Fall 7 „Errare humanum est“ Lösung

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Fall 7 „Errare humanum est“ Lösung
Juristische Fakultät
Konversatorium zum Bürgerlichen Recht I
WS 2012/2013
Fall 7 „Errare humanum est“
Lösung
Teil 1
A. Anspruch des V gegen K auf Kaufpreiszahlung nach § 433 II BGB
V könnte gegen K einen Anspruch auf Kaufpreiszahlung in Höhe von 15.000 €
gem. § 433 II BGB haben.
I.
Anspruch entstanden
Zunächst müsste zwischen V und K ein wirksamer Kaufvertrag gem. § 433 BGB
über den Schreibtisch zustande gekommen sein.
Voraussetzung hierfür ist, dass zwei inhaltlich korrespondierende, in Bezug
aufeinander abgegebene Willenserklärungen (Angebot und Annahme) von V und
K vorliegen.
Fraglich ist, ob der subjektive Erklärungstatbestand bei der Annahmeerklärung
des K gegeben ist, da er eigentlich einen Schreibtisch von Henry van der Velde
erwerben wollte. K handelte aber sogar mit Geschäftswillen. Er wollte den vor
ihm stehenden und bereits individualisierten Schreibtisch käuflich erwerben. Sein
Wille war also auf den Abschluss des Kaufvertrages über genau diesen
Schreibtisch und damit auf diese konkrete Rechtsfolge gerichtet. Der Fehler bei
der Willensbildung ist insofern unbeachtlich.
Laut Sachverhalt liegt eine Einigung über die essentialia negotii zwischen K und
V vor.
Zwischen V und K ist daher ein wirksamer Kaufvertrag zustande gekommen. Der
Anspruch des V gegen K auf Kaufpreiszahlung aus § 433 II BGB ist damit
entstanden.
II.
Anspruch erloschen
Der Anspruch des V auf Kaufpreiszahlung könnte jedoch nachträglich erloschen
sein.
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1.
Durch Anfechtung gem. § 142 I BGB
Der Anspruch des V könnte durch eine Anfechtung der Willenserklärung des K
gem. § 142 I BGB nachträglich erloschen sein.
Eine wirksame Anfechtung setzt einen Anfechtungsgrund und eine fristgerechte
Anfechtungserklärung voraus.
a) Kein Ausschluss wegen Bestätigung (§ 144 I BGB)
Die Anfechtung ist nicht gem. § 144 I BGB ausgeschlossen.
b) Anfechtungserklärung, § 143 I BGB
K müsste die Anfechtung gegenüber V (gem. § 143 II BGB tauglicher
Anfechtungsgegner) erklärt haben, gem. § 143 I BGB.
Dabei ist nicht erforderlich, dass der Erklärende ausdrücklich von einer
Anfechtung spricht. Ausreichend ist ein Verhalten, aus dem ein objektiver
Empfänger (vgl. §§ 133, 157 BGB) schließen muss, dass der Erklärende den
Kaufvertrag mit V als von Anfang an unwirksam erachtet und ihn nicht mehr
gegen sich gelten lassen will.
K erklärt dem V, er habe keinerlei Interesse an dem Tisch mehr. Diese
Erklärung ist als Anfechtungserklärung auszulegen (§§ 133, 157 BGB).
K hat demnach dem V wirksam die Anfechtung erklärt.
c) Anfechtungsgrund
Es müsste zudem ein Anfechtungsgrund vorliegen.
aa) Anfechtung wegen eines Eigenschaftsirrtums gemäß § 119 II BGB
In Betracht kommt zunächst ein Anfechtungsgrund in Form eines
Eigenschaftsirrtums i.S.d. § 119 II BGB vorliegen.
Hintergrund:
Bei einem Eigenschaftsirrtum fällt das objektiv Erklärte und der
Geschäftswille nicht auseinander (der Erklärende irrt weder über die objektive
Bedeutung des Erklärten noch verwechselt er die Erklärungszeichen). Ein
Irrtum liegt vielmehr bereits im Vorfeld der Willenserklärung, im Bereich der
Willensbildung (sog. Motivirrtum).
Motivirrtümer sind grundsätzlich unbeachtlich. Der Eigenschaftsirrtum
(§ 119 II BGB) macht davon eine Ausnahme: in dem besonderen Fall, dass
es sich um einen Irrtum über „verkehrswesentliche Eigenschaften“ handelt,
berechtigt ein Motivirrtum zur Anfechtung.
Zunächst dürfte eine Anfechtung nach § 119 II BGB nicht durch die
Anwendbarkeit der vorrangigen Regelungen aus dem Leistungsstörungs- und
Gewährleistungsrecht ausgeschlossen sein. Der Käufer kann nicht wegen
eines Eigenschaftsirrtums, der gleichzeitig eine Sachmängelhaftung nach
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§ 434 ff BGB begründet, anfechten. Ließe man eine Anfechtung in diesem
Fall zu, würde man die Regelungen von § 437 Nr.1 i.V.m. § 439 BGB
(Erfordernis einer Nachfristsetzung durch den Käufer; Recht des Verkäufers
zur zweiten Andienung), § 438 BGB (spezielle kaufrechtliche Verjährung) und
§ 442 I BGB (Gewährleistungsausschluss bei Kenntnis oder fahrlässiger
Unkenntnis des Mangels) unterlaufen. Das muss zumindest bei
unbehebbaren Mängeln auch für die Zeit vor dem Gefahrübergang i.S.d.
§ 434 I 1 BGB gelten.1
Da die zwischen V und K vereinbarte Beschaffenheit des Schreibtisches nicht
gegeben ist, wäre die Herkunft mit Gefahrübergang ein Sachmangel gem. §
434 I 1 BGB. Die Mängelrechte der §§ 434 ff. BGB sind also vorrangig
anzuwenden. Eine Anfechtung nach § 119 II BGB kommt für K daher nicht in
Betracht.
Hinweis:
Im ersten Semester sollten Sie sich lediglich merken, dass das
Gewährleistungsrecht die Anfechtung des Käufers wegen eines
Eigenschaftsirrtums gem. § 119 II BGB grds. ausschließt. Vertiefte
Kenntnisse im Kauf- und Mängelrecht werden nicht erwartet.
Exkurs zur Prüfung des Eigenschaftsirrtums:
K müsste sich über eine verkehrswesentliche Eigenschaft einer Sache geirrt
haben.
Eigenschaften einer Person oder Sache sind neben den auf der natürlichen
Beschaffenheit beruhenden Merkmalen auch die tatsächlichen oder
rechtlichen Verhältnisse und Beziehungen zur Umwelt, soweit sie nach der
Verkehrsanschauung für die Wertschätzung oder Verwendbarkeit von
Bedeutung sind (sog. „wertbildende Faktoren“).
Verkehrswesentlich ist eine Eigenschaft, wenn sie nicht bloß nach der
Auffassung des Erklärenden, sondern auch nach der Verkehrsanschauung
für das konkrete Rechtsgeschäft wesentlich, also ausschlaggebend ist.
Die Urheberschaft einer Sache haftet dieser unmittelbar an und ist bei
Designermöbeln regelmäßig für deren Wertschätzung von Bedeutung. Diese
Eigenschaft ist auch bei einem Designermöbelstück von ausschlaggebender
Bedeutung und damit verkehrswesentlich.
Der Wert des Schreibtisches spielt hier keine Rolle: zum einen liegt schon
kein Irrtum des K über den Wert des Schreibtischs vor (der Wert des
Schreibtischs von Horta entspricht dem eines Schreibtisches von van der
Velde), zum anderen stellt der Wert einer Sache selbst keinen wertbildenden
Faktor dar, da sich dieser erst aus den Eigenschaften ergibt (er ist das
„Produkt aller wertbildenden Faktoren“).
1
Dies ist äußert strittig. Die Gegenauffassung hat zwar die weniger überzeugenden Argumente,
wird aber nichtsdestoweniger vom BGH vertreten, vgl BGHZ 34, 32 = NJW 61, 772. Zur hier
vertretenen Ansicht vgl. zusammenfassend Staudinger, BGB, § 437 Rn.25 ff. m.w.N.
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bb) Anfechtung wegen arglistiger Täuschung gemäß § 123 I Alt. 1 BGB
Ferner könnte jedoch eine Anfechtung wegen arglistiger Täuschung gem.
§ 123 I Alt. 1 BGB möglich sein.
(i) Täuschung über Tatsachen
K müsste hierfür zunächst über Tatsachen getäuscht worden sein.
Tatsachen sind dem Beweis zugängliche Ereignisse oder Umstände der
Gegenwart oder Vergangenheit (Abgrenzung zu Werturteilen). Die
Urheberschaft eines Möbelstücks ist dem Beweis zugänglich und somit eine
Tatsache.
Eine Täuschung ist die Erregung, Verstärkung oder Aufrechterhaltung einer
Fehlvorstellung über Tatsachen bei einem anderen.
Hinweis:
Die Täuschungshandlung kann durch aktives Tun (ausdrücklich oder
konkludent) oder durch Unterlassen (Voraussetzung: Aufklärungspflicht)
erfolgen.
V erklärte dem K, dass es sich bei dem Schreibtisch um ein Möbelstück aus
der Werkstatt des Henry van der Velde handle. Tatsächlich stammte der
Schreibtisch jedoch von Victor Horta. Demnach täuschte V den K
ausdrücklich über die Urheberschaft.
V täuschte K auch arglistig, denn er wusste, dass der Schreibtisch in
Wirklichkeit von Victor Horta stammt und dass K den Schreibtisch nicht
gekauft hätte, wenn er von der tatsächlichen Urheberschaft gewusst hätte.
Hinweis:
Es genügt hierbei ein Eventualvorsatz (z.B.: Der Handelnde stellt, obwohl er
mit der möglichen Unrichtigkeit seiner Angabe rechnet, unrichtige
Behauptungen „ins Blaue hinein“ auf).
Beachte:
Umstritten ist, ob Täuschung und Drohung zugleich einen Anspruch aus
§§ 280 I, 311 II, 241 II i.V.m. § 249 I BGB (culpa in contrahendo = c.i.c.) auf
Vertragsaufhebung begründen können.
Nach e.A. in der Lit. steht der Anwendbarkeit der c.i.c. neben § 123 BGB
entgegen, dass man durch die c.i.c. die besonderen Voraussetzungen der
Anfechtung wegen arglistiger Täuschung umgehen würde. Denn Ansprüche
aus c.i.c. entstehen schon bei fahrlässigem Handeln und unterliegen der
regelmäßigen Verjährung nach § 195 BGB, während § 123 BGB Arglist
(Vorsatz) voraussetzt und eine Anfechtung gemäß § 124 BGB grundsätzlich
bereits nach einem Jahr ausgeschlossen ist.
Demgegenüber wendet die Rspr. die c.i.c. auch neben § 123 BGB an.
Begründet wird dies zum einen mit den unterschiedlichen Schutzzwecken:
Während § 123 BGB die Willensfreiheit schützt, dient die c.i.c. dem
Vermögensschutz. Zum anderen stünde sonst der vorsätzlich Getäuschte
aus oben genannten Gründen schlechter als der fahrlässig Getäuschte.
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(ii) Widerrechtlichkeit der Täuschung
Die Täuschung müsste auch widerrechtlich sein. Die Widerrechtlichkeit wird
durch die Täuschung indiziert. Rechtfertigungsgründe für die Täuschung sind
nicht ersichtlich.
Hintergrund:
Nach dem Wortlaut des § 123 I BGB ist eine Widerrechtlichkeit nur i.R.d.
§ 123 I Alt. 2 BGB („widerrechtlich durch Drohung“) erforderlich. Jedoch
fordert die h.M. auch i.R.d. § 123 I Alt. 2 BGB (arglistige Täuschung) eine
Widerrechtlichkeit.
Bedeutung hat dieses Kriterium aber fast ausschließlich im Arbeitsrecht: Ein
Bewerber darf im Vorstellungsgespräch auf unzulässige Fragen unwahr
antworten. Der Arbeitgeber kann dann mangels Widerrechtlichkeit der
Täuschung den Arbeitsvertrag nicht wirksam anfechten.
Außerhalb des Arbeitsrechts genügt in der Klausur der kurze Hinweis, dass
die Rechtswidrigkeit durch die Täuschung indiziert wird.
(iii) Kausaler Irrtum
Durch die Täuschung hat V bei K auch einen Irrtum über die Urheberschaft
des Schreibtischs erregt.
(iv) Kausalität des Irrtums für die Abgabe der Willenserklärung
Die Täuschung war auch kausal für die Abgabe der Willenserklärung durch K,
denn gerade die Urheberschaft war für den Entschluss des K, den
Schreibtisch zu kaufen, ausschlaggebend (ein solches Stück fehlte in seiner
Sammlung).
cc) Zwischenergebnis
K kann nach § 123 I Alt. 1 anfechten, nicht aber nach § 119 II BGB.
d) Anfechtungsfrist
Die Anfechtung müsste von K innerhalb der jeweils einschlägigen
Anfechtungsfrist erklärt werden.
Anfechtungsfrist bezüglich arglistiger Täuschung
Im Falle einer Anfechtung wegen arglistiger Täuschung müsste K gemäß
§ 124 I BGB innerhalb eines Jahres den Kaufvertrag anfechten. Die
Anfechtungsfrist beginnt, sobald K vom Irrtum und dem arglistigen Verhalten
des anderen Teils Kenntnis erlangt hat.
Exkurs zur Anfechtungsfrist bezüglich des Eigenschaftsirrtums
Im Fall des § 119 II BGB müsste die Anfechtung gemäß § 121 I 1 BGB
unverzüglich, also ohne schuldhaftes Zögern erfolgen.
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2.
Ergebnis
Übt K sein Anfechtungsrecht fristgerecht aus, hat dies zur Folge, dass seine
Willenserklärung gemäß § 142 I BGB ex tunc, also von Anfang an, vernichtet
wird. Da die Willenserklärung Bestandteil des Kaufvertrages ist, wird dieser
ebenfalls nichtig.
III. Ergebnis
Der Kaufpreiszahlungsanspruch des V gegen K aus § 433 II BGB ist wieder
erloschen.
B. Anspruch des V gegen K aus § 122 BGB
Bei einer Anfechtung nach § 123 I Alt. 1 BGB kommt § 122 BGB nicht in
Betracht.
Exkurs:
Hätte K nach § 119 II BGB angefochten, hätte er sich gegebenenfalls nach § 122
I BGB schadensersatzpflichtig gemacht. Dann wäre allerdings noch der
Ausschlussgrund des § 122 II BGB zu beachten.
C. Anspruch des K gegen V auf Eigentumsübertragung und Übergabe des
Schreibtisches gemäß § 433 I 1 BGB
Durch den wirksam zustande gekommenen Kaufvertrag ist ein Anspruch des K
aus § 433 I 1 BGB auf Eigentumsübertragung und Übergabe des Schreibtisches
zwar entstanden.
Sobald K jedoch sein Anfechtungsrecht ausübt, erlischt der Anspruch auf
Eigentumsübertragung und Übergabe des Schreibtisches aus § 433 I BGB gem.
§ 142 I BGB ex tunc.
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Teil 2
A. Anspruch des K gegen M auf Herausgabe der Geldscheine gem. § 985 BGB
A könnte einen Anspruch auf Herausgabe der Geldscheine gem. § 985 BGB
haben, wenn er Eigentümer der Geldscheine ist, M diese besitzt und kein Recht
zum Besitz gegenüber K nach § 986 BGB hat.
I.
Eigentum des K
K war ursprünglich Eigentümer der Geldscheine. Er könnte sein Eigentum jedoch
durch Übereignung an M gem. § 929 S. 1 BGB verloren haben.
Dies ist der Fall, wenn sich K und M über die Eigentumsübertragung der
Geldscheine geeinigt haben, der K dem M die Geldscheine übergeben und K
dabei als Berechtigter gehandelt hat.
1.
Einigung gemäß § 929 S. 1 BGB
K und M müssten sich hinsichtlich der Eigentumsübertragung der Geldscheine
dinglich geeinigt haben. Die dingliche Einigung ist ein Vertrag, der durch zwei
korrespondierende Willenserklärungen (Angebot und Annahme, §§ 145, 147
BGB) zustande kommt.
Das Bezahlen durch Hinreichen der Geldscheine seitens des K stellt ein
wirksames Angebot dar, welches M durch Entgegennahme der Scheine
angenommen hat. K und M haben sich somit geeinigt.
In Bezug auf dieses Verfügungsgeschäft lag bei K auch kein kausaler Irrtum vor.
K wollte die Geldscheine zur Erfüllung seiner kaufvertraglichen Pflicht
übereignen und hat dies auch getan. Denn die Erklärung des K im Rahmen der
dinglichen Einigung lautet nur: „Ich – K – übereigne hiermit diese Geldscheine an
V.“ Insoweit hat sich K nicht geirrt. Eine Fehleridentität liegt nicht vor. Somit
kommt keine Unwirksamkeit der Einigung durch eine – noch zu erklärende –
Anfechtung in Betracht.
Beachte:
Wegen
des
Trennungsund
Abstraktionsprinzips
ist
i.R.d.
Verpflichtungsgeschäfts und des Verfügungsgeschäfts jeweils immer getrennt zu
überprüfen, ob ein Anfechtungsgrund vorliegt. Hier führt der Irrtum des K (er
erklärt objektiv Pferdefleisch, will aber Schweinefleisch = Inhaltsirrtum gem.
§ 119 I Alt. 1 BGB) beim Abschluss des Kaufvertrages nicht gleichzeitig auch zu
einem Irrtum bzgl. der Verfügung über das Geld.
Lediglich bei sogenannter Fehleridentität liegt der Willensmangel des
Verpflichtungsgeschäfts auch dem Verfügungsgeschäft zu Grunde. Hierauf ist
bei der Prüfung im Rahmen der Kausalität einzugehen.
Eine solche Fehleridentität ist regelmäßig in den Fällen des § 123 BGB gegeben
(vgl. Teil 1), da die Täuschung oder Drohung auch auf das Verfügungsgeschäft
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durchschlägt. An der Ursächlichkeit der Täuschung oder Drohung im Hinblick auf
das Verfügungsgeschäft ist in aller Regel auch dann nicht zu zweifeln, wenn sich
die Täuschung primär auf das Verpflichtungsgeschäft bezieht; denn ohne die
Täuschung hätte der Getäuschte das Verpflichtungsgeschäft nicht
abgeschlossen, und ohne Abschluss des Verpflichtungsgeschäfts hätte er das
Verfügungsgeschäft, durch das er seine Verpflichtung erfüllen wollte, nicht
vorgenommen.
Bzgl. § 119 BGB ist Fehleridentität hingegen nur dann anzunehmen, wenn
besondere Umstände hinzutreten, die auf einen kausalen Irrtum bei der
Verfügung schließen lassen.
2.
Übergabe gemäß § 929 S. 1 BGB
K hat dem M den unmittelbaren Besitz an den Geldscheinen gem. § 854 I BGB
verschafft und ihm diese damit übergeben.
3.
Berechtigung des K
K war zum Zeitpunkt der Verfügung Eigentümer der Geldscheine und somit zur
Verfügung berechtigt.
4.
Zwischenergebnis
Durch die wirksame Übereignung an M ist K nicht mehr Eigentümer der
Geldscheine.
II.
Ergebnis
Er kann diese daher nicht nach § 985 BGB von M heraus verlangen.
B. Anspruch des K gegen M auf Rückübertragung des Eigentums und
Wiedereinräumung des Besitzes an den Geldscheinen gem. § 812 I 1 Alt. 1
BGB
K könnte gegen M einen Anspruch auf Übertragung des Eigentums und
Wiedereinräumung des Besitzes an den Geldscheinen gem. § 812 I 1 Alt. 1
BGB haben. Dazu müsste M ohne rechtlichen Grund Eigentum und Besitz an
den Geldscheinen durch Leistung des K erlangt haben.
I.
Etwas erlangt
M müsste zunächst etwas erlangt haben, also einen vermögenswerten Vorteil. M
hat durch die Übereignung Eigentum und Besitz an den Geldscheinen erworben,
also etwas erlangt.
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II.
Durch Leistung
M müsste Eigentum und Besitz an den Geldscheinen durch eine Leistung des K
erlangt haben. Leistung ist jede bewusste und zweckgerichtete Mehrung
fremden Vermögens.
K übereignete dem M die Geldscheine, um damit seine kaufvertragliche Pflicht
zur Kaufpreiszahlung gegenüber M zu erfüllen. Er mehrte somit das Vermögen
des M bewusst und zweckgerichtet.
Eine Leistung des K ist somit gegeben.
III. Ohne rechtlichen Grund
Die Leistung des K müsste ferner ohne rechtlichen Grund erfolgt sein. Dies ist
der Fall, wenn die Leistung ohne schuldrechtliche Verpflichtung erfolgt.
1.
Grundsätzlich wirksam
rechtlicher Grund
zustande
gekommener
Kaufvertrag
als
K und M haben einen wirksamen Kaufvertrag über 500 g Filet geschlossen.
Die Erklärung des K, dass er gern 500 g Filet hätte, kann aus der Sicht des
objektiven Empfängerhorizonts gem. §§ 133, 157 BGB nur dahingehend
verstanden werden, dass er gerne 500 g Pferdefilet hätte, also einen Kaufvertrag
über 500 g Pferdefleisch abschließen will. K hat nämlich seinen Wunsch in den
Geschäftsräumen eines Pferdemetzgers geäußert. Dass K eigentlich 500 g Filet
vom Schwein wollte, muss aus Gründen der Rechtssicherheit und des
Verkehrsschutzes unbeachtlich bleiben, da er dies nicht hinreichend zum
Ausdruck gebracht. Es fällt grundsätzlich in den Risikobereich des Erklärenden,
dass er nicht richtig verstanden wird. M hat durch Einpacken und Überreichen
des Fleisches das Angebot des K angenommen.
Dieser ist grundsätzlich ein geeigneter rechtlicher Grund für die Übertragung von
Eigentum und Besitz an den Geldscheinen (vgl. § 433 II BGB). Diese wäre
demnach nicht rechtsgrundlos.
2.
Rechtlicher Grund durch Anfechtung beseitigt
Möglicherweise könnte der Kaufvertrag jedoch durch Anfechtung des K von
Anfang an nichtig sein gem. § 142 I BGB, so dass die Verfügung über die
Geldscheine ohne schuldrechtliche Grundlage und damit rechtsgrundlos erfolgte.
Voraussetzung dafür wäre, dass K seine auf Abschluss des Kaufvertrages
gerichtete Willenserklärung wirksam angefochten hat.
a) Anfechtungserklärung gemäß § 143 I BGB
K müsste die Anfechtung gegenüber M (gem. § 143 II BGB tauglicher
Anfechtungsgegner) erklärt haben, gem. § 143 I BGB.
Dabei ist nicht erforderlich, dass der Erklärende ausdrücklich von einer
Anfechtung spricht. Ausreichend ist ein Verhalten, aus dem ein objektiver
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Empfänger (vgl. §§ 133, 157 BGB) schließen muss, dass der Erklärende den
Kaufvertrag mit M als von Anfang an unwirksam erachtet und ihn nicht mehr
gegen sich gelten lassen will.
K erklärt dem M, er wolle von dem Kaufvertrag Abstand nehmen. Diese
Erklärung ist als Anfechtungserklärung auszulegen (§§ 133, 157 BGB).
K hat demnach dem M wirksam die Anfechtung erklärt.
b) Anfechtungsgrund gemäß § 119 I Alt. 1 BGB
Es müsste weiterhin ein Anfechtungsgrund vorliegen.
K könnte einem Inhaltsirrtum gem. § 119 I Alt. 1 BGB unterlegen sein. Bei
einem Inhaltsirrtum entspricht das Erklärte dem Willen des Erklärenden, der
Erklärende irrt aber über die objektive Bedeutung oder Tragweite der
Erklärung („Der Erklärende weiß, was er sagt, aber nicht, was er damit sagt
bzw. was es bedeutet.“).
K war sich hier zwar der Tatsache bewusst, dass er eine Willenserklärung
abgab, die auf den Kauf von 500g Filet gerichtet war. Er wusste aber nicht,
dass seine Erklärung objektiv als eine auf den Kauf von Pferdefilet gerichtete
Willenserklärung verstanden wird. K irrte also über die Bedeutung seiner
Erklärung und unterlag folglich einem Inhaltsirrtum (Irrtum über den
Vertragsgegenstand = error in obiecto).
Ein Anfechtungsgrund i.S.d. § 119 I 1. Alt BGB ist demnach gegeben.
c) Anfechtungsfrist gemäß § 121 BGB
M müsste die Anfechtung gemäß § 121 BGB unverzüglich, also ohne
schuldhaftes Zögern erklärt haben. K bemerkte seinen Irrtum direkt nach
dem Kauf und erklärte M in unmittelbarem Anschluss die Anfechtung.
Die Anfechtung erfolgte daher fristgerecht.
Die Anfechtung ist auch nicht wegen Bestätigung gem. § 144 I BGB
ausgeschlossen.
3.
Ergebnis
Aufgrund der Anfechtung des K sind seine Willenserklärung und damit der
Kaufvertrag gemäß § 142 I BGB als von Anfang an nichtig anzusehen. Demnach
leistete K Eigentum und Besitz an den Geldscheinen ohne rechtlichen Grund.
IV. Ergebnis
Da die Leistung des K rechtsgrundlos erfolgte, kann K die Rückübertragung des
Eigentums und Wiedereinräumung des Besitzes an den Geldscheinen aus § 812
I 1 Alt. 1 BGB von M verlangen.
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