Mietzinsherabsetzung Schimmel Beweislast

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Mietzinsherabsetzung Schimmel Beweislast
www.mietrecht.ch
mp 2/00 S. 71 ff.
Obergericht Basel-Landschaft, 2. März 1999
Mietzinsherabsetzung Schimmel Beweislast
Ist umstritten, ob Schimmelbildung in einer Wohnung durch Bauschäden oder falsche Lüftungsgewohnheiten der Mieter verursacht
wurde, so hat zur Begründung einer Mietzinsherabsetzung der Mieter den Mangel und die Beeinträchtigung im Gebrauch nachzuweisen und der Vermieter, dass der Mieter den Mangel selber verursacht hat (E. 3.4). Ist Letzteres nicht nachgewiesen, ist eine Mietzinsherabsetzung geschuldet, auch wenn den Vermieter kein Verschulden trifft (E. 5). Ein leichter Pilzbefall in zwei Ecken eines
Zimmers einer 4½-Zimmer-Wohnung berechtigt zu einer Mietzinsherabsetzung um 10 %.
Art. 259d OR; Art. 8 ZGB
Aus den Tatsachen
Die Kläger verlangten eine Mietzinsreduktion für die Zeit vom 1. Januar 1997 bis
zum 30. Juni 1997 von Fr. 1'803.-- auf Fr. 1'321.60 und ab dem 1. Juli 1997 von
Fr. 1'803.-- auf Fr. 1'262.10. Begründet wurde das Begehren damit, dass ein Zimmer der von ihnen bewohnten 4½-Zimmer-Wohnung wegen Schimmelpilzbefall, insbesondere wegen der möglichen gesundheitlichen Folgen für das Kleinkind, nicht
mehr bewohnbar sei, und dass deshalb eine Mietzinsreduktion um 30% angemessen
sei. Zur Abklärung der Verursachung des Schimmelpilzbefalls sei die Firma M. AG
mit der Ausfertigung einer gerichtlichen Expertise zu beauftragen.
Die anlässlich der Audienz vom 6. November 1997 vom Bezirksgerichtspräsidenten Arlesheim in Auftrag gegebene Expertise wurde am 2. April 1998 durch die Firma
M. AG durchgeführt. Die Sachverständige schloss in Beantwortung der klägerischen
Fragen konstruktive Mängel der Aussenwand, Isolation und Innenwand als Ursache
für den Pilzbefall nicht aus und führte weiter aus, ein Fehlverhalten der Mieter sei
nicht nachzuweisen.
Nach Eingang der Expertise wies der Bezirksgerichtspräsident Arlesheim die Klage mit Urteil vom 13. August 1998 vollumfänglich ab und verfügte die Freigabe der
Mietzinshinterlegung zugunsten der Beklagten. Die Expertise sei zu ungenau und in
der Beantwortung der klägerischen Fragen zu vage, um daraus die Schuldfrage für
die Mängel abschliessend zu klären und andere rechtliche Schlüsse daraus zu ziehen. Da die Kläger kein Obergutachten verlangt hätten und ihre vorgebrachten Beweise als blosse Parteibehauptungen zu betrachten seien, müsse die Klage abgewiesen werden.
Gegen das Urteil des Bezirksgerichtspräsidenten Arlesheim vom 13. August
1998 erklärten die Kläger mit Eingabe vom 14. August 1998 Appellation.
Aus den Erwägungen
2. Die Appellanten beantragen, dass das erstinstanzliche Urteil aufzuheben sei, und
dass entsprechend den vor erster Instanz vorbrachten Rechtsbegehren der Mietzins
ab 1. Januar 1997 um 30% zu reduzieren sei.
Voraussetzung für eine Mietzinsherabsetzung ist gemäss Art. 259d OR, dass die
Mietsache Mängel aufweist, welche die Tauglichkeit der Sache zum vorausgesetzten
Gebrauch beeinträchtigen oder vermindern. Daneben ist Art. 259a Abs. 1 OR zu
entnehmen, dass der Mangel nicht vom Mieter selbst zu verantworten sein darf,
wenn dieser seine Mängelrechte wahrnehmen will. In casu ist die Existenz eines
Mangels, nämlich der Schimmelpilz-Befall in der oberen und unteren Ecke eines
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Zimmers der Mietwohnung, unbestritten. Streitig ist hingegen die Frage nach der
Ursache des Mangels und, damit verbunden, wer für diesen Mangel einstehen muss.
Nach Ansicht des Appellanten ist der Pilzbefall auf einen Baumangel zurückzuführen
und fällt damit in den Verantwortungsbereich des Vermieters. Die Appellaten machen demgegenüber die Mieter für den Mangel verantwortlich. Diese hätten den
Schaden durch mangelhaftes Lüften und fehlerhaftes Heizen selbst herbeigeführt,
und deshalb sei die Klage abzuweisen.
3. Demzufolge ist zunächst zu prüfen, welche Partei bezüglich einer allfälligen Verantwortlichkeit des Mieters für den Mangel gemäss Art. 259a Abs. 1 OR beweispflichtig ist. Obwohl die Beweislast in Mietstreitigkeiten dadurch entschärft wird,
dass gemäss Art. 274d OR der Richter den Sachverhalt von Amtes wegen festzustellen hat (vgl. D. L ACHAT /D. S TOLL , Das neue Mietrecht für die Praxis, 2. Aufl., Zürich
1991, S. 93; S TAEHELIN /S UTTER , Zivilprozessrecht, Zürich 1992, S. 111), bleibt es
grundsätzlich Sache der Parteien, dem Gericht das Tatsächliche des Streites vorzutragen und die Beweismittel zu nennen (vgl. SVIT-Kommentar zum Mietrecht, Zürich
1991, Art. 274d OR N 19) und ebenso trägt die beweisbelastete Partei die Folgen
der Beweislosigkeit (vgl. Berner-Kommentar/KUMMER , Art. 8 ZGB, N 25).
a) Nach Art. 8 ZGB muss derjenige das Vorhandensein einer behaupteten Tatsache beweisen, der aus ihr Rechte zieht. Massgebend ist die Unterscheidung in
rechtsbegründende, rechtsaufhebende und rechtshindernde Tatsachen (vgl. BaslerKommentar/S CHMID , Art. 8 ZGB, N 38). Rechtserzeugende Tatsachen sind von der
Partei, die eine Berechtigung behauptet, rechtshindernde oder rechtsvernichtende
Tatsachen vom Anspruchsgegner zu beweisen. Die Trennung in erzeugende und
hindernde Sachumstände ist nach dem systematischen Aufbau der Rechtssätze,
dem Regel-Ausnahme-Verhältnis und, wo sich schlüssige Anhaltspunkte der genannten Art aus dem Gesetz nicht finden, nach Angemessenheit der Beweislastverteilung
vorzunehmen (vgl. Berner-Kommentar/KUMMER , Art. 8 ZGB, N 166 ff.).
b) Der Vermieter hat nach der Regelung von Art. 256 ff. OR grundsätzlich dafür
zu sorgen, dass sich die Mietsache in einem zum vorausgesetzten Gebrauch tauglichen Zustand befindet (vgl. Zürcher-Kommentar, H IGI , Art. 256 OR N 49; H ONSELL ,
Schweizerisches Obligationenrecht, Besonderer Teil, 4. Aufl. S. 192 f.) Tritt ein
Mangel ein, ist der Vertrag nicht richtig erfüllt, da der Anspruch des Mieters auf
ungetrübten Gebrauch der Sache dementsprechend verletzt wird (vgl. Botschaft des
Bundesrates zur Revision des Miet- und Pachtrechts im Obligationenrecht, BBl 1985
I 1434) Als Selbstverständlichkeit wird in Art. 259a Abs. 1 OR wiederholt, dass dem
Mieter die Mängelrechte nur zustehen, falls er die Mängel weder selbst zu verantworten noch gemäss Art. 259 OR auf eigene Kosten zu tragen hat (vgl. SVITKommentar Mietrecht, Art. 259a OR, N 4; G UHL /M ERZ /K OLLER , Das Schweizerische
Obligationenrecht, 8. Aufl. Zürich 1991, S. 381). Anders als bei einem Schadenersatzanspruch des Mieters, gegen den sich der Vermieter mit dem Nachweis fehlenden eigenen Verschuldens wehren kann, ist bei einem Mietzinsherabsetzungsanspruch des Mieters nach Art. 259d OR eine Befreiung des Vermieters nur dann
möglich, wenn er nachweist, dass der Mangel vom Mieter selbst verursacht wurde
(vgl. TRACHSEL , Leitfaden zum Mietrecht, Zürich 1991, S. 117 m.w. Hinw.). die rechtserzeugende Tatsache, der Mangel an der Mietsache und die daraus folgende Beeinträchtigung, ist also vom Mieter nachzuweisen, währenddem die rechtshindernde
Tatsache, die Verursachung des Mangels durch den Mieter selbst, vom Vermieter
nachzuweisen ist. Diese Beweislastverteilung ergibt sich unter anderem aus dem
Regel-Ausnahme-Verhältnis und der dem OR zugrundeliegenden Grundregel, dass
diejenige Partei Fehlverhalten nachweisen muss, welche dieses behauptet. Sie
nimmt Rücksicht auf die (objektiven) Beweismöglichkeiten (vgl. I. M EIER , Das Beweismass − ein aktuelles Problem des schweizerischen Zivilprozessrechts, BJM
1989, S. 69) und entspricht auch der Regelung der Schadenshaftung des Mieters
bei Rückgabe der Mietsache, bei der es ebenso Sache des Vermieters ist, die adäquat kausale Verursachung des Schadens durch das (Fehl-)Verhalten des Mieters
nachzuweisen (vgl. Basler-Kommentar/WEBER /Z IHLMANN , Art. 267 OR N 5). Dementsprechend ist nun zu prüfen, ob es den Beklagten gelungen ist, nachzuweisen, dass
der Mieter selbst für den Mangel verantwortlich ist.
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4. Die genaue Ursache für Feuchtigkeitsschäden zu eruieren, ist in den meisten
Fällen schwierig (vgl. MACHER /T RÜMPY , Das Mietrecht für Mieterinnen und Mieter,
Zürich 1995, S. 163). Als Ursachen stehen das Fehlverhalten des Mieters (unzureichendes Lüften etc.) oder bauliche Mängel (v.a. Kältebrücken und mangelnde Isolation) im Vordergrund. Aus dem vom Bezirksgerichtspräsidenten Arlesheim in Auftrag
gegebenen Gutachten geht hervor, dass weder bauliche Mängel noch ein Fehlverhalten der Mieter auszuschliessen sind. Die Expertise hält aber explizit fest, dass der
Mieterschaft ein Fehlverhalten nicht nachgewiesen werden könne. Aus den von den
Beklagten eingereichten, nach dem Auszug der Mieter Ende Juni 1998 aufgenommenen Photos ist zwar zu erkennen, dass sich die Schimmelpilzbildung zumindest
nicht verstärkt hat, und die Beklagten haben zwar angegeben, dass sich die Nachmieter in der Wohnung offenbar über keine Schimmelpilzbildung beklagen. Der Pilzbefall (auch) in der oberen Zimmerdecke wird denn auch als Indiz gewertet, dass ein
Fehlverhalten der Mieter für den Mangel verantwortlich sein kann (vgl. MACHER /T RÜMPY , a.a.O., S. 162). Allerdings hält das Gutachten fest, dass die mit
Schimmel befallenen Stellen an Aussenwänden liegen, welche exponiert am Hause
stehen, dass bei dem festgestellten Kaltlufteintritt bei der Fussleiste unten rechts
im Zimmer (Hausecke) Kältebrücken im Hohlraum der Fassadenisolation nicht auszuschliessen seien und dass dieser Kaltlufteintritt mitverantwortlich sein könne, je
nach Aussenwindgeschwindigkeit, Kälte und Windrichtung, die fraglichen Stellen
noch weiter abzukühlen und damit zu einem Unterschreiten des Taupunktes und
somit zu einer beständigen Kondensationsgefahr zu führen. Von den Gutachtern wird
deshalb auch ausgeführt, dass ein Abdichten gegen Kaltlufteintritt in die Isolation
von Nöten sei. Weiter spricht die Lage des Pilzbefalls vorwiegend in der unteren
Zimmerecke und seine Punkt- und Linienform ebenfalls eher für das Vorliegen eines
Baumangels (vgl. Beobachter-Merkblatt zu Feuchtigkeitsschäden in der Mietwohnung, Zürich 1998, Beilage zur Appellationsbegründung, S. 2; M ACHER /TRÜMPY ,
a.a.O., S. 162).
5. Unter Berücksichtigung dieser Umstände wäre es am Vermieter gelegen, für die
behauptete Verursachung des Mangels durch das Fehlverhalten der Mieter Beweis
zu führen, dem Experten Zusatzfragen zu stellen oder eine Oberexpertise zu beantragen, wenn er die Folgen der Beweislosigkeit hätte abwenden wollen. Dies haben
die Appellanten nach eigenen Angaben bewusst unterlassen. Es ist deshalb, mangels Beweises des Gegenteils, davon auszugehen, dass mit dem Pilzbefall in der
Mietwohnung ein Mangel existierte, den der Mieter nicht zu verantworten hatte, und
dass dem Mieter deshalb insofern ein Anspruch auf Mietzinsreduktion zustand. Der
Hinweis der Vermieterschaft auf ihr fehlendes Verschulden ist in diesem Fall unbehelflich und muss auch nicht geprüft werden, da ein Verschulden des Vermieters
hinsichtlich der eingetretenen Mängel keine Voraussetzung für eine Mietzinsherabsetzung darstellt (vgl. R. P ERMANN /M. S CHANER , Kommentar zum Mietrecht, Zürich
1999, S. 174).
6. Nach der Bestimmung von Art. 259d OR liegt es am Mieter, nachzuweisen, dass
und in welchem Umfang der Mangel die Tauglichkeit der Sache zum vorausgesetzten
Gebrauch beeinträchtigt oder vermindert. Nach den unbestrittenen Angaben der
Appellanten wurde das betroffene Zimmer der 4½-Zimmer-Wohnung als Kinderzimmer für ein Kleinkind benutzt. Nach Auftritt des Pilzbefalls habe das Zimmer aus
Angst vor gesundheitlichen Folgen für das Kind nicht mehr bewohnt werden können
und sei somit kaum noch benutzt worden. Eine Mietzinsreduktion um 30% sei deshalb angemessen.
Bei der Berechnung einer entsprechenden Mietzinsreduktion ist unter Berücksichtigung der Dauer und Intensität der Beeinträchtigung, der jahreszeitlichen
Schwankungen und der optischen Auffälligkeit der Wert der mangelhaften Sache ins
Verhältnis zu setzen zu demjenigen der mangelfreien Sache und der Mietzins entsprechend dem Verhältnis dieser beiden Werte zu reduzieren (vgl. PERMANN/M.
S CHANER , a.a.O., S. 176). In casu ist dementsprechend zu berücksichtigen, dass nur
ein Zimmer der 4½-Zimmer-Wohnung vom Pilzbefall betroffen ist, somit der Wert der
Mietsache kaum um mehr als 25% vermindert sein kann. Zusätzlich ist darauf hinzuweisen, dass ein Zimmer mit einem leichten Pilzbefall in zwei Ecken nicht per se
unbrauchbar wird. Dass das Zimmer auch nach dem Pilzbefall tatsächlich noch genutzt wurde, wird in der Klagschrift denn auch implizit zugegeben (" kaum noch ge-
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nutzt " ). Die Mieter haben denn auch nicht substantiiert vorgebracht, warum das
Kinderzimmer nicht, wie es unter Berücksichtigung der aus dem Grundsatz von Treu
und Glauben fliessenden Schadensminderungspflicht angezeigt gewesen wäre, anderweitig umgenutzt worden ist. Unter der Berücksichtigung der Dimension des Pilzbefalls und der nur teilweise bewiesenen tatsächlichen Beeinträchtigung der Nutzbarkeit des Zimmer scheint dem Gericht eine Reduktion des Mietzinses während der
fraglichen Zeit um 10% angemessen.
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