Willensmängel
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Willensmängel
Willensmängel §§ 119 – 123 Zur Wiederholung • Die subjektiven Elemente der WE sind: – Handlungswille – Erklärungsbewusstsein – Geschäftswille • • • Davon ist der Handlungswille Grundvoraussetzung für die gültige WE Das Erklärungsbewusstsein muss bei empfangsbedürftigen Erklärungen nur in abgeschwächter (potentieller) Form vorliegen Der Geschäftswille (welches konkrete Geschäft?) ist keine Wirksamkeitsvoraussetzung – Geschäft kann mit dem Inhalt zustande kommen, den der objektive Erklärungsempfänger versteht (normative Auslegung, § 157) – Nur bei objektiv mehrdeutiger Erklärung besteht Dissens, § 155. – Ansonsten erfolgt Behandlung nach Irrtumsregeln, § 119 ff. – Dabei lässt das Gesetz in manchen (nicht in allen!) Fällen die Anfechtung zu. • Frage daher: Welche Irrtümer berechtigen zur Anfechtung, und welche nicht? Inhalts- und Erklärungsirrtum • Geregelt in § 119 I • Erklärungsinhalt entspricht nicht dem Geschäftswillen: • Verkäufer will im Internet für 600 verkaufen, er vertippt sich und gibt 500 ein. Käufer nimmt an. • Auslegung führt zum Vertragsschluss mit Preis 500 • Vertrag zustande gekommen. Anfechtungsrecht des V? Tatbestand des § 119 • Zwei Alternativen • Inhalts- und Erklärungsirrtum – Erklärungsirrtum (§ 119 2. Alt.) liegt vor, wenn E (=Erklärender) Erklärung diesen Inhalts überhaupt nicht wollte • Fall des Versprechens, Verschreibens • Auch: Falsche Eingabe in EDV (BGH NJW 2005, 976 f.) – Inhaltsirrtum (1. Alt.) liegt vor, wenn E sagt, was er will, aber über die Bedeutung der Erklärung im Rechtsverkehr irrt. • „Er weiß, was er sagt, aber nicht, was er damit sagt“ • Fälle „Halver Hahn“, „Gros Rollen Papier“ • Falsche Bezugnahme bei der Annahmeerklärung („Ich nehme ihr Angebot an“) Aufgabe des § 119 I • § 119 Abs. 1 korrigiert § 157: – Vertrag kommt zunächst mit objektivem Inhalt zustande – Kann aber von E gegen Schadensersatz (§ 122) vernichtet werden – Kompromiss zwischen Willens- und Verkehrsschutzprinzip – Dem Gesetz auf den ersten Blick nicht zu entnehmen, aber vom Gesetzgeber so gewollt. • Gesamtsystem aus Auslegung und Anfechtung zur Regelung des fehlenden Geschäftswillens Übermittlungsfehler, § 120 • Wirkt ähnlich wie die 2. Alternative des § 119 (Erklärungsirrtum) • Falschübermittlung durch den Boten wird dem E zugerechnet wie eigenes Versprechen oder Verschreiben • Gemeint ist nur der Erklärungsbote – Der Empfangsbote steht im Lager des Empfängers, dessen Fehler werden dem Empfänger zugerechnet. • Gleiche Regelung für Erklärungsvertreter in § 166. Voraussetzungen: • Erklärungsbote • Unbewusst unrichtige Übermittlung: – Nur diese ist dem Fall des Verschreibens, Versprechens vergleichbar – Absichtlich unrichtige Übermittlung lässt die Zurechnung entfallen • Handlungswille fehlt • Schutz des Empfängers nach § 179 analog gegen den Boten und c.i.c. gegen den Erklärenden, wenn dieser fahrlässig gehandelt hat Eigenschaftsirrtum • Geregelt in § 119 II • Dort als Fall des Inhaltsirrtums angesehen • Parallele ist schief: – Erklärender weiß, was er sagt, und auch, was er damit sagt: • Er will Gemälde kaufen, in der Annahme, es sei echt; • Er will Kassierer einstellen in der Annahme, dieser sei ehrlich. • Tatsächlich ist Bild gefälscht und Kassierer wegen Untreue vorbestraft. – Mit Inhaltsirrtum hat das nichts zu tun. • Richtiger: Irrtum im Beweggrund (Frage: „Warum diesen Vertrag?“) Problem: • Dieser Ansatz führt in ein Abgrenzungsproblem: • Die Entscheidung über das „Warum“ ist regelmäßig Sache des Erklärenden • Er muss Verwendungsentscheidung treffen und Verwendungsrisiko tragen – Kauf von Aktien in der Annahme steigender Kurse, – Kauf eines Hochzeitsgeschenks in der Annahme, dass die Hochzeit stattfindet. • Erklärung als Motivirrtum macht Entscheidung notwenig, welche irrigen Motive zur Anfechtung berechtigen und welche nicht – Gesetz: Irrtum über „verkehrswesentliche“ Eigenschaften. Subjektive Ansicht: • Verkehrswesentlich = Geschäftswesentlich – Zurückgehend auf Flume, Eigenschaftsirrtum und Kauf, 1948. • Im Kaufrecht subjektiver Standard seit langem anerkannt und jetzt auch in § 434 kodifiziert: – Primär gilt die ausdrücklich vereinbarte Beschaffenheit, – Hilfsweise die stillschweigend vorausgesetzte Beschaffenheit, – Und nur äußerst hilfsweise die normale Beschaffenheit. • Nur die ersten zwei Kategorien berechtigen zur Anfechtung – Entweder ausdrückliche Vereinbarung oder Herleitung aus den Umständen – Alles andere ist unbeachtlicher Motivirrtum • Wer dieser Ansicht folgt, kann beim Eigenschaftsbegriff großzügig sein • Auch Wert kann Eigenschaft sein, wenn das so vereinbart ist Anders die Rspr. • Begriff klingt nach einem objektiven Standard • Abweichung von der üblichen Beschaffenheit: – Gemälde sind normalerweise echt, Kassierer normalerweise nicht vorbestraft. • Wertbildende Faktoren: – die der Sache/Person anhaften – und sie unmittelbar kennzeichnen. • Dann aber Problem: – Objektiver Standard lässt sich nicht durchhalten: • Bilder im Kunsthandel sind normalerweise echt, aber auf Flohmärkten? • Beim Arbeitnehmer: Vorstrafe wegen was, und relevant für welche Tätigkeit? – Was erheblich ist, lässt sich nur nach den konkreten Verhältnissen beurteilen Vermittelnde Lösung: • Ergänzung des objektiven Standards um subjektive Elemente: • Natürliche Beschaffenheit, rechtliche und tatsächliche Verhältnisse einer Person oder Sache und deren Beziehungen zur Umwelt • Für Wertschätzung allgemein von Bedeutung • Und erheblich im Rahmen des konkreten Vertrages. Sonderfälle des Irrtums: • Sog. Kalkulationsirrtum – Anbietender verrechnet sich bei der Preiserstellung – Legt zB seinem Angebot für Renovierungsarbeiten falsche Größe der Räume zugrunde oder macht Fehler beim Addieren. • Anfechtung nach § 119 I? – Schon vom Wortlaut her keiner der beiden Fälle – Zudem Risikobetrachtung: Es ist Sache jeder Partei, ihren Preis richtig zu bilden • Daher grds. unbeachtlicher Motivirrtum – In Extremfällen (Kenntnis des anderen Teils und ruinöses Ergebnis) Korrektur nach § 242 (BGHZ 139, 177) Sonderfälle des Irrtums • Wie ist es, wenn Kalkulation offengelegt? – Sog. offener Kalkulationsirrtum – Und anderer Teil den Irrtum dabei entweder erkannt hat oder leicht erkennen konnte (4*4 = 8)? • RG: Inhaltsirrtum, da Kalkulation dann in der Erklärung mit enthalten ist – Das ist nicht wahr: Wille und Erklärung stimmen überein – Lediglich das richtige Rechenergebnis entspricht nicht der Erklärung – Daran ändert auch die Offenlegung nichts. • Ganz hM daher heute: Kein Fall für die Anfechtung. Sonderfälle des Irrtums • Anderweitige Lösung: – Auslegung kann ergeben, dass nicht das Ergebnis, sondern die Rechengrundlage maßgeblich sein sollte • 400 Kilo Filet zu € 25 • Dann ist das eventuell falsche Endergebnis auf der Rechnung eine falsa demonstratio – Ansonsten kann Dissens vorliegen, wenn Kalkulation und Endergebnis den Parteien gleich wichtig waren – Ferner kommt bei beiderseitigem Irrtum Wegfall der Geschäftsgrundlage in Betracht (näheres später) – Und in Extremfällen wiederum Korrektur nach § 242. Sonderfälle des Irrtums: • Sog. Rechtsfolgenirrtum – Jeder Irrtum ist ein Stück weit Rechtsfolgenirrtum, weil nicht gewollte Rechtsfolgen eintreten – ZB Kauf zu 600 statt zu 500 • Genügen dazu auch gesetzliche Nebenfolgen, an die die Partei nicht gedacht hat? – ZB Haftung des Eintretenden für die Altschulden bei Beitritt zur OHG (§ 130 HGB) oder Gründung der OHG (§ 28) • Eigenschaftsirrtum (-) • Inhalts- oder Motivirrtum? – Wohl nur, wenn betroffene Rechtsfolge Hauptzweck des Geschäfts war • Also zB ja bei Löschung der 1. zugunsten der 3. Hypothek, Vergleich mit der Versicherung in Annahme, dies binde auch den Geschädigten • Bei Steuersparmodellen nur dann, wenn Effekt vertraglich vereinbart. • Ansonsten muss jeder Vertragsschließende die Rechtslage selbst prüfen. Sonderfälle des Irrtums: • • Automatisierte Erklärung A verwendet in seinem Internet-Shop ein Programm, dass Ware automatisch mit einem Aufschlag von 40% auf den EK ins Netzt stellt. Alle weiteren Vorgänge laufen automatisch ab. Es wird ein Preis „falsch“ angezeigt, weil a) A sich bei der Eingabe des EK vertippt hat; b) A bei der Eingabe des EK einen veraltete Preisliste verwendet hat c) Das Computerprogramm Fehler ausweist und deshalb falsche Verkaufspreise errechnet. -> Kann A die auf dieser Grundlage geschlossenen Verträge anfechten? Sonderfälle des Irrtums • Lösungen: – Fall a) unstr.: Erklärungsirrtum, ähnlich dem Versprechen/Verschreiben bei der WE selbst – Fall b) unstr.: Irrtum im Vorfeld, ähnlich Kalkulationsirrtum (zudem verdeckter) – Fall c) sehr str.: • Eine Ansicht: Sphärentheorie (ähnlich wie beim Zugang der WE) -> A muss die Risiken seiner technischen Anlagen selber tragen • Andere Ansicht: Behandlung analog § 120 -> „technischer Erklärungsbote“ -> § 120 lässt Anfechtung zu, obwohl Erklärungsbote zur Sphäre des Erklärenden gehört –> Sphärentheorie gilt hier kraft Gesetzes nicht (vorzugswürdig) Sonderfälle des Irrtums • Unterschrift ohne Lesen der Urkunde • Bei ganz fehlendem Lesen grds. kein Irrtum • Erklärender hat idR aber eine ungefähre Vorstellung vom Inhalt • Geht zB von Quittung über Sparauszahlung aus, in Wirklichkeit liegt Bürgschaft vor • Hier ist Inhaltsirrtum gegeben (BGH NJW 1995, 190) Einschränkung der Anfechtung: • Kausalität erforderlich: – § 119 I, 2. Halbsatz – Kausalität ist gegeben, wenn Irrtum für den Erklärenden nachteilig war • Keine Anfechtung aber beim Irrtum zu eigenen Gunsten: – E will für 600 anbieten, vertippt sich, schreibt 700. K nimmt zu 700 an. E will jetzt gar nicht mehr verkaufen. • Keine Anfechtung, wenn andere Partei sich mit dem wirklich Gewollten einverstanden erklärt. – E will für 600 anbieten, vertippt sich, schreibt 500. K nimmt zu 500 an. E ficht an. K erklärt, er sei auch mit 600 einverstanden. • Hier ist anzunehmen, dass eine vernünftige Partei den Vertrag mit dem wirklich gewollten Inhalt abgeschlossen hätte. • Korrektur über § 242, Anfechtung scheidet aus. Konkurrenzproblem: • Kunsthändler K verkauft an G gefälschtes Bild. Nach drei Jahren wird die Fälschung entdeckt. Arglist des K liegt nicht vor bzw. lässt sich nicht beweisen. • Rechte des G? Konkurrenzproblem • Anfechtung nach § 119 II möglich, wertbildender Faktor. – Auch rechtzeitig, wenn G unverzüglich nach Aufdeckung der Tatsache anficht, § 121 I und II – Die Höchstfrist von 10 Jahren ist nicht verstrichen. • Problem: Andere Wertung im Kaufrecht! – Hier nur 2 Jahre Verjährung (§ 438) – Zudem Ausschluss bei grober Fahrlässigkeit des Käufers, 442 I 2 – Und Recht des Verkäufers zu Reparatur/ Nachlieferung, wenn nach Art der Sache möglich, § 439. • Im Werkvertrag (§ 635 f) stellt sich das gleiche Problem. Konkurrenzproblem • §§ 434 ff, 635 f. sind die spezielleren Normen – Enthalten Regeln, die speziell an Kauf- und Werkverträge angepasst sind – Insbesondere die kürzere Frist soll bei Massengeschäften für baldigen Rechtsfrieden sorgen. • Daher: Wenn Kauf- oder Werkmangelrecht eingreift, tritt die Anfechtung nach § 119 II zurück – Diese betritt sachlich die gleiche Frage, nämlich eine inhaltlich mangelhafte Leistung – § 119 II bei Kauf- und Werkvertrag daher nur zugunsten des Verkäufers möglich (Sache ist besser/wertvoller als gedacht) • § 119 I kollidiert sachlich nicht mit §§ 434, 635 – Bleibt daher möglich – Ebenso auch § 123. Weitere Einschränkung: Dauerschuldverhältnis Probleme ergeben sich bei langlaufenden Schuldverhältnissen Vor allem Gesellschaftsvertrag und Arbeitsvertrag Auch solche Verträge können anfechtbar sein RF dann: § 142, Nichtigkeit von Anfang an (ex tunc) Konsequenz: Gesellschaft nichtig! Wer haftet? Alle in Bezug auf das Rechtsverhältnis vorgenommenen Rechtshandlungen wären ungültig Alle ausgetauschten Leistungen wären zurückzuerstatten (§ 812) Wobei für unkörperliche Vorteile (Arbeit!) Wertersatz zu leisten wäre Der schwierig zu berechnen ist Rückabwicklung nach längerem Vertragsvollzug praktisch undurchführbar! Anders: Mietvertrag, Abwicklung nach § 812 wird hier als möglich angesehen Korrektur des § 142 Bei Arbeits- und Gesellschaftsverträgen Einschränkung der Anfechtungswirkung Sofern Wille der Parteien zum Vertragsschluss an sich vorhanden war Und Vertrag faktisch vollzogen Anfechtung möglich, aber nur mit Wirkung für die Zukunft (ex nunc) Wirkt praktisch wie eine Kündigung aus wichtigem Grund Fehlerhafte Gesellschaft, fehlerhaftes Arbeitsverhältnis Vertrag bleibt Rechtsgrundlage für die Vergangenheit Mit Ausnahmen insbes. zugunsten Minderjähriger