Lösung Fall 11_S 35 bis 39

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Lösung Fall 11_S 35 bis 39
AG-Skript zur Begleitung der Vorlesung zum Sachenrecht I,
Dr. Plate, Sommersemester 2009
Fall 11: Rosa Cabrio ohne KfZ-Brief
I.
Übersichtsskizze
Viola (V)
Said (S)
Händler (H)
II.
Ansprüche in der Übersicht
Ist Händler H Eigentümer des rosa Cabrios geworden? (kein Anspruchsfrage)
Zusatzfrage: Angenommen, V ist noch Eigentümerin des KfZ, hat sie einen Anspruch auf Herausgabe des KfZ Briefs?
III.
Voraussetzungen
§ 985 zur Wiederholung
§ 985 BGB*
1.)
Anwendbarkeit (nach h.M. neben vertraglichen Ansprüchen)
2.)
Eigentum des Anspruchsstellers
3.)
Besitz des Anspruchsgegners (unmittelbarer oder mittelbarer)
4.)
Kein Recht zum Besitz (§ 986)
5.)
Einreden (§§ 273, 1000 i.V.m §§ 994ff.)
*
§§ ohne nähere Angaben sind solche des BGB
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Dr. Plate, Sommersemester 2009
IV.
Lösung
H ist vorliegend Eigentümer des rosa Cabrios, wenn er das Eigentum wirksam von S übertragen bekommen hat.
Anm.: Auch hier bieten sich wieder 2 Aufbauwege an.
Ursprüngliche Eigentumslage
Ursprünglich war die V Eigentümerin des Cabrios. Sie könnte ihr Eigentum durch Übereignung auf S
verloren haben, § 929 S.1.
1.)
Eigentumsverlust der V gem. §§ 929 S.1, 145,147
Das setzt zunächst voraus, dass V und S sich wirksam und unter Berücksichtigung sachenrechtlicher
Prinzipien über den Eigentumsübergag geeinigt haben, §§ 145, 147. Hier einigten sich V und S zunächst über den Eigentumsübergang auf S, §§ 145, 147.
Die Wirkung des Vertrages könnte allerdings rückwirkend entfallen sein, da V die Anfechtung „aller
Rechtsgeschäfte“ erklärte, § 142 I. Dies setzt voraus, dass die Voraussetzungen einer Anfechtung vorliegen.
a)
Anfechtungserklärung, § 143
Wie bereits dargelegt erklärte V gegenüber S die Anfechtung aller Rechtsgeschäfte und somit auch des
Verfügungsgeschäftes (§ 929 S.1).
b)
Anfechtungsgrund, § 123 I Alt. 1
Fraglich ist, ob der V ein Anfechtungsgrund zusteht. In Betracht kommt hier eine arglistige Täuschung
i.S.d. § 123 I BGB.
aa)
Täuschung über Tatsachen
Zunächst müsste S die V getäuscht haben. Täuschen ist das Erregen oder das Aufrechterhalten eines
schon vorhandenen Irrtums. Indem S der V vorspiegelte mit dem Scheck die Kaufpreisschuld zu begleichen täuschte er somit über seine Zahlungsbereitschaft. Da von vornherein klar gewesen ist, dass
der gestohlene Scheck nicht von V würde eingelöst werden können, hat der S die V somit getäuscht.
bb)
Arglistig
Weiterhin müsste S arglistig gehandelt haben. Arglistig handelt, wer (auch bedingt) vorsätzlich die
Willensfreiheit des Getäuschten beeinträchtigen will. Dies liegt hier vor.
cc)
Widerrechtlich
Ferner war die Täuschung des S auch widerrechtlich.
Anm.: Auch wenn § 123 I die „Widerrechtlichkeit“ als Voraussetzung für die Anfechtbarkeit wegen
„Drohung“ statuiert, wird sie auch bei der „Täuschung“ geprüft, Vgl. Faust, BGB AT, § 22 Rn. 5.
dd)
Kausal für die Willenserklärung der V
Ebenfalls müsste die Täuschung des S für die Willenserklärung der V kausal gewesen sein. Hier hätte
die V bei Kenntnis der Umstände den Wagen nicht an S verkauft. Die Täuschung war daher auch kausal für die V bei Abgabe ihrer Willenserklärung auf Eigentumsübertragung.
ee)
kein Ausschluss gem. § 123
Der Ausschlussgrund des § 123 II liegt nicht vor.
ff)
Arglistige Täuschung und Verfügungsgeschäft
Fraglich ist allerdings, ob sich die Täuschung des S auch auf das Verfügungsgeschäft bezog. So könnte daher trotz arglistiger Täuschung auf Ebene des Verpflichtungsgeschäftes (§ 433) das Verfügungsgeschäft davon unberührt bleiben (Abstraktionsprinzip). Dies hätte zur Folge, dass zwar der KaufverSeite 36 von 102
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trag angefochten werden konnte (Wirkung ex tunc), allerdings das Verfügungsgeschäft – und damit
die Eigentumsübertragung auf S – weiterhin fortbesteht.
Etwas anderes ergibt sich dann, wenn eine anerkannte Ausnahme von Grundsatz des Abstraktionsprinzips einschlägig ist. Hier kommt die sog. Fehleridentität in Betracht. Dann müsste sich der Fehler
im Kausalgeschäft auch auf das Verfügungsgeschäft auswirken. Bei Anfechtungen gem. § 123 wird
dies regelmäßig angenommen, wenn die Täuschung (oder im Falle des § 123 I Alt.2 die Drohung) im
Zeitpunkt der Verfügung noch fortwirkt.
Vorliegend hatte V die Eigentumsübertragung (=Verfügung) nur vor dem Hintergrund der Täuschung
des S vorgenommen. Damit kann von einem Fortwirken der Täuschung gesprochen werden. Folglich
ist die Ausnahme vom Abstraktionsprinzip einschlägig.
c)
Anfechtungsfrist § 124 I
Ferner hat V die Anfechtungsfrist gewahrt, § 124.
Infolge der Anfechtung ist die Übereignung nunmehr als von Anfang an nichtig zu betrachten, § 142 I.
Daher hat V ihr Eigentum nicht an S verloren.
2.)
Eigentumsverlust der V durch Übereignung S an H (§ 929 S.1)
In Betracht kommt allerdings ein Verlust des Eigentums der V durch Übereignung des KfZ von S an
Händler H, § 929.
a.)
Einigung (§§ 145, 147)
Eine wirksame Einigung zwischen S und H liegt vorliegend vor, §§ 145, 147.
b.)
Übergabe,§ 854 I
Ferner müsste S dem H das Auto auch übergeben haben. H erlangte unmittelbaren Besitz auf Veranlassung des S, dem selbst keinerlei Besitzrest verblieb. H übt fortan die tatsächliche Sachherrschaft
über das Cabrio aus, § 854 I. Eine Übergabe von S an H liegt daher vor.
c.)
Ferner waren sich die Parteien auch einig (arg. § 929 S.1 „sind“).
d.)
Berechtigung
Problematisch ist allerdings, ob S berechtigt gewesen ist, das Eigentum auf H zu übertragen. Berechtigt im Sinne dieser Vorschrift ist der verfügungsbefugte Eigentümer selbst, der nach § 185 I Verfügungsermächtigte sowie der kraft Gesetzes zu Verfügung befugte (bspw. § 80 InsO). Hier war S zunächst als Eigentümer zur Verfügung an H berechtigt. Allerdings entfiel auch seine Berechtigung
rückwirkend mit der erklärten Anfechtung der V (s.o.). Die Wirkung der Anfechtung (ex-tunc) beschränkt sich somit nicht auf das Verhältnis V und S, sondern ist umfassend.
Damit hat S als Nichtberechtigter an H verfügt. Somit kommt allein ein gutgläubiger Erwerb des H in
Betracht, der zum Eigentumsverlust der V geführt haben könnte.
3.)
Eigentumsverlust der V durch Übereignung S an H (§§ 929 S.1, 932 I S.1)
Somit kommt ein Verlust des Eigentums der V an dem Cabrio nur dann in Betracht, wenn die Nichtberechtigung zur Übertragung des Eigentums an dem Cabrio durch die Vorschriften zum gutgläubigen
Erwerb überwunden werden kann, § 932 I S.1.
Überwindung der Nichtberechtigung, §§ 932 I S.1
5.) Rechtsgeschäft i.S.e. Verkehrsgeschäftes
6.) Rechtsscheintatbestand (§ 932 )
7.) Guter Glaube, § 932 II (Bezugspunkt = Eigentum)
8.) Kein Abhandenkommen, § 935
a)
Rechtsgeschäft im Sinne eines Verkehrsgeschäftes
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Dann müsste es sich zunächst um ein Rechtsgeschäft im Sinne eines Verkehrsgeschäftes handeln.
Verkehrsgeschäft meint dabei, dass es keine Personenidentität auf Veräußerer- und Erwerberseite geben darf. Dies bedeutet, dass Veräußerer und Erwerber bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise personenverschieden sein müssen. Mit Rechtsgeschäft ist einzig das dingliche Rechtsgeschäft gemeint.
Vorliegend sind S und H personenverschieden. Ein Rechtsgeschäft im Sinne eines Verkehrsgeschäftes liegt daher vor.
b)
Rechtsscheintatbestand des § 932 I S.1
Im Falle des § 932 ist die Übergabe eine rechtfertigende Besitzlage. Hier war S unmittelbarer Besitzer.
c)
Guter Glaube
Problem: Guter Glaube und KfZ-Erwerb
Weiterhin müsste H gutgläubig sein. Die Gutgläubigkeit richtet sich nach § 932 II. Das bedeutet, dass
H weder positive Kenntnis noch grob fahrlässige Unkenntnis von der Nichtberechtigung des S hatte
(genauer: H glaubte an das Eigentum des S). Aufgrund der negativen Formulierung des Gesetzes („es
sei denn“) wird die Gutgläubigkeit des Erwerbers grundsätzlich vermutet.
aa)
Guter Glaube aufgrund des Besitzes des Cabrios (§ 1006 I)
Daher durfte H grundsätzlich den S als Eigentümer halten (§ 1006 I), da dieser unmittelbarer Besitzer
des Cabrios gewesen ist. Ferner hatte H kein positives Wissen über die fehlende Berechtigung des S.
bb)
Sonderfall bei KfZ: Nachforschungspflicht des H
Allerdings könnte H vorgeworfen werden, dass er eine ihm obliegende Nachforschungspflicht nicht
erfüllt hat. Anknüpfungspunkt hierbei ist der KfZ Brief, indem die V als Eigentümerin eingetragen
war. Bereits der Besitz des KfZ-Briefes keinen Rechtsschein erzeugen auf den sich der Käufer verlassen darf. Allein die Tatsache, dass V in dem Brief als Eigentümerin eingetragen ist, führt dennoch
nicht automatisch zur Bösgläubigkeit des H. Vielmehr obliegt H eine Nachforschungspflicht, wenn es
zu einer Divergenz des unmittelbaren Besitzers (hier S) und dem Eingetragenen im Kfz-Brief (hier V)
kommt.
Diese Pflicht könnte H vorliegend grob fahrlässig verletzt haben. Hier hat H trotz der Divergenz keine
weiteren Nachforschungen angestellt. Gerade H als Kfz-Händler müssten darüber hinaus die Geschäftsgebaren beim KfZ-Kauf und Verkauf mehr als bekannt sein. Darüber hinaus lag der Preis deutlich unter Wert, so dass sich hier ebenfalls Nachforschungen ergeben hätten müssen.
cc)
Ausschluss der Nachforschungspflicht
Die Nachforschungspflicht könnte allerdings ausgeschlossen sein. Dies kann insbesondere dann angenommen werden, wenn ein Erwerb von Händler zu Händler vorliegt. Dies wird damit begründet, dass
die Eintragung im Kfz-Brief einen Wertverlust von ca. 10-20% nach sich zieht.
Da S allerdings nicht als Händler dem H gegenüber aufgetreten ist, kommt ein Ausschluss der Nachforschungspflicht nicht in Betracht.
Anm.: Des Weiteren könnte ein Nachforschungspflicht aus dem Gedanken des rechtmäßigen Alternativverhaltens ergeben, so dass die Verletzung der Nachforschungspflicht dem H nicht vorgeworfen
werden könnte, wenn er bei seinen Nachforschungen zu keinem anderen Ergebnis gelangt wäre Dies
ist allerdings vertieftes Sachenrecht und kann von einem Kandidaten des 3. Bzw. 4. Semester nicht in
Gänze verlangt werden.
Der H hat daher seine Nachforschungspflicht grob fahrlässig verletzt. H ist daher nicht gutgläubig.
Im Ergebnis hat H nicht das Eigentum von S erworben, §§ 929 S.1, 932 I S.1. V ist daher weiterhin
Eigentümerin ihres Cabrios. Das Vorbringen des H ist daher unbegründet.
Anm.:Es kommt entscheidend darauf an, wer wo was kauft. Bei einem Neuwagenkauf bei einem Händler von einer Privatperson, ist der gutgläubige Erwerb nicht ohne Weiteres ausgeschlossen, wenn der
KfZ-Brief zunächst fehlt (Vgl. dazu BGH-NJW-RR 2005, S. 280; BGH NJW 2005, S. 1365, K. Schmidt,
JuS 2005, S. 650 m.w.Nachw. in Fn. 11 und 12).
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AG-Skript zur Begleitung der Vorlesung zum Sachenrecht I,
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Anm.3: Worin besteht der Unterschied von § 932 und § 366 HGB? => der Bezugspunkt!
Bei § 932 bezieht sich der gute Glaube auf das Eigentum, bei § 366 auf die Verfügungsbefugnis.
Veräußert daher bspw. der Elektronikmarkt mit dem großen M eine Ware an einen Juristen, erwirbt
dieser nicht das Eigentum gem. §§ 929, 932, sondern (und das weil er in der Regel von einer Eigentumsvorbehaltsvereinbarung vom M-Markt und dessen Lieferanten ausgehen muss) nach § 366 HGB.
Zusatzfrage: Angenommen, V ist noch Eigentümerin des KfZ, hat sie einen Anspruch auf Herausgabe des KfZ Briefs?
Ein Anspruch auf Herausgabe des KfZ-Briefs kann sich für die V aus § 985 i.V.m. § 952 analog ergeben. Mit ihrem Eigentum an dem Fahrzeug hat sie auch Eigentum an dem Brief. Die Berechtigung am
KfZ-Brief folgt der Berechtigung am Fahrzeug. Ein gesondertes dingliches Recht am KfZ-Brief
(§ 986 I S.1 Hs.1) kann nicht begründet werden (vgl. Palandt, § 952, Rn.7).
V hat daher auch einen Anspruch auf Herausgabe des KfZ-Briefs.
Anm: Im Prüfungsaufbau des §§985, 952 I analog auf Herausgabe des KfZ-Briefs:
1.)
Eigentumserwerb am KfZ
2.)
Kein Eigentumsverlust durch Übereignung (§§ 929ff.) o.ä.
3.)
§ 952 I analog auf den KfZ-Brief
…vom BGH so anerkannt.
Folge: Mit dem Eigentum am KfZ steht dem Eigentümer auch das Eigentum am KfZ-Brief zu
Fazit und wesentliche Probleme des Falles
KfZ-Erwerb
Guter Glaube des § 935 / Überwindung der Nichtberechtigung
§§ 985, 952 I S.1 analog
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