Rechtsprechung Jurisprudence

Transcription

Rechtsprechung Jurisprudence
RECHTSPRECHUNG / JURISPRUDENCE
288
TREX
5/ 04
Rechtsprechung
Jurisprudence
Sozialversicherungsrecht
Assurances sociales
Verfassungsrecht
Droit constitutionnel
Art. 5 Abs. 4 AHVG, Art. 8 Bst. c AHVV:
Ausnahme vom massgebenden Lohn
Die in Form eines Schmuckstücks im Wert von Fr. 674.–
erfolgte Zuwendung an einen austretenden Mitarbeiter stellt massgebenden Lohn dar (Bestätigung der
Rechtsprechung BGE 101 v 4 Erw. 2b.). ■
Art. 127 Abs. 3 BV: Regeln gegen
die Doppelbesteuerung der Vorsorge
Das Bundesgericht gibt den Kantonen vor, wie sie
Vorsorge- und Versicherungsleistungen zu besteuern
haben, um eine unzulässige Doppelbesteuerung zu
vermeiden.
Im konkreten Fall hatte der Kanton Aargau auf dem
erbsteuerlichen Reinvermögen eines Verstorbenen
Erbschaftssteuern erhoben. Darin waren auch die
Direktansprüche der Erben aus mehreren Vorsorgeund Risikoversicherungen des Erblassers enthalten.
Einen Teil dieser Leistungen erfasste zudem der Kanton Luzern bei einer Erbin mit der Einkommenssteuer.
Die II. Öffentlichrechtliche Abteilung kommt in teilweiser Gutheissung ihrer Beschwerde zunächst zum
Schluss, dass damit eine unzulässige Doppelbesteuerung vorliegt (Art. 127 Abs. 3 BV). Um solche Kollisionen zu vermeiden, ist laut den Lausanner Richtern eine
neue einheitliche Regelung zu schaffen, die sich an der
für die Bundesgesetzgebung über die direkten Steuern
(Steuerharmonisierungs- und Bundessteuergesetz) getroffenen Regelung zu orientieren hat: Die demnach
als Einkommen steuerbaren Leistungen sind im Wohnsitzkanton des Empfängers zu besteuern; sind die Leistungen von der Einkommenssteuer befreit, werden sie
dem Kanton des letzten Wohnsitzes des Erblassers zur
Besteuerung zugewiesen.
Zuletzt hatte sich das Bundesgericht 1973 mit der Frage der Zuteilung von Vorsorge- und Versicherungsleistungen befasst (BGE 99 Ia 232). Seither hätten sich das
Verständnis und die Ausgestaltung der Vorsorge geändert. Seit Einführung des BVG könnten Beiträge an die
berufliche Vorsorge vom Einkommen abgezogen werden. Die Leistungen seien entsprechend bei der Auszahlung als Einkommen steuerbar. Umgekehrt seien
die Einzahlungen an rückkaufsfähige private Kapitalversicherungen (fast) nicht abzugsfähig, die Auszahlung dafür einkommenssteuerfrei. ■
(Bger., 30. 6. 04, {2P.5/2002}, NZZ, 26.7.2004 (Nr. 171), S. 9, Jusletter
26.7.2004)
(EVG, 14.4.04, AHI 2004, S. 165)
Art. 5 al. 4 LAVS; art. 8 let. c RAVS: Cotisations;
Exception du salaire déterminant
La donation d’un bijou d’une valeur de 674 francs à un
collaborateur partant à la retraite est un élément du salaire déterminant (confirmation de la jurisprudence). ■
(TFA, 14.04.04, VSI 2004, p.165)
Art. 30c BVG: Vorbezug zwecks Erwerb
von Wohneigentum
Nach Eintritt eines Vorsorgefalles zufolge vollständiger Invalidität ist die Gewährung eines Vorbezugs für
den Erwerb von Wohneigentum ausgeschlossen, auch
wenn die betroffene versicherte Person von ihrer Vorsorgeeinrichtung wegen Überentschädigung (Zusammentreffen mit Leistungen der Invaliden- und der
Militärversicherung) keine Leistungen erhält. ■
(BGer., 11.2.04, BGE 130 V 191)
Art. 30c LPP: Versement anticipé pour acquérir
la propriété d’un logement
Après la survenance d’un cas de prévoyance pour cause d’invalidité totale, l’octroi d’un versement anticipé
en vue de l’acquisition d’un logement est exclu, même
si l’assuré concerné ne perçoit pas de prestations de la
part de son institution de prévoyance en raison d’une
surindemnisation (concours de prestations entre l’assurance-invalidité et l’assurance militaire). ■
(TF, 11.2.04, ATF 130 V 191)
Art. 3 Abs. 2 und Art. 16 Abs. 1 UVG:
Taggeldanspruch eines vorzeitig Pensionierten
Der vorzeitig pensionierte Versicherte, der während
der Nachdeckungsfrist des Art. 3 Abs. 2 UVG einen Unfall erleidet, hat mangels eines Erwerbsausfalls keinen
Anspruch auf Taggelder der Unfallversicherung. ■
(EVG, 29.10.03, RKUV 2004, S. 189)
RECHTSPRECHUNG / JURISPRUDENCE
Art. 3 al. 2 et art. 16 al. 1 LAA: Droit à l’indemnité
journalière pour une personne en préretraite
Un assuré en préretraite qui subit un accident pendant
le délai de l’art. 3 al. 2 LAA durant lequel la couverture
d’assurance est maintenue n’a pas droit, faute de perte de gain, à une indemnité journalière de l’assuranceaccidents. ■
(TFA, 29.10.03, RAMA 2004, p. 189)
Art. 28, Art. 29 UVG, Art. 39 UVV und Art. 8 BV:
Das geschiedene Ehepaar im Konkubinat;
«Witwenrente» nur bei Unterhaltspflicht
Das Eidgenössische Versicherungsgericht (EVG) hat
den Anspruch einer geschiedenen Frau, die seit vielen
Jahren mit ihrem Ex-Mann im Konkubinat lebte, auf
eine Hinterlassenenrente der Unfallversicherung abgewiesen. Laut dem Urteil kommt eine solche «Witwenrente» nur in Betracht, wenn der verstorbene Konkubinatspartner sich vertraglich zur permanenten Unterstützung des anderen Partners verpflichtet hat.
Geschiedene Ehegatten werden beim Unfalltod des ExPartners der Witwe oder dem Witwer gleichgestellt,
wenn die verunfallte Person durch ein rechtskräftiges
Scheidungsurteil oder aufgrund einer gerichtlich genehmigten Scheidungskonvention zur Bezahlung von
Unterhaltsbeiträgen verpflichtet war (Art. 29 UVG und
Art. 39 UVV). Diese Voraussetzung war im beurteilten
Fall nicht erfüllt, da die Unterhaltspflicht des Ehemannes auf acht Jahre beschränkt war und das Scheidungsurteil nach Ablauf dieser Zeit nicht abgeändert
worden war.
Gemäss Rechtsprechung des EVG kann sich indes eine
eindeutige rechtliche Verpflichtung zur Alimentenzahlung auch aus einer anderen rechtlichen Bindung als
dem Scheidungsurteil oder der Konvention ergeben
(vgl. Urteil U 201/00). Im Falle eines Konkubinats steht
es den Partnern frei, durch einen privatrechtlichen Vertrag eine verbindliche Unterhaltsverpflichtung zu
schaffen. Eine solche Vereinbarung braucht nicht unbedingt schriftlich geschlossen zu werden, sie kann
sich vielmehr auch aus dem Verhalten des Konkubinatspaars ergeben.
Allerdings muss sich aus diesem so genannten konkludenten Verhalten ein klarer Wille für eine verbindliche
Unterhaltspflicht ergeben. Allein aus der Tatsache,
dass zwei Menschen zusammenleben, lässt sich ein solcher Wille laut dem neuen Urteil aus Luzern nicht ableiten: «Gegenteils kann die Tatsache, dass ein Paar
nicht (wieder) heiraten will, ein Indiz für das Fehlen
eines solchen Willens sein.» Auch aus dem Umstand,
289
TREX
5/ 04
RECHTSPRECHUNG / JURISPRUDENCE
dass das Konkubinatspaar wie im beurteilten Fall
früher einmal verheiratet gewesen war, lässt sich nicht
auf einen (konkludent geschlossenen) Alimentenvertrag schliessen: «Dass die geschiedenen Eheleute im
Konkubinat lebten und nicht ein zweites Mal heirateten, kann ebenso gut dafür sprechen, dass sie sich gerade nicht mehr rechtlich binden wollten.» ■
Art. 86 al. 1 LAMA: Droit d’adresser un recours
Compte tenu de la responsabilité solidaire de l’un des
époux pour les dettes de primes de l’autre (ATF 129 V
90 2 ss), le mari a donc qualité pour interjeter recours
contre une décision sur opposition concernant la dette
de primes de l’épouse, bien qu’il n’en soit pas lui-même
le destinataire. ■
Art. 18 Abs. 2 und Art. 27 ff. DBG: Treu
und Glauben als Grundlage der Wiedereinbringung
von Abschreibungen
Wenn auf einer offensichtlich dem Privatvermögen zugehörenden und klar als solches deklarierten Liegenschaft Abschreibungen vorgenommen und von den
Steuerbehörden zugelassen worden sind, müssen die
zu Unrecht gewährten Abschreibungen gestützt auf
das Verfassungsprinzip von Treu und Glauben im Zeitpunkt der Geschäftsaufgabe der Sonderveranlagung
nach Art. 47 DBG unterworfen werden. Als Treuhänder
wusste der Beschwerdegegner, dass Abschreibungen
auf dem Privatvermögen unzulässig sind und nur auf
dem Geschäftsvermögen vorgenommen werden können. Dennoch klärte er der Steuerverwaltung gegenüber die Situation nicht auf, wozu er auf Grund seiner
Mitwirkungspflichten gehalten gewesen wäre. Die
Vermietung eigener Liegenschaften gehört ausgesprochen zur üblichen Verwaltung privaten Vermögens.
Bei der Annahme, sie sei Gegenstand eines geschäftlichen Betriebs und somit einer selbstständigen
Erwerbstätigkeit, ist grösste Zurückhaltung geboten.
Um bilanzierbar zu sein, muss ein Wirtschaftsgut nach
Auffassung des Bundesgericht in der vollen rechtlichen
Verfügungsgewalt des Geschäftsinhabers stehen. Gesamthandschaftsanteile an die Liegenschaften sind
nicht bilanzierbar. ■
(TFA, 10.12.03, RAMA 2004, p. 146)
(BGer., 23.1.04, StE 2004, 21.14 Nr.15)
(Bger., 14.7.04 {U 104/03}, NZZ, 20.8.2004 (Nr. 193), S. 17, Jusletter,
23.8.2004)
Art. 86 Abs. 1 KVG: Beschwerdelegitimation
bei Ehegatten
Mit Blick auf die solidarische Haftung des einen Ehegatten für ausstehende Prämienschulden des andern
(BGE 129 V 90 1 ff.) ist der Ehemann legitimiert, gegen
einen die Prämienschuld der Ehefrau betreffenden
Einspracheentscheid Beschwerde zu erheben, obwohl
er selbst nicht Adressat desselben ist. ■
(EVG, 10.12.03, RKUV 2004, S. 146)
290
TREX
5/ 04
Steuerrecht / Droit fiscal
Art. 2 und Art. 3 Abs. 1 FZGTI: Anspruch
auf Familienzulagen für die Kinder des Ehegatten
Im Gegensatz zur Regelung, die im kantonalen Gesetz
über die Familienzulagen vorgesehen ist, wird der
Anspruch auf Familienzulagen für die Kinder des Ehegatten unter bestimmten Bedingungen bejaht. Sind
die leiblichen Eltern nicht erwerbstätig und nachweisbar nicht in der Lage, den Unterhalt des Kindes in ausreichendem Masse zu bestreiten, und kommt der neue
Ehegatte tatsächlich seiner subsidiären Unterhaltspflicht für die Kinder seines Ehegatten nach oder bestreitet er zumindest in überwiegender Weise ihren
Unterhalt, ist die Situation der Patchworkfamilie mit
jener einer Familie vergleichbar, die aus den zwei Ehegatten und ihren gemeinsamen Kindern besteht. Sie ist
daher nach dem in Art. 8 der Bundesverfassung (BV)
festgehaltenen Grundsatz der Rechtsgleichheit gleich
zu behandeln. ■
(Versicherungsgericht Kt. TI, 7.4.04, AHI 2004, S. 155)
RECHTSPRECHUNG / JURISPRUDENCE
Art. 31 Abs. 2 und Art. 514 StG SG: Einkommen aus
beweglichem Vermögen (SG), Abgrenzung geldwerte
Leistung/angefangene Arbeiten für eigene GmbH
Verbucht der Steuerpflichtige in seiner Einzelfirma im
Ausfalljahr angefangene Arbeiten zugunsten einer
von ihm beherrschten juristischen Person, so hat er den
Nachweis über Art und Umfang der angefangenen
Arbeiten zu erbringen. Wird dieser Nachweis nicht
erbracht, sind die bei der Gesellschaft verbuchten angefangen Arbeiten als ausserordentliche Einkünfte aus
der Einzelfirma des Pflichtigen aufzurechnen. ■
(Verwaltungsgericht Kt. SG, 2.12.03, StR 2004, S. 607)
Art. 31 al. 2 et art. 314 LI SG: Revenu de la fortune
mobilière (SG), Distinction entre une prestation
appréciable en argent et des travaux en cours pour la
propre Sàrl
Lorsque, durant la lacune d’imposition, un contribuable comptabilise dans son entreprise en raison individuelle des travaux en cours pour une personne morale
qu’il contrôle, il doit apporter la preuve du genre et du
volume de ces travaux. Si cette preuve n’est pas faite,
les travaux en cours comptabilisés dans les livres de la
société doivent être soumis à l’imposition spéciale en
tant que revenus extraordinaires de l’entreprise en raison individuelle. ■
(Tribunal administratif ct. SG, 2.12.03, RF 2004, p. 607)
§ 6 Abs. 1 Satz 1 StG ZH: Doppelverdienerabzug;
geteilte Steuerhoheit
Der Doppelverdienerabzug knüpft zwar an die Tatsache der Erzielung von Erwerbseinkünften (in einem bestimmten Mindestmass) durch beide Gatten. Doch hat
der Gesetzgeber dessen Höhe nicht mit Blick auf den
Umfang dieser Einkünfte festgesetzt, sondern vielmehr unter Berücksichtigung der durch die Doppelerwerbstätigkeit anfallenden erhöhten Lebenshaltungskosten beider Ehegatten, welche ihre wirtschaftliche
Leistungsfähigkeit insgesamt mindern. Daher beschlägt der Abzug deren gesamtes Einkommen und ist
nicht allein ihren Erwerbseinkünften zurechenbar. Er
erweist sich infolgedessen als anorganischer, allgemeiner Abzug und ist bei geteilter Steuerhoheit im Sinn
der Bestimmung von § 6 Abs. 1 Satz 1, 2. Halbsatz StG
proportional nach Massgabe des jeweils in den beteiligten Staaten steuerbaren Einkommens der Ehegatten zu verlegen. ■
(Verwaltungsgericht Kt. ZH, 3.3.04, StR 2004 S. 528)
§ 6 al. 1 phrase 1 LIC ZH: Déduction pour double activité des conjoints lors d’un assujettissement partiel
La déduction pour double activité des conjoints est liée
à la réalisation de revenus d’activité lucrative (pour un
montant minimum) par les deux époux. Toutefois, le
législateur n’a pas fixé le montant de cette déduction
en rapport avec celui des revenus, mais en considération des frais de vie plus élevés lorsque les deux époux
exercent une activité lucrative, frais qui diminuent de
manière globale leur capacité contributive. C’est pourquoi cette déduction n’est pas liée seulement aux revenus d’activité lucrative, mais concerne le revenu dans
sa totalité. Elle se révèle donc en tant que déduction
générale anorganique, qui, dans les cas d’assujettissement partiel, doit être répartie, selon la disposition du
§ 6 al. 1 ZH LI, deuxième partie de la première phrase,
en proportion du revenu imposable des deux époux
dans les états intéressés. ■
(Tribunal administratif ct. ZH, 3.3.04, RF 2004, p. 528)
§ 52 Abs. 3 und § 123 Abs. 1 StG ZH: Voraussetzungen
der getrennten Veranlagung von Ehegatten
Ehegatten in rechtlichen und tatsächlich ungetrennter
Ehe sind gemeinsam zu veranlagen. Macht ein Ehegatte geltend, die Ehe sei tatsächlich getrennt, so trägt er
hierfür die Beweislast. Als tatsächlich getrennt gilt eine
rechtlich bestehende Ehe dann, wenn die Grundlagen
einer wirtschaftlichen Einheit im Sinn einer Erwerbsund Verbrauchsgemeinschaft fehlen. Obwohl erwiesen ist, dass die pflichtigen Eheleute den gemeinsamen
Haushalt aufgehoben haben und an verschiedenen
Orten leben, hat der beweisbelastete Ehemann nicht
dargetan, dass die Mittel für den Lebensunterhalt von
den Eheleuten nicht mehr gemeinschaftlich verwendet
werden. ■
(Verwaltungsgericht Zürich, 10.9.03, StE 2004, B92.3 Nr. 14)
291
TREX
5/ 04
RECHTSPRECHUNG / JURISPRUDENCE
Schuldbetreibungs- und
Konkursrecht
Droit de la poursuite pour
dettes et la faillite LP
Art. 68a Abs. 1 SckKG: Betreibung von Prämien
aus der obligatorischen Krankenpflegeversicherung
bei einer im a.o. Güterstand der Gütergemeinschaft
lebenden Schuldnerin
Wird eine im ausserordentlichen Güterstand der Gütergemeinschaft lebende Person für ausstehende Prämien der obligatorischen Krankenpflegeversicherung
betrieben, sind der Zahlungsbefehl und alle übrigen
Betreibungsurkunden auch dem anderen Ehegatten
zuzustellen; diese Doppelzustellung ist unverzüglich
nachzuholen, wenn erst im Laufe des betreibungsrechtlichen Verfahrens geltend gemacht wird, dass die
schuldnerische Person der Gütergemeinschaft untersteht.
Erhebt die schuldnerische Person und/oder deren Ehegatte Rechtsvorschlag, hat der Krankenversicherer (als
Rechtsöffnungsinstanz) verfügungsweise, gegebenenfalls im Einspracheentscheid, darauf hinzuweisen, dass
es sich bei KVG-Prämienforderungen um Vollschulden
gemäss Art. 233 ZGB handelt.
Ferner müssen Verfügung und Einspracheentscheid im
Dispositiv mit Bestimmtheit auf die hängige(n) Betreibung(en) Bezug nehmen und ausdrücklich den jeweiligen Rechtsvorschlag für aufgehoben erklären. ■
(EVG, 27.11.03, RKUV 2004, S. 129)
Art. 68a al. 1 LP: Poursuite des primes de l’assurance
obligatoire des soins
Si une personne vivant sous le régime extraordinaire
de la communauté de biens est poursuivie pour des primes arriérées de l’assurance obligatoire des soins, le
commandement de payer et tous les autres actes de
poursuite doivent être notifiés également au conjoint.
On doit remédier immédiatement à l’omission de cette
double notification lorsque ce n’est qu’au cours de la
procédure de poursuite que l’on invoque le fait que la
personne débitrice est soumise au régime de la communauté de biens.
Si la personne débitrice et/ou son conjoint forment opposition, l’assureur-maladie (en tant qu’instance de
mainlevée) doit, par voie de décision, le cas échéant,
par décision sur opposition, signaler, qu’il s’agit – dans
le cas de créances de primes LAMal – de dettes générales, au sens de l’art. 233 CC.
En outre, la décision sur opposition doivent se référer
avec certitude, dans le dispositif du jugement, à la/les
poursuite(s) en cours et prononcer expressément la
mainlevée de l’opposition respective. ■
(TFA, 27.11.03, RAMA 2004, p. 129)
Art. 80 und Art. 81 SchKG, Art. 1 Abs. 1 und 2 VwVG:
Billag ist Bundesbehörde
Die Billag AG als schweizerische Inkassostelle für
Radio- und Fernsehempfangsgebühren gilt laut Bundesgericht betreibungsrechtlich als Bundesbehörde.
Das hat zur Folge, dass das Betreibungsamt auf Verlangen der Billag die Betreibung direkt fortzusetzen hat,
nachdem sie den Rechtsvorschlag des säumigen Gebührenzahlers rechtskräftig aufgehoben hat. Dem
Schuldner bleibt der Einwand versagt, zum Entscheid
nicht richtig vorgeladen worden oder nicht gesetzlich
vertreten gewesen zu sein (Art. 79 und Art. 81 SchKG).
Laut dem Sitzungsentscheid der Schuldbetreibungsund Konkurskammer ist die Billag ähnlich einer Abteilung der Bundesverwaltung zuständig, für das ganze
Gebiet der Schweiz erstinstanzlich zu verfügen. Sie
kann dabei auch den Rechtsvorschlag eines Betriebenen beseitigen. Ihre Entscheide können laut Bundesgericht beim Bundesamt für Kommunikation angefochten werden. Letztinstanzlich sei die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ans Bundesgericht zulässig. Die
Billag sei somit vollumfänglich in das Verwaltungsverfahren des Bundes eingebettet und deshalb eine Bundesbehörde.
Anders sieht es laut einem früheren Urteil des Bundesgerichts bei den Krankenkassen aus. Zwar dürfen auch
sie gestützt auf Bundesrecht vollstreckbare Verfügungen erlassen. Der Rechtsweg von Einsprachen gegen
ihre Verfügungen beginnt jedoch im Kanton. Ihre Verfügungen werden deshalb betreibungsrechtlich den
kantonalen Entscheiden zugeordnet. Der Betriebene
kann in diesem Fall gegen die Fortsetzung der Betreibung einen Einwand im Sinne von Art. 81 SchKG geltend machen, sofern die Kasse ausserhalb des Kantons
der Betreibung verfügt hat. ■
(BGer., 29.6.04, {7B.76/2004}, NZZ, 28.7.2004 (Nr. 173), S. 14, Jusletter
2.8.2004)
293
Art. 93 SchKG: Pfändung bei Quellensteuer
Einkommenspfändung und Berücksichtigung der laufenden Steuern als für den Schuldner und seine Familie unbedingt notwendige Auslagen. Die Steuerzah-
TREX
5/ 04
RECHTSPRECHUNG / JURISPRUDENCE
lung bildet keine unbedingt notwendige Auslage.
Werden die Steuern dem Arbeitnehmer aber als Quellensteuern vom Lohn abgezogen, hat das Betreibungsamt bei der Berechnung der pfändbaren Quote nur
vom Lohn auszugehen, den der Schuldner effektiv erhält. ■
(BGer., 17.11.03, BISchK 2004, S. 85)
Lorsqu’un canton ne fixe les conditions minimales que
de façon schématique et sans distinction en prévoyant
une surface minimale de 800 m2, il faut, lorsqu’on est
présence d’une aire boisée d’une surface supérieure à
500 m2, prendre en considération l’ensemble des
aspects déterminants du cas, pour savoir s’il s’agit
d’une forêt. ■
(TF, 10.10.02, ZBGR 2004, p. 287)
Art. 93 LP: Saisie de salarie et les impôts à la source
Saisie de salaire et prise en compte des impôts courants
dans les dépenses indispensables au débiteur et à sa
famille. Le paiement de l’impôt ordinaire n’est pas une
dépense indispensable au débiteur ou à sa famille. Les
jurisprudences récentes développées dans les cantons
de Saint-Gall et de Soleure sont contraires à l’application de l’art. 93 LP. Il en va différemment des impôts
prélevés à la source par l’employeur sur les salaires de
certains travailleurs: dans ce cas, l’office tient compte
du salaire que reçoit réellement le débiteur. ■
(TF, 17.11.03, BISchK 2004, p. 85)
§ 7 Not-GebV: Grundbuchgebühren
für die Eintragung von Dienstbarkeit
Die Gebühr für die Eintragung von Dienstbarkeiten
wird nach Arbeitsaufwand und Bedeutung des Geschäftes festgesetzt (§ 7 Not-GebV). Das Gebot der
Rechtsgleichheit verlangt, dass die Gebühr für die Eintragung einer Dienstbarkeit ohne Gegenleistung vom
Grundsatz her nicht völlig anders ausfallen darf, als
wenn eine Gegenleistung vereinbart worden wäre. ■
(Finanzdirektion Kt. ZH, 1.7.03, ZBGR 2004, S. 243)
Verwaltungsrecht
Droit administratif
Art. 2 WaG, Art. 1 WaV: Waldfeststellung
Wald im Rechtssinn liegt vor, wenn eine Fläche mit
Waldbäumen und Waldsträuchern in einer Art bestockt ist, dass sich ein Waldboden, ein Waldsaum und
ein Waldinnenklima ausbilden und die Bestockung
Waldfunktionen (Nutz-, Schutz- und Wohlfahrtsfunktion) erfüllen kann. Legt ein Kanton die Mindestvoraussetzungen nur schematisch und undifferenziert mit einer Mindestfläche von 800 m2 fest, so ist bei allen Bestockungen mit einer Fläche von mehr als 500 m2 in
Würdigung aller massgeblichen Aspekte des Einzelfalls
zu prüfen, ob Wald vorliegt. ■
(BGer., 10.10.02, ZGBR 2004, S. 287)
294
TREX
5/ 04
Art. 2 Lfo, art. 1 Ofo: Constatation de l’existence
d’une forêt
On est en présence d’une forêt, au sens juridique du
terme, lors qu’une surface couverte d’arbres ou d’arbustes forestiers forme un sol boisé, une lisière et un
climat intérieur et que le boisement remplit les fonctions forestières (fonctions d’utilisation, de protection
et de bien-être).
§ 7 NotGebV: Emoluments perçu par le registre
foncier pour l’inscription des servitudes
L’émolument perçu pour l’inscription des servitudes
doit être fixé en fonction du travail que cette inscription implique et de l’importance de l’affaire (§ 7 NotGebV). Au vu du principe d’égalité, l’émolument perçu
pour l’inscription d’une façon totalement différente
que si elle avait été convenue à titre onéreux. ■
(Direction des finance ct. ZH, 1.7.03, ZBGR 2004, p. 243)
Zivilrecht / Droit civil
Art. 122 Abs. 1, Art. 141 Abs. 1 und Art. 142 ZGB;
Art. 64 IPRG: Versorgungsausgleich
bei ausländischem Scheidungsurteil; Verfahren
Wird in einem deutschen Scheidungsurteil nicht über
den Versorgungsausgleich entschieden, so kann nicht
direkt das schweizerische Versicherungsgericht die Berechnung und Teilung der Austrittsleistung vornehmen; vor einer allfälligen Überweisung zu diesem
Zweck hat der zuständige schweizerische Zivilrechter
das Scheidungsurteil bezüglich der vorsorgerechtlichen Folgen zu ergänzen. ■
(Obergericht Kt. SH, 12.12.03, SJZ 2004, S. 423)
RECHTSPRECHUNG / JURISPRUDENCE
Art. 122 al. 1, art. 141 al. 1 et art. 142 CC;
art. 64 LDIP: Partage de la prévoyance en cas
de jugement de divorce étranger; procédure
Si un jugement de divorce allemand n’a pas tranché le
partage de la prévoyance, c.-à-d. au moins la question
de la proportion dans laquelle les prestations de sortie
doivent être partagées, le tribunal des assurances suisse ne peut alors pas procéder directement au calcul et
au partage des prestations de sortie. Pour y parvenir, le
juge civil suisse compétent doit au préalable compléter
le jugement de divorce sur la question des conséquences juridiques de la prévoyance. ■
(Tribunal cantonal ct. SH, 12.12.03, SJZ 2004, p.423)
Art. 166 Abs. 3 ZBG: Solidarische Haftung
Die solidarische Haftung des Ehemannes gemäss
Art. 166 Abs. 3 ZBG für die Zahlung der Krankenkassenprämien der Ehefrau ist für die Zeit nach der tatsächlichen Trennung zu verneinen. ■
(EVG, 16.12.03, RKUV 2004, S. 149)
Art. 166 al. 3 CC: Responsabilité solidaire
Refus de la responsabilité solidaire du mari au sens de
l’art. 166 al. 3 CC pour le paiement des primes d’assurance-maladie dues par l’épouse après la séparation de
fait. ■
(TFA, 16.12.03, RAMA 2004, p. 149)
Art. 736 ZGB: Privates Wegrecht trotz Strassenerschliessung
Wird ein über ein privates Wegrecht zugängliches
Grundstück zusätzlich durch eine neue öffentliche
Strasse erschlossen, kann der Eigentümer der belasteten Parzelle nicht ohne weiteres die Löschung des
Wegrechts durchsetzen. Das ergibt sich aus einem
Urteil des Bundesgerichts, wonach eine Löschung nur
in Frage kommt, wenn die Berechtigten jedes vernünftige Interesse am vereinbarten Wegrecht verloren haben.
Hat ein Wegrecht oder eine andere Dienstbarkeit für
das berechtigte Grundstück alles Interesse verloren,
kann die Löschung verlangt werden (Art. 736 ZGB). In
der Rechtslehre wird die Auffassung vertreten, ein
Wegrecht sei zwecklos geworden und für den berechtigten Eigentümer nicht mehr von Interesse, sobald der
bisher mit dem Wegrecht erfüllte Zweck durch eine öffentliche Strasse gewährleistet wird. Dies trifft indes
aus Sicht des Bundesgerichts vorbehaltlos nur zu,
«wenn die öffentliche Strasse entsprechend dem privaten Wegrecht gebaut wird, wie es im Dienstbarkeitsvertrag umschrieben und in den dazugehörigen Plänen eingezeichnet ist». Nur dann kann ohne weiteres
gesagt werden, die öffentliche Strasse erfülle den
Zweck, den bisher das Wegrecht gewährleistet hat.
Nimmt die öffentliche Strasse dagegen beispielsweise
einen anderen Verlauf als das Wegrecht oder weist sie
eine andere Breite auf, ist im Einzelfall zu prüfen, ob
295
TREX
5/ 04
RECHTSPRECHUNG / JURISPRUDENCE
die öffentliche Strasse den mit dem Wegrecht gewährleisteten Zweck vollumfänglich erfüllt oder ob die bisherige Wegverbindung nicht vorteilhafter ist. Einzig
wenn das Wegrecht den Charakter eines Notwegrechts
hat, «verlöre das vertraglich vereinbarte Wegrecht seine Existenzberechtigung, sobald die Notlage für das
herrschende Grundstück durch den Anschluss an das
öffentliche Wegnetz behoben ist».
Entscheidend ist damit laut dem Urteil der II. Zivilabteilung nicht der Umstand allein, dass ein Grundstück
an das öffentliche Verkehrsnetz angeschlossen wird,
sondern vielmehr ob die Wegberechtigten deswegen
ein vernünftiges Interesse am konkret vereinbarten
Durchgangsrecht verloren haben. Im beurteilten Fall
wird aus mehreren Gründen ein verbleibendes Interesse am Wegrecht bejaht und damit ein Anspruch auf
Löschung verneint. Als Nachteil gegenüber dem bisherigen Wegrecht wird unter anderem gewertet, dass
der Zugang über die öffentliche Strasse nicht eben und
zudem ohne Trottoir verläuft. Zudem ist der Ortsbus zu
Fuss über das Wegrecht schneller erreichbar als über
die neue Strasse. ■
(BGer., 23.6.04, {Urteil 5C.265/2003}, NZZ, 1.9.2004 (Nr. 203), S. 16, Jusletter 6.9.2004)
Art. 764 – Art. 767 ZBG, Art. 98 Abs. 1 OR:
Ersatzvornahme von dem Nutzniesser obliegenden
Massnahmen
Trifft der Nutzniesser während der Dauer der Nutzniessung die ihm gemäss Art. 764–767 ZGB obliegenden Massnahmen nicht, kann der Eigentümer ihn in
Verzug setzen, seine Pflichten zu erfüllen, namentlich
in Bezug auf den gewöhnlichen Unterhalt im Sinne
von Art. 764 Abs. 1 ZGB, und vom Gericht in Anwendung von Art. 98 Abs. 1 OR die Ermächtigung verlangen, die nötigen Arbeiten durch einen Dritten auf
Kosten des Nutzniessers ausführen zu lassen. ■
(BGer., 5.2.04, BGE 130 III 302)
296
TREX
5/ 04
Art. 764 – Art. 767 CC, art. 98 al. 1 CO: Exécution par
substitution des mesures incombant à l’usufruitier
Si, pendant la durée de l’usufruit, l’usufruitier ne prend
pas les mesures lui incombant en vertu des art. 764 à
767 CC, le nu-propriétaire peut le mettre en demeure
d’exécuter ses obligations, notamment en ce qui concerne l’entretien ordinaire au sens de l’art. 764 al. 1 CC,
et solliciter l’autorisation du juge, en application de
l’art. 98 al. 1 CC, de faire exécuter les travaux nécessaires par un tiers aux frais de l’usufruitier. ■
(TF, 5.2.04, ATF 130 III 302)
Obligationenrecht
Droit des obligations
Art. 18 Abs. 2 OR: Ein Konsumkredit bleibt ein
Konsumkredit, selbst wenn er als «Automietvertrag»
getarnt wird
Wenn die Konsumentin, um sich Geld zu beschaffen,
ihr Auto einer Garage verkauft und dann sofort wieder
mietet, müssen die Vorschriften des Konsumkreditgesetzes beachtet werden. Die Gesellschaft, welche das
Geschäft finanziert, kann sich nicht darauf berufen, sie
habe mit der Konsumentin einen reinen Automietvertrag abgeschlossen. Dies geht aus einem neuen Bundesgerichtsentscheid hervor. Daneben gibt der Entscheid Einblick in fragwürdige Geschäftspraktiken, wie
sie von Aussenseitern der Leasingbranche gepflegt
werden.
Weil sie Geld brauchte, verkaufte Frau A am 28. Mai
1998 ihr vierjähriges Auto für 21 800 Franken der Z. AG,
um es gleich wieder von ihr zurückzumieten. Die vorgesehene Mietdauer betrug 60 Monate. Die Z. AG trat
sämtliche Rechte aus dem Vertrag an die Genossenschaft X ab, welche das Geschäft finanzierte. Frau A
sollte der Genossenschaft X jeden Monat 541 Franken
«Miete» bezahlen.
Frau A bekam nur einen Bruchteil des Kaufpreises zu
sehen. Die Z AG zog folgende Beträge vom Kaufpreis
ab:
Mehrwertsteuer
CHF 1417.00
Kaution: 2180.00, davon
1000.00 bereits erhalten
CHF 1180.00
Sicherheitsleistung
CHF 6713.00
1. Miete
CHF
541.00
Bearbeitungsgebühr
CHF 2180.00
Einlösungsgebühren
CHF
169.00
Frau A erhielt vom Kaufpreis von 21 800 Franken 9600
Franken ausbezahlt. Die «Sicherheitsleistung» von
6713 Franken sollte sie erst nach 12 Monaten bekommen, und nur, sofern sie bis dahin den Mietvertrag einwandfrei erfüllt haben würde.
Auf Anfrage erklärte die Genossenschaft X Frau A, sie
wisse nichts von diesen Abzügen. In ihrem Vertragsformular sei einzig die 1. Miete von 541 Franken vermerkt.
Frau A bezahlte eine zweite Miete, stellte sich dann
aber auf den Standpunkt, der Vertrag verstosse gegen
das Abzahlungsvertragsrecht und sei daher nichtig.
Die Genossenschaft X klagte Frau A ein und verlangte
die Herausgabe des Fahrzeugs und die Bezahlung von
13 525 Franken. Sie behauptete, sie habe mit Frau A
einen reinen Mietvertrag abgeschlossen. Vom Kredit-
RECHTSPRECHUNG / JURISPRUDENCE
geschäft habe sie nichts gewusst; es gehe sie nichts an.
Das Bundesgericht hat nun in letzter Instanz die Berufung der Genossenschaft X abgewiesen. Ob diese von
den Machenschaften der Z AG wusste, spielte keine
Rolle. Denn: Der Genossenschaft X war bekannt, dass
Frau A ihr eigenes Fahrzeug der Z AG verkauft und
gleich wieder gemietet hatte, um zu Geld zu kommen.
Sie wusste, dass es dabei nicht einfach um einen gewöhnlichen Mietvertrag ging, sondern um jene Art
von Kreditgeschäft, welches im Geschäftsleben als
«sale and lease back» bekannt ist. Bei diesem Kreditgeschäft hätten die Formvorschriften des Konsumkreditgesetzes eingehalten werden müssen (es galt das
inzwischen aufgehobene Konsumkreditgesetz aus
dem Jahr 1994). Nachdem die Formvorschriften missachtet worden sind, ist das gesamte Geschäft nichtig.
Mit andern Worten: Das Auto gehört nach wie vor Frau
A. Und die Genossenschaft X geht leer aus. ■
(BGer. 15.7.04, http://www.schuldenhotline.ch/index.php)
Art. 51, Art. 371 Abs. 2 und Art. 377 OR: Werkvertrag;
Verjährung, Verwirkung, unechte Solidarität
Die Rechte bei Mängeln, welche nicht vor Ablauf der
Verjährungsfrist von Art. 371 Abs. 2 OR angezeigt wurden, sind verwirkt. Dies a quo dieser Frist im Fall der
vorzeitigen Auflösung des Vertrags im Sinne von
Art. 377 OR. Es ist unwesentlich, dass der Bauherr erst
nach Ablauf der Verjährungsfrist vom Vorliegen des
Mangels erfahren hat.
Wenn die mangelhafte Ausführung eines Werks mehreren Personen zuzuschreiben ist, haften diese für den
Schaden gegenüber dem Bauherrn grundsätzlich als
unechte Solidarschuldner. Wenn jedoch eine dieser
298
TREX
5/ 04
Personen einen Mangel mit verursacht hat, von dem
der Bauherr erst nach Ablauf der Frist von Art. 371.
Abs. 2 OR erfährt, kann gegen sie ein Rückgriff nicht
geltend gemacht werden, unbesehen darum, ob ihn
der Haftpflichtige selbst oder seine Haftpflichtversicherung geltend macht. ■
(BGer., 23.2.04, BGE 130 III 362)
Art. 51, art. 371 al. 2, art. 377 CO: Contra d’entreprise;
prescription, péremption, solidarité imparfaite
Les droits de garantie pour les défauts qui n’ont pas été
signalés avant l’échéance du délai de prescription de
l’art. 371 al. 2 CO sont périmés. Dies a quo de ce délai
en cas de résiliation anticipée du contrat au sens de
l’art. 377 CO. Il importe peu que le maître de l’ouvrage
n’ait appris l’existence du défaut que passé le délai de
prescription.
Lorsque l’exécution défectueuse d’une construction
est imputable à plusieurs personnes, celles-ci répondent en principe du dommage envers le maître en vertu des règles de la solidarité imparfaite. Toutefois, si
l’une de ces personnes est à l’origine d’un défaut dont
le maître n’a connaissance qu’une fois le délai de
l’art. 371 al. 2 CO arrivé à expiration, elle ne peut alors
faire l’objet d’une action récursoire, que celle-ci émane
du responsable lui-même ou de son assurance responsabilité civile. ■
(TF, 23.2.04, ATF 130 III 362)
Art. 259d OR: Mietzinsherabsetzung
bei ästhetischem Mangel
Auch eine rein ästhetische Beeinträchtigung gilt als
Mangel, wenn sie während längerer Zeit nicht beho-
RECHTSPRECHUNG / JURISPRUDENCE
ben wird. Ein zerrissener Teppich im Eingangsbereich
eines Mehrfamilienhauses berechtigt zu einer Mietzinsherabsetzung um 2%, wenn der Teppich während
5 Jahren nicht ersetzt wird. ■
(BGer., 28.10.03, mp 2004, S. 95)
Art. 271a Abs. 1 lit. e Ziff. 4 und Abs. 2OR:
Kündigungsschutz nur nach Streit
Kann der Mieter durch Schriftstücke nachweisen, dass
er sich mit seinem Vermieter ausserhalb eines Schlichtungs- oder Gerichtsverfahrens über eine Forderung
aus dem Mietverhältnis geeinigt hat, gilt eine dreijährige Kündigungssperrfrist (Art. 271 a Abs. 2 OR), die
den Mieter vor Rachekündigungen schützen soll.
Ausgelöst wird die Sperrfrist gemäss dem einstimmig
gefällten Entscheid der I. Zivilabteilung des Bundesgerichts jedoch nur dann, wenn zwischen den Parteien
vor der Einigung tatsächlich Differenzen bestanden
haben. Nicht erfasst werden laut Bundesgericht dagegen Fälle, in denen es gar nicht erst zu einer Auseinandersetzung kommt, weil die eine Partei sofort den Forderungen der anderen entspricht. Würden die Anliegen des Mieters durch die erste Reaktion des Vermieters bereits hinreichend berücksichtigt, könne von der
Beilegung eines Streits nicht die Rede sein. Diese bundesgerichtliche Praxis ist zwar nicht neu, wird nun aber
erstmals in einem Entscheid bestätigt, der zur BGEPublikation vorgesehen ist.
Im zu beurteilenden Fall hat das Bundesgericht die Berufung eines Garagisten aus dem Kanton Zürich abgewiesen. Er hatte gegenüber der Vermieterschaft eine
Entschädigung wegen Umbauarbeiten geltend gemacht und erhalten. Rund eineinhalb Jahre danach
wurde ihm gekündigt. Die Schlichtungsstelle erklärte
die Kündigung zunächst für ungültig. Das Bezirksgericht Zürich und anschliessend das Obergericht gaben
demgegenüber dem Vermieter Recht. Laut den Lausanner Richtern wurde verbindlich festgestellt, dass die
Ansprüche des Mieters grundsätzlich nicht umstritten
gewesen seien. Im Umstand, dass die Vermieterschaft
eine genaue Zusammenstellung der gemachten Beeinträchtigungen verlangt habe, könne nicht ein «Ringen
um den angemessenen Betrag» erblickt werden. ■
(Bger., 18. 6. 2004, {4C.122/2004}, NZZ, 27.7.2004 (Nr. 172), S. 13, Jusletter 2.8.2004)
Art. 272 und Art. 272b Abs. 1 OR:
Dauer der Erstreckung, Zweiterstreckung
Besteht auf Seiten des Vermieters kein dringender
Eigenbedarf, so ist für ein Coiffeurgeschäft, dessen
Inhaber sich dem Pensionsalter nähert, eine Erstreckung des Mietverhältnisses um 4 Jahre angemessen.
Sind die Chancen des Mieters ungewiss, ob er innert
der Erstreckungsfrist ein Ersatzobjekt findet, ist die
Möglichkeit einer Zweiterstreckung einzuräumen. ■
(Cour de justice Genf, 7.10.02, mp 2004, S. 117)
299
TREX
5/ 04
RECHTSPRECHUNG / JURISPRUDENCE
Art. 272 und 272b Abs. 1 OR: Dauer der Erstreckung,
Zweiterstreckung
Ein seit zwanzig Jahren bestehendes Mietverhältnis
über ein Restaurant, das wegen nicht dringender
Umbauarbeiten gekündigt wird, ist um drei Jahre zu
erstrecken, auch wenn die Suchbemühungen des Mieters ungenügend sind. Sind die Chancen des Mieters
ungewiss, ob er innert der Erstreckungsfrist ein Ersatzobjekt findet, ist zudem die Möglichkeit einer Zweiterstreckung einzuräumen. ■
(Cour de Justice Genf, 10.12.01, mp 2004, S. 114)
Art. 328 OR, Art. 6 Arbeitsgesetz, Art. 6 EMRK:
GPS-Überwachung des Fahrzeugparks; heikle arbeitsrechtliche Abwägungen
Die satellitenunterstützte geografische Überwachung
der Fahrzeugflotte eines Unternehmens, das die Wartung von Feuerlöschern gewährleistet, kann laut einem neuen Urteil des Bundesgerichts zulässig sein.
Voraussetzung ist, dass es sich lediglich um eine indirekte und partielle GPS-Überwachung handelt, indem
dem Arbeitgeber am Abend Ort und Dauer des Aufenthalts der Fahrzeuge gemeldet werden. Das erlaubt
dem Unternehmen, die Tätigkeit des Servicepersonals
bei den verschiedenen Kunden zu kontrollieren und
Missbräuche zu verhindern.
Eine derartige GPS-Überwachung liegt gemäss dem
einstimmig gefällten Urteil der II. Öffentlichrechtlichen Abteilung nicht nur im legitimen Interesse des
Arbeitgebers, sondern auch im allgemeinen Interesse
daran, dass Feuerlöscher gemäss den gesetzlichen Vorschriften gewartet und repariert werden. Im Übrigen
unterscheidet sich eine solche Überwachung nicht wesentlich von einer Arbeitszeitkontrolle mit Stempeluhr.
Nicht zulässig wäre dagegen aus Sicht des Bundesgerichts eine lückenlose und permanente GPS-Überwachung in Echtzeit. Wie es sich damit im konkret beurteilten Fall eines Genfer Unternehmens verhält, haben
die kantonalen Behörden jetzt anhand der Vorgaben
aus Lausanne zu prüfen. ■
(BGer., 13.7.2004, {2A.118/2003}, NZZ, 23.8.2004 (Nr. 195), S. 9,
Jusletter, 23.8.2004)
300
TREX
5/ 04
Art. 336 OR: Aussprache vor der Entlassung?
Gesetz verlangt nur nachträgliche Begründung
Ein Arbeitsvertrag kann gekündigt werden, ohne dass
der Kündigende die Gegenseite vorgängig anhört. Das
geht aus einem neuen Urteil des Bundesgerichts her-
vor. Danach mag es unanständig sein, wenn ein
Arbeitgeber einem Angestellten kündigt, ohne
zunächst mit ihm zu reden. Das Vorgehen ist indes
nicht rechtswidrig, weshalb eine solche Kündigung
auch nicht als missbräuchlich gewertet werden kann.
Missbräuchlich ist eine Kündigung grundsätzlich nur,
wenn sie aus bestimmten unzulässigen Gründen ausgesprochen wird, die im Gesetz umschrieben sind
(Art. 336 OR). Die Aufzählung ist laut dem einstimmig
gefällten Urteil der I. Zivilabteilung nicht abschliessend. Vielmehr wird damit das allgemeine Verbot des
Rechtsmissbrauchs konkretisiert, und das Bundesgericht hat denn auch schon mehrfach andere Umstände
einer Kündigung als (rechts)missbräuchlich anerkannt
(vgl. BGE 125 III 70 E. 2a). Dabei gilt es im Auge zu behalten, dass nicht nur die Gründe für eine Kündigung
missbräuchlich sein können, sondern auch die Art und
Weise, wie die Kündigung erfolgt. Denn selbst wenn
eine Vertragspartei «die Kündigung rechtmässig erklärt, muss sie das Gebot schonender Rechtsausübung
beachten». Wird etwa die Persönlichkeit des Betroffenen schwer verletzt im Zusammenhang mit einer sonst
rechtmässigen Kündigung, kann diese deswegen missbräuchlich sein. Anderseits genügt dafür ein bloss unanständiges oder unwürdiges Verhalten nicht, denn
«es ist nicht Aufgabe der Rechtsordnung, bloss unanständiges Verhalten zu sanktionieren».
Zu beurteilen war in Lausanne die Entlassung eines
Filialleiters, der für den Verkauf von Videos, DVD und
Computerspielen zuständig war. Der Arbeitgeber verdächtigte ihn des Diebstahls und der Veruntreuung
und erstattete Strafanzeige. Das Strafverfahren wurde
schliesslich mangels hinreichender Beweise eingestellt,
doch kündigte der Arbeitgeber dem Filialleiter unter
Einhaltung der Kündigungsfrist. Der Betroffene erachtete seine Entlassung unter anderem deshalb als missbräuchlich, weil der Arbeitgeber nicht vorgängig mit
ihm das Gespräch aufgenommen hatte.
Wie zuvor schon die Basler Justiz hat nun auch das Bundesgericht jeden Missbrauch verneint. Der Verdacht
auf Vermögensdelikte durfte dem Angestellten schon
mit Rücksicht auf die polizeilichen Ermittlungen nicht
umgehend mitgeteilt werden. Dass auch kein Gespräch stattfand, bevor die Kündigung ausgesprochen
wurde, ist laut dem Urteil aus Lausanne wenig verständlich, doch sieht das schweizerische Arbeitsvertragsrecht eine Anhörungspflicht vor der Kündigung
nicht vor: «Wohl besteht ein Anspruch auf Begründung einer Kündigung (Art. 335 Abs. 2 Obligationenrecht). Diese muss aber erst im Nachhinein erfolgen.
Wäre eine vorhergehende Anhörung zwingend, müssten sinnvollerweise bereits bei einer solchen auch die
RECHTSPRECHUNG / JURISPRUDENCE
Kündigungsgründe offen gelegt werden. So weit wollte der Gesetzgeber indessen nicht gehen.» Diesen
gesetzgeberischen Entscheid will das Bundesgericht
respektieren und daher davon absehen, auf dem Umweg über das Verbot des Rechtsmissbrauchs einen
rechtlichen Anspruch auf Anhörung vor der Kündigung einzuführen. ■
(BGer., 5. 8. 04, { 4C.174/2004}, NZZ, 11./12.9. 2004 (Nr. 212), S. 17)
Art. 337 OR: Eigenmächtiger Ferienbezug, zulässige
fristlose Entlassung
Das Bundesgericht hat die fristlose Entlassung eines
Arbeitnehmers bestätigt, der zwischen Weihnacht und
Neujahr der Arbeit ferngeblieben war, obwohl der
Arbeitgeber sein Feriengesuch mit Hinweis auf eine für
den ganzen Betriebsbereich erlassene Feriensperre
während der Festtagszeit abgewiesen hatte. Zudem
war dem Mitarbeiter die fristlose Entlassung ausdrücklich angedroht worden.
302
TREX
5/ 04
Im Urteil wird in Erinnerung gerufen, dass der eigenmächtige Bezug von Ferien, die der Arbeitgeber nicht
gewährt hat, grundsätzlich als wichtiger Grund gilt,
der eine fristlose Entlassung zu rechtfertigen vermag
(Art. 337 OR; vgl. BGE 108 II 301 E. 3b). Im beurteilten
Fall hätte der Arbeitnehmer seine Ferienwünsche für
das fragliche Jahr bereits im März anmelden und dabei
ein Formular verwenden müssen, auf dem die Feriensperre für die Zeit vom 23.12. bis zum 5.1. fett und
gross aufgedruckt war. Als er im November genau für
diesen Zeitraum ein Gesuch um Ferien einreichte, wurde er umgehend mündlich auf die Feriensperre hingewiesen. Danach wurde der Arbeitnehmer mehrmals
schriftlich darauf aufmerksam gemacht, dass die Ferien
nicht bewilligt werden können. Und schliesslich drohte
ihm die Geschäftsleitung die fristlose Entlassung für
den Fall an, dass er der Arbeit trotzdem fernbleiben
sollte. Unter diesen Umständen sind die Richter zu
Recht davon ausgegangen, dass eine Entlassung ohne
Einhaltung der Kündigungsfrist zulässig war. ■
(BGer., 22.7.04, NZZ, 4./5.9.2004 (Nr. 206), S. 14, Jusletter 6.9.2004)