Einleitung - Katholische Universität Eichstätt

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Einleitung - Katholische Universität Eichstätt
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Herausgegeben von Leonid Luks und Donal O`Sullivan.
Einleitung
Stalins Politik gegenüber den Juden zeichnete sich durch eine
ausgesprochene Ambivalenz aus, die besonders nach dem Ausbruch des
deutsch-sowjetischen Krieges deutlich zum Ausdruck kam. Einerseits
versuchte Moskau die jüdische Karte zu spielen und gründete zu diesem
Zweck im April 1942 das Jüdische Antifaschistische Komitee. Das Komitee
appellierte an die jüdische Öffentlichkeit im Westen, die Sowjetunion in ihrem
Überlebenskampf zu unterstützen. Zur gleichen Zeit begann aber die
Kremlführung Säuberungen nach rassischem Prinzip vorzunehmen, um
manche sowjetische Institutionen von der sog. "jüdischen Dominanz" zu
befreien.
Der Antisemitismus, der bis dahin im kommunistischen Vokabular als
"bürgerliches Vorurteil" gegolten hatte und immer wieder angeprangert worden
war, begann nun immer stärker die sowjetische Politik zu bestimmen. Vor der
partiellen Öffnung der sowjetischen Archive war die Mehrheit der Forscher
davon überzeugt, daß die antisemitische Wende des stalinistischen Regimes
erst nach der Bezwingung des Dritten Reiches stattgefunden hatte.
Die nun zugänglichen Dokumente zeigen, daß diese Wende um einige Jahre
vorverlegt werden muß. Bereits im Jahre 1942, als die deutschen Truppen sich
Stalingrad näherten, wurde in der Abteilung für Propaganda des
bolschewistischen ZK eine Reihe von Denkschriften und Dokumenten mit
eindeutig antisemitischem Charakter verfaßt. Die Grundzüge der
antikosmopolitischen Kampagne, die einige Jahre später beginnen sollte,
waren hier bereits antizipiert.
Auch nach der Bezwingung des Dritten Reiches blieb die sowjetische
Judenpolitik ausgesprochen ambivalent. So läßt z.B. die von Stalin befohlene
Ermordung des Vorsitzenden des Jüdischen Antifaschistischen Komitees und
Schauspielers Solomon MichoÂ​ls viele Fragen offen. Denn der Mord an dieser
Symbolfigur des sowjetischen Judentums fand ausgerechnet in der Zeit statt,
als Moskau dabei behilflich war, den uralten jüdischen Traum von der
Errichtung eines eigenen Staates zu verwirklichen. Die UdSSR setzte sich
vehement für die Gründung des Staates Israel ein und unterstützte den
neuentstandenen jüdischen Staat massiv in seinem Überlebenskampf.
Ein Satellitenstaat Moskaus - die Tschechoslowakei - lieferte 1948 dringend
benötigte Waffen nach Israel. Die Juden aus den von der Sowjetunion
abhängigen Staaten Osteuropas durften relativ ungehindert nach Israel
auswandern. Etwa 300.000 von ihnen gelangten in den Jahren 1948-52 in den
jüdischen Staat. Zugleich bekämpfte aber Moskau brutal die zionistischen
Bestrebungen in der Sowjetunion selbst und ließ, bis auf wenige Ausnahmen,
keine sowjetischen Juden nach Israel auswandern. Alle diese Widersprüche
bedürfen einer Erklärung.
Auch die sog. antikosmopolitische Kampagne, die seit 1948/49 eindeutig
antisemitisch ausgerichtet war, enthielt mehrere Widersprüche.
Trotz der weitgehenden Stalinisierung des Ostblocks wurde die
antikosmopolitische Kampagne in einzelnen kommunistischen Ländern mit
unterschiedlicher Intensität geführt. Deshalb ist eine vergleichende Analyse der
jeweiligen Rahmenbedingungen erforderlich, um die Frage nach den Ursachen
für die antijüdische Wendung des Stalinismus zu beantworten. Auch ein
anderes Problem bedarf einer Klärung: warum wurde die sog.
antikosmopolitische Kampagne von 1948/49 vorübergehend eingestellt, um
dann, nach zwei Jahren, in einer noch schärferen Form wiederaufzuleben?
Die ambivalente Einstellung der stalinistischen Führung zur jüdischen Frage
war sicher mit dem internationalistischen Erbe der bolschewistischen Ideologie
verknüpft. Trotz der physischen Vernichtung eines großen Teils der "alten
bolschewistischen Garde" konnte sich Stalin von der bolschewistischen
Tradition, die auch universalistische Komponenten enthielt, nicht gänzlich
lossagen. Dies hätte die Legitimität seines Regimes in Frage stellen können.
Deshalb war der offene und hemmungslose Antisemitismus, wie ihn rechte
Gruppierungen praktizieren, für die Stalinisten nicht möglich. Ihre antijüdische
Politik mußte zwangsläufig viele Widersprüche und Brüche enthalten.
In den letzten Jahren der Stalinschen Herrschaft (etwa ab 1951) begann die
sowjetische Judenpolitik ihre Ambivalenz zu verlieren und wurde beinahe offen
antisemitisch. Auch diese politische Wende gibt der Forschung Rätsel auf.
Unklar ist auch die Tatsache, warum der Prozeß gegen führende Vertreter des
Jüdischen Antifaschistischen Komitees (Mai-Juli 1952), der mit 13
Todesurteilen endete, geheim blieb, der Slí¡nskí½-Prozeß hingegen
(November 1952), der eine neue Terrorwelle gegen die Juden einleiten sollte,
öffentlich verlief.
Alle diese Fragen standen im Zentrum des Symposiums, zu dem das
Zentralinstitut für Mittel- und Osteuropastudien (ZIMOS) und der Lehrstuhl für
Mittel- und Osteuropäische Zeitgeschichte an der Katholischen Universität
Eichstätt führende russische, israelische, tschechische, polnische, ungarische
und deutsche Kenner der Problematik eingeladen haben.
Bei dem Symposium handelt es sich um die erste, derart breite Zusammenkunft
führender Kenner der Thematik seit der partiellen Öffnung der osteuropäischen
Archive. Die Tagungsbeiträge sind in diesem Sammelband enthalten.
Ich möchte an dieser Stelle meinen herzlichen Dank allen aussprechen, die
das Zustandekommen sowohl des Symposiums als auch des Tagungsbandes
ermöglicht haben: Der Volkswagen-Stiftung für die großzügige finanzielle
Unterstützung des Symposiums, den Referenten, die nicht selten einen langen
Anreiseweg nach Eichstätt zurücklegen mußten, für ihre anregenden Vorträge
und Diskussionsbeiträge. Besonders herzlich möchte ich mich bei Frau Chiara
Savoldelli bedanken, und zwar sowohl für die organisatorische Betreuung des
Symposiums wie auch für die Fertigstellung des druckfertigen Typoskripts. Sie
wurde dabei von Frau Elisabeth Maier tatkräftig unterstützt, die ich ebenfalls mit
großem Dank erwähnen möchte. Frau Cornelia Baumgartner danke ich sehr
herzlich für das Abtippen der Tonbandaufzeichnungen. Und last but not least
gilt mein besonderer Dank Herrn Peter Paul Bornhausen für das aufmerksame
Lektorieren der Texte.
Leonid Luks
Inhaltsverzeichnis
Leonid Luks
Vorwort
Eduard Goldstücker
Der stalinistische Antisemitismus - ein Erlebnisbericht
Liudmila Dymerskaya-Tsigelman
Die Doktrin des Stalinschen Antisemitismus. Zur Entstehungsgeschichte
Shimon Redlich
The Jewish Anti-Fascist Committee in the USSR: New Documentation from Soviet Archives
Lev Besymenski
Was das Sowjetvolk vom Holocaust wußte
Gennadij Kostyr…enko
Der Fall der Ärzte
Vladimir Naumov
Die Vernichtung des Jüdischen Antifaschistischen Komitees
Eitan Finkelstein
Die Beziehungen zwischen der Sowjetunion und Israel von 1948 - 1953. Thesen eines Vortrages
Peter Krupnikow
Juden im Baltikum 1945-1953
Karel Kaplan
Der politische Prozeß gegen R. und Genossen
György Dalos
Juden in Ungarn nach 1945
Hildrun Glass
Die kommunistische Politik gegenüber der jüdischen Minderheit in Rumänien (1944-1953)
Krystyna Kersten
Polish Stalinism and the So-Called Jewish Question
Gerd Koenen
Die DDR und die "Judenfrage". Paul Merker und der nicht stattgefundene "deutsche Slí¡nskí½ Prozeß" 1953 237
Leonid Luks
Stalin und die "jüdische Frage" - Brüche und Widersprüche
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