Mein Interview mit Roger Willemsen zu `Bangkok Noir`

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Mein Interview mit Roger Willemsen zu `Bangkok Noir`
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Mein Interview mit Roger Willemsen zu 'Bangkok Noir'
Beigesteuert von Giulia
Ich sprach mit Roger Willemsen über sein Bangkok Noir Projekt, das Reisen, Sex und mehr...
„Zwei Leute bewegen sich in einer
Nährflüssigkeit, die sie die Nächte von Bangkok nennen. Sie versuchen
mit ihren Möglichkeiten etwas herauszufischen, was elementar oder vielsagend
sein könnte.“ So Roger Willemsen zu seinem Projekt
„Bangkok Noir“, bei dem er mit dem Fotograf Ralf Tooten das Nachtleben der thailändischen Hauptstadt
in einem Projekt portraitierte. Vor ein paar Wochen berichtete ich
über das Abendprogramm, wurde neugierig darauf und fragte nach einem
Interview. Ich bekam nicht nur eine sehr freundliche Rückmeldung, sondern
auch Antworten und Geschichten, die mich begeistert meine Füße zusammenklatschen
ließen.
Warum haben Sie dieses Projekt gemacht?
Bangkok Noir habe ich gemacht, weil
ich in die Räume des Heimlichen eindringen wollte. Das war das Allererste:
Eindringen und dann nachzusehen, was passiert in denen. Ich finde faszinierend
an der Nacht unter anderem, dass sie so eine eigene Form von Lichtregie
hat. Sie verteilt einfach die Aufmerksamkeit des Blicks ganz anders
als der Tag mit seinem unparteiisch ausgegossenen Licht.
Was für eine Rolle spielt das Licht,
wenn es „Lichtregie“ führt oder wenn es weg ist?
Die Stadt sagt: sieh bitte diese Werbung,
vernachlässige bitte dieses inzwischen erloschene Bürogebäude und
führt durch die Aufmerksamkeit, die das Licht leitet, auch Individuen
- und zwar wie mit Schenkeldruck - ganz behutsam und ohne dass es das
Individuum selber richtig merkt. Auf der anderen Seite zieht es einen
plötzlich genau in die umgekehrte Richtung. Man folgt den Gerüchen,
den Geräuschen stärker. Man folgt der Musik, man folgt einem Schrei
irgendwo, man folgt auch einer Bewegung.
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Meine Oma hat früher oft ein Lied
gesungen, das lautet: „Schlaf ist ein kurzer, kurzer Tod. Tod ist
ein langer Schlaf“. Sie haben nachts nicht geschlafen, sondern haben
sich in den Nächten Bangkoks treiben lassen. Was sagt die Nacht
über Lebensfreude aus?
Die Nacht ist dort plötzlich so reich,
dass sie nicht mehr als Vorstufe fürs Sterben taugt.
Wenn man hier durch leblose Räume geht,
in denen es keine Ambitionen mehr gibt- man verstört ja die Leute,
wenn man hier anfängt Namen zu nennen - nehmen wir einfach mal, hmm,
Dienstlaken. Wenn ich nachts in Dienstlaken ankomme und frage: Wer will
hier jetzt noch leben, dann hab ich wirklich nur das große Seditativum
Fernsehen, das hinter allen Gardinen blau herleuchtet und man hat dann
eine Ahnung, dass alle Leute auf dieselbe Weise gerade sterben: vor
ihrem Fernseher.
Dass es sowas wie öffentliche Unterhaltsamkeit
gibt, bei den Thais der Begriff Sanuk (Steigerung des Lebensgefühls
durch das Gemeinschaftliche), das ist uns denkbar fremd. In jeder kleinen
entlegenen Gasse kann man nachts in Bangkok eine Suppenküche finden
oder irgendeine Frau, die zwei Mahlzeiten anbietet und es kommen aus
allen Teilen der Stadt Leute, weil sie das wissen. Alle versuchen sich
zusammenzufinden.
Bei ihren Lesungen machen Sie auch
gerne mal ein, zwei Anspielungen oder Metaphern zum Thema Sex. Was interessiert
Sie daran besonders?
Es gibt im Sex viel Symbolisches, was
mich vielleicht noch stärker interessiert als die Triebabfuhr. Das
Symbolische besteht darin, dass sich zwei Menschen entgrenzen. Oder
dass zwei Menschen dann guten Sex haben, wenn Sie gute Kommunikation
miteinander betreiben. Das heißt: Kuss ist Mitteilung. Ein guter Kuss
ist eine wahrhaftige Mitteilung. Ein stereotyper Kuss ist keine Mitteilung
oder eine Floskel. Wenn ich jetzt alles was Liebe oder körperliche
Liebe ist in Form von Sprache verstehe, dann ist das zum Beispiel eine
exstatische Kommunikation. Ich könnte aber auch sagen, der Mangel spielt
im Sex eine große Rolle. Alles antwortet auf Bedürftigkeit. Warum
ist man bedürftig? Es wäre zu einfach zu sagen, Lust sei der Wunsch
schnell eine Form von Erfüllung zu erleben. Lust ist ja die Sprache
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des Mangels. Außerdem kommt noch dazu, dass mich alle Bewegungen der
Steigerung, Kompression und Verdichtung interessieren. Sei es, indem
man plötzlich durchglüht wird von Musik, verstanden wird von einem
Gemälde, den Atem anhält in einer Filmszene oder etwas schreibt, was
einem plötzlich wahr und gut und richtig erscheint. Alle diese inneren
Steigerungsbewegungen, haben im Sex eine Metapher.
Man merkt, dass sie sich sehr selbstreflektierend
mit den Dingen beschäftigen, die Ihnen passieren. Ist das die nötige
Bedingung, um so selbstbestimmt leben zu können?
Alleine zu sein und zu reisen, heißt
in einer kontinuierlichen, nicht abbrechenden Selbstkonfrontation zu
sein. Man sieht die Freunde zu Hause mit Abstand – wer einem nah und
fern ist. Und das hat man vorher nicht gewusst. Es bleiben die dusseligsten
Bemerkungen irgendeines russischen Kellners im Gedächtnis hängen und
gehen einem zwei Tage nach – man kann es nicht entgiften.
Diese Form von Selbstkonfrontation –
auch mit den eigenen Dummheiten, auch mit Schwächen oder Stereotypen,
die man in Gedanken hat, sind nicht immer erfreulich.
Das ist manchmal auch auszehrend. Ohne
diese Selbstkonfrontation geht es nicht – und ich habe erkannt, dass
das mein Glückszustand ist und ich es am besten leben kann.
Als
„anstrengend“ kann ich mir zum Beispiel vorstellen, an Fotografie,
eigene Textideen und dem gerade passierenden Erleben gleichzeitig zu
denken – schreiben Sie während dem Erleben schon alles auf und wie
können Sie dann noch so tiefe Gedankengänge haben?
Ich weiß es nicht, dieses Schreiben,
das ist für mich wirklich – auch unabhängig ob ich es nutze
oder es irgendwo von selbst hinwandert – eine erweiterte Lebensfunktion.
Das hat auch nichts Heroisches, es ist mir einfach in Fleisch und Blut
übergegangen. Ich schreibe immer. Das ist irgendwie die Verlängerung
des Auges oder die Verlängerung des sinnlichen Erkennens. Etwas nicht
in Sprache verwandeln zu können heißt: Ich war da nicht. Ich war nicht
wirklich. Sie haben schon Recht – in vielen Situationen, da muss man
auf einem Schiff unter betrunkenen Matrosen sitzen und mit denen grölen
können, aber ich hab es immer wieder geschafft, denen zwanglos beizubringen,
dass es nichts bedeutet, wenn ich schreibe.
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Fotografen sind oft scheue Menschen
und brauchen diese Linse – fast als eine Art Schutz
– vor der Realität. Ist das Schreiben dann bei Ihnen auch so etwas?
Also das Schreiben setzt einen anders
aus als es das Fotografieren tut. Das Fotografieren hat wirklich diesen
Schutz, das kann ich genau bestätigen. Beim Schreiben ist es eher so,
dass es eine leichte Skepsis beim Gegenüber auslöst, weil das Gegenüber
manchmal denkt, hier wird etwas aktenkundig, hier wird ein Dokument
erstellt. Das denkt man bei einem Foto komischerweise nicht. Wenn man
das aber von Anfang an und in jeder auch nicht durchschaubaren Situation:
Im Bus, der U-Bahn, auf einem Platz, dem Markt, auch nachts oder so
permanent tut, dann glaube ich, denken die Leute, das ist eine persönliche
Fehlfunktion.
Na gut, dass Sie die Fehlfunktion
haben, Herr Willemsen!
Ja, genau! Danke!
Wann ist das Projekt zu ihrer Zufriedenheit
gelaufen?
Es ist zu meiner Zufriedenheit gelaufen,
wenn ich oft genug das Gefühl habe:
Erstens etwas Spezifisches zu sehen,
also Genauigkeit herstellen zu können. Das gehört zu den Momenten
des Glücks: Etwas genau zu haben und etwas erstmalig zu sehen.
Und Zweitens Wenn ich nicht permanent
zurückfalle in konventionelles Denken, Fühlen, Gefühlsmischen usw.
sondern, wenn ich das Gefühl habe etwas erneuert sich. Dann ist das
Glück.
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Bei diesem Projekt Bangkok Noir, das
ein dem nächsten Großprojekt vorgelagerten Projekt ist, also ein kammermusikalisches
Stück, das ich demnächst noch etwas opulenter orchestrieren werde,
war das genau das richtige Resultat.
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