Fall 6 – „Errare humanum est“
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Fall 6 – „Errare humanum est“
Juristische Fakultät Konversatorium zum Bürgerlichen Recht I WS 2012/2013 Fall 7 – „Errare humanum est“ Teil 1 A. Anspruch des V gegen K auf Kaufpreiszahlung nach § 433 II BGB I. Anspruch entstanden Wirksamer Kaufvertrag? 1. Kaufvertrag über eine Sache a) Angebot des V (+) b) Annahme des K (+) K handelte auch mit Geschäftswillen, da er genau den vor ihm stehenden Schreibtisch kaufen wollte c) Einigung über die essentialia negotii (+) 2. Ergebnis Kaufvertrag (+) Anspruch auf Kaufpreiszahlung wirksam entstanden Rechtshindernde Einwendungen sind nicht ersichtlich Konversatorium BGB AT WS 2012/2013 Fall 7 Folie II. Anspruch erloschen 1. durch Anfechtung gem. § 142 I BGB? Vss: Anfechtungsgrund und fristgerechte Anfechtungserklärung a) Kein Ausschluss wegen Bestätigung gem. § 144 BGB (+) b) Anfechtungserklärung, § 143 I BGB (+) c) Anfechtungsgrund aa) Anfechtung wegen eines Eigenschaftsirrtums gemäß § 119 II BGB Irrtum über eine verkehrswesentliche Eigenschaft Voraussetzungen des Eigenschaftsirrtums(Anfechtungsgrund): - Kein Ausschluss aufgrund des Vorrangs des Leistungsstörungsund Gewährleistungsrechts - Irrtum über Eigenschaft = alle wertbildenden Faktoren, d.h. jede Beschaffenheit und alle Umweltbeziehungen tatsächlicher oder rechtlicher Art, die einer Person oder einem Gegenstand unmittelbar anhaften (nicht: Wert einer Sache = Summe aller wertbildenden Faktoren) - Verkehrswesentlichkeit = Nur Eigenschaften, die nach der Verkehrsanschauung für das konkrete Rechtsgeschäft wesentlich, also ausschlaggebend sind Die Anfechtung nach § 119 II BGB ist bei unbehebbaren Mängeln auch vor Gefahrübergang ausgeschlossen, da die Mängelhaftungsvorschriften der §§ 434 ff. BGB als leges speciales vorrangig Anwendung finden (sehr str.; a.A. BGH). Exkurs: Irrtum über Urheberschaft des Schreibtisches Urheberschaft wäre wertbildender Faktor, also Eigenschaft (unerheblich, dass der Wert der gleiche ist) Urheberschaft ist für den Kauf von Jugendstilmöbeln von ausschlaggebender Bedeutung Konversatorium BGB AT WS 2012/2013 Fall 7 Folie 2 bb) Arglistige Täuschung gemäß § 123 I Alt. 1 BGB Voraussetzungen der arglistigen Täuschung (Anfechtungsgrund): 1. Täuschung über Tatsachen Tatsachen = dem Beweis zugängliche Ereignisse oder Umstände (Abgrenzung zu Werturteilen) Täuschung = Hervorrufen, Verstärken oder Aufrechterhalten einer Fehlvorstellung bei einem anderen (durch positives Tun oder – sofern Rechtspflicht zur Aufklärung – Unterlassen); der Arglist kommt keine eigenständige Bedeutung als Tatbestandsmerkmal zu; der Täuschungsbegriff deckt insofern ab (Veranlassungsvorsatz, etc.) 2. Widerrechtlichkeit der Täuschung 3. Kausalität zwischen Täuschung und Irrtum 4. Kausalität zwischen Irrtum und Abgabe der WE durch den Getäuschten 5. Kein Ausschluss durch § 123 II BGB (nur bei Täuschung durch einen Dritten zu beachten) (i) Täuschung über Tatsachen Tatsache (+): Die Urheberschaft des Möbelstücks ist ein dem Beweis zugänglicher Umstand. Täuschungshandlung (+): Hier aktive Täuschung über wahre Urheberschaft durch V‘s wahrheitswidrige Erklärung, der Schreibtisch stamme von Henry van der Velde V handelte auch arglistig, da er die wahre Urheberschaft kannte und wusste, dass K bei wahrheitsgemäßer Angabe den Kaufvertrag nicht geschlossen hätte. (ii) Widerrechtlichkeit der Täuschung (+) Durch die Täuschung indiziert, keine Rechtfertigung (iii) Kausaler Irrtum des K (+) (iv) Kausalität des Irrtums für die Abgabe der WE (+) Urheberschaft war für K ausschlaggebend, da er diesen zur Ergänzung seiner Sammlung erwerben wollte Konversatorium BGB AT WS 2012/2013 Fall 7 Folie 3 cc) Zwischenergebnis K kann nur wegen der arglistigen Täuschung anfechten. d) Anfechtungsfrist? aa) Anfechtungsfrist bezüglich arglistiger Täuschung § 124 BGB: ein Jahr Beginn: Kenntnis des Anfechtungsberechtigten von Irrtum und arglistigem Verhalten des anderen Teils, § 124 II BGB Exkurs: Frist bezüglich des Eigenschaftsirrtums § 121 BGB: unverzüglich (ohne schuldhaftes Zögern) 2. Ergebnis Kaufvertrag rückwirkend (ex tunc) gem. § 142 I BGB nichtig III. Ergebnis Kein Anspruch des V gegen K aus § 433 II BGB B. Anspruch des V gegen K aus § 122 BGB Bei einer Anfechtung nach § 123 I Alt. 1 BGB kommt § 122 BGB nicht in Betracht. Exkurs: Hätte K nach § 119 II BGB angefochten, hätte er sich gegebenenfalls nach § 122 I BGB schadensersatzpflichtig gemacht. Dann wäre allerdings noch der Ausschlussgrund des § 122 II BGB zu beachten. C. Anspruch des K gegen V auf Eigentumsübertragung und Übergabe des Schreibtisches gemäß § 433 I 1 BGB Anspruch grds. entstanden weil K dem V aber die Anfechtung erklärt, erlischt sein Anspruch nachträglich (siehe oben) Konversatorium BGB AT WS 2012/2013 Fall 7 Folie 4 Teil 2 A. Anspruch des K gegen M auf Herausgabe der Geldscheine gemäß § 985 BGB I. Eigentum des K Ursprünglich war K Eigentümer der Geldscheine Eigentumsverlust durch Übereignung der Geldscheine an M gemäß § 929 I 1 BGB? 1. Einigung, § 929 S. 1 BGB (+) Die mögliche Irrtumsanfechtung des Kaufvertrages tangiert grundsätzlich nicht die Wirksamkeit der dinglichen Einigung (Abstraktionsprinzip!) Ausnahme: der Willensmangel des Kaufvertrags liegt auch der dinglichen Einigung zu Grunde (sog. Fehleridentität= Problem i.R.d. Kausalität; grds. bei § 123 BGB der Fall) Hier: bzgl. Übereignung der Geldscheine: Fehleridentität (-), da Erklärung des K im Rahmen der dinglichen Einigung nur lautet: „Ich – K – übereigne hiermit diese Geldscheine an V.“ 2. Übergabe, § 929 S. 1 BGB (+) 3. Berechtigung des K (+) K war ursprünglich Eigentümer der Geldscheine 4. Ergebnis K hat das Eigentum an M verloren und ist nicht mehr Eigentümer der Geldscheine II. Ergebnis Anspruch gemäß § 985 BGB (-) Konversatorium BGB AT WS 2012/2013 Fall 7 Folie 5 B. Anspruch des K gegen M auf Rückübertragung des Eigentums und Besitzes an den Geldscheinen gem. § 812 I 1 Alt. 1 BGB I. Etwas erlangt, § 812 I 1 Alt. 1 BGB Etwas = jeder vermögenswerter Vorteil (+) Eigentum und Besitz an den Geldscheinen II. Durch Leistung, § 812 I 1 Alt. 1 BGB Leistung = bewusste und zweckgerichtete Mehrung fremden Vermögens (+) K leistete bewusst und wollte seiner kaufvertraglichen Verpflichtung nachkommen III. Ohne Rechtsgrund, § 812 I 1 Alt. 1 BGB 1. Wirksam zustande gekommener Kaufvertrag als rechtlicher Grund (+) Gegenstand des Kaufvertrages: 500g Pferdefilet 2. Nichtigkeit des Kaufvertrags durch Anfechtung, § 142 I BGB? a) Kein Ausschluss wegen Bestätigung (§ 144 BGB) (+) b) Anfechtungserklärung, § 143 I BGB (+) (+) K gibt zu erkennen, er wolle den Kaufvertrag nicht gelten lassen und warum Konversatorium BGB AT WS 2012/2013 Fall 7 Folie 6 c) Anfechtungsgrund gemäß § 119 I Alt. 1 BGB Inhaltsirrtum = Das objektiv Erklärte entspricht nicht dem Willen des Erklärenden (der Erklärende weiß, was er sagt, aber nicht, was er damit sagt). Fallgruppen: - Irrtum über Bedeutung eines Wortes - Identitätsirrtum (Erklärende irrt über die Identität einer Person oder Sache, auf die sich seine Bezeichnung bezieht) - Erklärender nimmt in seiner Erklärung die Erklärung seines Vertragspartners in Bezug und irrt dabei über deren Inhalt hier (+) K will ein Stück Filet kaufen, weiß aber nicht, dass er aus obj. Sicht eine WE auf den Kauf von Pferdefleisch abgibt. d) Anfechtungsfrist, § 121 BGB ohne schuldhaftes Zögern (+) e) Zwischenergebnis Kaufvertrag durch Anfechtung gem. § 142 I ex tunc nichtig 3. Ergebnis Rechtsgrund (-) IV. Ergebnis § 812 I 1 Alt. 1 BGB (+) K kann Geldscheine heraus verlangen Konversatorium BGB AT WS 2012/2013 Fall 7 Folie 7