Arnold Münster
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Arnold Münster
Zum Gedenken an Arnold Münster 1 * 5. Januar 1912 in Oberursel † 1. August 1990 in Frankfurt Dieses Gedenkblatt wurde verfasst von Dieter Wever »Im Jahr 1934 beteiligte ich mich führend an der Gründung einer illegalen antinationalsozialistischen Gruppe in Münster i.W. Ich wurde deshalb im Jahre 1935 von dem OLG Hamm i.W. zu 8 Jahren Zuchthaus verurteilt«.1 Es liegen von Arnold Münster nur diese beiden Sätze über die Ereignisse zwischen 1933 und 1945 vor. Sie wurden kurz nach Kriegsende geschrieben, um seinem Freund Walter Rest zu bescheinigen, dass er ebenfalls mit ihm zusammen in der Widerstandsbewegung gearbeitet hat. Münster hat es zeitlebens vermieden, über die zwei Jahre aktiven Widerstands gegen den Nationalsozialismus, die Verhaftung durch die Gestapo, den Ausschluss vom Universitätsstudium, den Prozess vor dem Oberlandesgericht Hamm, die Haftzeit im Zuchthaus Münster, das verstärkte Auftreten von epileptischen Anfällen in der Haft und damit verbunden die Gefahr einer Zwangssterilisierung, seine Unterbringung in weiteren Anstalten und kurz vor Kriegsende über seine Einberufung in das sogenannte »Bewährungsbataillon 999« zu sprechen. Spätere Anfragen von historisch Forschenden wurden von ihm zurückgewiesen. Seine tieferen Beweggründe »blieben bis zuletzt sein persönliches Geheimnis.«2 Arnold Münster wurde als junger Katholik, nicht vorbestraft und keiner illegalen Partei zugehörig, als Mitverfasser »kommunistischer« Schriften mit acht Jahren Zuchthaus bestraft. Nur Heinrich Hartmann, der innerhalb der Widerstandsgruppe als Leiter galt und dessen KPD-Mitgliedschaft als strafverschärfend gewertet wurde, war mit der gleichen Strafhöhe bedacht worden. Wie war das möglich, dass dieser »unglückliche junge Mensch aus so guter Familie« sich mit der KPD hatte einlassen können?3 Wie war es möglich, dass neben Arnold Münster noch drei weitere Studenten beteiligt waren, aber als Unterstützer der Gruppe unbehelligt blieben? Wie kam es zu der hochriskanten Zusammenarbeit mit einer kommunistisch-sozialistischen Widerstandsbewegung in Münster durch Walter Rest, Josef Schürk, Hanns Wienhausen und Arnold Münster, alle aufgewachsen im katholisch-bürgerlichen Milieu und mit Aussicht auf eine vielversprechende akademische Karriere?4 Und wie ist es möglich, dass der Widerstand von Kardinal von Galen oder die Verfolgung katholischer Priester fester Bestandteil der Erinnerungskultur in Münster sind, aber der Widerstand der Gruppe um die Zeitung »Der Rote Arbeiter« in Vergessenheit geraten ist? Eine erste Antwort auf die letzte Frage: Die Hervorhebung des Kirchenkampfes als das nennenswerte moralische Widerstehen im Münsterland,5 das Schweigen von Arnold Münster und der kriegsbedingte Verlust der Prozessakten haben 1 Prof. Dr. Walter Rest, Universitätsarchiv Münster, Bestand 8, Nr. 11202, Bd. 4. Sillescu, Hans: Arnold Münster (1912–1990), in Bethge, Klaus/Freudenberger, Claudia (Hgg.), 100 Jahre Physik an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main 1914 bis 2014, Frankfurt 2014, S. 516–530, S. 530. 3 Das fassungslose Münsteraner Bürgertum wird beschrieben in: Rest, Walter: Die Pflicht zu Entscheidung und Wagnis, In: Frankfurter Hefte, 2/1946, S. 4–6, S. 6. 4 Prof. Dr. Walter Rest, 1909–1992, Dr. Josef Schürk, 1911–1945, Prof. Hanns Wienhausen, 1913–1997. 5 So vor allem Kuropka, Joachim: Münster in der nationalsozialistischen Zeit, in: Jacobi, Franz-Josef (Hg.), Geschichte der Stadt Münster, Bd. 2, Münster 1993, S. 285–330, S. 306 ff. 2 2 dazu geführt, dass eine Rekonstruktion der Ereignisse und die historische Aufarbeitung sich schwierig gestalten. Angesichts der dürftigen Quellenlage bleibt also »viel Raum für Interpretationen und eventuell auch für Legenden«.6 Ich meine, es lässt sich ein ungefähres Bild der Ereignisse auch ohne heroische Überhöhung der Akteure nachzeichnen. Die Kurzbiographie des späteren Berufskollegen und guten Freundes, Professor Hans Sillescu, beantwortet tiefer gehende Fragen zu Arnold Münster. Das 1973 geführte Interview mit Georg Kipp, einem führenden Mitglied der Widerstandsgruppe, gibt wichtige Hinweise zum gemeinschaftlich geführten Widerstand in Münster.7 Als bedeutsam und für die Interpretation der Geschehnisse als ausschlaggebend erweist sich die Lektüre von Artikeln aus dem ersten Jahrgang der »Frankfurter Hefte«. In der von Eugen Kogon, Walter Dirks und Clemens Münster herausgegebenen Zeitschrift haben ein Jahr nach Kriegsende Walter Rest direkt zu den Vorfällen, Arnold Münster mehr indirekt über die damals empfundene »Pflicht zu Entscheidung und Wagnis« und Arnolds Bruder Clemens Münster über die Hintergründe des politischen Engagements geschrieben.8 Der Rückgriff auf diese begrenzte Anzahl von aussagekräftigen Quellen erleichtert nicht gerade die Beantwortung der aufgeworfenen Fragen, gleichwohl wird am Schluss versucht, die Einzelheiten zu einem deutlicheren Bild zusammenzufügen. Die Vorgeschichte »Arnold Münster entstammt einer Familie, aus der seit vielen Generationen staatstreue Beamte und Gelehrte hervorgegangen sind. Bereits der Ur-ur-urgroßvater war Stadtrichter in Münster«,9 der Urgroßvater war Abgeordneter der Deutschen Nationalversammlung 1848/49 in der Paulskirche, der Großvater befehligte als Reserveoffizier die Mannschaft der Frankfurter Hauptwache. Sein Vater, Dr. Rudolf Münster, war seit 1910 Oberlandesgerichtsrat in Frankfurt a.M. und wurde 1918 kurz vor Kriegsende zum Landgerichtspräsidenten in Münster ernannt.10 Seine Mutter, Auguste Münster geb. Schlüter, Tochter des Bonner Geologen und Paläontologen Prof. Clemens Schlüter, war eine hochgebildete und vielseitig interessierte Frau. 6 Zu dieser Befürchtung siehe: Kuropka, Joachim: Widerstand gegen den Nationalsozialismus in Münster. Neuere Forschungen zu einigen Problemfeldern. In: Westfälische Zeitschrift 137 (1987), S. 159–182, S. 163. 7 Das Interview, das Kipp dem MSB Spartakus gegeben hat, ist auszugsweise wiedergeben in: Klein, Herbert: »Haltet zusammen!« Münsteraner Arbeiter gegen den Faschismus, in: Horstmann, Iris/Junker, Ulrike/Klusmann, Katrin/Ostendorf, Bernd (Hgg.), »Wer seine Geschichte nicht kennt…«. Nationalsozialismus und Münster, Münster 1993, S. 61–86. 8 Rest: Pflicht; Münster, Arnold: Das Experiment, In: Frankfurter Hefte, 3/1946, S. 86–87; Münster, Arnold: Maß und Zahl, In: Frankfurter Hefte, 4/1946 , S. 87–88; Münster, Clemens: Die Fronten, In: Frankfurter Hefte 8/1946, S. 689–691. 9 Sillescu: Arnold Münster. S. 516. Im Weiteren folgt die Darstellung den Angaben von Sillescu, ergänzt durch Mitteilungen von Nikolaus Münster und Daten aus dem Universitätsarchiv und dem Landesarchiv NRW Abteilung Westfalen (LAV NRW W). 10 Rudolf Münster, 1870– 955, Personalakte I, Nr. 1537, Dr. Rudolf Münster, LAV NRW W. 3 »Beide Eltern waren tiefgläubige katholische Christen.«11 Arnold Münster wurde am 5. Januar 1912 in Oberursel (Taunus) als zweiter von drei Jungen geboren. Die Familie wohnte nach dem Umzug nach Münster in der Heerdestr. 7. Der sechs Jahre ältere Bruder Clemens machte als erster von dreien am Gymnasium Paulinum das Abitur, studierte in Münster und München Physik, Chemie und Mathematik.12 1934 ging er als Physiker und Optiker zur Firma Carl Zeiss in Jena, wo er bis 1945 als Mitarbeiter und Leiter der Entwicklungsabteilung arbeitete. Der drei Jahre jüngere Bruder Ludwig studierte nach dem Abitur katholische Theologie in Münster und Freiburg und wurde 1942 Kaplan in Billerbeck.13 Arnold litt vermutlich nach einem Sturz im frühen Kindesalter an Bewusstseinsstörungen. Mit etwa 14 Jahren entwickelte er eine leichte Epilepsie, die medikamentös behandelt wurde. Nach dem Besuch der Münsteraner Domvorschule bekam er Klavierunterricht und wurde Schüler des humanistischen Gymnasiums Paulinum. Dort war er Klassenbester, »wirkte aber still und in sich verschlossen«.14 Am 8. März 1930 hatten Arnold Münster, Walter Rest und Josef Schürk gemeinsam am Paulinum das Abitur gemacht. Rest begann ein Studium in Pädagogik und Philosophie in Bonn, Schürk studierte Jura in Münster und Berlin und Münster hatte mit Musik und Philosophie angefangen.15 Der mit klassischer Literatur vertraute und als Pianist begabte Münster wechselte dann aber ein halbes Jahr später ins Jura-Fach; im Sommer 1931 ging er nach Jena, um dann ein Jahr lang in Berlin zu studieren. Hier traf er auf Josef Schürk und auf den vier Jahre älteren Chemiestudenten Paul Ohlmeyer, einen Schwager zweiten Grades, der Arnold durch seine charismatische Art für das Fach Chemie interessieren konnte. Die Schulfreunde kamen in Münster wieder zusammen zum Wintersemester 1932/33. Ein halbes Jahr später, nach der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten, dürfte Arnold Münster klar geworden sein, dass sein Jura-Studium zugleich eine politische Festlegung erforderte, nämlich sich als Jurist »voll und ganz in den in den Dienst des Nationalsozialismus« zu stellen. Zum Sommersemester 1933 begann er in Münster das Chemiestudium, blieb aber weiterhin in Jura eingeschrieben. Das studentische Leben wurde nun mit Nachdruck dem »nationalsozialistischen Zeitgeist« angepasst. Zugehörigkeiten zu konkurrierenden Grundeinstellungen durften nicht mehr öffentlich werden. Am 1. Juli 1933 wurden die Geschäftsstellen der katholischen Jugendverbände wegen staatsfeindlicher Betätigung geschlossen. Die angestrebte uniforme »Volksgemeinschaft« ließ kein anderes Denken und Wirken mehr zu. 11 Sillescu, Arnold Münster, S. 516. Bettina: Clemens Münster 1906–1998, in: Rundfunk und Geschichte, Mitteilungen des Studienkreises Rundfunk und Geschichte 24 (1998), S. 161–164. Dr. Clemens Münster wurde nach dem Krieg Publizist, ging 1949 zum Bayerischen Rundfunk, wurde Chefredakteur für Kultur und Erziehung, 1954 der erste Fernsehprogrammdirektor des Bayrischen Rundfunks und 1969 Präsident der Hochschule für Fernsehen und Film in München. 13 Ludwig Münster, 1915–1990, Sammlung Kleruskartei, Bistumsarchiv Münster. Ludwig Münster wurde nach dem Krieg Religionslehrer an Gymnasien und Rektor in Klöstern, 1962 Studentenpfarrer an der Pädagogischen Hochschule in Münster. 14 Sillescu: Arnold Münster, S. 516. 15Laut Studierendenkarte begann Münster sein Studium in Philosophie mit dem Berufsziel Studienrat; Universitätsarchiv Münster, Bestand Nr. 209. 12 Hasselbring, 4 Die drei Studenten waren wie viele andere auch bis zur Gleichschaltung Gefährten in der katholischen bündischen Jugend gewesen. Später wird es heißen, dass diese »Jugendbewegtheit« der entscheidende Moment in der eigenen Biographie war. Man wollte in der Ära des aufkommenden Faschismus nüchtern und realistisch bleiben und gleichzeitig die Ideale einer republikanischen, sozialen und pazifistischen Gesellschaft verwirklichen.16 Walter Rest zum Beispiel wollte sich mit seinem Bund »Deutsche Volkschaft« nicht einfach gleichschalten lassen. Mit einer öffentlich erklärten Absage an den Faschismus wurde die Selbstauflösung begründet.17 Während Münsteraner Studenten einen »Feldzug gegen den undeutschen Geist« begannen, die Mitbürger aufforderten, die privaten und öffentlichen Büchereien von »zersetzendem Schrifttum zu säubern« und dann auf dem Hindenburgplatz am 10. Mai 1933 einen Scheiterhaufen errichteten, begann Arnold Münster eine »revolutionäre Bibliothek« einzurichten. Die Werke von Marx, Engels und Lenin, aber auch Hitlers »Mein Kampf« wurden eingehend studiert. Sein Kontakt zum Düsseldorfer Kaplan Joseph Rossaint, der sich neben der eindeutigen Walter Rest Ablehnung des Faschismus eine Zusammenarbeit mit marxistisch orientierten Arbeitern vorstellen konnte, hatte geholfen, den traditionellen Graben zwischen katholischer und marxistischer Orientierung zu überbrücken.18 Beide teilten die Besorgnis vor einem neuen Weltkrieg und waren einer im christlichen Menschenbild wurzelnden Friedensethik verpflichtet. Ebenso gleichlautend dürften auch die Motive sein, die Rossaint und Münster dazu bewegt haben, mit Kommunisten und Sozialisten zusammen zu arbeiten. So wollte sich trotz grundlegender weltanschaulicher Gegensätze Rossaint »ein konkretes Bild machen von dem Friedenswillen junger Kommunisten, und zwar nicht nur theoretisch von außen her, sondern durch eigene Beobachtungen und das Kennenlernen des innerorganisatorischen Lebens des Kommunistischen Jugendverbandes.«19 Das Bedürfnis nach einem menschlich-politischen Zusammenhalt war groß unter den »linkskatholischen« Studenten in Münster. Sie fanden einen Rückhalt in den Vorlesungen und im persönlichen Kontakt mit dem Münsteraner Philosophieprofessor Peter Wust. Wust lehrte seit 1930 in Münster, seine gut besuchten Vorlesungen und Seminare waren von einer »inneren Resistance gegen den nationalsozialistischen Ungeist« geprägt, »obwohl sich der Philosoph nie auf politisch-weltanschauliche Zeitprobleme einließ. Es hätte ja auch das sofortige Ende seiner Lehrtätigkeit bedeutet.«20 16 Dirks, Walter: Lob eines unbequemen Zeitgenossen, in: Heitkemper, Peter (Hg.), Engagement zum Frieden. Walter Rest gewidmet, Münster 1982, S. 1–5, S. 3. 17 Dirks: Lob, S. 3. 18 Bresser, Ralf-Peter: SPD und Gewerkschaft in Münster. Eine Studie zum Wiederaufbau und zur Entwick lung der organisierten Arbeiterbewegung 1945–1949. Magisterarbeit an der Philosophischen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität, Münster 1985, S. 67. 19 Hiekisch, Karl: Joseph Rossaint, Berlin 1989, S. 7. 20 Rest, Walter: In der Kaffeewirtschaft wurden philosophische Themen diskutiert. Erinnerungen von Prof. Rest zum 100. Geburtstag von Peter Wust, in: Pressestelle der Westfälischen Wilhelms-Universität, Nachrichten und Berichte, Münster, 1984 Juni/Juli Ausgabe, S. 13. 5 Man traf sich samstags gegen 14.00 Uhr »bei jedem Wetter« vor dem Haus des Philosophen im Straßburger Weg und machte »in lockeren Grüppchen, weit auseinandergezogen«,21einen Spaziergang zum Gasthaus Lohmann in Münster-Mecklenbeck. Im Privatzimmer bei Lohmann hinter der Theke saß man mit Professor Wust und dem Mecklenbecker Pfarrer Dr. Vorholt zusammen: »Wir alle hatten wenig Geld und bestritten die nächsten drei Stunden in der Regel mit einer Tasse Kaffee.« Wir konnten uns »wohl behütet« austauschen, so Walter Rest. »In totalitären Systemen kann derlei gut gehen, wenn jeder aufmerksam und gelassen ist.«22 Es mag diese Erfahrung gewesen sein, die die drei dazu brachte, den »Legalitätskurs« zu verlassen. Sie waren damit nicht alleine. Sie teilten mit vielen Jugendlichen die Enttäuschung über die »Stillhaltetaktik« ihrer Organisationen und ihrer Leitungsgremien. »Ja nicht einmal die sozialistischen Kampfverbände haben auch nur den leisesten Versuch dieser Art [Verteidigung der Republik, d. Verf.] gemacht, weil nach vielem Geschrei ihren Führern doch der Stehkragen (nämlich die bürgerliche Sicherheit und Bequemlichkeit) besser stand als die zum Gegenschlag geballte Faust.«23 So entstanden an vielen Orten kleine Gruppen, die neue Formen im Kampf gegen den Nationalsozialismus ausprobierten.24 Zu den drei Studenten stieß im Frühjahr 1934 Hanns Wienhausen hinzu, der gerade am Paulinum sein Abitur bestanden hatte.25 Gemeinsam wurde der Entschluss gefasst, den Widerstand »gegen die sich immer mehr festigende Macht des Nazismus« in ihrer Stadt wieder aufleben zu lassen. Dazu wollten sie die noch bestehenden »Widerstandskräfte« in der christlichen und marxistischen Arbeiterschaft aufsuchen und dann unter einem »elementaren Zielbild« zusammenführen.26 Münster widmete sich der »schwierigen Verhandlung mit der KPD«, Rest, Schürk und Wienhausen nahmen Verbindung zu den christlichen Gewerkschaften auf.27 Arnold Münster, 18 jährig 20 Rest, Walter: In der Kaffeewirtschaft wurden philosophische Themen diskutiert. Erinnerungen von Prof. Rest zum 100. Geburtstag von Peter Wust, in: Pressestelle der Westfälischen Wilhelms-Universität, Nachrichten und Berichte, Münster, 1984 Juni/Juli Ausgabe, S. 13. 21 Rest, Walter: Der Philosoph Peter Wust und Mecklenbeck, in: Mecklenbeck. Von der Bauerschaft zum Stadtteil, Münster 1980, S. 388–395, S. 388 und 390. 22 Rest: Wust, S. 392. Rest kamen später diese Spaziergänge angesichts der ständigen Gefahr durch Denunziation »gespenstig« vor. 23 Rest: Pflicht, S. 5.Walter Rest hatte sich nach dem Krieg mit einer ähnlich scharfen Kritik über eigennützi ges Verhalten von Fabrikanten aus Emsdetten geäußert. Das brachte ihm eine Verleumdungsklage ein. Mitteilung Prof. Franco Rest. 24 Klotzbach, Kurt: Gegen den Nationalsozialismus. Widerstand und Verfolgung in Dortmund 1930–1945. Eine historisch-politische Studie, Hannover, 1969, S. 129. 25 Hanns Wienhausen studierte an der Staatlichen Kunstschule in Berlin von Ende 1934 bis 1938. Seine Prüfungen mit dem Erhalt der Lehrbefugnis für Kunsterziehung und Geschichte absolvierte er 1939 an der Uni Münster. Siehe: Hanns Wienhausen, Studierendenkarte, Universitätsarchiv Münster, Bestand 209, sowie Personaldossier der Pressestelle, Bestand 207, Nr. 449. 26 Rest: Pflicht, S. 5f. 27 Ebd. Nach J. Kuropka soll Arnold Münster »über die Freundschaft mit einem Mädchen aus dem kommu nistischen Milieu dazugestoßen« sein. Kuropka: Nationalsozialistische Zeit, S. 307. 6 Arnold Münsters »aktive Betätigung im kommunistischen Sinne« Mit dieser Begrifflichkeit bezeichnete das Rektorat der Universität Münster den illegalen Widerstand, an dem Arnold Münster sich führend beteiligte.28 1933 hatte sich zunächst eine etwa zehnköpfige Gruppe um den Bauarbeiter Heinrich Hartmann und den Tischler Georg Kipp getroffen, man wollte mit Flugblättern und einer regelmäßig erscheinenden Zeitung eine Gegenöffentlichkeit zur NS-Presse herstellen.29 Da Hartmann als KPD Mitglied und Kipp als linker Sozialdemokrat die wesentlichen Inhalte bestimmten, bekam die Zeitung den Titel »Der rote Arbeiter«. Die Druckmaterialien wurden in der Nähe von Kipps Bootshaus an der Werse in einer in der Böschung vergrabenen Teertonne versteckt. Die Rekrutierung von weiteren Gruppenmitgliedern geschah überaus vorsichtig, »das hat oft Wochen und Monate gedauert bis man einen angeworben hatte …«30 Die neuen Mitglieder kannten zumeist nur den Anwerber, bei Kontakten innerhalb der Gruppe wurde sicherheitshalber mit Decknamen gearbeitet. 1934 wuchs die Gruppe auf etwa 35 Personen. Münster wurde in die fünfköpfige Leitungsgruppe aufgenommen, allerdings mit einer anderen Funktion. Während die sogenannten Stadtteilleiter den Kontakt zu jeweils weiteren Mitgliedern hielten, ihnen Zeitung und Flugblätter zum nächtlichen Verteilen übergaben, war Münsters Aufgabe, Texte zu schreiben und die der anderen stilistisch zu überarbeiten. Später wird die Gestapo behaupten, dass Münster auf Grund seiner Kenntnis der Schriften von Marx, Engels und Lenin »unter den Funktionären eine besondere Schulung«31 durchführte. Auch habe er für die neuen Mitglieder regelmäßige Schulungskurse eingeführt. Er habe damit als »politischer Leiter« zu gelten. Georg Kipp wird allerdings feststellen, dass Münster zwar zur Leitungsgruppe gehörte, aber keine Stadtteilgruppe hätte übernehmen können, »weil er keine organisatorischen und keine politischen Fähigkeiten hatte«.32 Die Lohngestaltung in den einzelnen Betrieben, die Beschlagnahme der gewerkschaftlichen Vermögen, die Abstimmungsverfahren bei geheimen Wahlen, hauptsächlich aber die Offenlegung der wahren Ziele des Nazi-Regimes waren die Themen der illegalen Schriften. Mit Zitaten aus »Mein Kampf« sollte die moralische Pflicht zum Widerstand begründet werden.33 Die Inhalte der Flugblätter und der Zeitung wurden von der Gruppenleitung entworfen, dazu traf man sich in der Wohnung des Maurerpoliers Johann Müller in der Scharnhorststraße. »Dort haben wir das dann alles so besprochen, Akten betr. Disziplinarsachen, Universitätsarchiv Münster, Bestand 4, Nr. 792. Besonderheit der Gruppe war die Zusammensetzung: Nach Kipp waren es »Sozialdemokraten, Kommunisten, Zentrumsleute, Parteilose« Klein: Haltet Zusammen! S. 78. Für die Justiz »hatte alles, was gegen den Nazismus gerichtet war und von der Arbeiterschaft ausging, die gleiche Bedeutung: Kommunisten.« Birkelbach, Willi: Fazit. Gelebt-Bewegt, Marburg 2000, S. 38. 30 Klein: Haltet Zusammen!, S. 79. 31 Stapo Recklinghausen, Bericht an das Geheime Staatspolizeiamt Berlin vom 11.2.1935, Bundesarchiv (BA) Berlin, R 58/2061, 40–42, S. 41. 32 Klein: Haltet Zusammen!, S. 80. 33 Polizeiberichte über die Aktivitäten der Widerstandsgruppe sind abgedruckt in: Kuropka, Joachim: Meldungen aus Münster, 1924–1944, Münster 1992, S. 258f. 266f. und S. 269. 28 29 Die 7 stilistisch ausgefeilt hat das dann vor allem Arnold M., aber inhaltlich entschieden Heini H. und ich.«34 Es gehörte zum Selbstverständnis der Gruppe, keine parteipolitischen oder konfessionellen Grabenkämpfe aufleben zu lassen. »Wir haben Arnold Münster nicht gefragt, ob er in die Kirche geht. Das war für uns völlig bedeutungslos in dieser Situation. Das mußte es auch sein. Es hieß einfach: Du hast jetzt einen Kumpel dabei, der hilft Dir im Kampf gegen den Faschismus.«35 Münster wurde im Oktober 1934 um einen wichtigen Auftrag gebeten: Er sollte in Leipzig einen größeren Vervielfältigungsapparat kaufen. Der parteilose Student war unauffällig, niemand hegte einen Verdacht und seine finanzielle Unterstützung war willkommen.36 Verhaftung und Polizeigefängnis Im Sommer 1934 erhielt die Gruppe Verstärkung durch den KPD-Genossen Theo Dahlmann, der gerade aus dem KZ entlassen worden war und Deutschland in Richtung Holland verlassen wollte. Dahlmann bot an, Exemplare der sogenannten Internationalen Pressekorrespondenz auf Schmuggelwegen über die Grenze nach Münster einschleusen zu lassen. Die Sendungen sollten per Kurier an den schon älteren Arbeiter Hubert Winter, wohnhaft am Kappenberger Damm, übergeben werden, wahrscheinlich hatte der Dachdecker Wilhelm Düren die Aufgabe, die Druckerzeugnisse dort abzuholen und an die Stadteilleiter zur Verteilung weiterzuleiten.37 Schon bei der zweiten oder dritten Lieferung wurde der Kurier an der Grenze verhaftet, am 29. Januar 1935 flog Hubert Winter als »Anlaufstelle« auf. Die Verhörmethoden der Gestapo-Dienststelle Recklinghausen, die bis zum August 1935 zugleich Stapo-Leitstelle für den Regierungsbezirk Münster war, waren gefürchtet. Der Leiter und spätere Regierungspräsident von Münster, Graf Günther von Stosch, wurde 1949 vom Bochumer Schwurgericht freigesprochen, von der »verschärften Vernehmungspraxis« Bescheid gewusst zu haben. Seinem Untergebenen Wilhelm Tenholt bescheinigte das Gericht eine »Landsknechtsnatur« und verurteilte ihn zu zwölf Jahren Zuchthaus wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit mittels Folter und Misshandlungen in 237 Fällen.38 Hubert Winter und einen Tag später Wilhelm Düren bekamen die brutale Vernehmungspraxis im Polizeigefängnis Recklinghausen zu spüren. Zum Verhör wurden die Häftlinge aus dem Keller in den zweiten Stock geschafft. 34 Klein: Haltet Zusammen!, S. 82. Haltet Zusammen!, S. 78f. 36 Klein: Haltet Zusammen!, S. 81. Kipp datiert den Kauf der Maschine auf Herbst 1933, die Gestapo auf Oktober 1934. 37 Die Abfolge der Verhaftungen lässt sich aus der Dauer der Untersuchungshaft rekonstruieren. Siehe Generalstaatsanwaltschaft Hamm, 1. Instanz 33-45, LAV NRW W, Nr. 5472. 38 Siehe Stegemann, Wolf: »Ein feiner Herr aus gutem Hause – Warum der Recklinghäuser Gestapo-Chef freigesprochen und sein Untergebener verurteilt wurde«, in: Dorsten nach der Stunde Null, Dorsten 1986, S. 156-158. 35 Klein: 8 Sie mussten sich mit dem Gesicht zur Wand auf dem Flur aufstellen und warten, bis sie aufgerufen wurden. Von den vorbeigehenden Gestapobeamten erhielten sie immer wieder Faustschläge ins Genick, so dass sie aus Mund und Nase bluteten. Mit Ohrfeigen und Faustschlägen ins Gesicht begannen die Vernehmungen. Wenn nach Tritten und Schlägen mit Stahlruten und Ochsenziemern noch keine gewünschte Aussage kam, wurde der Häftling auf einen Tisch gespannt und bis zur Besinnungslosigkeit blutig geschlagen.39 Winters Ehefrau wurde zum Verhör hinzugezogen. Sie soll entsetzt geschrien haben: »Hubert, sag doch, dass ein Nachbar im Lodenmantel … die Pakete immer abholt!«40 Nun wurden Namen genannt und jetzt zahlte sich aus, dass viele in der Gruppe sich nur unter falschen Namen kannten. Die Leitungsgruppe erfuhr noch von der Verhaftung der beiden, aber nur Franz Meister konnte nach Holland fliehen.41 Arnold Münster wurde in der Nacht zum 1. Februar 1935 im Haus seiner Eltern verhaftet. Insgesamt wurden 20 Verdächtige festgenommen. »Von den Häftlingen wurden 17 Beschuldigte einwandfrei überführt, dass sie seit dem Sommer 1933 bzw. Anfang Januar 1934 fortgesetzt in hochverräterischer Weise tätig gewesen waren.«42 Die übrigen Gruppenmitglieder blieben unerkannt, ebenso die drei Studenten, die zusammen mit Arnold Münster initiativ geworden waren. Walter Rest hatte nach der Verhaftung Arnold Münsters mit Hausdurchsuchungen bei seinen Freunden gerechnet und unverzüglich alle Unterlagen (Flugblätter, Materialsammlung, usw.) verbrannt.43 Landgerichtspräsident Dr. Münster unterrichtete einen Tag später den Präsidenten des Oberlandesgerichts Hamm von der Verhaftung seines Sohnes. Im handgeschriebenen Brief schildert der Vater zunächst seine Bestürzung über die Ereignisse: »Ich habe von der Betätigung meines Sohnes, der ein sehr verschlossener junger Mensch ist, keine Ahnung gehabt und bin durch die Entwicklung aufs tiefste erschüttert.«44 Eine mögliche Erklärung für Arnolds Verhalten wäre die krankheitsbedingte Vereinsamung seit Kindesbeinen. »Mein Sohn ist ein schwer kranker Epileptiker, der, soweit ich das übersehe, durch das vermeintliche soziale Element des Kommunismus zu seiner verhängnisvollen Betätigung sich hat verleiten lassen.«45 Dr. Rudolf Münster 39 Die hier geschilderten Vernehmungsmethoden der Gestapo Recklinghausen sind entnommen aus: Bickhove Swiderski, Ortwin: Wilhelm Brücher – Kommissarischer Bürgermeister der Stadt Dülmen von Februar bis Oktober 1946, in: Dülmener Heimatblätter 54, Heft 2 (2007), S. 81ff. 40 Schwarze, Gisela: Widerstand und Verweigerung im Münsterland 1933–1945. Eine Untersuchung der Oppositi onsformen gegen das NS-Regime in Westfalen, in: Westfälische Forschungen 34 (1984), S. 207–219, S. 219. 41 Vennenbernd, Barbara: Widerstand im Dritten Reich. Motive, Aktivitäten und staatliche Gegenmaßnahmen am Beispielen aus Münster, Examensarbeit Pädagogische Hochschule Westfalen-Lippe, Abt. Münster, 1976, S. 52f. 42Stapo Recklinghausen, BA Berlin, S. 40. 43Mitteilung Prof. Franco Rest. 44 Personalakte I, Nr. 1537, Dr. Rudolf Münster, LAV NRW W, Bl. 299. 45Ebd. 9 Dem Leiter der Gestapo-Dienststelle in Recklinghausen konnte Dr. Münster das Versprechen abnehmen, dass sein Sohn bei den Verhören nicht geschlagen wird. Dies kam auch den anderen Verhafteten zugute.46 Vier Tage später informierte die Gauleitung Westfalen-Nord der NSDAP die Universitätsverwaltung über die Verhaftung von Arnold Münster »wegen Hochverrats«. Das Schriftstück über den sofortigen Ausschluss vom Universitätsstudium (»Relegation«) wurde ihm im Polizeigefängnis Recklinghausen ausgehändigt.47 Elf Tage später berichtete die Gestapo nach Berlin, dass »der politische Leiter der kommunistischen Ortsgruppe in Münster, der Student der Chemie Arnold Münster, … als die treibende Kraft und Seele des hochverräterischen kommunistischen Unternehmens in Münster zu gelten hat.«48 Das dreiseitige Schreiben der Gestapo zählte auf, worin die Anschuldigungen gegen den Studenten bestanden: Er habe als politischer Leiter einer Ortsgruppe Flugblätter verfasst, neue Mitglieder geworben, sie ausgebildet, eine marxistische Bibliothek unterhalten und Geld zum Kauf einer Vervielfältigungsmaschine eingesammelt. Man gewinnt nicht den Eindruck, dass die Ermittlungen von dem Bemühen von einer objektiven Darstellung der Tatbestände gekennzeichnet waren. So wird Münster als Verfasser des Flugblatts mit der Überschrift »Arbeit und Brot haben Euch die Nazis versprochen! Kämpft mit der KPD. Für ein Rätedeutschland!« angegeben.49 Das widerspricht der Aussage von Georg Kipp im Interview 1973. Danach war Hartmann der Leiter und Organisator der Gruppe und mit Kipp zusammen für die Inhalte zuständig. Wahrscheinlich hatte Arnold Münster eingestanden, dass er zum Leitungsgremium gehörte und die zu verfassenden Schriftstücke überarbeitete. Es wird zugegeben haben, dass er in Leipzig eine Vervielfältigungsmaschine kaufte und zu diesem Zweck Geld bei den Mitgliedern einsammelte. Er wird auch nicht abgestritten haben, dass seine Kenntnisse aus dem »revolutionären Schrifttum« in die Gespräche der Führungsgruppe eingeflossen sind. Alles andere aber zielte darauf ab, das Ausmaß von Münsters Funktion in der »Leitungsgruppe« zu überschätzen, ihn als kommunistischen Staatsfeind und als führenden Kopf der Gruppe hinzustellen. Man kann außerdem vermuten, dass Arnold Münster das Vernehmungsprotokoll unterschrieben hat, um seine drei Schulfreunde nicht hineinzuziehen.50 Arnold Münster blieb nicht alleiniges Opfer von verfälschenden Ermittlungen gegen einen christlich motivierten Widerstand. Ein Jahr später begann die Gestapo im Rheinland und in Westfalen eine groß angelegte Aktion gegen den katholischen Jungmännerverband wegen angeblicher Kollaboration mit Kommunisten. Verhaftet wurden Kaplan Joseph Rossaint, weitere acht Priester, insgesamt 57 Personen. Rossaint selbst stellte rückblickend fest: »Die Hauptabsicht dieses Prozesses war, uns als Kommunistenfreunde und Defätisten zu 46 Vennenbernd: Widerstand, S. 53. betr. Disziplinarsachen, Vol 1, Universitätsarchiv Münster, Bestand 4, Nr. 792. 48Stapo Recklinghausen, BA Berlin, S. 41. 49Der Text des Flugblattes ist dokumentiert in: Kuropka: Meldungen, S. 264. 50Im Polizeigefängnis Recklinghausen wurden den Beschuldigten die Protokolle der Vernehmungen nicht zum Lesen gegeben. Sie sollten »blind« unterschreiben, sonst wurde weiter geprügelt. Zu den Verhörmethoden siehe auch Bajohr, Frank: Verdrängte Jahre. Gladbeck unter’m Hakenkreuz, Essen 1983, S. 157ff. 47 Akten 10 denunzieren und damit den Katholizismus zu treffen.«51 Es liegt nahe, auf Seiten von Gestapo und NSDAP-Gauleitung auch ein Interesse an personellen Konsequenzen zu vermuten. Gut möglich, dass man jetzt die Chance sah, Landgerichtspräsident Dr. Rudolf Münster vorzeitig in den Ruhestand zu versetzen. Es gab ja bei den Verfolgungsbehörden den wiederholt geäußerten Unmut über das noch immer »ungebrochene Auftreten« von »Reaktion, politischem Katholizismus und bekenntnistreuer Kirche«. Der Hammer Generalstaatsanwalt von Steinaecker sagte im Juni 1935 vor dem Bund Nationalsozialistischer Deutscher Juristen: »Das alles wäre noch zu ertragen, wenn nicht auch Vertreter aller dieser Richtungen unter den Richtern zu finden wären.«52 Dr. Münster hatte zunächst gehofft, nach dem Jahresurlaub wieder in den Dienst zurückzukehren. Seine Bitte, ihn nicht vorzeitig in den Ruhestand zu versetzen, musste er abändern. Im April beantragte er seine vorzeitige Versetzung in den Ruhestand zum 1. August 1935.53 Bereits im März hatte Gauleiter Meyer ein entsprechendes Schreiben an das Reichsjustizministerium gerichtet, um sicherzustellen, dass für die Nachfolge Münsters »tüchtige und bewährte Nationalsozialisten ins Auge gefasst werden.«54 Vor Gericht Am 6. und 7. Juni 1935, zwei Tage vor Pfingsten, fand vor dem zweiten Senat des Oberlandesgerichts Hamm die Gerichtsverhandlung mit 17 Angeklagten statt. Sie waren von Recklinghausen in das zwei Monate zuvor um 122 Plätze erweiterte Hammer Gerichtsgefängnis überstellt worden. Arnold Münster wurde zusammen mit den anderen Angeklagten nach Aufruf der Verhandlungssache vorgeführt. Nach Überprüfung der Angaben zur Person kam es zum Verlesen der Anklage und der bisherigen Aussagen des Studenten. Danach begann die Vernehmung durch den Vorsitzenden. Normalerweise hätte die Verhandlungsführung Dr. Ernst Hermsen innegehabt, wahrscheinlich aber leitete Ernst Bergmann, Präsident des vierten Senats, den Prozess.55 Hermsen und Bergmann unterschieden sich nicht wesentlich in ihrer Verhandlungsführung. Hermsen war »ein geradezu fanatischer Gegner der Arbeiterbewegung«. Bergmann wurde 51Präsidium des VVN/Bund der Antifaschisten (Hg.): Portrait eines Aufrechten – J.C. Rossaint, Frankfurt a.M. 1982, S. 18. Der »Katholikenprozess« gegen Rossaint vor dem Volksgerichtshof in Berlin wurde vom Propagandaministerium entsprechend »ausgeschlachtet«. Rossaint wurde zu elf Jahren Zuchthaus verurteilt. 52Niermann: Durchsetzung, S. 209. 53 Dr. Münster wäre altersgemäß im Oktober 1935 in den Ruhestand versetzt worden. Er kehrte seit der Verhaftung seines Sohnes nicht mehr in den Dienst zurück. Siehe Personalakte I, Nr. 1537, Dr. Rudolf Münster, LAV NRW W, Bl. 299. 54 Niermann: Durchsetzung, S. 83. Der promovierte Jurist Alfred Meyer war 1930 für die NSDAP in den Reichstag gewählt und von Adolf Hitler zum Gauleiter Westfalen-Nord ernannt worden. 55 Der Angeklagte Johann Müller erinnerte sich in seinem Nachkriegsantrag auf Urteilsaufhebung an den Senatspräsidenten »Brinkmann« und meinte wohl Bergmann, LAV NRW W, Generalstaatsanwaltschaft Hamm, Nr. 5472. Es kam häufiger vor, dass man sich gegenseitig vertrat. Zum Ablauf der Prozesse siehe Niermann: Durchsetzung, S. 206. 11 nachgesagt, dass er überheblich und arrogant in seinem Auftreten gewesen sei und seine Befragungen und Kommentare »von völligem Unverständnis für die Motive der Angeklagten bestimmt gewesen seien.«56 Da alle Angeklagten die Vernehmungsprotokolle der Gestapo bestätigt hatten, war damit im Gerichtsaal die Beweisaufnahme vereinfacht.57 Die Staatsanwaltschaft brauchte nur noch die Verwerflichkeit der Taten herausstreichen. Sie konnte sich dabei auf die im April 1934 erlassene Verschärfung des § 83 Strafgesetzbuch (StGB) beziehen. Damit war der »Hochverrat als das schwerste gegen die Volksgemeinschaft gerichtete Verbrechen der Treulosigkeit an die Spitze aller Verbrechen gestellt und mit den schwersten Strafen belegt«.58 Die Aufgabe der Anwälte bestand zumeist darin, die Schuld der Angeklagten von der subjektiven Seite her zu mildern. Im Falle Münsters stützte sich die Verteidigung auf die seit Kindheit bestehende Erkrankung, die seinen »Irrweg« erklärlich machen sollte. Arnold Münster wurde nach § 83 Abs. 3, Z. 1 und 3 StGB wegen »Vorbereitung zum Hochverrat« zu acht Jahren Zuchthaus und fünf Jahren Ehrverlust unter Anrechnung von vier Monaten und sieben Tagen Untersuchungshaft verurteilt. Das gleiche Strafmaß erhielt Heinrich Hartmann, Georg Kipp kam mit einem Jahr weniger davon. Bei Heinrich Hartmann, Theodor Hautopp und Reinhold Schmidt war die Strafzumessung von ihrer Vorstrafe abhängig: Sie waren bereits im Jahre 1933 als Kommunisten im Konzentrationslager in Papenburg in Schutzhaft genommenen worden. Johann Müller und Wilhelm Düren erhielten jeweils fünf Jahre, Hubert Winter viereinhalb Jahre Zuchthaus. Bei der empfindlichen Strafe für Arnold Münster berücksichtigte das Gericht die Ergebnisse der Ermittlungsbehörden. Danach war der Chemiestudent ja nicht nur für kommunistische Ideen empfänglich gewesen, sondern als »treibende Kraft und Seele einer hochverräterischen Bestrebung« aufgedeckt worden. Die Richter ließen sich in ihren Urteilen davon leiten, dass »hier … nicht Recht oder Gerechtigkeit, sondern Staatsnotwendigkeit« zu entscheiden hatte. Damit war gemeint. dass die Höhe der Strafe »von dem Gedanken der Staatssicherheit beherrscht sein« muss. Nach Hermsen sollten die vermeintlichen Staatsfeinde »seelisch, materiell und körperlich« so getroffen werden, »dass sie nie wieder hochkommen«.59 56 Niermann: Durchsetzung, S. 208, Anm. 215. Hermsen und Bergmann wurden auch nach 1933 nicht Mitglied der NSDAP, Hermsen war als »gläubiger Katholik« bis 1933 in der Zentrumspartei, Bergmann in der DNVP. 57 Das ergibt sich aus den Urteilen. Nur bei geständigen Angeklagten wurde der Zeitraum der Untersuchungs haft auf die Strafe angerechnet. 58Zitat aus einer Besprechung der Oberstaatsanwälte von September 1935, Niermann: Durchsetzung, S. 200. 59Niermann: Durchsetzung, Zitate auf S. 212 und S. 232f. 12 Als >Hochverräter< hinter Gittern und als »Bewährungssoldat« an der Front Arnold Münster kam ins Zuchthaus in Münster an der Gartenstraße. Die Anstalt war seit 1933 für Gefangene mit hohen Strafen aus den Hochverratsprozessen vorgesehen. Das Münsteraner Zuchthaus hatte 605 Plätze, war aber mit 872 Mann überfüllt. Es sollen dort mehr »politische als kriminelle Häftlinge inhaftiert« gewesen sein. Mit »schärfster Disziplin und Härte« wurde auf die Zusammenführung so vieler Widerständler geantwortet. »Die Politischen wurden von voneinander abgesondert, und die Gefangenen waren keinen Augenblick ohne Aufsicht.«60 Trotz dieser strengen Disziplinierung durch das Gefängnispersonal gelang es einigen »Politischen« Kontakt untereinander zu halten. »Wir hatten nichts anderes entgegenzusetzen als unsere Solidarität, gepaart mit der Zuversicht, bald aus dieser Hölle befreit zu werden«,61 schrieb rückblickend ein KPD-Genosse. Für Arnold Münster dürfte diese Überlebensstrategie nicht infrage gekommen sein. Seine Beteiligung am Widerstand wurde allgemein als »unglückseliger Irrweg« deklariert, er galt als »missratener Sohn« einer exponierten katholischen Akademikerfamilie. Das von Mitgefangenen beschworene Zusammengehörigkeitsgefühl oder das Festhalten an den grundsätzlichen Zielen des Widerstandes war für Münster keine Option. Auch den Freunden Rest, Schürk und Wienhausen war klar geworden, dass politischer Widerstand »solcher Art gegenüber der geballten Macht des totalitären Staates Das Zuchthaus Münster um 1935 60Siehe Wever, Dieter: Das Zuchthaus Münster im Nationalsozialismus. Eine Recherche zur Vollzugsrealität in den Jahren 1933 -1945. http://www.jva-muenster.nrw.de/beh_aktuelles/index.php. 61Ebd. 13 mehr als ein Wagnis wurde und vorweg eine verlorene Sache war.«62 Seine Eltern hielten zu ihm und verstanden es, ihn in Zeiten von Krankheit und tiefster Verzweiflung aufzurichten und ihn in der Hoffnung auf eine bessere Zukunft zu bestärken. Die Besuchszeiten wurden auch dazu genutzt, Lehrbücher der Physik und Chemie zu überbringen. Die Erlaubnis dürfte auf Bestreben seines pensionierten Vaters zustande gekommen sein, der »alle ihm zur Verfügung stehenden rechtlichen Möglichkeiten ausschöpfte.«63 Der ältere Bruder Clemens und der inzwischen in Heidelberg als wissenschaftlicher Assistent beschäftigte Paul Ohlmeyer unterstützten mit genauen Anweisungen sein Studium. Über den Briefkontakt der Eltern konnten Leseaufträge und offene Fragen erörtert werden. »Dazu kam die Fähigkeit Münsters, während des keineswegs geräuschlosen Gefängnisalltags und der Anwesenheit seiner Mithäftlinge so vollständig in die Gedankenwelt seiner wissenschaftlichen Arbeit abzutauchen, dass er seine Umgebung nicht mehr wahrnahm.«64 In zwei Artikeln der »Frankfurter Hefte«, in denen Arnold Münster 1946 naturwissenschaftliches und philosophisches Denken miteinander vergleicht, klingt diese Bewältigungsstrategie an. Als Naturwissenschaftler bewege er sich im »Raum der Indifferenz«, mit der »Gefahr, in der Entscheidungslosigkeit zu verharren«.65 Das Sein des Menschen aber sei auf Entscheidung, also auf »Unsicherheit und Wagnis« hin geordnet.66 Seine 1933 gefasste Entscheidung zum aktiven Widerstand musste um der Bewahrung des eigenen Menschseins gewagt werden, so könnte eine nachträgliche Deutung lauten.67 Für Münster standen aber siebeneinhalb Jahre »Verharren in der Entscheidungslosigkeit« an. Aufgrund seiner Erkrankung wurde er im Januar 1937 in die Anstalt Eickelborn, ein Jahr später auf die Beobachtungsabteilung des Männerkrankenhauses im Gefängnis Köln-Klingelpütz verlegt.68 Die besonderen Haftbedingungen haben Münsters Chemiestudium »sicherlich erleichtert, wenn nicht sogar ermöglicht«.69 Am 6. Juni 1941 lehnte das Erbgesundheitsgericht Köln einen Antrag auf Unfruchtbarmachung ab, weil die Zahl der Anfälle im Verlauf der Haftzeit deutlich abgenommen hat. »Tatsächlich hat die Epilepsie im späteren Leben von Arnold Münster praktisch keine Rolle mehr gespielt.«70 Einigen Verurteilten des Widerstandes um den »Roten Arbeiter« wurde der Strafrest von bis zu einem Jahr zur Bewährung ausgesetzt. Das bedeutete aber nicht in jedem Fall die Freiheit. Die Gestapo wurde routinemäßig über die 62 Rest: Pflicht, S. 6. Arnold Münster, S. 517. 64Ebd., S. 520. 65Münster: Maß, S. 87. 66Münster nimmt hier Bezug auf die Philosophie von Peter Wust, der seine Hauptschrift »Ungewissheit und Wagnis« mit einer Neuinterpretation des biblischen Gleichnisses vom verlorenen Sohn einleitete. Wust interpretierte den Weg, den der verlorene Sohn trotz späteren Scheiterns geht, nicht als »unglücklichen Irrweg«, denn er geht das Wagnis der Entscheidung ein und bleibt nicht im Unverbindlichen. 67Diese Interpretation der beiden Artikel von Arnold Münster stützt sich vor allem auf die Verwendung der philosophischen Begriffe. Man kann sich Münster als Zuhörer von Peter Wust im Hinterzimmer vom Gasthof Lohmann vorstellen. 68 Thiesen, Stefan: Strafvollzug in Köln 1933–1945, Berlin 2011, S. 114. Bei einer Besichtigung dieser Abteilung durch die Aufsichtsbehörde im Mai 1937 wurde das ruhige Verhalten der Gefangenen gelobt. 69Sillescu: Arnold Münster, S. 518. 70 Ebd. 63Sillescu: 14 bevorstehende Entlassung informiert und sie konnte ohne weiteres mit der Einweisung in ein Konzentrations- oder Arbeitslager reagieren.71 Die von Münsters Eltern wiederholt gestellten Gnadengesuche bewirkten Ende 1941 eine weitere Erleichterung. Am 27. Dezember 1941 wurde Münster vom Kölner Klingelpütz in die Landespflegeanstalt Geseke (Kreis Lippstadt) überführt. Dort nahm er als »Pflegling« an den allgemeinen Arbeiten teil, für sein Studium wurden ihm täglich zwei Stunden genehmigt. Nach genau acht Jahren wurde er am 31. Januar 1943 endgültig entlassen. Kurze Zeit später fand Arnold Münster auf Vermittlung von Paul Ohlmeyer eine Anstellung am Frankfurter »Institut für Therapieforschung der Tuberkulose«. Neun Monate lang währte diese »sehr glückliche, aber kurze Periode«,72 in der er »Zur Theorie der Lösungen hochpolymerer Substanzen« in der Kolloid-Zeitschrift publizieren konnte. Dann folgte am 5. Januar 1944 die Einberufung in das »Bewährungsbataillon 999«. Münster wurde auf dem Truppenübungsplatz Baumholder in Rheinland-Pfalz ausgebildet. Am 29. März 1944 heiratete er die Zahnärztin Dr. Lilly Curtius, die Eheschließung fand unter dramatischen Umständen statt: Weil das Frankfurter Standesamt und die Kirche, in der die Trauung vorgesehen war, bei Bombenangriffen zerstört wurden, musste man nach Falkenstein im Taunus ausweichen; »die kirchliche Trauung wurde von Arnolds jüngerem Bruder Ludwig zelebriert.«73 Münster wurde mit seiner Einheit in Griechenland eingesetzt, der bald notwendig gewordene Rückzug war strapaziös: »30 Stunden lange Märsche bei Hunger und Kälte«.74 Er erkrankte an einer schweren Bindegewebsentzündung und musste in Sarajewo operiert werden. Mit seiner Entlassung aus dem Lazarett im Juni 1945 war er »aus dem balkanischen Schlamassel einigermaßen gut«75 herausgekommen. Arnold Münster in der „Bewährungskompanie 999“ 71 Georg Kipp war nach seiner Entlassung bis kurz vor Kriegsende in Arbeitslagern zwangsweise untergebracht. Mitteilung Dr. Gisela Schwarze. Zu seinem Werdegang nach dem Krieg siehe Schwarze, Gisela: Neuanfang und Kontinuität, Münster 1982. 72 Sillescu: Arnold Münster, S. 518. 73Ebd., S. 521. 74Mitteilung Nikolaus Münster. 75 Mit diesen Worten beglückwünschte Clemens Münster seinen Bruder in einem Brief vom 27.3.1945, den er ins Lazarett Mattighofen, Oberösterreich, geschickt hatte. Sillescu: Arnold Münster, S. 521. 15 Studium und Lehre Das Chemiestudium setzte er 1946 in Heidelberg fort. Zeitgleich wurde auf seinen Antrag hin die Tilgung der Strafe im Strafregister angeordnet.76 Ein Jahr später legte er im Mai 1947 die Diplom-Chemiker-Hauptprüfung mit der Gesamtnote »Sehr gut« ab, im Juli promovierte er »Über einige Eigenschaften gelöster Fadenmoleküle«. Seine 1949 an der Universität Frankfurt eingereichte Habilitationsschrift »Über die statistische Thermodynamik binärer flüssiger Gemische« im Fach Physikalische Chemie machte ihn international bekannt. Nach dem Wegfall eines Stipendiums der Tübinger »Leibniz-Stiftung« und zur finanziellen Absicherung der Familie, 1948 und 1951 werden die Söhne Thomas und Nikolaus geboren, nahm Münster Anstellungen in der Industrie an. Zwei Jahre arbeitete er im Forschungslaboratorium der Zellstofffabrik Waldhof und von 1951 bis 1958 war er Leiter des Metall-Laboratoriums der Metallgesellschaft AG in Frankfurt. Laut der Chronik des Unternehmens sind von ihm in dieser Zeit 40 wissenschaftliche Beiträge zur metallkundlichen Forschung veröffentlicht worden.77 Gastprofessuren in Straßburg und an der Sorbonne in Paris, Lehraufträge und Vorträge in Göttingen, in England und den USA waren die Folge. 1963 wurde Arnold Münster zum Direktor des neu gegründeten Instituts für theoretische Physikalische Chemie ernannt, nachdem er ein Jahr zuvor den Ruf auf ein Ordinariat in Frankfurt angenommen hatte.78 Arnold Münster konnte in der Frankfurter Deutsch-Französischen Gesellschaft in gewisser Weise an seine Studentenzeit in Münster anknüpfen. Schon damals lagen den Schulfreunden der Kontakt mit dem französischen Katholizismus und die Aussöhnung mit Frankreich am Herzen. Arnold Münster wurde 1980 für sein Engagement vom französischen Staatspräsidenten zum Ritter der Ehrenlegion ernannt. Nach seiner Emeritierung wendete sich Münster der Musik und der Literatur zu. Seine umfassende allgemeine Bildung wird noch einmal in den letzten Veröffentlichungen deutlich. Seine Arbeit über Beethovens letztes großes Klavierwerk, die Diabelli-Variationen, war für Arnold mit Sohn Thomas und den Eltern 1950 76Generalstaatsanwaltschaft Hamm, 1. Instanz 33-45, LAV NRW W, Nr. 5472. Günter (Hgg): Das Metall-Laboratorium der Metallgesellschaft AG 1918-1981, Frankfurt a.M. 1981, S. 312. 78Siehe Greiner, W./ Kegel, W.H.: Arnold Münster 70 Jahre, in: Physikalische Blätter 38 (1982), S. 132, und Sillescu, Arnold Münster, S. 521 f. 77Wassermann, 16 die Musikwissenschaft so interessant, dass das Bonner Beethoven-Haus sich an der Veröffentlichung beteiligte. In die Zuchthauszelle hatte er einst, von seiner Mutter beim Besuch ausgehändigt, Dantes »Göttliche Komödie« mitnehmen können. 1990 veröffentlichte Münster die kleine Schrift »Über Goethes Verhältnis zu Dante«: auch sie eine Studie mit viel Liebe zum Detail und profunder Kenntnis. Am 1. August 1990 ist Arnold Münster in Frankfurt a.M. verstorben. Schlussbetrachtungen Die Verkennung der politischen Realität in der Widerstandsgruppe »Die Abwehr der Massen gegen den Faschismus wird zwangsläufig zunehmen.«79 Mit dieser Prognose waren viele in den Widerstand gegangen und hatten die Erfahrung machen müssen, dass angesichts der Festigung des nationalsozialistischen Regimes die Hoffnung auf einen Umsturz erlosch. Der Münsteraner Widerstand um den »Roten Arbeiter« war wie viele andere Widerstandsbewegungen der Jahre 1933 bis 1935 »isoliert von der Masse der Bevölkerung, intensiv verfolgt von einer übermächtigen Gestapo, gefährdet durch die Spitzel in den eigenen Reihen, ohne echte Möglichkeit und Mittel zur machtpolitischen Unterminierung des Regimes.«80 Die Errichtung einer Gegenöffentlichkeit durch die Verteilung von Flugblättern und Zeitungen war aufwendig und gefährlich und die Erfolge standen in keinem Verhältnis zu dem Preis, der zu zahlen war. Hans-Eckhard Niermann kann zur politischen Strafjustiz am Oberlandesgericht Hamm feststellen: »Gegen keinen seiner vermeintlichen Gegner – auch nicht die Juden – ging das Regime in den ersten Jahren mit so unnachgiebiger Härte und Brutalität vor wie gegen die Kommunisten.«81 Das haben viele, auch die Münsteraner Gruppe, so nicht vorausgesehen. Arnold Münster als angeblich treibende Kraft und Seele der Gruppe Auf einer Emswiese zwischen Telgte und Münster hatten sich anfänglich zwölf junge Leute getroffen und nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten damit weitergemacht, was sie unter »Kampf gegen den Faschismus« verstanden. Georg Kipp: »Für mich war es selbstverständlich, dass ich weitermachte, legal oder illegal. Ich stand auf dem Standpunkt: Wir lassen uns nichts verbieten!«82 Zu dieser Gruppe stieß der Chemiestudent Arnold Münster und wurde Teil der Leitungsgruppe. Das erfahrene KPD-Mitglied Heinrich Hartmann war Leiter und 79 Klotzbach: Gegen den Nationalsozialismus, S. 158. Gegen den Nationalsozialismus, S. 175. 81 Niermann: Durchsetzung, S. 217. 82 Klein: Haltet zusammen!, S. 78. 80 Klotzbach: 17 Organisator der Gruppe, zusammen mit Linkssozialist Georg Kipp bestimmte er die Inhalte der Flugblätter und der Zeitung »Der Rote Arbeiter«. Die Gestapo stellte in ihren Ermittlungen die Rolle von Arnold Münster in dieser Widerstandsgruppe aus propagandistischen Gründen falsch dar. Gemeinsam mit der politisierten Justiz war man bemüht, im katholischen Milieu existierende Gruppen mit ihrer Nähe zu Pazifismus und Sozialismus als Verrat an der Volksgemeinschaft dastehen zu lassen. Die Entwicklung zur inneren Geschlossenheit des deutschen Volkes sollte aus Sicht der Nationalsozialisten 1935 vollendet sein. Die »Zerrissenheit« der Weimarer Republik durfte durch »Anhänger des Bolschewismus und des politischen Katholizismus« nicht wiederbelebt werden. Der autoritäre Führerstaat brauchte die permanente Zustimmung breiter Bevölkerungskreise. Da passte es gut, wenn man mit dem sogenannten Fall »Arnold Münster und Genossen« die in der katholischen Bevölkerung vorhandene Abscheu gegen alles Kommunistische aufgreifen und die christlich motivierte Zusammenarbeit als große Dummheit hinstellen konnte.83 Der Versuch von vier Studenten, christlichen Pazifismus und Marxismus zusammenzubringen Für die Universitäten während des NS-Regimes stellte Clemens Münster fest: »Ein kleiner Teil der Studenten und Dozenten hat sich frei vom Nationalsozialismus gehalten …, ein anderer hat sich immerhin zu einer der vielen Spielarten des Skeptizismus durchgerungen.«84 Dass vier Studenten in Münster den Schritt vom bildungsbürgerlichen Dissens zum Widerstand wagten, darüber hinaus die Idee verfolgten, die Arbeiterschaft mit der Produktion und Verteilung illegaler Schriften aufzurütteln und »die Arbeitermassen auf die Barrikaden zu bringen«,85 bedarf der Erklärung. Als Versuch hatte es das im Münsterland schon mal gegeben. Anfang 1933 waren Kommunisten bestrebt gewesen, sozialdemokratische und christliche Arbeiter für eine einheitliche Vorgehensweise gegen das nationalsozialistische Regime zu gewinnen. Das misslang, weil man sich die »proletarische Einheitsfront« nur unter der Führung der KPD vorstellen konnte, weil Sozialdemokraten noch die gewalttätigen Auseinandersetzungen mit KPD-Anhängern in Erinnerung hatten und weil die bodenständige katholische Arbeiterschaft weiterhin an der Religionskritik der Kommunisten Anstoß nahm.86 Warum sollte es ausgerechnet vier Studenten aus dem Bürgertum gelingen, die zerstrittene Arbeiterbewegung unter einer gemeinsamen Zielrichtung zusammenzuführen? 83Siehe Rest: Plicht, S. 6. Clemens: »Die Universität 1946« Frankfurter Hefte, 1/(1946, S. 7–9. S. 7. 85Rest: Pflicht, S. 6. 86Siehe Schwarze: Widerstand, S. 217. 84Münster, 18 Walter Rest hielt einen Kampf gegen den Nazismus für möglich, »wenn wenigstens ein gemeinsames und wenn auch noch so elementares Zielbild bestanden hätte«.87 Der Münsteraner Widerstand sollte ein neuer »politischer Versuch« werden, »unternommen von Männern, die nicht erst des offenbaren Wahnsinns als Lektion bedurften, um die Notwendigkeit des Handelns zu verspüren.«88 Die 17 Angeklagten vor dem Oberlandesgericht, die nicht aufgeflogenen Mitglieder der Widerstandsgruppe sowie die drei Studenten brachte eine gemeinsame Orientierung zusammen: Sie wollten die Menschenrechte verteidigen, statt Aufrüstung sollte abgerüstet, Frieden sollte durch Völkerverständigung erreicht werden. Georg Kipp hatte im Interview mehrfach betont, dass sich die Gruppe auf die Bekämpfung des Faschismus und die Verhinderung des Krieges geeinigt hatte. Die Studenten aus der ›katholisch-bündischen Jugend‹ wollten ihr politisches Engagement und ihre christliche Glaubenspraxis nicht auseinanderfallen lassen. Sie waren keine Kommunisten, aber mit ihrer fundamentalen Kritik am Faschismus stark »linksorientiert«. Clemens Münster sah die Notwendigkeit dieser politische Haltung auch für die Zeit nach dem Krieg: Deutschland bleibt es nicht erspart sich zu entscheiden. Diese Entscheidung »aber beruht auf der teuer bezahlten Erfahrung, daß in Deutschland nur die ›Linke‹, und zwar die christliche und die marxistische Linke, zu einer stetigen, dem Wohle des eigenen Volkes nicht weniger als dem Frieden mit den Nachbarn dienenden Politik fähig ist.«89 Deutlicher kann der Wunsch nach Aussöhnung zwischen Christentum und Sozialismus nicht ausgedrückt werden.90 Enttäuschung über eine »politisch ungebildete Masse« und ihre »lückenhafte Moral« Wahrscheinlich stellvertretend für Arnold Münster formulierte Walter Rest 1946 seinen Ärger und seine Enttäuschung über die Münsteraner Bevölkerung zu Beginn des nationalsozialistischen Regimes. »Jeder hatte in Schule und Kirche gelernt, für das Vaterland im Kriege mit dem ›Heldentod‹ einstehen zu müssen, aber für die Freiheit im Innern auf die Barrikaden zu steigen, dafür hatte man niemals das entscheidende Wort gefunden.« Weiter hieß es im hervorgehobenen Schriftbild: »Als ob die Verteidigung der Landesgrenzen sittlich höher zu bewerten wäre als die Verteidigung der menschlichen Grundrechte!«91 Nach Rest war das Münsteraner Bürgertum nicht nur verantwortlich dafür, was 87Rest, Pflicht, S. 6. S. 4. 89Münster: Fronten, S. 691. 90 Kuropka lässt in seiner Interpretation des Widerstandes um Arnold Münster diesen Hintergrund völlig außer Acht. Weil Münster »ein idealistischer, aber wohl auch exzentrischer und schwieriger Zweiundzwanzig jähriger« gewesen sei, wäre die Beteiligung am kommunistischen Widerstand ein Ergebnis seiner Persönlich keit. Kuropka: Widerstand, S. 163ff. 91 Rest: Pflicht, S. 5. 88 Ebd., 19 es getan oder unterlassen hatte, sondern auch für ihre Einstellungen und moralische Bewertungen. Die vier Studenten hatten offenbar gehofft, dass sie mit ihrer radikaleren christlichen Einstellung und mit ihrer »Politik aus dem Glauben« in der katholischen Bevölkerung auf Resonanz stoßen würden. Sicherlich gab es in Münster Widerstände »in der Breite und der Tiefe des katholischen Sozialmilieus …, das sich wiederum an der Leitbildfigur des ›Löwen von Münster‹ [Bischof von Galen, d. Verf.] orientierte«,92 aber die Demokratie verteidigen, sich einsetzen für Linksparteien und marxistisch-orientierte Arbeiterschaft? Man stand ihnen ohnehin feindlich gegenüber und außerdem musste jeder selbst sehen, wie er mit den neuen Verhältnissen klar kam. Die »völlig unbegreifliche« Lebensleistung des Chemiestudenten Arnold Münster in der Haft und sein späteres Schweigen – Deutungsversuche Als Arnold Münster nach seiner Verurteilung im Juni 1935 »zu einem Stadtgespräch erster Ordnung« wurde, fiel »die gesamte Bürgerschaft, die im Grunde antinationalsozialistisch gesinnt war, mit starken Moralin-Dosen über jenen ‚unglücklichen jungen Mann’ her… […] Kaum einer kam auf den Gedanken, dass sich dieser Mensch vor allem und zuerst einmal gegen den Nazismus entschieden hatte. Niemand, aber auch niemand, dachte auch nur entfernt daran, die Verbindung mit der KPD als echte politische Entscheidung zu bewerten.«93 Mit dazu beigetragen hatte sicherlich auch die von der Verteidigung vorgetragene Erklärung für das Verhalten des Angeklagten. Wer »krankheitsbedingt verwirrt« sich mit Kommunisten gemein machte, konnte nicht als »Überzeugungstäter« gelten. Die zu Beginn der Haft verstärkt auftretenden epileptischen Anfälle dürften die seelische Belastung von Arnold Münster noch größer gemacht haben. Arnold Münster hatte eine weitere Not zu bestehen. »Man muß den Kerlen klarmachen, daß sie hier nichts bedeuten«,94 war eine Maßgabe, nach der das Gefängnispersonal gegenüber den »Politischen« handelte. Allerdings war für die Genossen aus dem marxistischen Lager die Strafe nicht so beschämend wie für den Studenten. »Sie haben uns in Zuchthauskleider gesteckt, aber wir sind keine Verbrecher«, schrieb ein politischer Gefangener aus dem Zuchthaus Münster an Frau und Tochter.95 Wer aus dem Arbeiterwiderstand ins Zuchthaus musste, 92 Ester, Matthias M./Spieker, Christoph: Widerstände gegen den Nationalsozialismus im Münsterland. Katalog und Dokumentation der Wanderausstellung, (hg. im Auftrag des Fördervereins Villa ten Hompel e.V.), Münster 2011, S. 9. 93 Ebda. 94 Zitat in: Breidenbach, Armin: Das Zuchthaus Lüttringhausen 1933–1945 (Teil 2) in: Geschichte und Heimat. Mitteilungsblatt des Bergischen Geschichtsvereins, 6, 2006. 95 Zitat bei Wever: Das Zuchthaus Münster, S. 14. 20 hatte das Bewusstsein, sich für die richtige Überzeugung eingesetzt zu haben. Zudem gab es eine starke solidarische Unterstützung durch gleichgesinnte Mitgefangene und Freunde von draußen. Dieses ganze Umfeld fehlte Münster. »Es erscheint zunächst völlig unbegreiflich, daß ein Strafgefangener während der Verbüßung einer Haftstrafe von acht Jahren die theoretischen Teile eines vollen Studiums der Chemie und der Physik bewältigen [kann] und […] unmittelbar nach der Entlassung eine wissenschaftliche Publikation verfaßte, die in Fachkreisen sofort Aufsehen erregte.«96 Der Mainzer Chemieprofessor Hans Sillescu erklärte die Situation seines Freundes in der Haft damit, dass es ihm gelungen sei, den ganzen Tag durchstrukturiert und von der Außenwelt abgeschlossen bei den Fachproblemen einer exakten Naturwissenschaft zu verweilen. Die Arbeit eines Naturwissenschaftlers ist »in gewissem Sinne von der Existenz geschieden und trägt das Signum der Unverbindlichkeit«, wird Arnold Münster 1946 schreiben. Hier vollziehen sich »keine existentiellen Entscheidungen«.97 1934 hatte der Chemiestudent den »aktiven Einsatz auf verlorenem Posten«98 gewagt und dafür Unverständnis, Mitleid und Erniedrigung geerntet. Wer unter solchen Bedingungen in der Lage war, eine Stärke zu entwickeln, die ihn nicht nur diese Zeit durchstehen ließ, sondern die auch die Grundlage für eine außergewöhnliche wissenschaftliche Karriere legte, verdiente hohen Respekt. Vielleicht diente das Schweigen über die Vergangenheit dazu, sich diesen Respekt zu bewahren. Auch nach Kriegsende gehörte er zu denen, die erleben mussten, dass ihre politische Einstellung und ihre Handlungen weiterhin auf Ablehnung stießen. »Es Die Eltern mit den Söhnen Ludwig, Clemens und Arnold 96 Sillescu: Arnold Münster, S. 516. Arnold: Das Experiment, S. 87. 98 Rest: Pflicht, S. 5. 97 Münster, 21 wäre ihnen lieber gewesen, sie wären alle tot!« So hatte Kaplan Ludwig Klockenbusch die Nachkriegsstimmung in Münster gegenüber den Verfolgten des Naziregimes beschrieben99 und wie Arnold Münster hatte er das Reden über sein eigenes Widerstehen vermieden. 99 Persönliche Mitteilung von Dr. Gisela Schwarze, und Schwarze, Gisela: Meine Bilanz. Ein Leben zwischen Krieg und Frieden Münster 2014, S. 133. Dr. L. Klockenbusch war im Zusammenhang mit der Verhaftung seines Freundes Kaplan B. Pöther im Zuchthaus Münster inhaftiert. 22 Quellen- und Literaturverzeichnis Archive ·· Universitätsarchiv Münster ·· Bestand 4, Nr. 792, 401, 402, 403 ·· Bestand 8, Nr. 11202, Nr. 35430 ·· Bestand 33, Nr. 1064 ·· Bestand 207, Nr. 307, Nr. 449 ·· Bestand Nr. 209, Studierendenkarten Arnold Münster, Walter Rest und Hanns Wienhausen ·· Bistumsarchiv Münster ·· Sammlung Kleruskartei, Ludwig Münster ·· Landesarchiv Nordrhein-Westfalen Abteilung Westfalen ·· Generalstaatsanwaltsschaft Hamm, 1. Instanz 33-45, Q211a, Nr. 5472 ·· Personalakte I, Nr. 1537, Dr. Rudolf Münster ·· Bundesarchiv Berlin ·· Staatspolizeistelle für den Regierungsbezirk Münster, Recklinghausen, Bericht an das Geheime Staatspolizeiamt Berlin vom 11.2.1935, R 58/2061, S. 40-42 Mündliche und schriftliche Mitteilungen ·· Nikolaus Münster, Frankfurt ·· Thomas Münster, München † ·· Dr. Gisela Schwarze, Münster † ·· Prof. Dr. Franco Rest, Dortmund Literatur ·· Bajohr, Frank: Verdrängte Jahre. Gladbeck unter’m Hakenkreuz, Essen, 1983 ·· Baldauf, Wolfgang: Zwischen Staatstreue und Widerstand – Katholische Jugend in Münster nach 1933, in: Thien/Wienold/Preuss: Überwältigte Vergangenheit, S. 29-59 23 ·· Bickhove-Swiderski, Ortwin: Wilhelm Brücher – Kommissarischer Bürger meister der Stadt Dülmen von Februar bis Oktober 1946, in: Dülmener Heimatblätter, Heft 2, (2007), S. 81ff. ·· Bickhove-Swiderski, Ortwin, Dülmen unterm Hakenkreuz, Essen 2012 ·· Birkelbach, Willi: Fazit. Gelebt-Bewegt, Marburg 2000 ·· Breidenbach, Armin: Das Zuchthaus Lüttringhausen 1933-1945 (Teil 2), in: Geschichte und Heimat. Mitteilungsblatt des Bergischen Geschichtsvereins 6 (2006) ·· Bresser, Ralf-Peter: SPD und Gewerkschaft in Münster. Eine Studie zum Wiederaufbau und zur Entwicklung der organisierten Arbeiterbewegung 1945–1949. 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