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HUMBOLDT-UNIVERSITÄT ZU BERLIN PHILOSOPHISCHE FAKULTÄT I INSTITUT FÜR BIBLIOTHEKS- UND INFORMATIONSWISSENSCHAFT (IBI) MAGISTERARBEIT Provenienzforschung in Gedächtnisinstitutionen Zu spezifischen Aspekten der Kooperation von Bibliothek, Archiv und Museum im Kontext des Semantic Web Vorgelegt von Janna Hennicke Liebenwalder Str.31 13347 Berlin Matrikelnummer: 199572 Gutachter: 1 Hr. Prof. Dr. Stefan Gradmann (IBI) 2 Hr. Prof. Dr. Günther Neher (Fachhochschule Potsdam) Datum der Einreichung: 27.04.2010 Inhaltsverzeichnis 1 Einleitung 4 2 Provenienzforschung in Gedächtnisinstitutionen – Einordnung, Spezifika und Herausforderungen 8 2.1 Theoretische Einordnung 8 2.2 (Kultur-)politische Maßnahmen und Hilfsmittel 11 2.3 Die Praxis in Bibliothek, Archiv und Museum 14 2.3.1 Bibliothek 15 2.3.2 Archiv 20 2.3.3 Museum 23 2.3.4 Beispiel eines typischen Falls der Provenienzforschung 27 2.4 Resümee – Gemeinsamkeiten, Unterschiede und Probleme 28 3 Die Dokumentation von Provenienzforschung im Internet 31 3.1 Theoretische Einordnung 32 3.2 Untersuchung 35 3.2.1 Auswahl der Ressourcen, Vorgehen und Gegenstand 35 3.2.2 Beispiel „Bibliothek“ – die Staatsbibliothek zu Berlin 37 3.2.3 Beispiele „Museum“ 42 3.2.3.1 Das Bundesamt für zentrale Dienste und offene Vermögensfragen (BADV) 42 3.2.3.2 Das Deutsche Historische Museum (DHM) 45 3.2.3.3 Das Städel Museum 48 3.2.4 Beispiel „Archiv“ – Lostart 50 3.3 Überprüfung semantischer Korrespondenz – Ein Mapping Versuch 54 3.3.1 Tabelle eines Crosswalks 55 3.3.2 Ergebnis 56 3.4 Resümee 58 4 Eine Zukunftsperspektive –Semantic Web und Provenienzforschung 4.1 Ontologien 60 60 4.1.1 Grundsätzliches zu Ontologien 61 4.1.2 Designprinzipien einer Ontologie – Ein theoretischer Entwurf 62 4.1.3 Zwischenbilanz 66 4.2 Eine Ontologie im Semantic Web 67 4.2.1 Das Semantic Web – Grundsätzliches 67 4.2.2 Semantische Technologien 69 2 4.2.2.1 RDF und RDF Schema 70 4.2.2.2 OWL 73 4.2.3 Verwendung der OWL Elemente im Kontext der Provenienzforschung 4.3 Resümee: Ontologien, OWL, Semantic Web und die Provenienzforschung 79 82 5 Schlussbetrachtung 84 6 Literaturverzeichnis 90 7 Abbildungsverzeichnis 99 3 „Insofern ist eine neue Theorie, sei ihr Anwendungsbereich noch so speziell, selten oder nie eine Steigerung dessen, was schon bekannt ist. Ihre Anerkennung erfordert die Umarbeitung einer früheren Theorie und die Neubewertung früherer Fakten, einen wahrhaft revolutionären Vorgang, der selten von einem einzigen Menschen und niemals von heute auf morgen zu Ende geführt werden kann.“ (Thomas Kuhn 1973). 1 Einleitung „Provenienzforschung in Gedächtnisinstitutionen“ – das ist die übergeordnete Thematik, mit der sich diese Abschlussarbeit auseinandersetzt. Doch was ist unter Provenienzforschung zu verstehen? Der Begriff „Provenienz“ bedeutet „Herkunft, Ursprung“ und ist zunächst mit keiner ungewöhnlichen Konnotation verknüpft. Doch im dem hier gemeinten Zusammenhang erweitert sich die Bedeutung dieses Wortes erheblich: Provenienzforschung bezeichnet „die wissenschaftliche Forschung über die Herkunft und ehemaligen Eigentumsverhältnisse von Kunstwerken und Kulturgütern, die den Nachweis ihrer lückenlosen Eigentumsfolge bis zum aktuellen Besitzer zum Ziel hat.“1 Diese Definition wird zusätzlich in den Kontext von „NS-verfolgungsbedingt entzogenes Kulturgut“2 eingeordnet. Demnach beschäftigt sich diese Arbeit mit einer Forschungsrichtung, die die Herkunft von Kulturgütern unter dem historischen Umstand des nationalsozialistischen Ausbeutungs-, Vernichtungs- und Verfolgungssystems zur Klärung von Eigentumsverhältnissen betrachtet. Ziel ist neben der Feststellung von Fakten auch die Restitution (d.h. die Rückgabe) an den rechtmäßigen Eigentümer des jeweiligen Kulturgutes. Dies ist auch als eine ethische Verpflichtung zu sehen, denn hinter den untersuchten Objekten stehen immer Schicksale, die exemplarisch für die Grausamkeiten des Nationalsozialismus und seine perfiden Methoden sind. An die Erklärung zur Begrifflichkeit schließt sich häufig die Frage nach dem Nutzen bzw. dem Sinn dieser Forschung an; schließlich nimmt die Spezialisierung der Forschungsbereiche eher zu denn ab. Provenienzforschung hingegen ist eine immanent interdisziplinäre und fachübergreifende Problematik, denn der Bedarf zur Nachforschung über die Herkunft eines Objektes besteht nicht nur in Kultureinrichtungen, dort sowohl in Bibliothek als auch Archiv und 1 Eine Definition von Provenienzforschung von Tatzkow (vgl. Tatzkow, Monika/Schnabel, Gunnar: Nazi Looted Art. Handbuch Kunstrestitution weltweit. Berlin: Proprietas-Verlag, 2007. S.509). 2 Vgl. Handreichung zur Umsetzung der „Erklärung der Bundesregierung, der Länder und der kommunalen Spitzenverbände zur Auffindung und Rückgabe NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturgutes, insbesondere aus jüdischem Besitz“ vom Dezember 1999. 4 Museum, sondern auch in der Privatwirtschaft wie z.B. in Auktionshäusern und bei Privatpersonen. Um diese Nachforschungen überhaupt möglich zu machen, ist die wissenschaftliche Forschung und Dokumentation eine Voraussetzung. Allerdings mangelt es in diesem Punkt der Provenienzforschung noch an Konsens, respektive an Terminologie und Kooperation. Eine Einigkeit wäre jedoch deshalb so relevant, weil die Aufarbeitung von Provenienz immer die Betrachtung eines heterogenen Kontextes beinhaltet, das bedeutet, die Historie einer Einrichtung, persönliche Schicksale, deutsche Geschichte und kunsthistorische Aspekte zu bedenken, zu untersuchen und aufzudecken hat. „Heterogenität“ verweist auf ein weiteres Thema dieser Arbeit: Die Technologien des Semantic Web sollen diesem Schwachpunkt des aktuellen Web, d.h. die heterogen vorliegenden und verteilten Informationsressourcen und deren Recherchierbarkeit, entgegenwirken, indem sie die Ressourcen durch semantische Auszeichnung in Beziehung setzen und maschinell interpretierbar gestalten. Eng verbunden ist damit der Blick auf die Beseitigung von semantischer Heterogenität, die sich in divergierender Terminologie niederschlägt und somit eine Zusammenführung von Ressourcen erschwert. In diesem Kontext wird untersucht, inwiefern die Erstellung einer Ontologie – als eine der semantischen Technologien – die Publikations- und Dokumentationsproblematik der Provenienzforschung beheben oder zumindest verbessern kann. Bibliothek, Archiv und Museum und das von ihnen aufbewahrte Kulturgut bilden die Perspektive für die Ausführungen. In Kapitel 2 wird erläutert, wie Provenienzforschung in den Gedächtnisinstitutionen wahrgenommen, praktiziert und in die traditionellen Arbeiten der Einrichtungen eingeordnet wird. Als besondere Problematik wird in Kapitel 3 die Dokumentation von Provenienzforschung in online verfügbaren Informationssystemen untersucht; dazu werden exemplarische Datenbanken aus Bibliothek und Museum betrachtet, wobei das Archiv eine Sonderstellung einnimmt. Auf Grundlage der erarbeiteten Problemstellung behandelt Kapitel 4 das Semantic Web und sein mögliches Potential zur Problemlösung durch die Erstellung einer Ontologie und deren Implementierung in der Web Ontology Language (OWL). Die zentrale These dieser Arbeit lautet somit: Die Provenienzforschung bedarf einer Terminologie zur Beschreibung seiner Objekte. Institutionelle und fachliche Grenzen können dabei durch die gemeinsame Erstellung einer Ontologie überwunden werden. Letztlich kann dieser 5 Komplexität der Dokumentation in der Anwendung der semantischen Technologien entsprochen werden. Es ist beabsichtigt, mit dieser Arbeit einen Ist-Zustand zu dokumentieren, zu kritisieren und aus dieser Problematik heraus einen möglichen Soll-Zustand zu skizzieren Begrifflichkeiten: In dieser Arbeit wird die These von „Information ist Wissen in Aktion“3 vertreten, aber in eigenen Worten wiedergegeben: Daten stellen die kleinsten Repräsentationseinheiten von Sachverhalten dar, d.h. sie können Zeichenabfolgen, Zahlen, Bilder usw. sein. Sie sind die Basis für die Gewinnung von Information und Wissen. Information entsteht nämlich erst durch die Kontextualisierung von Daten, wie z.B. die Daten in einer Datenbank, welche einer bestimmten Thematik zuzuordnen sind. Es ist ein immer gegebenes Faktum, dass Daten und Information über einen Zusammenhang verbunden sind. Es kann somit auch keine „kontextfreie“ Information geben. Wissen hingegen ist der Vorgang von Kombination und Ergänzung von bereits vorhandenem Wissen auf Grund von Informationen. In erster Linie neue Informationen ermöglichen die Entstehung von Wissen. Dabei ist zu bedenken, dass Information ebenfalls auf bereits bestehendes, kollektives Wissen referenziert, jedoch im individuellen Kontext erst wieder zu Wissen generiert. Somit wird „Wissen […] als Phänomen kognitiver Systeme aufgefasst, das als Gesamtheit der Kenntnisse, Erfahrungen, Fähigkeiten, Fertigkeiten und Wertvorstellungen verstanden wird.“4 Ein weiterer essentieller Begriff für diese Arbeit ist der der „Informationsressource“. Dieser soll als Quelle für Information, hier meist im digitalen Zusammenhang, gesehen werden – deshalb gilt hier auch das Synonym „Informationsquelle“ und ggf. „Informationssystem“. Es sind darunter sowohl Datenbanken als auch Webseiten jeglicher Art zu verstehen. Im Kontext des Semantic Web findet sich dafür ebenfalls der Begriff der „Ressource“. Forschungsstand: Es konnte festgestellt werden, dass die Literatur zur Provenienzforschung vornehmlich aus Sammelbänden von Tagungen, Konferenzen und sonstigen Veranstaltungen besteht. Der Fokus der Beiträge darin liegt zum allergrößten Teil auf Beispielen aus einzelnen Institutio3 Von Rainer Kuhlen begründet. Vgl. Grundlagen der praktischen Information und Dokumentation. Hrsg. v. Rainer Kuhlen/Thomas Seeger/Dietmar Strauch. 5., völlig neu gefasste Ausg. Bd. 1 u. 2. München: Saur, 2004. 4 Grundlagen. (2004). Bd. 2, Glossar: Wissen. S.130/131. 6 nen und daneben auf fachspezifischen Betrachtungen z.B. der Bibliothekswissenschaft oder Museologie. Innovative Ansätze waren kaum zu finden, der Stand der Dinge ist vielmehr der Schwerpunkt dieser Literatur. Dazu gehört auch, dass wiederholt und oft prinzipielle Fakten rezitiert wurden (z.B. die Washingtoner Konferenz und deren Auswirkungen), ohne dass neue Informationen daraus gewonnen wurden. In den Lehrbüchern oder Standardwerken der einzelnen Fachrichtungen wird Provenienzforschung von verfolgungsbedingt entwendetem Kulturgut überhaupt nicht angesprochen, was für eine fehlende Etablierung oder Bekanntheit spricht. Es fanden sich auch keine Monographien und Beiträge, die sich mit Provenienzforschung als interdisziplinäre Forschungsrichtung auseinandersetzen. Für die Erstellung der vorliegenden Arbeit war deshalb eine systematische Zusammenführung dieser einzelnen und speziellen Werke und Beiträge notwendig, um eine übergreifende Sicht auf die Arbeitsweisen und Problematiken zu gewinnen. Diese Arbeit strebt jedoch den Anspruch eines solchen vereinenden Überblicks an. Die Verbindung von Provenienzforschung mit der „modernen“ Thematik des Semantic Web wurde nirgends behandelt. Dies liegt wahrscheinlich unter anderem daran, dass die Forschungsgemeinde bisher nicht die Notwendigkeit zur Kooperation bei der Dokumentation angesprochen hat; es werden nach wie vor die institutionsspezifischen Erschließungsvorgänge singulär betrachtet. Dies motivierte die in dieser Arbeit durchgeführte Untersuchung der Dokumentation von Provenienz. Informative und überblickshafte Literatur zum Semantic Web wird verstärkt und kontinuierlich publiziert, hinzukommen die Empfehlungen für Standards des World Wide Web Consortium (W3C). 7 2 Provenienzforschung in Gedächtnisinstitutionen – Einordnung, Spezifika und Herausforderungen 2.1 Theoretische Einordnung Zunächst werden die Institutionen, mit welchen sich diese Arbeit auseinandersetzt, beschrieben: Bibliothek, Archiv und Museum werden unter dem Begriff der „Gedächtnisinstitutionen“ subsumiert. Diese Zuordnung ergibt sich aus dem allgemeinen Verständnis, dass benannten Einrichtungen die Aufgabe der Bewahrung unseres kulturellen Gedächtnisses zukommt, wodurch etwas zu Kulturgut wird. Demnach kann unter Kulturgut all das verstanden werden, was von den genannten Institutionen aufbewahrt wird. Doch worin unterscheiden sich Gedächtnisinstitutionen überhaupt und was zeichnet sie aus? Zur Klärung dieser Frage sollen aktuelle Definitionen aus den jeweiligen Fachwissenschaften herangezogen werden: Eine Bibliothek kann „im weitesten Sinne als Sammlung veröffentlichter Informationen definiert werden. Diese Definition macht deutlich, dass moderne Bibliotheken veröffentlichte Informationen aller Art (Texte, Bilder, Tondokumente und Filme) unabhängig von ihrer medialen Erscheinungsweise (als Buch, Audio-CD, CD-ROM, Netzpublikation, etc.) sammeln, erschließen, verfügbar machen und bewahren.“5 Es handelt sich demzufolge bei den Beständen einer Bibliothek vorwiegend6 um in Massenproduktion entstandene und vielgestaltige Objekte7 zur Informationsvermittlung. Im Kontrast dazu definiert sich ein Museum als „eine gemeinnützige, ständige, der Öffentlichkeit zugängliche Einrichtung im Dienst der Gesellschaft und ihrer Entwicklung, die zu Studien-, Bildungs- und Unterhaltungszwecken materielle Zeugnisse von Menschen und ihrer Umwelt beschafft, bewahrt, erforscht, bekannt macht und ausstellt“.8 Das Spektrum musealer Sammlungen umfasst dementsprechend Objekte, welche durch intrinsische (ihm selbst innewohnende) und extrinsische (ihm zugeschriebene) Eigenschaften eine Zeugniskraft für einen 5 Gantert, Klaus/Hacker, Rupert: Bibliothekarisches Grundwissen. München: Saur, 2008. S.14. 6 Einige Bibliotheken besitzen auch Inkunabeln, welche durch ihre spezielle und meist singuläre Anfertigung ein Unikat darstellen. 7 Unter „Objekte“ werden alle in Museen, Bibliotheken und Archiven verwahrten Kulturgüter gefasst, vor allem, um eine Abstraktion von der Materialität der Kulturgüter zu erreichen und die Differenzierungen zwischen Beständen eines Archivs, Museums und einer Bibliothek aufzuweichen. Je nach Institution existieren ansonsten natürlich fachübliche Bezeichnungen wie Musealie, Medieneinheit oder Archivalien. 8 Ethische Richtlinien für Museen. Hrsg. v. ICOM. (Dt. Übers.), 2002. S.18. 8 besonderen Kontext erlangt, dadurch zur Musealie wird.9 Provenienzforschung in Museen beinhaltet somit immer die Untersuchung vielfältiger Objekte, von großen Ölgemälden bis hin zum Alltagsgegenstand. Archive hingegen „sind Behörden und Einrichtungen, die ausschließlich oder doch vorrangig mit der Erfassung, Verwahrung und Erschließung derartigen Archivguts befasst sind, das im Regelfall von den Stellen, bei denen es erwachsen ist, an die Archive abgeliefert wird“10 und sie „sichern, verwahren, ordnen, erschließen Unterlagen (v.a. Schrift-, aber auch Bild- und Tonträger sowie neuerdings auch digitale Daten) und stellen sie für eine Benutzung bereit.“11 Bei Archivalien kann demnach von Objekten ausgegangen werden, welche einen gemeinsamen institutionellen Ursprung haben und meist nur in einmaliger Ausführung (abgesehen von möglichen Kopien) existieren.12 Letztlich ist Von Hagel und Siegelschmidt zuzustimmen, wenn sie behaupten, dass eine „eindeutige Abgrenzung der Institutionen […] nicht möglich [ist] und bei einem Blick auf die Geschichte wenig sinnvoll“13 erscheint. Auch deren Objekte ähneln sich in ihrer Gegenständlichkeit; einzig in der Dokumentation14 weisen die Gedächtnisinstitutionen einige Unterschiede auf, wie sich später noch genauer herausstellen wird.15 Provenienzforschung als Forschungsrichtung hat sich erst in jüngerer Zeit, seit 1999, entwickelt und stellte bisher auch kein Thema der Ausbildung in der Museumswissenschaft dar16, 9 Vgl. Waidacher, Friedrich: Museologische Grundlagen der Objektdokumentation. Berlin, 1999. (=Mitteilungen und Berichte aus dem Institut für Museumskunde, Nr.15). S.5. 10 Franz, Eckhart G.: Einführung in die Archivkunde. 6., unv. Aufl. Darmstadt: WBG, 2004. S.2. 11 Brenner-Wilczek, Sabine/Ceplo-Kaufmann, Gertrude/Plassmann, Max: Einführung in die moderne Archivarbeit. Darmstadt: WBG, 2006. S.13. 12 Von Hagel, Frank/Sieglerschmidt, Jörn: Dokumentation in Museen, Bibliotheken und Archiven. In: Information Wissenschaft Praxis 53 (2002). S.349. 13 Von Hagel/Sieglerschmidt: Dokumentation. (2002). S.349. 14 Von Hagel/Sieglerschmidt: Dokumentation. (2002). S.349. 15 Siehe Kap. 3.3. 16 Eissenhauer, Michael: Museen im Spannungsfeld zwischen Sammlungsmanagement und Restitution. In: Verantwortung wahrnehmen: NS-Raubkunst – Eine Herausforderung an Museen, Bibliotheken und Archive. Bearb. v. Andrea Baresel-Brand. Hrsg. v. Koordinierungsstelle für Kulturgutverluste. Magdeburg: 2009. S.439. 9 ebenso wenig ist es in der Kunstwissenschaft ein (zentraler) Gegenstand17. Sicherlich hat es in einigen Häusern bereits in der Nachkriegszeit Restitutionen und somit Nachforschung gegeben, genauso war die Rückführung von Kulturgütern durch die Alliierten ein Schritt in die richtige Richtung18. Dennoch ist zu beklagen, dass einerseits die Teilung Deutschlands ein Missverhältnis der Fortschritte diesbezüglich beförderte19 und andererseits die Gewichtung verschiedener politischer, sozialer und kultureller Problematiken eher gegen die Klärung von Raubgut in den eigenen Bestände ausfiel. Gründe20 können sein, dass andere Themen in den 1990er Jahren dringender und präsenter waren, als eigentumsrechtliche Fragen. Hinzu kommt, dass die relevanten Akten bis Ende der 90er Jahre größtenteils nicht zugänglich waren. „Größtenteils“ bezieht sich darauf, dass es Unterlagen gab, die von den westdeutschen (auch ostdeutschen) Besatzungsmächten beschlagnahmt worden waren, häufig zur eigenen Forschung wie z.B. militärische Unterlagen21, jedoch auf Grund politischer und/oder konservatorischer Notwendigkeit der allgemeinen Forschung geöffnet wurden. Wichtigstes Beispiel dürfte dafür das sogenannte „Berlin Document Center“ sein – es handelt sich hierbei um einen seit 1993 im Bundesarchiv befindlichen Bestand über das „biographische Material der NSZeit. Personalakten der NSDAP und anderer nationalsozialistischer Organisationen und staat- 17 Roth, Martin: Restitution – Die Angst vor der eigenen Geschichte? In: Eine Debatte ohne Ende? Raubkunst und Restitution im deutschsprachigen Raum. Hrsg. v. Julius H. Schoeps/Anna-Dorothea Ludewig. Berlin: Verlag für Berlin-Brandenburg, 2007. S.127. 18 Damit sind insbesondere die Leistungen der Central Collection Points gemeint, die von den Alliierten im Westen eingesetzt wurden, um die gefundenen Kulturgegenstände zu sammeln, erfassen und zu restituieren. Der bekannteste Central Collection Point war in München angelegt und aus deren Akten- und Karteikartenbestand sind hilfreiche Informationen zur Provenienzforschung zu ziehen. Die damit zusammenhängende Datenbank wird später noch genauer untersucht. 19 Eine Wiedergutmachung von NS-Unrecht fand in der ehemaligen DDR schlicht nicht statt, so Tatzkow (Nazi Looted Art. (2007). S.192). Wie Kuller und Hockerts (Hockerts, Hans Günter/Kuller, Christiane: Von der wirtschaftlichen Verdrängung zur Existenzvernichtung. Dimensionen der „Arisierung“. In: Kulturgutverluste, Provenienzforschung, Restitution. Sammlungsgut mit belasteter Herkunft in Museen, Bibliotheken und Archiven. Hrsg. v. Landesstelle für die nichtstaatlichen Museen in Bayern [Red. Wolfgang Stäbler]. München/Berlin: Deutscher Kunstverlag, 2007. (=Museumsbausteine, Bd.10). S.21-37) richtig andeuten, war derartiges Gut nicht als ehemaliger Privatbesitz zu definieren, da dieser im Kommunismus verneint wird. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion, begann die offene, internationale Auseinandersetzung und die Aufwertung von Privatbesitz auch in den ehemaligen Ostblockstaaten. 20 Vgl. Hockerts/Kuller: Von der wirtschaftlichen Verdrängung. (2007). S.21-37. 21 Fitschen, Thomas: Das rechtliche Schicksal von staatlichen Akten und Archiven bei einem Wechsel der Herrschaft über Staatsgebiet. Baden-Baden: Nomos, 2004. (=Saarbrücker Studien zum internationalen Recht, Bd.25). S.202 ff. 10 licher Einrichtungen der NS-Zeit“22. Diese Unterlagen waren ausschlaggebende Beweismittel für die Nürnberger Prozesse. Ein weiterer Grund für die späte Auseinandersetzung liegt im Stichwort der Arisierung23, worunter auch das hier thematisierte Raubgut fällt. Arisierung ist dem Aspekt der Judenverfolgung zuzuordnen, aus dem die allgemeine Öffentlichkeit konkret profitiert hat. Die sogenannte „Verwertung“ jüdischen Besitzes war inmitten der Gesellschaft angesiedelt – von Großfirmen bis zum Kleinhandel, die sich auf finanzielle Ausnutzung konzentrierten, und dazwischen der Bürger, der ein wertvolles Möbelstück oder Kunstwerk, Literatur oder Kleidung aus „Judengut“24 auf einer Auktion günstig erstand. Auch dieser historische Umstand ist bei der Provenienzforschung zu berücksichtigen. Mit der Entwicklung eines solch speziellen Forschungsbereichs einhergehend ist die Verschiebung der Bedeutung von Provenienz – sie ist zum Oberbegriff dieser neuen Forschungsrichtung und gleichzeitig zum Leitwort einer medialen, politischen und wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit der deutschen Vergangenheit geworden. Zur Verdeutlichung dessen dient das folgende Kapitel. 2.2 (Kultur-)politische Maßnahmen und Hilfsmittel Zwar gestalten die Länder ihre Kulturlandschaft auf Grund der Kulturhoheit relativ autonom, der Bund kann jedoch in Kooperation mit Ländern und Gemeinden zu einem bundesweiten Konsens in einigen Thematiken kommen – so geschehen im Umgang mit NS-verfolgungsbedingt entwendetem Kulturgut. Anstoß zur internationalen Beachtung und Beschäftigung mit dieser Thematik war, immerhin knapp ein Jahrzehnt nach dem Mauerfall, die Washingtoner Konferenz von 1998 – das Ergebnis des inzwischen als „historisch“ zu bezeichnende Ereignisses waren die Washingtoner Prinzipien. Diese elf rechtlich nicht bindenden Grundsätze verkörpern den Willen zu einer „fairen und gerechten Lösung“25 im Umgang mit, d.h. 22 Fitschen: Das rechtliche Schicksal. (2004). S.199. 23 „Im Kern meint „Arisierung“ die Überführung von Vermögen aus „nichtarischer“ in „arische“ Hand und bezieht sich primär auf den Bereich des gewerblichen Eigentums.“ (Hockerts/Kuller: Von der wirtschaftlichen Verdrängung. (2007). S.23). 24 Hockerts/Kuller: Von der wirtschaftlichen Verdrängung. (2007). S.22. 25 Vgl. Handreichung zur Umsetzung der „Erklärung der Bundesregierung, der Länder und der kommunalen Spitzenverbände zur Auffindung und zur Rückgabe NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturgutes, insbesondere aus jüdischem Besitz“ vom Dezember 1999, 2.überarb. Auflage, 2007. -Anlage I.A.: Washingtoner Prinzipien. Nr. 9. 11 möglichst der Restitution von geraubten, unter Druck veräußertem oder sonst wie unrechtmäßig abhanden gekommenen Kulturgut aus der Zeit des Nationalsozialismus. Genauer, der Zugang und die Auswertung der einschlägigen und relevanten Unterlagen sollte ermöglicht werden; die Ergebnisse der Forschung sollten registriert, präsentiert, öffentlich zugänglich und recherchierbar gemacht werden; Restitution sollte das primäre Ziel der Forschung sein, dabei sollten die Staaten auch auf alternative Lösungsmethoden zurückgreifen, da die rechtliche Lage oft unsicher ist. Dies bezieht sich einerseits auf nicht eindeutige geklärte Fälle, in welchen es auch zu einer „Indizienentscheidung“ kommen kann und andererseits auf die Verjährung von Fristen, die einen Anspruch auf Restitution offiziell nicht mehr ermöglichen. Deutschland reagierte zügig auf die Forderungen der Prinzipien und veröffentlichte 1999 die Gemeinsame Erklärung26, welche 2001 noch durch eine Handreichung27 zur praktischen Umsetzung ergänzt wurde. Es finden sich in diesem Papier zahlreiche konkrete Arbeitsvorschläge, Listen mit relevanten Namen von historischen Personen oder Institutionen – sogenannte „red flags“ – bis hin zu Formularen wie einem Beispiel von einer Vereinbarung zwischen Institution und Erbberechtigten. Im selben Jahr noch wurde eine einstige Dokumentationsstelle in Magdeburg zur „Koordinierungsstelle für Kulturgutverluste“ benannt – diese hat nun neben der Veröffentlichung von wissenschaftlichen Publikationen, der Funktion als Informationszentrum, der Organisation von Öffentlichkeitsarbeit, auch die Dokumentation und Bereitstellung von Such- und Fundmeldungen im Internet28 inne. Insbesondere der letztgenannte Teil wird später noch ausführlich behandelt. Der Appell der Politik an die öffentlichen Einrichtungen, den Grundsätzen motiviert und mit allen Anstrengungen zu folgen, war jedoch zunächst nicht sehr erfolgreich, wie Langenstein in seinem Resümee29 festhält: Zuvor und danach gab es lediglich „Insellösungen in Brenn- 26 Erklärung der Bundesregierung, der Länder und der kommunalen Spitzenverbände zur Auffindung und zur Rückgabe NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturgutes, insbesondere aus jüdischem Besitz, vom Dezember 1999. (=Gemeinsame Erklärung). 27 Handreichung. (2007). 28 Siehe: www.lostart.de (25.04.10) 29 Langenstein, York: „Raubkunst“ in musealen Sammlungen – zehn Jahre Washingtoner Konferenz. Zum Umgang mit „verfolgungsbedingt entzogenem Kulturgut“. In: ICOM Deutschland – Mitteilungen 2009, 16.Jg., Heft 31 (2009) S.12-17. 12 punkten“30, an großen Häusern wie der Bayerischen Staatsgemäldesammlung in München, der Hamburger Kunsthalle oder im Lenbachhaus (München). Als Maßnahme gegen diese Problematik gilt die Gründung des „Arbeitskreises für Provenienzforschung“, welcher durch fachlichen Austausch unter Experten, beteiligten Einrichtungen und mit informativen Veranstaltungen einen erheblichen Beitrag zum kontinuierlichen Diskurs leistet.31 Interessanterweise kam es in demselben Jahr noch zu einem Symposium, das sich hauptsächlich an Mitarbeiter und Wissenschaftler des Bibliothekswesens und Archivs richtete. Unter dem Titel „Jüdischer Buchbesitz als Beutegut“ kam es hier zur bewussten Auseinandersetzung mit der „braunen“ Vergangenheit der Bibliotheken und auch der Archive. Dieses Symposium endete mit der Veröffentlichung des sogenannten „Hannoverschen Appells“32, der sich konkret auf die Washingtoner Prinzipien bezieht und sie damit speziell für das Bibliothekswesen bekräftigt. Es folgten bis 2009 in Deutschland zwei weitere Symposien33, eine Fortbildungsveranstaltung34 und eine international besuchte Konferenz35 zu diesem Thema. Es gab auch in anderen Staaten wie Österreich36 gleichartige Veranstaltung, aber auf diese kann hier nicht eingegangen werden. Trotz der offenkundigen Beschäftigung mit Provenienzforschung in Museen, Archiven und Bibliotheken, schien das Problem der „Insellösungen“37 fortzubestehen. Denn die bisher 30 Langenstein: „Raubkunst“. (2009). S.15. 31 Langenstein: „Raubkunst“. (2009). S.15. 32 Siehe: Leitfaden für die Ermittlung von verfolgungsbedingt entzogenem Kulturgut in Bibliotheken. Bearb. v. Veronica Albin/Jürgen Babendreier/Bernd Reifenberg. (Stand 2005). Anhang: Hannoverscher Appell. 33 10./11. Mai 2005: Zweites Hannoversches Symposium „Jüdischer Buchbesitz als Raubgut“. 8./9. Nov. 2007: Drittes Hannoversches Symposium „NS-Raubgut in Bibliotheken. Suche, Ergebnisse, Perspektiven“. 34 18.Nov. 2003: „NS-Raubgut und Restitution in Bibliotheken“. Aus diesem Workshop resultierte der „Leitfaden“. Wie der Titel bereits andeutet, ist dies eine Hilfestellung für die praktische Provenienzforschung in Bibliotheken: Es finden sich ein Erfassungsschema für Objekte, Anleitung zur Feststellung von Provenienzhinweisen und Hilfestellung zur Ermittlung der Vorbesitzer. 35 11./12. Aug. 2008: „Verantwortung wahrnehmen. NS-Raubkunst – Eine Herausforderung an Museen, Bibliotheken und Archive“. 36 23./24. April 2003: „Raub und Restitution in Bibliotheken“ in Wien. 37 Man lese die jeweiligen Tagungs- und Konferenzbände zu den oben genannten Veranstaltungen – dort sind qualitativ sehr hochwertige und äußerst informative Publikationen vertreten, jedoch gibt es 13 „ ‚nebenberufliche’ Beschäftigung des jeweiligen Kulturstaatsminister mit dem Thema ist vollkommen unzureichend. Allein die Tatsache, dass von der Bundesregierung (und in gleicher Höhe von allen 16 Bundesländern) pro Jahr nur ca. 250.000€ für die Koordinierungsstelle zur Verfügung gestellt werden, […] zeigt die unzureichende Förderung […].“38 Dieses Problem hat die Bundesregierung erkannt und Anfang 2008 die Arbeitsstelle für Provenienzforschung am Institut für Museumsforschung der Staatlichen Museen zu Berlin eingerichtet. An diese Institution können Anträge von öffentlichen Einrichtungen auf Förderung von Projekten zur Provenienzforschung gestellt werden – dafür stehen ihr immerhin 1 Million Euro jährlich zur Verfügung. Das jüngste Ereignis ist ein internationales Treffen in Theresienstadt anlässlich des zehnjährigen Jubiläums der Washingtoner Konferenz, mit daraus resultierender Deklaration39. In dieser Deklaration wird jedoch nicht nur auf die damals beschlossenen Grundsätze Bezug genommen, sondern es kommen nun auch Themen wie die sozial-medizinische Versorgung von Überlebenden des Holocaust, die Restitution von unbeweglichem Besitz, der Umgang mit Massengräbern, ein genereller Aufruf zur Öffnung von Archiven und ähnlichen Forschungsquellen und die anhaltende Einbindung der Thematik in die Bildungssysteme der jeweiligen Staaten zum Ausdruck. Die Politik erkannte offensichtlich die Notwendigkeit zur Auseinandersetzung, die öffentlichen Einrichtungen haben durch die Arbeitsstelle für Provenienzforschung echte Chancen ihre Projekte durchzuführen und nicht zu Letzt scheint eine gewisse Kontinuität in der Diskussion gegeben zu sein – spätestens beim nächsten „spektakulären“ Fall wie der der Plakatsammlung von Hans Sachs oder der von Kirchners Straßenszene wird die allgemeine Presse wieder aufmerksam werden. 2.3 Die Praxis in Bibliothek, Archiv und Museum Die generelle Einordnung in den (kultur-)politischen Hintergrund und die Darlegung erster Problemstellungen, soll nun in die Vorstellung von praktischer Provenienzforschung in den nach wie vor tendenziell mehr Projekte an den „großen“ Häusern als in kleineren Museen oder Bibliotheken. 38 Tatzkow/Schnabel: Nazi Looted Art. (2007). S.211. 39 Terezin Declaration on Holocaust Era Assets and Related Issues (dt. = Theresienstädter Erklärung). 14 Gedächtnisinstitutionen übergehen. Folgende Indikatoren40 gelten grundsätzlich und für alle Gedächtnisinstitutionen als Anlass zur Untersuchung von Kulturgut: Erwerbungen infolge verfolgungsbedingt zustande gekommener Rechtsgeschäfte (z.B. Auktionen) Direkte Zuweisung beschlagnahmter Kulturgüter durch amtliche NS-Stellen an Museen usw. („Geschenke“) Ort des Erwerbs (z.B. Ankäufe in oder aus den besetzten Gebieten) Erwerbungszeitraum 1933 – 1945 und danach Die nicht verpflichtenden Empfehlungen und der bisherige Ausschluss aus dem alltäglichen Arbeitsablauf, stellt die praktische Arbeit in den Einrichtungen vor besondere Herausforderungen, die im Folgenden dargestellt werden. 2.3.1 Bibliothek Es kann bereits vorweggenommen werden, dass sich die Provenienzforschung zu Raubgut in Bibliotheken in erster Linie mit Büchern als Untersuchungsobjekte auseinandersetzt; bei speziellen Bibliothekstypen können auch andere Schriftstücke relevant sein wie z.B. Briefe, Postkarten oder Nachlässe. Der Begriff der Provenienz findet sich zunächst ausschließlich in der Kodikologie (Handschriftenkunde) wieder. Laut Hermans versteht man in diesem Zusammenhang unter Provenienz die „kontemporären, dann aber auch die späteren handschriftlichen Eintragungen, die zeigen, wann und wo, von wem und zu welchen Kosten ein Buch erworben wurde, wem es in der Folge gehörte, zu welchem Zwecke es aufgehoben, ob es überhaupt benutzt wurde und so weiter.“41 Diese sogenannten Exemplarspezifika42 sind eben nicht nur für die Handschriftenkunde von Relevanz, sondern bilden die Basis für die bibliothekarische Dokumentation von Raubgut. Denn wie die Autoren des „Leitfaden[s] für die Ermittlung von NS-verfolgungsbedingt entzogenem Kulturgut in Bibliotheken“ betonen, besteht das größte Problem „[…] darin, dass 40 „Checkliste Provenienzrecherche“ der Koordinierungsstelle für Kulturgutverluste. 41 Hermans, Jos M.M.: Ex origine lus: Besitz- und Benutzerangaben als Schlüssel zum Verständnis von Handschrift und Frühdruck. In: Provenienzforschung und ihre Probleme. Hrsg. v. Herzog August Bibliothek. Harrassowitz: Wiesbaden, 2004. (=Wolfenbütteler Notizen zur Buchgeschichte). S.5. 42 Weber, Jürgen: „The copy in hand“. Voraussetzungen und Ziele exemplarspezifischer Erschließung. In: Bibliotheksdienst 36 (2002), H.5. S.614. 15 Bücher in der Regel keine unverwechselbaren Einzelstücke sind, sondern in einer Vielzahl von Exemplaren existieren, von denen nur einige durch Exlibris, Besitzstempel, handschriftliche Eintragungen, Signaturen, spezielle Einbände etc. eine Art sichtbarer Individualität haben.“43 Demnach ist zuerst die Handschrift, das Buch selbst der Informationsträger, doch Hermans verweist auf die Notwendigkeit der übergreifenden Recherche. Er nennt dies die „Umfeldprovenienz“44 eines Objektes, d.h., erst durch die Nutzung anderer Quellen wie Schriftwechsel, Bücherlisten und anderer archivarischen Unterlagen kann das Objekt zu einer vollständigen und aussagekräftigen Geschichte gelangen. Die Einbeziehung sekundärer Quellen wie Kataloge, Akzessionsjournale, Archivunterlagen oder mündliche Überlieferungen wird ebenfalls in den „Empfehlungen zur Provenienzverzeichnung“45 von der Arbeitsgemeinschaft Alte Drucke (AAD) betont. Diese Empfehlungen helfen bei der strukturierten Erfassung der exemplarspezifischen, physischen Merkmale eines Buches nach PICA- Katalogisierungsrichtlinien und bieten außerdem mit einem Thesaurus (T-PRO) eine fundierte, wissenschaftliche Basis zur Beschreibung von Provenienzen. Der Thesaurus orientiert sich an dem amerikanischen „Provenance Evidence - Thesaurus for Use in Rare Book and Special Collections Cataloguing“46, kann jedoch nach Bedarf erweitert werden. Besagte Empfehlungen beförderten, dass die Beschreibung von Provenienzen nicht nur im speziellen Bereich der Handschriften- und Inkunabelkatalogisierung sondern auch im Bibliothekswesen möglich wurde. Das ist in Anbetracht dessen, dass der Begriff der Provenienz in den Anglo-American Cataloguing Rules 2 (AACR-2) erst 1978 und in den Regeln für die Alphabetische Katalogisierung in wissenschaftlichen Bibliotheken (RAK-WB) erst 1993 eingeführt wurde47, erwähnenswert. Somit kann die Provenienzforschung zu Raubgut in Bibliotheken die Errungenschaften dieser buchwissenschaftlichen Disziplin adaptieren. 43 Leitfaden. (2005). S.3 (Vorwort). 44 Hermans: Ex origine lus. (2004). S.6. 45 Empfehlungen zur Provenienzverzeichnung der Arbeitsgemeinschaft für Alte Drucke (AAD) beim Gemeinsamenbibliotheksverbund. (Stand 2003) S.9. 46 Online unter: http://www.rbms.info/committees/bibliographic_standards/controlled_vocabularies/index.shtml (13.04.10). 47 Weber: „The copy in hand”. (2002). S.620. 16 Dokumentation stellt einen, jedoch immens wichtigen Aspekt des Untersuchungsprozesses dar – weitere Schritte sollen nun kurz dargestellt werden. Provenienzforschung in Bibliotheken beginnt48 zunächst mit der Konsultation von Sekundärquellen. Dies können Akzessionsjournale, Inventare, hauseigene Unterlagen über Korrespondenzen, Rechnungen oder Jahresberichte und Kataloge sein.49 Aufschlussreich sind dabei die folgenden Angaben: Datum der Einarbeitung: kurz vor, nach und im Zeitraum der NS-Herrschaft 1933 – 1945; Zeitpunkte der Besetzung von anderen Ländern durch das Deutsche Reich, Zeiträume nach möglichem Kriegsverlust durch Bombenschäden o.ä. Titel: Anhaltspunkte können die offiziellen Verbotslisten geben; jüdische oder „typische“ Thematiken; besonders wertvolle Titel Herkunft: Voraussetzung ist die Kenntnis über die damals üblichen Abkürzungen wie z.B. JA (Judenauktion), RT (Reichstauschstelle), BA (Beschaffungsamt der Deutschen Bibliotheken) usw.; Nennung der Gestapo, des Zollamtes, der Finanzbehörde Preis: Widerspruch zwischen realem, materiellen Wert und einem angegebenen Preis Nach Feststellung der verdächtigen Bestände oder Sammlungen kann die aufwendigste Phase der Provenienzforschung beginnen: die Autopsie der Bücher – d.h. die Gewinnung bibliografischer Daten anhand des Originalwerks50 – ist unerlässlich für die Klärung der Verdachtsmomente, seien sie während der Arbeit im Magazin oder durch zur Ansicht aus dem Katalog bestellte Titel gewonnen. Die Ergebnisse müssen dokumentiert werden: Das kann in Form einfacher Listen, durch Eingabe in eine Access Datenbank oder durch Einpflegen in den OPAC in spezieller Kennzeichnung geschehen. Häufig wird dabei das Erfassungschema des Leitfadens51 als Vorbild genommen. Die bibliografischen Angaben treten dabei in den Hin- 48 Es wurde hier versucht, die Vorgänge der PF in Bibliotheken zu verallgemeinern, nach Durchsicht mehrerer Berichte aus Häusern und unter Einbeziehung des Leitfadens. Hin und wieder gab es Unterschiede in der Herangehensweise, diese liegen jedoch meist in der Unvollständigkeit von Sekundärquellen begründet, wodurch eine systematische Untersuchung des Bestandes erheblich erschwert bis unmöglich wird. Dort ist die Autopsie meist der erste Schritt. 49 Angaben entnommen aus: Leitfaden. (2005). S.6 ff. 50 Strauch, Dietmar/Rehm, Margarete: Lexikon Buch – Bibliothek – Neue Medien. 2.akt. u. erw. Ausgabe. München: Saur, 2007. Autopsie. S.27 – Im Zusammenhang mit Raubgut liegt der Fokus dementsprechend eher auf der Untersuchung auf Exemplarspezifika, denn auf bibliografischen Angaben. 51 Leitfaden. (2005). S.12. 17 tergrund52, der Fokus liegt vielmehr auf der Dokumentation der Erwerbungsumstände und von individuellen Kennzeichen der Objekte. Sinnvollerweise wird die Beschreibung solcher Besonderheiten durch Abbildungen ergänzt. Sind diese Untersuchungen abgeschlossen, beginnt die Recherche nach Vorbesitzern und deren möglichen Erben. In dieser Phase ist die Konsultation externer Quellen meistens unerlässlich – dies können z.B. die „Central Database of Shoa´s Victims Names“, Ausbürgerungslisten, „Central Registry of Information on Looted Cultural Property 1933-1945“53 sein. Des Weiteren haben die deutschen Archive bereits eine Vielzahl an relevanten Unterlagen erfasst und bieten diese zur Recherche an. Dazu gehören u.a. Rückerstattungsakten, Entschädigungsakten, Entziehungsakten, Steuer- und Devisenakten54; im Bundesarchiv finden sich z.T. bereits digitalisierte und online einsehbare Bestände aus und über die NS-Zeit, z.B. das Findbuch zur Person „Alfred Rosenberg“, dazu auch die Unterlagen über seinen Einsatzstab; des Weiteren der Bestand „B323 Treuhandverwaltung von Kulturgut bei der Oberfinanzdirektion München“, welcher von der Handreichung empfohlen wird. Es wird erkennbar, dass bei der Provenienzforschung vielfältige Aspekte zu untersuchen und zu dokumentieren sind: Formalerschließung, d.h. die bibliografischen Angaben und die Festlegung derjenigen Begriffe, unter denen das Medium später zu finden sein wird, bzw. in den Katalog einzuordnen ist, ist nach wie vor die Basis zur Dokumentation, jedoch tritt sie zugunsten der exemplarspezifischen Erschließung eher in gekürzter Form auf.55 Mit der Sacherschließung werden Schlag- und Stichworte vergeben, die den Inhalt des Buches näher beschreiben bzw. konkret wiedergeben. Auch diese Beschreibung ist als weniger wichtig zu betrachten, weil die Provenienz eines Buches vornehmlich über seine Exemplarspezifika und externe Quellen zu rekonstruieren ist, denn in „der Differenz von individuellen und allgemei- 52 Leitfaden. (2005). S.11. 53 Leitfaden. (2005). S.16. 54 Solche zu finden in den staatlichen, bayerischen Archiven. Vgl. Stephan, Michael: Archivalien für die Provenienzforschung. Bestandsgruppen in den staatlichen Archiven Bayerns. In: Kulturgutverluste. (2007). S.79 ff. -- Als erste Anlaufstelle wird jedoch in der Handreichung das Bundesamt für zentrale Dienste und offene Vermögensfragen (BADV) genannt, außerdem die Website der Koordinierungsstelle (www.lostart.de). 55 Wobei es in diesem Punkt Unterschiede gibt: So erschließt die Staatsbibliothek Berlin das Raubgut formal und sachlich ebenso ausführlich wie ihren weiteren Bestand. Diese Ausführlichkeit liegt jedoch in der Nutzung der Empfehlungen des AADs und der PICA-Katalogisierungsrichtlinien begründet und trifft auf die Mehrheit der deutschen Bibliotheken nicht zu. 18 nen Merkmalen liegt für die Forschung das Deutungspotenzial der Evidenzen.“56 Ein ebenfalls von Weber postulierter Ansatz ergänzt die bisher genannten Erschließungsformen um die der sammlungsspezifischen Erschließung. Nach Weber stellt „NS-Raubgut […] innerhalb eines Gesamtbestandes selbst eine Sammlung dar, die in der Regel wiederum aus mehreren Teilsammlungen besteht.“57 Dieser Aspekt findet wenigen bis gar keinen Niederschlag in der Fachliteratur zum Bibliothekswesen, wenn überhaupt ist es auf die Sondersammelgebietsbibliotheken58 bezogen, die auf Grund eines speziellen Erwerbungsprofils besondere Sammlungen erstellen. Der Vorteil der Betrachtung von NS-Raubgut als Sammlung liegt in der Vermittlung von zusätzlichen Kontextinformationen und der Darstellung von Beziehungsgeflechten zu anderen Sammlungen oder Beständen; sie erlangen damit einen eigenständigen Quellenwert.59 Außerdem ist lediglich eine Sichtung des Bestandes vonnöten, keine singuläre, spezifische Erschließung. Ein sammlungsspezifischer Ansatz würde somit dem Forschenden den Rechercheeinstieg ohne unverhältnismäßigen Aufwand seitens der Bibliothek erleichtern.60 Ein Punkt ist in den hier verwendeten Materialien zur Provenienzforschung in Bibliotheken nicht zur Sprache gekommen: Die Bibliothek als Quelle zur Provenienzforschung. Erst Kurtz deutet diese Thematik in der Einleitung zu seinem aktuellsten Beitrag an: „There are challenges in using archival records which substantially differ from those encountered when using a library or museum documentation for art provenance research.“61 Leider führt er diesen Punkt nicht weiter aus. Dennoch sei der Gedanke angestoßen, dass auch Bibliotheken ein Archiv über ihre Geschichte und historisch relevantes Material durch seine Inventare und Kataloge besitzen und demnach Informationen für Provenienzforschung in sich tragen können. 56 Weber: „The copy in hand“. (2002). S.621. 57 Weber, Jürgen: NS-Raubgut und „hidden collections“ - Eine Herausforderung an ein neues Sammlungsmanagement. In: NS-Raubgut in Bibliotheken. Suche. Perspektiven. Ergebnisse. Drittes Hannoversches Symposium. Hrsg. v. Regine Dehnel. Frankfurt a.M.: Vittorio Klostermann, 2008. (=Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie, 94) S.183. 58 Vgl. Gantert/Hacker: Bibliothekarisches Grundwissen. (2008). S.134 ff. -- Vgl. Weber: NS-Raubgut. (2008). 59 Weber, Jürgen: Information für Forschung und Kultur – Ort und Funktion von Sondersammlungen heute. In: Bibliotheksdienst, 37 (2003), H.5. S.600-602. 60 Weber: NS-Raubgut. (2008). S.181. 61 Kurtz, Michael: Provenance Research in Archives: The Challenges in Using Primary Sources. In: Verantwortung. (2009). S.333. 19 Zu guter Letzt sammeln Bibliotheken Literatur zu dieser und verwandter Thematik, sodass auch dort Quellen zur Forschung zu finden sind. Nichtsdestotrotz sehen sich Bibliotheken mit Problemen62 konfrontiert, die z.B. im Kontrast zur Provenienzforschung in Museen steht. So ist die Menge der zu untersuchenden Objekten immens höher, demgegenüber stehen meist geringe, personelle Ressourcen. Es existieren keine Werkverzeichnisse, Auktions- und Ausstellungskataloge oder Objektbeschreibungen, wie es im Museum üblich ist, wodurch die Erforschung von Massenware erschwert wird. Nicht zu vernachlässigen ist ebenfalls der Aspekt des „geringfügigen Wirtschaftsguts“63, der sich negativ auf das Interesse der Kulturpolitik und Öffentlichkeit auswirken kann. Schließlich handelt es sich bei Raubgut in Bibliotheken vornehmlich um materiell weniger wertvolle Objekte – Ausnahmen sind Handschriften und andere Originalausgaben – und sie sind meist durch Nachkauf leicht zu ersetzen. „Vielmehr geht es um einen spezifischen äußerlichen Aspekt dieser Bände – nämlich Erinnerungsträger zu sein. […] Im Fall der jüdischen „lost books“ verweisen Stempel und andere Äußerlichkeiten auf erzwungene Emigration und Flucht, wenn nicht gar auf Deportation und Massenmord, die Shoa.“64 2.3.2 Archiv Im Archivwesen spielt Provenienz eine wichtige Rolle, weil es das vorrangige Prinzip zur Bestandsordnung darstellt: „Provenienz, Provenienzprinzip: Gliederung eines Archivbestandes nach Herkunft der Unterlagen. Alle Archivalien einer Provenienz (Herkunft) bleiben im selben Bestand möglichst in der vorgefundenen Ordnung beisammen, d.h. im Entstehungszusammenhang. Im deutschen Archivwesen vorherrschendes Prinzip. […].“65 Damit findet es ebenfalls als Datenfeld ständige Verwendung. Das Provenienzprinzip löste das bis Anfang des 20.Jahrhunderts66 übliche Pertinenzprinzip ab; letzteres erschließt und ordnet die Archivalien nach dem Sach-, Orts- oder Personenbetreff der jeweiligen Akten. 67 62 Werner, Margot: Geraubte Bücher – Sonderfall Provenienzforschung in Bibliotheken. Ein Werkstattbericht aus der österreichischen Nationalbibliothek. In: Verantwortung. (2009). S.353 ff. 63 Werner: Geraubte Bücher. (2009). S.354. 64 Kirchhoff, Markus: Das Gedächtnis der „lost books“ – Zu Raub und Restitution jüdischer Bücher und Bibliotheken. In: Entehrt. Ausgeplündert. Arisiert. Entrechtung und Enteignung der Juden. Bearb. v. Andrea Baresel-Brand. Hrsg. v. Koordinierungsstelle für Kulturgutverluste. Magdeburg: 2005. S.42. 65 Brenner-Wilczek et al.: Einführung. (2006). – Glossar: Provenienz, Provenienzprinzip. S.144. 66 Brenner-Wilczek et al.: Einführung. (2006). S.34. 67 Brenner-Wilczek et al.: Einführung. (2006). – Glossar: Pertinenz, Pertinenzprinzip. S.144. 20 Demnach kann unterstellt werden, dass die Ordnung nach Provenienz der hier behandelten Forschungsrichtung zuträglich ist. Doch auch in einem Archiv ist es unerlässlich, Kenntnisse über die Vergangenheit des Hauses zu Zeiten des Nationalsozialismus zu gewinnen und anderweitige Unterlagen zu befragen als allein die Aktenbestände. Die Bestände des Landesarchivs Berlin68 beispielsweise sind bereits erfolgreich auf Materialien, die Fremdbesitz sein könnten, und auf für die Provenienzforschung relevante Unterlagen untersucht worden. Es wird jedoch mit der schlichten Bemerkung „zehn Jahre unerkannt verwahrt“69 bereits auf ein Problem der archivischen Provenienzforschung hingedeutet: Historisch bedingt, durch Nachkriegs- und Besatzungszeit und die Wiedervereinigung, musste die Recherche nach Fremdbesitz hinten anstehen. Die Erschließung und Bereitstellung derjenigen Materialien hingegen, die für die Provenienzforschung interessant sind, wurde intensiv gefördert. Bereits in der Handreichung wird auf solche Unterlagen verwiesen, aber lediglich auf die Recherchierbarkeit auf Lostart. Dort wird eine Liste derjenigen Archive genannt, die Quellen zur Provenienzforschung bieten, jedoch besteht die Weiterleitung nur in einem Link70 auf die Startseiten der Archive, sodass dort zunächst mühsam der Zugang zu diesen Quellen gefunden werden muss. Wünschenswert wäre an dieser Stelle ein direkter Link zu der relevanten Bestandsübersicht – oder eine eindeutigere Hinführung zu diesen Akten durch das Archiv selbst. Kurtz, führender Mitarbeiter der National Archives in Amerika, kommt in seinem Beitrag71 auf Schwierigkeiten bei der Nutzung von Archivalien als Primärquellen zur Provenienzforschung zu sprechen. Ein Spannungsfeld liegt dabei in dem für die Provenienzforschung so nützlichen Provenienzprinzip – dies trifft jedoch nur auf den hauseigenen Bestand zu. Denn in Bezug auf institutionsübergreifende Bestände verhindert eben dieses Prinzip eine einfache Recherchierbarkeit: „There are almost 15 million pages of documentation related to looted assets contained in numerous record groups among NARA´s holdings. These records are located in the files of at least 15 federal agencies whose business functions during World War II and after dealt with 68 Schroll, Heike: Provenienzforschung am Landesarchiv Berlin. Ergebnisse und Möglichkeiten. In: Archive und Gedächtnisse. Festschrift für Botho Bachmann. Hrsg. v. Friedrich Beck. Potsdam: Verlag für Berlin-Brandenburg, 2005. S.493-508. 69 Schroll: Provenienzforschung. (2005). S.497. 70 Die Verlinkung aus der Handreichung heraus ergab außerdem zwei tote Links (zu den Länder- und Kommunalarchiven) [zuletzt geprüft am 13.04.10]. 71 Kurtz: Provenance Research. (2009). S.333 – 350. 21 some aspect of looted assets. These agencies are each records creators, so according to the archival principle of provenance the records are not commingled.”72 An diese übergreifende Problematik schließt sich an, dass die hausinternen Ablagesysteme sehr unterschiedlich ausfallen können und Kenntnisse über die Geschichte und historische Bedingungen der Institutionen benötigt werden. Des Weiteren könnten die Unterlagen nicht so exakt und ordentlich geführt worden sein, wie es vielleicht ideal wäre. Nicht ausgefüllte Felder, schlechte Lesbarkeit, inhaltliche Unsicherheiten können demnach zu Schwierigkeiten und Ungenauigkeiten in der Interpretation führen. Die schlechte Online-Verfügbarkeit von Archivalien, d.h. die bibliographische Recherchierbarkeit der Tektonik und Bestände und im besten Fall der Digitalisate, kritisieren sowohl Kurtz als auch Hartmann73: Zwar sind bereits einige Bestände in den letzten Jahren hinzugekommen74 und auch der Sucheinstieg durch Hilfsmittel75 oder Datenbanken76 wurde vereinfacht, jedoch sind immer noch ein Großteil der relevanten Unterlagen nicht direkt online erreichbar. Somit sieht Michael Kurtz „the only sensible long-term strategy for conducting art provenance research in archives [in a] web-based online access“77, ermöglicht durch langfristige und geförderte Kooperation der essentiellen Einrichtungen, sowohl national als auch letztlich international. Archive spielen eine ausschlaggebende Rolle in der Provenienzforschung, dadurch, dass sie die verlässlichsten Quellen über ein Objekt oder über Institutionen beinhalten können. Eine Beschäftigung mit der NS-Vergangenheit ist ohne diese Aufbereitung nicht möglich. Dennoch dürfen auch die Archive nicht aus dem Blick verlieren, dass sie ebenfalls Fremdbesitz in ihrem Bestand haben können. Es scheint, als gäbe es eine Tendenz lieber über die Archivalien 72 Kurtz: Provenance Research. (2009). S.334. 73 Hartmann, Uwe: Provenienzforschung in Deutschland. In: Verantwortung. (2009). S.279. 74 So z.B. die Akten der „Reichskammer der bildenden Künste“ im Landesarchiv – auch die Datenbank zum „Central Collection Point München“ am Deutschen Historischen Museum darf sich dazu zählen; nicht erwähnt von Hartmann, weil sie zum Zeitpunkt des Vortrags noch nicht online war. 75 Holocaust Era Assets: A Finding Aid to Records at the National Archives at College Park (1999) [Online unter: http://www.archives.gov/research/holocaust/finding-aid/ (25.04.10)] -- AAM Guide to Provenance Research. Hrsg. v. Nancy H. Yeide/Konstantin Akinsha/Amy L. Walsh. Washington D.C.: American Association of Museums, 2001. 76 Insbesondere Lostart bietet eine annotierte Liste von relevanten Datenbanken. [Online unter: http://www.lostart.de/nn_6052/Webs/DE/Provenienz/Raubkunst.html?__nnn=true (25.04.20)] 77 Kurtz: Provenance Research. (2009). S.337. 22 für die Provenienzforschung als über die eigenen Recherchen nach Fremdbesitz zu sprechen. Die eher geringe Zahl der Berichte darüber, deutet bereits auf einen nach wie vor bestehenden Bedarf der Auseinandersetzung an. Ein positives Beispiel78, welches beide Aspekte der Provenienzforschung in Archiven vereint, findet sich bei den Staatlichen Museen zu Berlin. Dort werden mit Hilfe einer unbefristeten Vollzeitstelle das Zentralarchiv der Stiftung und die Sammlungsinventare aller Häuser strukturiert erschlossen. Dadurch ergeben sich wichtige Quellen und Nachweise über den Bestand der Stiftung bei möglichen Restitutionsansprüchen und gleichzeitig Unterlagen für die Provenienzforschung grundsätzlich. Ähnlich positiv ist die Datenbank zum Central Collection Point München am Deutschen Historischen Museum zu bewerten, welche erstmalig eine Zusammenführung von archivischen Unterlagen und den dazugehörigen musealen Beständen vollzogen hat. Auf diese Datenbank wird im Kapitel 3 noch genauer eingegangen. 2.3.3 Museum Im Museumswesen bzw. in dessen Fachwissenschaft Museologie erscheint der Begriff Provenienz in verschiedenen Zusammenhängen und Bedeutungen: Zum einen kann eine bestimmte Provenienz als Kriterium bei der Auswahl von Objekten für die Sammlung dienen oder auch die Ordnung der Objekte strukturieren, wie es insbesondere in ethnographischen oder regionalen Museen vorkommt.79 Zum anderen wird Provenienz als Datenfeld bei der Registrierung und der Katalogisierung in einem Museum verwendet; damit wird ihm sowohl ein verwaltungstechnischer als auch ein formal-inhaltlicher Hintergrund verliehen, welcher „Auskunft über den Vorbesitzer und die Art der Erwerbung“ 80 gibt. Die praktische Auseinandersetzung mit NS-Raubgut im Museum gestaltet sich grundsätzlich ähnlich wie bei Bibliotheken: Auch hier werden die Inventare, Zugangsbücher, relevante Schriftstücke und weitere Unterlagen gesichtet, um mit diesen Informationen einen gezielten Zugang zum Bestand zu finden. Voraussetzung ist, wie auch bei den anderen Institutionen, dass die Unterlagen überhaupt vorhanden sind, da Kriegsverlust ein durchaus häufiges Problem darstellt. Es werden ebenso ähnliche, externe Quellen benutzt (vgl. Kap. 2.3.1). 78 Vgl. Parzinger, Hermann: Wege zu mehr Verantwortung: Vom Umgang mit NS-Raubkunst 10 Jahre nach Washington. In: Verantwortung. (2009). S.63. 79 Clemens, Hans-H./Wolters, Christof: Sammeln, Erforschen, Bewahren und Vermitteln. Das Sammlungsmanagement auf dem Weg vom Papier zum Computer. Berlin: 1996. (= Mitteilung und Berichte aus dem Institut für Museumskunde, Nr.6.) S.18/19. 80 Flügel, Katharina: Einführung in die Museologie. Darmstadt: WBG, 2005. S.73. 23 Es ist auch bei Musealien unerlässlich, das betreffende Objekt im Original zu betrachten – sowohl die Vorderseite als auch die Rückseite! Denn die für die Provenienzforschung relevanten Informationen befinden sich häufig auf der Rückseite, d.h. auf dem Rahmen oder der Leinwand selbst. So wird es auch im AAM Guide to Provenance Research betont: „Make note of all labels and inscriptions on the back of the painting. The marks, labels, and stamps can provide some of the most valuable clues about the object´s travels to exhibitions, dealers, auctions, and collectors.”81 Dies kann sogar ein unwichtig erscheinendes Zeichen wie eine mit blauer oder roter Kreide oder Tinte geschriebene Zahl sein – an Hand der Farbwahl und der Zahl können jedoch wiederum Rückschlüsse auf eine historische Situation gezogen werden: „[…] the stray number you find on the back of the object today may provide the link to an inventory, sale, or exhibition tomorrow.“82 Daneben beschreibt Lupfer die „systematische Bestandsuntersuchung“83 als zentrale Aufgabe der Provenienzforschung: Unter diese zählt er neben der Autopsie auch die Sichtung aller möglichen archivischen oder fotografischen Quellen zu einem Objekt.84 Wichtiges Hintergrundwissen kann dabei sein, dass nach 1945 viele Kunstwerke durch die Alliierten, meist aus den Central Collection Points heraus, an die Museen bzw. Bundesländern übergeben wurden und sich somit bis heute noch in deren Bestand befinden können.85 Es gelten weitere Rahmenbedingungen, die bei der Erforschung der Bestände beachtet werden müssen: Insbesondere deutsche Museen haben bereits vor der Machtergreifung der Nazis und zu jener Zeit Objekte aus dem Kunsthandel erworben bzw. dort verkauft. Eindrucksvoll weist Ute Haug in ihrem Beitrag86 durch eine Auflistung von Auktionen, an denen deutschen Museen bereits vor 1933 maßgeblich beteiligt waren, diesen Aspekt nach. 81 AAM Guide. (2001). S.13. 82 AAM Guide. (2001). S.14. 83 Lupfer: Fragen. (2009). S.37. 84 Lupfer: Fragen. (2009). S.37. 85 Vgl. Von zur Mühlen, Ilse: Provenienzforschung den Bayerischen Staatsgemäldesammlungen. Ein Erfahrungsbericht. In: Kulturgutverluste. (2007). S.108 -- Vgl. Schulz-Hoffmann, Carla: Gesucht: Die Biografie von Kunstwerken. In: Entehrt. (2005). S.247-264: Die Bayerische Staatsgemäldesammlung erhielt zwischen 1950 und 1970 Werke aus Sammlungen von NS-Funktionären (der prominenteste ist dabei Hermann Göring) und institutionellem Besitz der NSDAP. 86 Haug, Ute: Deakzession und Provenienzforschung und das „Problem“ der Abgrenzung der Provenienzrecherche von der Provenienzforschung. In: Eine Debatte. (2007). S.85/86. 24 Da die Auktionskataloge dieser Zeit bisher kaum erschlossen worden sind, kann nur an Hand einzelner Museen87 dieses Mittel zur Deakzession und Neuerwerbung und deren Fortbestehen zu Zeiten des Nationalsozialismus bestätigt werden. Durchaus hilfreich ist dabei die positive Entwicklung, die der Kunsthandel in den letzten Jahren genommen hat. Zwei der weltweit größten Auktionshäuser, „Sotheby´s“ und „Christie´s“, beteiligten sich maßgeblich an der Gründung des „Art Loss Register“ (ALR)88 – Experten verschiedenster Bereiche, so z.B. das FBI und Versicherungen, verzeichnen dort abhanden gekommene Kunstwerke, darunter fallen seit 1998 auch die NS-verfolgungsbedingt entwendeten Objekte. Bisher waren die für eine Recherche anfallenden Gebühren den Holocaust Opfern und deren Erben erlassen worden, doch soll es dort eine Änderung gegeben haben.89 Es wäre wünschenswert, wenn die Informationen aus dem ALR und ebenso die internen der Auktionshäuser grundsätzlich offen zugänglich wären, auch wenn dies bisher abgelehnt wird: „Publikationen aus dem Fundus der gesammelten Erfahrungen, […], erfolgen nicht. Beide Auktionshäuser bemühen sich jedoch, Anfragen von Restitutionsanspruchstellern kooperativ zu beantworten.“90 Die Konsequenz aus diesen historischen Umständen ist für die Museen die Notwendigkeit der Kenntnis über derartige Vorgänge und die Forschung weit außerhalb der hausinternen Quellen. Lupfer bringt dieses Problem auf den Punkt: „Als ein entscheidender Mangel hat sich das Fehlen sammlungs- und institutionsgeschichtlichen Wissens herausgestellt. Provenienzrecherche ohne diese solide Wissensbasis muss jedoch reaktiv und punktuell bleiben.“91 Zu solchem Wissen könnte der Umstand gehören, dass die Politik des Deutschen Reiches Übereignungen und Verkäufe an Museen initiierte: „1939 bis 1941 wurden in München wie auch in ganz Deutschland Museumsdirektoren aufgefordert, bedeutende Werke aus beschlagnahmtem jüdischem Besitz auszuwählen und zu Sonderkonditionen von der GESTAPO zu erwerben.“92 87 Ute Haug beschreibt dafür exemplarisch die Vorgänge an der Hamburger Kunsthalle und deren besonderes Verhältnis zu dem Kunsthändler Karl Haberstock. (Siehe Haug: Deakzession. (2007). S.87-92). 88 Tatzkow/Schnabel: Nazi Looted Art. (2007). S.230. 89 Tatzkow, Monika: Raubgut im Kunsthandel. In: Eine Debatte. (2007). S.73/74. 90 Tatzkow/Schnabel: Nazi Looted Art. (2007). S.224. 91 Lupfer, Gilbert: Fragen und Vorschläge aus Sicht der Dresdner Museen. In: Kunst-Transfers. Thesen und Visionen zur Restitution von Kunstwerken. Hrsg. v. Stefan Koldehoff et al. München: Dt. Kunstverlag, 2009. S.37. 92 Schulz-Hoffmann: Gesucht. (2005). S.250. 25 Häufiger wurde die Kritik geäußert, dass die Museen noch nicht genug für die Erforschung ihrer Bestände leisten würden; es wird sogar Verweigerung unterstellt.93 Diese Unterstellung kann damit entschärft werden, dass die „Abgabe von Objekten dem historischen Auftrag der Institution Museum widerspricht: Museen sind dazu da, Werke zu sammeln und zu bewahren.“94 Des Weiteren ist ein wichtiger Aspekt die „wissenschaftliche Verunsicherung der handelnden Personen“95, womit das bereits erwähnte Fehlen der Thematik in den Ausbildungsgängen gemeint ist. Denn was „heute unter dem Begriff der Provenienzforschung verstanden wird, war in der europäischen Kunstgeschichte als Wissenschaftsdisziplin bis in die 1990er Jahre hinein weitgehend nicht existent.“96 Es hat sich gezeigt, dass sich die Museen verstärkt mit ihrer Vergangenheit auseinandersetzen und die Diskussion um die zeitliche Diskrepanz vom Ende der Diktatur und Beginn der offiziellen und internationalen Auseinandersetzung ehrlicher gestaltet wird. Häufig genannt, wie auch bei den bisher behandelten Institutionen, ist das Problem mangelnder Ressourcen im Kontrast zum Aufwand.97 Eine durchaus effektive Maßnahme gegen dieses Argument stellt die Gründung der „Arbeitsstelle für Provenienzforschung“98 dar. Die deutschen Museen haben entgegen dem Bibliothekswesen den großen Nachteil, dass Standards in der Dokumentation nicht flächendeckend und kooperativ verwendet werden. Auch wenn Regelwerke99 existieren, beschreibt Sieglerschmidt die Situation folgendermaßen: „Da die inhaltliche Erfassung und Beschreibung in deutschen Museen selten Standards berücksichtigen, sondern meist vollkommen ohne Absprache mit anderen, das heißt chaotisch, erfolgen – selbst Anarchie ist insofern eine verfasste Ordnung, als Menschen sich freiwillig in 93 Lupfer: Fragen. (2009). S.36. 94 Eissenhauer: Museen im Spannungsfeld. (2009). S.438. 95 Eissenhauer: Museen im Spannungsfeld. (2009). S.438. 96 Eissenhauer: Museen im Spannungsfeld. (2009). S.439. 97 Vgl. Langenstein, York: Kulturgutverluste, Provenienzforschung, Restitution – Einführung zur Tagung im Dokumentationszentrum Reichsparteigelände Nürnberg am 14.03.2005. In: Kulturgutverluste. (2007). S.16: Gravierend sei der Personalmangel, der im Alltagsbetrieb eine systematische Provenienzforschung nicht zulasse. -- Vgl. Franz, Michael: Die Umsetzung der „Gemeinsamen Erklärung“ zur Suche nach NS-Raubkunst in deutschen Einrichtungen. In: Kulturgutverluste. (2007). S.50: Medienspektakulär formulierte, pauschale Forderungen nach Geld und Personal helfe auch nicht und sei wenig durchdacht. 98 Vgl. Kap. 2.2. 99 Beispiele: Datenfeldkatalog zur Grundinventarisierung; MIDAS; CIDOC; ICONCLASS; TrachslerSystematik. 26 Assoziationen organisieren -, ist jedes auf Standards Rücksicht nehmende Verfahren ein großer Fortschritt.“100 Eine einfache Migration in ein anderes Format ist somit selten möglich und mit größerem Aufwand verbunden. Die Einzigartigkeit der Musealie und die daraus resultierende Polyvalenz der Beschreibungsmöglichkeiten bedingte diese Entwicklung. Der fehlende Konsens in der Dokumentation in Museen wird sich als besondere Herausforderung der Provenienzforschung erweisen, weil das Problem der Insellösung fortbesteht und die Recherche damit erheblich erschwert wird. 2.3.4 Beispiel eines typischen Falls der Provenienzforschung Um die Komplexität von Provenienzforschung und deren Ergebnisse zu demonstrieren, soll an dieser Stelle ein Beispiel paraphrasiert werden. Es handelt sich dabei um die vom jetzigen Leiter der Arbeitsstelle für Provenienzforschung Uwe Hartmann verfasste Darstellung des langen Weges eines Guardi-Gemäldes, welcher in Warschau begann und in Stuttgart endete. Seit 1925 war das Gemälde „Pallastreppe“ von Francesco Guardi (1712-1793) im Besitz des Warschauer Nationalmuseums. Die „Dienststelle des Sonderbeauftragten für die Sicherung der Kunst- und Kulturgüter beim Generalgouverneur“ beschlagnahmte verschiedene Gemälde, wie auch den Guardi, im besetzten Polen, vornehmlich für die Linzer Sammlung, und nutzte dafür die Räumlichkeiten des Nationalmuseums. Der Nachweis dafür findet sich in einem Katalog unter der Nummer 130. Es wurde ihr die Kategorie „Erste Wahl“ zugeordnet, d.h. zur möglichen Auswahl für Hitler reserviert. 1939 wurde das Gemälde nach Krakau in das Depot der „Dienstelle des Sonderbeauftragten“ überstellt, zu belegen mit einem „Verzeichnis der im November und Dezember 1939 nach Krakau überführten Kisten mit Museumsgegenständen“ des Nationalmuseums. Der Verantwortliche war dabei Hermann Posse (Direktor der Staatlichen Gemäldegalerie), der jedoch nicht verhindern konnte, dass Hans Frank (Generalgouverneur) 1942 den Guardi für eigenmächtig Repräsentationszwecke auf den Wawel brachte. 1942, Nennung des Guardi-Gemäldes in einem Bericht von Staatssekretär Bühler als „besonders wertvoll“ unter der „Ersten Wahl“. Letzter Nachweis, bis es in Deutschland auftaucht, findet sich in einer Aufstellung von 1944, verfasst von Wilhelm Ernst von Palézieux (Architekt, beauftragt von Frank), welche diejenigen Kunstwerke benennt, die nach Schloss Seichau verbracht wurden, darunter: „Francesco Guardi: Treppenaufgang, erste Wahl Nr.130, aus dem Nationalmuseum Warschau.“ Die Umstände, wie das Gemälde in den Wiesbadener Collection Point (CP) gelangen konnte, sind ungeklärt bzw. spekulativ. Es konnte rekonstruiert werden, dass die amerikanische Militärregierung den Guardi am 24.Dezember 1945 aus der Universität Heidelberg in den CP Wiesbaden verbrachte – dies belegt die Inventarkarteikarte mit der Nummer WIE 2050 und der In-ship Nummer 26. Am 11.Juli 1951 wurde es in den CCP München überführt, ersichtlich an dem Eintrag auf der 100 Sieglerschmidt, Jörn: MusIS – Chancen und Probleme großer Dokumentationsprojekte. In: Kulturgut aus Archiven, Bibliotheken und Museen im Internet. Neue Ansätze und Techniken. Hrsg. v. Gerald Maier/Thomas Fricke. Stuttgart: Kohlhammer, 2004. S.58. 27 Rückseite der Karteikarte: „Removed to CCP from Heidelberg University Library, Deutsches Auslandsinstitut by Lt.Koch“, versehen mit der Out-ship Nummer 335. Ebenfalls genannt wird es in einem Monatsbericht der amerikanischen Kunstschutzabteilung, in der Kategorie „unknown“ und in einem Verzeichnis der Ein- und Ausgänge. Die Nennung der Universität Heidelberg veranlasste die Amerikaner zu einer Nachfrage bezüglich der Besitzverhältnisse: Somit gab es ein Schreiben von der Treuhandverwaltung (TVK) vom 10.Oktober 1958 an diese, das Antwortschreiben kam erst am 10.April 1959. Zwar wurde seitens der Universität nicht bestätigt, dass sich das Gemälde in ihrem Besitz befunden habe, es wurde jedoch mit einer Empfangsbestätigung vom 10.September 1959 belegt, dass sich die Universität um die weitere Klärung, d.h. letztlich die Rückgabe an das Warschauer Nationalmuseum, kümmern würde. Letztlich wurde das Gemälde jedoch dem Kurpfälzischen Museum als Leihgabe übergeben, belegt mit einem Vertrag vom 24.Oktober 1980. Februar 2000 fand es seinen Weg in die Staatsgalerie Stuttgart. Diese Zusammenfassung des Textes von Hartmann nennt nur die durch Unterlagen belegten Nachweise einer Orts- und Besitzveränderung. Denn es existieren viele Vermutungen, die die Lücken in der Provenienz zu füllen versuchen, die zwar sehr wahrscheinlich sind, aber an dieser Stelle nicht behandelt werden können und sollen. Es sollte jedoch eines deutlich geworden sein: Die Beschreibung der Provenienz bedarf der Konsultation und Interpretation vieler Unterlagen und dem Verständnis von historisch-politischen Umständen. Es wird dadurch eine Fülle an relevanten Daten, Namen, Orten und Körperschaften produziert, welche allesamt die Provenienz belegen. 2.4 Resümee – Gemeinsamkeiten, Unterschiede und Probleme Provenienzforschung ist bisher außerhalb der alltäglichen Arbeit in Bibliothek, Archiv und Museum angesiedelt und steht noch vor einigen Herausforderungen. Es konnten jedoch auch einige Gemeinsamkeiten und Unterschiede festgestellt werden, die nun zusammengefasst werden sollen. Der Ausgangspunkt für eine Erforschung von Provenienz ist immer ähnlich: Hausinterne Unterlagen, seien es Kataloge, Inventare, Zugangsbücher oder Korrespondenzen, werden, sofern vorhanden, als erster Schritt herangezogen. Nachfolgend findet eine Autopsie der Bestände statt – dabei ist es ebenfalls irrelevant, ob es sich um den Bestand eines Museums, Archivs oder einer Bibliothek handelt, einzig die Quantitäten sind unterschiedlich gewichtet. Exemplarspezifische Merkmale wie Exlibris, Widmungen, Notationen, Stempel oder auch handschriftliche Nummern in spezieller Farbe sind sowohl bei Büchern, Akten als auch bei Kunstwerken Anhaltspunkte der Untersuchung. 28 Des Weiteren vereint die Institutionen der Blickwinkel auf die betreffenden Objekte: Abstrahiert von der Materialität der Objekte wird die Sicht auf einen neuen Kontext, nämlich auf den des Vorbesitzers und auf den Weg, welchen dieses Objekt zurückgelegt hat, freigelegt. Sie haben das Schicksal, potenziell zu verfolgungsbedingt-entwendetem Kulturgut zu gehören, gemeinsam. Um es mit Babendreiers Worten zu sagen: Die dem Buch „[…] jenseits seines Inhalts anhaftenden Spuren vereinigen in einem einzigen realen, topologisch präzise verortbaren Objekt gleichwohl eine Vielzahl heterogener, disparater, assoziativ verknüpfter Merkmale (Topoi): Räume und Zeiten, Personen und Ereignisse, Botschaften, Interpretationen und Phantasmen.“101 Das Datenfeld „Provenienz“ muss demnach aus seinem ehemaligen Begriffsfeld herausgezogen betrachtet und einer weiter reichenden Bedeutung und Verwendung zugeordnet werden. Die Notwendigkeit von genauer Dokumentation ist zwar Konsens, unterliegt jedoch vielen einschränkenden Faktoren: Einerseits verhindern die traditionell ausgebildeten Erschließungsstandards versus die individuell entstandenen „Ausnahmen von der Regel“ eine schnelle und stringente Vereinheitlichung. Andererseits muss sich die anspruchsvolle Dokumentation von Provenienz und dessen Evidenzen in den bisherigen Ablauf integrieren, was sich nicht immer mit der aktuellen Tendenz der Gedächtnisinstitutionen vornehmlich als Dienstleister betrachtet zu werden und die Forschung vernachlässigen zu müssen, vereinen lässt. Dazu wurde bereits benannt, dass sich das Bibliothekswesen immerhin auf einen bereits etablierten Thesaurus (T-PRO) und seine vielfältigen Normdateien wie die Personennormdatei (PND), Schlagwortnormdatei (SWD) und Gemeinsame Körperschaftsdatei (GKD) zurückgreifen kann, um die Ansetzungsformen zumindest einheitlich zu gestalten. Insbesondere die SWD findet auch Anwendung102 im Museumswesen, sodass hier eine erste Schnittstelle zu vermerken ist. Etwas anders verhält es sich mit dem Archivwesen: Es „existieren kaum allgemein anerkannte oder gar genormte Erschließungsstandards und Datenaustauschformate – zu unterschiedlich sind die Vorstellung und Traditionen, das heißt insbesondere Verwaltungstraditionen der einzelnen Archiven und Archivlandschaften.“103 Dem kann inzwischen jedoch in Teilen widersprochen werden, da sich die Encoded Archival Description (EAD) zur Erschließung von Ar101 Babendreier, Jürgen: Ausgraben und Erinnern. Raubgutrecherche im Bibliotheksregal. In: Bibliotheken in der NS-Zeit. Provenienzforschung und Bibliotheken. Hrsg. v. Stefan Alker/Christina Köstner/Markus Stumpf. Göttingen: V&R unipress, 2008. S.40. 102 Sieglerschmidt: MusIS. (2004). S.58. 103 Maier, Gerald: Mehrwert durch Integration in Fachportale. In: Kulturgut. (2004). S.81. 29 chivalien und das Erschließungsformat für Digitalisate „Metadata Encoding and Transmission Standard“ (METS) auf dem Vormarsch auch in Deutschland befinden. An das Problem der divergierenden Provenienzdokumentation schließt sich auch die Frage nach der Publikation dieser Daten an. Das anschließende Kapitel setzt sich damit noch genauer auseinander, jedoch sei bereits an dieser Stelle erwähnt, dass Lostart als gemeinschaftliche Kommunikationsplattform eine große Rolle zukommt. Bis dato finden sich nämlich auf den Webseiten der Institutionen sehr unterschiedliche Publikationsformen – als klassische, durchsuchbare Datenbank, als über einen Index recherchierbare Datenbank oder als statische Liste. Die Erschließungstiefe der dort zu lesenden Informationen variiert ebenfalls immens. Das bisherige Fazit lautet: Betrachtet man die Publikationen zur Provenienzforschung aus Bibliothek, Archiv und Museum, wird deutlich, dass sie Interdisziplinarität104 erfordert und die Konsultation verschiedener Quellen benötigt. Auch der Blick auf internationale Projekte muss verstärkt werden und deren Ergebnisse einfließen. Gleichzeitig hebelt das gemeinsame Ziel – das Auffinden, Erfassen und die Restitution von Raubgut – die bisherigen Differenzen aus. Die Dokumentation der Objekte verfolgt dieselbe Strategie, indem der Fokus auf dem bisher vernachlässigten Feld „Provenienz“ liegt. Letztlich gilt für alle Gedächtnisinstitutionen: „Provenance research is not unlike detective work and must be approached with the same creativity, doggedness, and attention to detail.“105 104 Siehe AAM Guide. (2001). S.10: „An interesting part of provenance research is its interdisciplinary nature. Although it begins with art historical resources, these can lead quickly to genealogical and historical areas.” 105 AAM Guide. (2001). S.10. 30 3 Die Dokumentation von Provenienzforschung im Internet Die Veröffentlichung der Ergebnisse und Fragestellungen der Provenienzforschung ist eine in der Gemeinsamen Erklärung106 verankerte Forderung. Dort heißt es, dass ein InternetAngebot eingerichtet werden soll, welches die Publikation von Verdachtsfällen der Gedächtnisinstitutionen zur Aufgabe hat. Der Öffentlichkeit soll ermöglicht werden entweder der Klärung von Verdachtsfällen beizutragen oder private Verluste bekanntzugeben. Zentral ist weiterhin die Anbindung an die internationale Forschung, dass durch die Onlinezugänglichkeit der Daten erheblich erleichtert und gefördert wird. Schließlich darf die Tatsache nicht vernachlässigt werden, dass viele Emigranten bzw. deren Erben sich immer noch im Ausland aufhalten. Aufgrund dessen stellen inzwischen zahlreiche Institutionen eine Datenbank oder eine Liste zu Ergebnissen oder offenen Fragen der bei ihnen betriebenen Provenienzforschung zur Verfügung. Diese online verfügbaren Angaben zu Objekten stellen häufig die einzige, frei zugängliche und komprimiert vorliegende Möglichkeit der Recherche über Provenienzforschung dar. Der Fokus dieser Untersuchung liegt auf der Form und den Werten, die bei den jeweiligen Beispielen zur Provenienzverzeichnung zu finden sind. Dabei liegt die These zugrunde, dass die Dokumentation von Provenienzforschung auf Grund der bereits geschilderten Problemstellungen auch in diesem Punkt eine starke Heterogenität aufweisen wird. Bei näherer Betrachtung könnte jedoch eine tragfähige Basis aus den untersuchten Metadaten und deren Inhalten entwickelt werden; denn erst die Erkenntnis und Anerkennung der besonderen Anforderungen der Provenienzforschung an Dokumentation und Publikation befördert die Konsensfindung. 106 Vgl. Gemeinsame Erklärung. (1999). Kap. III. 31 3.1 Theoretische Einordnung Die hier untersuchten Informationsquellen unterscheiden sich in ihrer formalen Ausprägung und funktionalen Ausstattung. Eines haben sie jedoch gemeinsam: Sie beinhalten Datensätze zur Objektbeschreibung, welche aus Metadaten bestehen und das Ergebnis eines Dokumentations- bzw. Erschließungsprozesses darstellen. Abstrahiert und simplifiziert sind unter Metadaten „Daten über Daten“107 zu verstehen. Je nach Fachrichtung kann zwar das Verständnis dieses Begriffes divergieren108, für diese Arbeit wird allerdings folgende Definition gelten: „Cultural heritage information professionals […] often apply the term metadata to the value-added information that they create to arrange, describe, track, and otherwise enhance access to information objects and the physical collection related to those objects.“109 Somit beinhaltet eine Objektbeschreibung folgende Aspekte110: • Datensatzidentifikation Die Metadaten ermöglichen die eindeutige Identifizierung des Datensatzes, welcher heutzutage üblicherweise digital vorliegt, wie z.B. in einer Datenbank oder auf einer Webseite. • Objektidentifikation Mit einem Minimum an Metadaten wird das Objekt als solches eindeutig identifiziert, unabhängig von einem bestimmten Kontext; d.h., sowohl die Karteikarte als auch der Datenbankeintrag ermöglichen die Identifizierung eines Objektes durch Einträge wie „Künstler/Autor“ oder „Titel“. • Wissenschaftliche Beschreibung Ein Objekt ist auf seine physisch-realen Merkmale zu untersuchen und zu beschreiben; ebenso sind historische Evidenzen, sowie Vorkommnisse und Ereignisse, die das Objekt betreffen, zu notieren; zu guter Letzt ist das Objekt in assoziative Zusammenhänge einzuordnen. 107 Gantert/Hacker: Bibliothekarisches Grundwissen. (2008). S.176. 108 Introduction to Metadata: pathways to digital information. Hrsg. v. Murtha Baca. Los Angeles.: Getty Research Institute, 2008. Kap. Setting the Stage. S.1 u. S.7 ff. 109 Introduction to Metadata. (2008). Kap. Setting the Stage. S.2. 110 Bekiari, Chryssoula/Constantopoulos, Panos/Doerr, Martin: Information design for cultural documentation. Athen: Institute of Computer Science (FORTH), 2005. S.5 [dt. Adaption durch Autorin]. 32 • Administrative Daten Verwaltungstechnische Metadaten betreffen z.B. Angaben zum Eingang des Objekts in die Einrichtung, den aktuellen Standort oder über eine Leihgabe; diese können später für die wissenschaftliche Beschreibung relevant werden. • Verweise An dieser Stelle werden verwendete Quellen oder relevante Bibliografien angegeben. Für die noch zu leistende Untersuchung werden in erster Linie die Objektidentifikation und die wissenschaftliche Beschreibung bedeutend sein. Die Gewinnung von Metadaten erfolgt entweder durch ein automatisches Verfahren oder manuelle Zuordnung und entspricht in den Fachbereichen dem Vorgang der Indexierung bzw. Erschließung. Den Objekten aus Archiv, Bibliothek und Museum ist gemein, dass sich die zu dokumentierenden Metadaten sowohl intrinsisch als auch extrinsisch feststellen lassen. Unter intrinsischen Werten sind dem Objekt direkt zu entnehmende Daten zu verstehen, wie z.B. der Buchtitel oder die Künstlersignatur auf dem Objekt. Extrinsische Werte hingegen werden außerhalb des Objektes generiert, was z.B. die Zuordnung zu einer Gattung oder einer Objektart sein kann. Physische Äquivalente, generiert aus diesen Informationen, stellen eine Katalogkarte, die Titelaufnahme in einem OPAC, Objektdatenbanken, Akzessionsjournale oder Findmittel dar. Die Struktur der Metadaten ist meist festgelegt durch bzw. orientiert sich an einem Metadatenstandard wie z.B. EAD, DCMES (Dublin Core Metadata Element Set), CDWA (Categories for the Description of Works of Art) oder MARC (Machine-Readable Cataloging format). In diese Kategorien werden die Index-Termini eingesetzt, d.h., im optimalen Fall werden kontrollierte Vokabulare oder Thesauri zur Wahl des Begriffs genutzt. Beispiele dafür sind der Art & Architecture Thesaurus (AAT), ICONCLASS, die Schlagwortnormdatei (SWD) oder die sehr speziellen Thesauri unter www.museumsvokabular.de. Katalogisierungsrichtlinien wie die Anglo-American Cataloging Rules (AACR) und deren potenzieller Nachfolger, die Ressource Description and Access (RDA) oder die International Standard Bibliographic Description (ISBD) strukturieren das Format und die Syntax der Datenwerte. Metadaten können außerdem gegebenenfalls unter Institutionen ausgetauscht werden, wie es bei den Bibliotheken bereits seit langem der Fall ist. Dabei handelt es sich meist um die technische Aufbereitung eines bereits verwendeten Metadatenstandards. Demnach sind MARC21, EAD XML DTD, METS, MODS, CDWA Lite XML Schema usw. darunter zu verstehen. 33 Das Aufkommen des Internets, und damit der Online-Publikation und Digitalisierung von Objekten, erweiterte das „klassische“ Metadatenraster um onlinespezifische Aspekte. Darunter ist die Absicht zu verstehen, dass Internetdokumente bzw. primär digitale Objekte im World Wide Web identifiziert und referenziert werden können. Dublin Core ist in diesem Zusammenhang eines der bekanntesten Metadatenschemata zur Beschreibung solcher Ressourcen; durch diese Angaben wird es den Suchmaschinen ermöglicht die Dokumente zu finden111. Mit dem Semantic Web wurde das Ressource Description Framework (RDF) entwickelt. Dieses Datenmodell beschreibt Ressourcen und einfache Beziehungen zwischen diesen. Eine Ressource kann alles sein, was mit einer URI (Uniform Ressource Identifier) adressiert werden kann. Das können über das Internet erreichbare (dereferenzierbare) Webseiten, Bilder, Bücher, Personen oder abstrakte Konzepte sein. Die Grundstruktur des graphenbasierten Modells des RDF erlaubt Aussagen in Form von Subjekt-Prädikat-Objekt-Tripeln112 und stellt gleichzeitig die Basis für die Produktion von Linked Data. Genannte Aspekte werden an dieser Stelle nicht weiter ausgeführt, da sich das Kapitel 4 tiefgehender damit beschäftigt. Die Ausgangslage der Untersuchung stellt sich folgendermaßen dar: Es existieren autonom designte Datenbanken mit strukturierten Daten, welche in unterschiedlicher Ausprägung und Intensität den Kontext des NS-Raubgut behandeln. Die Designautonomie bringt den Nachteil mit sich, dass jede Datenbank auf einem eigenen Metadatenschema, eigenen Formaten, Modellen und Werten beruht113 und daraus eine hohe Heterogenität zwischen diesen Quellen resultiert. Die Besonderheit dieser Untersuchung wird sein, dass eine rein statische Auflistung von Daten auf einer Webseite einbezogen wird. Des Weiteren ist zu beachten, dass ein Metadatenmodell den Elementen bereits indirekt eine semantische Bedeutung mitgibt114, die wiederum bei einem Vergleich zu beachten ist. 111 Gantert/Hackert: Bibliothekarisches Grundwissen. (2008). S.176. 112 Leser/Naumann: Informationsintegration. (2007). S.300/301. 113 Leser/Naumann: Informationsintegration. (2007). S.55. 114 Leser/Naumann: Informationsintegration. (2007). S.65. 34 3.2 3.2.1 Untersuchung Auswahl der Ressourcen, Vorgehen und Gegenstand In dieser Arbeit können nicht alle online verfügbaren Webseiten zu dieser Thematik untersucht werden, deshalb wurde eine exemplarische Auswahl getroffen. Die bereits beschriebene Situation der Einzelprojekte zur Provenienzforschung (s. Insellösungen) in Archiven, Museen und Bibliotheken erforderte die Orientierung an einschlägiger Literatur115 und relevanten Webseiten116. Ausschlaggebend waren die nationale Bedeutung und der damit verbundene anzunehmende Bekanntheitsgrad. Somit fiel die Wahl auf folgende Informationsressourcen: • Bibliothek: Staatsbibliothek zu Berlin und deren OPAC (=StaBiKat) • Museum: Objektdatenbanken o Deutsches Historisches Museum (DHM): Central Collection Point München (CCP) o Bundesamt für zentrale Dienste und offene Vermögensfragen (BADV) • Archiv: Metasuche117 o Koordinierungsstelle für Kulturgutverluste: Lostart Im Fokus der Untersuchung steht das Datenfeld „Provenienz“ bzw. die für die Erläuterung der Provenienz verwendeten Felder. Es gilt zu untersuchen, mit welchen Metadaten und Werten die Herkunft eines Objektes beschrieben wird und eine mögliche Schnittmenge festzustellen. Als Untersuchungsmaterial dienen exemplarische Verzeichnungen von Objekten und deren Provenienz aus den oben genannten Datenbanken. Die gewählten Beispiele besitzen einen repräsentativen Charakter, weil sie einerseits aus renommierten Institutionen stammen und 115 Vgl. International Conference "Database Assisted Documentation of Lost Cultural Assets Requirements, Tendencies and Forms of Co-operation". Hrsg. v. Dr. Michael M. Franz. Magdeburg: 2001. (=Spoils of War. Special Edition) -- Vgl. Baresel-Brand, Andrea: Datenbanken bei der Provenienzforschung. In: Verantwortung. (2009). S.387-397. 116 Melderverzeichnis/Fund auf Lostart: http://www.lostart.de/nn_4492/Webs/DE/Datenbank/NavigationFund.html?__nnn=true (25.04.10). 117 Bei der Recherche nach geeigneten Beispielen stellte sich heraus, dass die Archive nicht den hier untersuchten Blickwinkel auf die Dokumentation von Provenienzforschung vertreten – sie stellen ausschließlich die relevanten Bestände zur Forschung online zur Verfügung. Die einzige, und hier zu beschreibende Möglichkeit, Nachweis über Raubgut in Archiven zu entdecken, liegt in der Recherche auf Lostart. 35 andererseits fast alle möglichen Felder, die zur Dokumentation vorgesehen sind, sinntragend ausgefüllt sind. Da kaum ein Datensatz existiert, in welchem alle Felder belegt sind, wurden im Browsing Verfahren die zu ergänzenden extrahiert und bei der jeweiligen Untersuchung vollständig angeführt, auch wenn die Beispiele sie nicht alle beinhalten. Neben der schlichten Nennung der Felder, wird „Provenienz“ noch tiefgehender untersucht und zwar in Bezug auf Form und beinhaltende Werte.118 Form: • Volltext = Ausgeschriebene Sätze; Interpunktion des Satzbaus • Liste = Stichpunktartige Auflistung von Fakten, inklusive ausformulierter Sätze; Interpunktion der Liste • Reihe = Fakten aufgereiht in Schlagwortkette; Interpunktion mit Semikolon zur Trennung Werte: • Personen (P) = Namen von Personen • Geographie (G) = Bezeichnung von geographischen Entitäten • Sachwort (S) = Bezeichnung eines Sachverhaltes oder einer thematischen Zuweisung • Zeit (Z) = Zeitpunkt oder Zeitraum • Körperschaft (K) = Nennung einer Körperschaft, Institution, Sozietät • Nummer (N) = als Nummer ausgewiesene Zahlen • Quelle (Q) = Angaben einer Quelle Diese Werte werden aus Gründen der Übersichtlichkeit in einer Tabelle aufgeführt. Weitere Angaben resultieren einerseits aus Eigeninformationen der untersuchten Informationsquellen und andererseits aus Beobachtungen bei der Benutzung und der Recherche. Für die Gewinnung von Daten bietet es sich an, Suchempfehlungen seitens der Einrichtung zu nutzen, wie z.B. das Schlagwort „NS-Raubgut“ im Feld „Provenienz“ im StaBiKat. Eine andere Strategie verfolgt die lineare Wahl des jeweils ersten Treffers (s. BADV). Im Falle der CCP Datenbank war die Suche gerichtet auf das von Hartmann beschriebene Guardi-Gemälde „Palasttreppe“. 118 Anlass zur Wahl der Werte sind die Regeln für die Schlagwortkatalogisierung (RSWK). (Vgl. Gantert/Hacker: Bibliothekarisches Grundwissen. (2008). S.180); es wurden jedoch noch eigenständig Kategorien hinzugefügt, sodass die RSWK kaum noch erkennbar sind und eine Abstraktion von ihrer Bedeutung für die bibliothekarische Katalogisierung hin zu einer Nutzung als Metakategorien darstellen, gültig für alle, hier untersuchten Kulturgüter. 36 3.2.2 Beispiel „Bibliothek“ – die Staatsbibliothek zu Berlin Die Staatsbibliothek zu Berlin spielte in der Zeit des Nationalsozialismus eine nicht unerhebliche Rolle im System der „Verwertung“ von Kulturgut: Einerseits profitierte sie von den beschlagnahmten Bücher, indem sie ihren Bestand ergänzen oder sogar aufwerten konnte. Andererseits bot sie eine Zwischenstation zur Weitervermittlung solcher Bücher, die in anderen Bibliotheken eingearbeitet werden sollten – die sogenannte Reichstauschstelle. Auf einer Projektwebseite gibt die Staatsbibliothek über Provenienzforschung zu entzogenem Kulturgut Auskunft und erläutert die Recherche in ihrem OPAC nach eben diesem Bestand.119 Grundsätzlich wurde Provenienzforschung in dieser Bibliothek bereits durchgeführt, jedoch lediglich in dem bereits erwähnten Kontext der Kodikologie.120 Es wurde somit ein neues Forschungsfeld eröffnet und die „modernen“ Druckwerke untersucht, die im Zusammenhang mit Raubgut stehen könnten. Auswahl der Beispiele Suchstrategie: „NS-Raubgut“ = Schlagwort; „Provenienzen (XPRV) = Datenfeld + Browsing Abb. 1 Beispiel Datensatz StaBiKat "Das Totenschiff" 119 Siehe: Abteilung Historische Drucke der Staatsbibliothek: http://staatsbibliothekberlin.de/abteilung-historische-drucke/aufgaben-profil/ns-raubgut.html (25.04.10). 120 Vgl. Kap. 2.3.1. 37 Abb. 2 Beispiel Datensatz StaBiKat "Arbeiterschutz und Gewerbehygiene" Untersuchung Die Metadaten bei allen Titelangaben sind: • • • • • • • • • • • • • • • • • Titel Teil Verfasser Körperschaft Erschienen Einheitssachtitel Schriftenreihe Sonst. Personen Umfang Sachgebiete Signatur Standort Anmerkungen Schlagwörter Ausleihstatus Ausgabe Mehr zum Thema Mit diesen Metadaten ist das Buch formal vollständig beschrieben und eindeutig identifizierbar. Sie sind das Ergebnis einer üblichen Formal- und Sacherschließung in einer Bibliothek.121 121 Vgl. Die Moderne Bibliothek: Ein Kompendium der Bibliotheksverwaltung. Hrsg. v. Rudolf Frankenberger/Klaus Haller. München: Saur, 2004. S.223. 38 Eine neue Dimension erhalten diese Titelaufnahmen durch die Datenfelder „Anmerkungen“ und „Schlagwörter“ und insbesondere durch deren Inhalt. Diese Felder geben nämlich Auskunft über die Herkunft eines Buches und über dessen Belegquellen. In den Anmerkungen befinden sich die exemplarspezifischen Angaben, die folgendermaßen ausfallen können: Auf dem Vorsatzbl.: "beschlagnahmt" - Akzessions-Nr. auf der Rücks. des Titelbl.: P 1936.2420. - NS-Raubgut. Quellen: Archiv der Staatsbibliothek, Akten A62, Berlin - Schreiben des Polizeipräsidenten Berlin Stapo 6 33 10/14.34. 1934-08-28 "...618 Exemplare des Buches 'Das Totenschiff' von Traven beschlagnahmt worden sind..." ; Akzessionsjournal der Preußischen Staatsbibliothek P 1936.2420, "erh. Polizeipräs. Bln.", inventarisiert als Pflicht 1936-07-25 (s. Abb.1) Stempel auf dem Titelbl.: Arbeiterwirtschaftsschule Peterswaldau u. Eule [daneben hs. in rot:] H. 55. - Akzessions-Nr. auf der Rücks. des Titelbl.: D1936.424. - NS-Raubgut. Quellen: Archiv der Staatsbibliothek, Akten A62, Breslau - Schreiben des Landrats des Kreises Reichenbach P.60.1/36 1936-05-12 "... aus dem beschlagnahmten und ... eingezogenen Vermögen der früheren Arbeiterwirtschaftsschule in Steinseifersdorf ..." mit hs. ergänzter Akz.-Nr. D 1936.424-427; Akzessionsjournal der Preußischen Staatsbibliothek Deutsch D 1936.424, "Landrat Reichenbach/Eulengeb.", inventarisiert als Donum 1936-05-27 (s. Abb.2) Die Staatsbibliothek hat sich auferlegt, zu den Evidenzen wie Auf dem Vorsatzbl.: beschlagnahmt, Akzessions-Nr. auf der Rücks. des Titelbl., Stempel auf dem Titelbl. oder [daneben hs. in rot:] die „[…] Sachlage einschließlich der Provenienz im genauen Wortlaut des Aktenvermerks zu dokumentieren.“122 Sätze bzw. Satzauszüge wie "...618 Exemplare des Buches 'Das Totenschiff' von Traven beschlagnahmt worden sind..." und "... aus dem beschlagnahmten und ... eingezogenen Vermögen der früheren Arbeiterwirtschaftsschule in Steinseifersdorf ..." sind ein Ergebnis dessen. Belegt sind diese Auszüge immer mit der Angabe des betreffenden Aktenmaterials und weiterer relevanter Informationen, z.B. inventarisiert als Donum 193605-27. Unter „Schlagwörter“ erfolgt „die vertiefte Provenienzerschließung nach den Weimarer ‚Empfehlungen zur Provenienzverzeichnung‘, die es erlauben, die gesamte Historie eines Exemplars darzustellen.“123 Es werden die in den Anmerkungen zu findenden Werte zusam- 122 Pudler, Heike: Recherche, Nachweis und Restitution von NS-Raubgut in der Staatsbibliothek zu Berlin. Ein Werkstattbericht. In: Bibliotheken in der NS-Zeit. (2008). S.86. 123 Pudler: Recherche. (2008). S.86. 39 mengefasst und strukturiert; sogar die Exemplarspezifika wie „Stempel“ werden nachgewiesen, soweit es das zu indexierende Schlagwort beinhaltet. Folgendermaßen kann eine derartige Schlagwortkette ausfallen: Provenienz: Preußen / Polizei-Präsidium <Berlin> NS-Raubgut / Zugangs-Nummer P1936.2420 / Datum 1936-07-25 Preußen / Polizei-Präsidium <Berlin> NS-Raubgut (s. Abb.1) Provenienz: Arbeiterwirtschaftsschule <Peterswaldau> / Stempel Provenienz: Reichenbach <Eulengebirge, Kreis> NS-Raubgut / Zugangs-Nummer D1936.424 / Datum 1936-05-27 Arbeiterwirtschaftsschule <Peterswaldau> Reichenbach <Eulengebirge, Kreis> NS-Raubgut (s. Abb.2) „Ziel ist die Darstellung je eines Sachverhalts (d.h. eines Falles von Provenienz) in Form einer Kette.“124 – so lautet die Festlegung in den Empfehlungen der AAD. Diesem Ziel folgt die Staatsbibliothek125 folgendermaßen: Provenienz: Preußen / Polizei-Präsidium <Berlin>; Provenienz: Arbeiterwirtschaftsschule <Peterswaldau> / Stempel; Provenienz: Reichenbach <Eulengebirge, Kreis>. Diese Angaben implizieren, dass Vorbesitzer oder Lieferanten genannt sind; es kann sich dabei um eine Person oder eine Institution/Körperschaft handeln. Die Schlagworte Preußen / Polizei-Präsidium <Berlin>, Arbeiterwirtschaftsschule <Peterswaldau>, Reichenbach <Eulengebirge, Kreis> hingegen stellen die Ansetzungsform nach RAK-WB der jeweiligen Person oder Körperschaft dar, darin werden die PND und GKD als Richtlinien berücksichtigt. Durch diese Ansetzungen und die Indexierung werden die Provenienzen erst recherchierbar – und bei Auswahl eines dieser Schlagworte wird eine Weiterleitung zu den damit verknüpften Datensätzen initiiert. Als weiteren Beleg wird der Sachverhalt „NS-Raubgut“ angeführt und anschließend die Zugangsnummer und das Inventarisierungsdatum: NS-Raubgut / Zugangs-Nummer P1936.2420 / Datum 1936-07-25; NS-Raubgut / Zugangs-Nummer D1936.424 / Datum 1936-05-27. 124 Empfehlungen zur Provenienzverzeichnung. (2003). S.8. 125 Wenn nicht anders angegeben, im Folgenden: Pudler: Recherche. (2008). S.86/87. 40 In der nachfolgenden Tabelle sind die Werte, die sich zur Beschreibung von Provenienz sowohl in den „Anmerkungen“ als auch in den „Schlagwörtern“ in den Beispielen finden, aufgelistet. Werte P G S Z K N Q Beispiele Peterswaldau; Berlin; Preußen NS-Raubgut; Stempel; [Donum; Pflicht; „beschlagnahmt“] 1936-07-25; 1936-05-27 Arbeiterwirtschaftsschule; Polizei-Präsidium P1936.2420; D1936.424 [Archiv der Staatsbibliothek, Akten A62; Akzessionsjournal] Ergebnis Die Staatsbibliothek zu Berlin zeigt einen offenen Umgang mit ihrer NS-Vergangenheit. Die Einbindung in den öffentlichen OPAC zeugt unter anderem davon, ebenso die informative Webseite über diese Forschungsarbeiten. Sehr begrüßenswert ist die genaue Beschreibung der Vorgänge und Planungen dieses Projekts in der erwähnten Publikation von Pudler, die zur Unterstützung herangezogen wurde. Durch die bereits existierenden und erprobten Thesauri (T-PRO), den Leitfaden und die Normdatensätze gestaltet sich die Beschreibung von Provenienzen im Bibliothekswesen relativ problemlos. Um diese strukturierten Erkenntnisse auch recherchierbar zu machen, konnte die Staatsbibliothek ebenfalls auf Altbewährtes zurückgreifen, nämlich die PICAKatalogisierungsrichtlinien; in diesen wird „Provenienz“ bereits berücksichtigt. Des Weiteren haben sich der Hessische Bibliotheksverbund (HeBIS) und perspektivisch der Gemeinsame Bibliotheksverbund (GBV) bereits mit der kooperativen Provenienzerschließung auseinandergesetzt und scheinen zu ersten Ergebnissen gekommen zu sein.126 Für den unerfahrenen Nutzer könnte jedoch die Form der Verzeichnung schwierig lesbar sein, denn die Schlagwortkette offeriert auf den ersten Blick keine semantische Interpretation ihrer Begriffe. 126 Siehe: Kooperative Provenienzerschließung im HeBIS Verbund: http://www.hebis.de/de/1ueber_uns/projekte/Provenienzerschliessung.php (25.04.10). 41 3.2.3 Beispiele „Museum“ 3.2.3.1 Das Bundesamt für zentrale Dienste und offene Vermögensfragen (BADV) Diese Datenbank spiegelt nicht den gesamten Bestand des BADV wieder; es handelt sich zunächst um diejenigen Fälle, die wissenschaftlich recherchiert wurden und damit publiziert werden können. Das BADV besitzt u.a. Objekte127, die für das sogenannte „Führermuseum“ gedacht waren und somit aus dem „Sonderauftrag Linz“ stammen. Diese Sondereinheit hatte den Auftrag, für das Führermuseum, welches in Linz entstehen sollte, geeignete Kunst zu „erwerben“. Des Weiteren finden sich Werke aus der privaten Sammlung von Hermann Göring und Objekte, welche auf Ausstellungen im „Haus der Deutschen Kunst“ für das Deutsche Reich gekauft wurden. Zusammengenommen ergeben sie den „Restbestand CCP“, bestehend aus ca. 2.300 Gemälden, Graphiken, Skulpturen, kunstgewerblichen Gegenständen und 10.000 Münzen und Büchern. Insbesondere letztere sind nur auf Lostart zu recherchieren. Auswahl der Beispiele Suchstrategie: Wahl des ersten indexierten Namens unter „Malerei, Grafik, Skulptur“ = Achenbach, Andreas => Wahl des ersten Suchergebnisses = Segelboote bei stürmischer See 127 Entnommen aus Eigenauskunft des BADV unter: http://badv.bund.de/003_menue_links/e0_ov/d0_provenienz/index.html (04.03.10) 42 Abb. 3 Beispiel Datensatz BADV "Achenbach, Andreas: Segelboote bei stürmischer See" 43 Untersuchung Eine Fotografie und die dazugehörige, kurze Basisdokumentation des betreffenden Objektes (s. Screenshot) sind zuerst sichtbar. Folgende deskriptiven Metadaten sind hier zuzuordnen, da sie nicht alle explizit genannt werden: • • • • • • • • Künstler Titel Datierung Technik/Material Maße München Nummer Linz Nummer Leihgabe an / Standort Damit ist das Objekt ausreichend beschrieben, um eine Identifikation zu ermöglichen. Eine weitere Identifikation bietet sich über die Mü-Nr. bzw. die Linz-Nr. Eine Besonderheit stellt die kunstwissenschaftliche Beschreibung des Objektes dar, die sich dem Nutzer zuerst eröffnet (kein Screenshot). Erst durch Wahl des Links „Provenienz“ erscheinen die hier zu untersuchenden Angaben (s. Screenshot). In jedem beliebigen Datensatz ist die Provenienzbeschreibung als Volltext ausformuliert und jeweils in einer Zeittafel zusammengefasst, wie auch in dem konkreten Beispiel. Die Nennung von Personen, Körperschaften oder Zeitangaben ist immer mit einem Aktennachweis oder anderen Quellen belegt, die Detailangabe befindet sich in den Fußnoten (s. Screenshot). In dem Beispiel finden sich alle möglichen Werte: Zeitangaben, die sich auf das Auktions-, Erwerbungs-, oder Versteigerungsdatum oder auf einen Besitzzeitraum beziehen. Personenangaben, die einen Vorbesitzer, den Kunsthändler, einen Verantwortlichen oder Sammler benennen. An diesem Punkt kann es eine Schnittstelle mit den Körperschaften geben, denn ein Auktionshaus trägt häufig den Namen seines Gründers/Besitzers. Des Weiteren schließt dieser Wert Institutionen, spezielle Kommandos oder Aktionen ein. In der folgenden Tabelle sind die Werte, die aus dem Volltext extrahiert werden konnten, als Beispiele für eine Beschreibung einer Provenienzgeschichte wiedergegeben. 44 Werte Beispiele John Young; Demetris Pet. Cudalio; Maria Almas-Dietrich / Fleischmann P (Kunsthändler); Heinemann (Galerist); Hans W. Lange (Kunsthändler) München; Dresden; Berlin G Versteigerung; Verkauf; Erwerb S 30.9.1901; 6.7.1910; 1918; 13.3.1941; Mai 1941 Z Kunsthandlung Fleischmann; Galerie Heinemann; Hans W. Lange; Sonderauftrag K Linz Kat. Nr.1; kat. Nr.114, Abb.T7; 1.500RM; 3.800RM; 4.000RM; Mü.-Nr.:4407 N Property Card; GStA; Auktionskatalog; Jahrbuch; Käuferkartei; KunstpreisQ Verzeichnis; kleine Kartei Ergebnis Durch die Form des Volltextes sind komplexe Zusammenhänge semantisch eindeutiger zu beschreiben als es in der Form der Schlagwortkette anzunehmen ist, genauso werden Vermutungen, Unsicherheiten oder auch Bestätigungen klarer ausgedrückt. Dabei ist es hilfreich, dass die wichtigsten Daten, Personen und Geschehnisse zusätzlich in einer Tabelle genannt und damit zusammengefasst werden. Der Volltext scheint indexiert zu sein, denn die Suche nach Personen, Provenienzspuren wie „Stempel“ oder Ereignissen wie „Versteigerung/Ankauf“ erzeugt eine Ergebnisliste mit allen betreffenden Objekten. Aus der Ansicht zur Provenienzrecherche heraus existiert ein Link zu der CCP Datenbank des DHM, welche im folgenden Kapitel besprochen wird. Damit können die dazugehörigen Primärdokumente recherchiert werden, die die Provenienz des Objektes nachweisen bzw. belegen. 3.2.3.2 Das Deutsche Historische Museum (DHM) Das DHM bietet zwei Datenbanken zur Recherche über Provenienzforschung auf seiner Webseite an: Eine befasst sich mit der Linzer Sammlung, die bereits im Kontext des BADV erwähnt wurde. Aus dieser wurden jedoch die Datensätze in die zweite Datenbank zum CCP München integriert. Deshalb wird der Fokus auf der CCP Datenbank liegen. Weil es sich nicht um DHM eigene Objekte handelt, sondern um ein kooperatives Fremdprojekt, somit keine Integration in die Objektdatenbank des DHM vorgenommen wurde, sind die Informationsressourcen des DHM separat zu recherchieren. Der Aufbau der Datenbank ist folgendermaßen strukturiert: Thematisch ist sie eingeschränkt auf den CCP München, allerdings finden sich hier erstmalig zusammengeführt 170.000 Einträge und ca. 300.000 Abbildungen zu diesem Kontext. Die Abbildungen stellen jeweils einen Datensatz dar, der entweder eine Karteikarte oder eine Objektfotografie wiedergibt. Unter 45 Karteikarten zu verstehen sind die sogenannten Property Cards (Restitutionskartei), die von den amerikanischen Besatzern zur Verwaltung und Beschreibung der Objekte in dieser Sammelstelle benutzt wurden. Dazu existieren noch Arrival Cards (Kontrollnummerkartei), die den Eingang eines Objektes dokumentieren. In diesem Dokumentationsvorgang wurde den Objekten die inzwischen häufiger genannte München-Nummer zugeordnet. Diese Ordnung nach Mü.-Nummer wurde auch nach Übergabe der Betreuung an die Treuhandverwaltung beibehalten, sodass es noch zusätzlich zu den englischsprachig verfassten (häufig durch dt. Kommentare auf der Karte ergänzt) auch deutschsprachige „Mü.-Karten“ gibt. Hinzu kommen Bestände der sogenannten Alte Ministerpräsidentenkartei (= vom Deutschen Reich legal erworbene Kunstwerke) und der IRSO-Karteien (= an die Jewish Claims Conference restituierte Objekte). Ergänzt werden diese Quellen durch Objektfotografien des BADV. Die Karteikarten befinden sich im Bundesarchiv Koblenz und dem BADV – diese wurden gescannt, ihr Inhalt abgetippt und in eine Access Datenbank zur Übertragung in das Datenbankschema des DHM (GOS) eingegeben. Bei der Nutzung der Quellen muss beachtet werden, dass die hier vorgefundenen Werte in den Datenfeldern auf von der Karteikarte vorgegebene Strukturen basieren; sie wurden nämlich in Autopsie transkribiert. Auswahl der Beispiele Suchstrategie: In diesem Fall war das Ziel der Suche vorgeben, deshalb wurden verschiedene Begriffe getestet, um letztlich mit der Eingabe „Treppe“ in Titel und „Guardi“ in Künstler das gesuchte Objekt zu finden. Insgesamt ergab die Suche vier Karteikarten als Treffer, die ausführlichste und die BADV Objektfotografie sind im Folgenden abgebildet. 46 Abb. 4 Beispiel Datensatz CCP "Guardi Gemälde" Untersuchung Auch diesmal sind wieder alle möglichen Datenfelder aufgeführt – d.h., es wurden im Browsing Verfahren sämtliche in den Datensätzen vorgefundenen Metadaten extrahiert: • • • • • • • • • • • • München Nummer Linz Nummer Kartei Karteikasten Eigentümer (der Kartei) Objekt Datierung Material/Technik Künstler (Transkript) Schlagwort Breite / Länge / Höhe Herkunft / Verbleib / Sozietät Da es sich in dieser Datenbank um Primärquellen handelt, entsprechen die Angaben nicht einer „bereinigten“ und kontrollierten Beschreibung eines Objektes wie es bei der Inventarisierung in einem Museum üblich wäre. Die Erfassung im CCP legte zwar den Fokus auf die Feststellung von Besitzverhältnissen in erster Linie, aber nicht weniger wichtig war eine zumindest minimale Beschreibung zur Identifikation des Objektes. Relevante Daten zur Provenienz finden sich demnach in mehreren Feldern: „Herkunft/Verbleib/Sozietät“ beinhaltet die aussagekräftigsten Angaben. In diesem Beispiel ist das 47 der elliptische Satz „(Von der Universitätsbibliothek Heidelberg, Deutsches Auslandsinstitut, durch Lieutenant Koch in den Central Collecting Point Wiesbaden.; (vgl. 457-99 E UB Heidelberg))“ (s. Screenshot). Daneben lassen sich aus den Feldern „Datierung“, „Mü-Nr.“ und „Kartei“ weitere Informationen extrahieren, die die Herkunft eines Objektes beschreiben können, so z.B. Datierung: 1951.08.10 (Eingang/Receipt); 1959.09.07 (Ausgang/Issue). Hinzu kommt der Kontext des CCP, welcher allein bereits einen relevanten Sachverhalt für die Provenienzforschung ausdrückt. In dieser Tabelle sind somit Werte aus all denjenigen Datenfeldern angeführt, die der Beschreibung von Provenienz dienlich sind. Werte P G S Z K N Q Beispiele Lt. Koch Heidelberg; Wiesbaden 10.8.51; 7.9.59 Universität Heidelberg; Deutsches Auslandsinstitut; CCP Wiesbaden Mü.-Nr.: 50060 Restitutionskartei; Kontrollnummernkartei; Alte Ministerpräsidentenkartei Ergebnis Der Quellenwert dieser Karteikarten ist immens hoch – zunächst einmal benötigt der Nutzer nicht mehr die Kenntnis der genauen München oder Linz-Nummer, um nach einem Objekt in diesem Kontext suchen zu können. Ferner sind diese Digitalisate originale Nachweise für den nationalsozialistischen Kulturgutraub. Zwar sind die Metadaten auf der Karteikarte bereits informativ, aber nicht immer historisch korrekt. Das zeigte sich am Beispiel des Guardi Gemäldes: Auf der Kartei des CCP war unter „Herkunft“ die Angabe „Deutsches Auslandsinstitut“ verzeichnet, diese Bezeichnung existierte jedoch in diesem Zusammenhang nicht. Es stellte sich letztlich heraus, dass damit die „Ausland-Abteilung“ an der Universität Heidelberg gemeint war. Perspektivisch wäre die Abbildung der Rückseiten von Gemälden eine Aufwertung dieser Datenbank. 3.2.3.3 Das Städel Museum Das Städel Museum in Frankfurt weist auf seiner Webseite die Ergebnisse eines Projekts zur Provenienzforschung nach. Seine Sammlungen umfassen die europäische Kunstgeschichte ab dem 14. Jahrhundert. Diese historische Orientierung gebietet laut der Handreichung (vgl. Kap. 2) die Untersuchung des Bestandes auf Erwerbungen nach 1933 bis mindestens 1945. 48 Auswahl der Beispiele Suchstrategie: Entfällt. Die ersten beiden Bilder sind angeführt. Abb. 5 Beispiel Datensatz Städel Museum Untersuchung Die Form der Provenienzverzeichnung des Städel Museums soll noch eine weitere Variante der Darstellung demonstrieren: Es existiert keine Datenbank zur Recherche, sondern die verdächtigen Kunstwerke und deren Beschreibung wurden aufgelistet. Dazu findet sich eine Abbildung, grundlegende Objektdaten und, hier relevant, eine Zeile zur Beschreibung der Provenienz. Folgende Metadaten sind hier zuzuordnen: • • • • • • Künstler Titel Material Maße Inventarnummer Provenienz Die Identifikation eines Objektes ist somit gegeben; die Beschreibung von Provenienz ist als durchaus aussagekräftig anzusehen, weil sich die in einem Satz formulierten Angaben dem 49 Nutzer sogleich erschließen. Zu bemängeln ist dennoch, dass die Semantik der Angaben nicht immer eindeutig ausfällt: „erworben 1942 bei Otto Schweppenhäuser, Frankfurt/M.“ lässt zwar vermuten, dass es sich um eine Kunsthandlung „Schweppenhäuser“ handelt, ob jedoch ein klassisches Kaufgeschäft oder eine Auktion stattgefunden hat, ist diesem Satz nicht zu entnehmen. Die folgenden Werte sind festzustellen: Werte P G S Z K N Q Beispiele Otto Schweppenhäuser; Heinrich Hahn Frankfurt/M. Auktion; erworben 27./28.08.1940; 1942 Ergebnis Es ist zu vermuten, dass die geringe Anzahl von 9 Objekten den Aufwand einer Erstellung einer Datenbank nicht gerechtfertigt hätte. Diese Objekte sind jedoch auf Lostart in der Datenbank recherchierbar. Mithin lässt die sehr kurze Provenienzbeschreibung, wie bereits angedeutet, eine semantische Ungenauigkeit zu. Ebenfalls wünschenswert wäre eine Angabe von eventuell vorhandenen Provenienzmerkmalen wie Stempeln und auch die Nennung einer Belegquelle. 3.2.4 Beispiel „Archiv“ – Lostart An Lostart melden sowohl die öffentlichen Einrichtungen wie Bibliothek, Archiv und Museum als auch Privatpersonen ihre Such- und Fundangaben zu Raubgut. Ende 2009 haben 320 öffentliche Einrichtungen Angaben zu 37 000 Objekten bei Lostart eingereicht. Weniger detaillierte Beschreibungen finden sich zu ca. 70 000 Objekten, dazu kommen Suchmeldungen zu etwa 12 000 Objekten von privaten und ausländischen Einrichtungen.128 Wie sich diese Zahlen zu der Menge der tatsächlich verfolgungsbedingt entwendeten Kulturgüter verhält, kann hier und wohl auch generell nicht geklärt werden. 128 Baresel-Brand: Datenbanken (2009). S.392. 50 Die Entscheidung für Lostart als Beispiel einer archivischen Provenienzforschung liegt in der Literatur129 begründet: Es war dort zu entnehmen, dass das Landesarchiv Berlin ihren Bestand auf Fremdbesitz untersucht hatte und diese Ergebnisse auf Lostart veröffentlichte. Auswahl der Beispiele Suchstrategie: Unter „Melder“ => Berlin => Landesarchiv Berlin => Erster Treffer und Detailansichten 129 Vgl. Schroll: Provenienzforschung. (2005). 51 Abb. 6 Beispiel Datensatz Lostart "Nachlass" Untersuchung Zur Feststellung der Metadaten wurden sämtliche Archive, die Funde gemeldet haben, betrachtet. Dafür musste die Objektklasse „Archiv“ untersucht werden; daneben gibt es nämlich 52 noch die Objektklasse „Museum“ oder „Bibliothek“. Innerhalb dieser Klassen werden die Objekte einer bestimmten Objektart zugeordnet (s. Screenshot), wie z.B. Buch, Archivalie, Malerei und weiteren, weil innerhalb der Klassen mehrere Objektarten vertreten sein können. Schließlich kann auch eine Bibliothek einen Nachlass und ein Archiv oder Museum ein Buch als Objekt in seinem Bestand haben. • • • • • • • • • • Objektklasse Titel Erstellungsort Dokumentdatum Objektart Material/Technik Zugangsgeschichte Beschreibung Signatur Restitution Bei den Meldungen des Landesarchivs handelt sich um zwei Bestandsgruppen, die jeweils den Nachlass einer bestimmten Person beinhalten. Damit ist die Provenienz bereits durch die Zuschreibung der Akten an diese Person bestimmt. Andere Archive haben bei ihrer Suchmeldung hingegen das Feld „Provenienz“ angeführt. In der Einzelansicht eines Objektes findet sich dann die sogenannte „Zugangsbeschreibung“, welche die Provenienz detailliert wiedergibt. Somit sind die Werte lediglich aus diesem Feld und aus der Beschreibung zu entnehmen: Werte P G S Z K N Q Beispiele Martin Popper; Max Cassirer Berlin konfisziert 1941 Vermögensverwertungsstelle; Oberfinanzpräsident Ergebnis Auch im Falle einer archivischen Erschließung von Provenienz entspricht die Form des Volltextes durchaus einer typischen Form (s. Screenshots) – dies liegt jedoch in der Erstellungsweise eines Findbuches130 begründet. Dort wird nicht nur der Titel der Akte angegeben, son130 Brenner-Wilczek et al.: Einführung. (2006). S.35 ff. 53 dern vor allem der Enhält- und der Darin-Vermerk entsprechen einer Volltextbeschreibung des Inhalts. 3.3 Überprüfung semantischer Korrespondenz – Ein Mapping Versuch In diesem Unterkapitel wird der Versuch unternommen, die gewonnenen Metadaten zu vergleichen, angelehnt an das Vorgehen eines Mappings. Darunter ist die „[…] intellectual acitivity of comparing and analyzing two or more metadata schemas“131 zu verstehen. Dieser Vergleich wird hypothetisch bleiben, weil es sich einerseits bei den hier genutzten Metadaten nur um Exempel aus den untersuchten Datenbanken handelt, demnach kein Anspruch auf Vollständigkeit besteht, und andererseits ein Mapping normalerweise die genaue Kenntnis der jeweils verwendeten Metadatenschemata voraussetzt. In diesem Zusammenhang wurden jedoch, der Autopsie ähnlich, die vorgefundenen Metadaten extrahiert und aufgelistet – und somit kein Blick in das Backend der Datenbanken sondern nur in das Frontend geworfen. Die Vorgehensweise entspricht vielmehr im übertragenden Sinne der Vorintegration und dem Schemavergleich bei einer Schemaintegration132: Die Vorintegration wurde mit der Auswahl der Ressourcen und der Beispiele getätigt; ein Schemavergleich folgt nun in diesem Kapitel, denn es werden „[…] Korrespondenzen zwischen Schemata ermittelt, die semantisch gleiche oder ineinander enthaltene Elemente spezifizieren.“133 Unter Korrespondenz ist zu verstehen, dass ein vom Informationssystem vertretenes Konzept durch die Attributwerte symbolisiert wird und diese untereinander semantisch bzw. intensional äquivalent, ineinander enthalten, überlappend oder disjunkt sind134. Ein solches Mapping wird dann notwendig, wenn es um die Interoperabilität von Systemen wie z.B. Datenbanken geht, die Informationen austauschen möchten, aber verschiedene Metadatenschemata benutzen. Dazu ist die semantische, syntaktische und strukturelle Ebene der Interoperabilität zu beachten, wobei im Kontext dieser Arbeit das semantische Mapping im Vordergrund steht: „Semantic mapping is the process of analyzing the definitions of the elements or fields to determine wether they have the same or similar meanings.”135 Dieser Umstand steht im Fokus des Semantic Web und wird im nachfolgenden Kapitel ausgeführt. 131 Introduction to Metadata. (2008). Kap. 3, S.3. 132 Vgl. Leser/Naumann: Informationsintegration. (2007). S.116 ff. 133 Leser/Naumann: Informationsintegration. (2007). S.119. 134 Leser/Naumann: Informationsintegration. (2007). S.119/120. 135 Introduction to Metadata. (2008). Kap. 3, S.4. 54 Das Ergebnis eines Mappings ist der sogenannte Crosswalk, d.h. eine Liste oder Tabelle, die die Beziehungen und Gleichwertigkeit zwischen zwei oder mehr Metadatenformaten zeigt.136 3.3.1 Tabelle eines Crosswalks Werte Lostart Städel Museum CCP BADV StaBiKat N Signatur Inventarnummer München Nummer Linz Nummer Kartei Karteikasten München Nummer Linz Nummer Signatur K; G; Z; S; Q; P; N Beschreibung / Provenienz Zugangsgeschichte Herkunft/ Verbleib/ Sozietät Eigentümer (der Kartei) Provenienz Anmerkungen Schlagwörter Titel Titel Objekt Titel Titel Einheitssachtitel Künstler Künstler (Transkript) Künstler Material Material/ Technik Technik/ Material Verfasser Sonst. P Maße Breite / Länge / Maße Höhe Umfang Datierung Datierung Erschienen Leihgabe an / Standort Standort Material/ Technik Z Dokumentdatum Erstellungsort Restitution Objektklasse Objektart Schlagwort Abb. 7 Tabelle Crosswalk 136 Übersetzung von Autorin aus Introduction to Metadata. (2008). Kap. 3, S.3. 55 Ausleihstatus Erschienen Körperschaft Schriftenreihe Sachgebiete Teil Mehr zum Thema Ausgabe Zur Erläuterung der Tabelle: Die linke Spalte beinhaltet die in der Einleitung zur Untersuchung genannten Werte. Die nachfolgenden Spalten zeigen die in den jeweiligen Datenbanken gewonnenen Metadaten. Die Ordnung der gesamten Metadaten folgt dem Prinzip der Vollständigkeit, d.h., in allen Ressourcen vorkommende Felder sind in den ersten drei Zeilen zu finden; es folgen diejenigen, die nur in vier von fünf Beispielen vorkamen usw. Die letzte Zeile listet alle Felder auf, die nicht mehr eindeutig zuzuordnen waren. Die Werte wurden den Feldern ihres Vorkommens zugeordnet, dabei muss bedacht werden, dass die Untersuchung lediglich die für die Provenienz eines Objektes relevanten Metadaten auf ihre Werte untersucht hat. Damit erklärt sich auch, warum der Zeile mit „Künstler“ kein Wert „P“ zugewiesen wurde. Die von den Metadaten implizierte Semantik und die der konkreten Beispieldaten, waren ausschlaggebend bei der Einteilung und Zuordnung von Feldern und den Werten. Damit ist die Sortierung von „Objekt“ in eine Zeile mit „Titel“ zu begründen, denn in der Datenbank war dieses Feld mit einer Titelbeschreibung belegt, infolgedessen besitzt es dieselbe Intension wie „Titel“. 3.3.2 Ergebnis An Hand der Untersuchung und des Crosswalks konnte festgestellt werden, dass die Provenienzforschung in den drei Gedächtnisinstitutionen unterschiedlich dokumentiert und publiziert wird. Was sie zunächst jedoch gemeinsam haben, ist die für ihren Bereich typische Objektbeschreibung, die sie hier zeigen – eine bibliothekarische Titelaufnahme137 beinhaltet eine Fülle von Metadaten, die ein Buch ausführlich beschreiben, wie z.B. Verfasser, Einheitssachtitel, Umfang, Erschienen, Standort, Schriftenreihe usw. Interessant war hier die Provenienzbeschreibung innerhalb der Anmerkungen und der Schlagwörter. Bei der archivischen Erfassung138 ist insbesondere die Beschreibung, die einem Darin-Vermerk entspricht, ein markantes Merkmal, die in diesem Fall gleichzeitig die Erläuterung der Herkunft beinhaltete. Die Museen hingegen waren in der Verwendung von Metadaten in diesem Zusammenhang eher zurückhaltend, denn in der „klassischen“ Inventarisierung139 wird tiefer erschlossen, als es die Datenbanken in den Beispielen gezeigt haben. Da jedoch diese Online-Publikationen den Fokus auf die Dokumentation und Recherchierbarkeit von verfolgungsbedingt entzogenem Kul- 137 Vgl. Gantert/Hacker: Bibliothekarisches Grundwissen. (2008). S.164 ff. 138 Vgl. Brenner-Wilczek et al.: Einführung. (2006). S.36. 139 Vgl. Waidacher: Museologische Grundlagen. (1999). S.14 ff. 56 turgut legen, ist dieser Umstand erklärbar. Außerdem wird die Recherche nach und in dem Feld „Provenienz“ überhaupt erst durch diese Aufbereitung ermöglicht. Des Weiteren ist festzuhalten, dass sich eine spartenübergreifende Überschneidung in der Verwendung von Metadaten herausgebildet hat: Zwar wurden die jeweiligen Metadaten unterschiedlich benannt, aber an Hand der Inhalte erschloss sich die Semantik intuitiv. So führen die Objektbeschreibungen alle ein Feld, in dem eine nummerische Angabe die Bedeutung einer Signatur, Inventarnummer oder historisch relevanten Nummer vermittelt. Außerdem ist jedes Objekt bereits über einen Titel identifizierbar. Besonderes Augenmerk wurde jedoch dem Feld der „Provenienz“ gewidmet – auch hier zeigte sich eine gemeinschaftliche Verwendung, jedoch fielen die Benennung140, die Form des Inhalts, d.h. von ausführlichem Volltext bis hin zur Schlagwortkette, und der Gebrauch der Werte sehr verschieden aus; ebenfalls wies nicht jedes Rechercheergebnis Quellennachweise auf oder nannte die Provenienzspuren. Insbesondere die Werte geben einen eindeutigen Hinweis auf das bereits angedeutete Problem der Dokumentation von Provenienzforschung: In einem Volltext werden Zusammenhänge meist am deutlichsten, in den Kurzangaben hingegen waren Personen, Orte, Zeitpunkte oder Körperschaften nicht immer eindeutig konnotiert. Zur korrekten Rekonstruktion der Herkunft eines Objektes sind jedoch genau diese Daten ausschlaggebend, ebenso sollten, um einem wissenschaftlichen Anspruch zu genügen, auch die Provenienzmerkmale und vor allen Dingen die Quelle einer Aussage angeführt werden. Dieser Anspruch wird ebenfalls im AAM Guide to Provenance Research deutlich gemacht und soll in diesem Zusammenhang als Prämisse für alle Gedächtnisinstitutionen gelten: “[The documentation] should be presented in a clear and organized fashion and be as complete as possible. The sequence of ownership should be easily understood. The order of ownership may be earliest to latest owner, or the reverse, as long as the chronology is obvious. There should be some mechanism by which owners are distinguished from dealers or auctioneers. The source of information about each owner or transactions should be documented. In publishing provenance information, the museum should include an explanation of its format.”141 140 = Beschreibung, Zugangsgeschichte, Herkunft, Verbleib, Sozietät, Anmerkung, u.ä. 141 AAM Guide. (2001). S.33. 57 3.4 Resümee Es hat sich gezeigt, dass nicht nur die konkrete Provenienzrecherche, wie sie in Kapitel 2 vorgestellt wurde, von Heterogenität geprägt ist. Dieses Problematik offenbart sich ebenso in der Dokumentation dieser Forschungsergebnisse, was sich an Hand der Untersuchung belegen lässt. Eine sich anschließende Fragestellung ist die der Präsentationsform: Ist die Volltextformulierung einer sehr kurzen Faktenreihe zu bevorzugen oder gibt es sogar eine Alternative? Dies kann nicht beantwortet werden, ohne die Art des Zugangs zu betrachten, denn auch in diesem Punkt zeigten sich die Varianten des Portals (Lostart), der Datenbank (StaBiKat, CCP, BADV) und der Liste (Städel Museum). Baresel-Brand betont in diesem Zusammenhang: „Das Mandat der Koordinierungsstelle besagt eindeutig: Dokumentation nicht Forschung. Lostart ist keine Forschungsdatenbank, kein Findbuch.“142 Sie macht deutlich, dass ein Unterschied in der Dokumentation von Fundmeldungen, denn dort existiert das konkrete, haptische Objekt, und von Suchmeldungen, die meist von Nachfahren mit wenig Kenntnis über die genauen Angaben, existiert. Insbesondere letztere betreffen die Objekte, „die ganz normalen, vielleicht einfachen jüdischen Bürgern gehörten, die eben nicht über einen katalogmäßigen Nachweis ihres Besitzes verfügten.“143 Somit kann keine kunstwissenschaftlich „ideale“ Dokumentation erwartet werden. Dies bedeutet, dass wissenschaftliche Forschung bei Lostart nicht optimal möglich ist, aber dafür die größtmögliche Menge an bisherigen Ergebnissen sowie Verdachtsfällen und gleichzeitig einen ersten Einstieg zu einer Recherche vorliegt. Auch wenn Baresel-Brand den wissenschaftlichen Nutzen von Lostart verneint, ist der Gewinn für erste Nachforschungen nicht abzustreiten. Vorteile eines Portals wie diesem schlagen sich vor allem in den zusätzlichen Informationen über diese Thematik, wie z.B. die wichtigsten Dokumente zum Download, aktuelle Nachrichten über erfolgte Restitutionen oder Veranstaltungen, aber auch in einer Mailingliste zum Fachaustausch nieder. Die Beispiele aus Bibliothek und Museum hingegen sprechen für die Notwendigkeit zur Durchsetzung einer 2001 auf einer Konferenz postulierten Forderung144: Besserer Zugang zu den Daten der Provenienzforschung durch internationale Kooperation, da bisher diese Informationen in verschiedenen, individuellen Datenbanken und Webseiten gespeichert seien. Es 142 Baresel-Brand: Datenbanken. (2009). S.393. 143 Baresel-Brand: Datenbanken. (2009) S.395. 144 Final Declaration der International Conference (Spoils of War, 2001). S.68. 58 wurde in der Publikation zu dieser Veranstaltung häufig von der Schaffung einer internationalen Metasuche als mögliche Lösung gesprochen, sodass vor allem mit Blick auf den Nutzer die Recherchierbarkeit erheblich erleichtert würde: „In my opinion […] [projects at the level of documentation] is even more important because rapidly advancing technical networking opens up tremendous practical opportunities. In addition, we urgently need better tools for orientation for database users in the ever growing data maze.”145 Voraussetzungen für ein solches kooperatives Modell wäre jedoch die Einigung auf ein Metadatenschema und vor allem auf die Nutzung eines kontrollierten Vokabulars auf Datenebene.146 Die Untersuchung zeigte, dass die Beschreibung der Provenienz innerhalb des Datenfeldes durchaus komplex und tendenziell in Textform vorliegt. Damit verbunden ist ebenfalls die Hypothese, dass in den meisten Fällen, Ausnahme stellt die Staatsbibliothek dar, kein Thesaurus oder kontrolliertes Vokabular für dieses eine Feld verwendet wurde bzw. die übliche Dokumentationssprache noch angepasst werden musste. Die Konsequenz daraus ist, dass eine Kooperation in diesem Bereich an vielen Punkten ansetzen müsste, um eine Integration der Informationsressourcen zu erreichen. Grundsätzlich sind die Möglichkeiten gegeben, es existieren auch bereits viele Crosswalks der wichtigsten Datenmodelle, dennoch bleibt die Darlegung des komplexen Sachverhaltes von Raubgut problematisch. Die für die Wiedergabe einer Provenienz eines Objektes nötigen Informationen sind äußerst vielfältig, gerade wenn sie einem wissenschaftlichen Forschungsanspruch genügen soll. Das beinhaltet die Nennung sämtlicher Fakten wie den exemplarspezifischen Merkmalen, Kunsthändler, Auktionshäuser, Körperschaften, besitzende Personen, nummerische Hinweise wie Signaturen oder Inventarnummern (aktueller und vorheriger) und vor allem der Quelle dieser Informationen. Des Weiteren erscheint die Form der Datenbank zunächst als das probate Mittel zur Bereitstellung dieser Fakten, vorausgesetzt, die Daten unterliegen einer terminologischen Kontrolle. Für diese Aufbereitung der Informationen sollte gelten: „ […] metadata provides us with the Rosetta stone that will make it possible to decode information objects and their transformation into knowledge in the cultural heritage information systems of the future.”147 Dieses System der Zukunft wird im folgenden Kapitel behandelt; Stichworte sind dabei das Semantic Web, semantische Integration und Ontologien. 145 International Conference. (2001). S.18. 146 Leser/Naumann: Informationsintegration. S.280/281. 147 Introduction to Metadata. (2008). Kap. Setting the Stage. S.19. 59 4 Eine Zukunftsperspektive –Semantic Web und Provenienzforschung In den vorherigen Kapiteln wurde dargestellt, dass sich die Provenienzforschung als Forschungsrichtung noch nicht im Stadium der „Normalwissenschaft“ befindet. Denn „die Forscher innerhalb einer Normalwissenschaft bilden eine Gemeinschaft, die sich am gemeinsamen Paradigma orientiert und die auch über die vom Paradigma gesteuerte ebenfalls gemeinsame Terminologie verfügt.“148 Wenn man nun Paradigma als eine gemeinsame, historische Wissensbasis und eine gemeinsame Herangehensweise definiert, erfüllt die Provenienzforschung dieses bisher nur teilweise: Eingebettet in die Forschungsarbeit der einzelnen Gedächtnisinstitutionen, folgt sie einem historisch und institutionell bedingten Konsens. Aus diesem Kontext herausgehoben, beginnt sie durch kooperative Projekte wie die CCP Datenbank und auch Lostart ebenfalls einen Konsens und ein gemeinsames Vorgehen zu etablieren. Es formt sich demnach zusehends ein Paradigma in Bezug auf die korrekte Forschungsweise. In der kollektiv zu verwendenden Terminologie hingegen mangelt es noch an Einigung. Letzteres ist der komplexen Struktur einer Beschreibung eines derartigen Objektes und ebenso den institutionellen Eigenarten von Objektbeschreibung zuzuschreiben. Folglich bedarf es einer Lösung, die dieser vielfältigen Problematik entgegenwirken kann. In dieser Arbeit wird diesbezüglich die These vertreten, dass die Erstellung einer Ontologie ein probates Mittel zur Beseitigung divergierender Terminologien darstellt. Damit verbunden ist auch die Integration in das Semantic Web, dessen Möglichkeiten bezüglich maschineller Datenaufbereitung einen erheblichen Mehrwert für die Provenienzforschung und seine komplexen Fragestellungen bieten würden. 4.1 Ontologien Die einleitend dargestellte Problematik deutet bereits daraufhin, dass die Strukturierung und Organisation von Wissen die zentrale Fragestellung ist. Wissensordnung wird auch synonym zu Dokumentationssprache verwendet; darunter sind die Indexierung mit Schlagwörtern oder Stichworten, der Thesaurus und Klassifikationen zu verstehen.149 Die Ontologie wird diesen Methoden der Wissensordnung zugeordnet, jedoch erhält sie auf Grund einiger Besonderheiten eine Sonderstellung. Diese Merkmale gilt es im folgenden Kapitel darzustellen und die Erstellung einer Ontologie für die Provenienzforschung theoretisch zu durchlaufen. 148 Stock, Wolfgang G./Stock, Mechthild: Wissensrepräsentation. Informationen auswerten und bereitstellen. München: Oldenbourg, 2008. S.30. 149 Siehe: Grundlagen. (2004). Bd. 2. Glossar: Dokumentationssprache. S.29 60 4.1.1 Grundsätzliches zu Ontologien Den Rahmen für eine Definition einer Ontologie stellen in diesem Zusammenhang die Informatik und Computerwissenschaft. Damit ist ein Fokus auf die maschinelle Verarbeitung solcher Begriffswelten gelegt. Dennoch hat die Philosophie als Begründer einer ontologischen Weltsicht erheblichen Einfluss auf die „moderne“ Definition einer Ontologie: Der „Lehre vom Sein“ liegt die These zugrunde, dass die Welt aus spezifischen Objekten besteht, welche auf Grund gemeinsamer Merkmale in abstrakte Klassen zusammengefasst werden können.150 Es gilt innerhalb dieser Arbeit nachstehende Definition: Eine Ontologie ist eine „explicit specification of a conceptualization, which is, in turn, the objects, concepts, and other entities that are presumed to exist in some area of interest and the relationships that hold among them.”151 Laut dieser Definition sind die grundlegenden Eigenschaften und Bestandteile einer Ontologie folgende: Durch Konzeptualisierung und Spezifikation Wissen eines bestimmten Anwendungsbereichs in dessen relevante Begriffe (Konzepte) einzuteilen, zu definieren und in Beziehung zu setzen; über diese Konzepte ist sich die beteiligte Gemeinschaft einig. Somit besteht eine Ontologie im Wesentlichen aus Konzepten, Relationen zwischen diesen und zwischen Instanzen.152 Eine Ontologie wird auch als „Wissensmodell mit hoher semantischer Reichhaltigkeit“153 bezeichnet, weil sie alle Eigenschaften von Thesauri, Taxonomien oder einem Wörterbuch vereint: „[…] defining concepts like a dictionary, establishing relationships like a thesaurus, and providing categorization for concepts like a taxonomy.“154 Das bedeutet, dass die hier genannten Dokumentationssprachen offensichtlich für sich allein genommen einen komplexen Sachverhalt nicht beschreiben können, weil ihnen die Ausdrucksstärke in ihrer Konzepti- 150 Grigoris, Antoniou/Van Harmelen, Frank: A Semantic Web Primer. 2. Aufl. Massachusetts: Institute of Technology, 2008. S.10/11. 151 Gruber, Tom: Ontology. Eintrag in: Encyclopedia of Database Systems. Hrsg. v. Ling Liu and M. Tamer Özsu. Springer, 2008. [www.tomgruber.org (25.03.10)]. 152 Semantic Web Services. Concepts, Technologies and Applications. Hrsg. v. Rudi Studer/Stephan Grimm/Andrea Abecker. Berlin/Heidelberg: Springer, 2007. S.70/71. 153 Pellegrini, Tassilo/Blumauer, Andreas: Semantic Web. Wege zur vernetzten Wissensgesellschaft. Berlin/Heidelberg: Springer, 2006. S.15. 154 King, Brandy E./Reinold, Kathy: Finding the Concept, Not Just the Word: A librarian`s guide to ontologies and semantics. Oxford: Chandos Publishing, 2008. S.10/11 -- Stock (S.42) weist darauf hin, dass eine Ontologie in Kongruenz zur Größe seiner Wissensdomäne steht; d.h. die Komplexität der Relationen lässt nur die Beschreibung eines beschränkten, speziellen „Weltausschnitts“ zu. 61 on fehlt. Dies bezieht sich auf die Möglichkeit, Relationen vielfältig darstellen zu können und auch Bedingungen für bestimmte Zusammenhänge auferlegen zu können. Eine Ontologie bietet somit nicht nur das Potenzial eines strukturierten Vokabulars, sondern auch der Darstellung von Beziehungen zwischen Konzepten. Eine damit angedeutete, aber ausschlaggebende Eigenschaft einer Ontologie ist die Fähigkeit zum automatischen Schließen (Reasoning)155. Erreicht wird dieses durch den Einsatz von sogenannten Beschreibungslogiken (DL=description logic). Sie entstammen der formalen Logik und ermöglichen durch Einbeziehung der hinterlegten Begriffe und deren Relationen eine Aussage auf Grund bestimmter Bedingungen.156 Eine weitere Spezifizierung erfolgt durch die Einteilung nach ihrer Art, d.h. es sind TopLevel-Ontologien von domänenspezifischen Ontologien zu unterscheiden.157 Letztere stehen im Fokus dieser Arbeit – auf sie trifft das bisher Gesagte zu, weil sie eine „formale Konzeptualisierung eines begrenzten Anwendungsbereichs“158 darstellen. Sie wurden mit einer bestimmten Intention erstellt, sind somit ihrer Verwendung eingeschränkt und ermöglichen dadurch wiederum eine Konsensfindung über die Begrifflichkeiten in der Gemeinschaft. In einer Top-Level-Ontologie hingegen werden fundamentale Begriffe definiert und in Beziehung gesetzt; sie spiegeln demnach ein großes Spektrum von Konzepten wieder, wodurch das Gestalten einer gemeinsamen Basis erschwert wird.159 4.1.2 Designprinzipien einer Ontologie – Ein theoretischer Entwurf Als „Ontology Engineering“ wird die Entwicklung einer Ontologie bezeichnet – dieses soll in diesem Kapitel theoretisch durchgeführt werden.160 Die Ausgangssituation gestaltet sich derart, dass es noch keinen Entwurf zu einer Ontologie der Provenienzforschung gibt und man von einer „nebulous group of ideas“ hin zu einem „organized web of related concepts representing a specific domain“ gelangen möchte. 155 „Reasoning [bedeutet] das Ziehen von vernünftigen, begründeten, nachvollziehbaren Schlüssen. Dazu verwendet man grundsätzlich formale Systeme.“ (Hitzler, Pascal et al.: Semantic Web. Grundlagen. Berlin/Heidelberg: Springer, 2008. S.489). 156 Stock/Stock: Wissensrepräsentation. (2008). S.255. 157 Leser/Naumann: Informationsintegration. (2007). S.276. 158 Leser/Naumann: Informationsintegration. (2007). S.276. 159 Leser/Naumann: Informationsintegration. (2007). S.276. 160 Wenn nicht anders angeben, im Folgenden angelehnt an King/Reinold: Finding the Concept. (2008). Insbesondere Kap. 3 “Creating an ontology”, S.35-52. 62 Der erste Schritt besteht aus der Beantwortung von grundlegenden und vorbereitenden Fragen: Wer ist die Zielgruppe und warum wird sie diese Ontologie benutzen? Welche Fragen könnten gestellt werden? Für die Domäne der Provenienzforschung stellt zunächst das Personal der betreffenden Institutionen die Zielgruppe dar; sie sind diejenigen, die eine solche, kontrollierte Begriffswelt in ihrer Arbeit konkret nutzen werden. Deshalb könnten sich deren Fragen auf die Terminologie einerseits und die dargestellten Sachverhalte andererseits beziehen, wie zum Beispiel: War dieses Kunstwerk des Künstlers X in der Zeit von 1933 bis 1945 im Besitz einer Privatperson? Oder einer Institution? Weist diese Nummer auf eine Auktion hin? Gehörten diese Bücher zu dem Konvolut, welches 1938 aus München in das Lager XY versendet wurde? Viele weitere Fragen sind möglich, es ist außerdem zu bedenken, dass sich auch Wissenschaftler außerhalb von diesen Institutionen oder die Privatwirtschaft mit ähnlichen Fragen und Ansprüchen an diese Ontologie richten werden.161 Sind die Zielsetzung und die Ansprüche geklärt, beginnt bereits die Phase der Begriffssammlung. Ein Vorgehen stellt das klassische Brainstorming dar, allein oder in einer Gruppe. Alternativ oder ergänzend sind das Studium relevanter Dokumente und die Extraktion von Substantiven, die der zu beschreibenden Domäne entsprechen, anzuwenden. Dieser Schritt soll zunächst nur eine grobe Generierung von Begriffen ergeben. In Bezug auf die Provenienzforschung sind die Ergebnisse der getätigten Untersuchung ebenfalls einsetzbar; das Prinzip entspricht ungefähr der Extraktion von Begriffen aus Dokumenten, in diesem Fall betrifft es jedoch Datenbankeinträge in großen Mengen. Dennoch stellen die gewonnenen Metadaten und Werte bereits wichtige Anhaltspunkte und auch konkrete Beispiele von domänenspezifischem Wissen dar. Diese Form der Wissensgewinnung wird auch als bottom-up Strategie bezeichnet, weil sie eben von vorhandenen Informationsressourcen ausgeht.162 Der nächste Schritt beinhaltet die Erstellung einer Taxonomie. Die gesammelten Begriffe geben Hinweise auf mögliche Kategorien163, d.h., unter Einbeziehung der semantischen Kon161 Je nach Einsatzgebiet wäre natürlich der Gebrauch durch Privatpersonen möglich, aber in dieser Arbeit wird die wissenschaftliche Forschung als vorrangiger Nutznießer betrachtet. 162 Semantic Web Services. (2007). S.110. 163 Eine Kategorie ist nicht weiter zu abstrahieren, d.h. der Begriff verfügt über ein Minimum an Merkmalen. (Stock/Stock: Wissensrepräsentation. (2008). S.57). 63 notation der Begriffe können bestimmte Gruppen festgestellt werden. Die Zuordnung zu einer solchen Gruppe geschieht auf Grund von Merkmalen (Intension), die ihnen gemein sind. Somit ergibt sich eine hierarchische Struktur in Form von Ober- und Unterbegriffen, deren Merkmale definiert sind. Diese „Eltern-Kind“ oder „is-a“ Relation ist konstituierender Bestandteil einer Taxonomie und in der Konsequenz auch einer Ontologie. Sie besagt, dass alle nachfolgenden Kategorien dieselben Merkmale tragen wie die jeweils übergeordnete Kategorie. Es muss erwähnt werden, dass einige Begriffe sich zunächst nicht in diese Hierarchie und die Kategorien einordnen lassen. Die Beseitigung dieses kritischen Punktes ist letztlich eine der Stärken einer Ontologie. Für den konkreten Anwendungsbereich der Provenienzforschung wären erneut die Werte aus der Untersuchung ein Ausgangspunkt für die Erstellung von Kategorien: Personen, Körperschaften, Geographie (=Orte), Zeit, Nummern, Quellen und die Sachworte könnten dafür nach weiterer Differenzierung verwendet werden. Im Kontext von Dokumentationssprachen sind die Inhalte der Werte als sogenannte Individualbegriffe zu bezeichnen, wie Namen von Personen, Organisationen oder Ländern, deren Extension genau ein Element aufweist.164 Die Ergänzung der Taxonomie um weitere Begriffe, generiert auf bereits angeführte Art und Weise und aus der Fragestellung heraus, bildet die nachfolgende Phase; dabei sollte beachtet werden, dass die Menge nicht die Übersichtlichkeit und Intention einschränkt. Ein wichtiger Vorgang liegt in der Definition der Begriffe. Dafür werden Wörterbücher, Fachlexika, Enzyklopädien, führende Abhandlungen oder Handbücher eingesetzt, wie auch schon bei der Begriffssammlung. Auf diese Art und Weise wird versucht, die Modellierung der Domäne auf Expertenwissen aufzubauen165, wobei sich die Zusammenarbeit mit Experten in dieser Phase grundsätzlich anbietet. Dies könnte in kooperativer Form, z.B. in distributiven Systemen wie es in Web 2.0 Technologien bereits üblich ist, geschehen. Normalerweise jedoch wird das Gespräch mit Experten gesucht, sodass durch die persönliche Beteiligung auch deren Bedürfnisse an eine Definition beachtet werden. Nicht zuletzt werden diese Experten 164 Stock/Stock: Wissensrepräsentation. (2008). S.56. 165 Semenova, Elena: Formalisierung einer Domäne als zentrale Fragestellung der Ontologieentwicklung. Theoretische Vorüberlegungen und praktische Erfahrungen bei der Entwicklung der Ontologie für die Wissenschaftsdisziplinen. In: Verfügbarkeit von Informationen. 30. Online-Tagung der DGI, 60. Jahrestagung der DGI ; Frankfurt am Main, 15. bis 17. Oktober 2008; proceedings. Hrsg. v. Marlies Ockenfeld. Frankfurt/M.: DGI, 2008. (=Tagungen der Deutschen Gesellschaft für Informationswissenschaft und Informationspraxis, Bd. 11) S.167. 64 auch die Nutzer der Ontologie sein. Diese Phase ist mit einer Erstellung eines Wörterbuches zu vergleichen. Der nächste Schritt orientiert sich an den Prinzipien eines Thesaurus, weil Synonyme oder andere Verweise zu der bisherigen Terminologie hinzugefügt werden. Bei der Strukturierung von Synonymen ist die Nutzerperspektive ein sinnvoller Blickwinkel, um dessen mögliche Suchanfragen und Begriffswelt zu berücksichtigen. In Kontext der Provenienzforschung ist dieser Punkt besonders für Namensvarianten relevant. Es folgt der schwierigste und anspruchsvollste Teil einer Ontologie Entwicklung. Es gilt die Beziehungen zu definieren, auf die Begriffe anzuwenden und damit die beabsichtigte Vernetzung zu erreichen. Als erstes sollte untersucht werden, welche Art von Relationen für die Konzepte gelten könnten: Beispielsweise umschreiben „Aktionen“, „Orte“ oder „Bestandteile“ verschiedene Formen der Beziehungen. Ergebnis der Relationsbeschreibung ist ein Tripel in Form von Subjekt, Prädikat und Objekt; schließlich hat jede Beziehung einen Ausgangsund Endpunkt. Somit könnten Ausdrücke für Relationen von Begriffen aus der Provenienzforschung folgendermaßen ausfallen: • Objekt X versteigert_von / verkauft_von / gekauft_von Person Y • Objekt X verlagert_nach / augestellt_in / verkauft_in Ort Z • Verkauf dokumentiert_in Quelle • Exemplarspezifika erstellt_von / nachgewiesen_auf Person Y / Objektteil x • Nummer steht_für / ist_ein/e Körperschaft, Organisation, Inventarnummer Ein wichtiger Aspekt hierbei ist die Möglichkeit der konzeptübergreifenden Zuordnung von Relationen. Zum einen können unsichere Begriffe eindeutig zugeordnet werden, zum anderen kann ein Begriff aus der einen Kategorie in eine andere Kategorie eingebunden werden. Die Erstellung des „web of concepts“ ist nun soweit gereift, dass eine Überprüfung durchgeführt werden kann. Weil die Ontologie noch nicht in eine Anwendung technisch eingebunden ist, genügt zunächst die Befragung Dritter. Deren thematischen Fragestellungen sollten mit Hilfe der Ontologie zu beantworten sein, auf fehlende Begriffe hinweisen und die Korrelation der Beziehungen testen. 65 Eine Revision der Ontologie muss regelmäßig durchgeführt werden, d.h. eine Überarbeitung auf Grund von Feedback oder Änderungen in der Fachterminologie. 4.1.3 Zwischenbilanz Das bisher beschriebene Ontologie Engineering hat die Implementierung166 in eine formale Sprache außen vorgelassen, weil hier die Vorgehensweise der Trennung von Konzeptualisierung und Formalisierung vertreten wird. In seinem Beitrag weist Nagypál auf die Gründe und Vorteile einer solchen Unterscheidung hin: „There are basically two motivations for doing [the separation]. One is the limited expression power of most of the ontology formalisms, the other is the need for communication between domain experts and ontology engineers.”167 Der erst genannte Punkt bezieht sich auf die gezwungene Anpassung an eine formale Ontologiesprache, was zu semantischen Verschiebungen, Wegfall ganzer Informationen und Beziehungen oder zu Kompromisslösungen führen kann. Außerdem sind die Lesbarkeit und auch die Ausdrucksstärke einer „Zwischenlösung“ viel höher. Das bedeutet zum Beispiel, dass Begriffe, die nicht in der formalen Sprache eingebunden wurden, bei einer Expansion oder Neuauflage erneut zur Diskussion gestellt werden können. Zu guter Letzt spricht es für eine vereinfachte Beteiligung der Experten, weil diese selten gleichzeitig über Kenntnisse des Ontologiedesign verfügen. Gerade für die Ansprüche der Provenienzforschung ist die Zusammenarbeit mit den Experten eine essentielle Herangehensweise. Die Gründe liegen darin, dass es noch kein standardisiertes Vokabular für diesen Bereich gibt und somit die Begriffe erst noch gefunden und definiert werden müssen. Das erklärte Ziel bleibt nämlich, dass die Ontologie genau diesem Problem entgegenwirkt. Des Weiteren bleibt es eine besondere Situation, dass in diesem Punkt Experten aus allen drei Gedächtnisinstitutionen mitwirken müssen, um wissenschaftlich fundiertes Vokabular zu definieren. Deren Konsensfindung ist die größte Herausforderung und gleichzeitig die Voraussetzung für ein solches Vorhaben. Mit Hilfe der Untersuchung innerhalb dieser Arbeit ist angesichts der Beschreibungsvariationen der Bedarf einer Wissensmodellierung deutlich geworden. 166 Implementierung bedeutet in diesem Zusammenhang die Umsetzung der Konzeptualisierung einer Ontologie in eine formale Ontologiesprache wie z.B. OWL, welche letztlich die Verarbeitung durch Computer erst ermöglicht. (Vgl. Semantic Web Services. (2007). S.111). 167 Im Folgenden, bis Absatzende: Semantic Web Services. (2007). S.113. 66 Die Erstellung „anwendungsspezifischer Relationen“168 innerhalb einer Ontologie ist als eines der wichtigsten Argumente für diesen Aufwand zu betrachten. Komplexe Relationen zwischen den Konzepten und Instanzen zeichnen nämlich das Begriffsfeld der Provenienzforschung aus. Komplementiert wird dieses Argument durch die entstandenen „regelhaften Zusammenhänge“169, welche im technischen Einsatz „Antworten bereitstellen [können], ohne dass bestimmte Sachverhalte der Wissensmanagementanwendung bekannt sind.“170 Einen finalen Mehrwert gewinnt die Ontologie durch besagte Implementierung, denn „ontologies embody the results of academic research, and offer an operational method to put theory to practice in database systems,”171 respective im Semantic Web. 4.2 Eine Ontologie im Semantic Web 4.2.1 Das Semantic Web – Grundsätzliches Das Semantic Web basiert auf einer Idee von Tim Berners-Lee, der bereits das World Wide Web erfunden hat. Seit Beginn des 21.Jahrhunderts ist dieser Begriff Ausdruck einer Vision von einer „extension of the current [Web], in which information is given well-defined meaning, better enabling computers and people to work in coorperation.“172 Die bisherigen Schwachstellen des Web sind Anlass für diese Theorie: Die Nutzung einer Suchmaschine für einen komplexen Sachverhalt produziert momentan Ergebnisse, welche entweder zusammen mit den relevanten eine hohe Zahl von unerwünschten Dokumenten173 ausgibt oder auch keinerlei relevante Ergebnisse.174 Des Weiteren ist der Erfolg einer Suche 168 Pellegrini/Blumauer: Semantic Web. (2006). S.474. 169 Pellegrini/Blumauer: Semantic Web. (2006). S.474. 170 Pellegrini/Blumauer: Semantic Web. (2006). S.474. 171 Gruber: Ontology. (2008). 172 Berners-Lee, Tim/Hendler, James/Lassila, Ora: The Semantic Web. A new form of Web content that is meaningfull to computers will unleash a revolution of new possibilities. In: Scientific American Magazine (284), 17.März, 2001. 173 Dieser Zusammenhang wird auch mit Recall (Vollständigkeit) und Precision (Genauigkeit) bezeichnet. Es handelt sich dabei um Werte, die die Effektivität von Retrievalergebnissen beschreiben bzw. messen. Recall steht somit für die Anzahl der gefundenen relevanten Treffer auf eine Anfrage, dividiert durch die Anzahl der Gesamttreffer. Precision bezieht sich auf den Wegfall von „Ballastdokumenten“, als Quotient aus der Menge der relevanten und der gesamten gefundenen Dokumente. (Siehe: Grundlagen. (2004). Bd. 2. Glossar: Vollständigkeit. S.128; Genauigkeit. S.44). 174 Grigoris/Van Harmelen: A Semantic Web Primer. (2008). S.1/2. 67 immer abhängig von der korrekten Begriffswahl, weil kein einheitliches Vokabular verwendet wird und somit Relevantes nicht gefunden werden könnte.175 Dies ist damit zu begründen, dass die Extraktionstechnik der Suchmaschinen letztlich „auf der Lokalisierung von Zeichenketten in Text“176 basiert. Weiterhin verursacht die Heterogenität der im Web befindlichen Informationen eine Notwendigkeit der manuellen Zusammenführung von relevanten Dokumenten. Dies ist auch als Problem der Informationsintegration zu bezeichnen.177 Damit verbunden ist der Aspekt des impliziten Wissens, welches auf Grund dieser Situation entstehen kann. Die Gewinnung von Information ist das Ziel bei einer Recherche; wenn diese nun nicht explizit in den Quellen dargelegt wird, kann eine intellektuelle Leistung des Nutzers dieses auf Grund seines bisherigen Wissens selbst zusammenfügen und es somit implizit entnehmen.178 Folglich liegt der Ursprung für die Idee für das Semantic Web in der Feststellung, dass das Web wie es heute existiert eine Unmenge an Daten bereithält, aber diese nicht maschinell derart aufbereitet sind, dass eine Bezugnahme und Zusammenstellung von Daten auf Grund ihrer Bedeutung, d.h. ihrer Semantik, möglich ist. Bisher leistet dies ausschließlich der Mensch.179 Das „semantische“ am Semantic Web ist insofern als die Annäherung an das menschliche Verstehen von Welt zu sehen und zwar mit Hilfe von „structured collections of information and sets of inference rules that [the computers] can use to conduct automated reasoning.”180 Für dieses Vorhaben werden die sogenannten semantischen Technologien wie das Resource Description Framework (RDF) und die Web Ontology Language (OWL) benötigt, um „Linked Data“ zu produzieren: „In summary, Linked Data is simply about using the Web to create typed links between data from different sources.”181 Deshalb wird das Semantic Web 175 Grigoris/Van Harmelen: A Semantic Web Primer. (2008). S.2. 176 Hitzler et al.: Semantic Web. (2008). S.10. 177 Hitzler et al.: Semantic Web. (2008). S.10. 178 Hitzler et al.: Semantic Web. (2008). S.11. 179 Hitzler et al.: Semantic Web. (2008). S.10 ff. 180 Berners-Lee et al: The Semantic Web. (2001). S.1. 181 Bizer, Christian/Heath, Tom/Berners-Lee, Tim: Linked Data – The Story so Far. [Preprint] [Online unter http://linkeddata.org/research (16.04.10)] Wird erscheinen in: Special Issue on Linked Data. International Journal on Semantic Web and Information Systems. (IJSWIS). 68 auch synonym als das „Web of Data” bezeichnet: „[…] Web of data, may more accurately be described as a web of things in the world, described by data on the Web.“182 4.2.2 Semantische Technologien Als Orientierungshilfe soll der sogenannte „layer cake“183 des Semantic Web dienen, der die Verhältnisse der Technologien untereinander verdeutlicht. An Hand dessen ist ersichtlich, dass das Semantic Web aus verschiedenen Schichten184 aufgebaut ist, von denen in diesem Kapitel RDF, RDF Schema und OWL als Ontologiesprachen genauer zu beschreiben sind. Die unterste Schicht des Semantic Web bilden der sogenannte Uniform Resource Identifier (URI) und die internationale Anwendungsform International Resource Identifier (IRI). Bereits bekannt aus dem heutigen Web ist der Uniform Ressource Locator (URL), der über das Datenübertragungsprotokoll Hypertext Transfer Protocol (http) oder das File Transport Protocol (ftp) die Adresse im Internet oder Dokumente aufruft. Eine URI hingegen ist als universeller Identifikator, auch losgelöst vom WWW, von abstrakten oder physischen Ressourcen zu verstehen185: „On the Semantic Web, URIs identify not just Web documents, but also real-world objects like people and cars, and even abstract ideas and non-existing things like a mythical unicorn. We call these real-world objects or things.”186 Jede Ressource besitzt somit eine URI, wobei der Inhalt oder die Form der Ressource irrelevant ist; wichtig ist lediglich die Referenzierbarkeit. URIs, respektive IRIs, und http sind die Voraussetzungen für die Realisierung von Linked Data und somit essentieller Bestandteil der semantischen Technologien.187 182 Bizer et al.: Linked Data. 183 Layer Cake: http://www.w3.org/2007/03/layerCake.png (25.04.10) 184 Dieser Aufbau ist nicht als final zu betrachten; Änderungen sind möglich. Diese Abbildung spiegelt jedoch den aktuellen Konsens wieder. 185 Geisler, Matthias: Semantic Web. Unterhaching: entwickler.press, 2009. S.21/22. 186 W3C zu URIs: http://www.w3.org/TR/2008/NOTE-cooluris-20081203/#intro (23.03.10). 187 Bizer et al.: Linked Data. 69 Abb. 8 Semantic Web Layer Cake 4.2.2.1 RDF und RDF Schema RDF ist ein „vom Web unabhängiges Datenmodell, das aber vor allem zur Beschreibung von im Web erreichbaren Ressourcen verwendet wird.“188 Die Beschreibung von Ressourcen erfolgt in Form von Aussagen (Statements), die ein Subjekt (Ressource), Eigenschaften (Prädikat) und einen Wert (Objekt) beinhalten. Dieses ergibt einen gerichteten Graphen, der für den Menschen verständlich folgendermaßen aussieht und dem natürlichsprachlichen Satzbau (S-P-O) entspricht: Subjekt Prädikat Objekt Abb. 9 RDF-Statement Es werden fast alle Bestandteile dieses Statements über URIs referenziert, deshalb können diese Elemente wiederum zu einem Ausgangspunkt für ein neues Tripel werden. Dieser Vorgang des „Aussagen über Aussagen machen“ wird als „Reifikation“189 bezeichnet. Somit un188 Leser/Naumann: Informationsintegration. (2007). S.300/301. 189 Semantic Web Services. (2007). S.84. 70 terscheidet sich ein Prädikat einzig in seiner aktuellen Verwendung von einem Subjekt. Ein Objekt ist ebenfalls entweder eine Ressource oder aber ein Literal, welches nicht mit einer URI ausgezeichnet wird. Unter Literalen sind „uninterpretierbare Zeichenketten“190 oder auch einfach „Datenwerte“ zu verstehen, beispielsweise Zahlen oder konkrete Namen. Wie diese zu interpretieren sind, wir durch Datentypen festgelegt.191 RDF in dieser Form bietet zunächst nur eine Syntax, mit welcher „anybody can state anything about any resource.“192 Diesen einfachen Zeichenketten ohne feste Bedeutung kann nun mit einem Vokabular wie RDF Schema „terminologisches Wissen“193 zugeordnet werden. RDFS ist universell angelegt, d.h. es ist möglich „innerhalb eines RDFS-Dokuments Aussagen über die semantischen Beziehungen der Termini eines beliebigen nutzerdefinierten Vokabulars zu machen,“194 denn angesichts der unterschiedlichen Applikationen, Softwaresysteme, Wissensdomänen usw. bedarf es einer semantischen Aufbereitung der Tripel im spezifischen Kontext. Das bedeutet, RDF stellt die „Fakten“ für RDFS, indem es sogenanntes „assertionales Wissen“ generiert, „welches Aussagen über die konkreten Dinge des Gegenstandsbereichs trifft.“195 RDFS hingegen strukturiert und grenzt die Verwendung dieser Aussagen ein und benutzt dafür folgende Elemente196: • Klassen: rdfs:Resource, rdfs:Class, rdfs:Literal, rdf:Property, rdf:Statement Die Einteilung in Klassen ist ein essentieller Bestandteil von RDFS. Deren Benennung ist spezifiziert durch das besagte „terminologische Wissen“. • Eigenschaften (Properties): rdf:type, rdfs:subClassOf, rdfs:subPropertyOf Die Klassen stehen in Beziehung zueinander, wie z.B. im Verhältnis von Ober- und Unterklasse. Eine Klasse kann mehreren Oberklassen zugehören. Eine Ressource wird durch das Element rdf:type einer Klasse zugewiesen, wodurch sie zu einer Instanz dieser Klasse wird 190 Leser/Naumann: Informationsintegration. (2007). S.308. 191 Hitzler et al.: Semantic Web. (2008). S.39. 192 Semantic Web Services. (2007). S.84. 193 Hitzler et al.: Semantic Web. (2008). S.67. 194 Hitzler et al.: Semantic Web. (2008). S.67. 195 Pellegrini/Blumauer: Semantic Web. (2006). S.83. 196 Wenn nicht anders angegeben, im Folgenden: Grigoris/Van Harmelen: A Semantic Web Primer. (2008). S.88-91. 71 und alle Eigenschaften erbt. Durch rdfs:subPropertyOf können auch Eigenschaften in eine Hierarchie gebracht werden. • Einschränkende Eigenschaften (Property Restriction): rdfs:domain, rdfs:range Einmal zugewiesen, gilt die Restriktion einer Eigenschaft aufs weitere. Die Einschränkung kann sich auf den Definitionsbereich (rdfs:domain) oder auf den Wertebereich (rdfs:range) beziehen.197 Ein Beispiel soll dies verdeutlichen: Es wird ausgesagt, sobald eine Ressource die Eigenschaft „Inventarnummer“ trägt, diese als „Sammlungsobjekt“ mit einem Literal zu interpretieren ist:198 <rdf:Property rdf:ID=“Sammlungsobjekt“ <rdfs:domain rdf:resource=”#Inventarnummer”/> <rdfs:range rdf:resource=”&rdf;Literal”/> </rdf:Property> Es existieren noch weitere mögliche Elemente, diese sind jedoch für das weitere Verständnis nicht von großer Bedeutung.199 Ein weiteres Beispiel dient der Visualisierung200 des Verhältnisses von RDF und RDFS und deren Elemente: 197 Hitzler et al.: Semantic Web. (2008). S.76. 198 Dieses Beispiel ist angelehnt an den Semantic Web Primer (S.90), die Inhalte sind lediglich der Thematik angepasst. Es kann im Rahmen dieser Arbeit nicht geleistet werden, zusätzlich zu den Elementen auch die Schreibweise solcher Beispiele ausführlich zu erläutern. Hilfreich ist dafür das bereits viel genutzte Grundlagenbuch von Pascal Hitzler. 199 Zur Vertiefung seien „Grigoris/Van Harmelen: A Semantic Web Primer. (2008).“ und „Hitzler et al.: Semantic Web. (2008).“ empfohlen. 200 Entnommen aus: Grigoris/Van Harmelen: A Semantic Web Primer. (2008). S.88. 72 Abb. 10 RDF und RDFS RDF Schema mangelt es jedoch in einigen Punkten an Ausdrucksstärke: Restriktionen des Wertebereiches einer Klasse können nicht auf eine spezielle Klasse angewendet werden. Boolesche Kombination und die Disjunktion von Klassen kann nicht ausgedrückt werden. Spezielle Eigenschaften wie Transitivität oder Symmetrie sind nicht vorgesehen.201 Trotz allem ist RDFS bereits für die Darstellung von simplen Ontologien (lightweight ontology) geeignet und ermöglicht durch Referenzierbarkeit einen ersten Weg zu einem semantischen Beziehungsgeflecht der Ressourcen im Web. 4.2.2.2 OWL Für komplexe Beschreibungen hingegen wird die Web Ontology Language verwendet. OWL begründet sich auf RDF und RDF Schema (RDFS)und verwendet auch deren Syntax; somit ist an dieser Stelle Kompatibilität gegeben, zumindest in der Teilsprache OWL Full, und es finden sich viele Elemente mit dem Namensraum rdf(s). Der ausschlaggebende Vorteil in 201 Grigoris/Van Harmelen: A Semantic Web Primer. (2008). S.116. 73 der Verwendung von OWL liegt in seiner Ausdrucksstärke, welcher durch eine Erweiterung der RDFS Bestandteile erreicht wird. Hinzu kommt die ausgeprägte, charakteristische Fähigkeit zum Reasoning, das durch die Zugrundlegung einer Prädikatenlogik202 erst ermöglicht wird. Des Weiteren deutet sich in der Nennung der Elemente von OWL bereits ein Unterschied zu RDFS an, der ebenfalls zur Ausdrucksstärke beiträgt. Die Grundbausteine von OWL werden mit Klassen, Properties203 und Individuen204 bezeichnet – letztere sind in RDFS kaum bis gar nicht von Klassen unterscheidbar, dies ist in OWL hingegen wesentlich differenzierter möglich.205 Genutzt dafür werden die sogenannten Konstruktoren, welche der formalen Logik entstammen und in der Syntax von RDFS oder OWL ihre Entsprechung finden.206 Erst diese Grundlage macht eine automatisierte Verarbeitung durch einen Agenten, d.h. eine Software, durchführbar. Es sei darauf hingewiesen, dass es seit Ende 2009 eine Erweiterung von OWL gibt, welche in die Erläuterungen nun einfließen wird: OWL 2207. Die ergänzten Konstrukte aus OWL 2 zielen auf einige Schwachstellen von OWL 1 im Bereich der Syntax und auch der Ausdrucksstärke ab; an der grundsätzlichen Struktur und Funktionalität dieser Ontologiesprache hat die Revision jedoch kaum etwas geändert. Ein Unterschied liegt jedoch darin, dass in OWL 2 keine URIs mehr verwendet werden, sondern der bereits erwähnte International Resource Identifier (IRI)208. Dieser verwendet anstelle des ASCII Codes nun Unicode, um auch nichtenglischsprachigen Ländern die Identifikation von Ontologien zu ermöglichen. 202 Hitzler et al.: Semantic Web. (2008). S.125. 203 Properties (zu dt. Eigenschaften) werden auch als „Rollen“ bezeichnet (Vgl. Hitzler et al.: Semantic Web. (2008). S.129). Für diese Darstellung von OWL wird jedoch weiterhin „Properties“ verwendet. 204 Individuen sind konkrete „Dinge“, Einzelobjekte, der Welt, die durch die Zuordnung zu einer Klasse zu einer Instanz werden. Jedes Individuum ist somit eine Instanz einer Klasse und besitzt Eigenschaften, die sie aus der Klasse erbt. Alle Individuen einer Klasse bilden dessen Extension. [Vgl. W3C OWL: http://www.w3.org/TR/2004/REC-owl-guide-20040210/#DefiningIndividuals (02.04.10)]. 205 Semantic Web Services. (2007). S.88. 206 Hitzler et al.: Semantic Web. (2008). S.165. 207 Im Folgenden, W3C OWL2: http://www.w3.org/TR/owl2-new-features/#ref-who (18.04.10). 208 Diese werden insbesondere relevant, wenn ein modularer Import einer Ontologie vorgenommen werden soll. Einerseits identifiziert eine IRI die Ontologie als solche, des Weiteren können darüber auch Versionierungen verwaltet werden. 74 Es folgt nun eine annotierte Auflistung der OWL 1 Elemente, mit einem hochgestellten Stern sind die OWL 2 Elemente gekennzeichnet:209 • Header (Kopf) = Wurzelelement: Es werden die Namensräume angegeben, auf welche sich Objekte ohne Präfixe beziehen können. rdf:RDF xmlns ="http://www.example.org/" xmlns:rdf ="http://www.w3.org/1999/02/22-rdf-syntax-ns#" xmlns:xsd ="http://www.w3.org/2001/XMLSchema#" xmlns:rdfs="http://www.w3.org/2000/01/rdf-schema#" xmlns:owl ="http://www.w3.org/2002/07/owl#"> Weitere Angaben unter owl:Ontology können Versionierung, Kommentare oder Import weiterer Ontologien betreffen. <owl:Ontology rdf:about=""> <rdfs:comment rdf:datatype="http://www.w3.org/2001/XMLSchema#string" >SWRC Ontologie in der Version vom Dezember 2005</rdfs:comment> <owl:versionInfo>v0.5</owl:versionInfo> <owl:imports rdf:resource="http://www.example.org/foo"/> <owl:priorVersion rdf:resource="http://ontoware.org/projects/swrc"/> </owl:Ontology> • • Klassen: owl:Class – werden durch rdf:about oder rdf:ID210 benannt und entsprechen den Konzepten einer Taxonomie. Bsp.: <owl:Class rdf:about="Professor"/> vordefiniert sind owl:Thing (Jede Klasse ist eine davon Unterklasse; beinhaltet alles) und owl:Nothing (Ist eine Unterklasse jeder anderen Klasse). Ähnliches Prinzip auch bei Properties: owl:topObjectProperty* owl:bottomObjectProperty* owl:topDataProperty* owl:bottomDataProperty* Klassenbeziehungen owl:subClassOf = transitive Beziehung zw. Klassen. 209 Im Folgenden verwendet: Grigoris/Van Harmelen: A Semantic Web Primer. (2008). S.119-131 -Hitzler et al.: Semantic Web. (2008). S.125-157 – W3C OWL1: http://www.w3.org/TR/2004/RECowl-guide-20040210/ (02.04.10) – W3C OWL2: http://www.w3.org/TR/owl2-new-features/#ref-who (18.04.10). 210 Hier gilt die Einschränkung, dass ein Wert von rdf:ID in Bezug auf eine URI nur einmal verwendet werden darf. Bei rdf:about darf beliebig oft auf eine URI verwiesen werden. Dies ist für die Einbindung anderer Ontologien relevant, weil es keiner neuen Klasse zur Definition bedarf, sondern integriert werden kann. (Vgl. Hitzler et al.: Semantic Web. (2008). S.47). 75 owl:disjointWith = Unterschiede von Klassen bzgl. ihrer Instanzen. owl:equivalentClass = zwei Klassen besitzen dieselben Instanzen. owl:disjointUnion* = definiert eine Klasse als eine Einheit von anderen Klassen. • owl:disjointClasses* = alle Klassen eines Sets sind paarweise disjunkt. Klassendefinition Name/Referenz + Liste von Restriktionen = Klassendefinition. Bsp.: <owl:Class rdf:about="Pruefung"> <rdfs:subClassOf> <owl:Restriction> <owl:onProperty rdf:resource="hatPruefer"/> <owl:allValuesFrom rdf:resource="Professor"/> </owl:Restriction> </rdfs:subClassOf> </owl:Class> owl:Restriction gibt an, auf welche Property (owl:onProperty) die Einschränkung anzuwenden ist. Nachfolgend, Varianten der Einschränkung: owl:allValuesFrom owl:someValuesFrom owl:hasValue owl:cardinality owl:minCardinality owl:maxCardinality owl:oneOf, für Datentypen zusammen mit owl:DataRange owl:ObjectMinCardinality* owl:ObjectExactCardinality* owl:ObjectMaxCardinality* owl:DataMaxCardinality* owl:DataMinCardinality* owl:DataExactCardinality* owl:equivalentProperty = wie owl:equivalentClass bei Klassen, für die Gleichsetzung mit anderen Properties zu nutzen. • Property Elemente: Object Properties: verbinden Instanzen mit Instanzen anderer Klassen = owl:ObjectProperty Bsp.: WirdUnterrichtetVon & Unterrichtet (Invers) 76 Datatype Properties: Relation zwischen Instanzen und Datentypen = owl:DatatypeProperty Bsp.: „Telefon“, „Alter“, „Titel“, Vorname“ owl:NegativeObjectPropertyAssertion* und owl:NegativeDatatypePropertyAssertion* = Eine Eigenschaft trifft auf gege- bene Individuen nicht zu. owl:TransitiveProperty = Transitivität o P(x,y) und P(y,z) implizieren P(x,z) owl:SymmetricProperty = Symmetrie o P(x,y) wenn P(y,x) owl:FunctionalProperty = Funktionalität o P(x,y) und P(x,z) implizieren y = z owl:inverseOf = Inversion o P1(x,y) wenn P2(y,x) owl:InverseFunctionalProperty = Inverse Funktionalität o P(y,x) and P(z,x) implies y = z owl:ReflexiveObjectProperty* = Reflexivität; ObjectProperty gilt für alle Individuen. owl:IrreflexiveObjectProperty* = eine ObjectProperty trifft auf kein Individuum zu. owl:AsymmetricObjectProperty* = Asymmetrie • • Disjunktion von Properties können ausgedrückt werden über owl:DisjointObjectProperties* owl:DisjointDataProperties* owl:ObjectPropertyChain* = Eine Reihe von Properties können in einer Kette er- fasst werden. • owl:HasKey* = jede eindeutig benannte Instanz wird einmalig und eindeutig über eine Property identifiziert. • Beziehungen zwischen Individuen: owl:differentFrom = Verschiedenheit zweier Individuen. 77 owl:AllDifferent & owl:distinctMembers = Möglichkeit zur Darstellung von Indifferenz über mehrere Individuen hinweg. owl:sameAs = zwei Individuen sind in jeglicher Hinsicht identisch. owl:ObjectHasSelf* = Individuen beziehen sich über ein Object Property auf sich selbst • Datentypen: RDF und OWL 1/2 werden in XML serialisiert. Deshalb werden die definierenden Datentypen von XML Schema genutzt. Sie kodieren formal die Bedeutung des jeweiligen Elements. OWL 2 bietet in diesem Bereich weitere Möglichkeiten zu Restriktionen und Neubildungen.211 xsd:string xsd:boolean xsd:decimal xsd:float xsd:double xsd:dateTime xsd:time xsd:date xsd:gYearMonth xsd:gYear xsd:gMonthDay xsd:gDay xsd:gMonth xsd:hexBinary xsd:base64Binary xsd:anyURI xsd:token xsd:normalizedString xsd:language xsd:NMTOKEN xsd:positiveInteger xsd:NCName xsd:Name xsd:nonPositiveInteger xsd:long xsd:int xsd:negativeInteger xsd:short xsd:byte xsd:nonNegativeInteger xsd:unsignedLong xsd:unsignedInt xsd:unsignedShort xsd:unsignedByte xsd:integer Mit diesen Elementen beschrieben wurde bereits eine Variante, bzw. Teilsprache212, von OWL 1. • OWL Full enthält sämtliche OWL-Sprachkonstrukte in Kombination mit vielen Elementen aus RDF/S. Der einzige Vorteil ist, dass es voll kompatibel mit RDF ist, sowohl syntaktisch als auch semantisch. Ein erheblicher Nachteil ist seine Unentscheidbarkeit, was sich auf die Möglichkeit zum Reasoning bezieht. 211 Diese genauer zu beschreiben, würde den Umfang dieser Arbeit überschreiten. Es sei verwiesen auf die OWL 2 Recommendation unter http://www.w3.org/TR/owl2-new-features/#ref-who (18.04.10). 212 Grigoris/Van Harmelen: A Semantic Web Primer. (2008). S.117/118. 78 • OWL DL (Description Logic) schränkt die Verwendung der OWL Full Elemente soweit ein, dass sie entscheidbar213 und für den Computer zu verarbeiten ist. Ein Nebeneffekt dessen ist die nicht mehr gegebene Kompatibilität zu RDF. • OWL Lite ist noch restriktiver angelegt, besitzt somit die geringste Ausdrucksstärke. OWL DL ist die am häufigsten verwendete Variante. Es sollte jedoch bei der Entscheidung für eine Teilsprache von OWL bedacht werden, dass die Kompatibilität zu RDF, wie bei OWL Full, einen Vorteil für die Interpretation durch einen Agenten erbringt, weil das Spektrum der Lesbarkeit erweitert wurde. Demgegenüber steht die besagte Unentscheidbarkeit, was für die in dieser Arbeit behandelte Wissensdomäne ein Ausschlusskriterium darstellen würde. An diesem Punkt hat OWL 2 eine besondere Neuerung eingeführt. OWL Lite wurde als immer noch zu komplex angesehen und deshalb wurden aus ihr drei weitere Teilsprachen entwickelt, die diese Differenzen aufbrechen: OWL EL, OWL QL und OWL RL. Deren Potenzial liegt nun in wesentlich differenzierteren Restriktionen und in deren Ausdrucksstärke.214 4.2.3 Verwendung der OWL Elemente im Kontext der Provenienzforschung Auf Grund der Situation, dass es noch keine Ontologie für die Provenienzforschung gibt, kann eine Implementierung in OWL nur äußerst abstrakt und theoretisch ausfallen. Des Weiteren kann kein Anspruch auf Korrektheit oder Vollständigkeit erhoben werden. Die beschriebenen Konstruktoren können nun für die Darstellung komplexer Sachverhalte wie z.B. die Provenienz des Guardi Gemäldes (s. Kap. 2.3.4) eingesetzt werden. Zunächst könnten die Werte aus der Untersuchung für die Bildung von Klassen genutzt werden: owl:Class rdf:about=“#Person“ owl:Class rdf:about=“#Körperschaft“ owl:Class rdf:about=“#Ort“ owl:Class rdf:about=“#Quelle“ usw. Diese Sammlung sollte ergänzt werden durch die Klasse der „Objekte“, da sich die zu beschreibenden Individuen keiner der angeführten Klassen zuordnen lassen: owl:Class rdf:about=“#Objekte“. Es ist anzunehmen, dass die Klasse „Objekte“ einer weiteren Hie- rarchisierung bedarf, weil es sich dabei nicht nur um Werke der Malerei sondern auch um Akten und Bücher handeln kann. Diese Klassen sind noch wesentlich weiter zu differenzieren, wie z.B. in die Unterklassen „Monographie“, „Nachlass“, „Skulptur“ oder „Plastik“. Die- 213 Entscheidbarkeit heißt, ein Algorithmus kann berechnen, ob eine Aussage gefolgert werden kann. (Vgl. Hitzler et al.: Semantic Web. (2008). S.153). 214 Vgl. W3C OWL2: http://www.w3.org/TR/2009/REC-owl2-profiles-20091027/ (19.04.10). 79 se Einteilung könnte sich sinnvollerweise an der bereits genutzten Terminologie der Gedächtnisinstitutionen orientieren. Um dem Beispiel des Guardi Gemäldes zu folgen, würde die Aussage, dass „Gemälde“ eine Unterklasse von „Objekten“ sind, folgendermaßen aussehen: <owl:Class rdf:about="Objekte"> <rdfs:subClassOf rdf:resource="Gemälde"/> </owl:Class> Alternativ könnte anstelle von „Gemälde“ auch „Akte“, „Buch“ oder auch „Malerei“ stehen. Dies würde von der Konzeptualisierung der Ontologie und den dort gewählten Begriffen und Konzepten abhängen. Auf dieser Ebene könnten die anderen Klassenbeziehungen wie owl:disjointWith und owl:equivalentClass für weitere Spezifizierungen eingesetzt wer- den. Es wäre z.B. möglich durch owl:disjointWith festzulegen, dass „Gemälde“ nicht unter die Klasse der „Bücher“ fallen. Nützlich wird eine solche Unterscheidung, wenn ein Kunstwerk den gleichen Namen tragen sollte wie ein Buch. Im nächsten Schritt ist das spezifische Gemälde mit dem Titel „Palasttreppe“ in die Klasse „Gemälde“ einzuordnen: <rdf:Description rdf:about="Palasttreppe"> <rdf:type rdf:resource="Gemälde"/> </rdf:Description> Im Folgenden wäre noch zu verdeutlichen, dass „Gemälde“ einem „Museum“ zuzuordnen sind, dass sie einen „Titel“ tragen und dieser eine Zeichenfolge darstellt. <owl:ObjectProperty rdf:about="Zugehörigkeit"> <rdfs:domain rdf:resource="Gemälde"/> <rdfs:range rdf:resource="Museum"/> </owl:ObjectProperty> <owl:DatatypeProperty rdf:about="Titel"> <rdfs:domain rdf:resource="Gemälde" /> <rdfs:range rdf:resource="&xsd;string"/> </owl:DatatypeProperty> An diesem Punkt wäre eine saubere Definition der einzelnen Properties unerlässlich, wie z.B. die Deklaration von „Palasttreppe“ als „Titel“ eines „Gemäldes“. Dies kann im Rahmen dieser Arbeit jedoch nicht geleistet werden. Vielmehr soll das Verständnis der Zusammenhänge innerhalb von OWL befördert und der daraus resultierende Mehrwert für die Provenienzforschung deutlich werden. 80 Eine weitere Klasse ist dafür genauer zu untersuchen: „Personen“ können in diesem Fall als „Hersteller“ (=Autor, Künstler, Verfasser usw.), aber auch als „Mitarbeiter“ oder „Verantwortlicher“ einer „Körperschaft“, verstanden werden. Somit würde der Künstler „Francesco Guardi“ als Instanz der Klasse „Person“ deklariert und durch die Eigenschaft owl:FunctionalProperty als „IstHerstellerVon“ ausgewiesen: <owl:ObjectProperty rdf:about="istHerstellerVon"> <rdf:type rdf:resource="&owl;FunctionalProperty"/> </owl:ObjectProperty> <Person rdf:about="Francesco Guardi"> <istHerstellerVon rdf:resource="Palasttreppe"/> </Person> Wenn auf demselben Weg ein Buch über den Künstler Guardi beschrieben ist, wäre ein Agent fähig, durch Inferenz das Vorhandensein einer solchen Publikation nachzuweisen; vorausgesetzt, die bibliothekarische Beschreibung definiert Guardi ebenfalls als eine Instanz. Um den Bogen zur Provenienz dieses Gemäldes zu spannen, würde sich eine Deklaration weiterer Properties anbieten, wie z.B. „Verlagerung“ als Sachverhalt. Eine Möglichkeit besteht darin, dass mit owl:someValuesFrom ausgesagt wird, dass nur auf einige Instanzen dieser Klassen eine Eigenschaft zutrifft. Diese Eigenschaft könnte mit „Entwendet“ oder „WurdeVerlagert“ benannt sein. <owl:Class rdf:about=“#Objekte“> <rdfs:subClassOf> <owl:Restriction> <owl:onProperty rdf:resource=”#WurdeVerlagert”/> <owl:someValuesFrom </owl:Restriction> </rdfs:subClassOf> </owl:Class> Sobald diese Eigenschaft mehreren Objekten zugeordnet wurde, d.h. sowohl für Bücher als auch Akten und Musealien gilt, und diese wiederum in weiteren Beziehungen zu anderen Instanzen stehen, eröffnet sich ein semantisches Netz. Dieses zu durchforsten und zu interpretieren, ermöglicht die formale Logik von OWL. Dadurch können ebenfalls die Konsistenz von Ontologie und Wissen überprüft werden, Instanzen automatisch klassifiziert und nicht zu Letzt besagtes „implizites Wissen“ abgeleitet werden.215 Dies könnte kaum in diesem Umfang manuell geleistet werden. 215 Grigoris/Van Harmelen: A Semantic Web Primer. (2008). S.115. 81 Ein Element aus OWL 2 erscheint im Kontext der Provenienzforschung besonders erwähnenswert: owl:HasKey enthält die Nummer zur eindeutigen Identifikation eines Individuums aus einer Klasse. Es könnte somit den Gemälden, und durch weitere Deklaration auch einem einzelnen, eine „Inventarnummer“ zugewiesen werden: owl:HasKey( :Gemälde) :HasInventarnummer Mit Hilfe dieser ersten Zusammenführung von OWL Elementen und den Konzepten der Provenienzforschung ist vorauszusehen, dass die Komplexität dieser Forschung in OWL durch die Vielzahl von Beschreibungsmöglichkeiten eine gute Entsprechung findet. 4.3 Resümee: Ontologien, OWL, Semantic Web und die Provenienzforschung Es ist deutlich geworden, dass die Konzeptualisierung einer Ontologie einerseits ein komplexes Unterfangen ist und andererseits eine Voraussetzung für die Gestaltung des Semantic Web darstellt. Auf die Provenienzforschung in der aktuellen Situation treffen nicht nur die Schwachstellen des Web voll zu, indem sie distributive Informationsressourcen zur Recherche nutzen müssen und gleichzeitig zur Verfügung stellen. Ebenfalls immanent ist ihnen die Unsicherheit in der Dokumentation von Provenienzforschung in Bezug auf Begriffe (semantische Heterogenität) und Publikationsform (strukturelle Heterogenität). Zumindest die semantische Heterogenität könnte mit einer Realisierung in OWL aufgelöst werden – in struktureller Hinsicht müssten verschiedene Modelle der Publikation zur Debatte gestellt werden. Als erster Schritt steht jedoch das Ontology Engineering im Vordergrund, um die Klassen, Instanzen und Properties eindeutig benennen zu können, d.h., das Vokabular dieser Domäne zu entwickeln. Ergänzend kann ein Mapping bereits vorhandener Thesauri, Taxonomien oder Vokabulare in SKOS216 (Simple Knowledge Organization System) hilfreich sein, welches die Syntax von RDF oder OWL benutzt. Die Ausgangslage für die Entwicklung von SKOS war, dass Dokumentationssprachen grundsätzlich eine ähnliche Struktur aufweisen, wie Oberbegriff, Synonym Verweise, Hierarchie usw. Deshalb ist es relativ einfach möglich, mehrere solcher Dokumentationssprachen zu mappen. SKOS kann eigenständig oder als Ergänzung zu OWL benutzt werden. Die Erstellung einer Ontologie würde somit gleichzeitig mit der Erstellung eines ersten Terminologiekonzeptes für die Provenienzforschung einhergehen. 216 Vgl.W3C SKOS: http://www.w3.org/TR/2009/REC-skos-reference-20090818/#L1045 (03.04.10). 82 Die Implementierung in OWL befördert im nächsten Schritt nicht nur die automatisierte Recherche durch Agenten, sondern ermöglicht ebenso die verhältnismäßig einfache Revision und Erweiterung der Ontologie selbst. Des Weiteren können z.B. über die Elemente owl:equivalentProperty und owl:equivalentClass Verknüpfungen zu anderen Ontolo- gien erstellt werden, was explizit der Vision des „web of data“ entspricht. OWL 2 hat in eben diesem Punkt durch die Verwendung der IRI eine internationale Kompatibilität erwirkt. Gleichzeitig lässt die Modularisierung einer Ontologie in OWL 2 einen zielgerichteten Import anderer Ontologien zu. Damit angesprochen ist der Aspekt der Wiederverwendbarkeit, d.h. die Erstellung neuer, auf Basis bereits bestehender Ontologien. Dies wird nicht nur als Vorteil von Ontologien217 grundsätzlich sondern sogar als Motto des Semantic Web bezeichnet: „The motto of the Semantic Web is not the enforcement of a single ontology but rather ‚let a thousand ontologies blossom.‘ “218 Dieser Aussage schließt sich auch Bügel an: Auf Grund zunehmender Popularität des Semantic Web und der Standardisierung der Beschreibungslogiken wird es „[…] in Zukunft eine Reihe von Fachexperten gemeinsam erstellter und frei verfügbarer Ontologien geben, welche bestimmte Anwendungsdomänen beschreiben.“219 Es bleibt jedoch abzuwarten, ob die freie Verfügbarkeit wirklich eintreten wird und zu diskutieren, ob es sich immer um von Experten erstellte Ontologien handelt. 217 Grigoris/Van Harmelen: A Semantic Web Primer. (2008). S.226. 218 Grigoris/Van Harmelen: A Semantic Web Primer. (2008). S.247. 219 Bügel, Ulrich: Technologische Trends beim Einsatz semantischer Netzwerke. In: Knowledge eXtended. Die Kooperation von Wissenschaftlern, Bibliothekaren und IT-Spezialisten. 3. Konferenz der Zentralbibliothek, 2. - 4. November 2005 Jülich; Vorträge und Poster. Hrsg. v. Roswitha Moes. Jülich: Forschungszentrum Jülich, 2005. (=Schriften des Forschungszentrums Jülich: Reihe Bibliothek, 14). S.229. 83 5 Schlussbetrachtung Der in dieser Arbeit beschriebene Ist-Zustand der Provenienzforschung gestaltet sich derart: Sie verbleibt in einer Nischenposition und findet wenigen bis gar keinen Niederschlag in der alltäglichen Arbeit der Gedächtnisinstitutionen. Dies ist nicht als Vorwurf zu interpretieren, vielmehr resultiert dieser Zustand aus der fehlenden Etablierung in den jeweiligen Fachwissenschaften, aber auch aus Unsicherheiten in der praktischen Durchführung. Es existieren inzwischen zwar einige Hilfestellungen und Anleitungen (s. Handreichung, AAM Guide, Leitfaden), dennoch verursacht die Komplexität der untersuchten Thematik sehr unterschiedliche Ergebnisse, auch innerhalb der jeweiligen Institutionstypen. Unabhängig davon ist festzustellen, dass die Gedächtnisinstitutionen nach wie vor institutionsspezifische Unterschiede in der Erschließung und Dokumentation ihrer Objekte aufzeigen. Auch wenn es Bemühungen und Erfolge in der Entwicklung eines gemeinsamen Standards und in der Erstellung von Crosswalks gibt, gestaltet sich die Kooperation häufig schwierig. Es konnte jedoch in dieser Arbeit die These unterstützt werden, dass im speziellen Fall der Provenienzforschung eine Kooperation sowohl unabdingbar als auch möglich ist. Zunächst wurde herausgearbeitet220, dass die Gedächtnisinstitutionen sehr ähnliche Arbeitsweisen verfolgen und dieselben Quellen zur Forschung benutzen und benötigen. Genauer beinhaltet dies die praktische Untersuchung der Exemplarspezifika, welche erst in einem Kontext eine aussagekräftige Bedeutung erlangen. Des Weiteren sind die Provenienzforscher auf Aktenmaterial, aber auch auf die Autopsie eines Objektes, angewiesen. So einleuchtend es auch erscheint, so soll nochmals betont werden, dass die Dokumentation von den Forschenden und den Institution als essentiell betrachtet wird. Diese Punkte sind als Gemeinsamkeiten221 festzuhalten. Die Unterschiede äußern sich vornehmlich in der Publikationsform und der Erschließungstiefe: Die Integration der Ergebnisse in die jeweilige institutionseigene Informationsressource fand sich nur singulär (bei der Staatsbibliothek Berlin222). Die Regel hingegen war eine gesonderte Objektdatenbank oder Webseite zu dieser Thematik. Innerhalb der getätigten Untersuchung223 konnten an Hand der konkreten Objektdatensätze aus dem Frontend der Ressourcen einige Schnittpunkte in der Verwendung der Metadaten festgestellt werden: Konsequenterweise wurde überall das Datenfeld „Provenienz“ angeführt, 220 Vgl. Kap. 2.3 ff. 221 Ausführlicher unter Kap. 2.4. 222 Vgl. Kap. 3.2.4. 223 Vgl. Kap. 3 ff. 84 ebenso wurde mehrheitlich der Titel und ein Hersteller des Objektes als minimale Identifikation angegeben. Ein weiteres Ergebnis liegt in der Beobachtung, dass die Beschreibung der Provenienz eines Objektes grundsätzlich mehrwertig und variabel in der Ausführlichkeit ausfiel. Als Schlussfolgerung aus den Betrachtungen verblieb die Einsicht in die notwendige Auseinandersetzung mit der Heterogenität der Terminologie, Dokumentation und Publikation von Provenienzforschung. Bereits 2001 wurde auf der Konferenz „Spoils of War“ davon gesprochen, dass die sich entwickelnden Technologien der Verwaltung und Veröffentlichung von Daten der Provenienzforschung zuträglich wären.224 Ob damit bereits auf das Semantic Web angesprochen wurde, sei dahingestellt, vielmehr ist dies als eine Weitsicht auf benötigte Verbesserungen der Recherchesituation mit Hilfe neuer Technologien bzw. besserer Nutzung bereits bestehender zu sehen. Ein solcher Vorschlag zur Optimierung wurde mit der These unterbreitet, dass die semantischen Technologien, eingebettet in die Theorie des Semantic Web, für die komplexen Fragestellungen der Provenienzforschung geeignet wären. Ein Weg dahin führt über die Konzeptualisierung einer Ontologie225, die zuerst unabhängig von einer technischen Anwendung entstehen sollte. Ein essentielles Ergebnis eines solchen Projekts ist die Gewinnung und die Festlegung einer Terminologie in Bezug auf eine bestimmte Wissensdomäne. Wie es auch die Designprinzipien eines Ontology Engineering anführen, empfehlen sich die Einbindung von Experten aus allen drei Bereichen und die Untersuchung relevanter Literatur und Informationsressourcen wie z.B. die hier untersuchten Datenbanken. Zu diesem Zweck wäre jedoch der Blick ins Backend angemessen. In der Literatur, auf Tagungen, Konferenzen und im Gespräch mit ebensolchen Experten wird häufig das größte Dilemma der „Provenienzforschung in Praxis“ angeführt: Fehlende personelle und finanzielle Mittel verhindern bzw. reduzieren erheblich die Forschungsmöglichkeiten. Zumindest der praktischen Projektarbeit wird durch die Arbeitsstelle für Provenienzforschung mit Fördergeldern Abhilfe geschaffen. Die wissenschaftlich-theoretische Forschung hingegen hängt meist allein von engagierten MitarbeiterInnen und deren Kapazitäten ab. Damit ein solches Projekt wie eine „Ontologie für die Provenienzforschung“ der Realisierung 224 Vgl. Kap. 3.4. 225 Vgl. Kap. 4.1.1 und 4.1.2. 85 einen Schritt näher kommt, sollte geprüft werden, ob die Community bereits auf bestehende Datenmodelle zurückgreifen kann. Ein solches Vorbild könnte das vom CIDOC (Comité international pour la documentation) entwickelte Conceptual Reference Model (CRM) darstellen.226 Dieses konzeptionelle Datenmodell wurde für die Dokumentation in Museen entwickelt und diese Zielgruppe bedient es bis heute in erster Linie, auch wenn der Anspruch ein anderer ist: „The primary role of the CRM is to enable information exchange and integration between heterogeneous sources of cultural heritage information. It aims at providing the semantic definitions and clarifications needed to transform disparate, localised information sources into a coherent global resource, be it within a larger institution, in intranets or on the Internet. Its perspective is supra-institutional and abstracted from any specific local context. This goal determines the constructs and level of detail of the CRM.”227 Für Archive existiert ein Mapping von EAD nach CRM, dies setzt aber voraus, dass das Archiv bereits diesen Standard einsetzt bzw. einsetzen wird. Die International Federation of Library Associations and Institutions (IFLA) erstellte aus einem bibliothekarischen Datenmodell zusammen mit CIDOC eine Spezifizierung des CRM für eine optimale bibliografische Beschreibung: die Functional Requirements for Bibliographic Records (FRBR), integriert in die „Objektorientierung“ des CRM.228 In der Museumscommunity hat das CRM den größten Anklang gefunden, was wiederum in einer anerkannten und viel genutzten Verallgemeinerung namens Lightweight Information Describing Objects (LIDO) resultierte. LIDO ist jedoch kein Modell zur Objektbeschreibung, sondern dient ausschließlich dem Metadata Harvesting und der Interoperabilität von Systemen. Dieser und die Punkte, dass LIDO bereits sehr reduziert in seiner Ausdrucksstärke und auf Museumsobjekte fokussiert ist, erlaubt kaum seine Anwendung für die Provenienzforschung. Es wäre auch nicht zu erwarten, dass die Museen, nachdem sie bereits nach LIDO gemappt haben, zusätzlich ein Mapping nach CRM vollziehen. Es scheint auch nicht üblich zu sein, dass eine direkte Migration nach CRM durchgeführt wird; stattdessen wird immer der Weg über einen bereits bestehenden Standard gewählt. Man sollte jedoch die Elemente und den Aufbau von CIDOC CRM für die Provenienzforschung als Anregung für die Gestaltung einer Ontologie nutzen, schließlich ist dieses Datenmodell selbst eine Ontologie aus dem kulturellen Bereich. Weiterhin interessant ist das Mapping von CRM nach OWL2, welches bereits verfügbar ist. Als Fazit wäre festzuhalten, dass die Provenienz226 Vgl. http://cidoc.ics.forth.gr/ (16.04.10). 227 Definition of the CIDOC Conceptual Reference Model. Version 5.0.2, January 2010. S.i. 228 Ist der Bezug auf CIDOC gemeint wie hier, wird es mit FRBRoo abgekürzt. 86 forschung vom Aufbau des CRM profitieren kann und sich angesichts knapper Ressourcen daran orientieren sollte. Daneben ist jedoch die alleinige Verwendung von CRM, respektive LIDO, durch seine Prägung durch Museen für die spezielle Domäne der Provenienzforschung nicht geeignet. Auch der Mehraufwand für mehrere Mappings wäre nicht gerechtfertigt. Die Vermeidung von Mehraufwand greift einen nächsten Diskussionspunkt auf: In dieser Arbeit wurde die These vertreten, dass eine domänenspezifische Ontologie die geeignete Form für die Provenienzforschung darstellt.229 Demgegenüber stehen jedoch die Vorteile, die der Einsatz einer Top-Level Ontologie mit sich bringen würde. Zum einen entbindet diese sehr abstrakte und fundamental beschreibende Ontologie von dem Aufwand der aufwändigen Konzeptualisierung. Es wäre damit möglich, dass die Institutionen in ihren jeweiligen Standards und Datenmodellen verbleiben und lediglich ein Mapping nach RDF vornehmen. Inzwischen ist dies sogar relativ einfach möglich, durch Sprachen wie D2RQ230, welche Daten aus relationalen Datenbanken nach RDF mappen. Diese Daten werden auf dem sogenannten D2R-Server hinterlegt, von dort können HTML und RDF Browser die Daten lesen und im Web publizieren. In einer Top-Level Ontologie sind jedoch die Konzepte derart allgemein formuliert, dass sie für möglichst viele Wissensdomänen gültig sind und dadurch sehr viele, distributive Ressourcen einbinden können. Daraus resultiert die Frage, inwiefern die komplexen Fragestellungen der Provenienzforschung in dieser Form zufriedenstellend beantwortet werden könnten. Darauf kann an dieser Stelle keine konsistente Antwort gegeben werden, dennoch kann vermutet werden, dass es angesichts der heutigen Möglichkeiten für eine erste Integration in das Semantic Web dienlich wäre, aber in der wissenschaftlichen Forschung nicht eingesetzt werden sollte. Abgesehen davon, treten im Rahmen der Provenienzforschung durchaus Datenschutzfragen und rechtliche Problemstellungen im Umgang mit Konnotationen von Begriffen auf, die innerhalb einer geschlossenen Anwendung eher einen Platz finden, als in einer globalen Beschreibung. Es ist nämlich zu bedenken, dass die Forschung in den Gedächtnisinstitutionen konkrete politische Folgen haben kann, d.h. Restitutionsfälle und deren sozialen, politischen und wirtschaftlichen Fragestellungen.231 Es ist des Weiteren zu erwarten, dass die Idee der Linked Data die verstärkte Einbindung auch einer solchen spezifischen Ontologie in das „web of data“ befördern wird, indem von externen Nutzern auf URIs 229 Vgl. Kap. 4.1.1. 230 Siehe: http://www4.wiwiss.fu-berlin.de/bizer/d2r-server/ (25.04.10). 231 Savoy, Bénédicte: „An Bildern schleppt er hin und her…“. Restitutionen und Emotionen in historischer Perspektive. In: Kunst-Transfers. (2009). S.85-102. 87 dieser Ontologie verwiesen wird. Ein Beispiel wäre, dass die URI einer Person wie http://www.example.org/Guardi zu einer weiteren Webseite verlinkt wird, z.B. http://www.GuardiMuseum.org. Durch solch eine Verlinkung werden semantisch homogene Informationen zusammengeführt und neues Wissen generiert. Die angeführten Punkte setzen bereits voraus, dass die Konzepte der Provenienzforschung in einer maschinell lesbaren Form aufbereitet wurden: Dieser Zusammenhang wurde mit der Erläuterung von RDF, RDF Schema und OWL 1/2 besprochen.232 Die Schlussfolgerung bezieht sich darauf, dass die Implementierung in OWL den komplexen Begriffsstrukturen der Provenienzforschung entgegenkommt. Die in der Konzeptualisierung gewonnene Terminologie wird in den Konstrukten von OWL eine Aufwertung einerseits der Strukturierung und andererseits der Benutzbarkeit erfahren. Letzteres referiert auf das Reasoning, d.h. die Fähigkeit zum automatischen Schlussfolgern: Diese Fähigkeit stellte sich als eines der Hauptargumente für die Nutzung von OWL für die Provenienzforschung heraus. Es wurde somit die These verfolgt, dass die Provenienzforschung einer Vernetzung ihrer heterogenen Informationen bedarf und dieses in OWL realisierbar ist, um für wissenschaftliche Forschung genutzt und angemessen recherchierbar zu werden. Hilfreich ist dabei die lange Tradition der Gedächtnisinstitutionen mit kontrollierten Vokabularien zu arbeiten. Dieses Know-How kann sich demnach nur positiv auf die Gestaltung einer Ontologie auswirken. Ein entscheidender Punkt ist dabei, dass die Einsicht in die Sinnhaftigkeit auch zur Aktion führt. Neben der Aufbereitung von Daten, stellt sich auch das Problem der Publikation: Online Verfügbarkeit von Information ist heutzutage schon als Standard zu bezeichnen, das entspricht auch dem Streben nach Öffentlichkeit und Transparenz innerhalb der Forschungsgemeinde. Ein Vorschlag wurde bereits angedeutet – vorstellbar wäre ein Portal wie es bereits mit Lostart existiert, auf welchem jedoch in einer Metasuche oder in einer lokalen Datenbank recherchiert werden kann. Dort würden sich sämtliche Vorteile der domänenspezifischen Ontologie in OWL niederschlagen: Die Recherche eines Forschenden kann auf Fachvokabular basieren und würde relevante Treffer produzieren. Das würde über einen Agenten geschehen, der die Daten aus den beteiligten Institutionen über Inferenz ausliest und diese über OWL verlinkten Ressourcen (s. Linked Data) ausgeben würde. Dabei zeigen sich unter Umständen bisher nicht erkannte Relationen, die wiederum der fachspezifischen Forschung zuträglich sind und einen Wissensgewinn darstellen. 232 Vgl. Kap. 4.2.2. 88 Ein konkretes Beispiel findet sich in den Staatlichen Kunstmuseen Dresden mit dem Projekt „Daphne“.233 Die Bestände aller Museen und Sammlungen werden auf ihre Provenienz hin untersucht, sodass am Ende die neu entworfene Datenbank sowohl für die NS-Raubgut Forschung als auch für die generelle Arbeit im Museum genutzt werden kann. Leider ist diese Datenbank noch nicht recherchierbar. Weitere Alternativen oder Anwendungsfälle finden sich zum aktuellen Zeitpunkt kaum, da der Einsatz von semantischen Technologien noch eher in einzelnen Use Cases stattfindet und experimentell erscheint. Über eine „wissenschaftliche Revolution“ der Provenienzforschung gepaart mit der „revolutionären“ Idee des Semantic Web, sollte kontinuierlich debattiert und geforscht werden; Diskussionspunkte sind ausreichend vorhanden, wie in dieser Arbeit festgestellt werden konnte. Diese Fragestellungen können aber nicht, wie Kuhn bereits betonte, „[…] von einem einzigen Menschen und niemals von heute auf morgen zu Ende geführt werden […].“234 233 Projekt Daphne: http://www.skdmuseum.de/de/forschung/provenienzforschung/index.html (19.04.10). 234 Kuhn, Thomas S.: Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen. Frankfurt/M: Suhrkamp, 1973. S.24. 89 6 Literaturverzeichnis AAM Guide to Provenance Research. Hrsg. v. Nancy H. Yeide / Konstantin Akinsha / Amy L. Walsh. Washington D.C.: American Association of Museums, 2001. Babendreier, Jürgen: Ausgraben und Erinnern. Raubgutrecherche im Bibliotheksregal. In: Bibliotheken in der NS-Zeit. Provenienzforschung und Bibliotheken. Hrsg. v. 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Übernahmen aus fremden Quellen – sei es dem Wortlaut oder dem Sinn nach – sind als solche gekennzeichnet. Berlin, den 100