den auch von Präsident Obama übernommenen Republikaner ‚Bob‘ Gates bislang als Doktor gesehen haben. Aber nach seinem mit obiger Diagnose begründeten Austausch der Luftwaffenspitze vom Mai 2008 und erst recht nach seinen öffentlich gemachten Vorstellungen für den Verteidigungshaushalt der größten Militärmacht der Welt kann er fast schon als Alternativmediziner bezeichnet werden. Aus seiner Sicht karzinogenes Gewebe wird entweder ‚ausgetrocknet‘ oder aber im Finanzjahr (FY) 2010 gänzlich entfernt werden. Der aus Kansas stammende Vater von zwei Kindern – er promovierte übrigens 1974 an der GeorgetownUniversität in russischer und sowjetischer Geschichte – nahm die Budgeterstellung so ernst, dass er sogar dem NATO-Jubiläumsgipfel am Wochenende zuvor fernblieb, sich wochenlang im Pentagon einbunkerte und hochrangige Generäle unter Eid zu Stillschweigen verpflichtete. Rüstungslobbyisten sollten genauso ausgebremst werden wie ‚deren‘ Parlamentarier, niemand sollte die Pläne unterminieren, bevor Dr. Gates selbst am 6. April Anamnese, Eingriff, Therapie und vor allem auch gleich die ‚Ernährungsumstellung‘ für Militär und Teile der Industrie der Öffentlichkeit präsentierte. Die US-Administration peilt demnach – trotz wirtschaftlicher Krisenzeiten – eine leichte Erhöhung des Verteidigungshaushalts um 4 % auf knapp 534 Mrd. US-$ (398 Mrd. €) an. Das sind etwa 3,5 % des prognostizierten BNP der USA. Zudem herrscht in Hinkunft – bis auf die auch unter der ‚Friedenshoffnung‘ Obama freilich fortgesetzten ‚schwarzen‘ und ‚grauen‘ Budgetanteile für Geheimprojekte – so etwas wie Kostenwahrheit. Ab nun werden z.B. alle laufenden Kriegs- bzw. Einsatzkosten hineingerechnet, nur ein letztes Mal kommt zu den obigen, ‚regulär‘ vorgeschlagenen Summen ein aus Präsident Bush‘s Sonderbudget aus dem FY2009 ‚übrig gebliebener‘ Betrag von 83,4 Mrd. US-$ dazu. Mit jenem am 9. April nachgereichten ‚supplemental‘ will Gates den „schrittweisen Rückzug aus dem Irak, sowie ansteigende militärische, diplomatische und Operationen zur Nachrichtengewinnung in Afghanistan und Pakistan fortführen.“ Weg von China und Russland ‚Bob‘ Gates sprach es am 6. April ganz ruhig aus: „Wir führen zurzeit zwei Kriege: Irak und Afghanistan. Ich möchte die Streitkräfte der Vereinigten Staaten auf diese Art unkonventioneller Konflikte hin umorientieren, statt sie weiter auf mögliche Kriege mit Großmächten wie China oder Russland hin zu fokussieren.“ Und er bestätigte eines klar: Wie nach Barack Obama‘s Multi-Billionen US-$ schweren Banken- und Wirtschaftsrettungspaketen der globalen Finanzkrise allseits erwartet, leitete sein PentagonChef einen drastischen Bruch mit der Vergangenheit ein. Rüstungs-Großprojekte mit Signalwirkung werden kräftig zurückgefahren. Gerade an jenen ‚big tickets‘ hängen aber die Herzen der Generäle und Admiräle bzw. die Schicksale der bezüglich 100.000er Jobs viel stärker als bei uns regional verankerten – und daher informierten – Abgeordneten bzw. Senatoren. F-35 versus F-22 Im Luftwaffenbereich bilden sich Gates‘ Worte besonders deutlich ab, in manchen Bereichen bleibt kein Stein auf dem anderen, ganze Programme laufen aus oder werden gestoppt bzw. gestrichen. Besonders widersinnig – und daher täglich heiß diskutiert – scheint das Auslaufen des modernsten Kampfflugzeuges der Welt, der F-22A – des einzigen Jägers der 5. Generation. Das große Antreten gegen Geschwader chinesischer Suchojs über der Taiwan-Straße wird offenbar kaum erwartet. Dafür wird aber massiven Kostensteigerungen Rechnung getragen. Ursprünglich sollten 648 Stk. geplante ‚Raptoren‘ in heutigen Dollars 88 Mrd. kosten, letztlich werden allein die – nun offenbar auch von USAF-Cdr. Schwartz per ‚Washington-Post‘ – akzeptierten 183 Stk. jedoch 73 Mrd. US-$ gekostet haben, wenn die 48 noch im Bau befindlichen Maschinen 2011 ausgeliefert sind. Vier ‚Raptors‘ werden aus dem Budget-‚supplemental‘ als Ersatz für Kampfverluste (3 F-16 und eine F-15) angehängt. Dann scheint – trotz Drängen aus Japan und Israel – Schluss. Schon erging übrigens an alle Mitarbeiter von Lockheeed-Martin ein Memo, worin Direktor Robert J. Stevens festhält, dass er – bei mancher Enttäuschung im Budgetentwurf – „Mr. Gates darin voll unterstützt, nun die Interessen der Nation nun über jene von Agenturen, Diensten und Vertragspartnern zu stellen...“ Bemerkenswert. George Bush bzw. Donald Rumsfeld waren bzgl. der F-22 noch von Kongress und Luftwaffe ‚overruled‘ worden. Dafür setzt man – trotz fortgesetzter Zweifel des US-Rechnungshofes (GAO) – offenbar auf den F-35 ‚Joint Strike Fighter‘. 2010 sollen um 11,2 Mrd. US-$ statt 14 nun 30 Stk. gebaut werden, über die nächsten fünf Jahre sollen es 513 und am Ende – nach 2030 – 2.443 (!) Stk. werden. Und das, obwohl der GAO und etliche externe Studien davor warnen, eine Großproduktion des JSF einzuleiten, während gleichzeitig dessen Testphasen noch bis 2014 laufen werden. Bislang sind 19 Stk. gebaut, die SerienSenkrechtlandeversion F-35B soll erst diesen Sommer Schwebeflüge beginnen. Trotzdem will Lockheed Martin in einigen Jahren „einen JSF pro Tag“ bauen, auch damit die Verpflichtungen über 600 Stk. Exportversionen eingehalten werden. Für diese zahlten acht Nationen bereits Milliarden ein, planen z.T. passende Schiffe. Zudem wurde am 6. April zeitgleich verkündet, dass die USA 2010 insgesamt 250 alte F-15C, F-16A-C und F/A-18C ausmustern werden. Man bricht bewusst Brücken ab, auch wenn der JSF vielmehr ‚Striker‘ denn ‚Fighter‘ wird... Mehr Drohnen Sie sind der große ‚Gewinner‘, speziell die bewaffneten Abarten MQ-1 ‚Predator‘ und MQ-9‚Reaper‘ von General Atomics. Aus den diversen Kampfzonen als zuverlässig und sehr treffsicher rückgemeldet sollen die Mittel für sie lt. Gates gegenüber heute um 62 % und gegenüber FY2008 um 127 % erhöht werden. Endziel sind 50 täglich in Einsatzräumen verfügbare Plattformen. Um 57 Mio. US-$ wird Ersatz für die von den UAVs eifrig verschossenen AGM-114 ‚Hellfire‘ eingeplant. Eine jet-getriebene Kampfdrohne ‚PredatorC‘ flog erstmals Anfang April und Anfang 2009 musste NATO-Personal Fotos einer großen unmarkierten Nurflügel-Jet-Drohne von ihren Kameras löschen – in Kandahar... Weniger Schiffe, Panzer und Hubschrauber Wenn die CVN-65 ‚USS Enterprise‘ (1961) 2012 ausgeschieden wird, soll das sichtbarste Mittel USamerikanischer Projektion, die aktive Nuklear-Flugzeugträgerflotte, auf zehn Schiffe schrumpfen. Ihr Nachfolger soll dann die Letzte der ‚Nimitz-Klasse‘, die CVN-78 ‚USS Gerald Ford‘, werden. Die ursprünglich dafür geplante CVN-21(CV-X)-Klasse wird aufgeschoben, „bis die Technologie vielsprechender wird“, so Gates. Die US-Marine erhält als Überbrückung bis zur – als letzte der drei Varianten anstehenden – Trägerversion F-35C übrigens nochmals 31 neue F-18E/F, die 100 in Bau befindlichen EloKa-Varianten EF-18G ‚Growler‘ nicht mit eingerechnet. Vom Küsten-Kampfschiff LCS kommen dafür mehr, vielleicht bis zu 55 Stk. Unerwartet bzw. interessant ist das geplante Ende des Transporters C-17 ‚Globemaster III‘. Gerade in Zeiten wachsender Not nach Lufttransportraum überrascht die Schließung der Fertigung im kalifornischen Long Beach nach 205 Stk. Boeing klopft aber – nach Erfolgen in England, Kanada, Australien, Qatar und den Emiraten – schon heftig in Europa an. Dort wird im ungarischen Papá eine multinationale NATO-PfPTransportzelle mit C-17s aufgebaut, außerdem soll Airbus A400M vor wahrlich existenziellen Problemen stehen. Frankreich hat bereits C-17-Preise abgefragt … Sofort beendet werden ein künftiger schwerer, bemannter Bomber, der geplante KampfzonenRettungshubschrauber CSAR-X oder – wie schon erwartet – der neue Hubschrauber für den Präsidenten, der VH-71. 23 der teuersten Hubschrauber aller Zeiten hätten fast 13 Mrd. US-$ gekostet. Als Kampf- bzw. Einsatzverluste deklariert und 1:1 ersetzt werden 12 Stk. AH-64 ‚Apaches‘, 4 Stk. CH-47 ‚Chinnoks‘, 4 Stk. UH-1Y des Marine-Corps sowie 2 Stk. MH-60 der Marine. Der – aus konventioneller Sicht – gesetzte ‚Aderlass‘ trifft auch die US-Army. So möchte Gates z.B. auch die geplante Familie von acht verschiedenen 27 t-Kampffahrzeugen der US-Armee (FCS) sofort einstellen, ebenso wie neue Satelliten, einen neuer Kreuzer oder ein Dock-Landeschiff. Enttäuschte Erwartungen Man kann sich vielleicht bei den bizarren Stalinisten in Nordkorea und ihrem jüngsten Test der MehrstufenLangstreckenrakete ‚Taepodong-2‘ bzw. ‚Unha‘ ‚bedanken‘, wenn das in Europa – auch in Österreich – politisch erhoffte ‚Signal an Russland‘ in Form der erwarteten raschen Einstellung des USRaketenabwehrprogramms nicht kommt. Wohl äußert Gates Skepsis bezüglich „noch nicht erwachsenem Technolgielevels“, er will aber 700 Mio. US-$ mehr an ‚Dosis‘ für ähnliche Symptome. Lockheed‘s THAADRaketenabwehrsystem und deren ‚Standard Missile 3‘ ist gegen ballistische Bedrohungen eines gesamten Kriegsschauplatzes oder einer ganzen Region gerichtet. Am 14. April hat der iranische Präsident nächste ‚Satellitenstarts‘ angekündigt, mit Trägerraketen von 1.500 km Reichweite. Nordkoreanische Schiffe laufen weiter den Iran an. Raketenabwehr bleibt also ein Thema. GM Quelle: DER SOLDAT, Ausgabe Nr. 9/2009, Seite 9