Eine Welt voller Wunder
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Eine Welt voller Wunder
Saarbrücker Zeitung, 24.05.2005 Eine Welt voller Wunder Wie fördert das Gymnasium Johanneum seine erfolgreichen Mathe-Schüler? VON SZ-REDAKTEURIN CHRISTINE MAACK Das Gymnasium Johanneum in Homburg war die erfolgreichste saarländische Schule bei der Bundes-Olympiade in Mathematik. Es entsandte drei Schüler. Grund genug, die Mathe-AG mit ihren 15 Schülern und ihrem Lehrer Martin Fuchs zu besuchen. Die Kinder aus der Mathe-AG des Johanneums knobeln gerne nachmittags an Aufgaben herum. Lehrer Martin Fuchs (rechts oben) freut sich über seine engagierte Truppe. Foto: Bernhard Reichhart Homburg. Nobelpreise gibt es für viele Fächer, nur für die Mathematik nicht. Und das, obwohl so mancher Nobelpreis ohne Mathematik überhaupt nicht denkbar wäre. So hätten in den vergangenen Jahren einige der Mediziner oder Betriebswirte Stockholm nie gesehen, gäbe es die Mathematik nicht. Die Mathematiker ertragen es jedoch mit Fassung, denn sie wissen, was sie Wert sind. "Mathematik ist ein ausgesprochenes Begabungsfach," gibt denn aus Ernst-Ulrich Gekeler zu, Mathematik-Professor an der Universität des Saarlandes. Was nicht heißen soll, dass "normal begabten" Menschen die Welt der Zahlen verschlossen bliebe. Es sei denn, unduldsame Mathematik-Lehrer hätten dafür gesorgt. Was ja auch immer wieder vorkommen soll. Und gerade diese Kombination aus Bewunderung für Hochbegabte und Einsicht in die eigene mathematische Mittelmäßigkeit, führt im Erwachsenenalter häufig zu einer zwiespältigen Haltung gegenüber der Mathematik, zu einer Art Hassliebe. Als kürzlich ein Meinungsforschungs-Institut eine Umfrage zum Thema "Mathematik in der Schule" auswertete, stellte sich heraus, dass Mathematik für die eine Hälfte der befragten Erwachsenen das absolute Angstfach war, für die andere Hälfte eines der Lieblingsfächer. Begabung wird oft vererbt Etwa 0,2 Prozent eines Abi-Jahrgangs in ganz Deutschland, so schätzen Statistiker, zählen zu den hoch begabten Mathematikern, das sind nur zwei von 1000. Wie man an der MathematikerFamilie Euler sieht, wird diese extreme Begabung häufig vererbt. Doch zum Trost für alle Mittelmäßigen: Um die wichtigen Probleme in der Mathematik zu erkennen und Lösungen zu finden, reicht es durchaus, "nur intelligent zu sein," so der Mathematik-Professor. Das findet auch Martin Fuchs, Mathe-Lehrer am Gymnasium Johanneum in Homburg. Er leitet eine Mathe-Arbeitsgemeinschaft, die aus 15 Schülerinnen und Schülern besteht, die so viel Interesse an Mathe aufbringen, dass sie einmal in der Woche nachmittags zwei Stunden freiwillig MatheAufgaben lösen. Und begeistert sind. "Das ist hier viel besser als im Unterricht", sagt Eugen Grelich. Er ist 15 und kommt aus Bexbach: "In der Mathe-AG kann man selbst Lösungen finden und kriegt nicht alles vorgekaut." Aber er ist, wie die meisten aus der Mathe-AG, nicht auf Mathe fixiert. "Ich mach' auch gern Französisch" sagt Eugen. Auch Daniel Schön lernt gerne Französisch: "Wir fahren oft im Urlaub nach Frankreich, dann kann ich's anwenden." Daniel ist elf und kommt aus Erbach, er besucht die Mathe-AG, weil er gerne an schwierigen Aufgaben herumknobelt. Martin Feickert, 12, aus Niederbexbach, rechnet gerne große Aufgaben, bei denen viele Zwischenergebnisse zum Ziel führen. Außerdem malt er gerne und mag Französisch. "Ich mag alles gern" Tra My Nguyen ist 15 und stammt aus Vietnam. Gemeinsam mit ihrem elfjährigen Bruder Thai besucht sie die Mathe-AG, obwohl ihr Mathe gar nicht so liegt, wie sie sagt. Zwar schreibt sie eine Eins nach der anderen "aber ich glaube, ich tendiere trotzdem mehr zu Sprachen", vermutet sie. Im Mathe-Unterricht langweilt sie sich, "aber die Mathe-AG ist schon in Ordnung, hier macht's mehr Spaß." Swenja Herges, 13, aus Kirkel, ist neben Tra My das zweite Mädchen aus der Mathe-AG. Sie weiß schon, was sie will: Jura studieren. Swenja mag Mathe gern, "weil ich's gut kann". Aber alle anderen Fächer mag sie auch, es komme auch immer auf die Lehrer an, welches Fach sie gerade bevorzuge. Stefan Backens aus Sanddorf ist elf und hat auch kein "echtes" Lieblingsfach. "In Mathe bin ich ganz gut", sagt er, "aber in anderen Fächern auch." Die Mitarbeit in der Mathe-AG macht ihm Spaß, "da gibt's interessantere Aufgaben als im Unterricht." Auch Jan Gerecke, 16, aus Lautzkirchen, macht "alles gleich gerne". Mathe mag er, "weil man da Lösungen immer nachvollziehen kann. Mathe ist logisch aufgebaut, das gefällt mir." Andreas Teucke, 16, aus Limbach, der bei der Mathe-Olympiade mitgemacht hat, gesteht allerdings, dass ihm Mathe deutlich leichter falle als Sprachen: "Ich habe in Mathe außer zwei Ausnahmen eigentlich immer nur Einsen gehabt", lacht er, "mit Sprachen ist das nicht so". Wenn man in Mathe eine Lösung habe, "dann kann man sicher sein, dass die auch stimmt. Da kommt dann nichts mehr nach, an dem man zweifeln könnte." Nach dem Abitur könnte er sich ein Informatik-Studium vorstellen: "Da gibt's an der Saar-Uni ja prima Möglichkeiten." Simon Heinzel, 14, aus Ingweiler, der ebenfalls an der Olympiade teilgenommen hat, denkt auch an ein Informatik-Studium: "Das würde mir schon Spaß machen. Mathe ist für mich irgendwie eindeutiger als Sprachen. Ich mach's auch lieber." David Wagner, 12, aus Hassel zählt Mathe und Chemie zu seinen Lieblingsfächern, "Sprachen nicht so", gibt er zu. Und warum? "Ach, es gibt einfach ein gutes Gefühl, mit Mathe, Physik und Chemie die Welt erklären zu können", findet David. "Na ja", schränkt er ein, "zumindest die Dinge in der Welt, die man mit Naturwissenschaften erfassen kann". Christian Schön, 13, aus Erbach, macht gern Mathe, "weil ich mir da die Regeln selbst aufstellen kann. Ich überlege, wie was gehen könnte." Im Vergleich dazu findet er Sprachen "eher langweilig". Sebastian Gaebel, 15, aus Jägersburg besucht die Mathe-AG, weil sein Herz eigentlich an der Physik hängt: "Physik ist mein Lieblingsfach. Weil man dazu auch mathematisches Verständnis braucht, komme ich gerne in die Mathe-AG." Außerdem seien da die Aufgaben deutlich interessanter als im regulären Unterricht. Alle Jahrgänge sind vertreten Gar nicht so einfach, immer neue und interessante Aufgaben zu finden, sagt der Leiter der MatheAG, Oberstudienrat Martin Fuchs. "Außerdem muss ich mich ja auch selbst erst mal gründlich in die Aufgaben hinein arbeiten, um die Lösungswege der Schüler nachvollziehen zu können." Ihm macht die Arbeit mit den jungen Leuten Freude, "vor allem, weil alle Altersstufen in der AG vertreten sind. Die können hier klassenübergreifend lernen." Eine seiner Lieblingssituationen? "Wenn ein Sechstklässler einem Fünftklässler Matheaufgaben aus der siebten Klasse erklärt." Etwa sechs Top-Adressen für Mathematiker gibt es in der Welt, in Deutschland ist es das MaxPlanck-Insitut in Bonn. Hinzu kommen Paris, Moskau, Cambridge und Tokio. Und die Ostküste der Vereinigten Staaten mit einigen Top-Unis. Gekeler stellt fest: "Die haben allein von der Masse her viel mehr Möglichkeiten als wir in Europa. Wir Europäer zusammengenommen sind gerade mal so viele wie die Ostküsten-Mathematiker." Die letzten Fragen Allerdings handelt es sich dabei nicht unbedingt um US-Studenten, denn alles, was in der Welt begabt ist und nicht in Europa studiert, geht nun mal nach Amerika. "Ich kenne keinen begabten Mathematiker, der sich nach dem Abitur die Frage stellte, was er studieren sollte," so Gekeler. Allerdings sind Mathematiker nicht nur Zahlenfanatiker, sondern sie beschäftigen sich zwangsläufig mit dem, was man "die letzten Fragen" nennt. Zu Kants und Newtons Zeit ging man davon aus, es müsse einen Nullpunkt im Raum geben, einen Ort, an dem Gedanken, Moral oder das "Göttliche" ihren Anfang nehmen. Die Physik bewies später, dass es einen solchen Punkt nicht geben kann. Die Mathematik hat, auch wenn man das nicht unmittelbar wahrnimmt, Geistesgeschichte mitgeschrieben, die weit über Zahlen hinausgeht. Die letzte Frage der Mathematiker? "Es wäre faszinierend, zu erfahren, ob die Logik an sich existiert, oder ob auch sie nur ein Produkt des beschränkten menschlichen Geistes ist," sagt Professor Gekeler. Oder, anders ausgedrückt: Wühlen wir Menschen nur mehr oder weniger gut vernetzt in unseren Gehirnzellen herum - und wissen dabei doch, dass wir über unser biologisches Korsett, das nun einmal genetisch programmiert ist, nicht hinauskommen? Ach, die letzten Fragen! Sie werden am Ende doch immer biologisch gelöst und nicht mathematisch. Eine Ladung Kirschkuchen VON SZ-REDAKTEURIN CHRISTINE MAACK Homburg. Die einen hassen sie, die anderen kommen meistens auf ihr hart erarbeitetes „befriedigend", die wenigen Glücklichen hingegen schütteln Zahlen und Formeln aus dem Ärmel, als wenn es nichts wäre. Kaum ein Fach hat so sehr den Begriff der „Hochbegabung" für sich gepachtet wie das Jonglieren mit Zahlen und abstrakten Räumen. Länder wie Frankreich haben der Mathematik Altäre errichtet und erstarren bis heute vor Bewunderung vor den Töchtern und Söhnen des Landes, die ein spezielles Mathe-Abitur absolvieren, das die Türen für die Elite-Schulen öffnet. In Deutschland hingegen würde sich selbst der bekannte Boss eines Großkonzerns kaum blamieren, wenn er in einer Fernseh-Talkshow zugäbe, in Mathematik immer mies gewesen zu sein. Für Michael Hartz, 17, aus Gersheim im Bliesgau trifft das nicht zu. Er hat jüngst als bester Saarländer bei der deutschlandweiten Mathe-Olympiade abgeschlossen und eine Anerkennung bekommen. Im ersten Durchgang kam er auf 20 von 20 Punkten, im zweiten nur noch auf vier von 20. „Das war ultra-hart. Mir fehlte da einfach der Hintergrund", so Hartz. Die Schüler aus den neuen Bundesländern hätten sich eine Woche lang nur vorbereitet. „Die sind vom Unterricht befreit worden", sagt Hartz, „aber das ist ja Quatsch. Dann hätte ich ja eine Woche den anderen Stoff nachholen müssen." Ihm hat's Spaß gemacht. „Mit Mathe hab' ich nie Huddel gehabt", lacht der sympathische 17-Jährige, „das konnt' ich halt immer." Sich was darauf einzubilden, käme ihm nicht in den Sinn. Im Gegenteil. Als bodenständiger Bliesgauer hat er erst mal ein Blech Kirschkuchen für die Mathe-AG mitgebracht. „Weil ich bei der Olympiade so gut abgeschnitten hab'", sagt er.