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Breaking God’s Heart
Gábor A. Nagy
Juan Béjar
Adam Bota
Rudy Cremonini
Enda O’Donoghue
Adam Magyar
Steffi Stangl
Stepanek & Maslin
The √ision
Curated by Uwe Goldenstein
Breaking God’s Heart
Angesichts einer Gegenwart, die sich in Form einer bedeutungslosen medialen Fläche unentwegt
ausbreitet…
Angesichts einer Zeit, in der nahezu alle geschichtlichen Zeichen abrufbar sind und auf einer
einzigen unendlichen Ebene der Kontingenz nur noch mit sich selbst konkurrieren, ohne jemals
zu einem kontemplativen Moment zu gelangen…
Eine solche Zeit, die mit ihren omnipräsenten, die menschliche Existenzform nahezu
durchdringenden und vereinnahmenden digitalen Bilder- und Soundfluten eine schleichende
aber dramatische Entmystifizierung in exponentieller Weise vorantreibt und damit die Welt auf
diese Weise ganz für sich beansprucht, verlangt nach einer konzentrierten, reaktionären Aktion,
welche diese Phänomene zum einen aufzunehmen und zugleich auszumanövrieren imstande ist.
Diese Aktion kann sich aus der Gegenwartskunst gebären, insofern, dass ihre Kunstwerke
sich dem mächtigen medialen Umnutzungsprozess widersetzen können und sie eine wahrhaft
ästhetische und damit bedeutungsvolle und gerichtete Kommunikation anzuregen vermögen.
John Everett Millais, Ophelia
1851-52 oil on canvas 76,2 x 1 11,8 cm
Tate Britain London
Denn die abgeschottete Sphäre der Kunst bietet auch nach Andy Warhol eine ungeahnte
Möglichkeit, die virtuell-banale Verzeichnung unserer Zeit zu thematisieren. Ihre Kraft liegt in
ihrem genuin eigenen historischen Verweissystem, das eine ruhige, rückbesinnliche, symbolische
Verhandlung von Phänomenen zulässt. Dazu bedarf es allerdings einer hohen künstlerischen
Fähigkeit, um selbst im geschützten Kunstraum einen Impuls in die Außenwelt zu senden, der sich
dann mehr und mehr in einen Rückzug verwandelt. Dieser Impuls kann zugleich ein ästhetischer
Schock sein. Ein Schock des Betrachters vor der Fähigkeit des Künstlers, der, wie in dieser
Ausstellung prägend, mit einer atemberaubenden, der technischen Duplizierung erhabenen
Ästhetik die Seele anrührt, ohne dabei die Wirklichkeit auszublenden, sondern ganz gegenteilig
sich strukturell auf sie bezieht, ihre simulativen Methoden rezipiert und zu überbieten weiß.
Eine solche Kunst wird das Potenzial des Widersetzens gegen die Vereinnahmungskraft der
technischen Medien in ein Immunsystem verwandeln, das einen Rückzugsraum bereit stellt,
in dem die technisch durchwirkte und bis in ihr Mark durchrationalisierte Wirklichkeit zumindest
für die Zeit der Anschauung auf Distanz gehalten werden kann. Gerade mit dem Blick auf die
Entzugsmöglichkeiten der Malerei kann das Dilemma der stetigen technischen Aufrasterung
unserer Welt überwunden werden.
Mit dieser Perspektive ausgestattet und nicht von ungefähr bietet sich der
Vergleich und die Patenschaft mit den ebenfalls auf Rückbesinning und Distanz
zur modern werdenden Zeit Mitte des 19. Jahrhunderts ausgerichteten
englischen Prä-Raffaeliten an. John Everett Millais’ Ophelia scheint, umringt von
einer unheimlich detailgetreuen Wiedergabe der Natur, der Zeit entschwinden
zu wollen. Beim deutsch-englischen Malerduo Stepanek & Maslin ist die Natur
in ähnlich pantheistischer Weise wiedergegeben. Nur schwirrt bei ihnen mitunter
eine unscharfe und nach Orientierung suchende Menschenmenge durch
den Wald hindurch. Solcherart offenbart das Künstlerpaar eine zeitgemäße
Schwerelosigkeit, die sich zwischen Mensch und seinem Ursprung und
Lebenselexier zu legen beginnt. Die anonyme Installationsgruppe The √ision
gibt diesem Schwebezustand auch in symbolischer Hinsicht einen weiteren
Stoß in Richtung kunsthistorische Immanenz. Wo sich bei Damien Hirst noch
der überhöhte Tod oder bei Beuys die schamanische Praxis der medialen
Umnutzung zu widersetzen versucht, bringt The √ision ein Vogelnest eines
tierischen Erbauers zusammen mit einem wie bei Brâncuși glänzenden Eis
eines toten Goldfasans ins Spiel, um auch den abgeschotteten Kunstdiskurs
selbst herauszufordern. Das goldene Ei liegt unschuldig da und lässt doch
zwangsläufig ans götzenhafte Goldene Kalb denken (vergleiche Seite 6).
Stepanek & Maslin, Untitled 3-12
2012 oil on canvas 80 x 1 30 cm
Die Künstler dieser Schau scheinen sich demnach gar an den Weltenschöpfer selbst zu wenden, um vehement ihr freiheitliches Terrain
visionärer Verdichtung zu verteidigen. Auf ihre Weise versuchen sie sich ein wenig rückanzunähern an das einst ganzheitliche, vollkommene und
mystische Sein. Denn voller Illusionen erblickte der Mensch irgendwann die Welt und ist nunmehr mit der Wahnsinnsleistung der Menschheit
konfrontiert: der totalen Übersetzung der Welt in eine durchdigitalisierte Parallelwelt. Das konnte wohl selbst sein Schöpfer nicht ahnen.
Der fortschreitende Übertritt in diese künstlichste aller Welten würde wohl selbst das Erschafferherz mit Trauer tränken. Jegliche authentisch
anmutenden Erfahrungen und Erlebnisse werden hingegen mit dieser Schau an das rettende Ufer der Insel namens Kunstimmanenz verlagert.
Die Künstler von Breaking God’s Heart gehen an die Grenze des ästhetisch Erschaffbaren und sind gewappnet, selbst einem irgendwie gearteten
Gott und Meister auf Augenhöhe begegnen zu können, indem sie mit aller Intensität, durchaus emotional und mit allerhöchster Konzentration
einen transmodernen magischen Pantheismus propagieren.
Uwe Goldenstein
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Breaking God’s Heart
Facing the present age, relentlessly spreading itself in the form of an empty medial expanse...
Facing an era in which almost all historical markers are retrievable and compete with each other
on a single, never-ending plain of contingency, without ever reaching a contemplative moment...
This era, its omnipresent, digital, human existence form saturating, image and sound torrents,
drives on a gradual but dramatic demystification in an exponential mode. It demands
a concentrated reactionary act, which is both capable of incorporating and outmaneuvering
this phenomena simultaneously. This act can be contemporary art, in as much as art works
can oppose the process of medial appropriation and stimulate a truly aesthetic, thus meaningful
and concerted communication.
The √ision, The Golden Ei
2012 installation Galerie im Park, Bremen
Golden pheasant, gold chain, bird’s nest, golden egg
The isolated sphere of art, even post-Andy Warhol, offers an unforeseen opportunity to address
the virtual-banal distortion of our time. Its strength lies in its own genuine historical reference
system which allows for a peaceful, reflective and symbolic appraisal of a given phenomenon.
And this requires a high level of artistic skill so as to transmit – even from within the sanctuary
of the art space – an impulse to the outside world. At the same time, this impulse can be
an aesthetic shock: the shock of the observer at the skill of the artist who, as is evident
in this exhibition, touches the soul by means of a breathtaking aesthetic that is above and
beyond technical duplication. But this is achieved without blocking out reality: on the contrary,
reality is addressed through structural reference, with the aesthetic adopting its simulative
methods and surpassing them. Such art will convert the potential of this resistance – which is
to say the resistance against the assimilative forces of media technologies – into an immune
system which provides a place of sanctuary, whereby our reality, enwrought in technology
and rationalized to its core, is kept at a distance, at least for the duration of that period during
which the viewer observes a work. It is now that we find, when turning to the sanctuary
afforded to us by the painted form, a means of overcoming the dilemma of the increasing
technical saturation of our world.
Endowed with this vision – and by no means by chance – one arrives at comparisons with
the traditions laid down by the English Pre-Raphaelites who also sought space for
reflection and a distance from the increasingly modernized world of the mid-19th century.
John Everett Millais’ Ophelia (see page 4), submerged in an incredibly faithful portrayal
of nature, seems to want to disappear from time. In the work of the German-English duo
Stepanek & Maslin (see cover), nature is conveyed in a similarly pantheistic way. There is the
whirring of a hazy mass of people searching for guidance as they move through the woods.
Such work reveals the pair’s contemporary weightlessness which comes to rest between
man, his origins and the elixir of life. The anonymous installation group The √ision gives this
suspended condition, also from a symbolic perspective, a further push in the direction of
art historical immanence. Where with Damien Hirst the elevated death – or in the case of
Beuys the shamanic praxis – strives for a form of resistance against media appropriation,
the √ision bring together the bird’s nest of a faunal creator and the gleaming Brâncuși‑esque
egg of a dead golden pheasant – all as a means of challenging the isolated artistic
discourse itself. The golden egg lies there, innocent, but prompts us to think of the idolatry
of the Golden Calf.
Damien Hirst, Away from the Flock
1994 Glass, painted steel, silicone, acrylic, plastic, lamb,
formaldehyde solution © D.Hirst
The artists involved in this show seem indeed to turn to the world’s creator in order to vehemently defend their free terrain of visionary
concentration. In their own way, they are attempting to retreat back towards what was once a consummate, holistic, and mystical existence.
Indeed, at some point one pauses to behold the world, confronted with that titanic contribution of humanity: the total transition of the world
into a thoroughly digitalized parallel reality. Not even man’s creator himself could have predicted it. That continued path into the most artificial
of worlds would sink even the heart of the Maker. In contrast, this show relocates authentic experience to the redemptive shores of an island
called artistic immanence. The artists of Breaking God’s Heart tread the boundaries of what is aesthetically possible: they are armed and ready
to look any kind of God/Master in the eye, by propagating a magical, transmodern pantheism with maximum intensity, emotion and concentration.
Uwe Goldenstein
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Gábor A. Nagy
1972 Hajdúböszörmény (H). Lives in Berlin
Are You Mine? 2012 arcylics on canvas 100 x 140 cm
Soft Crash Coming Back 2012 acrylics on canvas 140 x 400 cm
9
JUAN BÉJAR
1946 Málaga (E). Lives in Málaga
A Bote Pronto 2012 oil on wood 100 x 81cm
Maternidad 2012 oil on wood 100 x 81 cm
11
ADAM BOTA
1975 Linz (A). Lives in Vienna (A)
Hitchcock Lean oil on canvas 100 x 80 cm
Gallows 2012 oil on canvas 115 x 165 cm
13
RUDY CREMONINI
1981 Bologna (I). Lives in Bologna
L`Anonimo 2012 oil on canvas 78 x 78 cm
Nudo (4) 2012 oil on canvas 45 x 35 cm
15
ENDA O’DONOGHUE
1973 Limerick (IRE). Lives in Berlin
Octopus 2012 oil on canvas 180 x 240 cm
Artificial Light 2012 oil on canvas 180 x 240 cm
17
ADAM MAGYAR
1972 Debrecen (H). Lives in Berlin
Square Tokyo I 2007- 2009 121 x 180 cm edition of 6 | 80 x 120 cm edition of 3
Square Hong Kong II 2007-2008 121x180 cm edition of 6 | 80 x 120 cm edition of 3
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STEFFI STANGL
1976 Kösching (D). Lives in Berlin
Die Arbeit thematisiert den Moment der Irritation von Wahrnehmung: Ein tatsächlich kinetisches Objekt erscheint dem Betrachter unbewegt.
Über den physikalischen Zusammenhang einer Frequenzsynchronisation entsteht ein gefrorener Moment. Das Raumobjekt selbst markiert
die Zone der Illusion. Es enthüllt und hält auf Abstand – und erzählt die bizarre Geschichte des Traums von der Überwindung der Schwerkraft.
Der Schnittpunkt von Imagination und Wirklichkeit ist am Objekt fassbar: ein künstlich geschaffener Höhepunkt scheinbar ohne Zeit und Veränderung,
die Ausdehnung des fixen Mittelpunktes der rastlosen Rotation.
Die Kurzfassung eines Menschenlebens besteht im Aneinanderreihen des Geburts- und Sterbedatums. Dazwischen liegen die Biografie und
das Leben. Die kürzeste Verbindung zwischen zwei Punkten ist die Strecke. Auch der Kreis ist eine Strecke. Ihr zweiter Definitionspunkt liegt
außerhalb und wird durch Pi integriert. Der Punkt ist ein Bild. Er ist die kleinste gemeinsame Formel intellektueller Selbsterkenntnis und dem
Moment, der sowieso eintritt. Der Schnitt ist die erste Behauptung des Menschen. Diese große These begründet Kultur. Und auch hier liegt der
zweite Punkt außerhalb. Er wird durch Pi integriert.
This work deals with the moment of confusion arising in our perception: a real kinetic object appears to the viewer to be unmoving. In the physical
context of a synchronization of frequencies, a moment becomes frozen. The spacial object itself demarcates the zone of illusion. It is revealing and
maintains a distance, while telling the bizarre story of the dream of overcoming gravity. The point of intersection between imagination and reality is present
at the object, an artificially created highpoint with the apparent absence of time and change – the stretching of the fixed epicenter of restless rotation.
The brief outline of a human life consists of the connection of birth and mortality dates. In between lies biography and life. The shortest connection
between two points is a line. A circle is also a line. Its second point of definition lies somewhere beyond and is integrated by Pi. The point is an image.
It is the smallest common formula for intellectual self-awareness and the moment that will always arise. The incision is mankind’s first assertion.
This great hypothesis provides the basis for culture. And here the second point also lies beyond. It is integrated by Pi.
Ballerina 2007-12 machine
Fünf Scheren (Five Scissors) 2011 machine
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STEPANEK & MASLIN
Alice Stepanek 1954 Berlin (D)
Steven Maslin 1959 London (UK). Live in Cologne (D)
Untitled 1-12 2012 oil on canvas 85 x 130 cm
Untitled 11-11 2011 oil on canvas 60 x 210 cm
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THE √ISION
Anonymous. Berlin-based
MANIFESTO
Über 100 Jahre nach dem Manifest der Futuristen ist es höchste Zeit,
Die Zeit, unsere Zeit, den so called ZEITGEIST,
In seiner Beschaffenheit, Ausrichtung
Und Selbstreflektionsgewaltätigkeit zu bestimmen und zu enttarnen.
Selbstbeschäftigung, Synchronizität, im Kreis drehen,
Ohne es zu merken.
Alle geschichtlichen Zeichen flottieren derart
Und derart digital und derart frei herum,
Ein Einfangen ist nicht mehr möglich,
Eine gerichtete Fortsetzung ohnehin absurd.
Ein Ziel schon gar nicht.
Authentizität: Nie dagewesen - Hey God, How Are You?
But WE are THE √ISION.
Das Gegenmanifest zum Futurismus oder
Ein Fortsetzen mit anderen Mitteln.
Kein Enthusiasmus. Aber die gleiche wahnwitzige Idee,
Die Zivilisation zu beeinflussen mit so called Kunst.
So we do. We are THE √ISION.
Die völlig gleichzeitige, immer fortwährende
Produktion von Bedeutungsüberschüssen
Inmitten einer a priori bedeutungslosen Atmosphäre
Ist der sich immer praller füllenden zeitgeistlichen
Kontingenzfalle gleichzustellen.
Eine Zeit ohne Loch. Eine Zeit ohne Schlaf. Eine Wolke ohne Dunst.
Eine Zeit ohne Mystik. Where is a Distance?
You are THE √ISION.
Der Moment lässt sich nur noch inmitten und mit der wenngleich
Wolkenreichen Symbolgeschichte der Kunst einfangen.
Vielleicht. Aber wir tun es.
Mit der Erkenntnis, dass die Kunstwertigkeit
Ein lang angelegtes Projekt ist,
Ein Marketingkonzept.
Hello Mr. Hirst.
Hello Mr. Rembrandt. Hello Marinetti.
Hello Beuys, you won’t like us.
Hello Goethe. We don’t need you.
Hello Mike Kelley. RIP. You would understand.
Hello, Hell-o Postmodernism.
We love Homer S. We love ALF.
Ein grandioser Versuch, sich von den uns verschlingenden
Zeichenketten zu befreien,
Eine Zeichenlosigkeit in Affenform zu gießen.
ALF kommt aus dem ALL und bringt ein Zeichensystem zu uns,
Das viel cooler ist, weil so schön ignorant.
Ein Halbaffe, besser als jeder Mensch.
Keine Geschichte, kein Heimweh, nur Gegenwart.
Völlig unaffektiert.
Nur ALF kann uns retten.
Leider mussten wir ihn selbst erschaffen.
Thank you: Alien Production. Thank you USA.
There is no sense, there is no meaning.
Erfinde dein eigenes System, ignoriere die Zivilisation,
Sei Halbaffe, sei Affe, sei ALF.
Suche die Distanz. SEI THE √ISION.
We are THE √ISION.
And what’s about YOU?
2012 by THE √ISION → ∞
Two Alfs In A Tree 2012 c-print behind plexiglass 40 x 60 cm edition of 8
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Breaking God’s Heart
September 7 - October 20 2012
On the Occasion of the Berlin Art Week 2012
Auguststrasse 62 10117 Berlin-Mitte
Catalogue Uwe Goldenstein
Graphic design Graphicam Photography LTD
Published by BSA & Liebkranz Galerie © 2012
Photo on page 20 by Krisztina Turna
Text on page 20+21 by Steffi Stangl
251521-1185-2085-22919914
All artists
in this catalogue
are members of
Artists’ info
selected-artists.com
liebkranz.de
The show is named after the 1998 album Breaking God’s Heart by Hefner.
Cover Stepanek & Maslin Untitled 3-12 (detail) 2012 oil on canvas 80 x130 cm
Page 2+27 Gabor A. Nagy Absurdity, Come To Me! 2011 acrylics on canvas 100 x 280 cm
Breaking God’s Heart