WDR Comedy Portal | Mitternachtsspitzen

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Sendungstext vom 10. Juni 2006
Wilfried Schmickler
Aufhören, Herr Becker aufhören. Oder wissen Sie was, machen Sie einfach weiter,
sie können meine 5 Minuten noch dabei haben, es hört uns eh keiner mehr zu. Auf'm
Ersten läuft gerade eines der 64 absoluten Spitzenspiele dieser Fußball WM, da
spielt einer der 32 Geheimtipps gegen einen der 32 Top-Favoriten kommentiert von
Johannes Blabla Kernermann und anschließend gibt's Deller und Netzling und dann
noch final abkotzen in Waldis WM-Studio und dann ab in die Kiste, weil morgen früh
geht die Dauersendung weiter. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk als Bolzplatz. My
baby, baby, balla, balla! Morgen kommen die Spiele allerdings ausnahmsweise auf
RTL, weil morgen ist Sonntag und ARD und ZDF dürfen Sonntags keine Werbung
senden, und deshalb senden die auch Sonntags keinen Fußball, denn Fußball ohne
Werbung ist wie Bildzeitung ohne Tittentitel. Susi hat zwei süße Bälle und wartet auf
den Vollstrecker, der ihn reinmacht. Uääh! So wie von jeder Bild-Titelseite ein SoftPorno tropft, so klebt inzwischen an allem, was mit Fußball zu tun hat, irgendein
Werbe-Parasit. Werbung für WM-Bier, für WM-Telefone, für WM-Versicherungen, für
WMF - Hauptsache Werbung. Das folgende Spiel wird ihnen präsentiert von
Bitburger und Mastercard und T-com und Sony und Bifi und natürlich von Coca-Cola
und McDonalds und Adidas und in der Pause geht es beim großen HyundayGewinnspiel wieder um die baden-würtembergische Urlaubskasse und das alles von
heute an 30 Tage lang rund um die Uhr. Das ist der absolute Wahnsinn. Über 500
Stunden Fußball in 30 Tagen. Und von den 500 Stunden werden überhaupt nur 90
Stunden Fußball gespielt. Bei der nächsten Fußball-WM in Südafrika will die Fifa die
Spiele übrigens ganz weglassen, um noch mehr Sendeplatz für die Sponsoren zu
schaffen. Wissen Sie, ich guck ja auch hin und wieder mal gerne ein gutes
Fußballspiel und wenn Deutschland spielt, dann halte ich natürlich auch zu
Deutschland, so wie ich bei Wahlen immer irgendwie heimlich zur SPD halte, das ist
so ein irrationaler, genetischer Defekt, aber was sich da zur Zeit in den öffentlichrechtlichen Anstalten abspielt, das tötet mir wirklich den letzten Nerv. Der Vater greift
zum Inhalator, Jetzt kommt der Fußball-Kommentator. Wenn ich sehe, wie da die
Rundfunkgebühren in dreistelliger Millionen-Höhe aus dem Fenster geschleudert
werden, um irgendwelchen aufgeblasenen, eitlen Selbstdarstellern schier endlosen
Raum für ihre aufgeblasene, eitle Selbstdarstellung zu geben, wie sich all diese
selbsternannten Pseudo-Experten mit ihren von den diversen Werbepartnern fett
gepolsterten Ärschen auf den besten Sendeplätzen breit machen, wie sie jeden
verschossenen Ball zu einem historischen Großereignis aufpumpen, dann frag ich
mich wirklich, ob ich mir für meine monatlichen Gebühren nicht lieber eine GigaPackung Oropax kaufen sollte. Und wenn es dann mal einer wagt, das eine oder
andere kritische Wort zu diesem ganzen Spektakel anzumerken, na dann kriegt der
aber eine derartige Portion Klassenkeile, dass er sich hinterher mit Hut irgendwo auf
dem heiligen Rasen verstecken kann. Wie zum Beispiel der tapfere Mani Breukmann
bei Sabine Christiansen, die von Fußball übrigens noch weniger versteht als Angela
Merkel. Aber natürlich muss auch sie ihren gelifteten Rüssel in die Sache reinhalten.
Die Frau steht allerdings auch mächtig unter Druck, also die Christiansen. Der laufen
nämlich die Zuschauer weg. Seit in Berlin die Große Koalition regiert, fehlt der
Sendung irgendwie der richtige Biss. Die Zuschauer wollen nicht diese groß1
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koalitionäre Kuschel-Rhetorik, die Zuschauer wollen Streit. Und den können die ganz
dicken Regierungsnummern wegen der Koalitionsdisziplin zur Zeit nicht liefern und
also versauen sie die Quote und werden nicht mehr eingeladen. Ich glaube, deshalb
versuchen auch gerade die diversen CDU und SPD Zweitreiher sich als SuperStreithammel zu profilieren. Die wollen endlich wieder mal zu Christiansen. Sie
können in Deutschland eine Wahl verlieren, okay, aber wenn sie vier Wochen nicht
bei Christiansen waren, dann sind sie so richtig weg vom Fenster. Wie dem auch sei,
am Pfingstsonntag ging's um Fußball. Und da saß der Manni Breukmann in einer
Runde mit dem verbiesterten Bundes-Innenminister, irgend so einem steinalten DFBKalkeimer und einem selbstgefälligen Sponsorenklopps und da hat er sich erdreistet
von der im totalen Kommerz verloren gegangenen Seele des Fußballs zu sprechen.
Manni gegen den Rest der Welt. Na, aber da war was los. Stimmungsverderber!
Miesmacher! Quertreiber! Dass sie den Breukmann nicht noch an Ort und Stelle als
Vaterlandsverräter an die Studio-Wand genagelt haben, grenzte an ein Wunder. Und
da warten ja alle darauf. Auf ein Wunder. Ein zweites Wunder von Bern. Weil das
wär's doch: Deutschland wird Weltmeister im eigenen Land und eine gigantische
Welle der Euphorie schwappt über das Land und spült sie einfach weg, all diese
kleingeistigen Ängste und überflüssigen Sorgen. Arbeitslosigkeit? Bildungsnotstand?
Staatsbankrott? Steht auf, wenn ihr Deutsche seid. Steuererhöhung? Arbeitszeitverlängerung? Netto-Lohn-Kürzung? Steht auf, wenn ihr Deutsche seid. Altersarmut?
Gesundheitskostenexplosion? Privatinsolvenzen? Steht auf, wenn ihr Deutsche seid.
Und wenn ihr euch dann wieder hinsetzt und ihr stellt fest, dass ihr nach wie vor in
der gleichen Scheiße sitzt, dann seid ihr wenigstens Weltmeister. Dann ist der
Gestank zwar derselbe, aber es fühlt sich doch ganz anders an.
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