Kapitel 2 - Deutsches Zentrum für Kinder

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Kapitel 2 - Deutsches Zentrum für Kinder
Deutsches Zentrum für
Kinder- und Jugendrheumatologie
Kinderrheuma wir können was tun!
Ein Ratgeber für Eltern und Patienten bei
juveniler idiopathischer Arthritis
Herausgeber:
Deutsches Zentrum für Kinder- und Jugendrheumatologie
Gehfeldstr. 24, 82467 Garmisch-Partenkirchen
Redaktion:
Christel Becker, Renate Häfner, Hartmut Michels, Martin Rummel-Siebert
Projektabwicklung: Martin Rummel-Siebert
Layout & Druck:
Osterchrist Druck und Medien GmbH, Nürnberg, www.osterchrist.de
1. Auflage
10.000 Exemplare 2006
Die Herstellung dieses Buches konnte finanziert werden mit freundlicher Unterstützung des Vereins
‚Hilfe für das rheumakranke Kind e.V.’ und der Firma Wyeth Pharma GmbH.
Für die Bereitstellung der Orstbilder ‚Garmisch-Partenkirchen’ bedanken wir uns ganz herzlich bei Garmisch-Partenkirchen
Tourismus und der PR-Agentur Hermann-Meier.
Kinderrheuma wir können was tun!
Ein Ratgeber für Eltern und Patienten bei juveniler idiopathischer Arthritis
Vorwort ................................................................................................... 5
Grußwort ................................................................................................ 6
Kapitel 01.
Diagnose und Krankheitsbild ........................................ 7
Kapitel 02.
Medikamentöse Therapie ............................................. 29
Kapitel 03.
Operative Therapie ....................................................... 57
Kapitel 04.
Krankengymnastik ........................................................ 63
Kapitel 05.
Physikalische Therapie ................................................. 85
Kapitel 06.
Ergotherapie ............................................................... 101
Kapitel 07.
Pflege .......................................................................... 107
Kapitel 08.
Impfungen ................................................................... 113
Kapitel 09.
Ernährung ................................................................... 119
Kapitel 10.
Urlaub ......................................................................... 123
Kapitel 11.
Sport ........................................................................... 127
Kapitel 12.
Aspekte der Krankheitsbewältigung ......................... 131
Kapitel 13.
Eltern-Kind-Beziehung .............................................. 143
Kapitel 14.
Schule und Studium .................................................. 155
Kapitel 15.
Berufsausbildung ........................................................ 161
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Inhaltsverzeichnis
Kapitel 16.
Krankenkasse .............................................................. 167
Kapitel 17.
Behindertenausweis .................................................... 171
Kapitel 18.
Pflegeversicherung ..................................................... 177
Kapitel 19.
Steuer .......................................................................... 185
Kapitel 20.
Sozialhilfe ................................................................... 189
Kapitel 21.
Elternkreise rheumakranker Kinder Deutsche Rheuma-Liga .............................................. 195
Kapitel 22.
Erklärung wichtiger Fachausdrücke .......................... 199
Anhang ................................................................................................ 207
Literaturhinweise................................................................................ 208
Kontakt – So erreichen Sie uns ....................................................... 209
Internetadressen ................................................................................ 210
Anschriften der Deutschen Rheuma-Liga ........................................ 211
Stichwortverzeichnis ......................................................................... 213
Unser Freundes- und Förderkreis ‚Hilfe für das rheumakranke Kind e.V.’ ............................................ 220
Autorenverzeichnis ............................................................................ 222
Notizen ............................................................................................... 223
3
4
Vorwort
» Liebe Eltern,
Rheuma ist eine Erkrankung, an der
nicht nur Erwachsene leiden. Vielleicht
haben Sie erst jetzt erfahren, dass auch
schon Kinder an Rheuma erkranken
können. Glücklicherweise tritt Rheuma
im Kindesalter eher selten auf. Für Sie
bedeutet dies jedoch, dass Sie in Ihrer
unmittelbaren Umgebung kaum Familien finden, mit denen Sie sich austauschen können. Auch ist es nicht immer einfach in der Nähe Ärzte und
Therapeuten zu finden, die sich mit
Rheuma bei Kindern auskennen. Mit unserer Broschüre sollen Sie erfahren,
worauf es in der Diagnostik und Behandlung von kindlichem Rheuma ankommt, damit Sie gemeinsam mit dem
Arzt Ihres Vertrauens den besten Weg
für Ihr Kind finden.
Rheuma verläuft häufig über Jahre. Bei
vielen Kindern wechseln sich schmerzhafte Schubsituationen mit beschwerdefreien Intervallen ab, entsprechend
schwankt Ihre Stimmung zwischen
Hoffnung und Verzweiflung. Auf lange
Sicht kann man mit den heutigen Therapiemöglichkeiten den meisten Kindern
gut helfen. Die Krankheit kommt oft
vollständig zur Ruhe. Wichtig ist, dass
Sie sich in den schlimmeren Krankheitsphasen einer intensiven Behandlung
stellen. Damit können Sie Ihrem Kind
häufig bleibende Schäden ersparen.
Den wenigsten Familien gelingt es, eine
optimale Behandlung über lange Zeit
durchzuhalten. Krisensituationen im All-
tag oder Entwicklungsschritte wie z.B.
die Pubertät, erfordern Kompromisse.
Sie sollten über der Krankheit nie die
eigenständige Persönlichkeit und Entwicklung Ihres Kindes vergessen.
Die rheumatische Erkrankung eines
Kindes wirkt sich immer auf die ganze
Familie aus. Deshalb sollten Sie sich
nicht scheuen, neben der medizinischen
und krankengymnastischen Behandlung
auch die psychosoziale Unterstützung in
Anspruch zu nehmen, die alle Familienmitglieder einbezieht. Wenn es Ihnen
gelingt, dass sich die ganze Familie mit
der Erkrankung auseinandersetzt, ohne
dass das Rheuma Ihren Alltag dominiert,
haben Sie gemeinsam ein wichtiges Ziel
erreicht.
Wir würden uns freuen, wenn unsere
Informationsschrift Ihnen auf diesem
schwierigem Weg hilft und Ihnen Mut
macht, trotz vieler Hindernisse optimistisch in die Zukunft zu schauen.
Dr. Hartmut Michels, Chefarzt
Dr. Renate Häfner, Oberärztin
5
Grußwort
» Sehr geehrte, liebe Eltern,
„Mein Kind hat Rheuma“ - das ist ein
Satz, der in früheren Zeiten für viele der
betroffenen Kinder einen schicksalhaften Verlauf bedeutet hat. Oft konnte
man nicht allzu viel dagegen tun. Jedoch hat sich diese Situation während
der letzten Jahre ganz wesentlich verbessert. Gemeinsam mit Fachleuten
können Eltern heute für ihre Kinder viel
erreichen. Die vorliegende Broschüre
„Mein Kind hat Rheuma - wir können
was tun“ beschreibt, die Wege, die bei
einem Kind mit juveniler chronischer
bzw. idiopathischer Arthritis zu einem
günstigen Erkrankungsverlauf führen,
und was Sie selbst dabei tun können.
Eltern werden hier umfassend und verständlich von Fachleuten darüber informiert, wie eine zeitgemäße Behandlung
gestaltet werden kann und welche Möglichkeiten sie für ihr Kind nutzen können. Diese Broschüre hilft, das Gespräch
mit den Fachleuten zu erleichtern. Sie
gibt einen Überblick über die spezifischen Krankheitsbilder. So besteht die
Möglichkeit, einen tieferen Einblick zu
gewinnen, damit den betroffenen Kindern gezielt geholfen werden kann.
Dabei ist von besonderer Bedeutung,
neben den Krankheitsbildern in ihren
zahlreichen Facetten, auch über die
6
Bandbreite der Medikamente, die verschiedenen Arten der Physio- und Ergotherapien und die Wege der sozialen
Betreuung informiert zu werden. Die
vorliegende Broschüre kann Ihnen, liebe
Eltern, bei Ihrer Suche nach der bestmöglichen Behandlung für Ihr rheumakrankes Kind eine hilfreiche Anregung
sein. Dafür wünsche ich Ihnen viel Kraft
und alles Gute!
Ihre
gez. Eva Luise Köhler
Kapitel 1
Diagnose und Krankheitsbild
R. Häfner, H. Truckenbrodt
»
»
»
»
»
»
»
»
»
»
»
Was ist Rheuma? ........................................................................... 8
Mit welchen rheumatischen Erkrankungen
müssen wir beim Kind rechnen? .................................................. 8
Wie entsteht Rheuma? .................................................................. 9
Wie erkennt man Rheuma beim Kind? ...................................... 10
Welche Erscheinungsformen der chronischen Arthritis
treten beim Kind auf? ................................................................. 11
Warum muss ein rheumakrankes Kind zum Augenarzt? ......... 18
Was ist eine Amyloidose? ........................................................... 20
Kann Rheuma das Wachstum der Kinder beeinträchtigen? ..... 21
Welche Laborwerte sind für Ihr Kind wichtig? ......................... 24
Wie wichtig sind Röntgen und
andere bildgebende Verfahren? .................................................. 26
Wie sieht die Prognose für Kinder mit einer
chronischen Arthritis aus? .......................................................... 28
7
Diagnose und Krankheitsbild
1
» Was ist Rheuma?
Unter dem Begriff „Rheuma“ fasst man
verschiedene schmerzhafte Erkrankungen des Bewegungsapparates zusammen. Die Beschwerden können von den
Gelenken, Bändern, Sehnen, Knochen
und Muskeln oder anderen Weichteilstrukturen ausgehen. Die Krankheiten,
die dahinter stecken, können sehr unterschiedlicher Natur sein. Rheuma stellt
also eine Sammelbezeichnung für verschiedene Erkrankungen dar.
Die meisten rheumatischen Erkrankungen beginnen im Erwachsenenalter.
Manche Rheumaformen sind jedoch
typisch für das Kindesalter. Mit ihnen
wollen wir uns in der vorliegenden Broschüre befassen.
Gelenkbeschwerden treten bei Kindern
recht häufig auf. Etwa 5-10% der
Schulkinder klagen irgendwann einmal
über Schmerzen in den Gelenken,
ohne dass ein krankhafter Befund dahinter steckt. Sog. Wachstumsschmerzen, die meist die Kniegelenke betreffen, kommen vor allem bei
Kleinkindern vor und können manchmal recht heftig sein. Sie verschwinden jedoch nach Wochen, Monaten
oder manchmal auch Jahren ohne Folgen zu hinterlassen. Ernsthafte Gelenkerkrankungen treten dagegen
beim Kind deutlich seltener auf als im
Erwachsenenalter. So fehlen die Verschleiß- und Abbauerscheinungen des
älteren Menschen. Es stehen im Kindesalter entzündliche Erkrankungen
an den Gelenken und Sehnenscheiden
im Vordergrund.
8
» Mit welchen rheumatischen
Erkrankungen müssen wir
beim Kind rechnen?
Zwei große Gruppen stehen sich gegenüber, die akuten und chronischen Formen
der Arthritis. Der entscheidende Unterschied liegt darin, dass bei den akuten
Formen die Gelenkstrukturen erhalten
bleiben, während die chronische Entzündung die Gefahr der Gelenkschädigung
bis hin zur Zerstörung in sich trägt.
Der Häufigkeit nach stehen die akuten
rheumatischen
Erkrankungen
im
Vordergrund. Sie werden durch Infektionen ausgelöst. In Frage kommen
verschiedene Viren, wie z.B. das Rötelnvirus oder Bakterien, insbes. Streptokokken, aber auch Yersinien und
Salmonellen, welche Magen-Darminfektionen auslösen. Die akuten rheumatischen Gelenkentzündungen halten
oft nur Tage oder wenige Wochen an.
Sie können aber auch über Monate
oder sogar 1-2 Jahre andauern und
mehrfach aufflackern. Im Gegensatz zu
vielen anderen akuten Erkrankungen
können also die akuten rheumatischen
Gelenkentzündungen lange Zeit bestehen bleiben und somit leicht mit chronischen Formen verwechselt werden.
Die akuten Rheumaformen sind etwa
zehnmal häufiger als die chronischen
Verläufe.
Die chronisch rheumatischen Gelenkentzündungen können zwar manchmal
auch durch Infektionen ausgelöst werden, sie beginnen aber meist ohne erkennbare äußere Ursache. Gelegentlich
Kapitel 1
entwickeln sich die ersten Krankheitszeichen so schleichend, dass im Nachhinein der genaue Beginn nicht mehr
sicher festgestellt werden kann. Es
kommt vor, dass bei manchen Kindern
die Erkrankung über Wochen und Monate oder gar Jahre unerkannt bleibt.
Der chronische Entzündungsprozess
schreitet bei den meisten kindlichen
Verlaufsformen nur langsam fort, so
dass erste Gelenkschädigungen meist
erst nach Monaten oder Jahren auftreten bzw. durch frühzeitige Therapie auch
verhindert werden können.
Neben den beiden Gruppen der akuten
und chronischen Arthritiden kommen
noch zahlreiche andere rheumatische
Erkrankungen beim Kind in Betracht,
beispielsweise die Kollagenosen, entzündliche Erkrankungen des Bindegewebes oder verschiedene Erscheinungsbilder durch Entzündung des
Gefäßsystems, sog. Vaskulitiden. Auch
weichteilrheumatische Erkrankungen
mit oft heftigen Schmerzen im Bereich
von Gelenken, Muskeln und Sehnenansätzen können bereits beim Kind auftreten. Die vorliegende Broschüre beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit
chronischen Formen der kindlichen
Arthritis und ihren Auswirkungen auf
das erkrankte Kind und seine Umgebung.
» Wie entsteht Rheuma?
Die bisherigen Forschungsergebnisse
haben gezeigt, dass mehrere Faktoren
zusammen kommen müssen, bevor eine
rheumatische Entzündung ausgelöst
wird. Man nimmt an, dass eine Veranlagung, an Rheuma zu erkranken, bereits
in die Wiege gegeben wird. Diese Vermutung wird gestärkt durch die Beobachtung, dass Rheuma in vielen Familien gehäuft vorkommt. Außerdem
kennt man genetische Merkmale, die bei
Patienten mit bestimmten Rheumaformen vermehrt auftreten. Die Veranlagung ist aber nur der eine Teil in der
Entstehungsgeschichte. Viele Menschen
tragen eine entsprechende Bereitschaft
in sich ohne jemals zu erkranken. Es
müssen also äußere Einflüsse als Auslöser hinzukommen. Infektionen mit
unterschiedlichen Viren oder Bakterien
sind die typischen Auslöser für akute
rheumatische Erkrankungen. Durch eine
fehlerhafte Reaktion des Abwehr- oder
Immunsystems werden nicht nur die Erreger selbst bekämpft, sondern es findet
auch an den Gelenken, Sehnenscheiden
oder inneren Organen eine Immunreaktion statt, die zur Entzündung führt. Der
Körper richtet also seine Abwehrkräfte
gegen eigenes Gewebe. Dieser sog.
Autoimmunprozess ist auch an der Entstehung von chronisch-rheumatischen
Erkrankungen beteiligt. Auch hier können Infektionen als Auslöser in Frage
kommen. Manchmal tragen auch Unfälle oder Überlastungen zur Entstehung
bei. Es wird auch immer wieder beobachtet, dass psychische Belastungssituationen am Auftreten rheumatischer
Erkrankungen beteiligt sind. Man muss
allerdings sehr vorsichtig sein bei der
Beurteilung von Ursache und Wirkung.
Wenn die Krankheit ausgebrochen ist,
sucht man meist verzweifelt nach Ursachen, um das Geschehen erklären zu
9
Diagnose und Krankheitsbild
1
können. Bei den meisten Kindern tritt
die chronische Erkrankung ohne erkennbare äußere Einflüsse auf.
» Wie erkennt man Rheuma
beim Kind?
Als wichtigstes Krankheitszeichen tritt
bei den meisten Rheumaformen eine
Arthritis auf. Arthritis bedeutet Gelenkentzündung. Die Entzündung führt zu
einer vermehrten Durchblutung und einem Anschwellen der Gelenkinnenhaut,
welche außerdem vermehrt Gelenkflüssigkeit, den sog. Erguss, produziert.
Das Gelenk schwillt äußerlich sichtbar
an und ist meist auch überwärmt.
Gleichzeitig treten Schmerzen auf und
es kommt fast immer zu einer Einschränkung der Funktion, also der Beweglichkeit und Gebrauchsfähigkeit von
betroffenen Händen und Füßen bzw.
Armen und Beinen oder der Wirbelsäule.
Je nach Sitz der Erkrankung fällt auf,
dass das Kind hinkt oder Schwierigkeiten beim Greifen bzw. Schreiben entwikkelt.
Neben der Arthritis kann es auch zu entzündlichen Reaktionen an den Sehnenscheiden kommen. Betroffen sind häufig
die Beugesehnen in der Hohlhand oder
auch die Strecksehnen überm Handrücken. Im Fußbereich liegen die Sehnenscheidenentzündungen besonders
hinterm Innen- und Außenknöchel. Die
Sehnenscheidenentzündung, auch Tenosynovitis genannt, kann vor allem an
den Hohlhandbeugesehnen zu Verklebungen der Sehnen im Sehnenfach führen. Dies schränkt die Greiffunktion der
Hand erheblich ein, weshalb durch eine
10
frühzeitige intensive Physiotherapie die
Beweglichkeit der Sehnen erhalten werden muss.
Ausgehend von einer Arthritis kann es
auch zur Ansammlung von Flüssigkeit in
gelenknahen Schleimbeuteln kommen.
Diese sog. Synovialzysten entstehen vor
allem in der Kniekehle und heißen dann
„Bakerzysten“. Man findet sie aber auch
ausgehend vom Schultergelenk am
Oberarm, seltener an anderen Stellen.
Gelenkschmerzen werden vor allem bei
kleinen Kindern nicht immer als solche
wahrgenommen. Kinder klagen insgesamt weniger über Schmerzen als Erwachsene. Man ist bei ihnen deshalb oft
auf indirekte Schmerzäußerungen angewiesen, um die rheumatische Erkrankung im Frühstadium zu erkennen. Aufmerksame Eltern beobachten bei ihren
Kindern eine abnorme Haltung der erkrankten Gelenke. Mit diesen Schonhaltungen versuchen die Kinder, das Gelenk
in eine schmerzarme Stellung zu bringen. Sie bewegen und belasten das erkrankte Gelenk weniger und führen Ausweichbewegungen durch. Je nachdem,
welche Gelenke erkrankt sind, fällt auf,
dass die Kinder hinken, anders greifen
und Schwierigkeiten beim Essen, Schreiben, Anziehen oder anderen Alltagsbewegungen entwickeln. Sie wirken ungeschickt, wollen weniger laufen und viel
getragen werden oder schlafen unruhiger als sonst. Oft werden diese ersten
Krankheitszeichen nicht erkannt, die
Kinder manchmal als faul oder ungezogen hingestellt.
Kapitel 1
Am besten kann man betroffene Gelenke
beim rheumakranken Kind erkennen, indem man in einer entspannten Situation
alle Gelenke nacheinander vorsichtig
durchbewegt. Dabei muss man das Kind
sorgfältig beobachten. Beim Bewegen
erkrankter Gelenke treten Abwehrreaktionen auf oder das Kind verzieht das
Gesicht. Es verblüfft uns immer wieder,
dass trotz der offensichtlichen Schmerzreaktionen Kinder auf Befragen angeben,
dass sie keine Schmerzen verspüren.
in USA wird jedoch überwiegend an der
bisherigen Diagnose „juvenile rheumatoide Arthritis“ festgehalten. Das ursprüngliche Ziel, eine internationale Einigung
zu erreichen, steht also noch aus.
» Welche Erscheinungsformen
1. Systemische Arthritis
der chronischen Arthritis
treten beim Kind auf?
Zu Beginn wird Ihnen sicherlich die Namensgebung einige Schwierigkeiten bereiten. Dennoch ist es wichtig, dass Sie
über einige Begriffe informiert sind. In
Europa haben sich die Kinderrheumatologen im Jahr 1977 auf einer Tagung in
Oslo auf die Bezeichnung juvenile chronische Arthritis (JCA) geeinigt. Damit
wurde die früher gebräuchliche Bezeichnung juvenile rheumatoide Arthritis (JRA) bei uns abgelöst, die jedoch in
den USA sowie einigen anderen Ländern
noch angewendet wird.
Um eine Einheit in der Namensgebung
zu erreichen, hat ein internationales
Komitee von Kinderrheumatologen 1994
die Bezeichnung juvenile idiopathische
Arthritis (JIA) vorgeschlagen und die
Untergruppen definiert. Der Vorschlag
wurde von den Experten mehrfach überarbeitet und 2002 eine letzte Version
veröffentlicht. Die Bezeichnung „juvenile
idiopathische Arthritis“ hat sich in Europa inzwischen weitgehend durchgesetzt,
Die Diagnose juvenile idiopathische Arthritis stellt eine Sammelbezeichnung
für verschiedene Formen der kindlichen
Gelenkentzündungen dar, die als Kategorien bezeichnet und im Folgenden
genauer erklärt werden.
(Tabelle 1)
Mit der Ergänzung „systemisch“ soll besagt werden, dass der gesamte Körper in
Mitleidenschaft gezogen ist, Fieber besteht und die inneren Organe in der Regel miterkranken.
Die systemische Form, die bei etwa 10%
unserer Kinder mit JIA auftritt, beginnt
überwiegend beim Kleinkind im 2.-5. Lebensjahr, wobei Jungen und Mädchen
gleichermaßen betroffen sind. Die Erkrankung beginnt mit hohem Fieber, das
in den frühen Morgenstunden oder am
Nachmittag auftritt und über Wochen
täglich wiederkehrt.
Während des Fiebers sind die Kinder
schwer krank und oft stark berührungsempfindlich. Meist tritt auch ein Hautausschlag auf, der bei manchen Kindern
auf wenige rote Flecken während der Fieberphasen beschränkt bleibt. Man muss
gezielt danach suchen, da der Ausschlag
ein wichtiges Zeichen für die Diagnose
darstellt. Lymphknoten, Leber und Milz
sind oft vergrößert. Bei jedem 3. bis 4.
Kind tritt eine Herzbeutelentzündung
11
Diagnose und Krankheitsbild
1
auf. Seltener ist der Herzmuskel selbst in
Mitleidenschaft gezogen. Haben die Kinder Bauchschmerzen, muss man an eine
Beteiligung des Bauchfells denken.
Zu Beginn der Erkrankung klagen die
Kinder vor allem während der Fieberphasen über allgemeine Muskel- oder
Gelenkschmerzen, oft ohne sichtbare
Gelenkschwellungen. Die Zeichen der
Arthritis entwickeln sich dann erst im
weiteren Verlauf. Manchmal dauert es
Wochen bis Monate, gelegentlich sogar
Jahre, bis erste Gelenkschwellungen in
Erscheinung treten. Bei einem Teil der
Kinder bleibt die Arthritis auf wenige
Gelenke beschränkt, die meisten entwikkeln jedoch eine Entzündung vieler großer und kleiner Gelenke, wobei auch die
Halswirbelsäule sowie die Kiefergelenke
häufig miterkranken. Der Entzündungsprozess kann vor allem an den Handgelenken und bei längerem Verlauf auch
an den Hüften zu Gelenkzerstörungen
führen.
Tabelle 1
Systemische Arthritis
◆ Beginn meist < 6 Jahre
◆ Mädchen = Jungen
◆ Hohes Fieber über > 2 Wochen
◆ Hautausschlag
◆ Leber-/ Milzvergrößerung
◆ Lymphknotenschwellungen
◆ Entzündung Rippen- / Bauchfell
◆ Herzbeutel-/
Herzmuskelentzündung
◆ Arthritis meist polyartikulär
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Die systemische Arthritis verläuft oft in
Schüben. Zwischendurch können die
Kinder für einige Zeit beschwerdefrei
sein, bevor die Krankheit von neuem
aufflackert. Bei über der Hälfte der Kinder kommt die Erkrankung nach unterschiedlicher Verlaufsdauer zur Ruhe. Bei
den anderen schreitet der chronische
Prozess weiter fort. Die systemischen
Zeichen, wie Fieber und Beteiligung der
inneren Organe, klingen jedoch zunehmend ab und die Arthritis tritt immer
mehr in den Vordergrund.
2. Oligoarthritis
(Tabelle 2)
Diese Krankheitsform beginnt meist im
frühen Kindesalter zwischen dem 2. und
6. Lebensjahr. Mädchen sind mit 70-80%
häufiger betroffen als Jungen.
Oligoarthritis bedeutet, dass nur wenige
Gelenke erkranken, meist 1-4. Bei manchen Kindern dehnt sich die Entzündung
jedoch auf 6-8 Gelenke aus, man spricht
dann von einer „erweiterten Oligoarthritis“. Wichtiger als die Zahl der Gelenke
ist das Befallsmuster der Arthritis. Es
überwiegt der asymmetrische Befall, das
bedeutet, dass die Gelenke beider Körperhälften nicht gleichmäßig betroffen
sind. Gelegentlich erkranken durchaus
z.B. beide Knie- oder Sprunggelenke.
Fast immer geht jedoch eine Seite voraus oder ist stärker betroffen als die
andere. Knie- und Sprunggelenke erkranken bei dieser Verlaufsform am
häufigsten. Aber auch Hand- und Ellbogen-, Kiefer- oder einzelne Fingerund Zehengelenke sind oft mitbetroffen.
Bei entsprechender Behandlung können
wir auf weite Sicht die Arthritis meist
Kapitel 1
zur Ruhe bringen, wenn auch manchmal
mit mehreren Krankheitsschüben gerechnet werden muss. Gelegentlich ist
die Arthritis an einzelnen Gelenken
recht hartnäckig, so dass Knorpel und
Knochen Schaden leiden können. Bei
wenigen Kindern geht die Oligoarthritis
in eine symmetrische Polyarthritis mit
Befall aller großen und kleinen Gelenke
über. Diese Sonderform bedarf einer intensiven Behandlung.
Kinder mit einer Oligoarthritis haben ein
hohes Risiko an einer besonderen Form
der Augenentzündung, einer chronischen Iridozyklitis, zu erkranken. Da die
Iridozyklitis für die kindlichen Rheumaformen von besonderer Bedeutung ist,
werden wir in einem eigenen Kapitel
darauf eingehen.
Wichtig ist, dass alle Kinder mit einer
Oligoarthritis in 4-6-wöchentlichen Abständen vom Augenarzt an der Spaltlampe untersucht werden, damit die Iridozyklitis rechtzeitig erkannt und
behandelt werden kann.
Tabelle 2
Oligoarthritis
◆ Beginn < 6 Jahre
◆ Mädchen >> Jungen
◆ Asymmetrische Arthritis
(Knie-, Sprunggelenke)
◆ Chronische Iridozyklitis
◆ Antinukleäre Antikörper
70-80% positiv
Hilfreich für die Zuordnung zur Oligoarthritis ist ein Laborwert, die sog.
antinukleären Antikörper (ANA). Wir
können diesen Faktor, der allerdings
auch bei anderen Erkrankungen vorkommt, bei etwa 70-80% der Patienten
im Blut nachweisen und wissen, dass
diese Kinder besonders gefährdet sind,
eine chronische Iridozyklitis zu entwickeln.
3. Rheumafaktor negative Polyarthritis (Tabelle 3)
(Kindliche Polyarthritis)
Polyarthritis bedeutet, dass viele Gelenke erkranken, definitionsgemäß mehr als
4, in der Regel mindestens 8-10 Gelenke. Im Gelenkmuster überwiegt der symmetrische Befall, d.h. beide Körperhälften sind gleichermaßen betroffen. Meist
erkranken fast alle großen Gelenke, wie
Schultern, Ellbogen, Handgelenke, Hüften, Knie- und Sprunggelenke, sowie
auch die kleinen Finger- und Zehengelenke. Auch Kiefergelenke und Halswirbelsäule sind häufig mitbetroffen.
Die kindliche Polyarthritis kann in jedem
Alter beginnen, Mädchen erkranken etwas häufiger als Jungen. Durch den
Befall der vielen Gelenke sind die Kinder
in ihrer Beweglichkeit und Geschicklichkeit beeinträchtigt, das Gangbild wird
kleinschrittig und ungelenk. Man nennt
diese Form auch die seronegative Polyarthritis des Kindes, wobei seronegativ
bedeutet, dass der Rheumafaktor im
Blutserum nicht nachweisbar ist.
Die rheumafaktor-negative kindliche
Polyarthritis geht ohne systemische
13
Diagnose und Krankheitsbild
1
Zeichen wie Fieber oder Befall innerer
Organe einher. Eine chronische Iridozyklitis kann auftreten, kommt jedoch wesentlich seltener vor als bei der Oligoarthritis. Naturgemäß schränkt die
Polyarthritis das Kind in seinen Alltagsaktivitäten stärker ein als die Oligoarthritis. Dennoch können wir eine gute
Beweglichkeit erhalten, wenn wir frühzeitig und konsequent behandeln. Die
kindliche Form der Polyarthritis verläuft
Rheumafaktornegative Polyarthritis
◆ Beginn gesamte Kindheit
◆ Mädchen > Jungen
◆ Symmetrische Arthritis große
und kleine Gelenke
◆ IgM Rheumafaktor negativ
im allgemeinen gutartiger als die Erwachsenenform. Sie verursacht weniger
bleibende Gelenkschäden und kann auf
lange Sicht gesehen bei der Mehrzahl
der Kinder überwunden werden.
4. Rheumafaktor positive Polyarthritis (Tabelle 4)
(Chronische Polyarthritis
vom Erwachsenentyp)
Diese Form der Polyarthritis tritt beim
Kind weit seltener auf. Sie befällt am
ehesten Mädchen ab dem 11. Lebensjahr mit beginnender Pubertät und
stellt gewissermaßen den frühesten
Beginn der Erwachsenenform dar.
Ähnlich wie bei der kindlichen Polyarthritis können nahezu alle Gelenke erkranken. Im Blutserum dieser Kinder
kann der Rheumafaktor nachgewiesen
werden. Deshalb wird diese Verlaufsform auch als seropositive Polyarthritis
bezeichnet.
Tabelle 3
Tabelle 4
Rheumafaktorpositive Polyarthritis
◆ Beginn meist > 10 Jahre
◆ Mädchen >> Jungen
◆ Symmetrische Arthritis große
und kleine Gelenke
◆ IgM Rheumafaktor positiv
◆ Antinukleäre Antikörper
ca. 50% positiv
14
Bei Patienten mit dieser Erkrankung finden wir neben den Gelenkerscheinungen oft noch andere Begleitreaktionen.
Häufig treten sog. Rheumaknoten auf.
Dies sind schmerzhafte Knötchen unterschiedlicher Größe, die im Weichteilbereich oft in der Nähe von Gelenken und
Sehnenscheiden entstehen. Sie müssen
manchmal operativ entfernt werden, vor
allem, wenn sie an Stellen mit vermehrter Reibung, wie z.B. am Fuß, auftreten
und somit starke Beschwerden verursachen.
Für den Verlauf ist es wichtig, die rheumafaktor-positive Polyarthritis frühzei-
Kapitel 1
tig zu erkennen. Der Entzündungsprozess kann an den Gelenken schon
innerhalb von Monaten Schäden hervorrufen. Daraus ergeben sich sowohl
für die medikamentöse Behandlung wie
auch für die Krankengymnastik wichtige
Konsequenzen. Durch die heutigen
Behandlungsmöglichkeiten gelingt es
meist auch bei dieser Gruppe, das
Krankheitsgeschehen zum Stillstand zu
bringen.
5. Die Enthesitis assoziierte
Arthritis
(Tabelle 5)
Überwiegend erkranken Jungen ab dem
Schulalter. Die Krankheit beginnt meist
mit einer Arthritis an einem oder zwei
Gelenken, wobei Knie- und Sprunggelenke, aber auch die Hüften am häufigsten erkranken. Auch einzelne Zehengelenke werden öfters miteinbezogen.
Gelenke der oberen Körperhälfte, wie
Schulter-, Ellbogen-, Hand- oder Fingergelenke, können ebenfalls betroffen
sein.
Neben den Gelenkerscheinungen müssen weitere Besonderheiten beachtet
werden: Die Muskelkraft wird mittels
Sehnen auf die gelenkbildenden Knochen übertragen. Die Ansatzstellen der
Sehnen am Knochen, welche auch knorpeliges Gewebe enthalten, können sich
entzünden und erhebliche Schmerzen
verursachen. Man nennt diese Sehnenansatzschmerzen auch Enthesopathie
oder Enthesitis. (Daher die neue Namensgebung!) Häufig betroffen ist die
Ferse am Ansatz der Achillessehne oder
an der Fußsohle (Abb.1). Typische Stellen
finden sich auch unterhalb der Kniescheibe, am Beckenkamm, Schulterblatt
oder im Ellbogenbereich.
Als zweite Besonderheit kann eine akute
Iridozyklitis auftreten. Diese Form der
Augenentzündung bereitet meist heftige Schmerzen mit Rötung und Lichtscheu. Durch sofortige Behandlung mit
Augentropfen und Salben klingt sie
innerhalb von Tagen bis Wochen ab und
hinterlässt kaum bleibende Augenveränderungen.
Abbildung 1:
Enthesitis an der rechten
Ferse. Deutlich erkennt
man die entzündliche
Schwellung im
Bereich des
Achillessehnenansatzes.
15
Diagnose und Krankheitsbild
1
Eine weitere Besonderheit betrifft den
Bereich von Becken und Wirbelsäule. Die
Kinder und Jugendlichen klagen häufig
über Rückenschmerzen, vor allem nach
längerem Sitzen oder Liegen. Die Ursache dafür liegt in erster Linie in einer
Entzündung der Kreuz-Darmbeingelenke (Iliosakralgelenke). Die Entzündung
der Iliosakralgelenke nennt man auch
Sakroiliitis.
Die Sakroiliitis äußert sich meist als
spontaner Schmerz oder Druckempfindlichkeit über den Kreuz-Darmbeingelenken, welche als Grübchen im oberen
Gesäßbereich neben der Wirbelsäule zu
erkennen sind. Manchmal strahlen die
Beschwerden auch ins Bein aus. Nicht
selten geben Kinder mit einer Sakroiliitis
nur Schmerzen in der Lendenwirbelsäule
an. Sie entstehen durch eine Schonhaltung des Beckens, womit die entzündeten Iliosakralgelenke entlastet werden.
Gleichzeitig wird dadurch auf lange
Sicht die Wirbelsäule überlastet. Sie reagiert mit Schmerzen.
Tabelle 5
Enthesitis assoziierte Arthritis
◆ Beginn > 8 Jahre
◆ Jungen >> Mädchen
◆ Asymmetrische Arthritis
(Hüft-, Knie-, Sprunggelenke)
◆ Enthesitis
◆ Akute Iridozyklitis
◆ Rückenschmerzen (Sakroiliitis)
◆ Genetische Disposition (Familienanamnese, HLA B 27 positiv)
16
Aus der Enthesitis assoziierten Arthritis
kann sich im Erwachsenenalter ein
Morbus Bechterew entwickeln. Der M.
Bechterew wird auch als ankylosierende
Spondylitis bezeichnet. Dies bedeutet,
dass es sich um eine Wirbelsäulenentzündung mit Neigung zur Versteifung
handelt. Die versteifenden Reaktionen
entwickeln sich aber erst etwa ab dem
20. Lebensjahr.
Aus der Sicht der Kinderrheumatologie
stellt der M. Bechterew also das mögliche
Spätstadium einer Enthesitis assoziierten
Arthritis dar. Der Entzündungsprozess
kommt aber meist schon im Kindes- und
Jugendalter zur Ruhe und nur etwa 1015% der Patienten entwickeln später tatsächlich einen M. Bechterew. Wenn man
das Krankheitsbild von der Erwachsenenrheumatologie her betrachtet, hat
die ankylosierende Spondylitis bei etwa
6-7% der Patienten mit einer Arthritis im
Kindesalter begonnen.
Bei der Enthesitis assoziierten Arthritis
tritt die vererbbare Bereitschaft zur Erkrankung besonders deutlich hervor. Bei
jedem dritten Kind findet man in der Familie ähnliche rheumatische Erkrankungen. Die vererbbare Bereitschaft ist eng
an ein genetisches Merkmal, das sog.
HLA-B27 gebunden. Beim HLA-System
handelt es sich um eine Gruppe von Erbmerkmalen, die auf dem kurzen Arm des
Chromosoms Nr. 6 vererbt werden. Die
Forschung hat bereits zahlreiche dieser
HLA-Gene aufgedeckt und mit Buchstaben und Zahlen benannt. Man weiß inzwischen, dass sie bedeutsam sind für
immunologische Reaktionen und somit
auch für das Auftreten verschiedener Er-
Kapitel 1
krankungen. Die Bedeutung des HLA-B27
für bestimmte Rheumaformen war
schon zu Beginn der HLA-Forschung in
den frühen achtziger Jahren bekannt geworden. Wir finden dieses Merkmal bei
etwa 70-80% der Kinder mit Enthesitis
assoziierter Arthritis. In der Bevölkerung
sind nur etwa 8-10% Merkmalträger. Das
HLA-B27 ist jedoch nicht mit einer Erkrankung gleichzusetzen. Äußere Einflüsse müssen hinzukommen, um die Krankheit auszulösen. Die meisten sind noch
unbekannt. Man weiß aber, dass eine besondere Gefahr besteht nach Darminfektionen mit Salmonellen und Yersinien.
6. Die Psoriasisarthritis
(Tabelle 6)
Als Psoriasis oder Schuppenflechte wird
eine chronische Hauterkrankung bezeichnet, die recht häufig in der Bevölkerung vorkommt und eine deutliche
vererbbare Bereitschaft erkennen lässt.
Etwa ein Drittel der Patienten entwickeln Gelenkbeschwerden, nicht selten eine Arthritis. Im Erwachsenenalter
geht die Schuppenflechte in der Regel
der Gelenkentzündung voraus. Beim
Psoriasisarthritis
◆ Beginn gesamte Kindheit
◆ Mädchen > Jungen
◆ Überwiegend asymmetrische Arthritis
◆ Psoriasis
◆ Familiäre Psoriasis
◆ Daktylitis
◆ Verhornungsstörungen Nägel
Tabelle 6
Kind dagegen tritt häufiger erst die Arthritis auf und die Psoriasis kann bis zu
Jahre später nachfolgen. Wir können die
Erkrankung zu Beginn bei den meisten
Kindern deshalb nur vermuten, wenn
gleichzeitig eine Schuppenflechte in der
Familie bekannt ist und Besonderheiten
im Gelenkmuster darauf hinweisen. Die
Psoriasisarthritis verläuft beim Kind
meist als asymmetrische Arthritis. Typisch ist der Befall einzelner Finger oder
Zehen mit Gelenk- und Sehnenscheidenentzündung, was auch als Daktylitis
bezeichnet wird (Abb.2). Bei manchen
Abbildung 2:
Daktylitis der 2. und 5. Zehe
bei Psoriasisarthritis
17
Diagnose und Krankheitsbild
1
Kindern steht eine Arthritis mehrerer
kleiner Gelenke ganz im Vordergrund.
Wenn noch keine typischen Hautveränderungen aufgetreten sind, können
manchmal kleine Tüpfel oder Verhornungsstörungen an den Fingernägeln
auf die Psoriasis hinweisen.
8. Undifferenzierte Arthritis
Nicht immer lässt sich die Erkrankung
einer der o.a. Kategorien zuordnen oder
die Arthritis erfüllt die Kriterien für
mehrere Kategorien. Dafür gibt es innerhalb der JIA die Bezeichnung „undifferenzierte Arthritis“. Für den einzelnen
Patienten ist diese Zuordnung unglücklich gewählt. Sie hat jedoch ihren Sinn
für Studien, die an möglichst einheitlichen Gruppen durchgeführt werden
sollten und ggf. Patienten aus der Kategorie „undifferenzierte Arthritis“ ausschließen können.
»
Warum muss ein
rheumakrankes Kind zum
Augenarzt?
Rheuma ist zwar in erster Linie eine
Gelenkerkrankung. Aber Sie wissen inzwischen, dass auch innere Organe und insbesondere die Augen miterkranken können. Deshalb gehört zur Diagnostik bei
Krankheitsbeginn eine ausführliche augenärztliche Untersuchung. In der Folgezeit können weitere Besuche beim Augenarzt notwendig werden. Ihre Häufigkeit
richtet sich nach der Krankheitsform ihres
Kindes und dem jeweiligen Verlauf.
Bei der Augenbeteiligung handelt es
sich um eine entzündliche Reaktion, die
18
medizinisch als Iridozyklitis oder auch
Uveitis bezeichnet wird. Die Entzündung
beginnt an den vorderen Augenabschnitten (Abb.3). In der normalerweise
klaren Flüssigkeit der vorderen Augenkammer tauchen Entzündungszellen
und kleine Eiweißpartikel auf. Diese erkennt der Augenarzt durch eine sorgfältige Untersuchung mit der Spaltlampe.
Er spricht in seinem Befund von „Zellen“
oder „Zellströmung“ in der Augenvorderkammer. Wenn die Entzündung sehr
stark ausgeprägt ist, können die Eiweißpartikel zu Verklebungen zwischen der
Regenbogenhaut (Iris) und der dahinter
liegenden Linse führen. Die Verklebungen können sich in den ersten Stunden
und Tagen wieder lösen, wenn sofort
eine Behandlung einsetzt. Andernfalls
festigt sich die Verbindung und die Verklebung bleibt auf Dauer bestehen. Die
Verklebung zwischen Iris und Linse wird
in der medizinischen Fachsprache als
hintere Synechie bezeichnet. Die Iris
lässt in der Mitte ein Sehloch, die Pupille, frei. Beim gesunden Auge verändert
der Ziliarmuskel je nach Lichteinfall die
Stellung der Iris. Bei Dunkelheit wird die
Pupille weit, im Hellen verengt sich das
Sehloch. Hat sich nun als Folge einer Iridozyklitis eine Synechie gebildet, kann
an der Verklebungsstelle die Iris nicht
mehr zurückgezogen werden. Bei erweiterter Pupille erkennt man dann eine
zipflige Ausziehung der Iris (Abb.4).
Solche einzelnen punktförmigen Verklebungen nennen wir deshalb auch Zipfelsynechien.
Haben sich bereits ausgedehntere Synechien gebildet, verliert die Pupille immer mehr ihre ursprünglich runde Form.
Kapitel 1
Schließlich ist bei einer kompletten ringförmigen Verklebung der Iris keinerlei
Erweiterung des Sehlochs mehr möglich.
Man spricht dann von einer zirkulären
Synechierung.
Kommt es im Verlauf einer Iridozyklitis
zu bleibenden Veränderungen am Auge,
treten als Erstes Synechien auf. Die Störung kann sich auf einzelne Zipfelsynechien beschränken und hat dann kaum
Auswirkungen auf die Sehfähigkeit des
Auges. Es besteht jedoch immer die Gefahr, dass bei fortschreitender Entzündung weitere Komplikationen hinzutreten. Neben den Synechien können sich
vor allem Trübungen von Hornhaut und
Linse entwickeln. Je nach Ausdehnung
behindern diese Trübungen den Lichteinfall ins Auge und damit die Sehfähigkeit. Im Gefolge einer lang anhaltenden Entzündung der vorderen
Augenkammer können Schwellungen
und Ablagerungen von Entzündungspartikeln die Öffnung am Augenwinkel
für den Abfluss des Kammerwassers
einengen. Dadurch staut sich die Flüssigkeit in der vorderen Augenkammer
an. Der Augendruck steigt und es kann
zu einer Druckschädigung des Auges
kommen. Ein erhöhter Augendruck wird
in der Fachsprache als Glaukom bezeichnet. Dabei handelt es sich immer
um eine ernstzunehmende Folgeerscheinung, die genau überwacht und
ggf. mit Medikamenten behandelt werden muss.
In seltenen Fällen kann sich die Entzündung auch auf den Glaskörper oder die
dahinter liegenden Augenabschnitte
ausdehnen und dort evtl. zusätzlich
bleibende Schäden verursachen.
Kammerwasserabfluss
Hintere
Synechie
Linse
Vordere
AugenAugenkammer
Zellströmung
Iris
Ziliarmuskel
Abbildung 3:
Längsschnitt durch die vorderen Augenabschnitte. Neben den anatomischen Bezeichnungen sind Entzündungspartikel in der vorderen Augenkammer sowie eine hintere
Synechie eingezeichnet.
Abbildung 4:
Geschädigtes Auge bei Iridozyklitis. Die Pupille
ist durch mehrere Synechien entrundet.
Deutlich erkennt man die zipfligen Ausziehungen an den Stellen, wo die Iris mit der
Linse verklebt ist.
19
Diagnose und Krankheitsbild
1
Die Iridozyklitis mit ihren Folgeerscheinungen bedeutet also eine schwerwiegende Begleiterkrankung der JIA. Bei
manchen Kindern steht die Entzündung
am Auge ganz im Vordergrund der
Krankheitserscheinungen. Wenn die Iridozyklitis nicht rechtzeitig erkannt und
behandelt wird, kann es zur Erblindung
eines und in schweren Fällen auch beider Augen kommen.
Glücklicherweise erkranken nur wenige
Kinder mit JIA an einer Iridozyklitis.
Außerdem kennt man die gefährdete
Patientengruppe und kann bei diesen
Kindern durch regelmäßige Augenuntersuchungen die Entzündung meist
frühzeitig erkennen und behandeln. Gefährdet sind in erster Linie Kinder mit
einer Oligoarthritis, bei denen im Serum
antinukleäre Antikörper nachweisbar
sind. Sie stellen die eigentliche Risikogruppe für die Iridozyklitis dar. Heimtückischerweise läuft bei ihnen die Augenentzündung ohne äußere Anzeichen
oder Beschwerden ab. Nur die Untersuchung vom Augenarzt an der Spaltlampe kann die Iridozyklitis entdecken.
Wichtig für die Prognose ist aber, dass
die Entzündung frühzeitig erkannt und
behandelt wird. Wir empfehlen deshalb
für alle Kinder mit Oligoarthritis augenärztliche Untersuchungen in 4-6-wöchentlichen Abständen. Erst wenn über
3-4 Jahre keine Iridozyklitis (mehr) aufgetreten ist, können die Kontrollintervalle allmählich verlängert werden.
Allerdings haben wir auch nach 10 und
mehr Jahren, manchmal sogar noch im
Erwachsenenalter Iridozyklitisschübe
beobachtet. Wir empfehlen deshalb
20
auch im späteren Verlauf noch ein- bis
zweimal pro Jahr den Augenarzt aufzusuchen.
Auch bei der Enthesitis assoziierten Arthritis kann eine Iridozyklitis auftreten.
Sie führt aber fast immer zu Schmerzen
und Rötung des Auges, so dass frühzeitig der Augenarzt aufgesucht wird.
Durch konsequente Behandlung mit
Augentropfen klingt die Iridozyklitis
dann meist innerhalb von Tagen bis
Wochen ab, ohne bleibende Schäden zu
hinterlassen. Nur in seltenen Fällen entwickeln sich Synechien oder gar schwerwiegendere Komplikationen.
Gelegentlich können auch Kinder mit einer Polyarthritis an einer Iridozyklitis erkranken. Meist handelt es sich dabei um
Patienten, bei denen sich eine anfangs
bestehende Oligoarthritis auf viele Gelenke ausgebreitet hat. Bei der rheumafaktor-positiven Polyarthritis vom Erwachsenentyp gibt es keine Iridozyklitis,
ebenso wenig bei der systemischen Verlaufsform. Dennoch sollten auch diese
Kinder vom Augenarzt untersucht werden. Es gibt nämlich ähnlich verlaufende
Krankheiten, die mit einer Augenbeteiligung einhergehen können und deren
Abgrenzung oft Schwierigkeiten bereitet. In diesen Fällen kann der Augenarztbefund wichtige Hinweise für die Diagnose bringen.
» Was ist eine Amyloidose?
Eine Amyloidose kann als Folgekomplikation bei verschiedenen chronisch-entzündlichen Erkrankungen auftreten. Bei
der JIA sind insbesondere Kinder mit
Kapitel 1
einer systemischen Verlaufsform gefährdet, bei denen die Erkrankung über
Jahre aktiv bleibt mit hohen Entzündungswerten. Neben Krankheitsform
und -dauer spielt wahrscheinlich die genetische Veranlagung noch eine Rolle.
So beobachten wir bei Kindern aus Osteuropa häufiger eine Amyloidose als in
den westlichen Ländern. In Amerika
kommt die Amyloidose nur ganz selten
vor.
Bei den betroffenen Kindern wird durch
die lang anhaltende Entzündung im
Körper eine krankhafte Eiweißsubstanz,
das sogenannte Amyloid, produziert.
Dieses Amyloid lagert sich dann mit der
Zeit in verschiedenen Körperorganen ab.
Betroffen sind in erster Linie die Nieren,
aber auch in Leber, Milz, Lymphknoten,
Darm und Herzmuskelgewebe kann man
bei schwerer Amyloidose dieses Eiweiß
nachweisen. Geringe Mengen Amyloid
beeinträchtigen die Organfunktion
meist wenig. Wenn der Prozess jedoch
fortschreitet und sich immer mehr Amyloid ablagert, wird mehr und mehr gesundes Gewebe verdrängt und zerstört.
Es kann dann z.B. an der Niere zu einem
Nierenversagen kommen oder am Darm
zu starken Blutungen.
Glücklicherweise gibt es heutzutage
Medikamente, mit denen man eine Ausbreitung der Amyloidose bei den meisten Kindern verhindern kann und auch
oft erreicht, dass bereits abgelagertes
Amyloid wieder abgebaut wird.
Um eine Amyloidose sicher zu diagnostizieren, muss man feingewebliche
Untersuchungen eines betroffenen Organs durchführen. Je nach Befunden
wird man sich zu einer Nieren-, Leberoder Darmbiopsie entscheiden. Da sich
Amyloid auch im Fettgewebe ablagert,
eignet sich als Suchmethode die Entnahme von Fettgewebe am Bauch oder
Gesäß. Dieser Eingriff ist vergleichsweise
harmlos und kann unter lokaler Betäubung durchgeführt werden.
» Kann Rheuma das
Wachstum der Kinder
beeinträchtigen?
Viele chronische Erkrankungen oder
auch andere Störungen in der Entwicklung des Kindes können das Wachstum
hemmen. Dies gilt teilweise auch für die
chronische Arthritis. Dabei beobachten
wir, dass die Störung des Wachstums
vorwiegend mit der Schwere des Krankheitsbildes zusammenhängt.
Leichtere Rheumaformen, insbes. Oligoarthritiden beeinträchtigen das allgemeine Längenwachstum nicht wesentlich. Dagegen treten bei Kindern mit
systemischem Verlauf häufig Wachstumsprobleme auf. Während schwerer
Krankheitsschübe wachsen die Kinder
oft gar nicht oder nur 1-2 cm pro Jahr.
Hält der hochentzündliche Krankheitsprozess länger an, bleiben die Kinder im
Wachstum hinter Gleichaltrigen deutlich zurück. Wenn es gelingt, die Erkrankung zur Ruhe zu bringen, beginnen die
Kinder wieder zu wachsen und wir beobachten dann oft ein Aufholwachstum,
d.h., dass die Kinder vorübergehend
schneller wachsen als ihre Altersgenossen und somit zumindest einen Teil ihres
Wachstumsrückstandes wieder aufholen. Bei einem Kind mit systemischem
21
Diagnose und Krankheitsbild
1
Krankheitsbild kann die Wachstumsgeschwindigkeit Hinweis auf die Schwere
der Erkrankung geben. Die Ärzte werden
deshalb diesen Faktor im Therapieplan
immer mitberücksichtigen. Dabei muss
beachtet werden, dass kortisonhaltige
Medikamente das Wachstum zusätzlich
hemmen. Es ist deshalb wichtig, eine
notwendige Kortisontherapie so bald
wie möglich auf eine geringe Dosis zu
reduzieren.
Erfahrungsgemäß hemmt eine schwere
Erkrankung nicht nur das Wachstum des
Kindes, sondern verzögert auch seine
Reifeentwicklung. Dies ist insofern
günstig, als dadurch mehr Zeit für das
Längenwachstum zur Verfügung steht.
Wachstum und Pubertät sind eng miteinander verbunden. Vor der Pubertät
setzt bei Kindern noch ein größerer
Wachstumsschub ein. Mit Eintreten der
Geschlechtsreife sind dann nur noch
wenige cm an Größenzunahme zu erwarten. Wenn sich bei einem chronisch
kranken Kind die Pubertät verschiebt,
verzögert sich auch der vorhergehende
Wachstumsschub. In einem Alter um die
12-14 Jahre, wenn bei den Klassenkameraden die Pubertät voll eingesetzt
hat, fällt der Größenunterschied besonders ins Gewicht. Durch die verzögerte Entwicklung kann das rheumakranke Kind in den nächsten Jahren
jedoch noch deutlich an Größe zunehmen und schließlich eine gute Endgröße
erreichen.
Außer dem allgemeinen Längenwachstum muss man bei der chronischen
Arthritis noch auf sog. lokale Wachstumsstörungen achten. Die Wachs22
tumsfugen, von denen das Knochenwachstum ausgeht, befinden sich in
unmittelbarer Gelenknähe, also im
Bereich der Entzündungsreaktion. Dadurch kann das Wachstum an den
betroffenen Stellen verändert werden.
Dabei kann man beobachten, dass je
nach Alter des Kindes und betroffenem
Gelenk das Wachstum entweder beschleunigt oder verzögert werden kann.
Ein typisches Beispiel betrifft das Kniegelenk beim Kleinkind. Hier führt die
Entzündung zu einem Wachstumsreiz
und bei einseitigem Gelenkbefall wird
das betroffene Bein länger.
Der Beinlängenunterschied muss dann
durch Erhöhung der Schuhsohle auf der
gesunden Seite ausgeglichen werden,
weil sonst das Becken schief steht und
die Wirbelsäule zur Verbiegung neigt
(Abb.5). Der Wachstumsunterschied
gleicht sich in den folgenden Jahren
meist wieder aus. Manchmal kann ein
geringer Unterschied auf Dauer zurückbleiben. Ein vermehrtes Wachstum sieht
man im Kleinkindalter auch bei betroffenen Fingern und Zehen.
Bei größeren Kindern dagegen führt die
Arthritis an Fingern und Zehen eher zur
Verkürzung. Dies wird teilweise dadurch
Abbildung 5:
Eine Arthritis am linken Kniegelenk hat bei
dem 5-jährigen Mädchen zu einer Verlängerung des linken Beines mit Beckenhochstand
geführt (linke Bildhälfte). Durch 1,5 cm Ausgleich unterm rechten Bein wird der Unterschied ausgeglichen, das Becken steht gerade
(rechte Bildhälfte).
Kapitel 1
Abbildung 5
23
Diagnose und Krankheitsbild
1
verursacht, dass sich die Wachstumsfugen schneller schließen als an den gesunden Gliedern.
Eine enge Beziehung besteht zwischen
Funktion und Wachstum. Dies bedeutet, dass die tägliche Benutzung und
Belastung von Händen und Füßen
wichtig ist für ein normales Wachstum.
Was passiert, wenn diese Beziehung
gestört wird, kann man besonders gut
am Beispiel des Fußes beobachten. Er
wird normalerweise durch das Gehen
einer regelmäßigen Belastung ausgesetzt. Erkrankt nun ein Kind im Wachstumsalter an einer Arthritis im Hüft-,
Knie- oder Sprunggelenk, wird das entsprechende Bein geschont. Insbesondere bei einseitigem Befall fällt dann auf,
dass der betroffene Fuß im Wachstum
zurückbleibt (Abb.6). Der Größenunterschied kann bei anhaltender Entzündung manchmal Schwierigkeiten beim
Schuhkauf bereiten, da der betroffene
Fuß ein bis zwei Schuhnummern kleiner sein kann.
Auch an der Hand beobachten wir eine
solche Wachstumsstörung. Die Arthritis
im Handgelenk führt oft zu einer Verkleinerung der gesamten Hand, da das
Kind die meisten Greiffunktionen im
Alltag nur noch mit der gesunden Hand
ausführt.
» Welche Laborwerte sind für
Ihr Kind wichtig?
Einige Laborwerte sind für die Diagnose
sowie für die Verlaufsbeobachtung notwendig oder hilfreich. Wir dürfen ihre
Abbildung 6: Eine chronische Arthritis im rechten Sprunggelenk hat bei diesem Kind zu einer
erheblichen Verkleinerung des Fußes geführt.
24
Kapitel 1
Bedeutung jedoch nicht überschätzen
und sie immer nur im Zusammenhang
mit der klinischen Untersuchung bewerten.
• Zu Beginn der Erkrankung helfen uns
bestimmte Laboruntersuchungen für
die Differentialdiagnose. Wir können
z.B. den Verdacht auf eine akute Arthritis erhärten durch Erregernachweis oder Bestimmung von Antikörpern gegen Infektionserreger im Blut.
Des weiteren können ähnlich verlaufende Erkrankungen, wie z.B.
bestimmte Blutkrankheiten oder
Stoffwechselstörungen, durch Laborbefunde erkannt bzw. ausgeschlossen
werden.
• Hilfreich
für die Einschätzung des
Schweregrades, aber auch für die
Verlaufsbeobachtung bei rheumatischen Erkrankungen können die allgemeinen Entzündungszeichen im
Blut sein. Dabei beurteilen wir in erster Linie die Blutsenkungsgeschwindigkeit (BSG) sowie ein Eiweißprodukt, das bei Entzündungen im Blut
entsteht, das sog. C-reaktive Protein
(CRP). Bei schweren, insbesondere systemischen Verläufen steigt auch die
Zahl der weißen Blutkörperchen und
Blutplättchen an. Gleichzeitig sinkt
der Eisenspiegel und der rote Blutfarbstoff (Hämoglobin) ab. Dabei
handelt es sich nicht um einen
Eisenmangel, sondern um eine
entzündungsbedingte Eisenverwertungsstörung. Eisengabe bessert
normalerweise nicht den niedrigen Eisenspiegel. Erst wenn die Entzündung
sich bessert, normalisieren sich auch
die Eisen- und Hämoglobinwerte.
Die Entzündungszeichen im Blut helfen uns die Aktivität der Erkrankung
und ihre Auswirkung auf den gesamten Körper abzuschätzen. Sie sind
ferner hilfreich, um den Erfolg der
Behandlung beurteilen zu können.
Wir müssen aber wissen, dass beim
kindlichen Rheuma die Entzündungswerte im Blut durchaus normal sein
können, obwohl an den Gelenken
ausgeprägte
Entzündungszeichen
bestehen. Dies gilt insbesondere für
Kinder mit einer Oligoarthritis.
• Auch für die Diagnostik der verschiedenen Verlaufsformen innerhalb der
kindlichen Arthritis stehen uns einige
Laborbefunde zur Verfügung. Sie ergänzen das klinische Bild oder erleichtern die Einordnung. Dazu zählen z.B. das Erbmerkmal HLA-B27, das
bei der Enthesitis assoziierten
Arthritis gehäuft vorkommt; ferner
immunologische Werte, deren Bedeutung im Krankheitsgeschehen wir
heute noch nicht sicher kennen. Beispiele hierfür sind die antinukleären
Antikörper (ANA), die vor allem bei
der Oligoarthritis oder der Psoriasisarthritis gefunden werden, aber auch
bei den beiden Polyarthritisformen
vorkommen können, insbes. bei der
rheumafaktor-positiven Arthritis. Der
Rheumafaktor selbst ist ebenfalls ein
immunologischer Befund, der allerdings im Kindesalter nur bei der rheumafaktor-positiven Polyarthritis vorkommt oder auch mal Hinweis für
eine Kollagenose sein kann.
25
Diagnose und Krankheitsbild
1
Bei allen Laborbefunden müssen wir
berücksichtigen, dass sie natürlichen
Schwankungen unterworfen sind. Wir
dürfen einzelne Befunde daher nicht
überbewerten, sondern müssen mehr
die Entwicklung über längere Zeiträume
hinweg im Auge behalten.
» Wie wichtig sind Röntgen
und andere bildgebende
Verfahren?
Zu Krankheitsbeginn sind Röntgenaufnahmen vor allem wichtig, um andere
Erkrankungen auszuschließen. Bei rheumatischen Erkrankungen treten Veränderungen im Röntgenbild meist erst
nach Monaten oder gar Jahren auf.
Röntgenbilder sind also wichtig für die
Verlaufsbeurteilung, bringen aber am
Anfang wenig für die Bestätigung der
Diagnose.
Heutzutage ist die Sonografie (Ultraschall) die wichtigste bildgebende Untersuchung. Sie zeigt aktuelle Entzündungen
in den Gelenken und Sehnenscheiden an
und ist besonders hilfreich zur Beurteilung von Gelenken, bei denen man entzündliche Schwellungen nicht sicher erkennt (Hüft-, Schultergelenk) (Abb.7).
Die Kernspintomografie, auch Magnetresonanztomografie (MRT) genannt,
stellt ein modernes, recht aufwändiges
Verfahren dar, mit dem man alle Ge-
Gelenkkapsel
Gelenkkapsel
Erguss
Gelenkspalt
Knochenlinie
Knochenlinie
Rechte Hüfte
gesund
Linke Hüfte
Arthritis
Abbildung 7:
Sonografische Darstellung eines Ergusses im linken Hüftgelenk. Die Gelenkflüssigkeit stellt sich
tiefschwarz dar, die Gelenkkapsel wird durch die vermehrte Flüssigkeit aufgedehnt.
26
Kapitel 1
Abbildung 8a + b:
Kleines Mädchen mit Polyarthritis. Vor Therapie sieht man die Beugestellung in den Hüftund Kniegelenken, auch die Arme können
nicht gestreckt werden. Das Gesicht des
Kindes spiegelt den Schmerz wieder (Abb. 8a).
Etwa 1 Jahr später konnte durch medikamentöse Behandlung und intensive Physiotherapie eine normale Gelenkbeweglichkeit
erreicht werden (Abb. 8b).
27
Diagnose und Krankheitsbild
1
lenkstrukturen gut erkennen kann. In
der Kinderrheumatologie wird die Methode manchmal zu häufig angewandt.
Der Gelenkzustand lässt sich meist ausreichend durch die klinische Untersuchung, ergänzt durch Ultraschall und
evtl. Röntgenbild beurteilen. Wichtig ist
die MRT vor allem bei unklaren klinischen Befunden zur Abgrenzung
gegenüber anderen Erkrankungen.
» Wie sieht die Prognose
für Kinder mit einer
chronischen Arthritis aus?
Die JIA kann je nach Subgruppe und
Schweregrad unterschiedlich verlaufen.
Insgesamt ist jedoch die Prognose für
die kindliche Arthritis deutlich günstiger
als im Erwachsenenalter. Bei den meisten Kindern gelingt es, die Erkrankung
auf Dauer zur Ruhe zu bringen. Je früher
und konsequenter die Therapie durchgeführt wird, umso günstiger sind die
Ergebnisse. Dabei ergänzen sich medikamentöse Behandlung und Physiotherapie. Wichtig ist auch die soziale Betreuung, welche die gesamte Familie mit
einbeziehen muss.
Wenn man die Behandlung früh genug
beginnt, kann man bei den meisten Kindern ausgeprägte Gelenkeinschränkungen und Fehlstellungen verhindern. Wesentlich mehr Mühe bereitet es, länger
bestehende Gelenkveränderungen wieder zu bessern. Aber auch hier können
auf lange Sicht erfreuliche Ergebnisse
erzielt werden (Abb.8). Unser Ziel ist
immer die völlige Wiederherstellung von
Gelenkachsen und -funktionen. Als
wichtige Voraussetzung dafür müssen
28
wir den Entzündungsprozess durch
Medikamente zur Ruhe bringen und
gleichzeitig gezielt krankengymnastisch
behandeln. Die Ergebnisse sind umso
besser, je konsequenter die Behandlung
auch zu Hause weitergeführt wird. Unsere Erfahrung zeigt immer wieder, dass
Eltern, die über die Krankheit informiert
sind und für die Mitbehandlung zu
Hause angeleitet werden, einen wichtigen Beitrag zur Besserung der Erkrankung leisten.
Kapitel 2
Medikamentöse Therapie
H. Michels
»
»
»
»
»
»
»
»
»
»
»
»
»
»
Einführung ................................................................................... 30
Welche Medikamente stehen uns zur Verfügung? ................... 31
Wo greifen die antirheumatisch wirksamen Medikamente
in den rheumatischen Prozess ein? ............................................ 32
Die Gruppe der nichtsteroidalen Antirheumatika (NSAR) ....... 34
Die Gruppe der „Basistherapeutika“ .......................................... 37
Die Gruppe der Immunsuppressiva/Zytostatika ........................ 39
Die Gruppe der cortisonhaltigen Medikamente ........................ 46
Wann können die Medikamente abgesetzt werden? ................ 51
Welche neueren Entwicklungen sollten beachtet werden? ..... 51
Medikamentöse Therapie - Zusammenfassung ......................... 52
Anhang
Komplementäre Therapie
V. Miller, H. Michels ................................................................... 52
Pflanzliche Medikamente ............................................................ 52
Weitere komplementäre Therapien ............................................ 53
29
Medikamentöse Therapie
2
» Einführung
Medikamente werden bei rheumatischen Erkrankungen hauptsächlich aus
drei Gründen eingesetzt:
• Verhinderung von bleibenden Gelenkund Organschäden und von weiteren
Erkrankungskomplikationen
• Linderung der Beschwerden
• Abkürzung, möglichst Beendigung
der Grundkrankheit.
Nur bei einigen Sonderformen kindlichrheumatischer Arthritiden (= Gelenkentzündungen) kennen wir die Erkrankungsursache und verfügen deshalb
über eine ursächlich wirkende Therapie,
z.B. Antibiotikagabe bei borrelienbedingter Arthritis. Die Ursache(n) der rheumatischen Erkrankungen im engeren Sinne,
wie die juvenile idiopathische Arthritis
(JIA), kennen wir bislang jedoch nicht.
Für die JIA wurde 1999 deshalb international die Bezeichnung juvenile idiopathische Arthritis (JIA) vorgeschlagen,
wobei „idiopathisch“ so viel bedeutet
wie „Ursache unbekannt“. Auch wenn die
JIA also bislang nicht ursächlich behandelt werden kann, so verfügen wir doch
über eine große Auswahl wirksamer Medikamente. So kann für jedes betroffene
Kind in aller Regel ein befriedigender
Weg gefunden werden. Die medikamentöse Behandlung ist für die meisten Kinder notwendig, u.a. weil ohne Medikamente die Krankengymnastik wegen der
Schmerzen nicht befriedigend durchgeführt werden könnte, sich Schmerz- und
entzündungsbedingte Gelenkfehlhaltungen verstärken und zu Fehlstellun30
gen führen würden, insbesondere würde
sich das Risiko entzündungsbedingter
Gelenkzerstörungen und Organschäden
erhöhen.
Medikamente weisen erwünschte (hier:
die angestrebte antirheumatische Wirkung) und unerwünschte Wirkungen
(oft als „Nebenwirkungen“ bezeichnet)
auf. Mit Recht sind die Eltern und auch
die Kinder deshalb oftmals beunruhigt.
Die Beipackzettel der Medikamentenpackungen, besorgte Nachfragen von
Verwandten, Freunden, Nachbarn oder
auch des Apothekers („Muss Ihr Kind
tatsächlich diese starken Medikamente
einnehmen?“) verstärken nicht selten
diese Bedenken. Hinzu kommt die in aller Regel lange Dauer der Behandlung.
So verwundert es nicht, wenn alle anderen therapeutischen Maßnahmen, wie
Krankengymnastik, Ergotherapie oder
Hilfsmittelversorgung, gern angenommen werden, der medikamentösen
Behandlung oftmals jedoch zunächst
große Vorbehalte entgegengebracht
werden.
Wesentliche Voraussetzungen für eine
gute, möglichst nebenwirkungsarme
medikamentöse Therapie sind:
• Auswahl der Präparate und medikamentöse Einstellung durch einen kinderrheumatologisch erfahrenen Arzt.
Die Behandlung durch den Spezialisten soll gewährleisten, dass die Medikamente immer fachgerecht eingesetzt werden und ihre Auswahl nach
dem neuesten Stand des medizinischen Wissens erfolgt.
• Aufklärung der Eltern und, falls vom
Alter her möglich, auch des Kindes,
Kapitel 2
über die Wirkungsweise einschließlich
der unerwünschten Wirkungen der
verwendeten Medikamente. Eltern
und Patient sollen dabei auch erfahren, dass schwere oder bleibende
Medikamentenschäden sogar bei jahrelanger Einnahme durch die regelmäßigen ärztlichen Kontrollen fast
immer zu verhindern sind (s.u.).
• Eine vertrauensvolle und verlässliche
Zusammenarbeit zwischen Eltern/
Kind, dem Kinderrheumatologen und
dem Kinder- bzw. Hausarzt. Die Ärzte
sind in der Beurteilung von Wirkung
und Nebenwirkungen auf die tägliche
Beobachtung der Kinder durch die
Eltern angewiesen. Den Eltern kommt
die wichtige Aufgabe zu, dem Kind die
Medikamente
regelmäßig
nach
Verordnungsplan zu geben, auf erwünschte und unerwünschte Wirkungen zu achten und dem Arzt Auffälligkeiten umgehend mitzuteilen.
Durch die so gewährleistete fachgerechte Anwendung der medikamentösen
Therapie lassen sich schwere unerwünschte Wirkungen in aller Regel vermeiden, größere Probleme bzw. bleibende Medikamentenschäden sind selten.
Wichtig in diesem Zusammenhang sind
die exakte Einnahme zu den empfohlenen Tageszeiten und die regelmäßigen
ärztlichen Kontrollen einschließlich Laborkontrollen (Blutbild, Leber- und Nierenwerte, Entzündungswerte, Urinstatus). Wir legen deshalb besonderen Wert
darauf, dass Eltern und Kinder genau
über Einnahmezeiten, Dosierungen,
mögliche unerwünschte Wirkungen und
notwendige ärztliche Kontrollen mittels
eines Verordnungsplanes auch schriftlich informiert werden. Dabei werden sie
gleichzeitig darüber aufgeklärt, wie sie
sich in besonderen Situationen, wie z.B.
Urlaubsreisen, bei zwischenzeitlich auftretenden Windpocken oder Operationen verhalten sollen.
» Welche Medikamente
stehen uns zur Verfügung?
Die antirheumatisch wirksamen Medikamente werden in verschiedene Gruppen
eingeteilt (Tab. 1): nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR), die „Basistherapeutika“ im engeren Sinne, Immunsuppressiva / Zytostatika als Basistherapeutika
im weiteren Sinn, die neue Gruppe der
sogenannten Biologika“, Cortison-Präparate, neuere, in Erprobung befindliche
Substanzen sowie „komplementäre“
(d.h. ergänzende) Arzneimittel. Letztere
werden in einem eigenen Kapitel besprochen.
Tabelle 1
Medikamente für die Therapie
der juvenilen idiopathischen
Arthritis
◆ Nichtsteroidale Antirheumatika
(NSAR)
◆ „Basistherapeutika“
◆ Immunsuppressiva / Zytostatika
◆ „Biologika“
◆ Cortisonpräparate
◆ Medikamente in Erprobung
◆ „komplementäre“ Arzneimittel
31
Medikamentöse Therapie
2
Vorausgeschickt sei, dass wir demselben
Medikament unter verschiedenen Namen begegnen können:
Wenn eine pharmazeutische Firma ein
neues Medikament einführt, so besitzt
sie darauf ein über viele Jahre geltendes
Patent. Während dieser Zeit darf keine
andere Firma dieses Medikament herstellen oder verkaufen, d.h. es gibt dieses
Medikament nur unter einem einzigen
Namen. Beispiel: Leflunomid wird nur
unter dem Namen AravaR verkauft (das
hochgestellte „R“ bedeutet, daß es sich
um einen firmeneigenen, nach Werbegesichtspunkten ausgewählten Namen
handelt). Nach Ablauf des Patentschutzes dürfen auch andere Firmen das Medikament herstellen bzw. verkaufen. Diese Firmen wählen für dieselbe Substanz
nun jeweils eigene Namen. So wurde
etwa das nichtsteroidale Antirheumatikum Diclofenac von der urspünglichen
Herstellerfirma unter dem Namen
VoltarenR abgegeben. Inzwischen wird
Diclofenac auch von „Nachahmerfirmen“ unter mehr als 30 verschiedenen Firmennamen verkauft. Man spricht
bei diesen „Nachahmer“-Präparaten mit
derselben Wirksubstanz von „Generica“
(Einzahl „Genericum“). Die Nachahmerfirmen haben für diese Präparate keine
Forschungs- bzw. Entwicklungskosten
und geben sie in aller Regel billiger ab
als die Firma, die das Präparat ursprünglich entwickelt hat. Man kann davon
ausgehen, dass die Nachahmer-Präparate bzw. Generica dieselbe Wirksamkeit
aufweisen wie das Originalpräparat.
32
» Wo greifen die anti-
rheumatisch wirksamen
Medikamente in den
rheumatischen Prozess ein?
Vereinfacht lässt sich die Entstehung der
juvenilen idiopathischen Arthritis und
anderer rheumatischer Erkrankungen so
beschreiben, wie in Abbildung 1 dargestellt. Ein oder mehrere „Auslöser“ (man
denkt hier z.B. an Viren) können bei
Menschen mit entsprechender Veranlagung das Immunsystem (= Körperabwehrsystem) zu fortlaufenden Entzündungsreaktionen veranlassen. In der
Folge entstehen z.B. am Gelenk die typischen klinischen Entzündungszeichen
Schwellung, Erwärmung, Schmerz und
Bewegungseinschränkung. Wünschenswert wären Medikamente bzw. Behandlungsstrategien, die in der Krankheitsentstehungskette ganz links eingreifen
(Abb. 1), also ursächlich wirken. Da wir
über den oder die Auslöser der Erkrankung bislang lediglich Vermutungen haben (s.o.; z.B. Viren?) und auch die individuelle Veranlagung nicht ändern
können (Abb. 1), verfügen wir bislang
über keine ursächliche Behandlung. Mit
Hilfe der derzeit verfügbaren Medikamente lässt sich die rheumatische
Grunderkrankung aber in den meisten
Fällen dennoch gut beeinflussen. Diese
Substanzen greifen wie folgt in den Erkrankungsprozess ein: Schmerzmittel
wie Paracetamol wirken rein symptomatisch (ganz rechts in der dargestellten
Krankheitsentstehungskette in Abb.1, in
der Abb. nicht eingezeichnet). Die
nichtsteroidalen Antirheumatika wirken
antientzündlich. Die sogenannten „Ba-
Kapitel 2
Wo wirken die Medikamente?
Stark vereinfachtes Schema über die Enstehung einer rheumatischen Gelenkentzündung:
Durch letztendlich noch unbekannte krankheitsauslösende Stoffe („Auslöser“, z.B. Viren)
aus der Umwelt entwickelt sich bei entsprechend veranlagten Menschen („Veranlagung“,
hierher gehören z.B. das HLA-B27 oder die
familiäre Belastung mit „Schuppenflechte/
Psoriasis“) eine Fehlregulation im Immunsystem. Dies führt zu anhaltenden Entzündungsreaktionen. Am Gelenk kommt es dadurch zu Schwellung, Erwärmung, Schmerz
und Funktionseinschränkung. Therapeutisch
können wir am Ende dieser Kette durch Kältepackungen, Schmerzmittel und Krankengymnastik einwirken („symptomatische Therapie“).
Die nichtsteroidalen Antirheumatika (NSAR)
wirken entzündungshemmend. Die „Basistherapeutika“ (BT) einschließlich der Immunsuppressiva/Zytostatika (IS) wirken auf das
Immunsystem und sollen die Fehlregulationen
günstig beeinflussen. „Biologika“ haben meist
eine „Anti-Zytokin-Wirkung“, richten sich also
gezielt gegen die Wirkung spezieller Zytokine
wie Tumornekrosefaktor ␣ ( (TNF␣), Interleukin 1 oder Interleukin 6 (s. Text). Cortisonpräparate (CS) sind starke
Entzündungshemmer, besitzen aber auch
immunmodulierende Wirkungen.
Abbildung 1
Auslöser
CS
Immunsystem
Veranlagung
BT
IS
Biologika
Entzündung
Schwellung
Schmerz
Erwärmung
Funktion
NSAR
33
Medikamentöse Therapie
2
sistherapeutika“ und die Immunsuppressiva/ Zytostatika sollen das Immunsystem umstimmen („immunmodulierend“ wirken) und so den nachfolgenden
rheumatischen
Entzündungsprozess
verhindern. Cortisonpräparate wirken
sowohl auf das Immunsystem als auch
direkt auf den Entzündungsprozess. Die
neue Gruppe der sogenannten „Biologika“, das sind Eiweiss-Moleküle, greifen
gezielt in spezielle Abläufe innerhalb des
Immunsystems ein.
» Was versteht man unter
nichtsteroidalen Antirheumatika (NSAR)?
Die NSAR stellen eine Gruppe direkt
antientzündlich wirkender Medikamente dar. Die Bezeichnung „nichtsteroidal“
soll sie von den Cortisonpräparaten
(= „Steroide“) abgrenzen. Schon in geringerer Dosierung weisen sie auch fie-
bersenkende und schmerzstillende Wirkungen auf und gehören deshalb zu den
häufigst verordneten Medikamenten
überhaupt (z.B. AspirinR). In der Kinderrheumatologie bestehen Erfahrungen
mit den in Tabelle 2 aufgeführten NSAR.
» Wie wirken die nichtsteroidalen Antirheumatika?
Ihre entzündungshemmende Wirkung
beruht hauptsächlich auf einer Hemmung der körpereigenen Prostaglandinbildung. Prostaglandine sind hormonähnliche Substanzen, die der Körper
unter anderem für die Auslösung von
Entzündungsreaktionen benötigt. Wird
die körpereigene Herstellung der Prostaglandine vermindert, so nimmt auch
die Entzündungsreaktion ab. Die Verminderung der Prostaglandinherstellung
durch die NSAR erfolgt über eine Hemmung des Enzyms Cyclooxygenase (Ab-
Tabelle 2
In der Kinderrheumatologie verwendete nichtsteroidale
Antirheumatika (NSAR)
Medikament
Saftform verfügbar?
◆ Indometazin (z.B. IndopädR)
Ja
◆ Naproxen (z.B. ProxenR)
Ja (in Deutschland über die Schweiz beziehbar)
◆ Diclofenac (z.B. VoltarenR)
Nein
R
◆ Ibuprofen (z.B. Ibuflam )
Ja
R
◆ Meloxicam (Mobec )
Nein
◆ Acetylsalicylsäure (z.B. Aspirin juniorR)
(Ja) („Brause“)
34
Kapitel 2
kürzung COX). Enzyme sind Eiweißmoleküle, die biochemische Reaktionen in
unserem Körper beschleunigen; ohne
Enzyme würden die vielfältigen biochemischen Reaktionen in unserem Körper
so langsam ablaufen, dass dies mit dem
Leben nicht vereinbar wäre. Die Cyclooxygenase wird bei der ProstaglandinProduktion benötigt. Die Cyclooxygenase 1 (COX-1) ist hauptsächlich bei der
Entstehung der Prostaglandine in „Funktionsgewebe“, wie Magen-Darm-Trakt,
Nieren und Blutplättchen (Thrombozyten), beteiligt. Dagegen entstehen die an
Entzündungsreaktionen beteiligten Prostaglandine unter der Wirkung der Cyclooxygenase 2 (COX-2). Die herkömmlichen NSAR hemmen sowohl die COX-1
als auch die COX-2. Zahlreiche unerwünschte Wirkungen der NSAR (s.u.),
insbesondere die am Magen-Darm-Trakt,
entstehen durch Hemmung der COX-1 ,
Als besonderer Vorteil der neueren selektiven COX-2-Hemmer (selektiv bedeutet
in diesem Zusammenhang: Diese Substanzen hemmen nahezu ausschließlich
die COX-2, nicht die COX-1) wird ein geringeres Auftreten unerwünschter Wirkungen am Magen-Darm-Trakt angesehen. Wegen unerwünschter Wirkungen
im Bereich des Herz-Kreislaufsystems bei
Erwachsenen wurde ein Teil der für Erwachsene bereits zugelassenen COX-2Hemmer wie Rofecoxib (VioxxR) wieder
vom Markt genommen. Bislang ist
keines der COX-2-selektiven NSAR für
Kinder zugelassen (Stand: Frühjahr
2006). Die Wirkung der NSAR beginnt
kurze Zeit, nachdem sie eingenommen
wurden. Das Maximum ist je nach Präparat nach zwei bis mehreren Stunden
erreicht. Die meist erwünschte Dauerwirkung wird durch die regelmäßige
Einnahme des richtig dosierten Medikamentes gewährleistet. Wenn die Erkrankung gut kontrolliert und stabilisiert ist,
kann eine bedarfsweise Einnahme der
NSAR erwogen werden.
» Wann werden die nicht-
steroidalen Antirheumatika
eingesetzt?
In der Regel werden NSAR eingesetzt,
sobald die rheumatische Gelenkentzündung diagnostiziert worden ist. Insofern
stellen sie bei der juvenilen idiopathischen Arthritis die zuallererst verwendeten Medikamente dar.
» Was ist bei der Einnahme
der nichtsteroidalen Antirheumatika zu beachten?
Kleinkinder akzeptieren Medikamente in
Saftform eher. Diese ist in Deutschland
für die Präparate Indometazin (IndopädR) und Ibuprofen (z.B. IbuflamR) verfügbar (Tab.2; Stand Frühjahr 2006). Naproxen-Saft (ProxenR) muß z.Zt. über die
Schweiz bezogen werden und wird deshalb von den Krankenkassen meist nicht
mehr bezahlt (Stand: Frühjahr 2006). Die
Saftform hat aber vor allem den Vorteil,
dass hier eine genaue Dosierung pro Kilogramm Körpergewicht möglich ist. Für
die genaue Dosierung des Saftes wird
den Eltern eine 2-Milliliter- oder 5-Milliliter-Spritze ausgehändigt, mit deren
Hilfe sie die erforderliche Menge aus der
Flasche entnehmen, z.B. 1,5 Milliliter
oder 3 Milliliter. Dagegen sind die NSAR35
Medikamentöse Therapie
2
Tabletten bzw. -Kapseln meist für Erwachsene angefertigt. So bedeutet die
Verabreichung einer einzigen Kapsel,
etwa einer 25 mg Indometazin-Kps., z.B.
für ein Kleinkind mit 12 kg Körpergewicht die gesamte Tagesmenge oder sogar mehr, so dass nur eine Kapsel pro
Tag verabreicht werden könnte und eine
gleichmäßige Verteilung über den Tag
nicht möglich wäre.
Viele NSAR werden im Körper relativ
rasch inaktiviert und ausgeschieden.
Man spricht dann von einer kurzen
„Halbwertszeit“ (HWZ) des entsprechenden Präparates. Die HWZ ist die Zeit, in
der die Hälfte der eingenommenen Medikamentenmenge im Körper abgebaut
bzw. ausgeschieden ist. Medikamente
mit kurzer HWZ, z.B. AspirinR, müssen
häufiger über den Tag verteilt eingenommen werden (meist 3 oder 4mal), damit
die Medikamentenkonzentration im Blut
noch ausreichend hoch, also wirksam ist.
Präparate mit längerer HWZ brauchen
dagegen nur ein- oder zweimal pro Tag
gegeben zu werden (z.B. ProxenR).
» Welche unerwünschten
Wirkungen können
auftreten?
Hier kann keine vollständige Auflistung
der unerwünschten Wirkungen der
NSAR gegeben werden; vielmehr sind
diese z.B. im Beipackzettel, in der „Roten
Liste“ (Arzneimittelverzeichnis des Bundesverbandes der Pharmazeutischen Industrie) oder in der einschlägigen Literatur nachzulesen. An dieser Stelle werden
lediglich einige wichtige Nebenwirkun36
gen und das damit verbundene erforderliche Handeln beispielhaft dargestellt. Die unerwünschten Wirkungen
sind bis auf wenige Besonderheiten der
einzelnen Präparate für die verschiedenen NSAR-Substanzen gleichartig,
können sich beim einzelnen Kind jedoch
je nach Medikament unterschiedlich
auswirken. Unverträglichkeit für ein bestimmtes nichtsteroidales Antirheumatikum muss deshalb keineswegs bedeuten, dass auch die übrigen NSAR in
gleicher Weise nicht vertragen werden.
Bei Auftreten von unerwünschten Wirkungen lohnt sich also der Versuch der
Umstellung auf ein anderes Präparat.
Die mit Abstand häufigsten unerwünschten Wirkungen der NSAR stellen
Beschwerden von Seiten des MagenDarm-Traktes dar, wie Übelkeit, Brechreiz, Magenschmerzen bis hin zum
Magen- oder Zwölffingerdarmgeschwür.
Gefährdet sind vor allem ältere Menschen. Alle NSAR können solche Magenbeschwerden verursachen und sollen
deshalb nie auf nüchternen Magen, sondern nur direkt nach den Mahlzeiten,
ggf. mit einem Becher Joghurt oder einem Glas Milch, eingenommen werden.
Die antithrombotische („Blut verdünnende“) Wirkung der NSAR, besonders
des AspirinR, wird therapeutisch zur
Thromboseprophylaxe, z.B. nach Operationen, ausgenutzt. Sie kommt durch
eine Hemmung bzw. Schädigung der Cyclooxygenase 1 in den Blutplättchen
zustande (vgl. oben COX-1/2. ; Blutplättchen = Thrombozyten). Dies kann zu
vermehrter Blutungsbereitschaft führen.
Kapitel 2
Dann fallen die Kinder z.B. durch eine
über das übliche Maß hinaus gehende
Anzahl „blauer Flecken“ an den Schienbeinen oder durch Nasenbluten auf. Besonders beachtet werden muss diese
Wirkung vor Operationen, etwa vor einer Mandeloperation. Die NSAR müssen
eine Woche vor einer geplanten Operation abgesetzt werden. - Selektive COX2-Hemmer haben keine antithrombotische Wirkung.
Asthma leiden, Verminderung der roten
und/ oder weißen Blutkörperchen,
allergische Reaktionen, erkennbar an
Hautausschlägen. Durch Sonnenlicht
begünstigte Hautausschläge unter Naproxen (ProxenR) machen im Allgemeinen Absetzen des Medikamentes erforderlich.
Die analgetische (= schmerzstillende)
Wirkung der NSAR kann dazu führen,
dass z.B. bei Mittelohrentzündungen anfangs keine Schmerzen auftreten und
die Diagnose deshalb verspätet in einem
Krankheitsstadium gestellt wird, in dem
bereits Schäden am Trommelfell oder an
den Gehörknöchelchen aufgetreten
sind. Darum sollen Kinder, die mit NSAR
behandelt werden, bei oberen Luftwegsinfekten („Schnupfen“) frühzeitig mit
dem Ohrenspiegel untersucht werden.
Für die „Basistherapeutika“ gibt es noch
weitere Namen wie „Langzeitantirheumatika“ oder „krankheitsmodifizierende
Medikamente“. Entsprechend dem stark
vereinfachten Schema in Abbildung 1
stellt das Immunsystem den Angriffspunkt der Basistherapeutika dar. Diese
Medikamente greifen im Vergleich zu
den NSAR also mehr an der „Basis“ des
Krankheitsprozesses ein (daher der
Name „Basistherapeutika“). Von den
Basistherapeutika erhoffen wir uns
dementsprechend eine tiefergehende
Wirkung auf den rheumatischen Entzündungsprozess.
Vor allem in höherer Dosierung können
die NSAR Schwindelgefühl und Ohrensausen verursachen. Zu den unerwünschten Wirkungen auf das zentrale
Nervensystem gehören Müdigkeit und
Kopfschmerzen. Krampfanfälle stellen
ein Vergiftungssymptom dar, das bei
Überdosierung auftreten kann. Je nach
Symptomatik können Absetzen, Dosisverminderung oder Umsetzen auf ein
anderes Präparat erforderlich werden.
Alle anderen unerwünschten Wirkungen
der NSAR sind vergleichsweise selten.
Dazu gehören Begünstigung von Asthmaanfällen bei Kindern, die unter
» Was verstehen wir unter
„Basistherapeutika“?
Gemeinsam ist den verschiedenen Basistherapeutika, dass ihr Wirkungseintritt
verzögert, meist erst nach 2-3 Monaten,
eintritt und dass sie nur auf den rheumatischen Schmerz, nicht etwa auf
Kopfschmerzen (wie die NSAR, z.B. AspirinR) einwirken. Therapieerfolge werden
etwa bei 2/3 der Patienten erzielt. Die
therapeutische Einstellung auf Basistherapeutika erfordert spezielle Erfahrung
und bleibt deshalb in der Regel dem
Kinderrheumatologen bzw. der Spezialklinik vorbehalten.
37
Medikamentöse Therapie
2
» Welche Basistherapeutika
kennen wir?
(vgl. Tabelle 3)
Von den Basistherapeutika im engeren
Sinn werden heute vor allem noch Chloroquin/Hydroxychloroquin und Sulfasalazin eingesetzt, während Gold und DPenicillamin nur noch selten verwendet
werden (Abb.1, Tab. 3). Im weiteren Sinn
können auch die Immunsuppressiva/Zytostatika zu den Basistherapeutika gerechnet werden (s.u.).
» Wann werden die Basis-
therapeutika eingesetzt?
Basistherapeutika verwenden wir immer
dann, wenn die Wirkung der NSAR für
eine gute Kontrolle der Krankheitsaktivität nicht ausreicht, also vor allem bei
polyarthritischen Verlaufsformen, aber
auch bei hartnäckigen Oligoarthritiden.
Die NSAR werden dabei in aller Regel
weitergegeben und nicht etwa abgesetzt.
» Gibt es subgruppenbezogene
Richtlinien für den Einsatz
der „Basistherapeutika im
engeren Sinne“?
Wir gehen davon aus, dass die Basistherapeutika grundsätzlich bei allen Subgruppen (Beginnformen, Verlaufsformen s.o.) der juvenilen idiopathischen
Arthritis wirken können.
Chloroquin und Hydroxychloroquin (ResochinR / QuensylR) verwenden wir vorwiegend bei Oligoarthritis und zur Kom-
Tabelle 3
„Basistherapeutika“: Basistherapeutika im engeren Sinn müssen
von den Immunsuppressiva / Zytostatika abgegrenzt werden.
Angegeben sind die chemischen Namen und in Klammern beispielhaft Firmennamen.
„Basistherapeutika im engeren Sinn“ Immunsuppressiva / Zytostatika
◆ Chloroquin, Hydroxychloroquin
(WeimerquinR, Resochin juniorR,
QuensylR)
◆ Sulfasalazin (Azufidine RAR)
◆ Gold (TauredonR, RidauraR)*
◆ Methotrexat (LantarelR)
◆ Azathioprin (ImurekR)
◆ Ciclosporin A (SandimmunR)
◆ Leflunomid (AravaR)
◆ Mycophenolat Mofetil (CellceptR)
◆ Chlorambucil (LeukeranR)**
◆ Cyclophosphamid (EndoxanR)**
* nur noch selten eingesetzt
** nur in speziellen Situationen bei JIA verwendbar (s. Text)
38
Kapitel 2
bination mit anderen Basistherapeutika,
während Sulfasalazin seine beste Wirksamkeit bei den HLA-B27- positiven Kindern zu haben scheint. Sulfasalazin darf
nicht bei systemischer juveniler idiopathischer Arthritis („Still-Syndrom“)
verwendet werden, da es hier die
schwerwiegende und lebensbedrohliche
Komplikation „Makrophagen aktivierendes Syndrom“ (MAS) auslösen kann.
» Welche unerwünschten
Wirkungen sind bei den
Basistherapeutika zu
beachten?
Wiederum werden auch hier nicht alle
bekannt gewordenen unerwünschten
Wirkungen vollständig aufgelistet, sondern lediglich schwerpunktartig dargestellt (vgl. NSAR). Weitere Informationen
sind im Beipackzettel verfügbar, aber
natürlich auch durch ein Gespräch mit
dem Arzt zu bekommen.
Bei der Anwendung von Antimalariamitteln (Chloroquin/Hydroxychloroquin)
sehen wir unerwünschte Wirkungen
verhältnismäßig selten. Auftreten können Hellerwerden der Haare, Hautausschläge, vermehrte Lichtempfindlichkeit
der Haut, Magen-Darmstörungen, Blutbildveränderungen. Bei Kindern mit bekanntem Anfallsleiden können Anfälle
begünstigt werden; solche Kinder sollen
deshalb von einer Therapie mit Antimalariamitteln ausgenommen werden. Am
wichtigsten sind die allerdings extrem
selten beobachteten unerwünschten
Wirkungen auf die Netzhaut, die zu bleibenden Sehschäden führen können. Wir
empfehlen deshalb 1/4 - 1/2 jährliche
spezielle augenfachärztliche Kontrollen
und begrenzen die Therapie meist auf
zwei bis drei Jahre. Unter diesen Vorsichtsmaßnahmen haben wir Netzhautschäden niemals beobachten müssen.
Die Einlagerung von (Hydroxy-) Chloroquin in die Hornhaut wird vom Kind
selbst nicht bemerkt, führt nicht zu Sehverlust und verschwindet nach Absetzen
der Therapie.
Auch bei Sulfasalazin (AzulfidineR) muss
mit Beschwerden von Seiten des
Magen-Darmtraktes gerechnet werden.
Darüber hinaus sind Blutbildveränderungen, Hautausschläge, Nebenwirkungen von Seiten des Zentralnervensystems, wie Kopfschmerzen oder
Wahrnehmungsstörungen, und Nierenfunktionsstörungen möglich. Eine eventuell auftretende Verminderung der
Spermienzahl normalisiert sich nach
Absetzen des Präparates.
» Was versteht man unter
Immunsuppressiva/
Zytostatika?
Als weitere therapeutische Möglichkeit
stehen als „Basistherapeutika“ im weiteren Sinne die Immunsuppressiva/Zytostatika zur Verfügung. Dazu gehören
in der Kinderrheumatologie die in
Tabelle 3 aufgelisteten Medikamente.
Immunsuppressiva entfalten ihre antirheumatische Wirkung durch „Suppression“, d.h. Dämpfung des Immunsystems, das ja bei der Entstehung der
entzündlich-rheumatischen Erkrankungen eine wesentliche Rolle spielt (Abbil39
Medikamentöse Therapie
2
dung 1). Wie die „Basistherapeutika“ im
engeren Sinne (s.o.) entfalten sie ihre
Wirkung erst im Verlauf von Wochen bis
Monaten.
» Welche Immunsuppressiva/
Zytostatika werden in der
Kinderrheumatologie
verwendet?
Als Substanz mit dem günstigsten Verhältnis erwünschte/unerwünschte Wirkungen gilt derzeit das Methotrexat. Mit
Azathioprin (ImurekR) verbinden sich
über 35 Jahre Erfahrung in der Kinderrheumatologie. Ciclosporin A (SandimmunR), ein aus dem Bereich der
Organtransplantation kommendes Medikament, wird seit einigen Jahren auch
in der Kinderrheumatologie verwendet.
Hinzu kommen als neuere Präparate das
Leflunomid (AravaR) und das Mycophenolatmofetil (CellceptR). Zugelassen für
die Kinder- und Jugendrheumatologie
sind das Methotrexat und das Azathioprin (Kollagenosen), für die Behandlung
der rheumatischen Regenbogenhautentzündung zudem das Ciclosporin. Für
Leflunomid (AravaR) wird im nächsten
Jahr mit der Zulassung für das Kindesalter gerechnet (Stand: Frühjahr 2006). Die Auswahl erfolgt individuell nach
Wirksamkeit und Verträglichkeit.
Chlorambucil und Cyclophosphamid
(LeukeranR, EndoxanR) gehören zu den
Zytostatika im engeren Sinne, und zwar
zu den alkylierenden Substanzen. Sie
entfalten ihre Wirkung, indem sie sich
mit der DNS („Erbsubstanz“) im Zellkern
verbinden. Durch Hemmung des Zell40
wachstums wirken sie vor allem auf
schnell wachsende Gewebe, wie das
blutbildende System und das Immunsystem. Ihr Hauptanwendungsgebiet ist
die Krebstherapie. Die hier in Frage kommenden LeukeranR und EndoxanR gehören zu den stärksten antirheumatisch
wirksamen Medikamenten. Ihre Anwendung ist jedoch wegen ihrer potentiell
krebserzeugenden Wirkung auf wenige
schwerwiegende Erkrankungsprobleme
begrenzt (s.u.).
» Wann werden Immun-
suppressiva/Zytostatika
eingesetzt?
Methotrexat (MTX) und ImurekR werden
bei systemischer JIA eingesetzt, wo die
Basistherapeutika im engeren Sinne,
wie Sulfasalazin, nicht in Frage kommen, solange noch „systemische“
Symptome, wie Fieber und/oder Hautausschläge, auftreten (s.o.). Darüber
hinaus kommen sie bei polyarthritischen, eventuell auch bei schwer verlaufenden oligoarthritischen Verlaufsformen zur Anwendung, wenn
Basistherapeutika, wie Chloroquin,
nicht ausreichend wirken. Bei rheumafaktor-positiver Polyarthritis, die im
Krankheitsverlauf zur Gelenkzerstörung
neigt, verwenden wir heute MTX in der
Regel primär und haben damit bessere
Langzeitergebnisse. Bei rheumatischer
Iridozyklitis (Regenbogenhautentzündung) werden Immunsuppressiva, insbesondere Methotrexat, Azathioprin
und Ciclosporin A, eingesetzt, wenn
Cortisonaugentropfen und -salbenbehandlung nicht ausreichend wirken.
Kapitel 2
Das einzige Anwendungsgebiet für LeukeranR ist die sonst therapieresistente
Amyloidose, eine schwere Komplikation
hochentzündlicher Verlaufsformen der
JIA. Amyloidosegefährdet sind vor allem
Kinder mit systemischer JIA. Die Amyloidose kann zu Funktionsstörungen und
schließlich Organausfall, insbesondere
der Nieren, führen. Durch einen zeitlich
begrenzten Einsatz von LeukeranR kann
die Prognose bei Kindern mit Amyloidose nicht selten erheblich gebessert werden. EndoxanR verwenden wir bei Kollagenosen mit schwerer Organbeteiligung
und bei sogenannten systemischen
Vaskulitiden (= rheumatische Erkrankung der Blutgefäße). Bei der JIA bleibt
EndoxanR Spezialproblemen, wie Begleitvaskulitiden (= Blutgefäßentzündungen) oder schwerst verlaufenden
Iridozyklitiden, vorbehalten.
» Bleiben die Therapieerfolge
durch Immunsuppressiva
nach Absetzen erhalten?
Leider kommt es nach Absetzen dieser
Medikamente nicht selten zum Wiederaufflammen der rheumatischen Entzündungsaktivität („Rezidiv“). Deshalb
setzen wir nie abrupt, sondern schrittweise über Monate ab und führen oft
gleichzeitig überlappend ein anderes
Medikament als Ersatz in die Behandlung ein.
» Welche unerwünschten
Wirkungen sind bei Immunsuppressiva/Zytostatika zu
beachten?
Auch hier können nicht alle bekannt gewordenen unerwünschten Wirkungen
vollständig aufgelistet, sondern lediglich
schwerpunktartig dargestellt werden
(weitergehende Informationen durch
den behandelnden Arzt, die Beipackzettel oder durch die „Rote Liste“).
Die wichtigsten unerwünschten Wirkungen hängen mit der Hauptwirkung
dieser Präparate zusammen, nämlich der
„Suppression“ (Bremsung) des Zellwachstums. Davon sind schnell wachsende Gewebe wie das Immunsystem
und das blutbildende Knochenmark besonders betroffen. So kann eine durch
Hemmung des Immunsystems vermehrte Infektionsgefährdung gegeben sein
oder es können Infektionen schwerer
verlaufen. Infolge der Wirkung auf das
Knochenmark kann eine Verminderung
der roten und weißen Blutkörperchen
sowie der Blutplättchen auftreten. Da
die in der Rheumatologie verwendeten
Dosierungen im Vergleich zur Krebstherapie eher niedrig sind, steht diese
Problematik meist nicht im Vordergrund.
Durch Dosisreduktion oder vorübergehendes Absetzen, bei Infektionsverdacht, ergänzt durch eine antibiotische oder antivirale Behandlung
(Acyclovir/ZoviraxR bei Windpocken
oder Gürtelrose), können diese Situationen meist gut beherrscht werden. Wichtig ist das rechtzeitige Erkennen solcher
Komplikationen.
41
Medikamentöse Therapie
2
Bei MTX sind Beschwerden von Seiten
des Magen-Darmtraktes wie Übelkeit
oder Bauchweh nicht selten. Da die Wochendosis meist an einem Tag gegeben
wird, sind diese Probleme somit zeitlich
relativ begrenzt. Ein besonderes Problem
bei MTX stellt eine bei ca. 1/3 der Kinder
sich entwickelnde Abneigung gegen das
Medikament dar, das so ausgeprägt sein
kann, dass Absetzen nötig wird. Maßnahmen, wie Verabreichung des MTX als
Flüssigkeit (aus eigentlich zur Injektion
vorgesehenen MTX-Ampullen) in Orangensaft, gleichzeitige Gabe von ZofranR
oder die subkutane Verabreichung können die Situation erleichtern. - Wegen
möglicher Wirkungen auf die Leber
müssen die Leberwerte regelmäßig kontrolliert werden. Wird das Alkoholverbot
während der MTX-Therapie eingehalten ,
sind bleibende Leberschäden aber sehr
selten. Flüssige Zubereitungen von Medikamenten können Alkohol enthalten,
z.B. SandimmunR. Dies muss im Einzelfall mit dem behandelnden Arzt besprochen werden. Hartnäckiger Husten kann
ein Hinweis auf eine allerdings seltene
Lungen-Nebenwirkung sein. NSAR (s.o.)
können die Konzentration von Methotrexat im Blut und damit erwünschte
und unerwünschte Wirkungen verstärken. NSAR sollten deshalb in einem zeitlichen Abstand zum Methotrexat verabreicht werden.
Auch bei Azathioprin (z.B. ImurekR) können Magen-Darmstörungen, Erhöhung
der Leber- und Bauchspeicheldrüsenwerte auftreten. Selten (bei ca. 3 pro
1000 Menschen) muss mit einer angeborenen Überempfindlichkeit gegenüber
42
Azathioprin infolge eines angeborenen
Mangels an dem Enzym TPMT (= Thiopurinmethyltransferase) gerechnet werden
(Enzyme = Eiweißmoleküle, die biochemische Reaktionen in unserem Körper beschleunigen). Das TPMT hat die
Aufgabe, das Azathioprin zu inaktivieren.
Ist TPMT nicht ausreichend vorhanden,
so verbleiben zu hohe Azathioprinmengen im Körper, so dass unerwünschte Wirkungen auftreten. Dies zeigt sich
etwa nach vier bis sechs Wochen: die
Kinder entwickeln Fieber, Übelkeit, eine
Verminderung der roten und/oder weißen Blutkörperchen und/oder der Blutplättchen. Nach Absetzen von Azathioprin verschwindet diese Symptomatik
wieder. Deshalb lassen wir bei allen
Kindern, die Azathioprin erhalten sollen,
das TPMT vor Therapiebeginn in einem
Speziallabor bestimmen. Ist TPMT nicht
ausreichend vorhanden, sehen wir von
einer Azathioprin-Therapie ab. Eine
ähnliche Problematik wird beobachtet,
wenn bestimmte, die Harnsäure im Blut
vermindernde Medikamente wie Allopurinol gleichzeitig zum Azathioprin
eingenommen werden. Allopurinol und
andere sogenannte XanthinoxidaseHemmer dürfen also nicht bei Patienten,
die unter Azathioprin stehen, verordnet
werden.
Die wichtigsten unerwünschten Wirkungen von Ciclosporin A stellen das
Auftreten von Nierenfunktionsstörungen bis hin zum Nierenversagen und
Blutdrucksteigerungen dar. Diese Gefahr
kann durch regelmäßige Kontrollen des
Blutdrucks, der „Nierenwerte“ und der
Konzentration des Medikamentes im
Kapitel 2
Blut wesentlich vermindert werden.
Ohnehin werden in der Rheumatologie
relativ niedrige Dosierungen von Ciclosporin A verwendet. Sobald der „Nierenwert“ Kreatinin im Blut eine zu hohe
Konzentration erreicht, vermindern wir
die Ciclosporin A-Tagesdosis oder setzen
das Medikament ab. Weitere unangenehme Wirkungen von Ciclosporin A
sind Vermehrung der Körperbehaarung,
Zahnfleischwucherungen,
Störungen
von Seiten des Magen-Darm-Traktes
oder Missempfindungen („Brennen“) an
Händen und Füßen. Zu beachten ist,
dass bei gleichzeitiger Einnahme bestimmter Medikamente, wie Erythromycin (z.B. PädiathrocinR), sich die Ciclosporin-Blutkonzentration und damit
auch die Nebenwirkungen erhöhen
können.
Das Leflunomid (AravaR) kann zu einer
Blutdruckerhöhung, zu Störungen von
Seiten des Magen-Darm-Traktes wie
Durchfall, Übelkeit oder Erbrechen, zu
Haarausfall und auch zu Kopfschmerzen führen. Ferner müssen wie bei den
anderen Immunsuppressiva Blutbild
und Leberwerte regelmäßig kontrolliert
werden. Treten unerwünschte Wirkungen auf, so wird die Tagesdosis von
Leflunomid vermindert. Reicht das
nicht aus, wird es abgesetzt. Wegen seiner langen Halbwertszeit (vgl. NSAR)
von ca. 14 Tagen bleibt Leflunomid
lange im Körper. Bei Bedarf kann es aber
mit Hilfe des Medikamentes Cholestyramin rasch über den Darm ausgeschieden werden.
Wie bei anderen Immunsuppressiva
muss auch bei Mycophenolatmofetil
(MMF) (CellceptR) mit erhöhter Infektgefährdung, mit Veränderungen des
Blutbildes und der Blutplättchen, mit
Störungen von Seiten des MagenDarm-Traktes, mit Nierenfunktionsstörungen, Blutdruckveränderungen und
Kopfschmerzen gerechnet werden. Wie
bei allen anderen antirheumatisch-medikamentösen Therapien lassen sich die
unerwünschten Wirkungen durch regelmäßige ärztliche und Laborkontrollen in
aller Regel früh- bzw. rechtzeitig erkennen, so dass entsprechende Gegenmaßnahmen eingeleitet werden können.
Die langfristige Einnahme von Immunsuppressiva/Zytostatika ist mit einem
gewissen Risiko für die Entwicklung
bösartiger Erkrankungen wie Leukämie
verbunden. Dieses Risiko steigt mit der
Gesamtmenge der eingenommenen
Substanz und besteht vor allem für die
Zytostatika LeukeranR und EndoxanR.
Wenn die eingenommene LeukeranGesamtmenge begrenzt wird (ca. 500
mg/m2 Körperoberfläche), so kann das
Risiko deutlich vermindert werden. Bei
Methotrexat sind solche Komplikationen
äußerst selten. Das gleiche gilt für den
Einsatz von ImurekR in der Kinderrheumatologie. Bei Ciclosporin A, Leflunomid
und MMF besteht diese Problematik in
ähnlicher Weise. Vor dem Einsatz von
Immunsuppressiva/Zytostatika müssen
diese Fragen mit den Eltern und, sofern
vom Alter her möglich, auch mit dem
Kind besprochen werden.
43
Medikamentöse Therapie
2
» Können die Immun-
suppressiva/Zytostatika
die Sexualfunktionen
beeinträchtigen?
Immunsuppressiva/Zytostatika dürfen
wegen Missbildungsgefahr für das ungeborene Kind nicht während einer
Schwangerschaft eingenommen werden. Rheumapatientinnen im gebärfähigen Alter mit immunsuppressiver/zytostatischer Behandlung dürfen nicht
schwanger werden. Verhütungsmaßnahmen müssen rechtzeitig, am günstigsten vor Therapiebeginn, mit dem
behandelnden Arzt besprochen werden.
Mit einer Schwangerschaft soll mindestens sechs Monate nach Absetzen dieser Medikamente gewartet werden.
Ebenso gilt für männliche Patienten,
dass unter immunsuppressiver/zytostatischer Behandlung die Zeugung eines
Kindes unterbleiben muss und erst erfolgen darf, wenn diese Medikamente mindestens sechs Monate abgesetzt sind. Bei Männern, seltener bei Frauen, muss
nach einer längerdauernden Therapie
mit Chlorambucil (LeukeranR) oder
Cyclophosphamid (EndoxanR) mit bleibender Sterilität gerechnet werden, d.h.
es können nach einer solchen Therapie
keine Kinder mehr gezeugt werden.
» Biologika
- eine neue
Gruppe von Antirheumatika
Bei dem „Tumornekrosefaktor-alpha“
(TNF␣) handelt es sich um ein sogenanntes Zytokin. Zytokine sind hormonähnliche, Informationen innerhalb
und zwischen den Zellen vermittelnde
44
Botenstoffe im Immunsystem. Medikamente, die sich gegen bestimmte Zytokine richten, werden als Anti-Zytokine
bezeichnet. Solche Medikamente stehen
seit einigen Jahren zur Verfügung. Sie
sind oft außerordentlich gut wirksam
und stellen einen der wesentlichen therapeutischen Fortschritte in der antirheumatischen Therapie während der
letzten Jahrzehnte dar. Durchwegs sind
sie im Vergleich zu den herkömmlichen
Arzneimitteln sehr teuer, was mit ihrem
komplizierten Aufbau (Eiweißmoleküle)
und der deshalb komplizierten Herstellung zusammenhängt. Etanercept etwa
ist derzeit etwa hundertmal teurer als
Methotrexat.
Bei der Entstehung der rheumatischen
Entzündung spielt das Zytokin TNF␣
eine wichtige Rolle. Wird die Wirkung
von TNF␣ vermindert, so wird die Entzündungsreaktion schwächer. Heute in
der antirheumatischen Therapie zur
Verfügung stehende medikamentöse
Gegenspieler des TNF␣ sind Etanercept
(EnbrelR), Adalimumab (HumiraR) und
Infliximab (RemicadeR). Für diese Medikamentengruppe wird auch der Begriff
„biologische Medikamente“ oder kurz
„Biologika“ verwendet. Dieser Begriff
zielt auf die Eiweißstruktur der AntiZytokine, aber auch auf ihren gezielten
Angriffspunkt innerhalb des Immunsystems, nämlich Gegenspieler des TNF␣
zu sein. In der Kinder- und Jugendrheumatologie ist Etanercept (EnbrelR) seit
2000 für die antirheumatische Therapie
der Polyarthritis im Rahmen einer JIA
zugelassen. Für Adalimumab (HumiraR),
wird die Zulassung für Kinder im kom-
Kapitel 2
menden Jahr erwartet (Stand: Frühjahr
2006). Es handelt sich um Medikamente,
die Eiweißmoleküle darstellen und sich
als sehr wirksam vor allem bei den
nichtsystemischen Fällen mit hoher
rheumatischer Entzündungsaktivität erwiesen haben. Bei systemischer JIA
(„Still-Syndrom“) scheinen die TNF␣blockierenden Medikamente weniger
wirksam zu sein. Während wir bei der JIA
mit Polyarthritis für Etanercept mit 7080% Erfolgen rechnen, zeigt sich für die
systemische JIA lediglich eine ca.
30%ige Effektivität. Erfreulicherweise
zeichnen sich hier Alternativen mit Biologika ab, die gegen die Zytokine Interleukin 1 (für Erwachsene als Anakinra,
KineretR, bereits zugelassen) und Interleukin 6 gerichtet sind.
» Werden die Biologika geschluckt oder gespritzt?
Wie bereits erwähnt, haben die TNF␣blockierenden Substanzen eine Eiweißstruktur. Wenn Eiweiße über den Mund
(„oral“) eingenommen werden, so werden sie im Magen und den nachfolgenden Darmabschnitten durch Verdauungsenzyme in ihre Einzelbausteine,
die Aminosäuren, zerlegt. So wären Etanercept, Adalimumab und Infliximab
nicht wirksam, wenn man sie schlucken
würde, vielmehr müssen sie gespritzt
werden, das Etanercept subkutan (d.h.
unter die Haut) ein- bis zweimal pro Woche, das Adalimumab ebenfalls subkutan,
aber nur alle 14 Tage, das Infliximab dagegen als intravenöse Infusion alle 4-6
Wochen. Anakinra muss täglich unter die
Haut („subkutan“) gespritzt werden.
» Welche Unterschiede
zwischen den verschiedenen
TNF␣-blockierenden
Substanzen sollten noch
beachtet werden?
Etanercept (EnbrelR) unterscheidet sich
von den anderen beiden Substanzen
durch einen anderen Wirkungsmechanismus. Ein Etanerceptmolekül besteht
aus jeweils zwei TNF␣-Rezeptoren, wie
sie fast identisch auch in unserem Körper vorkommen; jeweils zwei der TNF␣Rezeptoren sind durch ein Immunglobulinteil miteinander verbunden.
Rezeptoren sind antennenähnliche
Strukturen, mit denen die Zellen Signale
empfangen. So wirkt das für uns lebensnotwendige TNF␣-Molekül dadurch,
dass es auf der Zelloberfläche den TNF␣Rezeptor aufsucht, zu dem es wie ein
Schlüssel in ein Schloss passt. Durch diesen „Schlüssel-Schloss“-Kontakt wird
ein Signal ausgelöst, das dem Zellkern
zu verstehen gibt, dass er mit der Herstellung von Entzündungsmolekülen
beginnen soll. Wird Etanercept und
damit TNF␣-Reptoren gespritzt, so
werden ein Teil der TNF␣-Moleküle, die
sonst an den Oberflächen der Immunzellen Entzündungsreaktionen (s.o.
Schlüssel-Schloss-Kontakt) ausgelöst
hätten, abgefangen, so dass die Entzündungsreaktion ausbleibt oder deutlich
geringer ausfällt.
45
Medikamentöse Therapie
2
Adalimumab (HumiraR) und Infliximab
(RemicadeR), sind monoklonale Antikörper, die gegen TNF␣ gerichtet sind und
dadurch deren Wirkung hemmen.
„Monoklonal“ bedeutet, dass die Antikörper alle aus derselben Zellinie hergestellt wurden und deshalb eine identische Molekül-Struktur aufweisen.
» Welche unerwünschten
Wirkungen sind bei den
Biologika zu beachten?
Wie bei allen Medikamenten können
Überempfindlichkeitsreaktionen,
bei
Etanercept, Adalimumab und Anakinra
vor allem an der Einstichstelle, beim Infliximab (das ja per intravenöser Infusion verabreicht wird) als Allgemeinreaktion, auftreten. Die wichtigste
unerwünschte Wirkung dieser Medikamentengruppe ist die erhöhte Infektionsgefährdung. Vor jeder Behandlung
mit diesen Substanzen muss eine Tuberkulose ausgeschlossen werden. Wichtig
ist, dass aus kleinen Infekten schwere
Infektionen werden können, wenn nicht
sorgfältig beobachtet und gegengesteuert wird. In der Praxis kommt es vor
allem darauf an, dass bei fieberhaften
Infekten die Therapie mit Biologika
unterbrochen oder zumindest vermindert wird. Darüber muss jeweils der behandelnde Arzt entscheiden. Er wird
auch festlegen, ob zusätzlich ein Antibiotikum zu verabreichen ist. Wie auch
bei den Immunsuppressiva dürfen
während der Behandlung mit Biologika
keine Lebendimpfungen durchgeführt
werden. Gelegentlich sind Blutbildveränderungen und Leberenzymerhöhun46
gen zu beobachten, so dass unter einer
Behandlung mit Biologika regelmäßige
Kontrollen des Blutbildes einschließlich
der Blutplättchen und der Leberwerte
erfolgen müssen. Selten treten Autoimmunreaktionen mit Bildung von Autoantikörpern auf. Vereinzelt wurde unter
einer Anti-TNF␣-Therapie über Veränderungen im Sinne einer multiplen Sklerose berichtet. Patienten, in deren Familien
Fälle von multipler Sklerose bekannt
sind, sollten nicht mit diesen Medikamenten behandelt werden. Erst nach
langfristigen Beobachtungen wird zweifelsfrei geklärt werden können, ob
Biologika das Risiko für die Entwicklung
bösartiger Erkrankungen erhöhen. Ausreichende Erfahrungen über die Wirkung der Biologika auf die Schwangerschaft liegen nicht vor, so dass diese
Medikamente nur eingenommen werden dürfen, wenn eine Schwangerschaft
ausgeschlossen ist.
» Cortison - warum wird die
Therapie oft ungern
akzeptiert?
Cortisonpräparate werden bei kindlichrheumatischen Erkrankungen nicht selten zu lange und zu hochdosiert eingesetzt, was einerseits zu erheblichen
unerwünschten Wirkungen und beim
Versuch einer Dosisverminderung zu einem Krankheitsrückfall führt. Dabei ist
eine hochdosierte Langzeittherapie in
der Regel anfangs gar nicht beabsichtigt:
Wer das Leiden kleiner Kinder mit hochaktiver systemischer juveniler idiopathischer Arthritis erlebt hat mit Fieber-
Kapitel 2
schüben, Schüttelfrösten, Kurzatmigkeit,
heftigen Schmerzen und steifen Gelenken, versteht, dass in einer solchen Situation Cortisonpräparate eingesetzt werden, da sie meist verblüffend rasch zum
Verschwinden dieser schweren Symptomatik führen. Wegen der bekannten unerwünschten Wirkungen einer CortisonLangzeittherapie (s.u.) wird von Anfang
an beabsichtigt, die hohe Cortisonanfangsdosis nach spätestens vier bis
sechs Wochen auf eine unproblematische Erhaltungsdosis zu vermindern. Bekanntlich gelingt dies dann aber oft
nicht, da auch bei relativ vorsichtiger
Dosisreduktion die Krankheitssymptome
in aller Heftigkeit bereits bei noch hoher
Gesamtdosis wieder auftreten. Die Cortisondosis muss dann erneut erhöht
werden, nicht selten auf eine noch höhere Tagesdosis als zuvor, damit die
Krankheitssymptomatik erneut kontrolliert werden kann. Im weiteren Verlauf
muss die hohe Cortisontagesdosis dann
oft über eine lange Zeit gegeben werden, damit es nicht erneut zu einem
Krankheitsrückfall kommt. Nunmehr
entwickeln die Kinder die gefürchteten
Cortison-Nebenwirkungen, u.a. Wachstumsstillstand, Gewichtszunahme, Osteoporose etc. (s.u.).
Es kommt also darauf an, in solchen
schweren Erkrankungssituationen, in
denen man ohne Cortisonpräparate
meist nicht auskommt, Wege zu finden,
die nicht „automatisch“ in eine hochdosierte Cortison-Langzeittherapie einmünden. Oft kann dies auch bei Anwendung bestimmter Therapieverfahren
gelingen (s.u.).
Cortison und verwandte Substanzen
sind lebensnotwendige Hormone, die
unser Körper in der Nebennierenrinde
herstellt. Zu den vielfältigen Wirkungen
des Cortison gehören immunsupprimierende und stark antientzündliche
Effekte (Abbildung 1), was die gute
Wirksamkeit dieser Präparate bei entzündlich-rheumatischen Erkrankungen
erklärt. Zu lange Einnahme und zu hohe
Dosis ziehen jedoch zwangsläufig weitere Wirkungen nach sich: Knochenentkalkung (Osteoporose), Übergewicht,
Akne, vermehrte Körperbehaarung,
Bluthochdruck, Muskelschwäche, Infektanfälligkeit, grauer Star, grüner
Star, bei Kindern sind vor allem die
Wachstumsstörungen (Kleinwuchs) gefürchtet.
» Sollte wegen der uner-
wünschten Wirkungen auf
Cortisonpräparate verzichtet
werden?
Cortisonpräparate haben nach wie vor
eine wichtige Rolle in der medikamentösen Rheumatherapie. In bestimmten
Situationen kommen wir nach wie vor
ohne sie nicht aus. Wenn sie gezielt und
problemorientiert eingesetzt werden
und Vorsichtsmaßnahmen beachtet
werden, müssen Cortisonpräparate bei
guter Wirksamkeit keineswegs mit erheblichen unerwünschten Wirkungen
verbunden sein.
47
Medikamentöse Therapie
2
» In welcher Darreichungs-
form können Cortisonpräparate verabreicht werden?
Wir sprechen von „systemischer“ Verabreichung, wenn das Cortisonpräparat
entweder als Tablette über den Mund
(Magen-Darmtrakt) oder als Spritze subkutan unter die Haut, intramuskulär
oder aber intravenös gegeben wird. Eine
Sonderform der intravenösen Therapie
stellt die „Pulstherapie“ dar (s.u.).
Davon abzugrenzen ist die „lokale“ Therapie, bei der nur eine örtlich begrenzte
Anwendung vorgenommen wird. Hierher gehören die Cortisontropfen und salbenbehandlung am Auge sowie die
Injektion direkt in das Gelenk (z.B. LederlonR).
» In welchen Erkrankungssituationen wenden wir
Cortison systemisch an?
Hier kommen vor allem Verläufe in Frage, bei denen eine erhebliche systemische Erkrankungsaktivität behandelt
werden muss, z.B. belastende Fieberschübe mit Schüttelfrost oder eine
erhebliche Herzbeteiligung. Darüber
hinaus können hochentzündliche Krankheitsbilder mit starken Gelenkschwellungen und -schmerzen den Einsatz von
Cortison erforderlich machen, wenn andere Maßnahmen nicht ausreichend
wirksam sind (Tab.4).
Eine seltene Komplikation rheumatischer Erkrankungen im Kindesalter ist
das „Makrophagen aktivierende Syn48
Corticosteroide bei JIA - wann?
Systemisch:
◆ wenn bei systemischer JIA oder
bei schweren polyarthritischen
Verläufen durch nichtsteroidale
Antirheumatika, Basistherapeutika oder Biologika kein ausreichender Effekt
◆ bei schweren Verläufen: z.B. vierwöchentliche intravenöse Pulstherapie als Überbrückungstherapie bis zum Wirkungsbeginn neu
eingesetzter „Basistherapeutika“
anstelle einer kontinuierlichen
Cortisontherapie
◆ bei Makrophagen-aktivierendem
Syndrom (MAS) (s. Text)
◆ in einigen besonderen Situationen
bei rheumatischer Iridozyklitis
– bei zystischem Makulaödem
(s. Text)
– intravenöse Pulstherapie bei
akutem Auftreten von hinteren
Synechien*
– Unterbrechung eines anhaltenden Iridozyklitisschubes durch
die Pulstherapie
– präoperativ
Lokal:
◆ intraartikulär (= in das Gelenk) ◆ als Augentropfen/-salbe bei
Iridozyklitis
* „hintere Synechien“ = Regenbogenhaut-Verklebungen mit der dahinter
liegenden Augenlinse
Tabelle 4
Kapitel 2
drom“ (MAS). Dabei kommt es, wohl
ausgelöst durch Viren oder durch Medikamente (vgl. oben), zu einem schweren
Krankheitsbild mit Verminderung der roten und weißen Blutkörperchen und der
Blutplättchen (Thrombozyten), Leberwerterhöhung und Bewusstseinsstörungen. Hier muss schnellstens u.a. mit Cortisonpräparaten behandelt werden.
Wenn im Rahmen einer chronischen
rheumatischen Iridozyklitis sich an der
Stelle des schärfsten Sehens („Macula
lutea“ = lateinisch „gelber Fleck“) Flüssigkeit eingelagert wird (Ödem) („zystisches Makulaödem“), so besteht die Gefahr einer bleibenden Schädigung mit
Einschränkung des Sehvermögens. In
dieser Situation muss unverzüglich gehandelt und systemisch mit Cortisonpräparaten behandelt werden.
Als Überbrückung bis zum Einsetzen der
Wirkung einer gerade begonnenen
Behandlung mit „Basistherapeutika“
und/oder Immunsuppressiva können wir
die lnfusions-Pulstherapie einsetzen.
Dabei wird Methylprednisolon (UrbasonR) hochdosiert an drei aufeinanderfolgenden Tagen oder mit je einem Tag
Pause in einer Kurzinfusion gegeben. Bei
Bedarf kann der „Cortisonpuls“ nach vier
Wochen wiederholt werden. In unserer
Erfahrung handelt es sich dabei um ein
nebenwirkungsarmes Vorgehen.
» Welche Möglichkeiten
bestehen bei länger
dauernder systemischer
Cortisontherapie, drohende
unerwünschte Wirkungen
gering zu halten?
Eine möglichst niedrige Cortisontagesmenge, die günstigerweise in einer
Morgendosis verabreicht wird, ist vorteilhaft. Wenn es die Erkrankungssituation erlaubt, sollte man nicht mit einer
hohen Cortisondosis beginnen. Stattdessen sollte versucht werden, sofort
mit der angestrebten niedrigen Dosierung auszukommen. Dies wird vor allem
dann gelingen, wenn gleichzeitig mit
einem „Langzeitantirheumatikum“, z.B.
mit Methotrexat, begonnen wird („Cortison-Spareffekt“ der Langzeitantirheumatika). Die Zeit bis zum verzögerten
Wirkungseintritt des Langzeitantirheumatikums (s.o.) kann gegebenenfalls
mit einer Cortison-Pulstherapie überbrückt werden („Überbrückungs-Behandlung“, s.o.). Die täglich verabreichte Menge sollte bei längerfristiger Gabe
nach Möglichkeit deutlich unter 0,2 mg
Prednison/kg Körpergewicht liegen.
Weiter vermindern lassen sich die Häufigkeit und die Ausprägung der unerwünschten Wirkungen, wenn Cortison
nicht täglich gegeben werden muss,
sondern die doppelte Tagesmenge jeden zweiten Tag verabreicht werden
kann mit jeweils einem dazwischen liegenden cortisonfreien Tag. Hier muss
angefügt werden, dass diese nebenwirkungsmindernden Maßnahmen auch
die Wirksamkeit der Cortisontherapie
herabsetzen und deshalb nicht immer
49
Medikamentöse Therapie
2
möglich sind. Individuelle Unterschiede
in der Cortisonempfindlichkeit sind zu
beachten.
Bettruhe bei konsequenter Kühlung und
Krankengymnastik erhöht in unserer Erfahrung die langfristige Erfolgsrate.
» Wann brauchen wir die
» Ist die örtliche Cortison-
Je lokaler sich der Entzündungsprozess
abspielt, desto „lokaler“ soll auch die
Behandlung sein. „Lokal“ (= „örtlich“)
bedeutet in diesem Zusammenhang,
dass das Medikament nicht über den
Mund/Magen-Darmtrakt und auch
nicht über eine intravenöse, subkutane
oder intramuskuläre Spritze verabreicht
wird und im gesamten Organismus
wirkt. Stattdessen wird das Medikament
nur im Bereich eines bestimmten Körperteiles eingesetzt, entweder äußerlich, z.B. als Augentropfen oder Augensalbe, oder über eine Spritze direkt in
das Gelenk („intraartikulär“).
Bei der Behandlung der rheumatischen
Regenbogenhautentzündung (Iridozyklitis) hat sich die systemische Cortisonbehandlung bis auf einige Ausnahmen
nicht bewährt (Tab. 4). Stattdessen
werden Cortison-Augentropfen- bzw. Augensalben angewendet, deren Dosierung augenfachärztlich dem jeweiligen
Befund an der Spaltlampe angepasst
wird.
Leider muss auch bei der lokalen Cortisontherapie mit unerwünschten Wirkungen gerechnet werden (für die bei
systemischer Gabe auftretenden Nebenwirkungen siehe oben). Am Auge können sich ein erhöhter Augeninnendruck
(„grüner Star“) und /oder eine Augenlinsentrübung („grauer Star“) entwickeln. Zudem ist das Auge durch Cortisonaugensalbe und/oder -augentropfen
vermehrt infektionsgefährdet; in der
Praxis sehen wir erfreulicherweise aber
nur selten infektiöse Komplikationen.
örtliche Cortisontherapie?
Bei geschwollenen Gelenken, insbesondere, wenn die krankengymnastische
Behandlung an eine Grenze gestoßen
ist, können oft eindrucksvolle Behandlungserfolge durch Injektion eines speziellen Cortisonpräparates (Triamcinolon-Hexacetonid = LederlonR) in das
Gelenk erzielt werden. Anschließende
50
therapie nebenwirkungsfrei?
Die Infektionsgefährdung stellt auch bei
der Gelenkeinspritzung von Cortison das
Hauptproblem dar, wird jedoch bei fachgerechtem Vorgehen und sterilen Bedingungen nur äußerst selten gesehen. Zu
beachten sind bei LederlonR-Gabe narbenähnliche Hautveränderungen am
Injektionsort durch Schädigung des
Unterhautfettgewebes, womit wir in
3-5% der Fälle rechnen. Sie können sich
aber über die Jahre zurückbilden. Im
Rahmen der LederlonR-Injektion in das
Gelenk sind auch Kalkablagerungen im
Gelenk und lokale Wachstumsstörungen
beobachtet worden.
Kapitel 2
» Wann können die
Medikamente abgesetzt
werden?
Die Faustregel gilt, dass die antirheumatische Therapie je nach Verlauf etwa 3-6
Monate über das Verschwinden der
Krankheitserscheinungen einschließlich
Normalisierung der Labor-Entzündungswerte hinaus geführt werden soll.
Zur Vermeidung von Rückfällen wird
nicht abrupt, sondern vorsichtig schrittweise über Monate abgesetzt. Dabei
wird jeweils immer nur ein Medikament
reduziert, nicht zwei gleichzeitig. Bei einem Krankheitsrückfall wäre sonst unklar, welches der beiden Medikamente
dafür verantwortlich ist. Bleibt das Kind
ohne Medikamente zwei Jahre lang erscheinungsfrei, so spricht man von einer
„Remission“. Man meint damit, dass der
Patient die Erkrankung nunmehr überwunden haben könnte.
» Welche weiteren
Therapiemöglichkeiten sind
zu beachten?
Neben Kombinationen von „Basistherapeutika“ und/oder Immunsuppressiva,
wie sie zunehmend auch in der Kinderrheumatologie eingesetzt werden, sollen
noch die intravenös verabreichten
Immunglobuline und die autologe
Knochenmarkstransplantation erwähnt
werden.
Bei den Kombinationen von zwei oder
sogar mehr „Basistherapeutika“ bzw. Immunsuppressiva erhofft man sich eine
stärkere antirheumatische Wirkung
ohne Mehrauftreten unerwünschter
Wirkungen. In der Praxis hat sich dies
oft bestätigt. Entsprechende kontrollierte Medikamentenstudien, wie sie für die
Erwachsenenrheumatologie vorliegen,
wurden bei Kindern jedoch bislang nicht
durchgeführt.
Die Immunglobuline werden etwa alle
vier Wochen in einer Infusion verabreicht. Die Wirkung lässt sich - ähnlich
wie bei den „Basistherapeutika“ - erst
nach mehreren Monaten abschätzen.
Überzeugende Wirkungsnachweise liegen für die JIA bislang nicht vor. Als
Nebenwirkungen sind u.a. akute Unverträglichkeitsreaktionen bekannt. Bei den
Immunglobulinen handelt es um Eiweiße, die aus Blutplasma von Blutspendern
gewonnen werden. Insofern besteht
eine gewisse Gefährdung für eine Übertragung von Infektionen, insbesondere
von Virusinfektionen. Durch die technische Bearbeitung der Präparate vor ihrer
Verwendung ist diese Gefahr nach heutiger Kenntnis allerdings sehr gering.
Grundlage der „autologen Knochenmarkstransplantation“ ist die Überlegung, dass bei der Entstehung der
rheumatischen Entzündung das Immunsystem mit seinen Zellen eine wesentliche Rolle spielt (Abb. 1). Das Knochenmark ist die Bildungsstätte der
verschiedenen Blutzellen (rote und weiße Blutkörperchen, Blutplättchen). Bei
der autologen Knochenmarkstransplantation als Behandlung rheumatischer
Erkrankungen wird das vorhandene
Knochenmark durch Medikamente zerstört und anschließend aus den vorher
51
Medikamentöse Therapie
2
aus dem eigenen Blut gesammelten
Knochenmarksstammzellen ein neues
Knochenmark aufgebaut. Dadurch erhofft man sich auch die Beseitigung der
für die rheumatische Grunderkrankung
verantwortlichen Immunzellen und damit quasi eine Heilung von der rheumatischen Erkrankung. Es handelt sich um
eine Behandlung, die wegen der Gefährdung der Patienten nur in Frage
kommt, wenn alle anderen therapeutischen Möglichkeiten ausgeschöpft
sind.
» Medikamentöse Therapie Zusammenfassung
Bislang gibt es noch keine ursächliche
Behandlung für die JIA. Jedoch verfügen
wir über eine große Auswahl wirksamer
Medikamente, die - eingebettet in den
Gesamtbehandlungsplan (x spezifische
Krankengymnastik, Ergotherapie, Hilfsmittelversorgung u.a.) - für weitaus die
meisten Kinder einen Behandlungserfolg bringen können. Die Medikamente
sollten allerdings individuell und vor allem fachgerecht durch einen erfahrenen
Kinderrheumatologen eingesetzt werden. Gerade bei der für die meisten
Kinder guten Langzeitprognose sollte
sichergestellt sein, dass das Nebenwirkungsrisiko durch die medikamentöse
Therapie geringer ist als das der Erkrankung selbst.
52
» Anhang
Komplementäre Therapie
Pflanzliche Medikamente
Eine Vielzahl pflanzlicher Medikamente
(= Phytotherapeutika) wird bei rheumatischen Beschwerden eingesetzt. Untersuchungen liegen für Erwachsene vor,
bei rheumakranken Kindern wurde die
Wirkung bislang wissenschaftlich nicht
überprüft. Pflanzliche Medikamente
können ergänzend zur übrigen Therapie
eingesetzt werden. Dies sollte jedoch
grundsätzlich mit dem behandelnden
Kinderrheumatologen
abgesprochen
werden. Auf jeden Fall darf eine laufende antirheumatische Therapie nicht
ohne Rücksprache mit dem Kinderrheumatologen zugunsten von Phytotherapeutika abgesetzt werden. Die antirheumatisch eingesetzten pflanzlichen
Präparate sind im allgemeinen schwächer wirksam als die herkömmlichen
Antirheumatika, so daß sie am ehesten
als ergänzende Therapie verwendet werden können. Es sollte immer darauf geachtet werden, dass die pflanzlichen
Arzneien oder auch Homöopathika keinen hohen Alkoholgehalt haben, insbesondere unter gleichzeitiger Therapie
mit Methotrexat.
Die Weidenrinde ist ein seit Jahrhunderten verwendetes pflanzliches Heilmittel
und war der Ausgangsstoff bei der Entwicklung der Acetylsalicylsäure und somit der nichtsteroidalen Antirheumatika
(NSAR). Die Wirkung ist der der NSAR
vergleichbar, aber schwächer. Auch die
Nebenwirkungen sind geringer ausge-
Kapitel 2
prägt. In Einzelfällen können Weidenrindenpräparate, die ab 12 Jahren zugelassen sind, Alternativen zu NSAR sein.
Die Brennessel ist eine Pflanze aus der
westlichen Volksmedizin. Bei Arthritis
und bei Arthrose konnte eine Wirkung
mit Reduktion von NSAR bei Erwachsenen nachgewiesen werden. Fertigpräparate sind für Kinder ab 12 Jahren
zugelassen, ausserdem gibt es Frischpflanzenpresssäfte, die für Kinder jeden
Alters zur Verfügung stehen.
Die Teufelskralle wird in der afrikanischen Volksmedizin seit Jahrhunderten
eingesetzt und scheint eher bei Arthrosen als bei entzündlichen Gelenkerkrankungen verwendbar zu sein. Eine Wirkung tritt erst nach ca. zwei Wochen ein.
Eine Zulassung besteht ab 12 Jahren bei
den verfügbaren Fertigpräparaten.
Weihrauchpräparate kommen aus der
indischen Volksmedizin. Die Hauptinhaltsstoffe sind die Boswelliasäuren.
Traditionell wird der Weihrauch bei Arthritis und entzündlichen Darmerkrankungen eingesetzt. Ein Wirknachweis
konnte in den bislang durchgeführten
Studien nicht erbracht werden. In
Deutschland gibt es kein zugelassenes
Fertigpräparat; der Bezug kann über die
internationale Apotheke erfolgen.
Weitere pflanzliche Medikamente, die
erprobt werden, sind Krallendorn, Gujakholz und die neuseeländische Grünlippmuschel.
Verschiedene chinesische Kräutermischungen sind im Einsatz, wobei hier
immer eine Unsicherheit über die Reinheit und Verträglichkeit der Inhaltsstoffe besteht.
»
Vorsicht bei Präparaten unbekannter Hersteller, vor allem
wenn die Inhaltsstoffe nicht angegeben sind oder wenn die
Präparate besonders teuer sind:
Wie immer wieder aufgedeckt
wird, besteht bei solchen Präparaten stets die Gefahr, daß den
„komplementären Präparaten“
nicht deklarierte Zusätze wie
Cortison oder sonstige, u.U. gesundheitsschädliche Stoffe hinzugefügt werden.
Weitere komplementäre
Therapien:
Viele andere komplementäre Therapien
werden Rheumapatienten angeboten.
Akupunktur kann Erfolge bei der
Schmerzstillung bringen. Auch die Anwendung von Homöopathie kann ergänzend versucht werden, wenn auch
bislang keine fundierten Untersuchungen vorliegen, die einen Therapieerfolg
wissenschaftlich belegen könnten.
» Allen „komplementären
Therapien“ ist gemein:
◆ Sie sollten mit dem Kinderrheumatologen besprochen werden.
◆ Es sollte keinesfalls die „schulmedizinische“ Basistherapie plötzlich und
ohne Rücksprache mit dem Kinderrheumatologen abgebrochen werden,
auch wenn dies von manchem „alternativen Therapeuten“ empfohlen
wird, da die Gefahr eines starken
Krankheitsschubes besteht.
53
Medikamentöse Therapie
2
Weitere Therapeutika und Behandlungsverfahren, die zur
Behandlung der juvenilen idiopathischen Arthritis eingesetzt
wurden, deren Wirksamkeit jedoch nicht bewiesen ist.
Therapeutikum
Verfahren
Bemerkungen
◆ Thymus
Bis auf Einzelfallberichte liegt bislang kein überzeugender Wirksamkeitsnachweis vor. Allergische Reaktionen, auch Übertragung von Infektionen (bei
unmittelbarer Gewinnung aus frisch geschlachteten
Kälbern) sind nicht sicher auszuschließen.
◆ Bach-Blüten
Bei der Bach-Blütentherapie (F. Bach, walisischer
Arzt, 1886-1936) wird versucht, über die Beeinflussung seelischer Zustände mittels Extrakten aus 38
verschiedenen Blüten auch organische Grundkrankheiten zu behandeln. Kinder mit JIA werden mit diesem Verfahren gelegentlich behandelt.
◆ Anthroposophische
Medizin
Es sollen die Selbstheilungskräfte des Organismus
aktiviert werden. Zum Einsatz kommen mineralische,
pflanzliche und tierische Substanzen nach deren
spezieller Bearbeitung, zusätzlich auch „künstlerische“ Therapien (Malen, Plastizieren, Musiktherapie)
und Heileurhythmie. Unterstützend kommt die anthroposophische Ernährung hinzu – laktovegetabile
Kost mit einheimischen, saisonalen, naturbelassenen
Produkten aus biologisch-dynamischer Landwirtschaft. Wo für erforderlich gehalten, werden
auch „schulmedizinische“ Behandlungsstrategien
eingesetzt. Diese Behandlungsprinzipien können
sich im Sinne einer komplementären „Ordnungstherapie“ positiv auf die Gesamtsituation der betroffenen Kinder auswirken. Auf die spezifische antirheumatische mehrdimensionale Behandlung darf
allerdings nicht verzichtet werden. Die Durchführung einer anthroposophisch ausgerichteten Therapie ist an eine spezielle Ausbildung des behandelnden Arztes gebunden.
54
Kapitel 2
◆ Bioresonanztherapie, Diagnose- und Therapieprinzip mit verschiedenen
biophysikalische
Varianten, das auf der wissenschaftlich nicht funInformationstherapie dierten Vorstellung beruht, dass Krankheiten durch
Störungen der körpereigenen elektromagnetischen
Schwingungen entstehen. Spezielle Geräte für
Diagnostik und Therapie wurden entwickelt. Zwar
ist von Unwirksamkeit auszugehen, doch muss wohl
auch nicht mit unerwünschten Wirkungen gerechnet werden.
◆ Geopathie
Wissenschaftlich nicht untermauerte Vorstellung,
nach der geologische Formationen wie Wasseradern, die mittels Wünschelrute lokalisiert werden,
oder so genannte Erdstrahlen sich gesundheitsschädlich auswirken.
◆ Nosoden,
Autovakzine
Bei der Nosoden-Therapie werden in verschiedenen
Variationen Arzneimittel u.a. aus körpereigenen
Substanzen hergestellt. Hier bestehen Überschneidungen zur Eigenblut- und Eigenurintherapie. Nach
unserer Kenntnis werden solche Verfahren einschließlich der Eigenurintherapie von einigen naturheilkundlich ausgerichteten Ärzten und Heilpraktikern gelegentlich bei Kindern mit JIA
angewendet. Aus kinderrheumatologischer Sicht
liegen jedoch keine überzeugenden Nachweise für
eine antirheumatische Wirksamkeit vor. Bei parenteraler Verabreichung (intramuskulär, subkutan)
muss bei der SJIA, bei Kollagenosen oder systemischen Vaskulitiden mit unerwünschten Wirkungen
wie Schubauslösung gerechnet werden; von diesen
Therapien ist deshalb abzuraten.
◆ Eigenblutbehandlung „Reizbehandlung“ für das Immunsystem, die die
Selbstheilkräfte aktivieren soll. Keine Erfahrungen
bei rheumatischen Erkrankungen im Kindesalter.
Entnommenes Venenblut wird, eventuell nach spezieller Aufbereitung, intra- oder subkutan oder
intramuskulär gespritzt. Für das Kleinkindalter und
55
Medikamentöse Therapie
2
insbesondere bei systemischer juveniler idiopathischer Arthritis wegen nicht vorhersehbarer Reaktion ungeeignet und deshalb kontraindiziert.
◆ Tragen von
Kupferringen
Aus der Erfahrungsmedizin stammende Vorstellung,
nach der vom Metall Kupfer antirheumatische Wirkungen ausgehen. Der Wunsch, solche Ringe zu tragen, sollte wegen offenbar fehlender unerwünschter Wirkungen akzeptiert werden, auch wenn aus
heutiger wissenschaftlich-medizinischer Sicht die
dahinter stehende Idee nicht haltbar ist.
◆ Akupunktur
Zur Ergänzung der Schmerztherapie; im Kleinkindalter allenfalls als Laser-Akupunktur oder Akupressur.
56
Kapitel 3
Operative Therapie
Dr. Martin Arbogast
»
»
Indikation ..................................................................................... 58
Operative Verfahren .................................................................... 58
57
Operative Therapie
» Indikation
3
Schwerpunkte der operativen Therapie
bei rheumatischen Erkrankungen im
Kindes- und Jugendalter sind mon- oder
oligoartikuläre Verlaufsformen, die über
eine konservative Therapie nur inkomplette oder fehlende Rückbildung der
krankhaft veränderten Befunde aufzeigen, sowie polyartikuläre Verläufe mit
Verschlimmerungstendenz von Fehlstellungen bei schon zerstörten Anteilen der
Gelenke des Bewegungsapparates. Die
im Unterschied zur Erwachsenenrheumatologie oft erhebliche Diskrepanz von
klinischer Symptomatik und subjektiven
Schmerzangaben der Kinder und Jugendlichen setzt nach sorgfältiger
Diagnostik eine engmaschige Verlaufskontrolle voraus, um operativ relevante
Befunde rechtzeitig einer Therapie zuzuführen.
» Operative Verfahren
Synovialektomie ( Entfernung
der entzündeten Gelenkinnenhaut bzw. der Gleitschichten
der Sehnen )
Schwellungen von Gelenken, Schleimbeuteln und an den Sehnen, die über
eine lokale oder medikamentöse Therapien innerhalb von 6-12 Monaten keine
ausreichende Rückbildung zeigen und
mit einer zunehmenden Fehlstellung
und einem Funktionsverlust einhergehen, eignen sich bei radiologisch noch
erhaltenen Gelenkkonturen operativ behandelt zu werden. Über die Entfernung
der Gelenkinnenhaut oder der Gleit58
schichten der Sehnen kann eine dauerhafte Schmerzbeeinflussung verbunden
mit reduzierter Schwellneigung und einer Funktionsverbesserung der betroffenen Extremitätenabschnitte erreicht
werden. Außerdem wird über die Entfernung des entzündlich veränderten Gewebes die Zerstörungstendenz an Gelenken und Sehnen günstig beeinflusst.
Durch schonende Operationstechniken
über minimalinvasive Verfahren in Regionalanästhesie ist die Traumatisierung
gering, eine postoperative Schmerztherapie kann mit kontinuierlichen Kathetertechniken angeschlossen werden. Dies
ermöglicht eine rasche Mobilisation und
Rehabilitation der Betroffenen. Schulter-, Knie- und Sprunggelenke werden
durch eine Gelenkspiegelung sehr
effektiv vom krankhaft veränderten Gewebe befreit. Eine dauerhafte Reduktion
von Belastungs- und Bewegungsschmerzen sowie der Schwellneigung
darf erwartet werden. Auch in Spätstadien ist noch eine Reduzierung der
Schmerzen verbunden mit einer verbesserten Funktion zu erzielen. Minimal
invasive Verfahren an Ellenbogen-,
Hand- oder Hüftgelenken gelten gegenüber der offenen Entfernung der
Schleimhaut noch nicht als Standardtherapie.
Die offene Synovialektomie im Larsenstadium I und II ( Röntgenfrühveränderungen ) am Ellenbogen lässt eine gute
Schmerzlinderung und damit Verbesserung der Alltagstauglichkeit erwarten.
Auch in den Spätstadien kann mit einer
ergänzenden
Radiuskopfentfernung
eine Funktionsbesserung erreicht werden, allerdings erst nach Schluss der
Kapitel 3
Wachtumsfugen. Am Hüftgelenk sind
insbesondere eine zunehmende Fehlstellung und Fehlfunktion bei radiologisch weitgehend erhaltener Gelenkkontur eine ideale Indikation, wenn über
die konservativen Maßnahmen einschließlich Punktion und Kortikoid-Instillation in das Gelenk keine Besserung
erreichbar ist.
Stärker als beim Erwachsenen ist bei der
reinen offenen Hand- und Fingergrundgelenkssynovialektomie mit postoperativen Verklebungen und einer wenig
elastischen Kapselnarbe zu rechnen,
weswegen nur in besonderen Fällen eine
Indikation zur Operation besteht. Die
Tenosynovialektomie (Entfernung der
entzündeten Gleitschichten) im Karpalkanal (beugeseitiges Handgelenk) und in
der Hohlhand ist im Vergleich zur Strekkseite erfolgversprechender. Insbesondere dann, wenn eine Nervenkompression vorliegt.
Nicht so selten sind Entzündungen der
Sprunggelenke einschließlich Mitbeteiligung der Sehnen. Neben der arthroskopischen Behandlung des oberen Sprunggelenkes (Gelenkspiegelung), können
offene Sehnen- oder Gelenkeingriffe in
gleicher Sitzung durchgeführt werden.
Eine Normalisierung des Abrollvorganges ist Zielsetzung dieser Behandlung.
Abb. 1a: Hohlhandsynovialitis mit Streckdefizit
Abb. 1b: intraop nach Präparation des
Synovialgewebes
Abb. 1c: intraop Prüfung der Sehnengleitfunktion
und Inspektion der Sehnengleitbahn
Abb. 1d: 4 Tage postop komplette Streckung
59
Operative Therapie
Nervenkompression
3
Nerven, die in enger Nachbarschaft von
Gelenken und Sehnenscheiden verlaufen, können durch vermehrte Flüssigkeitbildung oder das verdickte Synovialgewebe eingeengt werden. Über eine
Messung der Nervenleitgeschwindigkeiten ( Nervenfunktion ) wird die Operationsindikation überprüft.
Am häufigsten ist der Mittelnerv am
beugeseitigen Handgelenk mit Schmerzen und Kribbelgefühl in den Fingerspitzen betroffen. Durch Spaltung des beugeseitigen Bandes über den Sehnen und
einer Entfernung der Gleitschichten der
Beugesehnen wird der Nerv entlastet.
Am Ellenbogen kann der Ellennerv in der
Nervenrinne durch Schwellung oder
Deformierung des Knochens betroffen
sein. Die frühzeitige Entlastung des
Nerven gegebenenfalls mit Nervenverlagerung und die Synovialektomie der angrenzenden Sehnen und Gelenke beheben die neurologische Störung.
Sehnenverlängerung,
-verkürzung , -verlagerung
Stark bewegungseingeschränkte Gelenke insbesondere an der unteren Extremität, die über eine krankengymnastische Übungstherapie ungenügend
beeinflussbar bleiben, können über Sehnen- und Gelenkumformende Eingriffe
in eine günstigere Position gebracht
werden. Funktionsbeeinträchtigungen
und Schmerzen auch angrenzender
Gelenkabschnitte werden gebessert und
kontrakturbedingte
Fehlbelastungen
können ausgeglichen werden. Dies gilt
60
am häufigsten für Anspreiz- und Beugefehlstellung der Hüften und Beugefehlstellung der Kniegelenke.
Extreme Fehlstellungen sind über eine
schrittweise Korrektur mittels äußerem
Gelenkspanner korrigierbar. Der Behandlungsaufwand ist jedoch sehr groß, weswegen die Indikation zuvor sorgfältig
mit allen Beteiligten abgesprochen werden sollte.
Korrekturosteotomie
(Umstellung der Knochen)
Korrekturosteotomien sollten bei noch
offenen Wachstumsfugen nur bei extremen Fehlstellungen indiziert werden.
Die natürliche Korrektur in Abhängigkeit der Entzündungsaktivität in einem
Gelenkabschnitt lässt sich leider nicht
exakt berechnen.
Bei rasch zunehmenden Fehlstellungen
der Beinachse können eine Umstellung
des Oberschenkels geplant werden. Dabei müssen Gelenkersatzoperationen zu
einem späteren Zeitpunkt bereits in eine
Planung miteinbezogen werden.
Vorübergehend hilfreich können auch
Umstellungen des ersten Mittelfußstrahles sein, um das Fehlwachstum der
übrigen Zehen günstig zu beeinflussen.
Bei isolierten Knochenverkürzungen
nach entzündlich bedingtem Wachstumsverlust, können Verlängerungen
der Knochen mittels äußerem Gelenkspanner den Längenverlust ausgleichen.
Kapitel 3
Resektionsarthroplastik
(Neuformung eines Gelenkes )
In seltenen Fällen kann nach Schluss der
Wachstumsfugen beim Jugendlichen
eine schmerzbedingte Zerstörung der
Zehengrundgelenke bestehen. Wenn
Einlagen- und Schuhversorgung die Beschwerden nur inkomplett reduzieren,
kann die Neuformung am Großzehengrundgelenk hilfreich sein. Ähnlich wie
beim Erwachsenen wird sie in der Technik nach Hueter-Mayo durchgeführt,
um einer späteren Erweiterung der
Vorfußkorrektur in der Technik nach
Hoffmann-Tillmann (Mittelfußkopfentfernung) zur Behandlung des gesamten
Vorfußes nicht im Wege zu stehen. Eine
Vorfußbettende Einlage ist in jedem Fall
erforderlich.
Neuformung eines Gelenkes der oberen
Extremitäten ist eher im Erwachsenenalter indiziert.
Alloarthroplastischer Gelenkersatz (Künstliches Gelenk)
Sind die Wachstumsfugen geschlossen
und besteht klinisch ein schwer zu behandelndes Schmerzbild in einem Gelenkabschnitt, der eine weitgehende
Zerstörung aufweist, so lässt sich auch
im jugendlichen Alter der endoprothetische Gelenkersatz kaum umgehen. Dies
betrifft hauptsächlich Knie- und Hüftgelenk. Dabei muss ein vernünftiger
Kompromiss zwischen sparsamer Knochenentfernung und Stabilität der Endoprothese geschlossen werden. Ob zementiert oder zementfrei hängt von der
Qualität des Knochens ab und sollte
auch im Hinblick auf später zu erwartende Wechseloperationen entschieden
werden.
Wegen der oft schweren Verformung
der gelenkbildenden Partner durch die
entzündlichen Veränderungen und des
Wachstumsdefizits sind im Einzelfall Individualendoprothesen den Standardendoprothesen vorzuziehen.
Arthrodesen ( Versteifungen )
Nach Abschluss der Wachstumsfugen
können Versteifungen eine sinnvolle
operative Ergänzung des Gesamtkonzeptes bei einem Jugendlichen sein. Stabilisierend und schmerzlindernd sind
Daumengrund- und Fingermittelgelenksversteifungen. Insbesondere der
Spitz-, Schlüssel- und Zylindergriff ist
mit einer Stabilisierung des Daumengrundgelenkes verbesserungsfähig. Die
Destruktion und Fehlstellung der Handwurzel kann über eine Teil- oder Komplettversteifung nicht nur einen Kraftzuwachs erfahren, sondern über eine
Korrektur der Stellung wird auch einem
Strecksehnenriss entgegengewirkt. Dabei kann der Ellenkopf wie beim Erwachsenen teil- oder ganz entfernt werden,
um eine schmerzarme Unterarmumwendbewegung zu erreichen.
Chronische Schmerzen an Sprung- und
Mittelfußgelenken bei weitgehend verbrauchtem Knorpelüberzug können über
eine Versteifung reduziert werden. Allerdings muss für eine adäquate Schuhund Einlagenverordnung Sorge getragen
werden.
61
Operative Therapie
»
3
Nachbehandlung
Eine rheumaorthopädische Maßnahme
im Kindes- oder Jugendalter sollte ohne
eine adäquate Physiotherapie im Anschluss nicht geplant werden. Nur wenn
eine oft mehrfach tägliche Nachbehandlung gewährleistet werden kann,
ist ein optimales Operationsergebnis zu
erwarten. In Ergänzung zur Physiotherapie komplettieren physikalische und ergotherapeutische Maßnahmen das zu
gewährleistende Behandlungsspektrum.
Die Kompliance bei Kindern unter 6 Jahren ist gering und erst zwischen 7 und
10 Jahren individuell gegeben, deshalb
muss bei einem geplanten Eingriff die
Kooperationsfähigkeit der Betroffenen
mitberücksichtigt werden. Nur bei zu erwartender Kooperation zur notwendigen Nachbehandlung sind Elektiveingriffe sinnvoll, dies beinhaltet auch die
Geduld der Eltern.
62
Kapitel 4
KRANKENGYMNASTIK
M. Spamer
»
»
»
»
»
»
»
»
»
»
»
Wie enstehen Gelenkfehlstellungen? ......................................... 64
Wie erkenne ich ein entzündetes Gelenk? ................................ 65
Wie erkenne ich Bewegungseinschränkungen rechtzeitig? ..... 66
Wie sehen die häufigsten Schon- bzw. Fehlhaltungen aus? ... 68
Wann ist eine krankengymnastische Behandlung notwendig? 71
Was gilt es bei der krankengymnastischen Behandlung
zu beachten? ................................................................................ 72
Was sind die Schwerpunkte der krankengymnastischen
Behandlung? ................................................................................ 73
Was sollte bei der krankengymnastischen Behandlung
vermieden werden? ..................................................................... 75
Warum sollen betroffene Gelenke wenig belastet werden? .... 76
Was kann ich zu Hause selbständig üben? ............................... 78
Welche Hilfsmittel gibt es, wann sind sie notwendig? ............ 80
63
Krankengymnastik
» Wie entstehen Gelenkfehlstellungen?
4
Eine Gelenkentzündung (Arthritis) äußert
sich durch Schwellung und Schmerzen.
Bei Kindern und Jugendlichen sind vor allem die Schmerzen verantwortlich für die
Entstehung von Gelenkfehlstellungen.
Vor allem kleine Kinder klagen oft nicht
bewusst über Schmerzen. Stattdessen
nimmt das Gelenk unbewusst eine Stellung ein, in der es weniger weh tut. Wir
sprechen von einer schmerzentlastenden Schonhaltung.
Was passiert?
Die Spannung der einzelnen Muskeln
verändert sich. Die Muskeln, die das Gelenk in eine Position ziehen, die weniger
schmerzt (Schonhaltung), spannen
ständig an. Ihre Gegenspieler erschlaffen und werden schwächer.
In dieser Schonhaltung können sich die
Kinder im Alltag oft noch erstaunlich
gut bewegen.
Was fällt auf?
Der Bewegungsablauf verändert sich. Je
nachdem, welche Gelenke befallen sind,
hinken die Kinder, ziehen beim Treppensteigen ein Bein nach, greifen anders,
verändern die Bewegungsabläufe beim
An- und Ausziehen oder vermeiden das
Abstützen mit der Handfläche.
Oft weichen die Kinder zur Schmerzentlastung so geschickt aus, dass es im
normalen Alltag kaum auffällt. Dies geschieht jedoch unbewusst. Mit Ermahnungen, wie: „Lauf anständig!“ oder
„Halt dich gerade!“ können die Kinder
64
nichts anfangen. Was ist richtig? Was ist
gerade? Sie erleben ihre Schonhaltung
als das „Normale“.
Durch die andauernde Fehlbelastung
im Alltag wird das falsche Bewegungsmuster immer mehr gefestigt.
Kommt die Gelenkentzündung mit den
entsprechenden Schonhaltungen über
längere Zeit nicht zur Ruhe können sich
die Gelenke strukturell verändern, das
heißt, die gespannten Muskeln, Bänder
und anderen Weichteile verkürzen. Das
Gelenk kann nicht mehr die normale
Stellung einehmen. Es hat sich eine
Kontraktur entwickelt.
Die Gefahr von Gelenkzerstörungen,
die bereits durch die Entzündung gegeben ist, wird durch eine andauernde
Fehlbelastung noch verstärkt. Die Gelenkschäden ihrerseits führen aber wieder zu einer Zunahme der Schmerzen
und verstärken damit die Schmerzschonhaltung. Die Entwicklung von Gelenkfehlstellungen entwickelt sich also
in einem Teufelskreis, der mit einer oft
harmlos anmutenden schmerzentlastenden Schonhaltung beginnt und in einer schweren Deformität und Behinderung enden kann (Abb.1).
Je früher der Teufelskreis durch eine gezielte Therapie unterbrochen wird, desto
besser sind die Aussichten nach Abklingen der Arthritis wieder die normale Beweglichkeit zu erhalten.
Wichtig ist also, dass wir die Entwicklung
von Fehlstellungen bereits zu Beginn erkennen und behandeln. Sind bereits Fehlstellungen eingetreten, ist die Therapie
wesentlich aufwändiger und langwieri-
Kapitel 4
Gelenkentzündung
Schmerzen
Gelenk-deformitäten,
-zerstörungen
Schmerzschonhaltung
Andauernde Fehlbelastung
im Alltag
Abb.1 Teufelskreis
ger. Nicht immer gelingt es dann, wieder
eine normale Funktion zu erreichen.
Neben den direkt betroffenen Gelenken
können auch benachbarte, nicht erkrankte Gelenke in den Teufelskreis mit
einbezogen werden. Durch die Schonhaltung im entzündeten Gelenk werden
sie oft falsch belastet oder in Ausgleichsbewegungen einbezogen. Auf
lange Sicht können an den zunächst gesunden Gelenken ebenfalls Veränderungen und Fehlstellungen entstehen.
» Wie erkenne ich ein
entzündetes Gelenk?
Schwellungen im Bereich der Gelenke
sind besonders dann einfach zu erkennen, wenn das Gelenk direkt unter der
Haut liegt, z.B. im Bereich von Hand-,
Finger-, Knie- oder Sprunggelenken. Die
kleinen Hautfalten, die normalerweise
über diesen Gelenken liegen, erscheinen
durch Schwellungen weniger und abgeflachter. Über Schulter- und Hüftgelenk
liegt eine dicke Muskelschicht. Daher
sind Gelenkschwellungen in diesen Bereichen schwer zu erkennen (meist nur
durch Ultraschalluntersuchung).
Überwärmung: Das Erfassen von erhöhter Hauttemperatur ist gut im Seitenvergleich möglich. Die Mutter kann
dabei ihre beiden Hände gleichzeitig auf
das re. und li. Kniegelenk legen und anschließend von dort aus die Haut von
oben nach unten abtasten. Die Hauttemperatur ist überall gleich, sofern das
Gelenk nicht entzündet ist.
Neben Schwellungen oder evtl. Temperaturerhöhung am Gelenk sind vor allem
Schonhaltungen und Bewegungseinschränkungen Hinweise auf ein betroffenes Gelenk.
Schonhaltungen und
Ausweichbewegungen:
◆ Ausweichen, wenn das Kind z.B. fester an die Hand genommen oder
hochgehoben wird.
◆ Das Kind läuft ungern, es will viel getragen werden.
◆ Verändertes, ungewohntes Gangbild
(humpeln, hinken usw.)
◆ Veränderter Gebrauch der Hände, z.B.
beim Abstützen, wenig Kraft beim
Greifen
◆ Schwierigkeiten beim An- und Ausziehen
◆ Mehrfach nächtliches Aufwachen,
bedingt durch Schmerzen beim Umdrehen.
65
Krankengymnastik
» Wie können Bewegungs-
einschränkungen rechtzeitig
erkannt werden?
4
Eltern und Jugendliche können selbständig die freie Beweglichkeit aller Gelenke überprüfen. In manchen Gelenken
entwickeln sich Bewegungseinschränkungen unbemerkt. Dies gilt besonders
für Kinder, die kaum über ihre Gelenke
reden oder über Schmerzen klagen.
An gleichaltrigen Freunden oder Geschwistern können Eltern sehr gut vergleichen, wie weit ein Gelenk beweglich
sein muss. Ein Gelenk, das nicht betroffen ist, kann immer frei bewegt werden.
Jedes Gelenk entwickelt typische Bewegungseinschränkungen. Die entsprechenden Untersuchungen sind im
Folgenden als Schnelltests näher beschrieben.
Die Bewegungen sollen ohne Ausweichbewegung so weit ausgeführt
werden, wie dies ohne Schmerzen gelingt. Im Zweifelsfall sollten Sie beim
Arzt oder beim Physiotherapeuten Rat
suchen, die Ihnen sicherlich behilflich
sein können.
Schnelltests
Halswirbelsäule
Im Sitzen zur Decke hochschauen: Das
Gesicht sollte fast parallel zur Decke
sein. Die Schultern bleiben unten und
werden nicht mit hochgezogen (Abb.2).
Seitliches Drehen des Kopfes sollte zu
beiden Seiten gleichmäßig möglich sein.
Der Oberkörper bleibt dabei ruhig.
66
Kiefergelenke
Mund öffnen: Es sollten die ersten drei
Finger des Kindes hochkant locker zwischen die Zahnreihen passen. Das Öffnen
des Mundes muss ebenso wie das Kauen
ohne Schmerzen möglich sein (Abb.3).
Schultergelenk
Arme heben: Beide Oberarme des Kindes sollten leicht bis hinter die Ohren
kommen. Der Kopf darf sich nicht nach
vorne neigen ( Abb.4).
Ellbogen
Ellbogen strecken: Sie sollten ganz gerade, meistens leicht überstreckbar sein.
Seitenunterschiede müssen beachtet
werden (Abb.5).
Ellenbogen beugen: Beide Hände erreichen seitengleich die jeweilige Schulter.
Handgelenke und Fingergelenke
Hand hochziehen: Stern: Bei aufliegendem Unterarm beide Hände kräftig
hochziehen. Die Finger dabei strecken
und spreizen. Der Daumen soll im rechten Winkel, wie bei einem „L“ abgespreizt
werden; d.h. die Kinder machen einen
Stern mit der Hand, Mittelfinger und
Unterarm sollen eine Linie bilden (Abb. 6).
Finger beugen = kleine Faust: Alle Finger
sollen gleichmäßig angebeugt werden.
Die Fingergrundgelenke müssen dabei
gestreckt bleiben (Abb.7).
Hüftgelenke
Hüftbeugung: Im Liegen auf dem Teppich zieht das Kind mit beiden Händen
ein Knie bis auf den Bauch. Rücken und
Kopf und anderes Bein bleiben dabei auf
dem Boden liegen. Gleichzeitig wird die
Kapitel 4
Abbildung 2a
Abbildung 2b
Abbildung 3a
Abbildung 3b
Abbildung 4a links
Abbildung 4b rechts
67
Krankengymnastik
Hüftstreckung auf der anderen Seite geprüft (Abb.8).
4
Kniegelenke
Kniestreckung: Im Sitzen auf dem Teppich soll die Kniekehle auf den Boden gedrückt werden, so dass sich die Ferse
gleichzeitig anhebt. Beim Kleinkind kann
man ein dünnes Stofftier o.ä. auf den
Boden legen, das es mit der Kniekehle
festhalten soll. Die Ferse geht dann von
ganz alleine hoch. Falsch ist es, wenn das
ganze Bein abgehoben wird (Abb.9).
Kniebeugung: Mit beiden Händen wird
die Ferse zum Gesäß gezogen. Ist die Bewegung bis zum Gesäß möglich? Sind
Seitenunterschiede zu erkennen?
Füße
Füße nach unten strecken: Die Schienbeinkante und der Fußrücken sollen eine
Linie bilden. Gleichzeitig wird darauf geachtet, dass sich die Ferse nach oben bewegt und viele Falten zwischen Ferse
und Wade entstehen (Abb.10).
Zehenstand: Beim Stehen auf Zehenspitzen muss der Großzehenballen auf
den Boden gedrückt werden können. Die
Fersen sollen gleich hoch kommen.
Gangbild
Betroffene Gelenke fallen oft als Erstes
unter Belastung beim Gehen auf.
Auf folgende Dinge sollte dabei geachtet werden:
- Ist es dem Kind möglich, zuerst die
Ferse aufzusetzen und dann über den
Großzehenballen abzurollen?
- Kann das Kind mit Hilfe auf einer Linie
gehen und dabei die Füße gleichmäßig
voreinander aufsetzen?
68
- Werden beide Füße gleich lang belastet?
- Können beide Knie beim Gehen gleichmäßig gebeugt und gestreckt werden?
- Kann das Kind auf Zehenspitzen gehen?
- Sind die ersten Schritte am Morgen
flüssig, ohne zu hinken?
» Wie sehen die häufigsten
Schon- bzw. Fehlhaltungen
aus?
Gelenkfehlstellungen sind nicht plötzlich
da, sondern sie entwickeln sich langsam,
wie in Absatz 1 beschrieben. Entzündung
und Schmerzen lösen an jedem Gelenk
die gleiche Reaktion aus. Da jedoch alle
Gelenke anders aufgebaut sind, unterschiedliche Funktion haben und anders
belastet weden, entwickeln sich an den
einzelnen Gelenken ganz verschiedene
Fehlstellungen. Beeinflusst werden diese
zusätzlich von der Krankheitsaktivität
und der einzelnen Verlaufsform.
Zu Beginn einer Fehlhaltung steht immer die gestörte Funktion und die eingeschränkte Beweglichkeit des Gelenkes.
Typische Funktionsstörungen und
Fehlstellungen der Hand- und
Fingergelenke
◆ Beugestellung im Handgelenk
◆ Abweichen der Mittelhand nach außen
◆ Veränderungen der Fingergelenke,
Abweichen in Beugestellung oder Abweichen der Fingerachsen, die Finger
sind nicht mehr gerade.
Was fällt auf?
• Die Hand lässt sich nicht mehr selbständig hochziehen. Sie wird in Beu-
Kapitel 4
Abbildung 5b
Abbildung 5a
Abbildung 6a
Abbildung 6b
Abbildung 7a
Abbildung 8a
Abbildung 8b
Abbildung 9a
Abbildung 9b
Abbildung 10a
Abbildung 10b
Abbildung 7b
69
Krankengymnastik
4
gung, d.h. nach unten gehalten. Beim
Greifen bleibt das Handgelenk gebeugt. (Abb.11).
• Die Mittelhand weicht mehr und
mehr nach außen ab. Die Hand kann
nicht mehr zurück in die Mittelstellung gebracht werden. Häufig ziehen
als Folge die Finger in die entgegengesetzte Richtung, also nach innen.
Stützen
erfolgt nur noch auf den Fin•
gergrundgelenken bzw. der Faust oder
auf dem Ellbogen (Abb.12).
• Die Finger und der Daumen werden
dicht aneinander gehalten und geschont. Das Kind ist nicht mehr in der
Lage die Finger kräftig auseinander zu
spreizen und zu strecken.
Abb.11
Fehlhaltung der Hand beim Greifen
• Das Kind hat keine Kraft mehr in den
Fingern, das Aufdrehen des Wasserhahns oder das Herunterdrücken von
Türklinken fällt ihm schwer. Es hilft
sich mit der anderen Hand und gebraucht die betroffene Seite weniger.
Ausweichbewegungen nehmen immer mehr zu.
• Die kleine Faust ist nicht möglich.
(Abb.7b)
• Das Greifen des Kindes sieht verändert aus, da einzelne Gelenke nicht
mehr normal beweglich sind.
Häufige Funktionsstörungen und
Fehlstellung des Kniegelenkes
◆ Beugestellung
◆ Auswärtsdrehung des Unter- gegen
den Oberschenkel = scheinbare XBeinstellung (Pseudovalgusstellung).
(Abb.13)
Was fällt auf?
• Das Knie wird in einer ständigen Beugestellung gehalten. Ohne Belastung
kann das Kind häufig das Kniegelenk
noch beugen, jedoch schon nicht
mehr selbständig ganz strecken.
Abb.12
Fehlhaltung der Hand beim Stützen
70
Kapitel 4
• Wenn das Kind geht oder steht, bleibt
das Kniegelenk in der Beugung fixiert.
Es wird unter Belastung nicht mehr
bewegt.
• Der ständige Zug der seitlichen Kniebeuger kann zu einer Auswärtsdrehung des Unterschenkels gegen den
Oberschenkel führen. Es entwickelt
sich eine scheinbare X-Beinstellung.
(Abb. 13).
Häufige Schonhaltungen, Funktionsstörungen und Fehlstellungen des
Fußes
◆ Ständig hochgezogener Fuß, der Fuß
hängt nicht mehr herunter.
◆ Abrollen des Fußes über die Fußinnenkante, Entwicklung eines KnickSenkfußes.
◆ Gehen über die Fußaußenkante, Entwicklung eines Hohlfußes.
◆ Fehlende Belastung des Großzehenballens
◆ Krallen der Zehen beim Stehen.
Was fällt auf?
• Der Fuß kann im Sitzen nicht mehr
entspannt herunterhängen. Der Fuß
wird schmerzbedingt oben gehalten.
Die Fußheber verkürzen, die Wadenmuskulatur wird inaktiv.
• Beim Gehen wird der Fuß nicht mehr
abgerollt. Stattdessen belastet das
Kind vermehrt den Innen- oder
Außenrand des Fußes.
• Kinder mit Entzündungen im Bereich
des Mittelfußes und der Zehen weichen dem Schmerz durch Krallen der
Zehen aus.
• Je nachdem, welche Gelenke des Fußes entzündet und schmerzhaft sind,
Abb.13 Fehlstellung linkes Knie in Außendrehung des Unterschenkels
flachen die Fußgewölbe ab (Knicksenkfuß) oder sie vestärken sich
(Hohlfuß).
» Wann ist eine kranken-
gymnastische Behandlung
notwendig?
Ist die Diagnose einer juvenilen Arthritis
gestellt, muss jedes Kind regelmäßig von
der Krankengymnastin untersucht und
behandelt werden.
Ziel ist das Vorbeugen, d.h. das Erhalten
der vollen Gelenkbeweglichkeit sowie
das Verhindern von Schonhaltungen
und Gelenkfehlstellungen. Dies gelingt
71
Krankengymnastik
4
nur durch eine frühzeitig einsetzende
Physiotherapie. In keinem Fall sollte bei
Kindern mit juveniler Arthritis mit der
krankengymnastischen Behandlung gewartet werden, bis sich Bewegungseinschränkungen entwickelt haben. Die
Therapie dauert dann wesentlich länger
und nicht immer stellt sich der gewünschte Erfolg ein.
Jedes Kind muss und kann seinem Alter
entsprechend behandelt werden. Dies
gilt auch für das Kleinkind.
Auch im akuten Krankheitsschub ist
es notwendig die Gelenke regelmäßig zu
behandeln. Ist das Kind zu diesem Zeitpunkt zu Hause, wird evtl. ein Hausbesuch des Physiotherapeuten notwendig.
Behandlung:
◆ Sobald die Diagnose gestellt ist
◆ So früh wie möglich
◆ In jedem Alter
◆ Auch im Krankheitsschub
» Wie sollte die kranken-
gymnastische Behandlung
ablaufen?
• Verschiedene Verlaufsformen der Erkrankung, unterschiedliche Gelenkfehlstellungen sowie das jeweilige
Alter der Kinder erfordern immer eine
Einzelbehandlung.
• Eine Gruppenbehandlung kann nur
ergänzend hilfreich sein. Sie ist eine
zusätzliche Behandlungsmöglichkeit
und sollte deshalb mit Rücksicht auf
den ohnehin sehr engen Zeitplan
der Kinder nur auf ausdrücklichen
Wunsch des Kindes stattfinden. Sie ist
nie Ersatz für eine Einzelbehandlung.
72
• Die Häufigkeit der krankengymnastischen Behandlung ist abhängig vom
jeweiligen Befund. Sie wird in Absprache mit dem behandelnden Arzt und
dem Physiotherapeuten festgelegt.
Befindet sich das Kind in einer Klinik,
wird es in der Regel an Werktagen
täglich behandelt.
• Die Behandlungsdauer richtet sich
nach dem Alter und der Anzahl der
betroffenen Gelenke.
• Kleinkinder sind meist nur eine begrenzte Zeit für die Therapie zu gewinnen. Es ist daher günstig, das Kind
kürzer und wenn möglich häufiger zu
behandeln.
• Oftmals ist die Behandlung über Monate und Jahre notwendig. Ein gutes
Vertrauensverhältnis zwischen Therapeut , Kind und Eltern bildet hierfür
die Voraussetzung.
• Anfängliche Angst vor Schmerzen
und damit das Verweigern der Behandlung erfordern viel Einfühlungsvermögen des Therapeuten. Es liegt
bei dem Physiotherapeuten, dem Kind
zu zeigen, dass die Therapie nicht
wehtut. Das rechtzeitige Erkennen
der Schmerzgrenze jedes einzelnen
Kindes ist die Basis für das Vertrauen
zum Therapeuten. Über Vorlesen, Singen oder Anmalen der Haut gelingt es
meist, den kleinen Patienten von seiner Angst abzulenken.
• Die Behandlung sollte in einem
kindgerechten Rahmen erfolgen.
Sie erfordert Geduld, Zeit und Erfahrung. Die Eltern müssen nach Möglichkeit von Anfang an in die Behandlung mit einbezogen werden
(Abb.14).
Kapitel 4
• Die
Eltern sollten zur Therapie ihres
Kindes angeleitet werden, damit sie einen Teil davon zu Hause durchführen
können. Wie viel und was die Eltern an
Therapie mit übernehmen können,
wird zusammen mit dem Physiotherapeuten im Einzelfall festgelegt.
Wichtige Behandlungsgesichtspunkte
◆ Einzelbehandlung
◆ Vertrauensverhältnis
◆ Keine Schmerzen
◆ Altersorientiert
◆ gelenkschonende Ausgangsstellung
◆ Elternanleitung
» Was sind die Schwerpunkte
der krankengymnastischen
Behandlung?
Zu Beginn der Behandlung steht immer
eine Befundaufnahme. Zur Orientierung werden alle Gelenke des Kindes auf
ihre Beweglichkeit, Entzündungszeichen
und Fehlhaltungen hin untersucht, wie
auf S. 65 beschrieben.
Die Beweglichkeit betroffener Gelenke
wird mit Hilfe eines Winkelmessers gemessen. Dabei unterscheidet man zwischen der Bewegung, die das Kind selbständig ausführen kann, also der „aktiven“
Bewegung und der „passiven“ Bewegung,
die mit Hilfe des Therapeuten ausgeführt
wird. Diese Untersuchungen sind nur
möglich, wenn das Kind entspannt ist und
bei der Untersuchung mitmacht.
Das Erkennen beginnender Fehlhaltungen an den einzelnen Gelenken ist ein
wichtiger Teil der Untersuchung. Beurteilt wird, ob bereits Fehlhaltungen vorhanden sind und inwieweit das Kind in
der Lage ist sie ohne Hilfe auszugleichen.
Die Bewegungsanalyse gibt Aufschluss,
wie sich die betroffenen Gelenke unter
Belastung und in Bewegung verändern.
Hierzu geben Alltagsbewegungen Auskunft, wie Gehen, Krabbeln, Hinsetzen,
Aufstehen oder Greifen bzw. An- und
Ausziehen.
Aus all diesen Informationen und den
Gesprächen mit den Eltern, den Kindern
und Jugendlichen wird ein individueller
Behandlungsplan für jedes einzelne Kind
erstellt.
Behandlungsziel:
Erhalten bzw. Wiederherstellen der normalen Gelenkbeweglichkeit um das Gelenk vor Fehlbelastung und Fehlstellungen zu schützen.
Entspannung
und Schmerzlinderung
Entzündung, Schmerzen und Angst führen zu einer erhöhten Spannung der
Muskulatur, die das betroffene Gelenk in
der Schonhaltung fixiert. Die folgenden
Abb.14
Entspanntes Kind auf dem Schoß der Mutter
bereit für die Behandlung des Kniegelenkes
73
Krankengymnastik
4
Maßnahmen helfen die Schmerzschonhaltung der betroffenen Gelenke langsam zu lösen.
• Schon allein das unterstützende Halten der Gelenkpartner, z.B. des Fußes
bei Arthritis des Sprunggelenkes, ermöglicht dem Kind Spannung der
Muskulatur abzugeben. Dies ist eine
nach Nichts aussehende, hoch wirksame Maßnahme.
• Nach dieser ersten Entspannung kann
das Gelenk langsam in die eingeschränkte Richtung bewegt werden
(Abb.15). Der Physiotherapeut muss
hierbei besonders auf das Kind eingehen und einfühlsam die Schmerzgrenze spüren. Die Schmerzgrenze
darf nicht überschritten werden.
• Mit weichem, flächigem Griff bewegt
der Therapeut immer wieder aufs
Neue an die Bewegungs- bzw.
Schmerzgrenze heran. Mit der Zeit
verbessert sich durch Nachlassen der
Muskelspannung die Beweglichkeit .
Eine optimale medikamentöse Behandlung bildet die Voraussetzung für die
krankengymnastische Behandlung, da
Schmerzen und Entzündung den Erfolg
erheblich limitieren.
Abb.15 Verbessern der Beweglichkeit der Hand
nach oben
Im Kapitel 6 sind physikalische Maßnahmen als weitere Möglichkeit zur Muskelentspannung und Schmerzlinderung
aufgeführt.
Gezieltes Dehnen der Muskelgruppen, die das Gelenk in
seiner Schonhaltung fixieren
und in seiner Beweglichkeit
einschränken.
Zur Dehnung der verkürzten Muskulatur
können je nach Befund unterschiedliche
Techniken angewandt werden. Gedehnt
werden die Muskeln, die die Beweglichkeit einschränken und das Gelenk in die
Fehlhaltung ziehen.
• Während der Dehnung dürfen keine
Gelenkschmerzen auftreten. Dies erfordert u.a. eine entsprechende Lagerung in schmerzfreier und entspannter Ausgangsposition.
• Leichte Dehnschmerzen in der
Muskulatur können größere Kinder
in der Regel gut tolerieren. In diesem
Dehnbereich jedoch müssen das Kind
bzw. der Jugendliche und der Therapeut eng zusammenarbeiten und sich
gut austauschen.
Aktivieren der Muskeln, die
der Gelenkfehlstellung entgegenarbeiten.
Muskelaktivierung bedeutet das Gespür
für das richtige Muskelanspannen zu
schulen.
• Das Kind lernt, in der neu erarbeiteten
Position die Muskelgruppen wieder
anzuspannen, die aus der Fehlstellung
herausziehen. Zunächst hilft der
74
Kapitel 4
Therapeut, später wird das statische
Anspannen selbständig durchgeführt.
Beim Handgelenk z.B. lernt das Kind
die Hand in Fauststellung oben zu
halten und so die kurzen Handstrecker wieder aktiv einzusetzen
(Abb.16). später werden Hand- und
Fingerstrecker gemeinsam aktiviert
(Abb.17).
• Es folgen Bewegungen mit kleinem
Bewegungsausschlag.
• Mit der Zeit lernt das Kind auch Bewegungen mit großem Bewegungsausschlag wieder selbständig auszuführen. Hat es z.B. verlernt, beim
Greifen das Handgelenk hochzuziehen, wird nur diese eine Bewegung
mit dem Kind geübt, bis es diese wieder bewusst und selbständig ausführen kann.
Wiedererlernen von normalen
Bewegungsabläufen des
Alltages.
Durch häufiges Wiederholen und unter
ständiger Korrektur lernt das Kind Alltagsbewegungen, wie z.B. das Gehen,
wieder richtig auszuführen.
Muskeln, die das Gelenk in die falsche
Richtung ziehen, arbeiten sehr viel
schneller und kräftiger als die inaktiven
„richtigen“ Muskeln. Es verlangt hohe
Konzentration und viel korrigiertes
Üben, diese schwächeren Muskeln in
großen Bewegungsabläufen richtig anzuspannen.
• Weicht das Kind trotz Korrektur immer wieder in die Fehlstellung ab, ist
der Bewegungsablauf zu diesem Zeitpunkt noch zu schwierig.
• Es
müssen dann nochmals kleinere
Bewegungsabläufe geübt werden, die
immer wieder aufs Neue in die Alltagsbewegungen integriert werden.
• Werden die Bewegungen vom Kind
wieder richtig ausgeführt und zeigen
die Gelenke keine Entzündungszeichen
mehr, nimmt die Muskelkraft ohne
weitere Maßnahmen von alleine zu.
Behandlungsschwerpunkte:
◆ Herabsetzen der Muskelspannung, die
das Gelenk in der Schonhaltung fixiert.
◆ Verbessern der Gelenkbeweglichkeit.
◆ Vorsichtiges Dehnen der in ihrer
Spannung erhöhten und verkürzten
Muskelgruppen, die in die Fehlstellungen ziehen.
◆ Gezieltes Aktivieren derjenigen Muskeln, die der Fehlhaltung entgegenwirken.
◆ Wiedererlernen von „richtigen“ Bewegungsabläufen, damit die Gelenke
wieder normal eingesetzt werden.
» Was sollte bei der krankengymnastischen Behandlung
vermieden werden?
• Alle
krankengymnastischen Techniken müssen dem speziellen Rheumabefund der Kinder angepasst sein.
• Viele Ausgangsstellungen, die in der
Behandlung anderer Erkrankungen
von Kindern genutzt werden, sind bei
betroffenen Knie- oder Handgelenken
zu belastend für die Gelenke. Dies sind
z.B. Vierfüßlerstand, Kniestand, Fersensitz oder Hocke.
• Günstige Ausgangsstellungen sind
Sitzen sowie Rücken-, Seiten- oder
75
Krankengymnastik
4
Bauchlage. Der Gelenkschutz steht
immer im Vordergrund jeder Behandlung.
• Solange Gelenke entzündet und in
ihrer Funktion eingeschränkt sind,
dürfen keine Bewegungen gegen
Widerstand ausgeführt werden.
Beispiele hierfür sind das Üben der
Kniestreckung gegen Widerstand von
Sandsäcken oder Fingerübungen
gegen den Widerstand von Gummibändern. Aufgrund des gestörten
Muskelzusammenspiels sind die
schwachen Muskeln nicht einmal
ohne Widerstand in der Lage, das
Gelenk in die richtige Stellung zu ziehen. Statt die schwachen Muskeln zu
kräftigen, arbeiten wieder die Muskeln, die das Gelenk weiter in die Fehlstellung ziehen. Man sollte immer vor
Augen haben, dass das entzündete
und in seiner Funktion veränderte
Gelenk die Ursache für die Muskelschwäche ist.
• Werden zu schwierige Bewegungen
vom Kind verlangt, z.B. auf dem
Schaukelbrett, dem Kreisel oder sogar
auf dem Trampolin, werden die Gelenke unter zusätzlicher Belastung
völlig falsch eingesetzt und die Fehlstellungen eher unterstützt.
• Das Kind braucht manuelle Hilfestellung, Führung und Korrektur der
Krankengymnastin bei seinen Übungen, damit es die Bewegungen richtig
ausführen kann.
Bei der Behandlung vermeiden:
◆ gelenkbelastende Übungen oder Ausgangsstellungen
◆ Sprung- und Hüpfübungen
76
◆ Muskelkräftigung gegen Widerstand,
insbesondere wenn Gelenkfehlstellungen und entzündungsbedingte
Veränderungen der Gelenkstrukturen
vorliegen
» Warum sollen betroffene
Gelenke teilentlastet
werden?
Freude an der Bewegung sowie ungehindertes Herumspringen sind für jedes
Kind ein Grundbedürfnis.
• Eine Arthritis im Bereich der Füße,
Knie oder Hüften behindert das freie
Bewegen. Schonhaltungen führen zu
Fehlbelastungen, die Fehlstellungen
begünstigen und die Arthritis verstärken können. Ausweichbewegungen
wirken sich negativ auf betroffene
und nichtbetroffene Gelenke aus.
• Um dies möglichst zu verhindern,
sollten in der akuten Phase der Arthritis die Gelenke der Beine, d.h. Hüft-,
Knie- und Sprunggelenke, vom Körpergewicht teilentlastet werden.
• Neben dem Schutz des erkrankten
Gelenkes und seiner Bänder führt die
zeitweise Teilentlastung der Gelenke
zum „Vergessen“ der falsch angewöhnten Bewegungsabläufe. Schmerzen und eingeschränkte aktive Beweglichkeit des Gelenkes werden
durch Teilentlastung verbessert.
Die rechtzeitige Teilentlastung ist ein
wichtiger Teil des Behandlungskonzeptes.
Viel bewegen, wenig belasten ist das
Motto. Die betroffenen Gelenke dürfen
Kapitel 4
Abb.16
Aktivieren der Handhebemuskulatur mit entspannten Fingern in lockerer Faust
Abb.17
Aktivieren der Handhebemuskulatur mit Anspannen der Fingerstreckmuskeln
Abb.18
Schlingenaufhängung zum
lockeren
Bewegen des
Hüftgelenkes
77
Krankengymnastik
4
nie komplett ruhig gestellt werden wie
z.B. im Rollstuhl.
• Bewegungen mit dem Fahrrad, Bewegungen im Schlingentisch ( Abb.18),
Bewegung im Wasser verbessern die
Gelenkfunktion und schützen das erkrankte Gelenk vor Fehlstellungen.
Wichtig
Das Maß der Entlastung eines oder
mehrerer Gelenke muss immer dem
jeweiligen Zustand des Gelenkes angepasst werden.
Viele Eltern berichten, dass das Kind,
wenn es herumspringt und mit Freunden spielt, überhaupt keine Schmerzen
hat. Wenn von ihm jedoch etwas verlangt wird, was es nicht gerne tut, äußert es seine Schmerzen sehr deutlich.
Dies führt häufig dazu, dass dem Kind
die Schmerzen nicht geglaubt werden.
Die Eltern müssen jedoch davon ausgehen, dass ihr Kind eigentlich immer
Schmerzen hat, die es durch Ablenkung
nur nicht bewusst empfindet.
• Wie viel das Kind entlasten sollte, ist
abhängig vom Gelenkbefund, also der
Schwellung, der Überwärmung, der
Fehlstellung und der Bewegungseinschränkung.
• Das abendliche Kontrollieren der
Sprung- und Kniegelenke kann hierbei eine Entscheidungshilfe sein.
• Muss ein Kind längere Strecken zurücklegen, sollte ihm die Möglichkeit geboten werden, sich zwischendurch auszuruhen. Ein Warnzeichen ist immer,
wenn das Kind unterwegs plötzlich anfängt zu humpeln. Dies zeigt, dass das
Gelenk überlastet und schmerzhaft ist,
auch wenn das Kind nicht klagt.
78
Gesichtspunkte zur Teilentlastung:
◆ Entlasten der Gelenke als Schutz vor
Fehlbelastungen
◆ Vergessen des angewöhnten „falschen“ Bewegungsablaufes
◆ Maß der Belastung abhängig vom
jeweiligen Gelenkzustand
» Was kann zu Hause
selbständig geübt werden?
(siehe auch
www.rheuma.kinderlinik.de)
An Rheuma erkrankte Kinder sind durch
Schule, Hausaufgaben, Arztbesuche,
krankengymnastische Behandlung und
tägliche physikalische Anwendungen
weitaus mehr belastet als andere Kinder
in ihrem Alter.
Die Zeit zum Spielen ist knapp. Daher
gehören nur wenige gezielte Übungen
in das tägliche Übungsprogramm zu
Hause.
Wichtig
◆ Die einzelnen Übungen müssen korrekt ausgeführt werden, sonst können sie richtiggehend schaden!
◆ Übungsprogramme aus einem Heft
oder Prospekt müssen immer kritisch
betrachtet werden. In jedem Falle
dürfen sie nicht ohne Rücksprache
und Kontrolle des Therapeuten
durchgeführt werden.
Es ist ausgesprochen wichtig, dass das
individuelle Heimprogramm genau vom
Therapeuten gezeigt und mit den Eltern
bzw. den Jugendlichen eintrainiert wird.
• Das jeweilige Übungsprogramm ist
abhängig vom Alter des Kindes, der
Kapitel 4
Anzahl der betroffenen Gelenke, der
Schwere der Bewegungseinschränkungen sowie der Krankheitsaktivität.
Gelenke, die das Kind in seinen Neigungen und Aktivitäten besonders
einschränken, stehen im Vordergrund.
• Bei kleinen Kindern und sehr
schmerzhaften, akut entzündlichen
Gelenken werden die Gelenke von den
Eltern passiv bewegt. Hierzu müssen
die Eltern ausführlich angeleitet sein.
Sie sollten
- wissen, wie das Gelenk normal
funktioniert.
- wissen, auf was besonders zu
achten ist.
- Griff und Bewegung mehrfach
unter Anleitung des Physiotherapeuten geübt haben.
- Sicherheit haben im selbständigen Üben.
Für
• größere Kinder und Jugendliche
sowie bei geringen Bewegungseinschränkungen wird ein Übungsprogramm zum eigenständigen, aktiven
Üben erstellt. Die wenigen gezielten
Übungen müssen gut eintrainiert
sein, so dass sie ohne Ausweichbewegungen durchgeführt werden
können.
Diese täglichen Übungen verlangen von
Eltern, Kindern und Jugendlichen viel
Geduld und Einfühlungsvermögen. Alle
müssen lernen sich dem wechselnden
Gelenkbefund anzupassen.
• Zu wenig und zu vorsichtig ausgeführte Übungen reichen nicht aus.
• Zu kräftig ausgeführte Bewegungen
können Schmerzen auslösen und
richtiggehend schaden.
• Zu viele Übungen enden meist in einer zeitlichen Überforderung. Als Folge werden die Übungen entweder gar
nicht, nur unvollständig oder nur gelegentlich durchgeführt. Unzufriedenheit mit sich und schlechtes Gewissen plagen dann Eltern und
Jugendliche gleichermaßen.
• Um kleinere Kinder jeden Tag für die
Therapie neu zu gewinnen, greifen
viele Eltern zu „Tricks“, wie z.B. Geschichten vorlesen, Kasetten hören
oder Kindersendungen im Fernsehen
anschauen.
• Es hat sich bewährt, die Übungen immer zur gleichen Tageszeit durchzuführen und gemeinsam mit dem Therapeuten zu überlegen, wann die
beste Zeit ist..
Weitere wichtige Aufgaben zu Hause
sind Lagerungen z.B. die Bauchlage und
das Anlegen von Lagerungsschienen an
Händen und Beinen. Auch hierbei ist die
Häufigkeit und die Intensität sowie die
Art der Lagerung vom jeweiligen Befund
abhängig.
Sind die Hüftgelenke betroffen, ist das
Üben in einer Schlingenaufhängung
eine hervorragende Möglichkeit, den
Stoffwechsel im Hüftgelenk zu fördern
und die Beweglichkeit zu verbessern
(Abb.18). Mit einem stabilen Haken kann
die Schlinge zu Hause an einer geeigneten Zimmerdecke angebracht
werden.
Aufgaben für zu Hause sind:
◆ Spezielles Übungsprogramm (siehe
auch www.rheuma-kinderklinik.de)
79
Krankengymnastik
4
◆ Dehnlagerung nach Anleitung
◆ Anlegen von Lagerungsschienen
(siehe Hilfsmittel)
◆ Schlingenaufhängung für die Hüfte
◆ Anlegen von Eisbeuteln oder warmen
Packungen (siehe Kapitel 5)
» Welche Hilfsmittel gibt es,
wann sind sie notwendig?
Hilfsmittel zur Entlastung der Gelenke der Beine
Die Wahl der Hilfsmittel zur Entlastung
von Hüft-, Knie-, Sprung- und Fußgelenken ist abhängig vom Alter des Kindes und von den betroffenen Gelenken.
Alle entlastenden Hilfsmittel sollten eine
Streckung in den Gelenken und eine aktive Fortbewegung ermöglichen.
Günstigerweise ähnelt der Bewegungsablauf mit dem teilentlastenden Hilfsmittel dem des Gehens.
Abb.19
Münsterpferdchen zur Entlastung von Fuß-,
Knie- und Hüftgelenken
• Das Münsterpferdchen (Abb. 19) eignet sich beim Kleinkind bis ca. 3 Jahre.
Hiermit können sich die kleinen Kinder
fortbewegen und haben gleichzeitig
die Streckung der Hüft-, Knie-, und
wenn notwendig, der Sprunggelenke.
Das Münsterpferdchen gibt es in zwei
Größen, es kann über das Orthopädiefachgeschäft bezogen werden.
• Kleine
Laufräder finden sich inzwischen überall im Handel. Die pendelnde Laufbewegung gleicht der
Gehbewegung und kommt dem
Bewegungsdrang der Kinder von 3-5
Jahren sehr entgegen. Der Sitz trägt
das Gewicht des Kindes. Eine ideale
Entlastung, da auch gesunde Kinder
80
Abb.20
Garmischer Roller zur Entlastung von Fuß-,
Knie- und Hüftgelenken
Kapitel 4
dieses Fahrzeug verwenden. Vorsicht: Viele Laufräder haben keine
Bremsen
• Auch Dreiräder sind gängige Fortbewegungsmittel für das Alter von 2-5
Jahren. Der Sattel sollte möglichst
senkrecht über dem Tretlager sein und
so hoch gestellt werden, dass die
Kniegelenke beim Treten ausgestreckt
werden können.
• Der Gehroller ist in der Altersgruppe
der 6-12-Jährigen sehr beliebt. Er bietet durch einen speziellen Sitz eine
hervorragende Entlastung der Knie-,
Hüft- und Sprunggelenke, bei gleichzeitiger Streckung der Beine. Auch
hier gleicht die Bewegung dem normalen Gehen. Der Roller mit einem
aufgeschweißten Sitz wurde im
Deutschen Zentrum für Kinder- und
Jugendrheumatologie in GarmischPartenkirchen entwickelt. (Abb.20)
• Das Fahrrad als normales Fortbewegungsmittel kann im Alltag sehr gut
zur Entlastung eingesetzt werden.
Stärkere Steigungen sollten unter
dem Aspekt der Entlastung jedoch gemieden werden.
• Fahrräder
mit herkömmlichen
Stützrädern sind häufig instabil und
wackelig, so dass das Kind beim Aufund Absteigen sowie beim Anhalten
Schwierigkeiten haben kann. Ausgerüstet mit stabilen Stützrädern aus
dem orthopädischen Fachhandel erfüllt das Fahrrad die gleichen Voraussetzungen wie das Dreirad.
Was ist bei Fahrzeugen zur
Entlastung zu beachten?
◆ Der Sattel sollte so eingestellt sein,
dass Hüft- und Kniegelenke gestreckt
sind, das Kind sich jedoch sicher bewegen kann. Gegebenenfalls bleibt
der Sattel bis zur gewünschten Sicherheit etwas tiefer.
◆ Bremsen sind ein Sicherheitsaspekt.
Kleine Hände oder betroffene Hände
und Finger verhindern oft das kräftige Anziehen der Bremse. Hier können
ein verringerter Abstand vom Lenker
zum Bremshebel oder spezielle
Bremshebel helfen.
• Unterarmstützen
werden von älteren Kindern und Jugendlichen bevorzugt. Sind jedoch gleichzeitig Hand-,
Ellbogen- oder Schultergelenke betroffen, wird es schwierig. Spezielle
Griffe sowie seitliche Stützbänder
helfen den Handgelenken beim Stützen. Diese Änderungen werden vom
Orthopädietechniker vorgenommen.
• Den Buggy gibt es auch für größere
Kinder. Er sollte jedoch möglichst wenig im Alltag eingesetzt werden, da
die Gelenke im Sitzen gebeugt sind
und nicht bewegt werden.
• Der Rollstuhl ist zur ständigen Entlastung nicht zu empfehlen, da Hüftund Kniegelenke gebeugt sind und
somit Muskelverkürzungen begünstigt werden. Das passive Sitzen vermindert zudem die Muskelkraft, die
Selbständigkeit und das Selbstwertgefühl der Kinder und Jugendlichen.
Nur vorübergehend, z.B. nach Opera81
Krankengymnastik
4
tion oder Punktion von Gelenken,
kann der Rollstuhl zur Fortbewegung
notwendig werden.
◆ Schutz der erkrankten Gelenke und
der Nachbargelenke vor Über- oder
Fehlbelastung.
Funktions- und Lagerungsschienen
Schmerzen und Schwellung führen am
entzündeten Handgelenk rasch zu einer
Schonhaltung.
Das Hantieren in dieser Fehlhaltung im
Alltag, kombiniert mit einer Kapselbandinstabilität durch Schwellung, begünstigt die Entwicklung von Fehlstellungen
im Finger-Handbereich.
Sind die Finger- oder Daumengelenke
mit betroffen, helfen spezielle Lagerungsschienen. Sie korrigieren die jeweiligen Fingerfehlstellungen und evtl.
das Handgelenk. Je nach Befund werden
die Schienen stundenweise nachts oder
auch tagsüber angelegt.
Funktionsschienen helfen die Gelenkachse zu korrigieren, so dass diese auch
bei Alltagsbewegungen, wie z.B. dem
Schreiben, beibehalten wird.
Das instabile Handgelenk führt zu einem
erheblichen Kraft- und Funktionsverlust
der Finger. Durch Stabilisation des
Handgelenkes mit einer kurzen Handschiene erhält die Hand wieder Kraft in
ihrer Greiffunktion.
Ist die Hand wieder in die normale Position gebracht und dort stabilisiert , kann
auch die Hand-, Fingermuskulatur
wieder richtig zusammenarbeiten. Es
kann sich wieder ein Muskelgleichgewicht einstellen.
Aufgaben der Funktionsschienen
◆ Korrektur beginnender Fehlhaltungen
oder bereits vorhandener Fehlstellungen
◆ Stabilisierung des Handgelenkes in
der korrigierten Position
◆ Verbesserung der Kraftübertragung
im Finger-/Handbereich durch Stabilisation des Handgelenkes
82
Wann Handfunktions- bzw. Lagerungsschienen notwendig sind, entscheidet
der Arzt zusammen mit der Physio- und
Ergotherapeutin, den Eltern und den
Kindern .
Auf was ist bei der Schienenfertigung zu achten?
◆ Jede Schiene muss dem einzelnen individuellen Befund genau angepasst
werden. Dies erfordert mehrere Anproben unter Anwesenheit des
Physio- oder Ergotherapeuten und
die Kontrolle der fertigen Schiene.
◆ Jedes Gelenk der Hand oder der Finger muss exakt korrigiert werden, so
dass die Fehlhaltung bestmöglichst
ausgeglichen wird.
◆ Wieviel korrigiert werden kann, ohne
Schmerzen zu provozieren und keine
Druckstellen zu verursachen, braucht
sehr viel Erfahrung seitens der Therapeuten und des Orthopädietechnikers.
◆ Korrigiert die Schiene zu wenig,
bringt sie nichts. Korrigiert sie zu viel,
verursacht sie Schmerzen und wird
nicht getragen.
◆ Handschienen, die nicht dem Befund
Kapitel 4
entsprechend angefertigt sind, können auch schaden!
◆ Für welchen Zeitraum die Funktionsoder Lagerungsschienen notwendig
sind und in welchen Abständen sie
auf ihren Sitz überprüft werden müssen, wird in Absprache des ganzen
Teams entschieden.
◆ Wann am Tag die Schienen getragen
werden, ist individuell unterschiedlich
und richtet sich nach dem jeweiligen
Befund.
Wichtig
• Kleinere Kinder gewöhnen sich meist
leichter an Funktionsschienen als
Schulkinder. Daher ist es notwendig,
die neuen Bewegungsabläufe im Alltag mit der Schiene richtiggehend zu
trainieren. In der Ergotherapie erfolgt
dies durch spezielles Schreibtraining
und funktionelles Training.
• Es besteht keine Gefahr, dass das
Handgelenk durch das Tragen der
Schiene steif wird oder die Muskulatur abnimmt. Im Gegenteil, ohne
Schiene wird das Handgelenk muskulär in der Schonhaltung steif gehalten
und wird das gestörte Muskelgleichgewicht noch verstärkt.
Durch die Versorgung mit Lagerungsund Funktionsschienen können schwere
Fehlstellungen der Finger und Hände
weitgehend vermieden werden. So können die meisten Kinder eine gute Handfunktion erhalten.
Einlagen und Schuhversorgung
Der Fuß trägt das gesamte Körpergewicht. Seine Stabilität wird vor allem
durch kräftige Bänder gewährleistet.
Schmerzen und Schwellung im Bereich
der Fußgelenke können zu Lockerung
von Kapsel und Bändern und zu einer
veränderten Gelenkstellung führen.
Sind Fuß- oder Zehengelenke betroffen,
verändert sich durch die Schmerzen die
Belastung und Abrollbewegung des
Fußes.
Wichtig
Da der Fuß das gesamte Körpergewicht
trägt, muss er von Anfang an vor Fehlbelastungen und Fehlstellungen geschützt werden.
Durch eine Einlage werden die Achsen
des Fußes wieder aufgerichtet und die
Fußgewölbe unterstützt. Die erkrankten Gelenke werden stabilisiert und
durch Unterpolsterung entlastet.
Die Art der Einlage richtet sich auch hier
nach dem jeweiligen Befund. Bevor die
Einlage angefertigt wird, muss die Ursache für die jeweilige Schon- oder Fehlbelastung des Fußes herausgefunden
sein.
Folgende Fragestellungen spielen
eine Rolle:
• Welche Fehlstellung zeigt der Fuß, wie
sieht er von hinten aus?
• Kann die Fehlstellung unter Belastung, z.B. im Zehenstand, ausgeglichen werden?
• Lässt sich die Fehlstellung ohne Belastung korrigieren?
• Wo sind die Belastungspunkte des
Fußes, sichtbar an der Hornhautbildung der Fußsohle?
• Wie schmerzhaft ist der Fuß als Ganzes?
83
Krankengymnastik
• Welche Stellen des Fußes sind bei Belastung schmerzhaft?
4
Aus den Antworten ergeben sich, in Absprache mit dem Orthopädieschuhmacher, die individuell notwendigen
Einlagen.
Woran lässt sich erkennen, ob die
Einlage passt?
• Die Schmerzen nehmen ab.
• Das Kind fühlt sich mit der Einlage
beim Gehen wohl.
• Das Gangbild verbessert sich.
Die Einlage benötigt einen ausreichend
großen Schuh mit weicher Sohle. Von
der Größe her benötigen die Zehen einen freien Spielraum von ca. 0,8 cm.
Turnschuhe eignen sich meist gut, da
sich die Innensohle herausnehemen
lässt.
84
Auf was ist bei den Einlagen zu
achten?
◆ Sie dürfen nicht zu wenig, aber auch
nicht zu viel korrigieren. Korrigiert die
Einlage zuviel, bereitet sie Schmerzen.
Korrigiert sie zu wenig, bringt sie
nichts.
◆ Die entzündeten Gelenke des Fußes
benötigen eine weiche Einlage zur
Dämpfung. Eine harte Einlage kann
die Schmerzen verstärken.
◆ Die Einlage muss die Länge des ganzen Fußes, plus 0,8 cm Zehenzugabe
für die Abrollbewegung, umfassen.
Barfußlaufen führt bei akut betroffenen Fußgelenken zu keiner Kräftigung
der Muskulatur, sondern führt eher in
die Fehlhaltung. Wann Barfußlaufen angezeigt ist, wird am besten mit dem
Physiotherapeuten besprochen.
Kapitel 5
Physikalische Therapie
Vielseitige Möglichkeiten mit großer Wirkung
Hans-Jörg Händel
»
»
»
»
»
Massage ........................................................................................ 86
Elektrotherapie ............................................................................ 90
Thermotherapie ............................................................................ 95
Hydrotherapie ............................................................................ 100
Bewegungsbad ........................................................................... 100
85
Physikalische Therapie
5
Die physikalische Therapie ist ein wichtiger Bestandteil in der Behandlung
rheumakranker Kinder. Sie konzentriert
sich überwiegend auf die Therapie von
Schmerzen und ihren Folgeerscheinungen, wie Muskelverspannungen oder auch
Bewegungseinschränkungen,
kommt
aber auch bei begleitenden Ödemen
oder Gewebsverhärtungen bzw. -verklebungen zum Einsatz.
» Massage
Klassische Massage
(Abb. 1)
Die klassische Massage ist eine seit dem
Altertum bekannte und fortlaufend verbesserte Methode zur Behandlung von
Krankheiten des Bewegungsapparates.
Verschiedene Grifftechniken wie Streichungen, Knetungen und Walkungen
werden je nach Befund schwerpunktmäßig eingesetzt.
In der heutigen klassischen Massage
sind grobmechanische Techniken von
einer milderen, reflektorisch wirkenden
Arbeitsweise abgelöst worden. Dies gilt
besonders für die Behandlung von Kindern mit Arthritis, da Schmerzen bei der
Massage sofort eine Gegenspannung
auslösen.
Mit der Entdeckung von Reflexzonen in
Haut, Bindegewebe und Muskulatur
(Head und Mackenzie) haben sich die
Möglichkeiten der Massage deutlich
erweitert. Örtlich wirksame Reize können die Durchblutung verändern und
Lymphverschiebungen bewirken, Mus86
kelspannung senken oder auch anregen,
sowie erbsengroße Verhärtungen im
Muskel (Myogelosen) behandeln. Außerdem gelingt es, gezielt reflektorisch auf
vegetativ gestörte Organe und Gefäßbezirke einzuwirken.
Wirkung
Die klassische Massage fördert die Durchblutung und Entspannung der angespannten und schmerzhaften Muskulatur,
die das entzündete Gelenk in der
Schmerz-Schonhaltung fixiert. Auf diese
Weise vorbereitet, lässt sich die Muskulatur in der anschließenden krankengymnastischen Behandlung effektiv dehnen.
Folgende Punkte sollten beachtet
werden:
• Entzündete
Gelenke dürfen durch zu
großflächige und kräftige Massagegriffe nicht unnötig überwärmt werden.
• Die Massage wirkt nur dann entspannend, wenn die Schmerzgrenze nicht
überschritten wird.
• Vertrauen ist die Grundlage einer entspannten Behandlung. Kleine Kinder
sollten daher anfangs nicht in Bauchlage massiert werden, bis sie mit dem
Therapieablauf vertraut sind.
• Die schmerzhaften Körperregionen
müssen so gelagert werden, dass die
Kinder ihre Muskulatur entspannen
können.
Friktionen (intensive Quermassagen am Sehnenansatz)
Friktionen an rheumatisch entzündeten
Sehnenansätzen und Sehnenscheiden
Kapitel 5
Abb. 1: Kindgerechte Massage
Abb. 2: Lymphdrainage zur Schmerzlinderung
87
Physikalische Therapie
5
können zu leichten Mikrotraumen und
erneuten Schmerzzuständen mit ihren
Folgen (vgl. Schmerzkreis Seite: 65) führen. Bei der Arthritis sollten daher keine
Friktionen, sondern nur leichte Quermassagen zum Lösen von Verklebungen
ausgeübt werden.
Bindegewebsmassage (BGM)
Die Bindegewebsmassage wird bei der
Arthritis selten angewendet. Einzelne
Techniken (Anhangsstriche) unterstützen in der Kontraktur- und Narbenbehandlung das Lösen von Verklebungen.
Manuelle Lymphdrainage (ML)
(Abb. 2)
Der Entzündungsprozess kann zu einer
verminderten Transportkapazität der
Lymphgefäße führen, mit der Folge einer ödematösen Schwellung, die sich
nicht nur in der Gelenkinnenhaut, in der
Gelenkkapsel, der Knochenhaut, dem
umhüllenden Bindegewebe und den
Sehnen bemerkbar macht, sondern sich
auch zu einem regelrechten Lymphödem entwickeln kann.
Wirkung
Die manuelle Lymphdrainage bewirkt
eine Verschiebung der Gewebsflüssigkeit
und eine Erhöhung der Lymphgefäßbewegung. Die Verminderung des
Gelenksinnendruckes entlastet die
Schmerzrezeptoren und führt zu einer
Schmerzlinderung. Das erregende Nervensystem (Sympathikus) wird gedämpft und eine bessere Beweglichkeit
im Gelenk erreicht.
88
Behandlung
Im Rahmen des physikalischen Therapieplanes sollte die ML nach der Kälteanwendung (min. 30 Minuten) und vor der
Bewegungstherapie erfolgen.
Wann darf die ML nicht angewendet
werden? (Kontraindikationen)
Allgemein:
• Akute Entzündungen, verursacht durch
Krankheitserreger wie Bakterien oder Viren
• Wassereinlagerungen in das Gewebe,
bedingt durch Herzerkrankungen
• Bösartige Prozesse (relative Kontraindikation)
Für die Halsbehandlung:
• Herzrhythmusstörungen
• Überfunktion der Schilddrüse (Hyperthyreose, Basedow-Krankheit).
• Überempfindlichkeit im Halsbereich
Kompressionstherapie
Die Kompressionstherapie ist eine spezielle druckausübende Wickelung im Bereich des betroffenen Gelenkes im Anschluss der Manuellen Lymphdrainage.
Da sich die Überwärmung des Gelenkes
durch die Wickelung verstärken kann,
wird die Kompressionstherapie in der
Kinderrheumatologie selten eingesetzt.
» Kombinierte Behandlungstechniken
Kontrakturbehandlung
(Abb. 3)
Die Kontrakturbehandlung wird mittels
klassischer Massage und Techniken aus
der Bindegewebsmassage und der manuellen Lymphdrainage durchgeführt.
Kapitel 5
Wirkung
• Lockerung der gelenkumgebenden
Muskulatur
• Bessere Entsorgung der entzündlichen Schlackenstoffe
besser durch das gelockerte Gewebe abzutransportieren.
Vorgehen
Anfangs werden die gelenkumgebenden
Muskelgruppen mit klassischer Massage
gelockert.
Während dieser Behandlungsschritte
wird die Muskulatur immer wieder mit
Griffen der klassischen Massage zur
Muskelentspannung und Schmerzlinderung behandelt. Bindegewebsstriche
unmittelbar am betroffenen Gelenk
lösen dort Verklebungen.
Verklebungen an Sehnen und Sehnenscheiden werden zusätzlich mittels
Quermassagen gelöst.
Alle Maßnahmen in dieser Reihenfolge
tragen zu einer verbesserten Gelenkbeweglichkeit bei.
Verklebungen zwischen Haut, Unterhaut
und Bindegewebe lassen sich mit Hautfaltgriffen lösen.
Anschließend ist es sinnvoll, den Patienten krankengymnastisch zu behandeln,
Gipsschienen anzulegen oder ihn zu lagern.
Die manuelle Lymphdrainage wird lokal
im Bereich der Kontraktur eingesetzt,
um direkt am betroffenen Gelenk den
Rücktransport zu fördern. In Verbindung
mit der manuellen Lymphdrainage hilft
die klassische Massage über die Durchblutungsförderung, Stoffwechselendprodukte und die Entzündungsstoffe
Abb. 3: Kontrakturbehandlung am Knie
Narbenbehandlung
(Abb. 4)
Eine gezielte Narbenbehandlung beschleunigt die Wundheilung. Sie hilft
Narbenkontrakturen zu verringern und
verbessert die Haut- und Narbenelastizität.
Abb. 4: Postoperative Nachbehandlung
89
Physikalische Therapie
Therapeutisch werden die klassische
Massage, die manuelle Lymphdrainage
und Grifftechniken aus der Bindegewebsmassage eingesetzt.
5
Vorgehen
Durch Lockern, der um die Narbe gelegenen Muskulatur, wird das Narbengewebe entlastet. Es entwickelt sich im
Narbenbereich eine leichte Steigerung
der Durchblutung. Diese fördert den
Abtransport von Stoffwechselendprodukten und somit den Heilungsprozess.
Die Behandlung postoperativer Ödeme
durch die manuelle Lymphdrainage (ML)
wird gerade in der Handchirurgie und
nach Knie- und Hüftsynovektomien mit
Erfolg eingesetzt.
Der optimale Behandlungszeitraum liegt
zwischen dem 2. -21. postoperativen Tag.
Wirkung
• Senken des Gewebsdruckes
• Schmerzdämpfung
• Verbesserte Wundheilung
• Verbesserte Hautelastizität (wichtiger
Faktor in Anbetracht der reduzierten
Gelenkbeweglichkeit)
dehnfähig wird. In diesem Zusammenhang werden immer wieder die dazugehörigen Muskelgruppen mit der klassischen Massage behandelt und die ML zur
oben genannten Wirkung eingesetzt.
Vorsicht:
Da im Rahmen der Bindegewebsmassage leichte, schneidende und ziehende Schmerzen auftreten können,
ist eine gute Vertrauensbasis zum
Kind notwendig. Nur dann ist es für
die Behandlung kooperativ.
» Elektrotherapie
Die Elektrotherapie wird in der Kinderrheumatologie in erster Linie zur Linderung von Schmerzen und zur Muskelentspannung eingesetzt.
Selbst bei Kleinkindern ist bei Einhaltung
folgender Grundsätze eine Elektrotherapie möglich:
• Individuelle Anwendung
• Genaue Elektrodenlage
• Vorsichtige Wahl der Stromintensität,
Reizfrequenz und Impulsdauer
Gute Erfolge lassen sich mit folgenden
Therapieformen erzielen:
Kontraindikation
Siehe Abschnitt Lymphdrainage.
Zwei bis drei Tage nach Entfernen der Fäden kann mit vorsichtigen Anhangstrichen der Bindegewebsmassage direkt im
Narbenbereich begonnen werden. Sie
lockert die unteren Hautgewebsschichten, wodurch die Narbe geschmeidig und
90
• Interferenzstrom
• Hochvolttherapie
• Transkutane elektrische Nervenstimulation (TENS)
• Ultraschall
Diese Stromformen sind vom Hautgefühl her gut verträglich, so dass ihre
Kapitel 5
Anwendung auch von kleinen Kindern
akzeptiert wird.
Herkömmliche niederfrequente Reizströme dagegen verursachen ein brennendes Hautgefühl, das die Kinder unnötig verängstigt. Diese Stromform wird
beim Kind nicht eingesetzt, außer bei
der Iontophorese, hier jedoch nur bei älteren Patienten und mit geringen Intensitäten.
Interferenzstrom
(Abb. 5)
Beim Interferenzstrom handelt es sich
um einen mittelfrequenten Reizstrom,
bei dem zwei mittelfrequente Wechselströme mit einer Frequenz von ca. 4000
und 3800 Hz zusammenfließen.
Interferenzstrom besitzt im Vergleich zu
herkömmlichen, niederfrequenten Strömen den Vorteil einer höheren Eindringtiefe ohne sensorische Belastung der Haut.
Abb. 5
Interferenzstrom zur Muskelentspannung und
Schmerzlinderung
• Chronische Beschwerden, höhere InIndikation
• Schmerzen
• Kontrakturen
• Lymphödeme
• Narbenbehandlung
Wirkung
• Schmerzlindernd
• Stoffwechselsteigernd
• Muskelentspannend
Dosierung
Die Intensität richtet sich nach Krankheitsstadium und Konstitution des Patienten:
• Je akuter die Beschwerden, desto geringer die Intensität.
tensität.
In jedem Fall sollte die Stromstärke motorisch unterschwellig (es darf zu keiner
Muskelanspannung durch die Elektrotherapie kommen) und für den Patienten angenehm sein.
Vorgehen
Vier Saugelektroden ermöglichen eine
gezielte und einfache Anwendung. Das
zu behandelnde Gebiet liegt im Kreuzungsbereich der Elektroden. Insbesondere kontrakte und schmerzhafte Hüftgelenke lassen sich auf diese Weise gut
behandeln.
91
Physikalische Therapie
5
Wann darf der Interferenzstrom
nicht angewendet werden?
(Kontraindikation)
Keine Durchflutung von Herzschrittmachern, Tumoren, akute Entzündungen,
Schwangerschaft,
Metallimplantaten
(Direktdurchflutung)!
Hochvolttherapie
Neben den zuvor genannten traditionellen Reizstromtherapieverfahren findet
die Hochvolt-Therapie zunehmend Verbreitung. Sie benutzt ultrakurze Einzeloder Doppelimpulse von 25 bis 40
Mikrosekunden. Da die extrem kurze Impulsdauer kein Hautkribbeln auslöst und
eine erwärmende Wirkung ausschließt,
können niedrige Intensitäten mit einer
hohen Eindringtiefe therapeutisch eingesetzt werden. Durch gezieltes Ansprechen der schnellen Nervenfasern lässt
sich eine wirkungsvolle Schmerzdämpfung erzielen. Die Verträglichkeit der
Hochvolt-Therapie ist so gut, dass sogar
die Behandlung von Schleimhäuten und
offenen Wunden möglich ist.
Indikation
• Allgemeine Schmerzbehandlung
• Kontrakturbehandlung
• Stoffwechselaktivierung
Wirkung
• Gefäßerweiterung
• Durchblutungsförderung
• Förderung des Sauerstoffaustausches
• Verbesserung der Lymphbewegung
• Detonisierung verspannter Muskulatur
• Schmerzstillung
• Entzündungshemmung
92
Vorsicht:
Motorisch überschwellige Behandlungen führen zu Muskelanspannung, haben keine detonisierende
Wirkung und können kleinere Kinder
verängstigen.
Wann darf die Hochvolttherapie
nicht eingesetzt werden?
(Kontraindikationen – siehe Interferenzstrom)
Iontophorese
Bei der Iontophorese werden Medikamente im ionisierten (d.h. elektrisch geladenen) Zustand aus einer aufgetragenen, Medikamenten-Ionen-haltigen
Salbe mit Hilfe von Gleichstrom über die
Haut eingebracht. Verwendet werden
niederfrequente Ströme. Bereits mit 0,1
Milliampere pro cm2 lässt sich, bei geringer sensibler Belastung des Patienten,
eine Wirkung der Iontophorese erzielen
und ist auch bei älteren Kindern und Jugendlichen ohne negative Nebeneffekte
anwendbar. Bei dieser geringen Stromintensität ist die Menge der eingebrachten Medikamenten-Ionen einzig
und allein abhängig von der Behandlungsdauer. Es dürfen nur Salbenpräparate verwendet werden, auf deren Beipackzettel die Iontophorese zugelassen
ist. Die Behandlungshäufigkeit richtet
sich nach dem Stadium der Erkrankung.
Je akuter, desto häufiger.
Indikation
• Allgemeine Schmerzbehandlung
• Enthesiopathien (schmerzhafte Veränderungen im Sehnenansatzbereich)
Kapitel 5
Wirkung
• Einbringen von Salben durch die intakte Haut mittels der Elektrotherapie
zur Schmerzlinderung und Mehrdurchblutung.
Dosierung
• Behandlungszeit wird, mit 10 - 20
Minuten beginnend, schrittweise gesteigert.
Wann darf die Iontophorese nicht angewendet werden? (Kontraindikationen)
Keine Elektrodenanlage im Bereich von
Metallimplantaten, Herzschrittmachern
und bösartigen Prozessen.
Vorsicht:
Motorisch überschwellige Intensitäten(der Strom darf nicht so stark
sein, dass die Muskulatur anspannt)
sollten bei Kindern nicht eingesetzt
werden. Die individuelle Stromempfindlichkeit muss beachtet werden.
TENS-Therapie
der Empfang der Schmerzsignale im Gehirn blockiert werden, denn es kann immer nur ein Reiz nach dem anderen verarbeitet werden.
Ein entscheidender Vorteil der TENSTherapie ist die einfache Handhabung.
Ältere Kinder und Eltern können das
Verfahren erlernen und selbst durchführen. Bei fachgerechter Anwendung und
richtiger Indikation erreicht man eine
hohe Erfolgsquote.
Der Patient sollte erst durch einen Therapeuten behandelt werden. Wenn sich
TENS günstig auf seine Schmerzen aus-
Abb. 6:
TENS-Therapie zur Schmerzlinderung
(Abb. 6)
Die Wirksamkeit der TENS-Therapie kann
durch die „Endorphin-“ und die „GateControl“-Theorie erklärt werden.
Die Endorphin Theorie besagt, dass bei
niedrigfrequentem Reizstrom (<10 Hz)
eine vermehrte Ausschüttung von Endorphinen (körpereigene Substanzen mit
Anti-Schmerzwirkung) zur Schmerzblockade führt. Nach der Gate-Control-Theorie wird der Reizstrom mit
Frequenzen über 10 HZ schneller über
die Nervenbahnen zum Gehirn weitergeleitet als der Schmerz. Dadurch soll
93
Physikalische Therapie
5
wirkt, wird er individuell mit der für seine Probleme am besten wirksamen Behandlung in die Handhabung und Therapie eingewiesen. Für die Heimtherapie
wird vom behandelnden Arzt ein Rezept
für ein Leihgerät ausgestellt. Somit hat
der Patient die Möglichkeit, die Therapie
selbstständig weiterzuführen.
In der Behandlung von Kindern mit
Arthritis ist die thermische Wirkung aus
folgenden Gründen kontraindiziert:
• Die Wachstumsfugen werden beeinflusst (eine Schädigung ist nicht auszuschließen).
• Durch Erwärmung im Gewebe können
sich akute Entzündungen verstärken.
Indikation
• Alle Arten von Schmerz
Die thermische Komponente des
Ultraschalls lässt sich durch gepulste
Anwendung leicht ausschalten. Unter
dieser Voraussetzung können Kinder mit
Rheuma bei vorsichtiger Dosierung
durchaus von der positiven Wirkung des
Ultraschalls profitieren.
Dosierung
Bei Bedarf mehrmals täglich 10 - 20
Minuten.
Wann darf die TENS-Therapie nicht
angewendet werden?
(Kontraindikationen – siehe Interferenzstrom)
Ultraschalltherapie
(Abb. 7)
Ultraschalltherapie ist keine Elektrotherapie, sondern eine hochfrequente
Mikromassage. Sie wirkt thermischmechanisch und nimmt Einfluss auf den
Stoffwechsel.
Abb. 7: Ultraschall zur Mikrovibrationsmassage
94
Indikation
• Sehnenansatzentzündung („Enthesitis“), die hauptsächlich bei Patienten
mit HLA-B27-assoziierter Oligoarthritis auftritt.
• Sehnenscheidenentzündung (Tenosynovitis), insbesondere der Fingerflexoren im Bereich des Handtellers und
der Finger.
• Muskelverspannungen, besonders im
Bereich der Iliosakralgelenke.
Wirkung
Der gepulste Ultraschall besitzt immer
eine Frequenz von 100 Hz und zeigt folgende besondere Wirkungen:
• Dämpfung des erregenden Nervensystems (Sympathikus)
• Durchblutungsförderung
• Muskelentspannung
• Schmerzlinderung
Kapitel 5
Häufigkeit der Behandlung bei
Kindern
Die Behandlung sollte 2-4-mal wöchentlich durchgeführt werden.
Vorsicht:
Bei Kindern darf nur gepulster Ultraschall angewendet werden, aufgrund
der regelmäßigen Unterbrechung der
Schallenergie ist mit einer unerwünschten Erwärmung nicht zu
rechnen.
phorese eingesetzt werden. Durch die
Kombination von Ultraschall und Medikament wird die Eindringtiefe des
Medikamentes über die Haut erhöht.
Dazu können Salben und Gels mit der
Eigenschaft „Iontophorese geeignet“
(Beipackzettel) verwendet werden.
» Thermotherapie
(Abb. 8)
Wärme
• Geringe
Definitionsgemäß wird zwischen 26 38°C von Wärme gesprochen.
Therapeutisch lässt sich Wärme an betroffenen Gelenken ohne akute Entzündung, jedoch mit eingeschränkter Gelenkfunktion nutzen.
Merke
Generell liegt die Intensität bei Kindern um 0,10 - 0,15 W/cm2 niedriger
als bei Erwachsenen.
Wann soll Wärme angewandt
werden?
Wärme führt zu einer vermehrten
Durchblutung und Entspannung der
Muskulatur. Daher sollte Wärme hauptsächlich auf verspannter und verkürzter
Muskulatur angewandt werden. An Rükken und Halswirbelsäule werden Wärmepackungen von den Kindern gut vertragen und akzeptiert.
Intensität
Die Intensität variiert von 0,15 - 0,35
Watt /cm2.
Intensität bei kleinflächigen
Bereichen, direkt unter der Haut liegenden Strukturen und überhaupt bei
kleinen Kindern.
• Höhere Intensität bei größeren Flächen, tieferliegenden Strukturen und
bei größeren Kindern.
Anwendungsdauer
• An kleineren Flächen 3 - 4 Minuten
• An größeren Flächen 4 - 5 Minuten
Spezielle Anwendungen
• Die Ultraschalltherapie von Hand oder
Fuß lässt sich auch gut im Wasser
durchführen. Hierzu sollte die Wassertemperatur für den Patienten angenehm sein.
• Der Ultraschall kann auch zur Phono-
Indikation
• Muskelverspannungen
• Muskelkontrakturen
• Bewegungseinschränkungen nach
abgeklungener akuter Arthritis
Wirkung
• Muskelentspannend
• Schmerzlindernd, sofern die Muskelverspannung den Schmerz auslöst
• Durchblutungsfördernd
95
Physikalische Therapie
Wann darf Wärme nicht angewendet
werden? (Kontraindikationen)
Akute Arthritis, Fieber, Herzbeteiligung
bei systemischer JIA („Still-Syndrom“).
Hitze
5
Von Hitze wird bei Temperaturen über
41° C gesprochen.
Hitze wird im Wesentlichen wie die
Wärmeapplikationen, jedoch nur als
Kurzzeitanwendung eingesetzt.
Abb. 8: Fango zur Muskelentspannung
Häufigste Anwendungsformen
• Fango
• „Hotpack“ (im Handel als „Cold-Hotpack“ erhältlich und durch Einlegen in
heißes Wasser in Hotpack umwandelbar)
• Wärmflasche
• Eine andere Möglichkeit sind Baumwollsäckchen mit eingenähten Kirschkernen oder Dinkelkissen, die in der
Mikrowelle erwärmt werden können.
Vorsicht:
Bei akuter Arthritis darf Wärme
nicht direkt auf das Gelenk appliziert
werden. Dagegen lässt sie sich zur
Entspannung im Bereich der verspannten Muskulatur anwenden.
Kinder sind hautempfindlicher als Erwachsene. Daher müssen die behandelten Hautbereiche kontrolliert und Beschwerden der Kinder ernst genommen
werden.
96
Indikation
• Muskelverspannungen
• Muskelkontrakturen
• Schwellungen (Trauma oder Operationen)
Wirkung
• Das Lymphsystem wird aktiviert, dadurch erhöhter Abtransport von
Schlackenstoffen
• Aktivierung der Kältesensoren der Haut,
Muskeltonuserhöhung und Muskeltonussenkung beim Entfernen der Hitze,
als Langzeitwirkung die Entspannung
• Minderung von Ödemen
Häufigste Anwendungsformen
• Heiße Rolle, zuerst tupfen, später rollen
• Hotpacks, extrem heiß, zur Abtupfung
• Andere Wärmeträger
Wann darf Hitze nicht angewendet
werden? (Kontraindikationen)
• Akute Arthritis (bei Anwendung direkt
auf dem Gelenk)
• Kollagenosen
• Vaskulitis
• Fieber
Kapitel 5
Kälte
(Abb. 9)
Anwendungen von 0° - 18° werden als
Kälte- oder Kryotherapie bezeichnet.
Wann soll Kälte angewandt werden?
Zur Kälteanwendung stehen verschiedene Möglichkeiten zur Verfügung (s.u.).
Die Auswahl richtet sich nach der Anzahl
der betroffenen Gelenke, die gekühlt
werden sollen, nach dem Alter des Kindes
und nach der entzündlichen Aktivität der
betroffenen Gelenke. Jedes Gelenk, das
überwärmt oder nur geschwollen ist,
sollte gekühlt werden. Durch kühlende
Anwendungen wird dem Gelenk die
überschüssige Wärme entzogen. Dies
führt zu einer Entzündungshemmung bei
gleichzeitiger Schmerzlinderung.
Zur Entzündungshemmung ist ein lang
anhaltender Abfall der Gewebstemperatur im betroffenen Gelenk notwendig, so
dass sich das Gelenk nach der Kälteanwendung noch für ca. 20 Minuten kühl
anfühlt.
Die Tendenz geht nach den Erkenntnissen der letzten Jahre weg von extrem
kalten Applikationen, hin zur Anwendung von milderer Kälte. Dies kann man
zum Beispiel mit Kryogelpackungen erreichen, die noch einige Zeit außerhalb
des Gefrierschranks lagern, bevor sie angelegt werden. Dann sind sie etwas wärmer und weicher.
Für jedes Kind muss individuell ausprobiert werden, welches die günstigste
Anwendungsform ist. Viele Kinder kön-
nen selbst sehr genau darüber Auskunft
geben.
Schmerzen bei Kälteanwendungen oder
ein stechendes Gefühl sind Anzeichen
dafür, dass Kälte nicht vertragen wird.
Als Alternative bieten sich mildere Kälteanwendungen an.
Indikation
• Schmerzlinderung
• Entzündungshemmung
Wirkung
• Schmerzlinderung durch Hemmung
der Nervenleitgeschwindigkeit
• Senkung der Gewebetemperatur
Anwendungsdauer
• Schmerzlindernde Wirkung, 1 - 5 Minuten
• Entzündungshemmende und schmerzlindernde Wirkung, 10 - 12 Minuten
Häufigste Anwendungsformen (Abb. 10)
• Kryogelbeutel
• Packungen mit Eischips
• Eis am Stiel
• Kaltes Moor
• Alkohol- oder Eiswasserwickel
• Verschiedene kühlende Hausmittel,
z.B. Quarkwickel
Kryogel-Packungen
Kryogelpackungen können in der Apotheke in verschiedenen Größen bezogen
werden. Sie sind sehr praktisch, da sie
einfach in das Eisfach oder in den Kühlschrank gelegt werden können und so
mehrmals täglich gebrauchsfertig sind.
Sie können an mehreren Gelenken
97
Physikalische Therapie
gleichzeitig angelegt werden und sind
daher auch gut im Bett zu verwenden.
Zwischen Packung und Haut muss eine
dickere Stoffschicht liegen. Das Gelenk
wird auf diese Weise anhaltend gekühlt,
ohne dass die Haut selbst zu kalt wird.
5
Eis am Stiel
Dies ist ganz einfach selbst herzustellen.
In einen Joghurtbecher wird Wasser gefüllt und ein Holzstäbchen hineingestellt. Das Ganze wird im Eisfach gefroren. Unter heißem Wasser lässt sich das
Eis gut aus dem Joghurtbecher herausnehmen. Beim Einreiben ist darauf zu
achten, dass das Eis gleichmäßig über
eine große Hautfläche verrieben und
nicht an einer Stelle gehalten wird, da es
sonst zu Kälteschäden an der Haut kommen kann. Besonders kleinere Kinder
mögen diese Art der Kälteanwendung
sehr gerne, da sie dabei selber tätig sein
können. Sie sollten dabei aber in jedem
Fall überwacht werden!
Mildere Kälteanwendungen
sind alle Arten von kühlen Umschlägen,
wie z.B. Quarkumschläge, kaltes Moor,
essigsaure Tonerde usw. Sie sind jedoch
aufwendig und im Alltag häufig umständlich anzulegen. Besonders gut eignen sie sich bei Sehnenansatzschmerzen
und Sehnenscheidenentzündungen.
Eine weitere Form der milderen
Kälteanwendung sind Alkoholwickel
Dabei wird Isopropylalkohol mit Wasser
verdünnt und damit getränkte Tücher
um das jeweilige Gelenk gewickelt. Dies
ist auch bei Kleinkindern an Zehen- und
Fingergelenken gut anwendbar. Es sollte
98
jedoch auf die Hautverträglichkeit
geachtet werden. Anschließend gute
Hautpflege (Abb. 11).
Hausmittel sind trockene Erbsen oder
Kirschkerne
Sie werden in einem Stoffbeutel tiefgefroren und anschließend großflächig auf
das Gelenk gelegt.
Merke
Je weiter das Gelenk vom Körpermittelpunkt entfernt ist, desto milder
sollte die Kälteanwendung sein.
Es sollten maximal 6 Eisapplikationen gleichzeitig angelegt werden.
Vorsicht:
Kleine und sehr schlanke Kinder
kühlen leicht aus. Daher nur milde
Kälte verwenden und nur wenige Applikationen gleichzeitig anlegen.
Vorsicht ist immer dann geboten,
wenn auf der Haut weiße Flecken
entstehen. Das bedeutet, dass die
Anwendung zu kalt oder zu lang war.
Die empfindliche Haut von Kindern
kann mit Erfrierungen reagieren.
Im Alltag des Kindes bewähren sich Kälteanwendungen morgens nach dem
Aufstehen, in der Mittagspause oder
abends vor dem Schlafengehen.
Wann dürfen Kälteanwendungen
nicht angewendet werden?
(Kontraindikationen)
• Kälteunverträglichkeit
• Kollagenosen
• Durchblutungsstörungen, Vaskulitis
Kapitel 5
Abb. 9: Kindgerechte Kältetherapie
Abb. 10: Eisbeutel
Abb. 11: Alkoholumschläge
Abb. 12: Unterwassermassage
Abb. 13:
Bewegungsbad zur Entspannung und
Bewegungserweiterung
99
Physikalische Therapie
» Hydrotherapie
Unterwassermassage
(UWM)
5
wird durch die verbesserte Durchblutung der Abtransport von Schlackenstoffen gefördert.
(Abb. 12)
Indikation
• Muskelkontrakturen
• Narbenkontrakturen
• Verspannungen
Wirkung
• Durch die intensive Massage mit dem
Wasserstrahl kommt es zur Durchblutungsförderung und Muskelentspannung
• Über die Gewebelockerung können
sich Muskel- und Narbenkontrakturen
verbessern
Vorsicht:
Bei systemischen Verlaufsformen ist
die Absprache mit dem Arzt notwendig.
Bei akuten Entzündungen darf die
Unterwassermassage nicht angewandt werden.
Kneipp`sche Güsse
Indikation
• Schmerz
• Vegetative Durchblutungsstörungen
Wirkung
• Durch den Kältereiz auf das Gewebe
wird der Körper kurzzeitig unter
Stress gesetzt, die Durchblutung wird
gefördert und anschließend, wenn der
Patient nachruht, kommt es zu einer
Muskelentspannung und somit zu
einer Schmerzlinderung. Außerdem
100
Wann dürfen Kneipp`sche Güsse
nicht angewendet werden?
(Kontraindikation)
• Akute Entzündung
• Bei systemischer Verlaufsform Behandlung nur in Absprache mit dem Arzt
» Bewegungsbad
(Abb. 13)
Bei einer Wassertemperatur von 32 Grad
Celsius dient das Bewegungsbad der
Muskelentspannung und Entlastung von
schmerzhaften Gelenken.
Selbst Kinder mit erheblichen Gelenkeinschränkungen können sich im Wasser
unbeschwert austoben. Neben dem entspannenden Effekt steht die positive
psychische Wirkung des freien Bewegens im Vordergrund.
Vorsicht:
Bei systemischen Verlaufsformen ist
die Absprache mit dem Arzt notwendig.
Die Badezeit sollte in der Regel 30
Minuten nicht überschreiten.
Erklärung
Kontraktur: Muskel-, Gewebs- und
Sehnenverkürzungen im
Gelenksbereich
Kapitel 6
Ergotherapie
C. Weigert, K.Fischer
101
Ergotherapie
6
Die Ergotherapie unterstützt die wichtige Aufgabe, körperliche, seelische und
soziale Folgen der chronischen Arthritis
zu beseitigen oder zu mindern. Durch
eine größtmögliche Selbständigkeit und
Unabhängigkeit werden die Kinder und
Jugendlichen in ihrem individuellen
Schul-, Berufs-, Freizeit und Alltagsleben
gefördert. Die Ergotherapie ergänzt die
krankengymnastische Behandlung, indem sie die erreichten funktionellen
Verbesserungen in die Aktivitäten des
täglichen Lebens umsetzt. Funktionen,
die das Kind durch die Erkrankung verloren hat, werden durch Gelenkmobilisation, Muskelkräftigung und Schulung
der Bewegungskoordination wieder erlernt, immer unter Berücksichtigung des
Gelenkschutzes.
Das Kind wird in der Ergotherapie entsprechend seinen Fähigkeiten behandelt.
Die Ergotherapie nutzt die in jedem
Menschen vorhandene Neigung zum
Schöpferischen. Die Kinder und Jugendlichen äußern selbst ihre Interessen und
Neigungen, auf denen die Behandlung
aufbaut. Dabei kommen unterschiedliche Materialien zum Einsatz (Fingermalfarbe, Peddigrohr, Ton, Papier etc.).
Therapeutisches Vorgehen
Die Ergotherapie rheumakranker Kinder
und Jugendlicher gliedert sich in folgende Bereiche:
• Funktionelles Training
• Anfertigung von Handschienen und
Eintrainieren im Umgang damit
• Gelenkschutz und Hilfsmittelversorgung
102
Je nach Befund und Tagesform stehen
einzelne Bereiche im Vordergrund. Manche Kinder benötigen nur Teilaspekte,
andere die gesamte Palette der Behandlung.
Funktionelles Training
Hierbei lernen die Patienten, die in der
Krankengymnastik verbesserte Beweglichkeit in den Ablauf von Alltagsbewegungen einzubeziehen. Dabei achten die
Therapeuten auf ein schonendes Arbeiten in einer möglichst achsgeraden
Gelenkstellung. Während die Kinder
handwerklich arbeiten, werden Gelenkfehlstellungen von den Therapeuten
korrigiert (Abb. 1).
Beim funktionellen Training verlieren die
Kinder ihre passive Patientenrolle und
werden zum aktiven Handeln angeregt.
Ihr selbstgewähltes kreatives Tun steht
im Vordergrund. Die fertigen Produkte
fördern das Selbstwertgefühl und steigern das psychische Wohlbefinden der
Kinder (Abb. 2).
Zum funktionellen Training gehört auch
die sensomotorische Stimulation der
Handinnenflächen. Dies geschieht durch
arbeiten und spielen mit unterschiedlichen Materialien wie Ton, Fingerfarben,
Knete, Rasierschaum oder auch Kirschkernsäckchen, Linsenbad etc (Abb. 3, 4).
Mit der sensomotorischen Stimulation
wird erreicht, dass das Kind die erkrankte Hand wieder verstärkt einsetzt.
Wachstums- und Entwicklungsstörungen der Hand, verursacht durch Mindergebrauch, können somit verbessert werden.
Kapitel 6
Abb. 2:
Stolz und glücklich präsentiert der Junge
seinen selbstgebastelten Elefanten
Abb. 1:
Beim Handabdruck mit Fingerfarben korrigiert
die Ergotherapeutin die Handachse des Kindes
Abb. 4:
Auch beim Malen mit Fingerfarben wird die
Sensomotorik geschult. Die Ergotherapeutin
überwacht den Bewegungsablauf und kann
gegebenenfalls die Handstellung korrigieren.
Abb. 3:
Mit Rasierschaum einen
Spiegel „bemalen“ macht
Spaß und trainiert die Sensomotorik der Handflächen
Abb. 5:
Beim Seidenmalen üben die
Kinder den ersten Umgang
mit den Handschienen.
103
Ergotherapie
Anfertigung von Handschienen
und Eintrainieren im Umgang
damit
6
Die Ergotherapeuten fertigen aus thermoplastischem Kunststoff individuelle
Handschienen an. Nähere Angaben zu
den Prinzipen der Schienenanfertigung
finden Sie im Kapitel Physiotherapie
(s. S. 85).
Die Handschienen werden von den Kindern und Jugendlichen nur dann akzeptiert, wenn sie gelernt haben, damit umzugehen. Der Einstieg gelingt am besten
über kreative Tätigkeiten. Beim Seidenmalen, T-Shirt-Bemalen, Korbflechten
etc. lernen die Kinder, mit den Schienen
zu arbeiten (Abb. 5). Die Akzeptanz der
Schienen wird erhöht durch das Erfolgserlebnis des fertigen Werkes.
Sodann wird auf die weniger beliebte
Tätigkeit, das Schreibtraining übergegangen. Dabei wird sowohl auf eine
schonende Stifthaltung als auch auf
eine richtige Sitzposition geachtet. Das
Halten der Stifte mit Handschienen wird
durch dicke Stifte oder Griffverdickungen erleichtert (Abb. 6). Außerdem erlernen die Patienten zur Entlastung der
Fingergelenke als Alternative den Dreipunktgriff. Der Stift wird dabei zwischen
Zeige- und Mittelfinger gehalten, wodurch auch die Handachse gerader ist
(Abb. 7). Ideal ist, wenn das Kind unterm
Schreiben zwischen den Schreibhaltungen wechseln kann, und somit einseitige
Belastungen der Hand- und FingerGelenke vermeidet.
Ein bequemes, aufrechtes Sitzen kann
erleichtert werden durch ein Keil- oder
Ballkissen; für Kinder und Jugendliche
104
mit schweren Behinderungen am Hüftgelenk kann evtl. auch ein Arthrodesenstuhl verordnet werden (Abb. 8). Eine
schräge Arbeitsfläche verbessert zusätzlich die aufrechte Sitzposition und entlastet Halswirbelsäule und SchulterNackenbereich (Abb. 9).
Gelenkschutz und Hilfsmittelversorgung
Fehlbelastungen der Gelenke lassen sich
häufig durch veränderte Bewegungsabläufe und den Einsatz von Hilfsmitteln
vermindern. Diese gelenkschonenden
Bewegungen müssen trainiert werden.
Mit einem gezielten Gelenkschutztraining kann man Fehlstellungen der Gelenke verbessern oder gar vermeiden.
Die Patienten lernen dabei durch Information und praktisches Üben, wie sie
ihre Kraft wirkungsvoll einsetzen können, ohne dabei die Gelenke falsch oder
zu stark zu belasten. Für Jugendliche
bietet es sich an, beim gemeinsamen
Kochen in einer Übungsküche verschiedene Hilfsmittel für den Haushalt
auszuprobieren (Abb. 10). Sie lernen Alltagsbewegungen gelenkschonend auszuführen und dabei Hilfen wie Spezialmesser, Dosenöffner oder Topfhalter
anzuwenden (Abb. 11, 12).
Das gemeinsame Kochen und Essen
macht Spaß und fördert die Gemeinschaft. In dieser Verbindung nehmen die
Jugendlichen gelenkschonende Bewegungsabläufe eher an, als in theoretischen Unterweisungen.
Einige wenige Kinder und Jugendliche
benötigen Hilfsmittel für ihre Selbständigkeit. Bei Problemen mit der Körper-
Kapitel 6
Abb. 6a+b: Stifte können mit einfachen Griffverdickungen aus weichem Plastik oder Moosgummi verstärkt werden (Abb. 6a), Die Griffverdickung erleichtert das Schreiben mit der Handschiene (Abb. 6b)
Abb. 7: Beim Dreipunktgriff wird der Stift zwischen Zeige- und Mittelfinger gehalten und
vom Daumen geführt. Dieser Schreibstil entlastet die Fingergelenke
Abb. 9: Keilkissen und schräge Arbeitsfläche
ergänzen sich zu einer günstigen Sitzhaltung,
welche den Rücken und die Halswirbelsäule
entlastet.
Abb. 8: Ein schräges Sitzkissen (rechts) verbessert die Sitzposition. Für Kinder mit schwer
betroffenen Hüftgelenken kann ein Arthrodesestuhl (links) mit individuell einstellbarer,
zweigeteilter Sitzfläche das Sitzen erleichtern.
Abb. 10: Beim gemeinsamen Kochen läßt sich
Gelenkschutz im Alltag am nachhaltigsten
vermitteln.
105
Ergotherapie
6
pflege, dem Strümpfe oder Schuhe anziehen oder dem Knöpfe schließen wird
individuell nach Lösungen gesucht. Oft
helfen schon kleine Veränderungen wie
z.B. eine Schlaufe / Lasche am Reißverschluss (Abb. 13). Im Handel erhältliche
Hilfsmittel sind für Kinder häufig zu
groß oder zu lang und müssen auf die
kindlichen Maße angepaßt werden. Zusammen mit den Kindern und Jugendlichen wird dann eine bestmögliche, gelenkschonende Handhabung erarbeitet.
Bei kleineren Kindern werden die Eltern
über die Grundsätze des Gelenkschutzes
informiert und angehalten, dem Kind
gelenkbelastende Tätigkeiten zunächst
noch zu ersparen. Es werden Anregungen und Übungen mit nach Hause gegeben, wie die Eltern Gelenkschutz
auch spielerisch mit ihren Kindern
durchführen und in den Alltag übernehmen können (Abb. 14).
Abb. 11a + b:
Beim Brotschneiden mit einem herkömmlichen Messer wird das Handgelenk in der Fehlstellung eingesetzt
(Abb.11a), mit einem Spezialmesser wird
die Fehlstellung korrigiert (Abb. 11b) –
die Handachse ist nun gerade.
Abb. 12:a+b:
Den Topf mit einem Henkel zu fassen
belastet das Handgelenk ungünstig
(Abb.12a), mit einem Topfhalter als
zweitem Griff verteilt sich die Belastung auf beide Hände in günstiger
Stellung (Abb.12b).
Abb. 13:
Eine Lasche am Reißverschluss erleichtert das Öffnen und Schließen bei stark
betroffenen Hand-Fingergelenken, und verleiht den
Kindern mehr Selbständigkeit beim Anziehen.
Abb. 14:
Bei kleineren Kinden können Eltern angeleitet
werde, Gelenkschutz im Alltag umzusetzen.
106
Kapitel 7
Pflege
I. Übler, A. Bartmann
»
»
»
»
»
»
Pflege – worauf kommt es an? ............................................... 108
Was ist bei der Körperpflege zu beachten? ............................ 108
Was ist bei der Verabreichung von Medikamenten
zu beachten? .............................................................................. 109
Was ist bei der Verabreichung von Augentropfen
bzw. Augensalben zu beachten? ............................................... 110
Wie können Sie Ihrem Kind in einem rheumatischen
Krankheitsschub helfen? ........................................................... 110
Wie erhalten Sie einen Überblick über den
Krankheitsverlauf Ihres Kindes? ................................................ 111
107
Pflege
» Pflege –
worauf kommt es an?!
Die Pflege eines rheumakranken Kindes
erfordert besondere Aufmerksamkeit
und Beobachtung. Nehmen Sie Ihr Kind
mit allen Sinnen wahr.
7
... mit den Augen – hinschauen:
• Schläft Ihr Kind unruhig - schwitzt es
stark im Schlaf?
• Kann es sich morgens schlecht
bewegen?
• Kann es sich gut alleine waschen und
anziehen?
• Sind die Gelenke Ihres Kindes - gerötet - überwärmt - geschwollen?
• Wie sieht die Haut aus - trocken - rote
Flecken?
• Wie sehen die Augen aus - gerötet entzündet?
... mit den Ohren – hinhören:
• Was sagt Ihr Kind — was verschweigt
es — und warum?
• Oft verschweigen Kinder ihre Schmerzen, weil sie lieber mit anderen
Kindern spielen möchten...
• Manchmal flüchtet sich ein Kind aber
auch in die Krankheit um den alltäglichen Anforderungen auszuweichen (z.B. Schularbeiten machen).
... mit dem Herzen – erspüren
Es ist wichtig, das Kind als Persönlichkeit
wahrzunehmen, mit all seinen Bedürfnissen:
• körperliche Zuwendung schenken;
• Oasen der Ruhe schaffen mitten im
Alltag;
108
• Kreativ
sein im Weglassen von Unnötigem, um Zeit füreinander zu
haben...
» Was ist bei der Körperpflege
zu beachten?
Durch die Krankheit, aber auch durch
Medikamente oder lokale Anwendungen
wie Kälte- oder Wärmetherapie kann es
zu Hautveränderungen kommen. Sie sollten den Körper Ihres Kindes gut beobachten und auf folgende Dinge achten:
• Trockene Haut / Einrisse an Lippen
und Mundwinkeln
Hier sind fettende Salben zu empfehlen.
Je nach Ausprägung der Hautveränderung sind sie ein- oder mehrmals anzuwenden. Auch rückfettende Ölbäder tun
trockener Haut gut, Ihr Hausarzt oder
Apotheker kann Ihnen sicher bei der
Auswahl der verschiedenen Produkte
behilflich sein.
• Gefahr von Nagelbettentzündungen und Pilzinfektionen
Durch die herabgesetzte Abwehrkraft
bei rheumakranken Kindern kann es unter Umständen zu Entzündungen des
Nagelbettes oder zu Pilzinfektionen
kommen.
Bezogen auf die Nagelpflege bietet sich
an, die Nägel nach einem Vollbad
vorsichtig zu schneiden und darauf zu
achten, dass die Fingernägel rund und
die Zehennägel gerade geschnitten
werden. So können Sie das Einwachsen
des Nagels und die mögliche Entstehung einer Nagelbettentzündung vermeiden.
Kapitel 7
In den Zehenzwischenräumen, aber
auch auf der Mundschleimhaut können
sich Pilze ansiedeln. Diese Stellen sollten
Sie regelmäßig kontrollieren. Rote Stellen zwischen den Zehen oder weißlicher
Belag in den Wangentaschen, der sich
nicht wegwischen lässt, sind typische
Zeichen. Häufiges Wechseln von Zahnbürste, Waschlappen und Handtüchern
sind ein weiterer Beitrag um Pilzinfektionen vorzubeugen.
In der Apotheke sind Tablettenboxen mit
verschiedenen Einteilungen erhältlich.
Suchen Sie sich einen Tag in der Woche
aus (am besten Samstag oder Sonntag),
an dem Sie mit Ihrem Kind zusammen
die Tabletten für die nächste Woche
herrichten.
Im folgenden Abschnitt finden Sie einige Erfahrungen und Tipps, die Ihnen bei
der Verabreichung von Medikamenten
helfen können.
Wenn es trotz aller Vorsichtsmaßnahmen zu Hautveränderungen kommt,
sollten Sie auf jeden Fall frühzeitig Ihren
Hausarzt darüber informieren.
• Bei der Verabreichung von Säften ist
» Was ist bei der Verabrei-
chung von Medikamenten
zu beachten?
die genaue Dosierung nicht einfach.
2/5ml Spritzen haben sich hier gut
bewährt. Sie sind in der Apotheke erhältlich und können nach Gebrauch
ausgespült und somit wieder verwendet werden.
• Oft ist es für Kinder nicht leicht TaDie tägliche Medikamenteneinnahme ist
fester Bestandteil im Tagesablauf Ihres
Kindes. Deshalb ist wichtig, Ihr Kind so
früh wie möglich einzubeziehen. Seien
Sie ehrlich zu Ihrem Kind. Erklären Sie
ihm, wofür die Medikamente sind, die es
schlucken muss - wofür sie gut sind,
aber auch, was passieren kann, wenn es
sie nicht regelmäßig einnimmt. Entwerfen Sie mit Ihrem Kind ein Blatt,
ähnlich einem Stundenplan, aus dem es
ersehen kann, zu welcher Tageszeit welches Medikament einzunehmen ist.
Hängen Sie diesen gut sichtbar und für
Ihr Kind erreichbar auf, z. B. am Kühloder Küchenschrank. Mit zunehmendem
Alter kann Ihr Kind Schritt für Schritt die
eigenständige Einnahme der Medikamente und die Dokumentation übernehmen.
bletten zu schlucken. Helfen Sie Ihrem
Kind, indem Sie ihm den Ablauf erklären und genaue Anweisungen geben.
Hier ein Beispiel:
Wählen Sie mit Ihrem Kind ein Lieblingsgetränk aus. Lassen Sie Ihr Kind 1-2
Schluck trinken. Danach soll es den
Mund ganz weit öffnen. Legen Sie nun
die Tablette ganz hinten auf die Zunge.
Das Kind soll nun sofort viel nachtrinken.
Kontrollieren Sie anschließend die Wangentaschen, damit Sie sicher sind, dass
die Tablette geschluckt worden ist.
Vergessen Sie nicht Ihr Kind nach jedem
erfolgreichen Versuch zu loben und bleiben Sie geduldig, auch wenn es manchmal mehrer Anläufe braucht.
109
Pflege
• Bei
7
manchen Tabletten besteht die
Möglichkeit sie zu zerkleinern und
dann in flüssiger Nahrung unterzumengen, z. B. Joghurt oder Pudding.
In der Apotheke sind Mörser oder Tablettenteiler erhältlich, die das Zerkleinern erleichtern.
Manche Tabletten gibt es nicht in der
entsprechenden Dosierung, sie müssen
geteilt werden. Deshalb ist es wichtig,
die Dosierungsangabe auf der Verpackung mit der vom Arzt verordneten Dosierung immer zu vergleichen. Bei Unsicherheiten wenden Sie sich an Ihren
Hausarzt.
» Was ist bei der Verab-
reichung von Augentropfen
bzw. -salben zu beachten?
Das Verabreichen von Augentropfen/
Augensalben ist gerade für Kinder (vor
allem Kleinkinder) unangenehm. Um
ihnen die Angst etwas zu nehmen,
können Sie es Ihrem Kind an einem
Stofftier/Puppe vorführen.
• Zunächst waschen Sie sich die Hände
und stellen sich alles zurecht (Augentropfen/Augensalben, Papiertaschentücher).
• Das Stofftier wird bequem ins Bett
gelegt und dabei erklären Sie, was
nun passiert: Es soll die Augen weit
aufmachen und nach oben hinten
schauen! Einfacher wird es noch,
wenn Sie eine genaue Stelle bestimmen und dort ein Bild oder einen Aufkleber anbringen.
110
• Jetzt wird getropft und zwar jeweils
einen Tropfen in das untere Augenlid!
Achten Sie darauf, dass das Augenlid
nicht berührt wird.
• Mit einem Papiertaschentuch wischen
Sie evtl. überfließende Tropfen vom
Unterlid ab.
Nun ist Ihr Kind an der Reihe!
Die meisten Augentropfen müssen
regelmäßig über den Tag verabreicht
werden. Als Erinnerungshilfe können Sie
auf einem „Stundenplan“ Zeiten eintragen und jeweils abhaken.
Augensalben sollten immer vor dem
Schlafengehen in gleicher Weise wie
oben beschrieben verabreicht werden.
Öffnen Sie die Augentropfen/Augensalben zum ersten Mal, schreiben Sie
bitte Datum und Uhrzeit auf die Flasche
bzw. Tube und beachten Sie die Haltbarkeit nach Anbruch (siehe Beipackzettel).
Vielleicht haben Sie ein ähnliches leeres
Fläschchen, mit dem Ihr Kind das Verabreichen von Augentropfen/Augensalben
an einem seiner Stofftiere üben kann.
» Wie können Sie Ihrem Kind
in einem Krankheitsschub
helfen?
Jede Erkrankung kann unter Umständen
einen rheumatischen Krankheitsschub
auslösen. Es ist wichtig, dass Sie Ihr Kind
während und nach einer solchen Erkrankung beobachten. Kinder können
Ihre Schmerzen gut verbergen, sie sagen
Kapitel 7
oft nicht, dass sie Schmerzen haben,
auch wenn man sie gezielt danach fragt.
Erste Anzeichen, wie z.B. verminderte
körperliche Aktivität, vermehrte Schonhaltung mancher Gelenke, Appetitlosigkeit und schnell wechselnde Laune,
können ein Hinweis auf einen Krankheitsschub sein. Vermitteln Sie Ihrem
Kind Ruhe und Verständnis, teilen Sie
ihm Ihre Beobachtungen mit und machen Sie ihm verständlich, dass Sie ihm
helfen können.
• Fiebert Ihr Kind, sollten Sie versuchen,
das Fieber durch kühle Wickel an Waden oder Stirn möglichst schnell zu
senken. Oft ist eine medikamentöse
Therapie (fiebersenkende Zäpfchen)
unumgänglich. Ein Anruf bei Ihrem
Hausarzt gibt Ihnen Sicherheit und
Sie können mit ihm das weitere Vorgehen besprechen.
• Reduzieren Sie alle überflüssigen Reize, wie Fernsehen, Radio und helles
Licht. Sorgen Sie für Ruhe. Bieten Sie
Ihrem Kind viel Flüssigkeit an und
lassen Sie es nicht alleine. Eine leichte
Decke (nur Bettlaken) und frische Luft
(kein Durchzug) tun dem Kind oftmals
gut.
troffenen Gelenke tut dem Kind gut
und lässt es zur Ruhe kommen. Erst
wenn es ihm wieder besser geht, kann
die Gelenkbeweglichkeit im entlasteten Zustand wieder langsam gefördert werden.
» Wie erhalten Sie einen
Überblick über den Krankheitsverlauf Ihres Kindes?
Um den Verlauf der Krankheit Ihres Kindes beurteilen zu können, ist es hilfreich,
wenn Sie ein Tagebuch führen, in welches Sie Ihre Beobachtungen und die
Augen- und Laborbefunde eintragen. So
entsteht ein wertvoller Verlaufsbericht,
aus dem Sie und der behandelnde Arzt
beispielsweise entnehmen können, wie
lange die Morgensteifigkeit andauerte,
an welchen Stellen Schmerzen auftraten
und wie stark sie waren, wie das Kind
geschlafen hat oder ob es bei der Medikamenteneinnahme zu Unregelmäßigkeiten gekommen ist. Auch die ‘Tagesform’ und Stimmung Ihres Kindes sind
als Beobachtung wichtig und können
Ihnen und dem Arzt helfen, die Krankheit zu verstehen und erfolgreich zu
therapieren.
• Hat Ihr Kind entzündliche, geschwollene und überwärmte Gelenke, kühlen
Sie diese mehrmals am Tag mit Eispacks. Wenn das Kind eine Schonhaltung einnimmt, sollten Sie keinesfalls
eine Streckung der Gelenke erzwingen! Unterlegen Sie vielmehr die betroffenen Gelenke mit Kissen oder
Handtüchern. Die Entlastung der be111
Notizen
7
112
Kapitel 8
Impfungen bei
Autoimmunerkrankungen
H. Michels, R. Häfner
113
Impfungen bei Autoimmunerkrankungen
8
Aktive Schutzimpfungen stellen die
wichtigste Vorbeugung zur Vermeidung
von gefährlichen, eventuell sogar lebensbedrohenden Infektionserkrankungen dar. Dabei werden dem „Impfling“
veränderte, nicht krankmachende Bestandteile des Erregers (= „Totimpfstoffe“, vgl. Tab.1) oder noch lebende, aber
abgeschwächte Erreger (= „Lebendimpfung“, vgl. Tab.1) verabreicht. In einer
Reaktion des eigenen Immunsystems
auf den Impfstoff werden Abwehrstoffe
und spezifisch wirksame Immunzellen
gebildet, die dem Geimpften meist jahrelangen Schutz („Immunität“) vor der
betreffenden Erkrankung verleihen. Die
Schutzwirkung steht direkt nach der
Impfung noch nicht zur Verfügung, sondern muß je nach Impfung vom Immunsystem erst über Wochen, gegebenenfalls Monate aufgebaut werden. Zum
Erreichen des vollen Schutzes sind je
nach Impfung eventuell mehrere Impfungen erforderlich. Da die Schutzwirkung zwar lang anhält, meist jahrelang,
aber doch zeitlich begrenzt ist und nicht
lebenslang dauert, werden nach Jahren
Auffrischimpfungen erforderlich.
Wird eine unmittelbare Schutzwirkung
benötigt, so kommt die passive Schutzimpfung zum Einsatz, die aber oft nicht
so wirksam, nur kurzdauernd (Wochen),
teuer und mit zusätzlichen Risiken verbunden ist. Im Gegensatz zur aktiven
werden bei einer passiven Schutzimpfung fertige Immunglobuline, d.h. von
anderen Menschen (ausnahmsweise
auch Tieren: z.B. Diphtherie) gebildete
Abwehrstoffe, gespritzt.
Bei Kindern mit Autoimmunerkrankungen wie der juvenilen idiopathischen
Arthritis (JIA) sind Impfungen besonders
wichtig, da
• die Infektionserkrankungen Rheumaschübe auslösen können oder
• die Infektionserkrankungen wegen
der Erkrankung selbst oder wegen der
verabreichten Medikamente (Immunsuppressiva, Zytostatika, Glucocorticoide, Biologika, vgl. Kapitel „Medikamente“) besonders schwer verlaufen
können.
Andererseits können gerade diese
Patienten wegen der medikamentösen
Tabelle 1:
Beispiele für Erkrankungen, gegen die Lebend- bzw. Totimpstoffe zur Verfügung stehen.
Lebendimpfstoffe
Totimpfstoffe
Masern
Mumps
Röteln
Tuberkulose
Windpocken
Kinderlähmung (Spritz-Impfung)
Diphtherie
Tetanus
Hepatitis A und B
Hämophilus influenzae („HIB“)
Keuchhusten
Grippe („Influenza“)
Pneumokokken
114
Kapitel 8
Behandlung mit Immunsuppressiva,
Zytostatika, Biologika oder Glucocorticoiden empfindlicher auf die Impfung
reagieren, eventuell kann ein Rheumaschub ausgelöst werden oder aber die
Schutzwirkung entwickelt sich nicht.
Grundsätzlich sollte nur in Phasen geringer oder fehlender Krankheitsaktivität („Remissionsstadium“) geimpft
werden.
Eltern, Patienten und auch Ärzte bewegen nicht selten darüber hinaus
folgende Fragen:
1. Können Impfungen rheumatische
Erkrankungen auslösen?
2. Können Impfungen Schübe bei
rheumatischen Erkrankungen auslösen?
3. Sind Kinder mit immunsuppressiver und/oder Cortisonbehandlung
hinsichtlich unerwünschter Wirkungen durch die Impfung vermehrt gefährdet im Vergleich zu
anderen Kindern?
4. Kann der Impferfolg, d.h. die
Entwicklung der Schutzwirkung,
durch die Behandlung mit Immunsuppressiva, Zytostatika, Biologika
oder Glucocorticoiden beeinträchtigt sein?
5. Sind alle Impfungen genauso
wichtig bzw. welche Impfungen
sind von besonderer Bedeutung?
Es handelt sich hier um bedeutsame
Fragen, die nicht immer und für jedes
Kind mit einem klaren „Ja“ oder „Nein“
zu beantworten sind. Vielmehr muß die
Beratung für jeden Patienten individuell
erfolgen, müssen Nutzen und Risiko
sorgfältig gegeneinander abgewogen
werden. Zu den einzelnen Fragen:
zu 1) Können Impfungen rheumatische Erkrankungen auslösen?
Die Ursache rheumatischer Erkrankungen wie der JIA oder von Kollagenosen
ist bislang nicht hinreichend geklärt. Insofern ist es nicht möglich, die Frage
eindeutig zu beantworten. Nicht ganz
selten berichten Eltern über einen engen
zeitlichen Zusammenhang zwischen einer Impfung und dem ersten Auftreten
der rheumatischen Erkrankung. In den
meisten Fällen wird von einem zufälligen Zusammentreffen auszugehen sein,
im Einzelfall mag aber auch ein ursächlicher Zusammenhang bestehen.
zu 2) Können Impfungen Schübe bei
rheumatischen Erkrankungen
auslösen?
Auch diesbezüglich werden von den Eltern gelegentlich zeitliche Zusammenhänge berichtet. Wiederum wird es sich
oft um ein zufälliges Zusammentreffen
handeln. Jeder Einzelfall muß jedoch gesondert geprüft und bewertet werden.
Nicht immer wird man zu einem klaren
„Ja“ oder „Nein“ kommen können.
115
Impfungen bei Autoimmunerkrankungen
Zu 3) Sind Kinder mit immunsuppressiver und/oder Cortisonbehandlung hinsichtlich unerwünschter Wirkungen durch die
Impfung vermehrt gefährdet im
Vergleich zu anderen Kindern?
8
Kinder mit immunsuppressiver und/oder
höherdosierter Cortisonbehandlung sind
gegenüber Lebendimpfungen gefährdet.
Lebendimpfungen dürfen bei diesen
Kindern deshalb nicht durchgeführt
werden. Zur Beurteilung der Situation
bei Therapie mit Biologika (z.B. Etanercept bzw. EnbrelR), ebenfalls Medikamente mit immunsuppressiver Wirkung,
ist die Datenlage noch ungenügend.
Hier ist entsprechend zu verfahren und
von Lebendimpfungen abzuraten. Natürlich hängt das Ausmaß der Gefährdung von der Dosierung der Medikamente ab, wobei eine höhere Dosierung
eine größere Gefährdung und eine niedrigere Dosierung eine geringere Gefährdung bedeuten. Besonders gefürchtet bei immunsupprimierten Kindern
waren früher die Windpocken. Jetzt
steht ein Impfstoff zur Verfügung, der,
falls es die Erkrankungssituation erlaubt,
rechtzeitig vor Einleitung der immunsuppressiven Therapie einzusetzen ist.
Sollte es bei immunsupprimierten, noch
ungeimpften Kindern tatsächlich zum
Ausbruch von Windpocken kommen, so
kann heute durch das Medikament Aciclovir (z.B. ZoviraxR) meist gut geholfen
werden. Dringend ist bei gefährdeten
rheumakranken Kindern die Windpokkenimpfung von deren Geschwistern zu
erwägen, um damit vorbeugend die Ansteckungsmöglichkeiten zu vermindern.
116
Zu 4) Kann der Impferfolg, d.h. die
Entwicklung der Schutzwirkung, durch die Behandlung
mit Immunsuppressiva,
Zytostatika, Biologika oder
Glucocorticoiden beeinträchtigt sein?
Die Entwicklung der Schutzwirkung
durch die Impfung („Totimpfstoffe“, „Lebendimpfungen“ nicht erlaubt, s.o.) ist
an ein regelrecht arbeitendes Immunsystem gebunden. Unter der Behandlung mit Immunsuppressiva, Zytostatika
oder Glucocorticoiden kann die Reaktion des Immunsystems auf die Impfung
so beeinträchtigt sein, daß keine ausreichende Schutzwirkung zustande
kommt. Denkbar ist dies auch bei Behandlung mit Biologika, jedoch fehlen
bislang aussagekräftige Daten. Daher
sollte bei Kindern, die unter einer der
genannten Therapieformen stehen, die
Überprüfung der Immunität durch eine
geeignete Untersuchung angestrebt
werden. Bei nicht ausreichendem
Impfergebnis kann mit einer höheren
Impfdosis nachgeimpft werden; wiederum muß das Impfergebnis durch geeignete Untersuchungen überprüft
werden.
Zu 5) Sind alle Impfungen genauso
wichtig bzw. welche Impfungen sind von besonderer Bedeutung?
Selbstverständlich gibt es je nach Alter
und Situation des Kindes verschieden
wichtige Impfungen. Beispielsweise
wäre eine Impfung gegen Frühsommer-
Kapitel 8
Meningoenzephalitis (FSME) nicht als
dringlich anzusehen, wenn das betreffende Kind weder in einem diesbezüglich gefährdeten Gebiet wohnt noch
eine Reise in ein solches Gebiet geplant
ist. Dagegen gelten Impfungen gegen
Diphtherie, Tetanus oder Kinderlähmung, die bei uns nach wie vor zwar
selten sind, dennoch als dringlich, da
diese Erkrankungen als äußerst gefährlich und lebensbedrohend einzustufen
sind. Hinweise für die Durchführung von
Impfungen bei rheumakranken Kindern
gibt Tabelle 2.
Zusammenfassung und abschliessende Bemerkungen
• Grundsätzlich
ist ein ausreichender
Impfschutz gegen alle gefährlichen
Infektionskrankheiten gerade für das
rheumatisch erkrankte Kind anzustreben. Dabei ist zu beachten, daß auch
sonst häufig als eher harmlos eingeschätzte Erkrankungen wie Windpokken bei immunsupprimierten Kindern
sehr schwer verlaufen können. Gegen
Windpocken sollte deshalb, sofern es
die Erkrankungssituation erlaubt, vor
einer immunsuppressiven Therapie
geimpft werden. Durch die Impfung
von Geschwistern und anderen Personen, die keine Windpocken durchgemacht haben und in häufigem Kontakt
mit
dem
gefährdeten
rheumakranken Kind stehen, kann das
Infektionsrisiko für das rheumakranke
Kind herabgesetzt werden.
• Zu beachten ist, daß nach erfolgter
Impfung bei immunsupprimierten
Kindern der Impferfolg mittels geeig-
neter Untersuchungen überprüft
werden soll.
• Bei Immunsupprimierten dürfen
grundsätzlich keine Lebendimpfungen verabreicht werden.
• Bei Impfungen, die vorwiegend aus
gesundheitspolitischen
Gründen
(Ausrottung der betreffenden Erkrankung in der Bevölkerung) bereits im
Kleinkindalter gegeben werden, sollte
bei rheumakranken Kindern individuell abgewogen und entschieden
werden. Auf eine Rötelnimpfung kann
bei rheumakranken Jungen grundsätzlich und bei Mädchen vor der Pubertät verzichtet werden. Danach
sollten rheumakranke Mädchen nur
geimpft werden, wenn sich im Blut
keine ausreichenden Rötelnantikörper-Konzentrationen nachweisen lassen. Bei Hepatitis B ist vor der Pubertät die epidemiologische Situation zu
berücksichtigen; bei geringer Gefährdung kann die Impfung zurückgestellt werden. In jedem Fall sollte
jedoch vor Erreichen des geschlechtsaktiven Alters gegen Hepatitis B
geimpft werden.
• In Rheumaschub-Situationen sollte
nicht geimpft werden. Vielmehr ist
dringend zu überprüfen, ob eine anstehende Impfung nicht verschoben
werden kann.
• Das individuelle Eingehen auf die jeweils besondere Situation des zu impfenden rheumakranken Kindes wird
heute dadurch erschwert, daß für
verschiedene Erkrankungen keine
Einzelimpfstoffe mehr zur Verfügung
stehen.
117
Impfungen bei Autoimmunerkrankungen
Tab.2: Hinweise für die Durchführung von aktiven Schutzimpfungen bei immunsupprimierten
und nicht immunsupprimierten Kindern mit rheumatischen Erkrankungen. Jeder Einzelfall ist
gesondert zu beurteilen. Die Tabelle gibt lediglich Beispiele und Anhaltspunkte.
Impfung
Immunsupprimiert
Lebendimpfungen
Nicht
immunsupprimiert
Masern
Mumps
Röteln
zu unterlassen
zu unterlassen
zu unterlassen
Tuberkulose
zu unterlassen
Windpocken
vor Beginn einer
immunsuppressiven
Therapie
möglich
möglich
vor der Pubertät
abzuraten, nach der
Pubertät nur, wenn
keine ausreichende
RötelnantikörperKonzentration im Blut
nachzuweisen ist
nur in besonderen
Situationen
eventuell als Schutzmaßnahme für die
immunsupprimierten
Kinder
Kinderlähmung
(Spritzimpfstoff)
Diphtherie
Tetanus
Hepatitis A
empfohlen
empfohlen
empfohlen
empfohlen
bei Gefährdung
empfohlen
empfohlen
bei Gefährdung
Hepatitis B
bei Gefährdung
bei Gefährdung
Hämophilus
influenzae (HiB)
Keuchhusten
FSME
Pneumokokken
empfohlen
empfohlen
empfohlen
bei Gefährdung
empfohlen
empfohlen
bei Gefährdung
zu erwägen
möglich
möglich
8
Totimpfstoffe
Grippe
(Influenza)
118
Bemerkungen
die Impfung kann
als (seltene)
unerwünschte Wirkung
eine Polyarthtitis
hervorrufen
geimpfte nicht immunsupprimierte Kinder
stellen keine Infektionsquelle für gefährdete
Kinder mehr dar
z.B. bei bestimmten
Auslandsreisen
ab Pubertät grundsätzlich empfohlen
azellulärer Impfstoff
Polysaccharid-Impfstoff
ab vollendetem
2. Lebensjahr
Nach Möglichkeit im
Remissionsstadium,
nicht während aktiver
Phasen impfen
Kapitel 9
Ernährung
V. Miller
»
»
»
»
Kann kindliches Rheuma durch eine falsche Ernährung
ausgelöst sein? .......................................................................... 120
Kann kindliches Rheuma durch eine bestimmte Ernährung
beeinflusst werden? .................................................................. 120
Was gibt es praktisch zu beachten? ........................................ 120
Vitamine und Spurenelemente ................................................. 121
119
Ernährung
» Kann kindliches Rheuma
» Was gibt es praktisch zu
Es ist nicht bekannt, dass die vor dem
Auftreten der rheumatischen Erkrankung praktizierte Ernährung eine Ursache für das Entstehen der Erkrankung
darstellt.
Eine wichtige Rolle bei der Verbreitung
der Entzündung im Körper spielen sogenannte Entzündungsbotenstoffe. Beim
Aufbau dieser Stoffe werden verschiedene Fettsäuren benötigt, andere können hemmend wirken.
durch eine falsche
Ernährung ausgelöst sein?
» Kann kindliches Rheuma
9
durch eine bestimmte
Ernährung beeinflusst
werden?
Ja, es gibt Untersuchungen an erwachsenen Rheumatikern, die zeigen, dass
eine bestimmte Art der Ernährung in der
Lage ist, die Entzündungsaktivität der
Erkrankung günstig zu beeinflussen und
dadurch helfen kann, nichtsteroidale
Antirheumatika (NSAR) einzusparen. Für
Erwachsene gibt es Empfehlungen der
Deutschen Gesellschaft für Ernährung.
Auch bei Kindern ist davon auszugehen,
dass durch die Ernährung ein Einfluss
auf die Erkrankung möglich ist. Basismedikamente werden durch eine Ernährungsumstellung nicht ersetzt, aber es
können eventuell NSAR eingespart werden. Bei Kindern muss jedoch noch viel
mehr auf eine ausgewogene Ernährung
und die nötige Zufuhr von Nähr- und
Mineralstoffen sowie Vitaminen geachtet werden. Daher sollten mit Kindern
keinesfalls extreme Diäten oder gar
Fastenkuren durchgeführt werden, wie
sie bei Erwachsenen mit rheumatischen
Erkrankungen in der naturheilkundlichen Medizin praktiziert werden.
120
beachten?
Entzündungsfördernd wirkt vor allem
die Arachidonsäure, die in tierischen
Produkten (Fleisch, Wurstwaren, Milchprodukte, Eier) enthalten ist. Empfohlen
werden kann eine Reduktion der Arachidonsäureaufnahme (z.B. auf 350 mg/
Woche) durch Begrenzung der Aufnahme von tierischen Produkten. Ein kompletter Verzicht bringt keine Vorteile, da
der Körper selbst die Arachidonsäure,
unabhängig von der Ernährung, aus anderen Fettsäuren aufbauen kann und die
Enährung dadurch eventuell unausgewogen wird. Eine Fleischmahlzeit wird
zweimal pro Woche empfohlen. Arachidonsäurearmes Fleisch sind Geflügel
und magere Fleischsorten. Je fetter ein
Fleisch ist, desto mehr Arachidonsäure
enthält es. Dasselbe gilt für die Milchprodukte. Es ist daher die Verwendung
von fettarmen Milchprodukten günstig.
Die empfohlene Wochendosis eines Erwachsenen von 350 mg Arachidonsäure
ist in beispielsweise 3,5 l fettarmer Milch
1,5% (70mg Arachidonsäure), 280g Hartkäse (80mg), 2 Fleischportionen á 150 g
(120mg) und 2 Eiern (80mg) enthalten.
Entzündungshemmend wirken dagegen
verschiedene Omega-3-Fettsäuren, wie
die Eicosapentaensäure, die in Fischölen
Kapitel 9
enthalten ist, oder die Alpha-Linolensäure, welche in verschiedenen pflanzlichen Ölen vorkommt.
Günstig ist daher der Konsum von Fisch
z.B. durch zwei Fischmahlzeiten in der
Woche. Je fetter der Fisch ist, desto höher liegt der Anteil an Omega-3-Fettsäuren, desto günstiger also im Hinblick
auf die entzündungshemmende Wirkung. Prinzipiell gilt, dass der Anteil der
antientzündlich wirksamen Fischöle in
Seefischen wie Lachs, Makrele, Hering,
Sardine und Thunfisch höher liegt als in
Süßwasserfischen. Zusätzliche Fischöle
können auch in Form von Fischölkapseln
zugeführt werden.
Günstige pflanzliche Öle, die AlphaLinolensäure enthalten, sind Raps-,
Soja-, Walnuss- und Leinöl. Entzündungshemmend wirkt auch die pflanzliche Gamma-Linolensäure. Sie findet
sich in Nachtkerzensamen-, Borretsch-,
schwarzem Johanniskern-, Sesam- und
Kürbiskernöl.
Prinzipiell gilt:
• Mit Kindern sollten nie extreme Diäten durchgeführt werden.
• Die Kinder sollten nicht zu einer anderen Ernährung gezwungen werden.
• Eine Ernährungsumstellung ist dann
empfehlenswert, wenn sie dem Kind
nicht schwer fällt.
• Am besten sollte die ganze Familie an
der Ernährungsumstellung teilnehmen, damit es sich nicht um eine Diät,
die das kranke Kind essen muss, handelt, sondern um das reguläre Familienessen.
• Werden
die genannten Ernährungsgrundsätze berücksichtigt, entsteht
eine cholesterinarme Diät, die im
übrigen auch für die Erwachsenen
günstig ist.
Der wesentliche Effekt einer Ernährungsumstellung bei erwachsenen
Rheumatikern war in Studien eine
mögliche Reduktion der nichtsteroidalen Antirheumatika von durchschnittlich etwa 30%. Die Effekte einer Ernährungsumstellung machen
sich frühestens nach vier bis acht
Wochen bemerkbar, wenn der körpereigene Arachidonsäurepool langsam abgebaut ist.
Vitamine und Spurenelemente
Prinzipiell empfiehlt sich eine ausgewogene Kost, die Vitamine in Nahrungsmitteln wie Obst und Gemüse enthält.
Durch eine vielseitige Ernährung werden
die Vitamine und Spurenelemente normalerweise in ausreichender Menge
aufgenommen. Die Gefahr einer zusätzlichen Vitamingabe ist immer auch die
der Überdosierung, wobei hier vor allem
Vitamin D und A zu beachten sind.
Relativ häufig als Nahrungsmittelergänzung wird Vitamin E eingenommen, da
es im Blut von Rheumapatienten erniedrigt gemessen wurde und ausserdem
mit unserer Ernährung eher knapp zugeführt wird. Ein positiver Effekt einer
Vitamin E-Einnahme auf rheumatische
Erkrankungen konnte wissenschaftlich
bislang jedoch nicht belegt werden, so
dass die Einnahme umstritten ist. Be121
Ernährung
kannt ist, dass hohe Vitamin E-Dosen
auch unerwünschte Effekte haben können, da sie das Immunsystem stimulieren können, was bei Autoimmunerkrankungen wie Rheuma nicht erwünscht
ist. Hochdosiertes Vitamin E sollte daher
nicht eingenommen werden. In den
empfohlenen Pflanzenölen (auf kühle
und dunkle Lagerung achten), Nüssen
und Meeresfischen ist reichlich Vitamin
E enthalten.
9
Auch Selen (enthalten in Nüssen, Meeresfischen und Fleisch), Vitamin A und C
wurden als Nahrungsmittelergänzung
diskutiert, eine antirheumatische Wirkung konnte wissenschaftlich bislang
nicht nachgewiesen werden.
Vitamin C ist in allen Früchten, Gemüsen
und Salaten enthalten und wird normalerweise in ausreichender Menge mit
der Nahrung aufgenommen. Besonders
reichlich ist es in Paprika, schwarzer
Johannisbeere, Sanddorn und Zitrusfrüchten zu finden.
122
Vitamin A ist vor allem in allen roten,
gelben und grünen Gemüsen wie Karotten, Spinat, Broccoli, Grünkohl und roten Beeten enthalten. Bei Einnahme von
Vitamin A als pharmazeutische Zubereitung (Kapseln, Tropfen etc.) ist die
Gefahr unerwünschter Wirkungen durch
Überdosierung groß (x z.B. Kopfschmerzen, Meningitis-ähnliche Symptomatik),
daher muss davon abgeraten werden.
Kapitel 10
Urlaub
R. Häfner, H. Michels
123
Urlaub
10
Rheumakranke Kinder reagieren meist
weniger auf klimatische Einflüsse als Erwachsene. Dennoch sollte man für eine
Urlaubsreise extreme Klimaschwankungen vermeiden. Ungewohnte Hitze oder
Kälte erfordern ein hohes Maß an Anpassung und bedeuten somit immer
eine körperliche Belastung. Viele Rheumakinder fühlen sich in einer warmen,
trockenen, aber nicht zu heißen Umgebung am wohlsten.
Bei Reisen in südliche Länder oder gar
nach Asien muss bedacht werden, dass
ungünstige hygienische Bedingungen
zu infektiösen Durchfällen führen und
damit auch zur Auslösung eines Rheumaschubes führen können.
bedeutet das fast immer auch eine Erholung von der Krankheit. Viele Eltern
berichten uns, dass sich ihr rheumakrankes Kind im Urlaub viel freier bewegt,
weniger über Schmerzen klagt und sich
insgesamt wohler fühlt als in der Hektik
des Alltags.
Wichtiger als die äußeren Bedingungen
am Urlaubsort ist jedoch die Urlaubssituation als solche. Der Urlaub dient zur
Erholung und Entspannung für die
ganze Familie. Suchen Sie sich deshalb
in erster Linie ein Urlaubsziel, das die Erwartungen und Wünsche aller Familienmitglieder berücksichtigt. Kinder wollen
sich im Urlaub austoben, wollen etwas
erleben. Viele Urlaubsvergnügen sind
auch mit einem rheumakranken Kind
möglich. Es bieten sich an: Fahrradtouren, Badeurlaub an warmen Seen oder in
Schwimmbädern, Besuche von Museen,
Zoos oder Vergnügungsparks sowie
zahlreiche andere Besichtigungen oder
Erkundigungen in der Umgebung. Planen Sie aber auch immer Erholungsphasen ein. Faule Tage mit Lesen, Basteln
und gemeinsamen Spielen sind für alle
Kinder wichtig und erhöhen den Erholungswert des Urlaubs. Wenn sich die
ganze Familie am Urlaubsort wohl fühlt,
Die täglich erforderlichen Rheumamedikamente müssen in ausreichender Menge mitgenommen werden. Falls Medikamente gespritzt werden müssen,
werden natürlich auch Spritzen, Kanülen, Desinfektionsmittel und Tupfer
benötigt. Bei subkutan gespritztem Methotrexat (MTX) sollte beim behandelnden Arzt nachgefragt werden, ob vorübergehend für die Urlaubszeit nicht
auch MTX-Tabletten genommen werden
können; man würde sich dann die Kanülen etc. sparen können. Mit dem Reisebüro, örtlichen Zollbehörden oder auch
vielleicht mit Ihrem Apotheker sollten
Sie besprechen, ob bei Reisen ins
Ausland Probleme beim Zoll auftreten
könnten, z.B. könnten Spritzen und Kanülen die Zollbehörde fälschlicherweise
an Drogenmissbrauch denken lassen. Im
Zweifelsfall wäre eine ärztliche Bescheinigung über die derzeit notwendige
Therapie sicher hilfreich. Vor jeder Ur-
124
Trotzdem sollten Sie nicht gerade in Urlaub fahren, wenn sich bei Ihrem Kind
ein Rheumaschub eingestellt hat. Ihr
Kind braucht dann besonders viel Ruhe
und die Sicherheit der gewohnten Umgebung. Außerdem fehlen Ihnen am Urlaubsort meist die Möglichkeiten für die
täglichen Verordnungen, Krankengymnastik und die ärztliche Beratung.
Kapitel 10
laubsreise sollten Sie mit Ihrem betreuenden Arzt absprechen, welche Medikamente Sie für den Notfall noch einpacken sollten und was Sie tun können,
wenn Ihr Kind Fieber, Durchfall oder eine
andere Infektionskrankheit bekommt.
Wird Ihr Kind mit sogenannten Biologika (Etanercept - EnbrelR oder Adalimumab - HumiraR) behandelt, so ist es
unbedingt erforderlich, dass diese Medikamente bis zu ihrem Verbrauch vorschriftsmäßig gekühlt werden („normale
Kühlschranktemperatur“), also während
der Auto-, Zug- oder Flugzeug-Reise
Aufbewahrung in einer entsprechenden
Kühlbox. Die Kühlkette darf nicht unterbrochen werden; andernfalls können die
Medikamente ihre Wirksamkeit verlieren. Im Zweifelsfall besprechen Sie mit
Ihrem behandelnden Arzt oder Apotheker, was zu tun ist.
zen. Leichte Kleidung als Sonnenschutz
gilt als günstiger im Vergleich zu Sonnenschutzcremes, auf die aber nicht
verzichtet werden sollte (hohen Lichtschutzfaktor wählen!)
Für Notfälle kann es hilfreich sein, wenn
Sie sich die Telefonnummern Ihres
Hausarztes oder der betreuenden Rheumakinderklinik/-abteilung notieren, damit Sie sich auch im Urlaub gegebenenfalls Rat holen können.
Bei Reisen in südliche Länder
bzw. überhaupt, wenn mit erhöhter UV-Bestrahlung zu
rechnen ist, muss für ausreichenden Sonnenschutz gesorgt sein. Bei manchen Erkrankungen, etwa beim juvenilen
systemischen Lupus erythematodes, kann ver mehrte UV-Bestrahlung einen Krankheitsschub auslösen. Auch manche
Medikamente, z.B. Chloroquin
und Hydroxy-Chloroquin (ResochinR, QuensylR), machen die
Haut gegen Sonnenbestrahlung
überempfindlich („Fotosensibilität“). Keinesfalls sollte man
sich als Betroffene/r der direkten Sonnenbestrahlung ausset125
Notizen
10
126
Kapitel 11
Sport
R. Häfner
127
Sport
Darf ein Kind mit chronischer
Arthritis Sport treiben?
11
Die erkrankten Gelenke sollen viel bewegt, aber wenig belastet werden. Daraus ergibt sich, dass die sportlichen Aktivitäten dem entzündlichen Stadium
anzupassen sind. Schwimmen und Radfahren darf praktisch immer betrieben
werden. Sie haben sogar einen therapeutischen Nutzen, da sowohl das Wasser als auch der Fahrradsattel das Körpergewicht tragen und die Gelenke
somit in Entlastung bewegt werden.
Beim Schwimmen sollte darauf geachtet
werden, dass das Wasser warm genug ist
und das Kind nicht auskühlt. Ideal sind
Wassertemperaturen von 26-32°C. Im
Sommer kann man auch 22-24°C tole-
128
rieren. Das Kind soll aber hinterher gut
abgetrocknet und vor Auskühlung geschützt werden. Das Fahrrad kann so
weit wie möglich für den Schulweg genützt oder auch im Freizeitbereich für
Besuche bei Freunden, Einkaufsfahrten
etc. eingesetzt werden. Am Wochenende
ersetzen Radtouren mit der Familie den
Sonntagsspaziergang. Radfahren ist bei
Kindern ohnehin beliebter als Wandern.
Weitere Sportarten sind je nach Befallsmuster der Arthritis und Krankheitsstadium möglich (Abbildung).
Während aktiver Krankheitsphasen mit
starken Gelenkschwellungen oder gar
Schmerzen sollten sportliche Aktivitäten
eingeschränkt werden. Die Belastung
fördert sonst Schon- und Fehlhaltungen
Kapitel 11
Tennis
Alpinski
bei Krankheitsstillstand
Fußball
Geräteturnen
Leichtathletik
Reiten
Tanzen
Federball
Tischtennis
bedingt möglich
Skilanglauf
Nordic Walking
Schwimmen
Radfahren
und erschwert den Heilungsprozess.
Wenn die Entzündungszeichen abklingen und die krankengymnastische Behandlung zu einer guten Gelenkstellung
und Funktion geführt hat, kann Ihr Kind
wieder schrittweise in weitere sportliche
Aktivitäten eingeführt werden. Sie sollten es allerdings nie dazu drängen und
immer darauf achten, dass der Sport einen spielerischen Charakter behält und
Leistungssport vermieden wird. An
Sportarten, die recht bald wieder aufgenommen werden können, eignen sich
Tischtennisspielen, leichte rhythmische
günstig
Gymnastik und im Winter Skilanglauf.
Bei erkrankten Beingelenken sollten alle
Sportarten mit Springen, Laufen und
akutem Abbremsen, wie z.B. Fußball,
Leichtathletik, Tennis, vermieden werden. Auch Sportarten mit erhöhtem Verletzungsrisiko, wie alpiner Skilauf, Eislaufen und Inline-Skating, können sich
ungünstig auswirken, da ein Sturz auf
das Gelenk zum Aufflackern der Arthritis
führen kann. Sportlich begabte Kinder
können meist großzügiger wieder am
Sport teilnehmen. Sportarten, die ihr
Kind schon vor der Erkrankung be129
Sport
herrscht hat, können früher wieder aufgenommen werden. Dagegen bedeutet
das Erlernen eines neuen Sports meist
eine stärkere Belastung mit erhöhtem
Verletzungsrisiko.
11
Für den Schulsport gilt Ähnliches. Bei
noch aktivem Entzündungsprozess raten
wir von der Teilnahme zunächst ab. Sobald sich die Arthritis zurückgebildet
hat, soll vorsichtig und stufenweise wieder am Unterricht teilgenommen werden. Das setzt allerdings voraus, dass der
Lehrer Verständnis für die Erkrankung
hat und zu Kompromissen bereit ist. Die
Kinder können zunächst wieder bei
gymnastischen Übungen und Ballspielen
130
mitmachen, evtl. auch Übungen am
Schwebebalken oder Stufenbarren, aber
ohne Absprünge. Mit Leichtathletik und
Übungen an Sprunggeräten sollte erst
wieder begonnen werden, wenn die Erkrankung schon einige Zeit zur Ruhe gekommen ist und keine Gelenkfehlstellungen mehr bestehen. Sprechen Sie
auch vorher mit dem Lehrer, ob er bereit
ist, von einer Benotung Abstand zu nehmen. Die begrenzte Teilnahme wird
manchmal mit einer schlechteren Note
bestraft und führt somit zu Enttäuschungen und Resignation. Unsere gemeinsame Aufgabe ist es jedoch, das
Kind zu motivieren und ihm die Freude
an Sport und Bewegung zu erhalten.
Kapitel 12
Aspekte der Krankheitsbewältigung
M. Rummel-Siebert, B. Fauser
»
»
»
»
»
»
»
»
»
»
»
»
»
Die Zeit bis zur Diagnosestellung...............................................133
Der Diagnoseschock.....................................................................134
Wie reagiert das Umfeld? ...........................................................134
Die Situation des Kindes .............................................................135
Alltagserfahrungen ......................................................................136
Auswirkungen auf die Situation der Eltern ..............................137
Was bedeutet die Krankheit für die Geschwister?....................138
Die Schuldfrage............................................................................139
Zwischen ‘Glucke’ und ‘Rabenmutter’........................................140
Achtung: Krankheitsgewinn! ......................................................140
Patientenschulung und andere Hilfestellungen ........................141
Unterstützung suchen und finden..............................................141
Leben trotz Rückschlägen ...........................................................142
131
Aspekte der Krankheitsbewältigung
12
Die Diagnose einer chronischen Erkrankung hat nicht nur Auswirkungen auf
die betroffenen Kinder und Jugendlichen, sie erfasst das ganze Familiensystem sowie das soziale Umfeld. Zu Beginn ist für die betroffene Familie noch
gar nicht absehbar, was alles auf sie zukommen wird. Wie ein großer Berg türmen sich zunächst viele Fragen, Ängste
und Unsicherheiten auf, all dies will bewältigt und verarbeitet werden.
Die folgenden Ausführungen beschäftigen sich mit Fragen der Lebensbewältigung bzw. mit den psychosozialen
Aspekten einer chronischen Erkrankung.
Dass die Diagnose ‚Rheuma’ das Familienleben in besonderer Weise prägt,
wird an einigen Stellen immer wieder
deutlich. Für die Krankheitsbewältigung
ist es entscheidend, dass die Auswirkungen und Veränderungen im Blick auf das
Familiensystem wahr- und ernstgenommen werden.
Rheuma gilt heutzutage weitgehend
immer noch als ‚Alterskrankheit’. Auf die
Diagnose ‚juvenile idiopathische Arthritis’ reagieren viele Eltern und Angehörige oft ungläubig, rat- und hilflos. Das
Krankheitsbild ist nur schwer einzuordnen. Rheuma bei Kindern? Das lässt
Zweifel aufkommen. Wie schlimm ist die
Krankheit eigentlich? Wird das Kind wieder ganz gesund werden? Was bedeutet
die Diagnose für die künftige Lebensplanung von Betroffenen und deren Angehörigen? Viele berechtigte Fragen tauchen auf und fordern Antworten.
Mit Beginn der chronischen Erkrankung
betreten alle Beteiligten ‚Neuland’. Für
132
die ‚Phase der Krankheits-Annäherung’
lassen sich zwei Grundmuster unterscheiden.
A) Die Patienten und Angehörigen
wollen möglichst schnell Sicherheit gewinnen. Sie sind ‚auf der
Jagd’ nach Informationen über die
Krankheit, Möglichkeiten der
Therapie sowie weiterführende
Hilfestellungen.
B) Andere Betroffene wiederum setzen sich erst mit Fragen und Problemen der Krankheit auseinander,
wenn sie auftauchen. Sie wollen
möglichst wenig davon wissen
(Vogel-Strauß-Taktik), frühzeitige
Informationen verunsichern und
sind für sie kräftezehrend.
Es gibt hier weder ein ‚Richtig’ noch ein
‚Falsch’. Beide Verhaltensweisen sollten
respektiert werden. Die Annäherung an
die Krankheit kann immer nur ein Prozess sein, bei dem sich alle Beteiligten
gemeinsam ‚auf den Weg machen’ müssen. Wichtig ist dabei der ehrliche, offene Umgang mit den eigenen Gefühlen.
Gönnen Sie sich, wo immer dies möglich
ist, Ihr eigenes Tempo!
Ein Merkmal der chronischen Arthritis
ist der unvorhersehbare Krankheitsverlauf. Trotz aller Erfahrungswerte und
Therapiefortschritte weiß niemand, was
auf die Patienten und Angehörigen zukommen wird. Dennoch ist es möglich
den Krankheitsverlauf günstig zu beeinflussen. Aus diesem Grund arbeiten wir
im Rahmen eines ganzheitlichen Thera-
Kapitel 12
piekonzeptes mit allen Patienten, Angehörigen, Ärzten, Schwestern, Therapeuten sehr eng zusammen. Durch
die wiederkehrenden Klinikaufenthalte
wächst von Seiten der Kinder und Eltern
das Vertrauen zu allen Mitarbeitern. Die
familiäre Atmosphäre trägt dazu bei,
dass sich die Betroffenen mit ‚ihrer
Krankheit’ und deren Folgen nicht allein
gelassen fühlen.
Eine rheumatische Erkrankung ist, gleich
in welchem Alter sie auftritt, in jedem
Fall sehr ernst zu nehmen. Die Krankheitsverläufe sind in ihrer Ausprägung
und Schwere ganz unterschiedlich. Nur
in wenigen Fällen ist der Verlauf lebensbedrohlich. Dieses Buch möchte Ihnen
Mut machen, dass es trotz aller offenen
Fragen und Unwägbarkeiten viele Möglichkeiten gibt um den Krankheitsverlauf
gemeinsam positiv zu beeinflussen oder
zum Stillstand zu bringen. Viele gute
Ratgeber sind über die Deutsche Rheuma-Liga (www.rheuma-liga.de) erhältlich. Unter anderem berichten junge
Rheumatiker über ihr Leben mit einer
rheumatischen Erkrankung. Sie wollen
Mut machen und zeigen, dass es trotz
aller Beschwernisse möglich ist ein selbstbestimmtes und erfülltes Leben zu führen.
In der Klinik erleben wir täglich aufgeweckte, fröhliche Kinder und Jugendliche, die körperlich nicht immer mit
gleichaltrigen Altersgenossen mithalten
können. Gerade diese Patienten entwikkeln aber oft eine bewundernswerte
Sensibilität für sich und andere Menschen. Sie alle würden vermutlich ein
Leben ohne ihre Erkrankung bevorzugen.
Gleichwohl haben sie durch ihre Krankheiten vieles gelernt und erfahren, das
ihr Wesen und ihre Einstellung zum
Leben positiv prägt.
Viele Beschwernisse des Alltags müssen
trotz dieser Mut machenden Perspektive
weiterhin bewältigt werden. Jeder Tag
muss neu erlebt und gelebt werden. Was
morgen, in einem Monat oder nächstes
Jahr auf die Betroffenen zukommt, kann
niemand vorhersagen. Dies gilt für Gesunde wie für Kranke gleichermaßen, jedoch wird es uns bei rheumakranken
Kindern umso deutlicher bewusst.
Ein wichtiger Schritt für eine erfolgreiche Krankheitsbewältigung ist die Akzeptanz der krankheitsbedingten Planungsunsicherheit. Patienten und
Angehörige müssen beispielsweise lernen, über den nächsten Urlaub, das
nächste Reiseziel künftig kurzfristig zu
entscheiden. Vieles hängt davon ab, wie
es den betroffenen Kindern in der aktuellen Situation geht. Was Sie und das
Kind jedoch beeinflussen können, ist die
Gestaltung des heutigen und auch des
morgigen Tages!
Die Zeit bis zur Diagnosestellung
Noch immer vergehen, aufgrund des geringen Bekanntheitsgrades des kindlichen Rheumas, teilweise Wochen, Monate und Jahre bis zur Diagnose der
juvenilen Arthritis. Es ist eine Zeit der
Unsicherheit. Oft gelten Kinder und Jugendliche als Simulanten. Beschwerden
werden nicht ernst genommen, und
133
Aspekte der Krankheitsbewältigung
12
wenn, werden sie als wehleidig bezeichnet. Gerne würden Eltern den Beschwichtigungen von Freunden und
Ärzten Glauben schenken. Sie selbst
spüren aber, dass irgendetwas mit dem
Kind nicht stimmt. Oftmals erzählen Eltern von einer langen Klinik-Odyssee
und viel diskutierten Krankheitsbildern.
Die Bandbreite reicht von ‘harmlosen,
alterstypischen Wachstumsschmerzen’
bis hin zur ‘Leukämie’.
Vielleicht ziehen Sie sich in dieser Phase
zurück, um selbst Sicherheit zu gewinnen. Vielleicht suchen Sie aber auch das
Gespräch mit anderen Menschen, den
Austausch in Selbsthilfegruppen. Wesentlich hängt dies von Ihrer ganz
individuellen Bewältigungsstrategie ab.
Signalisieren Sie aber auch Ihrer Umwelt
wie es Ihnen geht, denn nur dann können sich Ihre Mitmenschen darauf einstellen und sich entsprechend verhalten.
Allzu verständlich sind die Irritationen
auf Seiten der Eltern und die damit verbundenen Gefühls- und Stimmungsschwankungen. Viele sind von dem
ständigen Auf und Ab müde und sehnen
sich nach einer klaren verlässlichen Diagnose, einem Arzt, der endlich Licht ins
Dunkel bringt. Doch auch in einer Fachklinik vergeht bis zur sicheren Diagnose
eine geraume Zeit. Wieder beginnt die
Auseinandersetzung mit der Frage: „Was
ist, wenn mein Kind Rheuma hat?“
In einer Fachklinik wird der ‚Diagnoseschock’ mitunter dadurch verstärkt, dass
Eltern zum ersten Mal Kinder und Jugendliche sehen, die seit Jahren unter
dieser Krankheit leiden und zum Teil
durch Fehlstellungen schwer gezeichnet
sind. Sie sollten sich jedoch bewusst machen, dass sie hier nur denjenigen Patienten begegnen, die immer noch in die
Klinik kommen müssen. Es gibt aber sehr
viele rheumakranke Kinder, bei denen
der Krankheitsverlauf so positiv beeinflusst wurde, dass sie gar nicht mehr
oder zum Teil nur in sehr großen Abständen zur stationären Behandlung
kommen müssen!
Der Diagnoseschock
Besteht letztlich Gewissheit über die Diagnose, dann schlagen meist zwei Herzen
in der Brust der Patienten und Angehörigen: Einerseits sind die Beteiligten froh,
dass die Krankheit endlich einen Namen
hat! Andererseits besagt die Diagnose,
dass es sich vermutlich um eine chronische, unter Umständen fortschreitende
Krankheit handelt. Fragen kommen auf:
Wie wird die Erkrankung verlaufen? Welche Folgen hat die Krankheit für das Kind
und die Familie? Wie werden die Geschwister, der Partner, die Verwandten
und die Mitschüler reagieren?
134
» Wie reagiert das Umfeld?
Die Gedanken von Patienten und Eltern
‚wandern’ schnell über die Zeit des stationären Aufenthaltes hinaus. Oft wird
schon an den ersten Reaktionen von
Freunden und Bekannten deutlich, dass
kaum einer die Art und Schwere der
Krankheit sowie deren Folgen einzuschätzen vermag. Manch einer hat
schnell gut gemeinte Ratschläge, altbewährte Hausmittel oder spezielle Diä-
Kapitel 12
ten parat. Die Fehleinschätzungen und
Unsicherheiten der Umwelt beruhen jedoch meist auf einem Informationsdefizit. Für die betroffenen Familien ist das
vielfältige Schriftenmaterial der Deutschen Rheuma-Liga eine gute Möglichkeit der Informationsweitergabe. Die
Broschüren und die darin enthaltenen
persönlichen Erfahrungsberichte sind
mitunter eine gute Hilfe, um Verkrampfungen und Unsicherheiten des ‚Umfeldes’ zu reduzieren. Das persönliche Gespräch kann dabei nicht ausbleiben.
Immer wieder werden Eltern die Krankheit in unterschiedlichen Situationen erklären müssen.
Die Deutsche Rheuma-Liga, die KinderRheumastiftung und die Fachkliniken
erhöhen durch ihre Internetpräsenz,
Kongresse, Vorträge und Öffentlichkeitsarbeit den Informationsgrad innerhalb
der Ärzteschaft sowie der Bevölkerung.
Dennoch stoßen Eltern immer wieder
auf Unverständnis in Kindergärten,
Schulen oder bei Behörden. Sie erhalten
in diesen Fällen Unterstützung durch die
Elternkreise der Rheuma-Liga sowie die
Sozialdienstmitarbeiter der Kliniken.
Die Situation des Kindes
Je nach Krankheitsbild und -intensität
prägt die rheumatische Erkrankung das
Leben des Kindes in den unterschiedlichen Altersstufen. Wenn die Arthritis
nur einzelne Gelenke betrifft und die Erkrankung mit einer umfassenden Therapie schnell zum Stillstand gebracht wird,
dann sind die Auswirkungen nur gering.
Unter Umständen können aber auch re-
gelmäßige, teils mehrwöchige Klinikaufenthalte nötig werden. Die tägliche Eisbehandlung und die Krankengymnastik
zu Hause kann dabei viel Zeit und Energie in Anspruch nehmen. Aufgrund all
dieser notwendigen Therapieeinheiten
bleibt letztlich für das Kind weniger Zeit
im Freundeskreis übrig.
Kleinkinder können noch gar nicht verstehen, was mit ihnen und um sie herum
geschieht. Plötzlich soll das ‚Herumtollen’ mit Spielkameraden nicht mehr erlaubt sein. Dann gibt es auf einmal allerlei Hilfsmittel und ständig erinnern die
Eltern an gelenkschonendes Verhalten.
Wenn kleine Kinder Schmerzen haben,
dann können sie dies meist nicht in
Worte fassen. Manchmal sind sie aggressiv, zurückgezogen oder weinerlich.
Woher dieses Verhalten kommt, können
sie keinem erklären. Weder Eltern noch
Freunde können dies in den wenigsten
Fällen richtig einschätzen oder deuten.
Meist gelten Kinder dann als grundlos
launisch, empfindlich oder anstrengend.
Missverständnisse und Fehleinschätzungen sind mitunter schmerzliche Folgen.
Um dies zu vermeiden, unterdrücken ältere Kinder und Jugendliche oftmals ihre
Schmerzen. Sie wollen keine Außenseiter sein oder werden und ‚verstecken’
deshalb nicht selten ihre Krankheit. Wider besseres Wissen meiden sie den Gebrauch von Handschienen, Gehstützen
und anderer Hilfsmittel, denn die Umwelt wird oft erst durch sie auf die
Krankheit aufmerksam. Die wohltuende
und wichtige Wirkung der Hilfsmittel
wird somit ignoriert.
135
Aspekte der Krankheitsbewältigung
Spätestens in der Pubertät fällt es den
erkrankten Jugendlichen besonders
schwer, ein ‚positives Körpererleben’ zu
entwickeln. Idole und Leitbilder, die von
der Konsumgesellschaft und der Werbung propagiert werden, sind idealtypisch, gesund, sportlich, wohlgeformt,
stark und immer strahlend.
12
Betroffene Kinder und Jugendliche ‚lernen’ und ‚profitieren’ von den stationären Klinikaufenthalten. Sie sind dann
‘Gleiche unter Gleichen’ und niemandem muss Rheuma erklärt werden. Sie
kennen die Station und die Mitarbeiter
des Hauses, können ungeniert sämtliche
Hilfsmittel benutzen und erleben insbesondere andere Kinder und Jugendliche,
die mit der Krankheit leben lernen. Viele
Jugendliche haben die Krankheit gut in
ihr Leben integriert und zeigen einen
Weg auf, an dem sich andere Kinder
orientieren können. Nach einiger Zeit
werden rheumakranke Jugendliche vielleicht selbst zu ‚Vorbildern’ - gerade weil
sie gelernt haben, sich ihrer Krankheit zu
stellen und dennoch Spaß am Leben zu
haben! Viele Begegnungen von Jugendlichen finden im Rahmen des Freizeitprogramms statt. Betroffene erleben
neben den krankheitsbedingten Einschränkungen auch ihre Stärken und
machen ganz neue Erfahrungen.
Der Einfluss einer chronischen Erkrankung auf die Kinder und Jugendlichen
ist nicht zu unterschätzen. Jedoch gibt
es auch viele Lebensbereiche, in denen
sich gar nichts verändert. Wie jedes andere Kind haben die Patienten eigene
Ideen und Interessen, Stärken und
136
Schwächen, Glücksmomente und Liebeskummer. Kinder und Jugendliche
wollen nach und nach IHREN Lebensweg beschreiten, ihre eigenen Erfahrungen, Erfolgserlebnisse und Niederlagen
sammeln. Ob eine durchtanzte Nacht
gut für die Gelenke ist oder nicht, spielt
dabei manchmal keine Rolle - und das
ist gut so. Zu dem eigenen Lebenskonzept gehört dann auch die schrittweise
Loslösung von den Eltern.
Fehlzeiten und Lernrückstände können
die ‚Schullaufbahn’ teilweise begleiten.
Manches kann durch diszipliniertes Arbeiten aufgefangen werden. Wie gut die
Kinder diese Einschnitte verkraften, wird
sich im Laufe der Zeit erweisen. Eltern
und Kinder sollten sich aber davor hüten, sich zusätzlich zur Krankheit selbst
unter erhöhten Leistungsdruck zu setzen. Eine aufmunternde und fürsorgliche Haltung der Eltern tut den Kindern
gut.
Alltagserfahrungen
Durch die Krankheit wird der eigene Lebensrhythmus ganz verändert. Leidet
das Kind unter Morgensteifigkeit, dauert
morgens alles etwas länger. Die häuslichen krankengymnastischen Übungen
und die ambulanten Arztbesuche müssen in den Tagesablauf integriert werden. Tage und Wochen werden nunmehr
anders strukturiert. Zu Beginn wird es
nicht einfach sein, die erforderlichen
Termine in den täglichen Ablauf zu Hause zu integrieren. Alle Beteiligten müssen gemeinsam überlegen und ausprobieren, wann was am besten gemacht
Kapitel 12
werden kann. Nach einiger Zeit hat sich
der Alltag eingespielt. Parallel zur Krankengymnastik werden z.B. Vokabeln gelernt oder es wird eine wohlverdiente
Pause eingelegt.
Die notwendigen Untersuchungen und
Behandlungen sind und bleiben anstrengend und oft unangenehm.
Dennoch kehrt nach einiger Zeit für die
Kinder etwas Routine ein und sie bewältigen Blutabnahmen und Einspritzungen mit einer gewissen Gelassenheit.
Die Unvorhersehbarkeit des Krankheitsverlaufes lässt das HEUTE wichtiger werden. Was übermorgen oder in einem
Jahr ist, ist nicht abzusehen. Sich in dieser Weise auf die Gegenwart zu konzentrieren, ist zunächst ungewohnt und
manchmal anstrengend, doch darin liegt
auch eine Qualität. Die gemeinsame
Krankheitsbewältigung schafft vertraute
Momente, zwingt im hektischen Alltag
zu Rhythmus und Langsamkeit und
macht sensibel für Fortschritte und
schöne Erlebnisse.
Manche großen Ziele lassen sich nicht
aufrecht erhalten, die große Sportlerkarriere oder ein mit schwerer körperlicher
Beanspruchung verbundener Beruf wird
beispielsweise nicht möglich sein - aber
es gibt dennoch unzählige Möglichkeiten, das Leben positiv zu gestalten. Der
Prozess der Neuorientierung ist zunächst womöglich schmerzhaft, mitunter aber auch wohltuend, denn allen Beteiligten wird klar: Letztlich kann und
muss ein eigener Weg zur Krankheitsbewältigung gefunden werden!
Es kommt durchaus vor, dass die rheumatische Erkrankung und die notwendigen Therapieeinheiten nicht in das ‚Lebenskonzept’ der Familie integriert
werden können. Beides wird abgelehnt.
Mögliche Ursachen sind z.B. Widerstände des Kindes oder zu hohe Nebenwirkungen der Medikamente. Diese Problematik sollten Sie baldmöglichst mit
ihrem behandelnden Arzt und den Klinikmitarbeitern der Fachklinik besprechen. Gemeinsam können dann mögliche Lösungen gesucht werden.
Auswirkungen auf die
Situation der Eltern
Die Erkrankung des Kindes ist auch ein
Stressfaktor für die Eltern. Zum Teil sind
längere Krankenhausaufenthalte notwendig. Die Therapie und die Sorge um
das Kind binden Zeit und Kraft. Eltern
haben - bewusst oder unbewusst - ein
Bild von sich und ihrem Kind. Wenn das
Kind unter einer chronischen Krankheit
leidet, die seine Leistungsfähigkeit in
manchen Bereichen einschränken kann,
dann muss dieses Bild unter Umständen
revidiert werden. Die Eltern sind zunächst selbst traurig und verunsichert.
Sie erleben sich gegenüber der Krankheit
als machtlos und wünschen sich selbst
Trost und Zuversicht. Zugleich wollen sie
gegenüber dem Kind stark und hoffnungsvoll sein.
Viele Partner rücken in dieser Phase näher zusammen, geben sich Halt und suchen gemeinsam nach dem besten Weg.
Sie machen die gute Erfahrung, dass
sich ihre Beziehung auch in Krisenzeiten
137
Aspekte der Krankheitsbewältigung
bewährt. Vieles kann gemeinsam leichter getragen und entschieden werden.
Schwierig wird es, wenn die Partner sich
ganz unterschiedlich verhalten: Ein Elternteil möchte viel reden und klären,
der andere möchte am liebsten gar
nichts von der Krankheit und deren
Folgen wissen. Ist dies der Fall, dann
sollten sie sich zunächst etwas Zeit lassen. Oftmals spielt sich das nach und
nach aufeinander ein. Für den einen
Partner bieten die Elternkreise eine gute
Möglichkeit zum Gespräch um Sorgen,
Nöte und Ideen zu besprechen.
Das ist zwar nicht der eigentlich angestrebte Weg, aber es nimmt den Druck
etwas heraus und schenkt Zeit.
12
Finden die Partner in einer solchen Situation jedoch nicht mehr zueinander,
dann war die Krankheit des Kindes in der
Regel nicht Ursache, sondern, wenn
überhaupt, lediglich Auslöser der Beziehungskrise. Es ist allen Familienmitgliedern zu wünschen, dass die Partner in
dieser Situation die Hilfe einer entsprechenden Ehe- und Familienberatungsstelle in Anspruch nehmen. Dabei geht
es nicht nur um die Beziehung der Eltern. Es sollte unbedingt vermieden werden, dass das Kind den Eindruck gewinnt, es wäre mit seiner Krankheit
Schuld an der Partnerschaftskrise!
Falls Sie ihr Kind alleine erziehen, spüren
Sie wahrscheinlich den Druck und die
Verantwortung, die auf Ihnen lasten. Die
gesamte Alltagsorganisation bleibt an
Ihnen hängen: Das kranke Kind und
eventuelle Geschwisterkinder sollen
möglichst optimal versorgt sein, der
138
Haushalt muss organisiert, das Familieneinkommen gesichert werden...
Alleinerziehende meistern diese Aufgaben oft mit Bravour. Sie sind jedoch besonders in der Gefahr zu vereinsamen
und eigene Bedürfnisse permanent hinten anzustellen. Dem Gespräch mit anderen Eltern, dem Hausarzt oder den Klinikmitarbeitern kommt in dieser
Situation besondere Bedeutung zu. Es
ist einer der Vorteile der chronischen
Krankheit, dass durch die wiederkehrenden Begegnungen hilfreiche Beziehungen wachsen können, die über oberflächliche
Alltagskontakte
weit
hinausgehen.
Darüber hinaus gibt es konkrete Möglichkeiten der Entlastung, so z.B. die kostengünstige Übernachtung für Eltern
mit geringem Einkommen in der ‘Villa
Kunterbunt’ der Klinik in Garmisch-Partenkirchen. Andere Kliniken haben ähnliche Angebote.
» Was bedeutet die Krankheit
für die Geschwister?
Die Geschwisterkinder kommen durch
die chronische Krankheit ihres Bruders /
ihrer Schwester oft in eine sehr schwierige Lage. Plötzlich dreht sich alles um
das kranke Kind. Von den gesunden Geschwistern wird stets Rücksichtnahme
und Verständnis erwartet. Auch sie haben ein Anrecht auf Zuwendung von ihren Eltern und dies nicht nur dann,
wenn etwas ‚Zeit übrig bleibt’.
Kapitel 12
Es ist nicht leicht in dieser Situation den
richtigen Weg zu finden. Einerseits müssen Geschwisterkinder lernen, die eigene
Bedürftigkeit zu äußern, denn sonst
kommen sie zu kurz. Wird nun andererseits aber mehr Aufmerksamkeit eingefordert, kommen Eltern zusätzlich unter
Druck, da sie im Alltag schon alle Hände
voll zu tun haben.
In dieser Phase entwickeln gesunde Geschwisterkinder unter Umständen auch
ein schlechtes Gewissen, wenn sie merken, dass ihretwegen das kranke Kind
weniger Aufmerksamkeit erhält und sogar darunter leidet.
Von gesunden Geschwistern kann erwartet werden, dass sie die besondere
Bedürftigkeit des chronisch kranken
Kindes vor allem in krisenhaften Zeiten
erspüren und respektieren. Umgekehrt
ist es auch für das kranke Kind ein wichtiger Lernprozess, dass die Geschwister
ein Anrecht auf ungeteilte Aufmerksamkeit haben. Bei aller notwendigen Fürsorge darf bei den Kindern nicht der Eindruck entstehen, dass sie nur dann
genügend Zuwendung erhalten, wenn
sie entweder krank sind, mit schlechten
Noten nach Hause kommen oder sonst
irgendwie ‘aus der Reihe tanzen’.
Die Schuldfrage
Die Ursache einer rheumatischen Erkrankung ist bisher leider immer noch
unklar. Viele Komponenten kommen als
Auslöser in Frage. Wie bereits ausgeführt, gibt es Anhaltspunkte für eine gewisse erbliche Disposition. Bei anderen
Kindern mit chronischer Arthritis fehlen
diese Erbmerkmale jedoch. In jedem Fall
müssen aber weitere, bisher unbekannte
auslösende Faktoren dazukommen.
Doch eines steht fest, Sie als Eltern trifft
an der Erkrankung Ihres Kindes keinerlei
Schuld! Die Vermutungen und Unterstellungen mancher Zeitgenossen, Sie
hätten die Krankheit etwa durch zu
dünne Kleidung des Kindes oder zu einseitige Ernährung ausgelöst, entbehren
jeder Grundlage. Auch die betroffenen
Kinder können nichts für diese Situation! Eltern dürfen dem Kind auf keinen
Fall den Eindruck vermitteln, es wäre
krank, weil es nicht folgsam oder lieb
genug war! Sollte das Kind selbst auf
diesen Gedanken kommen, muss es unbedingt entlastet und aufgeklärt werden.
Ihr Kind ist aber weit mehr als nur das
kranke Kind. Es will auch in seinem
Wunsch nach Unabhängigkeit respektiert und manchmal einfach in Ruhe gelassen werden. In vernünftigen Maßen
dürfen Sie das sich und Ihrem Kind zugestehen, ohne dass Sie sich Schuldvorwürfe machen müssen.
Immer wieder stellen Eltern fest, im
Nachhinein hätte man vielleicht manches früher erkennen oder konsequenter
behandeln können. Doch sie sollten die
Vergangenheit möglichst schnell ruhen
lassen und ihre Kraft für die Zukunft
aufwenden. Gemeinsam können alle an
der Therapie beteiligten Personen viel
erreichen, um den Krankheitsverlauf positiv zu beeinflussen. Als Behandlungsziel gilt die optimale Versorgung. Allerdings müssen die Beteiligten immer
139
Aspekte der Krankheitsbewältigung
wieder der Realität ins Auge schauen
und auch die begrenzten Möglichkeiten
akzeptieren und mit ihnen leben lernen.
Zwischen ‘Glucke’ und
‘Rabenmutter’
12
Nach wie vor sind es in der Regel die
Mütter, die ihr Kind im häuslichen Alltag
betreuen und während der Klinikaufenthalte begleiten. Die Krankheit fordert
von den Müttern viel Zeit und Energie.
Teilweise geben berufstätige Mütter sogar ihre Arbeitsstelle auf, um sich mit aller Kraft dem Kind und den sonstigen
familiären Aufgaben zu widmen. Trotz
der damit verbundenen Minderung des
Familieneinkommens ist dieser Schritt in
vielen Fällen wohltuend für alle Beteiligten, denn sie haben mehr Zeit füreinander.
Andererseits ist dies auch eine ‚Gratwanderung’, denn die Krankheit darf
auch nicht zu sehr im Mittelpunkt stehen. Das Kind bedarf der elterlichen Fürsorge. Es braucht aber auch seine Ruhe
und den altersgemäßen Freiraum, um
eigene Erfahrungen machen zu können.
Der richtige Mittelweg liegt wohl zwischen der ‘gluckenhaften Fürsorge’ und
der ‘rabenmütterlichen Distanz’. Natürlich braucht das Kind während eines
Krankheitsschubes verstärkte Aufmerksamkeit und Betreuung. Es gibt aber
auch Phasen, in denen die Krankheit in
den Hintergrund treten kann und soll.
Neben aller berechtigter Fürsorge um
das kranke Kind sollten alle Familienmitglieder darauf achten, dass Kontakte gepflegt werden und die eigenen Interessen nicht zu kurz kommen.
140
Achtung: Krankheitsgewinn!
Eine ältere Patientin erzählte schmunzelnd, dass sie wegen ihrer Krankheit sehr zum Ärger ihrer gesunden Geschwister - nie in den Keller gehen
musste um Getränke für die Familie zu
holen.
Sie hat dieses kleine Privileg genossen.
Auch anderen Kindern ist es zu gönnen,
dass die Krankheit neben vielen Nachteilen im Alltag ab und zu auch Positives
für sie bereithält.
Nicht nur die Kinder, sondern die gesamte Familie kann von der Krankheit
profitieren, denn sie gibt ein Thema vor,
auf das sich jetzt alle konzentrieren können. Viele Familien rücken im Laufe der
Zeit näher zusammen, kleinere und größere Konfliktpunkte der Vergangenheit
verlieren an Bedeutung. Problematisch
wird es, wenn die Krankheit zum einzig
einigenden Faktor und beherrschenden
Thema der Familie wird, Konflikte auf
Dauer zugedeckt und offene Fragen
nicht mehr geklärt werden.
Ebenso schwierig ist es, wenn die betroffenen Kinder und Jugendlichen über
ihre Krankheitsschübe hinaus die Erfahrung machen, dass sie sich unter Verweis auf ihre Arthritis allerlei unangenehmen schulischen und privaten
Anforderungen entziehen können.
Falls diese Verhaltens- bzw. Vermeidungsmuster - bewusst oder unbewusst
- zunehmend wirksam werden, führt
dies dazu, dass nicht die Krankheit, sondern der natürliche Heilungsprozess bedroht wird. Wenn die Arthritis zu oft als
Schutzschild gegen die unangenehmen
Kapitel 12
Anforderungen des Lebens eingesetzt
wird, dann verlieren alle, die sich dahinter verstecken, das Selbstvertrauen, ihr
Leben auch ohne diesen Schutz zu meistern.
Auch hier ist es nicht leicht, den ‚goldenen’ Mittelweg zu finden. Denn ab und
zu dürfen Patienten und Eltern ohne
schlechtes Gewissen die wenigen Vorteile genießen, die die Krankheit mit sich
bringt. Keinesfalls darf dies zu einem gewohnten Verhaltensmuster werden,
denn dann nimmt eine Entwicklung ihren Anfang, die einer Gesundung und
erfolgreichen Lebensbewältigung im
Wege steht.
Patientenschulung und andere
Hilfestellungen
Zunehmend Verantwortung für die Gestaltung des weiteren Behandlungsverlaufes zu übernehmen, setzt ein hohes
Maß an Verständnis für die Krankheit
und Wissen um die Therapiemöglichkeiten voraus. Dieses Buch leistet einen
Beitrag zur umfassenden Information,
der durch weitere Broschüren und Informationsblätter der Deutschen RheumaLiga sowie andere Veröffentlichungen
ergänzt wird. Besonders Angehörige
greifen auf diese Hilfestellungen gerne
zurück.
Die Mitarbeiter der Fachkliniken haben
in vielen Fällen beobachtet, dass sich Jugendliche zwar oftmals gut informiert
fühlen, tatsächlich jedoch über ein
‚Krankheits-Halbwissen’ verfügen. So
haben sich langjährige Patienten gescheut nach einiger Zeit vermeintlich
‘dumme Fragen’ zu stellen.
Vertreterinnen und Vertreter aller Berufsgruppen aus verschiedenen deutschen Zentren für Kinderrheumatologie
entwickelten deshalb gemeinsam eine
Patientenschulung für Kinder, Jugendliche und Eltern, die in unterschiedlicher
Form an Wochenenden oder mehreren
Abenden angeboten wird.
Zentrale Themen des Schulungsprogramms sind:
• Was bedeutet Rheuma beim Kind?
• Wie behandelt man Rheuma beim
Kind?
• Rheuma braucht Bewegung - Physiotherapie bringt’s
• Wie kann ich Ergotherapie für mich
nutzen?
• Bewältigung im Alltag - Soziales und
Rechtliches
• Anregungen zur Krankheitsbewältigung
Neben diesem Schulungsprogramm sind
die Arztgespräche, Einzelberatungen
und Elternabende wertvolle Hilfen um
möglichst gut über die Krankheit und
ihre Behandlung informiert zu werden.
Unterstützung suchen und
finden
Wie würden Sie auf die Frage „Was gibt
Ihnen Kraft?“ antworten? Welche Form
der Unterstützung tut Ihnen und Ihrem
Kind gut? Zu Beginn des Buches und
auch in diesem Kapitel wurde deutlich,
dass Sie, gemeinsam und jeder für sich,
einen eigenen Weg finden müssen, um
mit der Krankheit leben zu lernen. Für
viele Menschen ist der Glaube und das
141
Aspekte der Krankheitsbewältigung
12
Vertrauen auf Gottes Beistand eine große Kraftquelle. Andere können damit
nichts anfangen, ihnen liegt an Hilfestellungen, die sie als ‘handfester’ erleben. Wie Ihr Weg auch aussehen mag, es
gibt mit Sicherheit Gleichgesinnte, mit
denen Sie sich zusammentun können.
Das kostet Energie, gibt aber auch viel
zurück. Auch hier sind die Elternkreise
der Rheuma-Liga oder für Jugendliche
und junge Erwachsene die Gruppe junger Rheumatiker eine gute Adresse. Hier
haben nicht nur Ihre Fragen Platz, sondern auch Ihr Optimismus, Ihre Erfahrungen, Ihr Witz und all das, was Sie als
Persönlichkeit ausmacht. Im entsprechenden Kapitel dieses Buches finden
sie dazu weitere Informationen.
Leben trotz Rückschlägen
Das bisher Gesagte sollte verdeutlichen,
dass die psychische Verfassung - unabhängig von der Existenz einer Erkrankung - eine entscheidende Rolle in unserem Leben spielt. Für das Leben der
betroffenen Familien ist die chronische
Arthritis der prägende Faktor. Wie es Ihnen geht, was Ihnen Mut macht, was Sie
Kraft kostet und welche Bedürfnisse Sie
haben, ist deshalb nicht nur wichtig für
Sie persönlich, sondern auch für eine erfolgreiche Krankheitsbewältigung. Sie
sollten sich und Ihre Gefühle ernst nehmen und darauf achten, dass sie auch
von anderen ernst genommen werden.
142
Wie bereits deutlich wurde, ist eine der
besonders belastenden Seiten der juvenilen idiopathischen Arthritis deren Unberechenbarkeit. Der schubweise Verlauf
bringt es mit sich, dass niemand sagen
kann: „Jetzt ist alles ausgestanden!“ Ein
erneutes Aufflammen der Entzündung
ist jederzeit möglich. Es ist für alle Beteiligten enorm anstrengend, die eigenen
Kräfte immer wieder neu zu mobilisieren
und sich den nötigen Optimismus zu erhalten. Umso wichtiger ist es, gute Phasen gemeinsam zu genießen und in diesen Zeiten Kraft zu schöpfen. Machen
Sie sich auch bewusst, dass es viele Patienten gibt, bei denen die Krankheit
zum Stillstand gebracht werden konnte.
Ärzte,
Therapeuten,
Schwestern,
Psychologen und Sozialdienstmitarbeiter stehen den Patienten und Angehörigen helfend und beratend zur Seite. Gerade wenn wichtige Entscheidungen
anstehen oder Krisen zu bewältigen
sind, müssen Eltern die Last nicht alleine
tragen. Rückblickend sagen viele Patienten und Angehörige, die bereits mehrere
Höhen und Tiefen durchlebt haben, mit
berechtigtem Stolz: „Was wir schon alles
geschafft haben! Und wir werden auch
die Zukunft meistern!“
Kapitel 13
Eltern-Kind-Beziehung
T. Kerbs
»
»
»
»
»
Einleitung.................................................................................... 144
Körper und Psyche – Kleinkinder.............................................. 144
Kind und Krankheit – Besonderheiten vom
Kleinkind- bis ins Jugendalter .................................................. 146
Das große Thema der Ablösung und Selbständigkeit –
Jugendliche und Eltern .............................................................. 149
Krankheitsbewältigung............................................................... 152
143
Eltern-Kind-Beziehung
Veränderungen der ElternKind-Beziehung durch chronische Krankheit des Kindes
» Einleitung
13
Wird in einer Familie jemand ernsthaft
und über längere Zeit hinweg krank,
dann verändern sich auch die persönlichen Beziehungen der Familienmitglieder zueinander. Deshalb soll in dieser
Broschüre die Psychologie mit einem eigenen Kapitel zu Wort kommen. Ihr wesentliches Interesse gilt den Beziehungen zwischen den Menschen, sowohl in
ihren Gesetzmäßigkeiten als auch in ihren individuellen Auswirkungen. Hinweise aus psychologischer Sicht, wie sie
im Folgenden gegeben werden, können
daher helfen, die Beziehungen zwischen
Eltern und chronisch kranken Kindern
für einen förderlichen Umgang mit der
Krankheit nutzbar zu machen und Veränderungen der Beziehungen, wie sie
sich unvermeidlich ergeben, nicht zur
zusätzlichen Belastung für alle Beteiligten werden zu lassen.
Sollten nach der Lektüre Fragen offen
geblieben sein, so lade ich Sie herzlich
zum Gespräch bei mir oder einem für Sie
erreichbaren Kollegen1 ein. Im persönlichen Gespräch lassen sich auch
schwierige Fragen erläutern und klären,
wie die bisherige Erfahrung immer wieder zeigt.
1
Der besseren Lesbarkeit halber wird im
folgenden Text durchgängig die männliche
Form verwandt. Gemeint sind jeweils
männliche und weibliche Personen.
144
» Körper und Psyche Kleinkinder
Bewegung ist Erfahrung
Das heutige Gesundheitswesen unterscheidet zwischen körperlichen und psychischen Erkrankungen. Durch diese
Trennung wird das komplexe Thema Gesundheit und Krankheit insofern unzulässig vereinfacht, als die gegenseitige
Beeinflussung des einen durch das andere heute gesichertes Wissen darstellt:
Es ist immer der ganze Mensch krank,
Körper und Psyche beeinflussen und bedingen sich gegenseitig.
Besonders zu beachten ist die enge Verschränkung von Körper und Psyche in
der Kindheit und Jugend, wenn sich beide rasch entwickeln und die körperliche
Reifung die intellektuelle Entwicklung
förmlich mit sich reißt. Mit zunehmendem Bewegungsspielraum und wachsender Geschicklichkeit erobert sich das
Kleinkind neue Erfahrungswelten, indem
es mit der Bewegung neue Eindrücke
aufnimmt und damit neue Erfahrungen
machen kann, die den Intellekt reifen
lassen. Beispielsweise bewegt es sich
krabbelnd zur Stereoanlage und entdekkt dort den Effekt des Knöpfedrückens.
Bewegung ist also gleichzusetzen mit
Erfahrung, und Erfahrung ermöglicht
dem reifenden Geist die zielgerichtete
und geschickte Bewegung durch seine
Welt.
Das vorab Gesagte läßt theoretisch den
Schluss zu, dass rheumakranke Kinder
infolge ihrer eingeschränkten Beweglichkeit das zur Verfügung stehende
Umfeld als weniger intellektuell anre-
Kapitel 13
gend erleben und in ihrer Entwicklung
deshalb beeinträchtigt sind. Das ist
allerdings nicht zwangsläufig so, denn
neben der angesprochenen Verknüpfung körperlicher und psychischer Entwicklungsfaktoren spielen noch weitere
Parameter eine Rolle, z. B. die dem Kind
innewohnende Neugierde, ererbte Temperaments- und Charakterzüge und
nicht zuletzt der Anregungsreichtum
der familiären und außerfamiliären Umgebung.
Die in ihrer Beweglichkeit beeinträchtigten Kinder sind stärker auf ein anregendes Umfeld angewiesen als gesunde
Kinder. Chronisch kranke Kinder sind zusätzlich in ihrem Bewegungsdrang gebremst, weil sie viele Stunden in Krankenhäusern, physiotherapeutischen und
sonstigen Praxen (bzw. auf dem Hinund Rückweg) verbringen, also in einem
Umfeld, das kaum geeignet ist, den
kindlichen Bedürfnissen gerecht zu werden und ihre vitale Neugier zu befriedigen.
Von der Wichtigkeit des
Sprechens
Wünschenswert oder sogar notwendig
ist es daher, den Mangel an verfügbarer
Zeit durch aktive Förderung der persönlichen Entwicklung möglichst auszugleichen. Zeit ist in unserem Leben ein
knappes Gut. Es gibt berufliche Verpflichtungen, vielleicht auch Geschwisterkinder mit eigenen Bedürfnissen, es
gilt eine Ehe zu pflegen, und eventuell
gibt es noch ganz andere, nicht minder
bedeutsame Erfordernisse.
Wenn die Grenze der Belastbarkeit also
schon erreicht und das Zeitbudget erschöpft ist, dann genügt es tatsächlich
schon, dem rheumakranken Kind und
hier insbesondere dem Kleinkind, möglichst viel von dem zu erklären, was mit
ihm und in seiner Umgebung geschieht.
Begleitendes Sprechen schon bei Säuglingen ist in seinem Wert und seiner Bedeutung für die intellektuelle Entwicklung nicht hoch genug einzuschätzen.
Zusätzlich fördert es die Beziehungsqualität zwischen Eltern und Kind. All
das kostet letztlich nicht mehr Zeit und
Aufmerksamkeit, ist dennoch von großem Wert und wird von den kleinen Kindern mit größter Dankbarkeit und Freude angenommen. Denn für sie gibt es
nichts Vertrauteres und Ermutigenderes
als die Stimme ihrer Eltern.
Die Empfehlung des begleitenden Sprechens ist jedoch keinesfalls so gemeint,
dass dabei die Bedürfnisse des Kindes
nach Rückzug und einem ihm gemäßen
Austausch missachtet werden. Auch der
Säugling lässt schon deutlich wissen, ob
und in welcher Form er zur Aufnahme
kommunikativer Anregungen bereit ist.
Und beziehungslose Monologe geraten
nicht nur für ganz kleine Zuhörer schnell
unbefriedigend und unverständlich. Bei
diesen an das Kind gerichteten Erläuterungen sind also immer die Bedürfnisse
des kindlichen Gegenübers im Auge zu
behalten. Erklärungen ja - aber nicht um
jeden Preis.
145
Eltern-Kind-Beziehung
» Kind und Krankheit –
Besonderheiten vom Kleinkind- bis ins Jugendalter
Wie verändert sich die ElternKind-Beziehung durch die
Krankheit des Kindes?
13
Die Überschrift zu diesem Kapitel impliziert die Hypothese, dass die chronische
Krankheit eines Kindes die Eltern-KindBeziehung verändere. Und tatsächlich
ist das auch so, denn die Beziehung zwischen Menschen, die sich nahestehen,
ist überaus wandelbar und passt sich
flexibel der Situation und den jeweiligen
Rahmenbedingungen an.
Dabei ist wichtig zu wissen, dass sich die
Veränderung der Beziehung keineswegs
zum Schlechteren hin entwickeln muss.
Vielmehr kann das gemeinsame Erleben
der Krankheit sowohl Bereicherung als
auch Zugewinn für das Miteinander
sein, die von den Beteiligten als positiv
erfahren werden. Nicht umsonst geschieht es häufig, dass Menschen, die
wesentliche Krankheitserfahrungen gemacht haben, von ihrer Umwelt als reifer und tiefgründiger erlebt werden als
andere, denen solche Herausforderungen erspart geblieben sind.
Schutzreaktion und
Mitteilungsbedürfnis
Wenn Menschen sich nicht wohl fühlen
oder krank werden, suchen sie automatisch die Nähe von geliebten und bekannten Bezugspersonen – und das gilt
insbesondere für Kinder. Kranke Kinder
brauchen zur Genesung stabile Bezie146
hungen und ein als angenehm und sicher erlebtes Umfeld. Bei den Erkrankungen des rheumatischen Formenkreises sind die Möglichkeiten der familiären
Bezugspersonen in Bezug auf die direkten medizinischen Beschwerden begrenzt. Das ist für die Eltern erkrankter
Kinder häufig frustrierend, weil sie hilflos neben ihren leidenden Kindern stehen und scheinbar nicht wirksam helfen
können. Doch müssen sich Väter und
Mütter klarmachen, dass sie schon
durch ihre Gegenwart als verlässliche
Ansprechpartner, durch unterstützende
Handlungen und durch verständnisvollen Beistand wertvolle Hilfe leisten können.
Auch ganz kleine Kinder tragen neben
dem unmittelbaren Schutzbedürfnis
schon ein Bedürfnis nach Mitteilung in
sich: Vertrauten Menschen mitzuteilen,
dass irgendetwas nicht in Ordnung ist,
stellt also altersunabhängig ein Grundbedürfnis dar. Bedenkt man zudem, dass
Kinder in ihren ersten eineinhalb Jahren
einen Großteil ihrer Zeit mit Kommunikation verbringen, wird deutlich, wie bedeutsam gerade für sie die Qualität des
Kontaktes ist. Im vorsprachlichen Alter
fehlt ihnen die Möglichkeit zur verbalen
Kommunikation. Die vom Kleinkind genutzte symbolische Form des Ausdrucks
mündet häufig in Missverständnisse
oder gar in das Unverständnis der erwachsenen Bezugspersonen. Der Verständigung mit dem Kleinkind sollte also
so viel Aufmerksamkeit wie möglich gewidmet werden, was neben der Beziehungspflege auch die Qualität der Verständigung verbessert.
Kapitel 13
Der Umgang mit den Gefühlen
zählt mehr als Worte
Die Eltern und ihr Umgang mit schwierigen Situationen bieten den ersten und
wichtigsten Orientierungspunkt für Kinder. Diese haben von früh an gelernt,
zuerst auf die elterlichen Verhaltensweisen zu achten und sie nachzuahmen. Je
jünger die Kinder sind, um so mehr halten sie sich an die Gefühlsreaktionen der
Eltern und weniger an deren Worte. Ein
beispielhafter Fall soll verdeutlichen,
was es damit auf sich hat:
Die Mutter des neunjährigen Stefan
beklagt sich darüber, dass sie nach
Ende der Besuchszeit die Station
nur unter Kämpfen verlassen kann.
Stefan versucht sie mit allen Mitteln zurückzuhalten und brüllt und
schreit, wenn sie dann endgültig die
Station verläßt. Es kommt häufig
vor, dass die Schwestern später in
ihrer Unterkunft anrufen und sie
noch einmal zurückkehren muss, bis
Stefan dann spät nachts völlig erschöpft einschläft.
Im Gespräch beklagt sich Stefans
Mutter über seine Anhänglichkeit
und die aufwühlenden Abschiedsszenen. Im weiteren Verlauf der
Beratungsgespräche zeigt sich der
bedeutungsvolle Umstand, dass sie
selbst Stefan im Grunde ihres Herzens nicht zutraut, mit der Trennungssituation klarzukommen. Er
sei doch so krank und brauche sie
wirklich noch.
Stefan nimmt offensichtlich von
seiner Mutter weniger ihre Worte
auf („Wir sehen uns ja morgen wieder, Du schaffst das schon!“) als
vielmehr ihr fehlendes Vertrauen in
seine Fähigkeiten, die Trennungsangst zu bewältigen und sich allein
zurechtzufinden. Die mütterliche
Unsicherheit überlagert ihre verbalen Aufforderungen, er möge sich
tapfer verhalten, weil Kinder mit
außerordentlich feinen Antennen
auf das Innenleben ihrer Eltern
ansprechen.
Nachdem sich Stefans Mutter über
diese Zusammenhänge klar wurde
und mehr Vertrauen in die Selbstständigkeit ihres Sohnes entwickelt
hatte, entspannte sich die Situation
deutlich. Sie konnte die Station
schließlich nach einem ganz normalen Abschied verlassen und
Stefan schlief während der Nacht
ruhig, bis sie sich am kommenden
Morgen wiedersahen.
Es nützt also wenig, Kindern in gefühlsgeladenen Situationen mit Worten immer wieder die eigenen Überzeugungen
vermitteln zu wollen. Gerade in Grenzsituationen erspüren sie zuverlässig, wie
es in ihren Eltern „tief drinnen“ aussieht
und wie sie mit der jeweiligen Situation
und den daraus erwachsenden Gefühlen
umgehen. Das Beobachtete ahmen die
Kinder nach und folgen ihren Gefühlen
in gleicher Weise. Tritt demnach eine
Diskrepanz zwischen den mündlichen
Ermahnungen und den wahrgenommenen Gefühlen wie im obigen Beispiel
147
Eltern-Kind-Beziehung
auf, orientiert sich das Kind immer an
dem, was aus seiner Sicht die stärkere
Kraft ausübt. Die Gefühle sind auch bei
uns Erwachsenen häufig stärker als das,
was der Kopf an Gedanken und Überlegungen vertritt.
Krankheitsbewusstsein bei
Kindern
13
Bei kranken Kindern spielt für die ElternKind-Beziehung eine bedeutsame Rolle,
dass Kinder noch kein Krankheitsbewusstsein im Sinne der Erwachsenen
haben. Sie gehen in ihrem noch unreifen
Weltverständnis davon aus, dass alle
Menschen so sind wie sie und auch
exakt dasselbe erleben. Dass sie eine
Krankheit haben und sich dadurch von
anderen unterscheiden, erfahren sie erst
mit der Zeit durch den Vergleich mit gesunden Kindern und Bezugspersonen.
Kausale Zusammenhänge erschließen
sich ihnen nicht so eindeutig und unmittelbar wie Erwachsenen, weil sie das
zugehörige Weltwissen erst noch erwerben müssen.
Ein Beispiel dazu: Einem Kleinkind
leuchtet keineswegs zwingend der Zusammenhang zwischen der wöchentlichen Spritze und dem darauf folgenden besseren Allgemeinzustand ein. Es
wird immer einen Bezug zwischen den
zeitlich eng beisammen liegenden Ereignissen herstellen, also den zwischen der
Spritze und den Schmerzen bzw. seiner
Angst vor der Spritze. Die Spritze ist also
Urheber des jeweiligen Elends und jenseits dieses Momentes gibt es im Erleben
des Kindes nichts Bedeutsameres. Das
Kind tut seiner persönlichen Logik fol148
gend nun alles, um der Spritze zu entgehen.
Kindern fällt es bis ins späte Jugendalter
hinein besonders schwer, ihr momentanes Handeln an den Erfordernissen der
Zukunft auszurichten. Sie schaffen es
nur mit Mühe, sich im Hier und Jetzt so
zu verhalten, dass sie bestimmte zukünftige Konsequenzen ausschalten
können, insbesondere wenn es sich um
sehr langfristige Konsequenzen handelt.
Die Gegenwartsorientierung von Kindern und Jugendlichen ist einerseits ein
Geschenk, andererseits kann sie zur
Strafe des späteren Lebens werden,
wenn es in den Jugendjahren zu einem
selbstschädigenden Verhalten gekommen ist. Der Grund liegt darin, dass spätere Schädigungen und Nachteile nur
gedacht werden können und sich mit
den aktuellen Erlebnissen überhaupt
nicht in Einklang bringen lassen. Kinder
sind erheblich weniger durch ihre Gedankenwelten bestimmt als Erwachsene,
sie leben stärker in ihren eigenen Gefühls- und Erlebniswelten. Das gilt
ebenso für Pubertierende, die sich in einer Phase extremer innerer Veränderungen befinden – Gedanken, Vernunft und
die Vorwegnahme zukünftiger Konsequenzen spielen da oft nur eine untergeordnete Rolle.
Um es noch einmal zusammenzufassen:
Die kindliche Logik lässt sich nicht mit
der der Erwachsenen vergleichen und es
ist die Aufgabe der Eltern und Betreuer,
das Kind seinem eigenen Lerntempo gemäß an die Maßstäbe der Erwachsenenwelt heranzuführen. Unter Zwang funktioniert das selten; der einzig gangbare
Weg ist der, sich mit viel Geduld und
Kapitel 13
Verständnis auf die Ebene des Kindes zu
begeben und dort eine Verständigung zu
suchen. Das gilt grundsätzlich für alle
Kinder, umso mehr jedoch für die Kinder,
die durch eine chronische Krankheit zusätzlich belastet sind.
» Das große Thema der Ablösung und Selbständigkeit –
Jugendliche und Eltern
Die Entwicklung hin zur Ablösung und
Unabhängigkeit vom Elternhaus stellt
einen natürlichen Prozess dar, der im
Menschen weitestgehend autonom und
als vermutlich genetisch vorgegebenes
Programm abläuft. In den verschiedenen
Gesellschaften und Kulturen mündet
dieser Prozess in sehr vielfältige Ausformungen dessen, was dort jeweils als
Autonomie des Erwachsenen verstanden
wird. Im folgenden Abschnitt soll die
Frage gestellt werden, ob und wie sich
eine chronische Krankheit auf die
Selbständigkeitsentwicklung des betroffenen Kindes auswirkt.
Erwachsen werden heißt:
Privilegien abgeben
Die Frage, ob es zu einer Beschleunigung, Verzögerung oder einer qualitativen Veränderung dieser Entwicklung
kommt, ist nicht generell zu beantworten. Denn einerseits mündet die Krankheit von Kindern häufig in eine frühe
Reifung und Selbständigkeit, andererseits verbringen chronisch kranke Kinder
viel Zeit in einem Versorgungssystem, in
dem sie eine eher passive Rolle innehaben. Mit ihnen wird gemacht, sie
erhalten Anwendungen, Therapieentscheidungen werden von fachlichen
Autoritäten getroffen und sie müssen
sich auf Station in ein striktes, Anpassung und Unterordnung erforderndes
Pflegesystem einfügen. Hinzu kommt,
dass sie während ihrer Kindheit und Jugend große Aufmerksamkeit von nahe
stehenden Personen und den medizinischen Betreuern wegen ihrer Krankheit
erhalten. Erwachsen werden bedeutet
für sie deshalb durchaus auch, sich in
einer aus ihrer Sicht grundlegend veränderten Welt zurechtzufinden: Der
Sonderstatus des Kind-Seins fällt weg,
gleichzeitig muß die volle Verantwortung getragen werden. Wo Kindern im
Gesundheitswesen erheblich mehr Personal und Betreuungsaufwand zugestanden werden, wird dem erwachsenen
Patienten mehr Eigenständigkeit abverlangt und der frühere Sonderstatus
aberkannt.
Erwachsen werden heißt für chronisch
kranke Jugendliche somit auch, sich
innerlich von der emotionalen Zuwendung unabhängig zu machen, die vorwiegend aus ihrem Krank-Sein erwachsen war. Sie müssen sich in einem
Umfeld, für das Krankheit eher ein Hindernis darstellt, Bezugs- und Kontaktpersonen suchen. Kommt es zu einem
Wechsel von der Kinder- und Jugendlichenmedizin in die Erwachsenenmedizin, geht es auf einen Schlag rauer und
sachlicher zu. Der erwachsene Patient
löst beim medizinischen Personal nicht
im gleichen Maß einen Schutzreflex aus,
wie das Kindern gegenüber der Fall ist.
Autonom werden heißt also insgesamt,
sich in veränderten Rahmenbedingun149
Eltern-Kind-Beziehung
gen zurechtzufinden, in einer von Wettbewerb geprägten Wirklichkeit mit all
ihren Härten anzukommen.
Bindung an die Eltern und
Ablösung von ihnen
13
Eltern werden häufig erst durch die Ablösungsbestrebungen ihrer Kinder darauf aufmerksam, wie sehr sie ihr Leben
auf das kranke Kind ausgerichtet haben.
Sie haben sich daran gewöhnt, einen erheblichen Teil ihrer verfügbaren Zeit mit
dem unterstützungsbedürftigen Kind zu
verbringen. In dem Maße, wie Autonomiebestrebungen auftauchen, benötigt
es nun nicht mehr vordringlich lebenspraktische Unterstützung, sondern eine
andere Art der Hilfestellung: Das Kind
muss das Vertrauen seiner Eltern in seine Fähigkeiten spüren. Es erlebt dieses
Vertrauen am eindrücklichsten, wenn
ihm mehr und mehr angemessene Verantwortung überlassen wird.
Das Umschalten von starker Zuwendung
zu verstärktem Loslassen ist für alle Beteiligten nicht leicht. Jugendliche wehren sich erst einmal gegen die Tatsache,
dass das Angenehme (die Unabhängigkeit) auch einen Preis hat (Verantwortung, Unsicherheit, Angst). Ist eine der
beiden Parteien nicht einverstanden mit
dieser Veränderung, kann es für die jeweils andere schwierig werden, den von
der natürlichen menschlichen Entwicklung her vorgegebenen Weg zu gehen.
Eine Form von Nicht-Kooperation kann
so aussehen, dass Jugendliche durch
selbstschädigendes Verhalten immer
wieder die Aufmerksamkeit ihrer Eltern
(und anderer Autoritätspersonen wie
150
Lehrer, Polizei etc.) auf sich lenken. In
solchem Verhalten drückt sich letztlich
also Angst vor der neuen Freiheit und
dem Alleinsein aus. Auf der anderen Seite wird Ablösung zur unüberwindlichen
Hürde für die Jugendlichen, wenn sie
von ihren Eltern als Ersatzpartner, als
„Antidepressivum“ oder aus sonstigen
selbstbezogenen Motiven im Familienverbund festgehalten werden.
Festzuhalten bleibt, dass die chronische
Krankheit in eine veränderte Situation
mündet, die durchaus dazu angetan ist,
die Ablösung des chronisch kranken Kindes von seinen Eltern zu erschweren. In
erster Linie betrifft dies die große Ablösung in der Pubertät, daneben aber
durchaus auch ihre kleinen Vorstufen
vom frühesten Kindesalter an.
Neue Aufgaben für die Eltern
Im Hintergrund der erschwerten Ablösung des Kindes steht auch der Aspekt,
dass Kinder für ihre Eltern grundsätzlich
sinnstiftende Wirkung haben. Lange
Jahre nehmen sie sehr viel Raum im Leben ihrer Eltern ein, weil sie in erheblichem Ausmaß der elterlichen Pflege und
Zuwendung bedürfen – das gilt ganz
besonders für chronisch kranke Kinder.
In dem Maße, in dem Kinder älter werden, nimmt diese Abhängigkeit von der
betreuenden Unterstützung langsam,
aber kontinuierlich ab und es werden bei
den
Eltern
theoretisch
wieder
Ressourcen frei, die anderweitig investiert werden können. Es will gelernt
sein, dieses Mehr an verfügbarer Zeit mit
einer Beschäftigung zu füllen, in deren
Zentrum nun nicht mehr das Kind steht.
Kapitel 13
In Gesprächen mit den Eltern rheumakranker Kinder zeigt sich immer wieder,
wie schwierig und krisenhaft dieser
Übergang von einer nahezu ausschließlichen Kinderbetreuung zu anderen Aufgaben und Beschäftigungen erlebt wird.
Eigene Interessen und Aufgaben zu verfolgen ist auch deshalb so wichtig, weil
Jugendliche daran merken, dass sie
nicht zwangsläufig darauf festgelegt
sind, von ihren Eltern als sinnstiftender
Lebensinhalt oder Ansprechpartner gebraucht zu werden. Auf die Autonomiebestrebungen des Kindes wirken sich
unglückliche und einsame Eltern negativ
aus, da sie sich zur Bewältigung ihrer
Schwierigkeiten auf die Kinder stützen.
Schaffen es die Eltern hingegen, sich
neue Lebensinhalte zu suchen und ihren
Alltag mit anderen, ebenso sinnvollen
Aufgaben auszufüllen, kann ihr Nachwuchs dies gleichzeitig als Vorbild bei
seiner eigenen beruflichen und lebensweltlichen Orientierung nutzen.
Krisenzeit Pubertät: Warum
der Ärger?
Die Pubertät kostet in der Regel alle Beteiligten Nerven und Kraft, obwohl sie
eine sinnvolle Entwicklungsphase darstellt und mit ihren Konflikten erst die
Voraussetzung dafür schafft, dass Eltern
und Kinder am Ende dieser Phase trotz
des Trennungsschmerzes getrennte
Wege gehen können. Die Konflikte der
Pubertät erleichtern also letztlich die
Distanzierung, nachdem in den vorangegangenen Jahren eine sehr enge Bindung existiert hatte.
Auf Seiten der Jugendlichen stehen
häufíg Revolte und Verweigerung, Ablehnung der elterlichen Vorstellungen
und Werte. Auch wenn diese Entwicklung als gesund bejaht wird, kann es zu
ernstlichen Schwierigkeiten kommen,
wenn sich die Revolte gegen einen medizinisch notwendigen Behandlungsplan richtet. Jeder Versuch der Erwachsenen, auf ein gesundheitsförderndes
Verhalten hinzuwirken, kollidiert dann
mit dem Kampf um Unabhängigkeit und
Eigenständigkeit, weil diese Empfehlungen ja von Seiten der Erwachsenen
kommen und sich innerhalb deren Vernunft bewegen.
Von der Ambivalenz solch oppositionellen Verhaltens war bereits die Rede.
Wiederholt werden muss, dass selbstschädigendes Verhalten und Gesetzesübertritte natürlich Eltern oder andere
Autoritätspersonen auf die Bühne rufen
und sich dahinter aus psychologischer
Sicht eher die Verweigerung der Ablösung verbirgt als ein wahrhaftiger Ablösungsversuch. Verstärkt gilt das für
chronisch Kranke, die über therapieschädigendes Verhalten zu revoltieren
versuchen. Das weckt berechtigte Ängste bei allen Beteiligten und führt im
Endeffekt dazu, dass die Erwachsenen
die jugendlichen Patienten in ihrem Verhalten noch stärker eingrenzen und ihnen den angestrebten Freiraum weiterhin versagen. Das wiederum löst erneut
Bemühungen um Autonomie aus, die
wegen ihres unverändert revolteartigen
Charakters ebenso wenig zum Ziel führen werden.
151
Eltern-Kind-Beziehung
13
Eltern und medizinische Betreuer können solchen selbstschädigenden Verhaltensweisen nur entgegenwirken, wenn
sie das Besondere der Lebenssituation
erkennen und respektieren. Pubertierende zeigen ja nicht durchweg Ablehnung,
sondern fordern Eigenverantwortlichkeit und Anerkennung bzw. Respekt ein,
wobei sie es durch ihr Verhalten gleichzeitig wieder erschweren, ihnen genau
dies zuzugestehen. Die Erwachsenen
stehen vor der schwierigen Aufgabe, das
pubertäre Verhalten nicht zu verdammen oder Anpassung einzufordern, sondern sich um Verständigung zu bemühen. Ansonsten besteht die Gefahr eines
Machtkampfs, in dem die Parteien nur
noch darum kämpfen, in der Auseinandersetzung die Oberhand zu gewinnen. Nicht minder schlimm ist es, wenn
die Erwachsenen es aus falsch verstandenem Mitgefühl versäumen, konsequent die Einhaltung bestimmter unumstößlicher
Grenzen
einzufordern.
Pubertierende Jugendliche brauchen ein
erwachsenes Verhalten, das bezüglich
der eigenen Positionen fest, aber nicht
unflexibel ist und das Distanzierung zulässt ohne einen Bruch zu erzwingen.
Bei dieser Gratwanderung können alle
Beteiligten bis an ihre Belastungsgrenzen geführt werden, insbesondere wenn
noch eine Krankheit des Kindes mit ins
Spiel kommt. Weil die Kliniken diese Krisenkonstellationen kennen, bieten sie in
der Regel über die medizinische Versorgung hinaus psychologische und
psychosoziale Beratungen an, die in
scheinbar verfahrenen Situationen den
Blick weiten und damit für Entlastung
sorgen können.
152
» Krankheitsbewältigung
Stolze Eltern - traurige Eltern
Die Familienmitglieder des kranken Kindes müssen die Krankheit auf unterschiedliche Weise bewältigen, sie in ihr
Leben integrieren und ihr vielleicht auch
Sinnhaftigkeit abringen. Eltern wollen
für ihre Kinder immer das Beste und
wünschen ihnen eine unbeschwerte, erlebnisreiche und mit glücklichen Fügungen beschenkte Jugend. Aber auch sie
hegen Erwartungen und richten auf ihre
Kinder nicht selten Wünsche nach
Wachstum und nach Überwindung von
Grenzen, die sie im eigenen Leben nicht
realisieren konnten. Insofern geht mit
der Tatsache, dass das eigene Kind im
Sinne der gängigen Erwartungen nicht
ganz perfekt ist, im ersten Moment eine
persönliche Enttäuschung einher. Wie
immer, wenn es im Leben anders läuft
als erwartet, ist Zeit nötig, in der die unerwarteten Tatsachen anerkannt, verarbeitet werden und ein Umgang mit ihnen gefunden wird. Dann kann die
Einsicht wachsen, dass kein Menschenleben perfekt verläuft. Die Dinge stellen
sich beim zweiten Blick meist schon weniger dramatisch dar und beim dritten
Hinschauen wird deutlich, welche Möglichkeiten dem Unerwünschten doch innewohnen.
Anders sein als andere
Aus Sicht der kranken Kinder gilt es ganz
andere Schwierigkeiten zu bewältigen.
Sie wollen dazugehören und sind dazu
Kapitel 13
doch nicht in der Lage. In jungen Jahren
suchen sie die Nähe der Eltern, sie wollen an ihrem Tun teilhaben, von ihnen
lernen und so sein wie sie. Später orientieren sie sich stärker an der außerfamiliären Umgebung und eifern ihren
Freunden und sonstigen Vorbildern
nach. Ist dieses Nacheifern aus gesundheitlichen Gründen teilweise oder vollständig unmöglich, so ist die Tatsache
allein für Kinder schon schwer zu verkraften.
Hinzu kommt, dass Kinder nach den
Maßstäben der Erwachsenenwelt mitunter ‚grausam’ sind. Sie nehmen das
Anderssein anderer Kinder äußerst differenziert wahr, benennen dann unmittelbar ihre Wahrnehmung und weisen
schonungslos auf vermeintliche Missstände hin, ohne sich in das Innenleben
der „Andersartigen“ hineinversetzen zu
können. Auch Mitgefühl und die Vorwegnahme der Gefühle anderer wollen
mühsam gelernt sein. Rheumakranke
Kinder unterscheiden sich also in einer
Zeit von ihren Altersgenossen, in der es
wenig Schlimmeres gibt als sich von der
Umgebung abzuheben.
Eltern können ihren Kindern und Jugendlichen in diesem Drama unterstützend zur Seite zu stehen, indem sie Verständnis für die Schwierigkeiten zeigen,
emotional verfügbar sind und ggf. unaufdringliche Gesprächsangebote machen. Es ist keineswegs immer so, dass
allein das Reden über seelischen Kummer diesen Kummer nachhaltig vergehen lässt. Aber der Kontakt zu aufrichtig
interessierten, verständnisvollen Menschen und das Gespräch mit ihnen stel-
len die Grundlage für die Verarbeitung
des schwer Erträglichen dar. Es kann
manchmal lange dauern, bis die Kinder
in der Lage sind, sich jemandem zu offenbaren – hier ist es sehr wichtig, das
Gespräch mit viel Einfühlungsvermögen
zu eröffnen und nicht neuerlich dadurch
zu verletzen, dass dem Kind etwas entlockt werden soll.
Der Umgang der Eltern mit den eigenen
Gefühlen spielt auch in diesem Zusammenhang eine große Rolle. Für das
Kind ist es eine riesengroße Hilfe, dass
sie da sind und mit ihm zusammen sein
Leid ertragen. Es ist keinesfalls leicht,
aber von großer Bedeutung, dass sie die
Gefühle des Kindes aushalten ohne sie
aus der Welt schaffen zu wollen.
Angemessene Unterstützung
Im Text wurde immer wieder betont,
dass den Eltern chronisch kranker Kinder
eine tragende Rolle zukommt. Diese zusätzlichen Aufgaben erfordern häufig
große Kraftanstrengungen. Auch Eltern
sind Menschen, die nur begrenzte
Ressourcen und eine begrenzte Leidensfähigkeit haben und manchmal scheint
alles zusammenzubrechen.
Eltern sollten sich dort Unterstützung
holen, wo sie geboten wird. Diese Hilfe
kann schon ein Gesprächspartner sein,
der mit Geduld und Verständnis Anteil
nimmt. Im Rahmen der stationären Behandlung bieten Kinder- und Jugendkliniken eine psychologisch-psychotherapeutische Betreuung an, die sowohl den
jugendlichen Patienten als auch ihren
Eltern zur Verfügung steht.
153
Eltern-Kind-Beziehung
Ganzheitliche Behandlung als
Chance
Vor dem Hintergrund der Trennung körperlicher und psychischer Erkrankungen
in unserem Gesundheitswesen scheuen
manche Menschen den Gang zum
Psychologen, weil sie sich dann als psychisch krank stigmatisiert fühlen. Dies
basiert auf einem fundamentalen Missverständnis. Psychotherapie ist tatsächlich viel zu schade, um sie nur den psychisch Kranken zukommen zu lassen.
Gerade psychotherapeutisch ausgebildete Behandler, die in der Regel selber
eine mehrjährige psychotherapeutische
Behandlung durchlaufen haben, profitieren von dieser Methode bei der eigenen Lebensführung.
13
154
Der Leser dieses Textes sei dahin gehend
ermutigt, das psychologische Angebot
seiner Klinik wahrzunehmen und sich
dort eine vielleicht ungewohnte, letztlich jedoch hilfreiche Unterstützung zu
holen. Studien belegen, dass bei allen
körperlichen Erkrankungen eine ganzheitliche Behandlung wirkungsvoller ist
als die ausschließlich medizinische.
Kapitel 14
Schule und Studium
M. Rummel-Siebert, B. Fauser
»
»
»
»
»
»
»
Sollten Lehrer und Mitschüler über die Erkrankung
informiert werden?..................................................................... 156
Welche Möglichkeiten vermindern die körperliche Belastung
im Schulalltag?........................................................................... 156
Was tun, bei Schwierigkeiten
mit dem Schreiben? ................................................................... 157
Wie kann versäumter Lernstoff nachgeholt werden? ............. 157
Müssen rheumakranke Kinder in eine Schule für
körperbehinderte Kinder eingegliedert werden?...................... 158
Welche Schulbildung sollte angestrebt werden?..................... 158
Information für Studieninteressierte und Studierende
mit Behinderung und chronischer Krankheit........................... 159
155
Schule und Studium
» Sollten Lehrer und Mit-
schüler über die Erkrankung
informiert werden?
14
Lehrern und Mitschülern fehlt häufig
das Verständnis für die rheumatische Erkrankung des Schülers/der Schülerin.
Dieses fehlende Verständnis ist keine
Ignoranz oder gar bös gemeint, eher ist
mangelndes Wissen über Form und
Besonderheiten der rheumatischen Erkrankung die Ursache.
Rheuma ist für viele immer noch eine
Alterserkrankung. Kinder werden hier
nicht in den Blick genommen. Manches
Unverständnis wird durch ‚Irritationen’
noch gefördert.
Beispielsweise lässt die Morgensteifigkeit von Kindern rheumakranke Schüler
manchmal morgens kaum zur Schule
kommen. Zwei bis drei Stunden später
sind die Kinder dann jedoch wieder ‚fit’.
Eltern sind gut beraten rechtzeitig mit
Lehrern und Mitschülern ausführliche
Gespräche zu führen. Durch gezielte
Informationen kann ein vermehrtes
Verständnis für die Krankheit erreicht
werden. Es geht dabei nicht um das
Erlangen einer Sonderstellung, vielmehr
soll eine adäquate Integration in den
Schul- und Klassenverband erreicht
werden. Die Faustregel ‘So wenig Ausnahmen wie möglich - so viel wie nötig’
ist ein guter Anhaltspunkt für das Maß
der anzustrebenden Ausnahmeregelungen.
Eine bewährte Grundlage für das persönliche Gespräch mit Lehrern, Eltern
und Mitschülern ist die Broschüre ‘Das
rheumakranke Kind in der Schule - Eine
Orientierungshilfe für Lehrer’.
156
Eine Bestätigung des behandelnden Arztes oder der Fachklinik über das Vorliegen einer chronisch-rheumatischen Erkrankung unterstreicht die Dringlichkeit
Ihres Anliegens.
» Kann das Kind bei Klassenausflügen mitmachen?
Grundsätzlich sollten die Kinder bei allen Klassenaktivitäten mit eingebunden
werden. Wichtig ist, dass Sozialkontakte
unter den Mitschülern gefördert und
gepflegt werden. Erst wenn das Verständnis für die Bedürfnisse des rheumakranken Mitschülers vorhanden ist,
fällt es leichter, auf seine Situation einzugehen. Im persönlichen Gespräch mit
dem Lehrer müssen oft Möglichkeiten
gesucht werden, um die Teilnahme an
Klassenausflügen zu ermöglichen.
» Welche Möglichkeiten
vermindern die körperliche
Belastung im Schulalltag?
Die baulichen Gegebenheiten von Schulen stellen körperlich eingeschränkte
Schüler oft vor Probleme. Kinder mit
rheumatischen
Erkrankungen
der
Sprung-, Knie- und Hüftgelenke sollten
belastendes Treppensteigen vermeiden.
Die Schüler sollten ihr Klassenzimmer
dennoch, wenn möglich, ohne fremde
Hilfe erreichen können. Deshalb sollte
ein Klassenzimmer ebenerdig liegen
oder über einen Aufzug erreichbar sein.
Eine Fahrstuhlbenutzung kann beantragt werden. Oftmals ist es auch möglich, das Klassenzimmer in das Erdgeschoss zu verlegen. Dies sollte im Vorfeld
Kapitel 14
eines neuen Schuljahres von Eltern eingebracht werden. Ist eine Verlegung
nicht möglich, kann auch ein Hilfsdienst
der Lehrer und Mitschüler organisiert
werden, um etwaige Treppen zu überwinden.
Schwere Schultaschen sind für die Gelenke eine große, jedoch vermeidbare
Belastung. Ein zweiter Satz Schulbücher
wäre hilfreich. Die Kinder müssen dann
nur noch Hefte und Stifte mit in die
Schule nehmen. Die Notwendigkeit des
zweiten Schulbuchsatzes kann der behandelnde Arzt oder die Fachklinik mit
einer Bescheinigung unterstützen.
Entlastende Hilfen
• Verlegung des Klassenzimmers in das
Erdgeschoss
• Fahrstuhlbenutzung
• Stundenplangestaltung
• Klausurzeitenverlängerung
• Zweiter Satz Schulbücher
• Befreiuung vom Schulsport
» Was tun, bei Schwierig-
keiten mit dem Schreiben?
Die Einschränkung der Handgelenke und
das Tragen von Handschienen können
unter Umständen beim Schreiben sehr
behindern. Die Zeit für Klassenarbeiten
ist dann oft nicht ausreichend. Jedoch
kann eine Schreibzeitverlängerung für
Klassenarbeiten mittels ärztlichem
Attest beantragt werden. In Ausnahmefällen wird bei sehr schwer betroffenen
Schülern der Gebrauch eines Computers
in der Schule und auch für Hausaufgaben genehmigt.
» Was ist mit dem Sport-
unterricht in der Schule?
Sind rheumakranke Schüler vom Sportunterricht befreit, entstehen dem Schüler zwischen den Stunden Leerzeiten. Es
ist jedoch möglich, dass auf Anfrage von
Eltern bei der Schulleitung die Sportstunden an den Beginn oder an das
Ende eines Schultages gelegt werden.
Die Zeit kann dann für Arzt- oder Krankengymnastiktermine eingeplant werden. Dies sollte vor Beginn eines neuen
Schuljahres geschehen.
» Wie kann versäumter Lernstoff nachgeholt werden?
Krankheitsschübe können zu Schulversäumnissen und als Folge zu einem Wissensdefizit führen. Wenn es aus diesen
Gründen zu Problemen kommt, kann bei
der Schule ein Antrag auf Hausunterricht gestellt werden. Schüler können an
Stelle des Unterrichts in der Schule
Hausunterricht erhalten, wenn sie
• voraussichtlich länger als sechs
Unterrichtswochen (einschließlich eines evtl. erforderlichen Krankenhausaufenthaltes) infolge einer Krankheit
(nicht Behinderung) am Unterricht in
der Schule nicht teilnehmen können
oder
wegen
einer lange dauernden Krank•
heit wiederkehrend den Unterricht an
bestimmten Tagen (z-B. Dialyse-Patienten) versäumen müssen.
Die Antragstellung erfolgt bei der betreffenden Schule durch die Erziehungsberechtigen oder den volljährigen Schü157
Schule und Studium
ler. Die Wochenstundenanzahl des
Hausunterrichts richtet sich je nach der
Jahrgangsstufe des Schülers (Achtung:
‚Kann-Bestimmung’!)
Aufgrund der Länderhoheit gibt es in
den Bundesländern verschiedene Regelungen. Genauere Informationen erhalten Sie bei dem zuständigen Schulamt .
» Regelung für den
Schulwegtransport
14
Oft lässt es der Gesundheitszustand
rheumakranker Kind nicht zu, dass sie
sich in überfüllten Schulbussen einen
Platz erkämpfen. Schlechte Verkehrsanbindungen erschweren die Situation, sodass Eltern den Schulwegtransport
mittels Privat-Pkw übernehmen müssen.
In Ausnahmefällen wird eine Kostenübernahme mit einem ärztlichen Attest
gewährt. Auskunft geben die Schul- und
Landratsämter.
» Müssen rheumakranke
Kinder in eine Schule für
körperbehinderte Kinder
eingegliedert werden?
Den Anforderungen einer Regelschule
sind fast alle Kinder gewachsen, deshalb
ist nur in wenigen Fällen der Besuch
oder der Übertritt in eine Schule für körperbehinderte Kinder sinnvoll. Entscheidend für den Übertritt ist, dass hier der
Schüler aufgrund seiner chronischen Erkrankung bzw. der körperlichen Einschränkung besser betreut und individueller gefördert werden kann.
158
» Welche Schulbildung sollte
angestrebt werden?
Bei allen Formen der rheumatischen Erkrankung ist eine spätere Berufstätigkeit, die körperlich belastet, nicht zu
empfehlen. Gerade für rheumakranke
Kinder ist deshalb eine intensive schulische Förderung und Unterstützung besonders wichtig. Denn je besser der
Schulabschluss, desto größer sind die
Auswahlmöglichkeiten für eine Ausbildung bzw. den späteren Beruf. Allerdings ist darauf zu achten, dass Kinder
bei allem zielgerichtetem schulischen
Streben nicht einem überhöhten psychischen Druck ausgesetzt werden. Ein
massiver Leistungsdruck kann sich
wiederum negativ auf den Krankheitsverlauf auswirken. Deshalb ist es entscheidend, das Kind entsprechend seinen Möglichkeiten individuell zu fördern
und zu begleiten.
Kapitel 14
» Informationen für Studien-
interessierte und Studierende mit Behinderung und
chronischer Krankheit
Von Studienbewerber/innen mit und
ohne Behinderung wird bei der Studienvorbereitung ein hohes Maß an Eigenrecherche, Eigenverantwortung und Flexibilität erwartet. Bei der Wahl von
Studienfach, Studienabschluss und Zielhochschule sollten Studieninteressierte
deshalb alle zur Verfügung stehenden
Informations- und Beratungsangebote
der Hochschulen, der Arbeitsagenturen
und anderer Institutionen nutzen.
Individuell können bei der Studienvorbereitung für Studienbewerber/innen mit
Behinderung und chronischer Krankheit
verschiedene andere Themen besonders
wichtig werden, z.B. die baulichen Gegebenheiten der Hochschule, Wohnungsfragen, Mobilitätsprobleme, Klärung evtl.
notwendiger Assistenz im Alltag oder die
Organisation von technischen und personellen Studienunterstützungen. Für einige von Ihnen ist es wichtig zu wissen,
ob und wo eine evtl. notwendige ärztliche Behandlung begonnen oder fortgesetzt werden kann. Daneben muss die
wichtige Frage geklärt werden: Wie
finanziere ich mein Studium, insbesondere den Mehrbedarf, den chronische
Krankheit und Behinderung verursachen? Von Vorteil ist es, sich schon frühzeitig über die Möglichkeiten von Nachteilsausgleichen im Zusammenhang mit
Studienzulassung, Prüfungen und behinderungsbedingten Studienzeitverlängerungen zu informieren.
Studieninteressierte und Studierende
mit Behinderung und chronischer
Krankheit können sich mit allen Fragen
rund ums Studium an die Beauftragten
für die Belange von Studierenden mit
Behinderung und chronischer Krankheit
in Hochschulen und Studentenwerken
sowie an die Informations- und Beratungsstelle Studium und Behinderung
des Deutschen Studentenwerks wenden
(Adressen s.u.).
Wichtige Adressen und Informationen
- so z.B. zu Bewerbung und Zulassung,
zur Finanzierung verschiedener Bedarfe
oder zu Nachteilsausgleichsregelungen
bei Prüfungen - sind in der Broschüre
„Studium und Behinderung“, herausgegeben von der Informations- und Beratungsstelle Studium und Behinderung
des Deutschen Studentenwerks, zusammengefasst. Sie wird Interessierten
auf Wunsch gerne kostenlos übersandt.
Außerdem steht sie unter dem Stichwort „Infos kompakt“ im Internet
(www.studentenwerke.de/behinderung)
zum Downloaden bereit. Hier kann man
sich auch über Veranstaltungen, z.B.
Infoveranstaltungen zum Studienbeginn
oder Seminare zum Berufseinstieg, sowie über aktuelle Themen informieren.
Um sich etwa erfolgreich um einen Platz
in einem bundesweit, landesweit (gilt
für NRW) oder örtlich zulassungsbeschränkten Fach zu bewerben, ist es
wichtig sich im Vorfeld genau über die
inhaltliche Ausrichtung von Studiengängen an verschiedenen Hochschulen
und die spezifischen Bewerbungsmodalitäten zu informieren.
159
Schule und Studium
Folgende Fragen sind im Vorfeld zu
klären:
◆ Ist mein Wunschfach zulassungsbeschränkt?
◆ Bewerbe ich mich bei der Hochschule
direkt oder bei der ZVS?
◆ Welche Bewerbungskriterien neben
der Durchschnittsnote haben Einfluss
auf meine Zulassungschancen?
◆ Wie hoch sind meine Chancen, einen
Studienplatz im Wunschfach und/
oder an der Wunschhochschule zu
bekommen?
◆ Gibt es Alternativen?
◆ Kann ich sowohl zum Winter- wie
zum Sommersemester das Studium
aufnehmen?
◆ Welche Bewerbungsfristen sind einzuhalten?
Bei der Beantwortung dieser Fragen sind
z.B. die Zentralen Studienberatungsstellen und die Fachberatungen der Hochschulen behilflich. Aktuelle Informationen dazu finden Sie auch auf den
jeweiligen Internetseiten der Hochschulen bzw. der ZVS. Die Bewerbungsanträge stehen vielfach zusammen mit erläuternden Informationen auf den
Internetseiten der einzelnen Hochschulen zum Downloaden bereit (s. u.).
14
www.studentenwerke.de/adressen/bfb.asp
• aktuelles Verzeichnis der Beauftragten mit Anschriften, Telefonnummern
und E-Mail-Adressen der Beauftragten
www.studentenwerke.de/behinderung
• Informations- und Beratungsstelle Studium und Behinderung
des Deutschen Studentenwerks
Monbijouplatz 11
10178 Berlin
E-Mail: [email protected]
Tel.: 030-29 77 27-64
Fax: 030-29 77 27-69
160
Kapitel 15
Berufsausbildung
M. Rummel-Siebert, B. Fauser
»
»
»
»
»
»
»
Gibt es einen ‘rheumagerechten’ Beruf? .................................. 162
Wie findet man den idealen Beruf? ......................................... 162
Was sind berufsvorbereitende Bildungsmaßnahmen? ............. 163
Was tun, wenn ein erlernter Beruf nicht ausgeübt
werden kann? ............................................................................. 164
Welche Hilfen sind im Rahmen einer
Berufstätigkeit möglich? ........................................................... 164
Wer ist für die berufliche Eingliederung
Behinderter zuständig? .............................................................. 165
Was tun, wenn sich niemand für zuständig erklärt? .............. 165
161
Berufsausbildung
» Gibt es einen ‘rheuma-
» Wie findet man den idealen
Auch wenn sich die Berufswahl für
rheumakranke Jugendliche meist etwas
schwieriger gestaltet, so steht den
Betroffenen dennoch eine Vielzahl von
Berufen zur Auswahl offen. Am besten
sind Ausbildungsberufe, die keine
schweren körperlichen Belastungen
erfordern und weder in nasser noch in
kalter Umgebung ausgeübt werden
müssen. Abwechslungsreiche Tätigkeit
(Stehen, Sitzen und Gehen) sind zu
empfehlen. Dies sind etwa Berufe in den
Bereichen der Konstruktion, im wirtschaftlichen bzw. kaufmännischen Sektor, der Verwaltung sowie im kreativpädagogischen Fachbereich.
Die Berufswahl von Jugendlichen wird
durch viele Faktoren beeinflusst. Drei
wesentliche Aspekte sollten jedoch dabei besonders berücksichtigt werden.
gerechten’ Beruf?
» Wann sollte die Berufswahl
erfolgen?
15
Betroffene Jugendliche und deren Eltern
können sich heutzutage nicht rechtzeitig genug Gedanken um die berufliche
Zukunft machen. Wichtiger denn je ist
die Zusammenarbeit mit Beratungsstellen, Ämtern und Institutionen. Deshalb
sollten Jugendliche sich bereits zwei
Jahre vor Schulabschluss um einen Ausbildungsplatz kümmern und notwendige Intitativen ergreifen.
162
Beruf?
Im Vordergrund steht zunächst:
1. Das Eigeninteresse und die
persönliche Eignung
2. Die körperliche Belastbarkeit
3. Der individuelle Krankheitsverlauf
Diese Punkte zusammen ergeben das jeweilige Berufsprofil. Dabei haben das
persönliche Interesse und die Berufsvorstellung des Jugendlichen einen besonderen Stellenwert. Bei aller Unterstützung durch die Eltern ist es dennoch
wichtig, dass der Jugendliche für die
Ausbildung eine hohe Eigenmotivation
mitbringt, dabei selbst aktiv wird und
das gesteckte Berufsziel wirklich anstrebt.
Dabei sollte auch die Ausbildungsstellensituation berücksichtigt werden. Gestaltet sich die Wahl eines Berufes sehr
schwierig, sollte eine Berufsfindung
oder Arbeitserprobung bzw. eine rehaspezifische berufsvorbereitende Bildungsmaßnahme in Betracht gezogen
werden.
Kapitel 15
» Was sind berufsvorbereitende
Bildungsmaßnahmen?
Berufsvorbereitende Bildungsmaßnahmen der Bundesagentur für Arbeit sind
ein wichtiges Qualifizierungsinstrument,
um Jugendlichen und jungen Erwachsenen den Zugang zum Ausbildungs- und
Arbeitsmarkt zu ermöglichen. Insbesondere stellt die veränderte Lage auf dem
Ausbildungs- und Stellenmarkt eine Herausforderung für die Berufsausbildungsvorbereitung von Jugendlichen / jungen
Erwachsenen dar. Um eine auf die Bedürfnisse der zu fördernden Jugendlichen
zugeschnittene Qualifizierung zu ermöglichen, beinhaltet die Förderstruktur der
berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahmen folgende Elemente:
• Eignungsanalyse
Erfasst fachliche, methodische, soziale
und persönliche Fähigkeiten und Fertigkeiten sowie die individuelle Motivation
(Stärken / Schwächen-Profil). Die Eignungsanalyse stellt die Grundlage für
die Qualifizierungsplanung dar.
• Förderstufe
Kernelement: Berufliche Grundfertigkeiten
Sollte die Ausbildung- oder Beschäftigungsfähigkeit nach der Grundstufe
nicht erreicht sein, ist die vorberufliche
Qualifizierung durch die Förderstufe
vorgesehen.
Ziel ist die individuelle Verbesserung von
beruflichen Grundfertigkeiten, die auf
eine Ausbildungs- / Arbeitsstelle vorbereiten.
• Übergangsqualifizierung
Kernelement: Berufs- und betriebsorientierte Qualifizierung
Die Übergangsqualifizierung richtet sich
an Jugendliche, denen die Aufnahme einer Ausbildung (noch) nicht gelungen
ist. Ziel ist die Verbesserung der beruflichen Handlungskompetenzen insbesondere durch Vermittlung von ausbildungs- und arbeitsplatzbezogenen
Qualifikationen.
Die Kosten für die jeweilige Maßnahme
übernimmt - nach Prüfung der Notwendigkeit - die Agentur für Arbeit.
• Grundstufe
Kernelement: Berufsorientierung /
Berufswahl
Ziel der Grundstufe ist die Herausbildung und Festigung erforderlicher persönlicher Fähigkeiten und Fertigkeiten
für die Aufnahme einer Ausbildung oder
Arbeit.
163
Berufsausbildung
» Wer ist Ansprechpartner für
berufliche Fragen?
Ansprechspartner für berufliche Fragen
sind in erster Linie die Mitarbeiter der
Agentur für Arbeit. Dort arbeiten speziell
ausgebildete Berater für Behinderte,
sogenannte „Reha-Berater“. Der Jugendliche stellt bei der Agentur für Arbeit einen Rehabilitationsantrag. Zuständigkeits- und Kostenfragen werden von der
Rehabilitationsabteilung in der Agentur
für Arbeit geklärt. Während der jeweiligen berufsvorbereitenden Qualifizierungsmaßnahme begleitet der zuständige Reha-Berater die Jugendlichen auf
ihrem weiteren Berufsweg.
» Gibt es besondere Ausbildungsplätze für Rheumakranke?
15
Idealerweise sollte die Ausbildung heimatnah erfolgen. Die Ausbildungsplätze
sind jedoch rar und nicht jeder Arbeitgeber stellt einen rheumakranken Jugendlichen zur Ausbildung ein. Kann aufgrund der Erkrankung eine betriebliche
Ausbildung nicht erfolgen, dann vermittelt die Agentur für Arbeit den
Jugendlichen in eine rehaspezifische Bildungseinrichtung, z.B. ein Berufsbildungswerk. Die Berufsbildungswerke
sind flächendeckend in der Bundesrepublik verteilt. Sie führen die berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahmen sowie
die Berufsausbildung für Körperbehinderte und chronisch kranke Jugendliche
durch. Die Auszubildenden wohnen in
dieser Zeit in den dazugehörigen Internaten und werden dort von Fachperso164
nal betreut. Kostenträger für alle anstehenden Kosten kann unter anderem die
Agentur für Arbeit sein.
» Was tun, wenn ein erlernter
Beruf nicht ausgeübt
werden kann?
Kann ein Beruf aufgrund der körperlichen Belastung nicht mehr ausgeübt
werden, dann ist zu klären, ob eine Umschulung ansteht. Eine Umschulung
kann über die Agentur für Arbeit oder
einen anderen REHA-Träger gefördert
werden. Die Maßnahme erfolgt entweder am Heimatort oder, wenn nötig, in
einem der Berufsförderungswerke, die
ebenso flächendeckend in der Bundesrepublik verteilt sind.
» Welche Hilfen sind im
Rahmen einer Berufstätigkeit möglich?
Kaum ein Arbeits- oder Ausbildungsplatz ist auf die Bedürfnisse eines Rheumatikers abgestimmt. Umso wichtiger
sind deshalb die Hilfen am Arbeitsplatz.
Eine Verschlechterung des Krankheitsbildes kann allein deshalb schon hervorgerufen werden, wenn ein Arbeitsplatz
nicht entsprechend den körperlichen
Einschränkungen angepasst wird. Hier
sind die Richtlinien für die Eingliederung
am Arbeitsplatz anzuwenden.
Zuschüsse zur technischen Ausgestaltung werden von den zuständigen
Kostenträgern (Arbeitsamt oder Rentenversicherungsträger) gewährt. Die Möglichkeiten reichen von einem einfachen
Kapitel 15
Die Berufswahl von Jugendlichen wird durch viele Faktoren beeinflusst.
Drei wesentliche Aspekte sollten jedoch dabei besonders berücksichtigt werden.
Im Vordergrund steht zunächst:
1. Das Eigeninteresse und die persönliche Eignung
2. Die körperliche Belastbarkeit
3. Der individuelle Krankheitsverlauf
165
Berufsausbildung
Arthrodesenstuhl bei Hüftgelenksbefall
über eine Stehhilfevorrichtung, wenn
längeres Stehen unvermeidlich ist, bis
hin zur Beschaffung eines CAD-Computers zum Entwerfen technischer Zeichnungen.
Schwierigkeiten, die sich bei der Erreichung eines Arbeitsplatzes ergeben,
können mittels Zuschüssen gelöst werden. Möglichkeiten bestehen in der
Kostenübernahme des Führerscheins,
Zuschüssen für Pkw, Fahrtkostenzuschüssen und dem behindertengerechten Umbau eines Pkw.
Auch der Umzug in eine behindertengerechte oder verkehrsgünstiger zum
Arbeitsplatz gelegene Wohnung sowie
Zuschüsse zum behindertengerechten
Um- oder Ausbau von Wohnraum sind
möglich.
15
Die gesetzlichen Möglichkeiten sind insgesamt sehr umfangreich. Es darf aber
nicht übersehen werden, dass sämtliche
Leistungen immer am Einzelfall gemessen werden und den jeweiligen ‘KannBestimmungen’ unterliegen.
166
» Wer ist für die berufliche
Eingliederung Behinderter
zuständig?
Welcher Kostenträger für welche Maßnahme zuständig ist, muss im Einzelfall
geklärt werden.
Folgende Träger können in Frage
kommen:
• Agentur für Arbeit
• Berufsgenossenschaft
• Rentenversicherung
• Unfallversicherung
• Krankenversicherung
• Hauptfürsorgestellen
» Was tun, wenn sich nie-
mand für zuständig erklärt?
Sollte dies der Fall sein, können Leistungen auch beim Sozialamt beantragt
werden. Im Rahmen der „Eingliederungshilfe für Behinderte“ können behinderungsbedingte Aufwendungen bezogen werden. Die Leistungen des
Sozialamtes sind einkommensabhängig.
Dabei wird nicht nur das Einkommen
des Antragstellers berücksichtigt. Auch
Eltern, Geschwister oder Kinder können
bei der Einkommensbemessung herangezogen werden.
Kapitel 16
Krankenkasse
S. Breun
»
»
»
»
»
»
Wer zahlt die Fahrtkosten zur stationären und
ambulanten Behandlung? .......................................................... 168
Kann die Krankenkasse die Übernahme von
Behandlungskosten in einer Fachklinik ablehnen?.................. 168
Können berufstätige Eltern bei Krankheit
des Kindes zu Hause bleiben? ................................................... 168
Wer versorgt bei Erkrankung des Haushaltsführenden
den Haushalt?............................................................................. 169
Was bedeutet „Belastungsgrenze“?........................................... 169
Welche Zuzahlungen sind von über 18-jährigen
Versicherten zu leisten? ............................................................. 169
167
Krankenkasse
» Wer zahlt die Fahrtkosten
» Können berufstätige Eltern
Die Fahrtkosten zur stationären Behandlung werden für den Patienten und die
Begleitperson (wenn eine Begleitperson
medizinisch notwendig ist) von der
Krankenkasse mit einer Eigenbeteiligung
von 10 Euro pro Fahrt übernommen,
können jedoch vor dem Krankenhausaufenthalt auch abgelehnt werden. In
der Regel ist dies aber nur die Fahrt zum
Behandlungsort und die Fahrt nach der
Entlassung wieder nach Hause. Es empfiehlt sich, alle entstandenen Kosten
(z.B. für die Übernachtung) einzureichen
Manche Sachbearbeiter sind davon zu
überzeugen, möglichst viel im Rahmen
der Kulanz zu übernehmen.
Jedem Elternteil stehen zur Betreuung
eines erkrankten Kindes freie Tage zu
(Bedingung: medizinische Notwendigkeit der Betreuung), allerdings nur bei
Kindern, die das 12. Lebensjahr noch
nicht vollendet haben. Auch die Dauer
der Betreuung ist eingeschränkt: Pro
Kind sind das 10 Tage im Jahr, bei mehreren Kindern insgesamt aber höchstens
25 Tage im Jahr. Bei Alleinerziehenden
erhöhen sich diese Tage pro Kind auf 20
und die Gesamttage bei mehreren Kindern auf 50. Man kann in diesem Fall
beim Arbeitgeber unbezahlten Urlaub
beantragen, die Lohnfortzahlung übernimmt dann die Krankenkasse in Höhe
des regulären Krankengeldsatzes (Kinderkrankengeld). Bei stationären Behandlungen zählt diese Begrenzung auf
10 Tage nicht. Sie erhalten bei stationärer Mitaufnahme (Bedingung: medizinische Notwendigkeit) Lohnausfall für den
gesamten Mitaufnahmezeitraum (Lohnfortzahlung im Rahmen der stationären
Krankenhausnebenkostenregelung nach
einer Besprechung der Spitzenverbände
der Krankenkassen zum Leistungsrecht
vom 11/1990). In beiden Fällen ist jeweils
die Krankenkasse zuständig, bei der das
Kind versichert ist.
zur stationären und ambulanten Behandlung?
» Kann die Krankenkasse die
Übernahme von Behandlungskosten in einer
Fachklinik ablehnen?
16
Grundsätzlich hat die Krankenkasse die
Möglichkeit, die Behandlung in einer
Fachklinik abzulehnen. Sie muss jedoch
den Pflegesatz des nächstgelegenen
Krankenhauses auf jeden Fall übernehmen. Entstehen also bei der Behandlung
in einer Fachklinik Kosten über den betreffenden Pflegesatz hinaus, muss der
Versicherte diese Mehrkosten im Konfliktfall tragen. Mehrkosten sind in diesem Zusammenhang auch Fahrt- und
Übernachtungskosten zur Fachklinik.
168
bei Krankheit des Kindes zu
Hause bleiben?
Kapitel 16
» Wer versorgt bei Erkran-
kung des Haushaltsführenden den Haushalt?
In diesem Fall übernimmt die Krankenkasse die Kosten für eine Haushaltshilfe.
Bedingung ist: Im Haushalt muss ein
Kind unter zwölf Jahren leben oder ein
Kind, das über zwölf Jahre und behindert ist. Bezahlt werden derzeit bis zu
etwa 60 Euro/Tag (je nach Stundenzahl
der Versorgung). Für Verwandte ersten
und zweiten Grades werden nur die
Fahrtkosten und Lohnausfallkosten
übernommen. Die Regelung zur Haushaltshilfe gilt auch für Mütter oder Väter, die aus medizinischen Gründen bei
einer Krankenhausbehandlung ihres
Kindes mitaufgenommen werden.
» Was bedeutet „Belastungsgrenze“?
Die Belastungsgrenze betrifft Zuzahlungen der gesamten Familie. Nach ‘Krankenkassengesetzen’ muss die Familie zu
bestimmten medizinischen Leistungen
Eigenanteile (Zuzahlungen) erbringen.
Versicherte haben während jedes Kalenderjahres nur Zuzahlungen bis zur Belastungsgrenze zu leisten. Die Belastungsgrenze beträgt 2% der jährlichen
Bruttoeinnahmen zum Lebensunterhalt.
Dabei sind sowohl Zuzahlungen als auch
Bruttoeinnahmen zum Lebensunterhalt
der mit dem Versicherten im gemeinsamen Haushalt lebenden Angehörigen
des Versicherten und Lebenspartner jeweils zusammenzurechnen. Alle Ausgaben, die über dem Betrag der Belastungsgrenze liegen, werden von der
Krankenkasse zurückerstattet. Es empfiehlt sich, alle Quittungen über Zuzahlungen zu sammeln und am Jahresende
mit der Krankenkasse zu verrechnen.
Achtung chronisch Kranke,
die wegen derselben schwerwiegenden Krankheit in Dauerbehandlung
sind und bei denen mindestens eine
Pflegestufe II vorliegt oder die einen
Schwerbehindertenausweis mit
einem Grad ab 80 % besitzen,
beträgt die Belastungsgrenze 1%
der jährlichen Bruttoeinnahmen
zum Lebensunterhalt.
» Welche Zuzahlungen sind
von über 18-jährigen
Versicherten zu leisten?
Folgende Zuzahlungen sind bis zur
Belastungsgrenze zu leisten:
Praxisgebühr
Jeder Versicherte, der das 18. Lebensjahr
vollendet hat, muss je Kalendervierteljahr für jeden ersten Arztbesuch 10 Euro
Praxisgebühr bezahlen. Dies gilt nicht
bei Gesundheitsuntersuchungen zur
Früherkennung von Krankheiten, der
Vorsorge beim Zahnarzt und bei
Schwangerenvorsorge.
Medikamente Rezeptgebühr:
Die Rezeptgebühr beträgt 10% des Abgabepreises, mindestens jedoch 5 Euro
und höchstens 10 Euro. Die Krankenkassen verhandeln den Preis für einen Medikamentengrundstoff mit den Herstellern mit sogenannten Festpreisen. Liegt
169
Krankenkasse
ein Pharmahersteller unter oder im Rahmen dieser Festbeträge, sind die regulären Rezeptgebühren für die Medikamente zu zahlen. Liegt ein
Pharmahersteller über dem Preis, kommen die zusätzlichen Kosten für das
Medikament zur Rezeptgebühr dazu
bzw. Sie müssen den Mehrbetrag selber
bezahlen!
Verbandsmittel
10% des Abgabepreises, mindestens
5 Euro/ maximal 10 Euro
Heilmittel
10% der Kosten, sowie 10 Euro je
Verordnung
16
Hilfsmittel
Ist für ein erforderliches Hilfsmittel ein
Festbetrag festgesetzt, trägt die Krankenkasse die Kosten bis zur Höhe des
Festbetrages. Für Hilfsmittel, bei denen
kein Festbetrag festgelegt ist, übernimmt die Krankenkasse die jeweils vertraglich vereinbarten Preise. Versicherte,
die das 18. Lebensjahr vollendet haben,
leisten zu jedem zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung verordneten
Hilfsmittel als Zuzahlung 10% des
Abgabepreises, jedoch nicht mehr als
10 Euro und nicht weniger als 5 Euro.
Zuzahlung bei zum Verbrauch bestimmten Hilfsmitteln beträgt 10% je Packung
höchstens jedoch 10 Euro für den Monatsbedarf je Indikation. Mit ärztlicher
Verordnung hat jeder Patient einmal
jährlich Anspruch auf je ein Paar orthopädische Haus-und Straßenschuhe.
170
Krankenhausbehandlung
Versicherte, die das 18. Lebensjahr
erreicht haben, müssen für eine Krankenhausbehandlung einen Betrag von
10 Euro pro Kalendertag für längstens
28 Kalendertage bezahlen.
Kieferorthopädie
Z.Zt. 20% Eigenbeteiligung an den Behandlungskosten. Ist ein weiteres Kind
zur selben Zeit in Behandlung, nur noch
10%. Es besteht keine Befreiungsmöglichkeit, da bei erfolgreicher Beendigung
der Behandlung die Zuzahlungen zurükkerstattet werden.
Zahnersatz
Die Festzuschüsse umfassen 50% der
festgesetzten Beträge für die jeweilige
Regelversorgung.
Kapitel 17
Behindertenausweis
M. Rummel-Siebert; B. Fauser
»
»
»
»
»
»
»
»
»
»
»
Sollte ein Behindertenausweis beantragt werden?.................. 172
Ist gegen den Bescheid des Versorgungsamtes
ein Widerspruch möglich? ......................................................... 173
Wie setzt sich der Behindertenausweis zusammen? ............... 173
Was bedeutet der Pauschbetrag für Körperbehinderte? ......... 174
Welche Nachteilsausgleiche bringen die Merkzeichen?.......... 174
Gelten die KfZ-Steuerregeln auch für Kinder?........................ 174
Was bedeutet „Freifahrt“ im
öffentlichen Personenverkehr? .................................................. 175
Gibt es Sonderregelungen im
öffentlichen Personenverkehr? .................................................. 175
Wann kann man sich auf einen
Behindertenparkplatz stellen? ................................................... 175
Welche Vorteile hat ein schwerbehinderter Arbeitnehmer? ... 176
Gleichstellung ............................................................................. 176
171
Behindertenausweis
» Sollte ein Behindertenausweis beantragt werden?
17
Bei chronischem Verlauf zählt die juvenile Arthritis zu den nicht nur vorübergehenden Funktionsbeeinträchtigungen.
Für diese Fälle bietet der Gesetzgeber
den Behindertenausweis als Nachteilsausgleich an. Die mit dem Schwerbehindertenstatus verbundenen und in diesem Kapitel beschriebenen Vorteile
sollen die Nachteile im Alltag und die
Mehrausgaben ausgleichen, die chronisch Kranken aufgrund ihrer Einschränkungen entstehen.
Je nach Schwere des Krankheitsverlaufs
steht den Betroffenen der Ausweis zu.
Eine Verpflichtung zur Beantragung besteht jedoch nicht. Wird ein Ausweis
vom Versorgungsamt erteilt, dann wird
er, je nach Einzelfall, zeitlich befristet.
Während der Laufzeit, die etwa zwischen zwei und fünf Jahren liegt, kann
der Ausweis nur zurückgegeben werden,
falls sich die Situation des Betroffenen
so verbessert, dass er im Alltag durch die
Krankheit nicht mehr entsprechend eingeschränkt ist.
Die Behinderung wird dokumentiert und
festgeschrieben. Für manche Eltern und
Betroffene ist das eine belastende Vorstellung, sie verzichten lieber auf die
sich aus dem Schwerbehindertenstatus
ergebenden Vorteile. Andere wiederum
haben den Ausweis beantragt und damit
gute Erfahrungen gemacht. Aus ihrer
Sicht ist die Krankheit bei schwerem
Verlauf sowieso nicht zu verheimlichen
und bringt so viele Nachteile mit sich,
dass die wenigen Vorteile, die es gibt, in
Anspruch genommen werden sollten.
172
In manchen Situationen können sich die
genannten Vorteile leider in das Gegenteil verkehren. In besonderer Weise gilt
dies für den Eintritt in das Berufsleben,
denn viele Arbeitgeber schrecken davor
zurück, Mitarbeiter einzustellen, die
nach einem halben Jahr erhöhten Urlaubsanspruch haben, auf Antrag von
Überstunden freizustellen sind und denen nur mit Zustimmung des Integrationsamtes gekündigt werden kann.
Doch es gibt auch Firmen und Behörden,
die bei gleicher Eignung schwerbehinderte Bewerber bevorzugen - in diesen
Fällen wirkt sich der Behindertenausweis
also sehr positiv aus.
Ob ein Ausweis beantragt werden soll
oder nicht, bleibt also eine individuelle
Entscheidung. Deshalb ist es wichtig,
sich im Vorfeld gut zu informieren um
schließlich ‘nach bestem Wissen und
Gewissen’ eine Entscheidung zu treffen.
Die Gespräche mit betroffenen Jugendlichen und jungen Erwachsenen sowie
mit den Mitarbeitern des Sozialdienstes
der Klinik sind dabei sehr hilfreich.
Da ein Schwerbehindertenausweis jederzeit beantragt werden kann, besteht
kein Zeitdruck. Die Entscheidung kann in
aller Ruhe reifen. Hat Ihr Kind bereits
das Jugendalter erreicht, sollte es in jedem Fall maßgeblich in die Entscheidung einbezogen sein.
Kapitel 17
» Wie wird ein Behindertenausweis beantragt?
Die notwendigen Formblätter sind bei
den zuständigen Versorgungsämtern
oder Gemeinde- und Stadtverwaltungen
erhältlich. Der schriftliche Antrag ist
auszufüllen und beim zuständigen Versorgungsamt abzugeben. Die Antagstellung ist auch im Internet möglich unter
www.schwerbehindertenantrag.bayern.de.
Das Versorgungsamt fordert dann bei
den im Antrag genannten Ärzten und
Kliniken die entsprechenden Krankenunterlagen an. Der zuständige ärztliche
Dienst des Versorgungsamtes legt nach
Beurteilung der Unterlagen den Grad
der Behinderung (GdB) und die entsprechenden Merkzeichen fest. Sowohl der
Grad der Behinderung als auch die
Merkzeichen richten sich nach Art und
Intensität der rheumatischen Erkrankung. Ist das Gutachten abgeschlossen,
erlässt das Versorgungsamt einen Bescheid.
» Ist gegen den Bescheid des
Versorgungsamtes ein
Widerspruch möglich?
Ist der Antragsteller der Meinung, die
Behinderung wurde nicht entsprechend
gewürdigt, also der Grad der Behinderung zu gering oder die entsprechenden
Merkzeichen nicht zugeordnet, kann er
innerhalb von vier Wochen nach Erhalt
des Bescheides beim zuständigen Versorgungsamt Widerspruch einlegen. Der
Widerspruch ist bisher noch kostenfrei.
In einer ausführlichen Begründung
müssen die im Bescheid nicht ausrei-
chend gewürdigten individuellen Einschränkungen des Kindes beschrieben
werden, wenn möglich, ist eine ärztliche
Stellungnahme beizufügen.
» Wie setzt sich der Behin-
dertenausweis zusammen?
Zwei Merkmale sind beim Behindertenausweis bedeutsam:
◆ zum einen der Grad der Behinderung
(GdB)
Er legt die körperliche Einschränkung
auf einer Skala von 20-100 in Zehnerschritten fest. Erst ab einem Grad der
Behinderung von 50 ist der Antragsteller
schwerbehindert und bekommt einen
Ausweis. Der Grad der Behinderung legt
auch die Höhe des Steuerpauschbetrages für Körperbehinderte fest.
◆ zum anderen die Merkzeichen, dabei
steht ...
G
für gehbehindert
aG für außergewöhnlich
gehbehindert
B
für die Notwendigkeit einer
Begleitperson
H
für hilfebedürftig
Die Kombination vom Grad der Behinderung und den verschiedenen Merkzeichen beschreiben also den Umfang der
erteilten Nachteilsausgleiche.
173
Behindertenausweis
» Was bedeutet der
Pauschbetrag für
Körperbehinderte?
Der Pauschbetrag für Körperbehinderte
soll behinderungsbedingte Mehrausgaben steuerlich ausgleichen. Er ist ein
Steuerfreibetrag, der auf die Lohnsteuerkarte eingetragen werden kann oder
bei der Lohn-/Einkommensteuer angegeben wird. Lohnender ist es, ihn im Jahr
nach dem Erhalt des Ausweises in die
Lohnsteuerkarte eintragen zu lassen.
Neben dem Pauschbetrag für Körperbehinderte ist ab einem Grad der Behinderung von 80 ohne Merkzeichen ein
Steuerpauschbetrag für private Fahrten
von 3.000 km/Jahr möglich. Weitere
Steuerfreibeträge durch den Behindertenausweis sind von den zugeordneten
Merkzeichen abhängig.
» Welche Nachteilsausgleiche
bringen die Merkzeichen?
17
Merkzeichen G
• Freifahrt im öffentlichen Personenverkehr bei Zuzahlung von 60 Euro /
Jahr oder KFZ-Steuerermäßigung;
• Beitragsnachlass bei der KFZ-Haftpflichtversicherung;
• G plus GdB von 70: Steuerfreibetrag
für private Fahrten des Ausweisinhabers bis 3.000 km/Jahr;
Merkzeichen aG
• Freifahrt im öffentlichen Personenverkehr bei Zuzahlung und KFZ-Steuerbefreiung;
• Beitragsnachlass bei der KFZ-Haftpflichtversicherung;
174
• Parkerleichterungen;
• aG plus GdB ab 80: Steuerfreibetrag
für private Fahrten ohne km-Grenze
(aber Nachweis mit „Fahrtenbuch;“)
In vielen Gemeinden/Landkreisen gibt es
unter bestimmten Voraussetzungen einen kostenlosen Fahrdienst für behinderte Menschen.
Merkzeichen B
• Freifahrt der Begleitperson in allen
öffentlichen Verkehrsmitteln, auch im
innerdeutschen Flugverkehr
Merkzeichen H
• erhöhter Pauschbetrag für Körperbehinderte von 3.700 Euro/Jahr
Freifahrt im öffentlichen Personenverkehr ohne Zuzahlung und KFZSteuerbefreiung
• Beitragsnachlass bei der KFZ-Haftpflichtversicherung
• Pflegepauschbetrag von 924 Euro für
die Person, die die Pflege ausführt.
» Gelten die KFZ-Steuerregeln
auch für Kinder?
Im Prinzip ja, der PKW müsste dann aber
auf das Kind zugelassen werden und
grundsätzlich für das Kind benutzt werden. Fahrten eines Elternteils zur Arbeit
mit diesem PKW sind dann nicht erlaubt,
das wäre Steuerhinterziehung. Derjenige, bei dem das Auto bisher versichert
war, kann weiter Versicherter bleiben. Es
muss also nicht auf den Schadensfreiheitsrabatt verzichtet werden.
Kapitel 17
» Was bedeutet „Freifahrt“ im » Wann kann man sich auf
öffentlichen Personenverkehr?
Wer als Ausweisinhaber die Freifahrt
im öffentlichen Personenverkehr in
Anspruch nimmt, hat folgende Fahrten frei:
• sämtliche U-Bahnen, Straßenbahnen
und Busse im öffentlichen Nahverkehr am Heimatort sowie in allen anderen Städten und Gemeinden;
• 50 km im Umkreis des Heimatortes
mit der Bundesbahn (welche Strecken
dies sind, bestimmt das Versorgungsamt mit dem zugeschickten Streckenverzeichnis).
Es empfiehlt sich für weitere Strecken
die Fahrkarten erst ab der 50-km-Grenze zu kaufen.
» Gibt es Sonderregelungen
im öffentlichen Personenverkehr?
Wenn ein Kind unter 6 Jahren einen
Behindertenausweis mit dem Merkzeichen B besitzt, sind das Kind und die
Begleitperson auf allen Strecken der
Bundesbahn frei, sowohl in der 1. als
auch 2. Klasse. In diesem Fall muss also
keine Fahrkarte gekauft werden.
einen Behindertenparkplatz
stellen?
Dies ist nur für Ausweisinhaber mit dem
Merkzeichen aG möglich. Inhaber dieses
Ausweises können bei der Stadt oder
Gemeindeverwaltung einen Parkausweis
beantragen. Allein den Behindertenausweis in die Windschutzscheibe zu legen,
genügt nicht. Ein Strafzettel ist dann
gerechtfertigt.
Für diesen Parkausweis gelten ferner
folgende Bestimmungen:
• Parken im eingeschränkten Halteverbot bis zu 3 Std. (Parkscheibe);
• Parken bis zu 3 Std. auf für Anwohner
reservierten Parkplätzen;
• Unentgeltliche Benutzung von durch
Parkuhr oder Parkscheinautomat gebührenpflichtigen Parkplätzen, egal
an welchen Tagen.
Folgende Personen, die die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens ‚aG’ noch nicht erfüllen, können trotzdem von den zuständigen
Straßenverkehrsbehörden eine - allerdings auf das Gebiet des Freistaates
Bayern begrenzte - Ausnahmegenehmigung und den damit verbundenen blauen Parkausweis erhalten:
Schwerbehinderte Menschen, die
• allein für die Funktionsstörungen an
den unteren Gliedmaßen (und der
Lendenwirbelsäule, soweit sich diese
auf das Gehvermögen auswirken)
einen GdB von wenigstens 80 und
die Merkzeichen G und B zuerkannt
bekommen haben
175
Behindertenausweis
oder
• allein für die Funktionsstörungen an
den unteren Gliedmaßen (und der
Lendenwirbelsäule, soweit sich diese
auf das Gehvermögen auswirken)
einen GdB von wenigstens 70 zuerkannt bekommen haben und gleichzeitig durch Funktionsstörungen des
Herzens und der Atmungsorgane, die
wenigstens einen GdB von 50 bedingen, beeinträchtigt sind sowie die
Merkzeichen G und B erhalten haben.
Der Antrag ist bei der örtlichen Straßenverkehrsbehörde (Stadt- oder Gemeindeveraltung) zu stellen, die unter Beteiligung des Amtes für Familienförderung
(Versorgungsamt) das Verfahren durchführt.
Ähnliche Regelungen mit möglicherweise anderen Voraussetzungen gibt es
auch in anderen Bundesländern.
» Welche Vorteile hat ein
schwerbehinderter Arbeitnehmer?
17
Aufgrund
der
Schwerbehinderteneigenschaft ist
vom Gesetzgeber
ein
besonderer
Kündigungsschutz
vorgesehen. Ist der
Arbeitnehmer länger als 6 Monate in einem Arbeitsverhältnis, darf ihm nur mit Zustimmung
des Integrationsamtes gekündigt werden. Das Integrationsamt regelt das Verhältnis zwischen Schwerbehinderten
und Arbeitgeber. Für Schwerbehinderte
176
gibt es weiterhin eine Arbeitswoche pro
Jahr mehr Urlaub, darüber hinaus sind
sie auf ihr Verlangen von Mehrarbeit
freizustellen. Weitere Vorteile u.a. sind
dem Kapitel Fragen zur Schule, Studium
und Beruf zu entnehmen.
» Gleichstellung
Schwerbehinderten Menschen gleichgestellt werden sollen behinderte Menschen mit einem GdB von weniger als
50, aber wenigstens 30, wenn sie infolge
ihrer Behinderung ohne die Gleichstellung einen geeigneten Arbeistplatz nicht
erlangen oder nicht behalten können.
Schwerbehinderten Menschen gleichgestellt sind auch Jugendliche und junge
Erwachsene während der Zeit einer Berufsausbildung in Betrieben, auch wenn
der Grad der Behinderung weniger als
30 beträgt oder ein GdB nicht festgestellt ist. Die Anträge auf Gleichstellung
sind bei der Agentur für Arbeit zu stellen.
Kapitel 18
Pflegeversicherung
M. Rummel-Siebert; B. Fauser
»
»
»
»
»
»
»
»
»
Warum wurde die Pflegeversicherung eingeführt? ................. 178
Wer ist versichert? ..................................................................... 178
Wer erhält Leistungen?.............................................................. 178
Wird auch die Pflege eines Kindes berücksichtigt? ................ 178
Wie sind die Leistungen der Pflegeversicherung aufgebaut? .... 179
Wie werden die Leistungen beantragt und festgelegt? .......... 181
Was versteht man unter einem Pflegetagebuch? .................... 181
Was sollten die Eltern beim Antragsverfahren beachten?...... 182
Lohnt es sich überhaupt, einen Antrag zu stellen?................. 183
177
Pflegeversicherung
» Warum wurde die Pflegeversicherung eingeführt?
Die Pflegeversicherung wurde 1994 als
fünfte Säule in das System der Sozialversicherung eingebaut. Neben der
Kranken-, Renten-, Unfall- und Arbeitslosenversicherung hat sie das Ziel, eine
mögliche Pflegebedürftigkeit finanziell
abzusichern. Nötig wurde dieser Schritt
in erster Linie durch die stetig wachsende Zahl älterer pflegebedürftiger Menschen bei gleichzeitigem Rückgang der
Großfamilien, in denen sie früher versorgt wurden.
» Wer ist versichert?
18
Die Pflegeversicherung umfasst als
Pflichtversicherung alle Personen, für
die ein Krankenversicherungsschutz besteht, egal ob sie gesetzlich, privat oder
mit einem Einkommen unterhalb der
Geringfügigkeitsgrenze als Familienmitglied mitversichert sind. Die Pflegeversicherung wurde an die Krankenkassen
angegliedert. Sie finanziert sich über
monatliche Beiträge, die von den Krankenkassen eingezogen werden, sowie die
bundesweite Streichung eines Feiertages.
» Wer erhält Leistungen?
Pflegebedürftig im Sinne des Gesetzes
sind Personen, die wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung auf Hilfe angewiesen sind. Um eine Pflegestufe zu
erreichen, also Leistungen zu erhalten,
178
muss nachgewiesen werden, dass für einen Zeitraum von mindestens sechs
Monaten ein Hilfebedarf in den gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen des täglichen Lebens vorliegt. Leistungsempfänger ist
immer der Pflegebedürftige selbst, bei
minderjährigen Kindern erfolgt die Auszahlung an die Eltern.
» Wird auch die Pflege eines
Kindes berücksichtigt?
Grundsätzlich schon, denn ob man Leistungen erhält, hängt alleine vom nachgewiesenen Vorliegen der Pflegebedürftigkeit im Sinne des Gesetzes ab. Bei der
Schaffung der Pflegeversicherung und
der Entwicklung der Abläufe wurde zunächst primär an ältere Menschen gedacht. Allerdings spielen das Alter des
Pflegebedürftigen sowie die Tatsache,
wie es zur Pflegebedürftigkeit kam, keine Rolle. Da die rheumatische Grunderkrankung durch ihren chronischen Verlauf länger als sechs Monate dauert und
zu einem erhöhten Hilfebedarf führt,
können betroffene Kinder Leistungen
erhalten. Erschwerend kommt jedoch
hinzu, dass nur der Pflegeaufwand
berücksichtigt werden kann, der über
dem eines gesunden Kindes gleichen
Alters liegt. Je jünger das rheumakranke Kind ist, desto schwerer wird es sein,
den erforderlichen Pflegemehraufwand
nachzuweisen. So benötigt z.B. jedes
zweijährige Kind Unterstützung bei der
Zerkleinerung der Nahrung.
Kapitel 18
» Wie sind die Leistungen der
Pflegeversicherung aufgebaut?
Wie hoch die Leistungen sind, hängt
vom nachgewiesenen durchschnittlichen täglichen Zeitaufwand in genau
definierten Bereichen ab. Berücksichtigt
werden lediglich folgende gewöhnliche
und wiederkehrende Verrichtungen:
• Im
Bereich der Körperpflege: Waschen, Duschen, Baden, Zahnpflege,
Kämmen, Rasieren, Darm- und Blasenentleerung.
• Im Bereich der Ernährung das mundgerechte Zubereiten und die Hilfestellungen bei der Aufnahme der
Nahrung.
• Im
Bereich der Mobilität die Hilfe
beim Aufstehen, Zu-Bett-Gehen, Anund Auskleiden, Gehen, Stehen, Treppensteigen und beim Verlassen und
Wiederaufsuchen der Wohnung.
Diese drei Bereiche machen miteinander
die Grundpflege aus, die durch die
hauswirtschaftliche Versorgung ergänzt werden kann. Darunter ist das
Einkaufen, Kochen, Reinigen der Wohnung, Spülen, Wechseln und Waschen
der Wäsche und Kleidung und das Beheizen zu verstehen. Die hauswirtschaftliche Versorgung alleine genügt
nicht um Leistungen zu beziehen. Sie ist
lediglich in Ergänzung zur Grundpflege
anzurechnen.
Um Kategorien für den Umfang der Leistungen zu schaffen, wurden drei Pflegestufen definiert:
Pflegestufe I
‘Erheblich Pflegebedürftige’ sind Personen, für die mindestens einmal täglich
bei wenigstens zwei Verrichtungen aus
den Bereichen Körperpflege, Ernährung
oder Mobilität und in Ergänzung in der
hauswirtschaftlichen Versorgung ein
täglicher Pflege(mehr)bedarf von mindestens 90 Minuten besteht. Auf die
Grundpflege müssen dabei mehr als 45
Minuten entfallen.
Pflegestufe II
‘Schwerpflegebedürftige’ im Sinne des
Gesetzes sind Personen, die in den genannten Bereichen mindestens dreimal
täglich zu verschiedenen Tageszeiten
Hilfe im Umfang von mindestens drei
Stunden benötigen. Die Grundpflege
muss dabei mindestens zwei Stunden
umfassen.
Pflegestufe III
‘Schwerstpflegebedürftige’ sind Personen, die in den genannten Bereichen
täglich rund um die Uhr, also auch
nachts, der Hilfe bedürfen. Im Tagesdurchschnitt muss die Pflege einen Umfang von fünf Stunden erreichen, mindestens vier Stunden davon im Bereich
der Grundpflege.
179
Pflegeversicherung
Erfolgt die Einstufung in eine der drei
Pflegestufen, ergeben sich daraus verschiedene Leistungen. Da die Betreuung
eines rheumakranken Kindes nur äußerst selten in einer stationären Einrichtung, sondern fast ausschließlich zu
Hause erfolgt, sind folgende Leistungen
von besonderer Bedeutung:
◆ Das monatliche Pflegegeld in Höhe
von
205
• € in der Pflegestufe I
• 410 € in der Pflegestufe II
• 665 € in der Pflegestufe III
Das Pflegegeld darf bei der Gewährung
anderer einkommensabhängiger Sozialleistungen (z.B. Sozialhilfe oder Wohngeld) nicht als Einkommen angerechnet
werden!
18
◆ Zuschüsse zum pflegebedingten
Umbau der Wohnung
Angestrebt wird eine Gestaltung des
Wohnumfeldes, die die häusliche Pflege
ermöglicht, erleichtert oder die Unfallgefahr verringert. In Frage kommt beispielsweise der Einbau eines Treppenliftes zur Überwindung von Stufen, die
Anbringung von bestimmten Haltegriffen oder der Einbau von Einrichtungsgegenständen, die mit dem Rollstuhl
unterfahren werden können. Die Zuschusshöhe liegt im Ermessen der Pflegekassen. Sie ist abhängig von der
Notwendigkeit des Umbaus, den entstehenden Kosten und der Einkommenssituation des Versicherten und beträgt
derzeit maximal 2557 € je Maßnahme.
180
◆ Leistungen zur sozialen Sicherung
der Pflegepersonen
Die Pflegekassen entrichten Beiträge
zur gesetzlichen Rentenversicherung
für Pflegepersonen, die nicht mehr als
30 Stunden wöchentlich erwerbstätig
sind und einen Pflegebedürftigen mindestens 14 Wochenstunden in dessen
häuslicher Umgebung pflegen. Die Höhe
der Beitragszahlungen ist abhängig vom
Umfang der anerkannten Pflegetätigkeit, d.h. von der festgestellten Pflegestufe. Darüber hinaus sind die Pflegepersonen während der Ausübung der
pflegerischen Tätigkeit unfallversichert
und erhalten nach der Beendigung ihrer
Pflegetätigkeit bei Bedarf vom Arbeitsamt Eingliederungshilfe für die Rückkehr in das Berufsleben.
◆ Kurzzeitpflege
Ist die Pflegeperson erkrankt, im Urlaub
oder anderweitig verhindert, kann die
Pflege für maximal vier Wochen im Jahr
durch die Unterbringung in einer geeigneten Pflegeeinrichtung oder durch die
Finanzierung einer Ersatzpflegekraft sichergestellt werden. Findet diese Pflege
zu Hause statt, erhält die Pflegeperson
anteilig für diesen Zeitraum das Pflegegeld. Kann für diese Zeit ein Verdienstausfall nachgewiesen werden, der über
dem Pflegegeld liegt, wird es bis zur entsprechenden Höhe aufgestockt. Der
jährliche Höchstbetrag liegt bei 1432 €.
Weitere Leistungsarten können den Informationen der Kranken- und Pflegekassen und der Verbände entnommen
werden.
Kapitel 18
» Wie werden die Leistungen
beantragt und festgelegt?
Der Antrag besteht aus einem einzigen
Formular, das bei den Kranken- und
Pflegekassen erhältlich ist. Nach der Antragstellung erfolgt ein Hausbesuch einer Pflegefachkraft des Medizinischen
Dienstes der Pflegekasse, die ein Gutachten erstellt. Der dabei ermittelte
Pflegeumfang richtet sich nicht nur
nach der Art und Schwere der Pflegebedürftigkeit des Antragstellers, sondern
auch nach den häuslichen Gegebenheiten.
Bereiten Sie sich auf diesen Besuch gut
vor. Falls vorhanden, sollte Ihr Kind
Handschienen tragen. Demonstrieren
Sie ggf. auch Sinn und Handhabung von
Nachtlagerungsschienen. Leider ist davon auszugehen, dass die Pflegefachkraft wenig über das kindliche Rheuma
informiert ist. Erklären Sie deshalb die
Krankheit, den schubweisen Verlauf und
beschreiben Sie die Auswirkungen auf
das tägliche Leben. Eine gute Hilfe sind
die Broschüren der Deutschen RheumaLiga, die Sie ebenfalls bereithalten sollten.
Einige Zeit nach dem Hausbesuch erhalten Sie einen Bescheid, dem Sie den ermittelten durchschnittlichen täglichen
Pflegebedarf und die sich daraus ergebende Pflegestufe entnehmen können.
Auf Ihr Verlangen hin ist Ihnen Einsicht
in das Gutachten und die Berechnung
des Pflegaufwandes zu gewähren, auf
denen der Bescheid beruht. Gegen diesen Bescheid kann innerhalb eines Monats Widerspruch eingelegt werden.
Führt dieser nicht zum gewünschten Er-
folg, kann der Klageweg vor den Sozialgerichten beschritten werden.
» Was versteht man unter
einem Pflegetagebuch?
Ratsam ist, bereits im Vorfeld ein Pflegetagebuch zu führen, in das Sie über einen längeren Zeitraum alle Pflegleistungen und Hilfestellungen eintragen, die
Sie für Ihr rheumakrankes Kind erbringen. Der Hausbesuch der Pflegefachkraft
kann nicht mehr sein als eine Momentaufnahme. Durch das Pflegetagebuch
können Sie verdeutlichen, wie unterschiedlich der Pflegeaufwand ist. Achten
Sie darauf, dass auch die pflegeintensiven Phasen dokumentiert sind. Stellen
Sie dar, wie viel Hilfe und Pflege Ihr Kind
während eines Schubes braucht und
dass es auch in besseren Zeiten aufmerksam wahrgenommen und zu gelenkschonendem Verhalten angeleitet
werden muss. Notieren Sie ebenfalls,
wenn es vor der Medikamenteneinnahme lange Diskussionen und Streitgespräche gibt oder wenn das Kind Ermutigung, Trost oder Hilfe beim Einschlafen
oder nächtlichem Aufwachen bekommt.
Sollte das Kind vor allem während der
Schübe nachts so stark schwitzen, dass
Sie mit ihm den Schlafanzug wechseln
müssen, ist dies ebenfalls zu vermerken.
Da Sie das Pflegetagebuch an die Pflegefachkraft aushändigen, sollten Sie es
vor dem vereinbarten Gesprächstermin
für Ihre Unterlagen kopieren und es im
Vorfeld aufmerksam durchlesen.
181
Pflegeversicherung
» Was sollten die Eltern beim
Antragsverfahren beachten?
Die Pflegefachkraft orientiert sich in ihren Fragen primär an Formularen, die
nicht auf Kinder, sondern auf ältere
Menschen zugeschnitten sind. Also Personen, die früher selbständig waren und
nun in bestimmten Bereichen Hilfe benötigen. Ein kleines Kind, das sich beispielsweise noch nie selbst verständigen
oder selbst versorgen konnte, passt nicht
in dieses System. Dadurch ergibt sich ein
Interpretationsspielraum, der sich zum
Schaden, aber auch zum Vorteil des Kindes auswirken kann. Nur wenn es Ihnen
gelungen ist, der Pflegefachkraft ein Gefühl für das Krankheitsbild, den schubweisen Verlauf und die Folgen im Alltag
zu vermitteln, kann sie das starre Muster
der Formulare zum Vorteil des Kindes
verlassen.
18
Wie bereits erwähnt, ist jedoch auch bei
wohlwollender Begutachtung lediglich
der Pflegemehraufwand gegenüber einem gleichaltrigen gesunden Kind zu
erfassen. Je älter das Kind ist, desto eher
ist beispielsweise anzurechnen, dass Sie
das Kind im Buggy zu den Arztbesuchen
schieben müssen.
Falls die Pflegefachkraft Ihnen erklärt,
dass bei Kindern bis zum 16. Lebensjahr
die hauswirtschaftliche Versorgung
grundsätzlich nicht angerechnet werden
kann, weil auch gesunde Kinder keinen
Haushalt führen, sollten Sie das auf keinen Fall akzeptieren. Verweisen Sie auf
die Begutachtungs-Richtlinien, die festlegen, dass bei Kindern bis zum voll182
endeten achten Lebensjahr der erhöhte Zeitbedarf für die hauswirtschaftliche
Versorgung im erforderlichen Umfang
gegeben ist, wenn er grundsätzlich besteht. Diese etwas komplizierte Formulierung meint, dass man bei Kindern dieser Altersgruppe den Mehraufwand für
die hauswirtschaftliche Versorgung pauschal anerkannt bekommt, wenn man
nachweisen kann, dass er überhaupt besteht. Können Sie beispielsweise durch
Ihre Erklärungen und die Vorlage des
Pflegetagebuches deutlich machen, dass
sich das Kind durch seine Schienen und
Bewegungseinschränkungen häufiger
bekleckert als andere Kinder gleichen Alters, greift diese Regelung. Es werden Ihnen dann nicht nur die Minutenwerte
für das Waschen von ein oder zwei Füllungen Wäsche pro Woche anerkannt,
sondern pauschal 45 Minuten hauswirtschaftliche Versorgung pro Tag in der
Pflegestufe I. Grundvoraussetzung bleibt
aber auch in diesem Fall, dass Sie in der
Grundpflege im Tagesdurchschnitt die
erforderliche Zeit nachweisen können,
die hauswirtschaftliche Versorgung alleine reicht nicht aus.
Bei Kindern zwischen acht und vierzehn Jahren kann in der Pflegestufe I
pauschal ein erhöhter Zeitbedarf von 30
Minuten, in den Pflegestufen II und III
von 45 Minuten angesetzt werden.
Leider kann nur die Pflege in der oben
definierten Grundpflege berücksichtigt
werden. Die täglichen krankengymnastischen Übungen oder die Kühlung mit
Eispacks fallen nicht unter die Grundpflege, sondern werden per Definition
der Behandlungspflege zugerechnet,
Kapitel 18
183
Pflegeversicherung
für die die Krankenkasse und nicht die
Pflegekasse aufkommen muss.
Beim Aufsuchen und Verlassen der
Wohnung im Rahmen der Mobilität
wird nur die Fahrtzeit zum Arzt oder zur
Krankengymnastik und wieder zurück
berücksichtigt. Die Wartezeit fällt unter
den Tisch und die Behandlung des Kindes wird im Rahmen der Behandlungspflege von den Krankenkassen finanziert.
Voraussetzung: Therapie mindestens
einmal pro Woche über einen Zeitraum
von sechs Monaten.
18
Empörend, aber gesetzeskonform ist,
wenn Spaziergänge und Besuche von
Freunden, Verwandten oder kulturellen
Veranstaltungen gar nicht berücksichtigt werden, denn die Anerkennung dieser sozialen Kontakte würde zu einem
politisch nicht gewünschten Anstieg der
Leistungsbezieher führen. Für diesen
Missstand kann die Pflegefachkraft, die
Sie zu Hause besucht, nicht verantwortlich gemacht werden - er verdeutlicht
aber, dass die Rheuma-Liga und andere
Organisationen in ihrem Bemühen
unterstützt werden sollten, eine Änderung der Richtlinien zu erreichen!
184
» Lohnt es sich überhaupt,
einen Antrag zu stellen?
Auch wenn die gesetzlichen Definitionen und Abgrenzungen oft dazu führen,
dass der zweifellos vorhandene hohe
Zeitaufwand bis auf einen kleinen Rest
zusammenschmilzt, kann ein Versuch
durchaus lohnend sein. Im Verlauf der
Jahre haben immer klarere Vorschriften
den individuellen Spielraum der Pflegefachkräfte zwar zunehmend eingeengt,
in Einzelfällen kommt es aber immer
wieder zu überraschend positiven Ergebnissen. Das Verfahren ist einfach, kostenfrei und nicht sehr aufwändig, die
Führung eines Pflegetagebuchs über einen gewissen Zeitraum kann auch sehr
interessant sein. In jedem Fall sollten Sie
sich, vor allem bei schweren Krankheitsverläufen, nicht entmutigen lassen einen Antrag zu stellen!
Kapitel 19
STEUER
M. Rummel-Siebert; B. Fauser
»
»
»
Was kann von der Steuer abgesetzt werden?.......................... 186
Was kann neben den Pauschbeträgen steuerlich
geltend gemacht werden? ......................................................... 187
Können die Steuerfreibeträge auch auf
die Eltern übertragen werden?.................................................. 188
185
Steuer
» Was kann von der Steuer
abgesetzt werden?
Grundsätzlich können bei der Steuer alle
Aufwendungen geltend gemacht werden, die aufgrund der Erkrankung des
Kindes entstanden sind und nicht von
einer dritten Seite, wie z.B. der Krankenkasse, erstattet wurden oder noch erstattet werden.
Diese Ausgaben sind als außergewöhnliche Belastungen einzustufen und in der
Steuererklärung an entsprechender
Stelle einzutragen. Von der sich ergebenden Summe wird vom Finanzamt
eine zumutbare Eigenbelastung abgezogen, die sich nach dem Einkommen und
dem Familienstand richtet. Sämtliche
Ausgaben müssen durch Vorlage von
Belegen nachgewiesen werden.
Ist ein Behindertenausweis vorhanden,
sind die vom Grad der Behinderung und
dem Merkzeichen abhängigen Steuer-
freibeträge (siehe auch Kapitel 12) abzusetzen:
• Pauschbetrag für Körperbehinderte
(siehe Tabelle unten)
Diese Beträge stehen dem Schwerbehinderten, also in unserem Fall dem rheumakranken Kind zu!
• Pflegepauschbetrag (924 € /Jahr bei
Merkzeichen „H“)
Dieser Betrag steht der Person zu, die
den Schwerbehinderten pflegt!
Da der Behindertenausweis erst ab einem Grad der Behinderung von 50 ausgestellt wird, muss zur Inanspruchnahme der Pauschbeträge bei einem GdB
von 30 bzw. 40 eine Bestätigung des
Versorgungsamtes vorgelegt werden, in
der der Anspruch auf eine Steuerpauschale eingeräumt wird. Wenn dies der
Fall ist, wird sie vom Amt für Versorgung
und Familienförderung dem Feststellungsbescheid beigefügt.
Tabelle
Folgende jährliche Pauschbeträge sind je nach Grad
der Behinderung gültig:
Grad der Behinderung
19
von 25
von 35
von 45
von 55
von 65
von 75
von 85
von 95
Merkz. H
186
und
und
und
und
und
und
und
und
30
40
50
60
70
80
90
100
Pauschbetrag / Jahr
310 €
430 €
570 €
720 €
890 €
1060 €
1230 €
1420 €
3700 €
Kapitel 19
» Was kann neben den
Pauschbeträgen steuerlich
geltend gemacht werden?
Nachstehende aufgeführte Punkte können als außergewöhnliche Belastungen
zusätzlich zum Pauschbetrag für Körperbehinderte geltend gemacht werden:
Unterkunfts- und Verpflegungskosten bei Begleitung
des Kindes während des
Klinikaufenthaltes
Aufwendungen für
Dienstleistungen zur Pflege
Wurde das Merkzeichen H zugeordnet,
können Aufwendungen für Dienstleistungen zur Pflege durch eine ambulante Pflegekraft oder auch durch die Sozialstation
oder
einen
privaten
Pflegedienst ohne weiteres als außergewöhnliche Belastung angesetzt werden,
soweit die Aufwendungen ausschließlich auf die Pflege entfallen, d.h. krankheitsbedingt sind.
Wurde das Kind während eines stationären Klinikaufenthaltes von einem Elternteil begleitet, für den Übernachtungskosten angefallen sind, können diese
angegeben werden. Voraussetzung ist die
Beifügung eines Beleges für die Ausgaben und eine Bestätigung der Klinik, dass
die Anwesenheit dringend angezeigt war.
Zusätzlich zu den Übernachtungskosten
ist die Anrechnung des sog. ‘Verpflegungs-Mehraufwandes’ möglich, dessen
Höhe von der Dauer der Abwesenheit
vom Heimatort abhängt.
Beschäftigung einer
Haushaltshilfe
Bei Abwesenheit
• von mindestens 8 Stunden beträgt
diese Pauschale derzeit 6 €
• von mindestens 14 Stunden 12 €
• von 24 Stunden 24 € pro Kalendertag.
Bei einem Grad der Behinderung von
mindestens 80 oder einem Grad der Behinderung von 70 plus Merkzeichen G
oder aG können die Kraftfahrzeugkosten
als außergewöhnliche Belastung abgesetzt werden, pauschal 3.000 km. Behinderungsbedingte Fahrten können auch
über diese Kilometergrenze hinaus geltend gemacht werden. Dazu muss aber
ein Fahrtenbuch geführt und vorgelegt
werden. Im Zweifelsfall können auch Urlaubsfahrten, die im Interesse des Kindes
liegen, geltend gemacht werden.
Besuchsfahrten
Wenn eine ärztliche Bescheinigung über
die Anwesenheit eines Elternteils am Behandlungsort ausgestellt wird, können
sämtliche Kosten, die dabei entstanden
sind, geltend gemacht werden.
Tatsächliche Aufwendungen für eine
Haushaltshilfe (Babysitter, Nachhilfe,
Putzfrau etc.) können in einer Höhe von
624 € pauschal abgesetzt werden. Sind
die Voraussetzungen des Merkzeichen H
erfüllt, erhöht sich der Pauschbetrag auf
924 €.
Kraftfahrzeugkosten für
Privatfahrten
187
Steuer
Wurde das Merkzeichen aG zugeordnet,
können sämtliche Fahrzeugkosten für
Fahrten mit dem Kind als außergewöhnliche Belastung geltend gemacht werden. Hier können die tatsächlichen
Kosten (Kilometerzahl x 0,30 €) angesetzt werden.
Einverdiener-Familien, bei denen nur
ein Elternteil erwerbstätig ist, können
Kinderbetreuungskosten für Kinder zwischen dem dritten und sechsten Lebensjahr zu zwei Dritteln, maximal 4.000 € je
Kind, als Sonderausgaben abziehen (§ 10
Abs. 1 Nr. 5 EStG).
Kinderbetreuungskosten
Um Doppelberücksichtigungen auszuschließen, dürfen Aufwendungen, die
unter § 4f,§ 9 Abs. 5, § 10 Abs. 1 Nr. 5
und Nr.8 EStG fallen nicht nach § 35 a
EStG (haushaltsnahe Kinderbetreuung)
geltend gemacht werden.
Betreuungskosten sind Aufwendungen
dafür, dass eine dritte Person das Kind
beaufsichtigt und ggf. erzieht. Betreuungskosten werden auf Antrag gewährt.
Kinder werden auch über das 14. Lebensjahr hinaus berücksichtigt, wenn sie
wegen einer körperlichen, geistigen oder
seelischen Behinderung außerstande
sind, sich selbst zu unterhalten.
Rechtslage ab 01.01.2006
Durch das Gesetz zur steuerlichen Förderung von Wachstum und Beschäftigung ist die Absetzbarkeit von Kinderbetreuungskosten neu geregelt worden.
Danach gilt Folgendes:
19
Berufstätige Alleinerziehende und
Doppelverdiener können nunmehr nach
§4f/§9 EStG (Einkommensteuergesetz)
für die Betreuung von Kindern bis zum
14. Lebensjahr zwei Drittel der Kosten,
maximal 4.000 € je Kind als Betriebsausgaben oder Werbungskosten von der
Steuer absetzen. Diese Abzugsmöglichkeit besteht auch in den Fällen, in denen
nur ein Elternteil berufsunfähig und der
andere behindert oder dauerhaft krank
ist oder sich in Ausbildung befindet; hier
werden die Kosten als Sonderausgaben
berücksichtigt (§10 Abs. 1 Nr. 8 EStG).
188
» Können die Steuerfrei-
beträge auch auf die Eltern
übertragen werden?
Der Behinderten-Pauschbetrag und die
anderen behinderungsbedingten Aufwendungen können auf Antrag auf die
Eltern (Großeltern) übertragen werden.
Die Übertragung setzt voraus:
• Der Behinderten-Pauschbetrag steht
dem Kind zu, das ihn nicht in Anspruch nimmt.
• Die Eltern (bzw. der Elternteil) erhalten einen Kinderfreibetrag, Bedarfsfreibetrag oder Kindergeld.
Tipp
Unter www.bvkm.de können Sie jeweils das aktuelle Steuermerkblatt
für Familien mit behinderten Kindern
herunterladen.
Kapitel 20
Sozialhilfe
M. Rummel-Siebert; B. Fauser
»
»
»
»
»
Wer kann Sozialhilfe beantragen? ............................................ 190
Was ist vor der Antragstellung zu beachten?.......................... 191
Welche Leistung umfasst die Sozialhilfe allgemein? .............. 191
Was bedeutet Eingliederungshilfe
für behinderte Menschen?......................................................... 192
Was ist unter ‘Hilfe zur Pflege’ zu verstehen? ........................ 193
189
Sozialhilfe
» Wer kann Sozialhilfe
beantragen?
Nach der zum 01. Januar 2005 in Kraft
getretenen Fassung des Sozialgesetzbuchs haben die Sozialleistungen folgende Strukturen:
Art der
Sozialleistung
Personenkreis
zuständige
Behörde
Grundsicherung
im Alter
Personen, die das 65. Lebensjahr und
Sozialamt
Personen, die das 18. Lebensjahr
vollendet haben und dauerhaft voll
erwerbsgemindert sind, erhalten Hilfen
zur Grundsicherung nach dem SGB XII.
Das Grundsicherungsgesetz wurde aufgehoben und in das SGB XII inhaltsgleich
eingearbeitet (§§ 41 ff. SGB XII)
Arbeitslosengeld II Erwerbsfähige Hilfebedürftige ab 15 bis
Jobcenter
64 Jahre erhalten das Arbeitslosengeld II
nach der Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II). Ihre nichterwerbsfähigen,
zur Bedarfsgemeinschaft gehörenden
hilfebedürftigen Angehörigen beziehen
Sozialgeld gemäß § 28 SGB II
Hilfe zum
Lebensunterhalt
Bedürftige, die weder Arbeitslosengeld II
oder Sozialgeld nach dem SGB II und
keine Leistungen der Grundsicherung
erhalten, bekommen Hilfe zum Lebensunterhalt gemäß §§ 27 ff. SGB XII
Sozialamt
20
Ziel der Sozialhilfe ist es, dem Empfänger die Führung eines Lebens zu ermöglichen, das der Würde des Menschen
entspricht. Die Hilfe soll ihn so weit wie
möglich befähigen, unabhängig zu werden, um später seinen Lebensunterhalt
wieder aus eigener Kraft bestreiten zu
190
können. Beantragt wird die Sozialhilfe
bei den Sozialämtern der Städte und der
Landkreise.
Kapitel 20
» Was ist vor der Antragstellung zu beachten?
Sämtliche Leistungen der Sozialhilfe
sind vom Einkommen abhängig und beruhen auf dem Prinzip der Nachrangigkeit. Vom Antragsteller wird erwartet,
dass er zunächst sein Einkommen, sein
Vermögen und seine Arbeitskraft einsetzt, um seine Notlage zu beheben. Unter bestimmten Umständen sind darüber
hinaus seine Angehörigen verpflichtet,
ihn finanziell zu unterstützen. Weiterhin
muss ausgeschlossen werden, dass dem
Hilfesuchenden Leistungen anderer Sozialleistungsträger zustehen, also z. B.
Rentenzahlungen oder Krankengeld.
Die Sozialhilfe erfasst prinzipiell nur den
gegenwärtigen Bedarf, die Übernahme
von Schulden ist nicht möglich. Kommen Sonderausgaben auf den Sozialhilfeempfänger zu, wie z.B. Pensionskosten
während der Begleitung des Krankenhausaufenthaltes des rheumakranken
Kindes, muss die Kostenübernahme bereits im Vorfeld mit dem Sozialamt geklärt werden!
» Welche Leistungen umfasst
die Sozialhilfe allgemein?
Die Sozialhilfe übernimmt zum einen
laufende Leistungen zum Lebensunterhalt, zum anderen die sogenannten
weiteren ’Hilfen in besonderen Lebenslagen’.
Der notwendige Lebensunterhalt umfasst insbesondere die Ernährung, die
Miete, die Kleidung, Hausrat und Hei-
zung sowie die persönlichen Bedürfnisse
des täglichen Lebens.
Die weiteren Hilfen (in besonderen Lebenslagen) sehen Leistungen vor wie die
Hilfe zum Aufbau oder zur Sicherung
der Lebensgrundlage, die vorbeugende
Gesundheitshilfe, die Hilfe zur Gesundheit, die Eingliederungshilfe für behinderte Menschen, die Blindenhilfe, die
Hilfe zur Pflege, Hilfe zur Weiterführung
des Haushaltes, Hilfe zur Überwindung
besonderer sozialer Schwierigkeiten und
die Altenhilfe.
Hilfe zum Lebensunterhalt
Die Sozialhilfe wird seit dem 1. Januar
2005 als Leistung für nicht erwerbsfähige Menschen in einer (finanziellen)
Notlage gewährt. Hilfe zum Lebensunterhalt erhält, wer seinen notwendigen Lebensunterhalt weder aus eigenen
Kräften und Mitteln (Einkommen und
Vermögen) noch mit Hilfe anderer (z. B.
Rententräger, Unterhaltspflichtige) bestreiten kann.
Sozialhilfe ist immer nachrangig zu gewähren. Wer Sozialhilfe in Anspruch
nehmen möchte, muss daher sämtliche
andere Hilfs- und Einkommensmöglichkeiten vorrangig ausschöpfen.
Die Hilfe zum Lebensunterhalt wird, sofern mehr als eine Person im Haushalt
lebt, für die gesamte Bedarfsgemeinschaft berechnet. Zur Bedarfsgemeinschaft gehören Ehegatten, Alleinerziehende und deren minderjährige Kinder
und Partner einer eheähnlichen Gemeinschaft. Nicht zur Bedarfsgemeinschaft
gehören z.B. Tante, Großvater usw..
191
Sozialhilfe
» Wer erhält Hilfe zum
Lebensunterhalt?
Hilfe zum Lebensunterhalt erhalten nur
noch Menschen zwischen 15 und 65
Jahren, die zeitweise nicht erwerbsfähig
sind. Das sind z. B. Bezieher einer Altersrente (vor dem 65. Lebensjahr) oder Bezieher einer zeitlich befristeten Erwerbsminderungsrente oder Betreute in
Einrichtungen (z. B. Psychiatrie). Aber
auch alle, die länger als ein halbes Jahr
wegen Krankheit oder Behinderung
nicht mindestens drei Stunden täglich
(amtlich festgestellt) arbeiten können.
Dauerhaft Erwerbsunfähige und über
65-Jährige erhalten dagegen die Grundsicherung im Alter und bei vollständiger
Erwerbsminderung. Und wer zwischen
15 und 65 Jahre alt und erwerbsfähig
ist, erhält Arbeitslosengeld II.
» Was beinhaltet die Hilfe
zum Lebensunterhalt?
20
Sie umfasst die Sicherung des alltäglichen Lebensunterhalts durch Nahrung,
Kleidung, Miet- und Heizkosten (soweit
diese angemessen sind) sowie die Übernahme von Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträgen, Alterssicherung oder
auch Bestattungskosten. Die laufende
Hilfe zum Lebensunterhalt wird nach
Regelsätzen bemessen.
192
» Was bedeutet Eingliede-
rungshilfe für behinderte
Menschen?
Aufgabe der Eingliederungshilfe ist es,
eine drohende Behinderung zu verhüten
oder eine vorhandene Behinderung oder
deren Folgen zu beseitigen oder zu mildern und den behinderten Menschen in
die Gesellschaft einzugliedern. Diese
Eingliederungshilfe stellt eine Ist-Leistung mit Rechtsanspruch dar. Die Behinderung darf aber nicht nur vorübergehend vorhanden sein.
Für rheumakranke Kinder und Jugendliche kommt die Eingliederungshilfe grundsätzlich in folgenden Fällen in Betracht:
1. wenn die rheumatische Erkrankung
schwerwiegend ist;
2. wenn das Einkommen / Vermögen der
Familie die Einkommens- und Vermögensgrenze nicht übersteigen;
3. wenn andere Kostenträger, z.B. die
Agentur für Arbeit, Jobcenter, Versorgungsamt und Kranken- oder Pflegekasse, keine Leistungen gewähren.
Zu den Maßnahmen der Eingliederungshilfe gehören vor allem die ärztliche und
pflegerische Behandlung, die Versorgung mit Hilfsmitteln, die Hilfe zu einer
angemessenen Schul- u. Berufsausbildung, die Hilfe zur Erlangung eines geeigneten Platzes im Arbeitsleben, die
Hilfe bei der Beschaffung und Erhaltung
einer Wohnung und die Hilfe zur Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft.
Kapitel 20
» Was ist unter ‚Hilfe zur
Pflege’ (nach SGB XII) zu
verstehen?
Bis zur Einführung der Pflegeversicherung hatte vor allem die Sozialhilfe die
Aufgabe, die erforderliche Pflegemaßnahmen im Rahmen der ‘Hilfe zur Pflege’ finanziell abzusichern. Seit dem Bestehen der Pflegeversicherung greift
diese Form der Unterstützung weiterhin
für Personen, die ihre finanzielle Bedürftigkeit nachweisen können und
• nicht Mitglied der Pflegeversicherung
sind und deshalb keine Leistungen erhalten.
• über ambulante Pflege versorgt werden müssen, in der Pflegeversicherung jedoch der Pflegestufe 0 zugeordnet wurden, weil der Pflegebedarf
zwar nachgewiesen werden konnte,
aber unterhalb der erforderlichen
Mindestgrenze blieb.
• in stationären Einrichtungen betreut
werden müssen, deren anerkannter
Pflegesatz über den gedeckelten Leistungssätzen der Pflegeversicherung
liegt. In diesem Fall gleicht die Hilfe
zur Pflege den Differenzbetrag aus.
• nachweisen können, dass über anerkannte ambulante Leistungen der
Pflegeversicherung hinaus weiterer
Bedarf an ambulanter Pflege besteht.
Diese Personen erhalten entsprechend dem ermittelten Bedarf ergänzende Hilfe zur Pflege.
• vor dem Inkrafttreten der Pflegeversicherung bereits Leistungen der Hilfe
zur Pflege bezogen haben, die über
den dann gültigen Sätzen lagen. Um
diese Schlechterstellung auszugleichen, erhalten sie den entsprechenden Differenzbetrag.
193
Notizen
20
194
Kapitel 21
Elternkreise rheumakranker Kinder Deutsche Rheuma-Liga
C. Becker
»
»
»
»
»
Die Deutsche Rheuma-Liga ....................................................... 196
Die Elternkreise rheumakranker Kinder .................................... 196
Die Gruppen junger Rheumatiker ............................................. 197
Das Rheumafoon für Junge Rheumatiker und Eltern ............. 197
Wie Sie die Elternkreise und Gruppen
Junger Rheumatiker finden ....................................................... 198
195
Elternkreise rheumakranker Kinder
» Die Deutsche Rheuma-Liga eine starke Gemeinschaft
Die Deutsche Rheuma-Liga ist eine der
größten Selbsthilfeorganisationen im
Gesundheitsbereich. Seit der Gründung
im Jahre 1970 erhöhte sich die Zahl der
Mitglieder auf nahezu 250.000. Angebote der Hilfe und Selbsthilfe für die Betroffenen, die Aufklärung der Öffentlichkeit und die Vertretung der
Interessen Rheumakranker gegenüber
Politik, Gesundheitswesen und Öffentlichkeit sowie die Förderung von Forschung sind die vorrangigen Aufgaben
der Organisation.
Bundesweit engagieren sich rheumakranke Menschen, Angehörige, Therapeuten, Ärzte sowie haupt- und ehrenamtliche Helfer in einer großen
Gemeinschaft.
Der Bundesverband ist die Dachorganisation mit übergeordneten Aufgaben.
Starke Partner vor Ort sind die Landesund Mitgliedsverbände.
» Elternkreise rheumakranker
Kinder - Hilfen, um die
Hürden des Alltags zu
überwinden
21
Die kindliche chronische Gelenkentzündung ist eine Erkrankung, die tief und
nachhaltig in das Leben der Kinder und
ihrer Familien eingreift. In der breiten
Öffentlichkeit, und selbst bei Fachleuten,
ist die Krankheit oft nur wenig bekannt.
So beginnt ein langer Weg mit Zweifeln,
Hilflosigkeit und vielen Fragen. Die Betroffenen erleben Krankheit und Behinderung, Verunsicherung und Leid sehr
196
unterschiedlich. Fast alle aber fühlen
sich mit ihren Sorgen allein gelassen.
Aus dieser Situation heraus erkannten
Fachleute und betroffene Mütter und
Väter die Notwendigkeit, sich in Elternkreisen zu engagieren und zu solidarisieren.
1980 wurde in der Rheuma-Kinderklinik
Garmisch-Partenkirchen der Bundesarbeitskreis Eltern rheumakranker Kinder
gegründet. In enger Zusammenarbeit
zwischen Bundesverband, Landesverbänden, Fachleuten und betroffenen Eltern hat sich die Elternarbeit seither beständig weiterentwickelt.
Die Elternkreise bieten den betroffenen Familien:
• individuelle persönliche Gespräche
• Treffen zum Erfahrungsaustausch
• Wochenendseminare
• Informationsmaterial
• Aufklärungs- und Informationsveranstaltungen mit Ärzten und Therapeuten
• Unterstützung bei alltäglichen Problemen in Kindergarten und Schule
• Hilfe bei sozialrechtlichen und medizinischen Fragen
Für viele Eltern sind die Elternkreise eine
sinnvolle, praktische Lebenshilfe. Es
kann erstaunlich entlastend sein, sich in
einem Kreis von Menschen zu bewegen,
die die eigenen Ängste nachvollziehen
können, ohne Erklärungen vorausschicken zu müssen.
Kapitel 21
» Die Gruppen Junger Rheu-
» Das Rheumafoon für Junge
In Deutschland leben etwa 30.000 40.000 junge Menschen im Alter von 16
bis 35 Jahren mit einer rheumatischen
Erkrankung. Familie und Partnerschaft,
Ausbildung, Studium und Beruf sind
Themen, die Rheumakranke ebenso beschäftigen wie andere junge Menschen.
Doch junge Rheumakranke müssen darüber hinaus Vorurteile und Hindernisse
in Bezug auf ihre Erkrankung abbauen.
Die Deutsche Rheuma-Liga setzt sich
dafür ein, dass die besonderen Probleme
junger Menschen mit einer rheumatischen Erkrankung in der Gesellschaft
wahrgenommen und Defizite abgebaut
werden.
Junge Rheumatiker haben sich in regionalen Gruppen organisiert. Sie erhalten
auf Landes- und Bundesebene, aber
auch international die Möglichkeit, sich
gegenseitig auszutauschen und Hilfe zur
Selbsthilfe zu geben und anzunehmen.
Zu den vielfältigen Angeboten und Projekten gehören z.B. Treffen zum Erfahrungsaustausch, Wochenendseminare,
Bundesjugendtreffen, Informationsmaterial, Forum, Chat und Mailingliste.
Junge Rheumatiker beraten Junge
Rheumatiker - das ist kurz ausgedrückt
die Idee des Rheumafoons. Die merkwürdige Schreibweise verdanken wir
den Holländern, denen wir die Idee abgeschaut haben. Bereits 1996 wurde
dieses Projekt bundesweit gestartet.
Acht Rheumafoon-Berater stehen euch
mit Rat und Tat zur Seite. Sie wurden
auf ihre Aufgabe in Seminaren vorbereitet und werden regelmäßig fortgebildet.
Gerne geben sie Auskunft z.B. über Erfahrungen anderer Junger Rheumatiker
im Umgang mit der Krankheit, Fragen
zur Berufswahl oder zu sozialrechtlichen
Problemen. Einfach einen der Rheumafoon-Ansprechpartner anrufen und ihn
löchern! Sollte niemand direkt an den
Apparat gehen, sprecht auf den Anrufbeantworter! Der Rheumafooner ruft
garantiert zurück.
matiker haben einen festen
Platz in der Rheuma-Liga
Rheumatiker und Eltern ruf doch mal an!
Im Jahr 2000 wurde dieses Angebot
auch für Eltern rheumakranker Kinder
eingerichtet. Bundesweit haben fünf
Rheumafoon-Beraterinnen ein offenes
Ohr und Zeit für Sie. Hier können Sie
Ihre Fragen zum kindlichen Rheuma
stellen und sich Rat und Hilfe holen.
197
Elternkreise rheumakranker Kinder
» Wie Sie einen Elternkreis
und die Gruppen Junger
Rheumatiker finden
Über das Bundesgebiet verteilt stehen
viele Eltern und Junge Rheumatiker als
Ansprechpartner zur Verfügung. Jeder
kann die Angebote nach seinen Bedürfnissen nutzen und sich nach seinen
Möglichkeiten einbringen. Etwas persönlicher Einsatz aber ist schon notwendig. Ein aktuelles Adressen-Verzeichnis
bekommen Sie über die Deutsche Rheuma-Liga Bundesverband e.V., Ihren Landesverband und über die Elternkreis
Kontaktstellen (alle Adressen im Anhang).
21
198
Kapitel 22
Erklärung wichtiger Fachausdrücke
R. Häfner
»
»
»
»
»
»
»
Gelenke - Sehnen - Knochen.................................................... 200
Organbeteiligung ........................................................................ 202
Augen .......................................................................................... 203
Laborbefunde .............................................................................. 203
Röntgenbefunde und andere bildgebende Verfahren .............. 205
Medikamentöse Therapie ........................................................... 205
Operationen ................................................................................ 206
199
Erklärung wichtiger Fachausdrücke
Gelenke - Sehnen - Knochen
22
Arthritis
Gelenkentzündung
Bursitis subachillea
Entzündung des Schleimbeutels unter dem Achillessehnenansatz an der Ferse
Bursitis
Schleimbeutelentzündung
Enthesitis / Enthesopathie
Erkrankung der Sehnenansatzbereiche
Erguss
Flüssigkeitsvermehrung im Gelenk
Erwachsenenhandskoliose
Abweichung der Mittelhand nach innen (radial) mit
Gegenknickung der Finger nach außen (ulnar)
Extension
Streckung
Flexion
Beugung
Flexotenosynovitis
Beugesehnenscheidenentzündung
Hallux valgus
Großzehenfehlstellung mit Abknickung nach außen
(zu den anderen Zehen hin)
Handskoliose
Zickzackdeformität der Hand
Iliosakralgelenk
Gelenkige Verbindung im Beckenbereich zwischen
Darmbeinschaufel und Kreuzbein
Kindliche Handskoliose
Abweichung der Mittelhand nach außen (ulnar) mit
Gegenknickung der Finger nach innen (radial)
Monarthritis
Nur ein Gelenk betroffen
Oligoarthritis
Wenige Gelenke betroffen (meist 1-4)
Polyarthritis
Viele Gelenke betroffen (mindestens 5, meist >10)
200
Kapitel 22
Radialdeviation
Abweichung der Handachse nach innen (zum Daumen)
Rotation
Drehung, Drehfehlstellung
Sakroiliitis
Entzündung des Iliosakralgelenkes
Sehnenruptur
Sehnenriss
Subluxation
krankhafte Verschiebung der Gelenkflächen gegeneinander, so dass sie nicht mehr in normalem Kontakt miteinander stehen
Synovialis
Gelenkinnenhaut
Synovialzyste
Ansammlung von Gelenkflüssigkeit in gelenknahem
Schleimbeutel (in der Kniekehle auch als "Bakerzyste" bezeichnet)
Synovialitis
Entzündung der Gelenkinnenhaut, oft mit Gelenkerguss einhergehend
Tenosynovitis
Sehnenscheidenentzündung
Ulnardeviation
(zum Kleinfinger)
Abweichung der Handgelenksachse nach außen
Valgusstellung Knie
X-Beinstellung
201
Erklärung wichtiger Fachausdrücke
Organbeteiligung
Amyloidose
Erkrankung mit Ablagerung von Amyloid in wichtigen Körperorganen
Amyloid
Krankhafte Eiweißsubstanz, die sich im Gefolge einer chronisch-entzündlichen Erkrankung im Körper
bildet
Arrhythmie
Herzrhythmusstörung mit unregelmäßigem Puls(Herz-) Schlag
Exanthem
Hautausschlag
Hepatomegalie
Lebervergrößerung
Karditis
Herzentzündung
Myokarditis
Herzmuskelentzündung
Perikarderguss
Flüssigkeitsansammlung im Herzbeutel (meist Ausdruck einer Perikarditis)
Perikarditis
Herzbeutelentzündung
Peritonitis
Entzündung des Bauchfells
Pleuritis
Entzündung des Rippenfells
Serositis
Entzündung der serösen Häute, dazu gehören Herzbeutel, Rippenfell und Bauchfell
Splenomegalie
Milzvergrößerung
Tachykardie
Erhöhte Herzfrequenz , schneller Puls (wichtiges
Zeichen einer Myokarditis)
22
202
Kapitel 22
Augen
Glaukom
Erhöhter Augendruck („grüner Star“)
Hintere Synechie
Verklebung zwischen Linse und Regenbogenhaut
(Iris) (möglicher Folgezustand bei Iridozyklitis)
Hornhautdystrophie
Trübung der Hornhaut (mögliche Komplikation bei
Iridozyklitis)
Iridozyklitis
Regenbogenhautentzündung, Entzündung der vorderen Augenabschnitte
Katarakt
Linsentrübung („grauer Star“)
Keratopathie
Erkrankung der Hornhaut (ähnlicher Begriff wie
Hornhautdystophie)
Laborbefunde
Anämie
Blutarmut, erniedrigter Hämoglobinwert
Antinukleäre
Antikörper (ANA)
Immunologischer Befund: gegen den Zellkern (Nukleus) gerichtete Antikörper. im Blutserum nachweisbar bei verschiedenen rheumatischen Erkrankungen, u.a. bei Oligoarthritis, Psoriasisarthritis
oder RF-positiver Polyarthritis
Blutsenkungsgeschwindigkeit (BSG)
Maß für Entzündungsreaktionen im Körper, bei
Entzündung erhöht (Normwert bis 10 mm in der
1. Std.)
C-reaktives Protein (CRP)
Eiweißsubstanz, die u.a. bei Entzündungen im Körper ansteigt (Normwert unter 1 mg/dl)
Hämaturie
Nachweis von Blut im Urin
203
Erklärung wichtiger Fachausdrücke
Hämoglobin
Roter Blutfarbstoff (Normwert 13-15 g/dl)
HLA-B27
Genetisches Merkmal, gehäuft bei Patienten mit
Enthesitis assoziierter Arthritis oder Morbus Bechterew nachweisbar
Leukopenie
zu wenig weiße Blutkörperchen
Leukozyten
Weiße Blutkörperchen (Normwerte je nach Alter
5-10 000/µl)
Leukozytose
zu viel weiße Blutkörperchen
Proteinurie
Eiweißausscheidung im Urin
Rheumafaktor (RF)
immunologischer Marker, im Blutserum bei RF-positiver Polyarthritis nachweisbar
Thrombopenie
Erniedrigung der Blutplättchenzahl
Thrombozyten
Blutplättchen (Normwerte 100-400 000/µl)
Thrombozytose
Erhöhung der Blutplättchenzahl
Transaminasen
Leberwerte (Enzyme der Leber, die bei Schädigung
von Leberzellen im Blutserum erhöht sind)
Uricult
Urinkultur zum Nachweis von Bakterienwachstum
22
204
Kapitel 22
Röntgenbefunde und andere bildgebende Verfahren
Epiphysenfuge
Wachstumsfuge, von der das Knochenwachstum
ausgeht
Erosion
Oberflächliche Schädigung von Knorpel oder Knochen
Kernspintomografie
Bildgebendes Verfahren, das ohne Röntgenstrahlen
(auch:
mit Magnetfeldern arbeitet. Fast alle Strukturen im
Magnetresonanztomografie) Bereich der Gelenke können mit dieser Methode
dargestellt werden.
Ossifikation
Verknöcherung der im frühen Kindesalter noch
knorpelig angelegten Skelettanteile
Osteoporose
Verminderung der Knochendichte
Sklerosierung
Zunahme der Knochendichte (oft gelenknah als
Zeichen von Umbauvorgängen am entzündeten
Gelenk)
Sonografie
(Ultraschalluntersuchung)
Bildgebendes Verfahren, das mit Schallwellen arbeitet. Damit kann man Ergüsse im Gelenk oder in
den Sehnenscheiden darstellen
Usur
Tiefergehender Defekt von Knorpel oder Knochen
Medikamentöse Therapie
Analgetikum
Schmerzmedikament
Antiphlogistikum
Entzündungshemmendes Medikament
Antipyretikum
Fiebersenkendes Medikament
Basismedikament/
Langzeitantirheumatikum
Rheumamedikament mit Langzeitwirkung, das
die Entstehung des Rheumaprozesses beeinflusst
205
Erklärung wichtiger Fachausdrücke
Immunsuppressivum
Rheumamedikament zur Unterdrückung der überschießenden Abwehrreaktion
Intraartikuläre Injektion
Einspritzung eines Medikaments ins Gelenk
(Gluko)Kortikoid/Steroid
Kortisonhaltiges Medikament
Kortisonstoßtherapie
Kurzfristige hochdosierte Kortisontherapie
Lokaltherapie
Örtliche Behandlung (z.B. Auge, Haut, Schleimhaut)
Nichtsteroidales
Antirheumatikum
Kortisonfreies entzündungshemmendes Medikament (NSAR) mit schmerzlindernder und fiebersenkender Wirkung
Orale Therapie
Medikamente zum Schlucken (Tabletten, Säfte etc.)
Symptomatisches
Medikament
Medikament zur Behandlung von Symptomen, wie
Schmerzen oder Fieber
Systemische Therapie
Therapieform mit Wirkung auf den gesamten Körper,
Verteilung des Medikaments über den Blutkreislauf
Operationen
22
Arthrodese
Operative Gelenkversteifung
Arthroskopie
Gelenkspiegelung
Endoprothese
Gelenksersatz
Korrekturosteotomie
Operationsverfahren mit Durchtrennung und Umstellung der Knochenachse zum Ausgleich von
Fehlstellungen
Synovialektomie
Entfernung der erkrankten Gelenkinnenhaut
206
Anhang
»
»
»
»
»
»
»
Literaturhinweise........................................................................ 208
Kontakt – So erreichen Sie uns ............................................... 209
Internetadressen ........................................................................ 210
Anschriften der Deutschen Rheuma-Liga ................................ 211
Stichwortverzeichnis ................................................................. 213
Autorenverzeichnis .................................................................... 222
Unser Freundes- und Förderkreis ‚Hilfe für das rheumakranke Kind e.V.’ .................................... 223
207
» Literaturempfehlungen
Physiotherapie in der
Kinderrheumatologie
Das Garmischer Behandlungskonzept
Marianne Spamer/Renate Häfner/
Hans Truckenbrodt
344 Seiten mit 183 Abbildungen - 2001
Richard Pflaum Verlag
Der große Ratgeber für Behinderte
und Pflegebedürftige
Bauer Franz, 6. Auflage,
Berlin 2005
Kinderrheuma - Mit Ratgeber zu
Krankheit und Klinikaufenthalt
Die Erlebnisse von Rheuminchen,
Juveninus und Arthritchen
Herausgeber: Kinder-Rheumastiftung
Rummelsberg 2
90592 Schwarzenbruck
(erhältlich in der Klinik)
Diät und Rat bei Rheuma und
Osteoporose
Adam, Olaf
Walter Hädecke Verlag,
Weil der Stadt, 2002
Mein Kind ist behindert - diese
Hilfen gibt es
Hinweise auf finanzielle Hilfen für Familien mit behinderten Kindern - von
Katja Kruse
Bundesverband für Körper- und Mehrfachbehinderte e.V.
Brehmstr. 5-7, 40239 Düsseldorf
Tel. 0211 - 64 00 4-0
Fax 0211 - 64 00 4 - 20
E-Mail: [email protected]
Kostenlose Schriften der Deutschen
Rheuma-Liga:
• Rheuma bei Kindern - die juvenile
idiopathische Arthritis
• Rheumatische Iridozyklitis bei Kindern
• Eltern helfen Eltern - Eine Information für Eltern rheumakranker Kinder
• Das rheumakranke Kind in der Schule
- Eine Orientierungshilfe für
Lehrer/innen
• Jobs und mehr - Ausbildung, Beruf
und Erwerbsminderungsrente
• Unser Kind hat Rheuma –
Ratgeber zur juvenilen idiopathischen
Arthritis
208
Anhang
» Kontakt - so erreichen Sie uns
Deutsches Zentrum für Kinder- und
Jugendrheumatologie
Gehfeldstraße 24
82467 Garmisch-Partenkirchen
Tel.:
Fax:
E-Mail:
Homepage:
08821 - 701-0
08821 - 73916
[email protected]
www.rheuma-kinderklinik.de
Chefarztsekretariat,
Information und Anmeldung
Tel.: 08821 - 701-117
Fax: 08821 - 701-201
Sekretariat Verwaltung
Tel.: 08821 - 701-112
Ambulanz
Tel.: 08821 - 701-103
Sekretariat Klinikschule
Tel.: 08821 - 701-158
Physiotherapie
Tel.: 08821 - 701-248
Sozialdienst
Tel.: 08821 - 701-226 od.
701-247
» Anfahrtsskizze
209
» Internet-Adressen:
Deutsches Zentrum für Kinder- und
Jugendrheumatologie
Rheuma-Kinderklinik
Garmisch-Partenkirchen
www.rheuma-kinderklinik.de
Deutsche Rheuma-Liga
www.rheuma-liga.de
Gesellschaft für Kinder- und
Jugendrheumatologie
Informationen für Fachleute und
Patienten
www.gkjr.de
Tipps für den Alltag betroffener
Kinder
www.rheumakids.de
Rheumainformationen im
Internet - Forum Kinderrheuma
www.rheuma-online.de
Mailingliste für Eltern rheumakranker Kinder und Jugendlicher
Beschreibung:
http://de.groups.yahoo.com/
group/kinderrheuma
Deutsche Uveitis Arbeitsgemeinschaft - DUAG e.V.
www.duag.org
Verein zur Unterstützung rheumatologisch erkrankter Kinder und deren
Familien e.V. Sendenhorst
www.kinderrheuma.com
210
Eltern betroffener Kinder in
Hamburg
www.kinderrheuma.de
Staatsinstitut für Schulqualität und
Bildungsforschung (ISB) Bayern
Projekt - Chronisch kranke Kinder in der
Schule - Informationen für Lehrer
www.gesundheit-und-schule.info/
Schwerbehindertenantrag
www.schwerbehindertenantrag.bayern.de
Arbeitsagentur
www.arbeitsagentur.de
Sozialministerium
www.sozialministerium.bayern.de
Sozialfibel
www.sozialministerium.bayern.de/
fibel/index.htm
Schulberatung
www.schule.bayern.de
Bundesarbeitsgemeinschaft unterstütze Beschäftigung / Integrationsfachdienst
www.bag-ub.de
Bundesmisterium für Gesundheit
www.bmgs.bund.de/deu/gra/
publikationen/p 5.cfm
Beratungsstelle Studium und Behinderung des Deutschen Studentenwerks
www.studentenwerke.de/behinderung
Anhang
» Anschriften der Deutschen Rheuma-Liga
Deutsche Rheuma-Liga
Bundesverband e. V.
Maximilianstr. 14, 53111 Bonn
Tel. 02 28-7 66 06-0, FAX 02 28-7 66 06-20,
Info-Telefon: 02 28-7 66 70 80
[email protected], www.rheuma-liga.de
Deutsche Rheuma-Liga
Nordrhein-Westfalen e. V.
Deutsche Rheuma-Liga Berlin e. V.
ZIRP - Zentrum für Integration,
Rehabilitation und Prävention
Schützenstr. 52, 12165 Berlin
Tel. 0 30-8 05 40 16, FAX 0 30-8 05 62 93
[email protected];
www.rheuma-liga-berlin.de
Deutsche Rheuma-Liga
III. Hagen 37, 45127 Essen
Tel. 02 01-82 79 70, FAX 02 01-8 27 97-27
[email protected];
www.rheuma-liga-nrw.de
Landesverband Sachsen-Anhalt e. V.
Wolfgang-Borchert-Str. 75-77, 06126 Halle
Tel. und FAX 03 45-6 95 15 15
[email protected]
Deutsche Rheuma-Liga
Landesverband Rheinland-Pfalz e.V.
Deutsche Rheuma-Liga
Landesverband Brandenburg e.V.
Schloßstr. 1, 55543 Bad Kreuznach
Tel. 06 71-83 40-44, FAX 06 71-83 40-4 60
[email protected]; www.rheuma-liga-rp.de
Friedrich-Ludwig-Jahn-Str. 19,
03044 Cottbus
Tel. 03 55-7 80 97 91 51 od. -52
FAX 03 55-7 80 97 91 90
[email protected];
www.rheuma-liga-brandenburg.de
Rheuma-Liga
Baden-Württemberg e. V.
Kaiserstr. 18, 76646 Bruchsal
Tel. 0 72 51-91 62-0, FAX 0 72 51-91 62-62
[email protected];
www.rheuma-liga-bw.de
Deutsche Rheuma-Liga Saar e. V.
Schmollerstr. 2 b, 66111 Saarbrücken
Tel. 06 81-3 32 71, FAX 06 81-3 32 84
[email protected];
www.rheuma-liga-saar.de
Deutsche Rheuma-Liga
Landesverband Bayern e. V.
Fürstenrieder Str. 90, 80686 München
Tel. 0 89-54 61 48 90, FAX 0 89-54 61 48 95
[email protected]
www. rheuma-liga-bayern.de
Deutsche Rheuma-Liga SchleswigHolstein e. V.
Holstenstr. 88-90, 24103 Kiel
Tel. 04 31-5 35 49-0, FAX 04 31-5 35 49-10
[email protected]; www.rlsh.de
Deutsche Rheuma-Liga Landesverband Bremen e. V.
Im Hause der AOK Bremen, Am Wall 102,
28195 Bremen
Tel. 04 21-1 76 14 29, FAX 04 21-1 76 15 87
[email protected];
www. rheuma-liga.de/hb
Rheuma-Liga Sachsen e. V.
Deutsche Rheuma-Liga Landesverband Thüringen e. V.
Willmar-Schwabe-Str.2-4, 04109 Leipzig
Tel. 03 41-1 21 14 19 50,
03 41-1 21 14 19 51
FAX: 03 41-1 21 14 19 59
[email protected]
Weißen 1, 07407 Uhlstädt-Kirchhasel
Tel. 03 67 42/6 73-61 oder -62,
FAX 03 67 42/6 73-63
[email protected];
www.rheumaliga-thueringen.de
211
Deutsche Rheuma-Liga
Landesverband Hamburg e. V.
Friedrichsberger Str. 60, Haus 21,
22081 Hamburg
Tel. 0 40-2 00 51 70, FAX 0 40-2 00 50 10
[email protected];
www.rheuma-liga-hamburg.de
Arbeitskreis Lupus Erythematodes
Ansprechpartner für
Fibromyalgiebetroffene
Arbeitskreis Vaskulitis,
Osteoporosegruppen
Deutsche Vereinigung Morbus
Bechterew e. V.
Elternkreise rheumakranker Kinder
und Jugendlicher
Metzgergasse 16, 97421 Schweinfurt
Tel. 0 97 21-2 20 33, FAX 0 97 21-2 29 55
[email protected]; www.bechterew.de
Clubs Junger Rheumatiker
Rheuma-Liga Hessen e. V.
Auskünfte: beim Bundesverband und den
Landesverbänden
Elektronstr. 12 a, 65933 Frankfurt/M.
Tel. 0 69-35 74 14, FAX 0 69-35 35 35 23
[email protected];
www.hessen.rheuma-liga.de
Lupus Erythematodes
Selbsthilfegemeinschaft e. V.
Elternkreis Kontaktstellen:
Döppersberg 20, 42103 Wuppertal
Tel. 02 02-4 96 87 97, FAX 02 02-4 96 87 98
[email protected];
www.lupus.rheumanet.org
Christel Becker
c/o Deutsches Zentrum für Kinder- und
Jugendrheumatologie
Gehfeldsstraße 24
82467 Garmisch-Partenkirchen
Freitag von 9.00 bis 12.00 Uhr
Telefon 08821 - 701 226
E-Mail: [email protected]
Deutsche Rheuma-Liga
Mecklenburg-Vorpommern e.V.
„Gemeinsames Haus“ Rostock,
Henrik-Ibsen-Str. 20, 18106 Rostock
Tel. 03 81-7 69 68 07, FAX 03 81-7 69 68 08
[email protected];
www.rheuma-liga-mv.de
Sklerodermie Selbsthilfe e.V.
Am Wollhaus 2, 74072 Heilbronn
Tel. 0 71 31-3 90 24 25,
FAX 0 71 31-3 90 24 26
[email protected];
www.sklerodermie-sh.de
Rheuma-Liga Niedersachsen e. V.
Lützowstr. 5, 30159 Hannover
Tel. 05 11-1 33 74, FAX 05 11-1 59 84
[email protected];
www.rheuma-liga-nds.de
212
Claudia Grave, Bundeselternsprecherin
c/o Kinderabteilung der Rheumaklinik
Bad Bramstedt
Oskar-Alexander-Straße 26
24576 Bad Bramstedt
Dienstag von 15.00 bis 18.00 Uhr
Telefon: 04192- 90 22 19
E-Mail: [email protected]
Anhang
Acetylsalicylsäure
34, 52
Adalimumab
44, 45, 46, 125
Akupunktur
53, 56
Amyloid
21, 202
Amyloidose
7, 20, 21, 41, 202
Analgetikum
205
Anämie
203
Antinukleäre Antikörper
13, 14, 20
Antinukleäre Antikörper (ANA)
203
Antiphlogistikum
205
Antipyretikum
205
Antirheumatikum, nichtsteroidales
206
AravaR
32, 38, 40, 43
Arrhythmie
202
Arthritis
1, 6, 7, 8, 9, 10, 11, 12, 13, 14, 15, 16,
17, 18, 20, 21, 22, 24, 25, 28, 30, 31, 32,
35, 38, 39, 46, 53, 54, 56, 64, 71, 72, 74,
76, 86, 88, 94, 95, 96, 102, 114, 128,
129, 130, 132, 133, 135, 139, 140, 142,
172, 200, 204, 208
Arthrodese
206
Arthroskopie
206
AspirinR
34, 36, 37
Azathioprin
38, 40, 42
AzulfidineR
39
Basismedikament
205
Behindertenausweis
3, 171, 172, 173, 174, 175, 176, 186
Belastungsgrenze
169
berufsvorbereitende Bildungsmaßnahmen
161, 163
213
Stichwortverzeichnis
Bewegungsbad
85, 99, 100
Biologika
31, 33, 44, 45, 46, 48, 114, 115, 116, 125
Blutsenkungsgeschwindigkeit
25, 203
Bursitis
200
Bursitis subachillea
200
C-reaktives Protein
203
CellceptR
38, 40, 43
Chloroquin
38, 39, 40, 125
Ciclosporin A
38, 40, 42, 43
Cortison
31, 33, 46, 47, 48, 49, 50, 53, 116
Diclofenac
32, 34
Eingliederungshilfe
180, 189, 191, 192
Elektrotherapie
85, 90, 91, 93, 94
Elternkreise
3, 135, 138, 142, 195, 196, 198, 212,
222
EnbrelR
44, 45, 116, 125
Endoprothese
61, 206
Enthesitis / Enthesopathie
200
Epiphysenfuge
205
Erguss
10, 200, 201
Ernährung
2, 54, 119, 120, 121, 122, 139, 179, 191
Erosion
205
Erwachsenenhandskoliose
200
Etanercept
44, 45, 46, 116, 125
Exanthem
202
Extension
200
Fischöle
121
214
Anhang
Flexion
200
Flexotenosynovitis
200
Gelenkeinspritzung
50
Gelenkersatz
61
Glaukom
19, 203
Hallux valgus
200
Hämaturie
203
Hämoglobin
25, 204
Handskoliose
200
Haushaltshilfe
169, 187
Hepatomegalie
202
HLA-B27
16, 17, 25, 33, 39, 94, 204
Homöopathie
53
Hornhautdystrophie
203
HumiraR
44, 46, 125
Hydrotherapie
85, 100
Iliosakralgelenk
200
Immunsuppressivum
206
ImurekR
38, 40, 42, 43
Indometazin
34, 35, 36
Infliximab
44, 45, 46
Intraartikuläre Injektion
206
Iridozyklitis
13, 14, 15, 16, 18, 19, 20, 40, 48, 49, 50,
203, 208
junge Rheumatiker
133, 195, 197, 198
Karditis
202
Katarakt
203
215
Stichwortverzeichnis
Keratopathie
203
Kindliche Handskoliose
200
Korrekturosteotomie
60, 206
Kortisonstoßtherapie
206
Krankenkasse
3, 167, 168, 169, 170, 184, 186
Langzeitantirheumatikum
205
LederlonR
48, 50
Leflunomid
32, 38, 40, 43
Leukopenie
204
Leukozyten
204
Leukozytose
204
Lokaltherapie
206
Magnetresonanztomografie (MRT)
26, 205
Makulaödem
48, 49
Massage
85, 86, 87, 88, 89, 90, 100
Merkzeichen
171, 173, 174, 175, 176, 186, 187, 188
Methotrexat
38, 40, 42, 43, 44, 49, 52, 124
Monarthritis
200
Mycophenolat
38
Mycophenolatmofetil
40, 43
Myokarditis
202
Nachteilsausgleich
172
Naproxen
34, 35, 37
nichtsteroidales Antirheumatikum
36
Oligoarthritis
12, 13, 14, 20, 25, 38, 94, 200, 203
Ossifikation
205
Osteoporose
47, 205, 208
216
Anhang
Patientenschulung
131, 141
Perikarderguss
202
Perikarditis
202
Peritonitis
202
Pflanzliche Medikamente
29, 52, 53
Pflegetagebuch
177, 181
Pflegeversicherung
3, 177, 178, 179, 180, 182, 184, 193
Phytotherapeutika
52
Pleuritis
202
Polyarthritis
13, 14, 20, 25, 27, 40, 44, 45, 200, 203,
204
Prednison
49
Proteinurie
204
ProxenR
34, 35, 36, 37
QuensylR
38, 125
Radialdeviation
201
RemicadeR
44, 46
ResochinR
38, 125
Rheuma-Liga
3, 133, 135, 141, 142, 181, 184, 195, 196,
197, 198, 207, 208, 210, 211, 212, 222
Rheumafaktor (RF)
13, 14, 20, 25, 40, 204
Rheumafoon
195, 197
Rotation
201
Sakroiliitis
16, 201
SandimmunR
38, 40, 42
Schule
2, 78, 155, 156, 157, 158, 160, 176,
196, 208, 210
Sehnenruptur
201
217
Stichwortverzeichnis
Selen
122
Serositis
202
Sklerosierung
205
Sonografie
26, 205
Sozialhilfe
3, 180, 189, 190, 191, 192, 193
Splenomegalie
202
Star, grauer
47, 50, 203
Star, grüner
47, 50, 203
Steroid
206
Steuer
3, 185, 186, 188
Steuerfreibeträge
174, 185, 186, 188
Studentenwerke
159, 160, 210
Studium
2, 155, 156, 158, 159, 160, 176, 197,
210
Subluxation
201
Sulfasalazin
38, 39, 40
Synechie, hintere
18, 19, 203
Synovialektomie
58, 60, 206
Synovialis
201
Synovialitis,Synovitis
201
Synovialzyste
201
Synovialzysten
10
Tachykardie
202
Tenosynovialektomie
59
Tenosynovitis
10, 94, 201
Therapie, orale
206
Therapie, systemische
206
218
Anhang
Thermotherapie
85, 95
Thrombopenie
204
Thrombozyten
35, 36, 49, 204
Thrombozytose
204
Transaminasen
204
Triamcinolon-Hexacetonid
50
Ulnardeviation
201
UrbasonR
49
Uricult
204
Usur
205
Uveitis
18, 210
Valgusstellung
201
Vitamin E
121, 122
VoltarenR
32, 34
Wachstumsschmerzen
8, 134
Zuzahlungen
167, 169, 170
219
» Hilfe für das rheumakranke
Kind e.V.
Freundes- und Förderkreis der
Rheuma-Kinderklinik
Garmisch-Partenkirchen
Hilfswerk der Lions Clubs
International 111 BS
Wer sind wir? Was tun wir?
Wie helfen wir?
Der Verein „Hilfe für das rheumakranke
Kind e.V.“ wurde 1966 von Hans Werner
v. Bülow gegründet, um die Spendenaktionen der deutschen Lionsclubs zu
Gunsten eines erweiterten Neubaus der
Rheuma-Kinderklinik in Garmisch-Partenkirchen zu koordinieren und abzuwickeln. Dieser ursprüngliche Vereinszweck war 1971 mit der Einweihung
erfolgreich erfüllt.
Seitdem widmet sich der Verein engagiert der Förderung der Rheuma-Kinderklinik.
Er unterstützt das „Deutsche Zentrum
für Kinder- und Jugendrheumatologie“
zielgerichtet bei
• der wissenschaftlichen Erforschung
der Ursachen von Rheumaerkrankungen und der systematischen Weiterentwicklung der Behandlungsmethoden sowie bei
• der Förderung der Heilbehandlung
und sozialen Betreuung von an Rheuma erkrankten Kindern
Wir betreiben bewusst Mittelansammlung, um
• kurzfristig und unbürokratisch finanziell einspringen zu können, wo es
drängt
• aber auch, um langfristig angelegte
Projekte gesichert übernehmen zu
können.
Wir halten stets enge Verbindung zur
Kinderklinik und wissen so, wo es gerade
„brennt“.
Gemeinsam beraten wir zudem regelmäßig, wie die Spendenmittel strategisch so wirksam wie nur möglich eingesetzt werden können.
Was leisten wir?
• Wir
•
•
220
finanzieren Personalkosten bei
Angeboten wie Musik-, Tanz- oder
Hippotherapie, die die Kostenträger
nicht übernehmen.
Wir finanzieren die Anschaffung und
den Unterhalt von für die Behandlung und die Forschung wichtigen
Geräten.
Wir übernehmen, soweit möglich,
bauliche Verbesserungen.
Anhang
• Wir
•
unterstützen Rheuma-Symposien, -Kongresse und entsprechende
Publikationen.
Wir übernehmen die Kosten für orthopädische Hilfsmittel, Medikamente und Unterbringung begleitender
Eltern, ganz oder teilweise, wenn keine anderen Kostenträger gefunden
werden können.
Was ist unser großes Plus?
• Wir
•
•
arbeiten planerisch aber helfen
auch schnell und unbürokratisch.
Ein Anruf genügt, wenn es eilt.
Wir sind flexibel und an keine starren
Budgets gebunden. Wir können Aufgaben übernehmen, die therapeutisch wertvoll, aber durch die Regelleistungen der Kassen und der
Kostenträger nicht finanzierbar sind.
Unsere Aufwendungen führen nicht
zu Leistungskürzungen der Kostenträger.
• Wir arbeiten effizient. Alle Aufgaben
werden ehrenamtlich erledigt. Unser
Verwaltungsaufwand liegt bei Null.
• Wir unterstützen ausschließlich das
„Deutsche Zentrum für Kinder- und
Jugendrheumatologie“ in GarmischPartenkirchen und seine Patienten
und deren Familien. Hierfür gespendete Beträge werden kontrolliert und
ausschließlich im Sinne unserer Satzung verwendet.
• In der Satzung von „Hilfe für das
rheumakranke Kind e.V.“ ist verankert,
dass die Vorstandschaft vor Ort ansässig sein muss. Dies garantiert unsere Reaktionsschnelligkeit.
• Unser Verein ist als gemeinnützig anerkannt. Spenden an ihn sind steuerlich begünstigt. Spendenbescheinigungen werden gerne ausgestellt.
Wenn Sie regelmäßig über Verein und
Klinik informiert werden wollen, teilen
Sie uns dies bitte mit.
Wie erreichen Sie uns?
Vorsitzender:
Gerd Rößler
Rehbergstr. 4
Sekretär:
Georg Neuner
Mühlfeldstr. 9
Schatzmeister:
Hans Keck
Tiefkarstr. 15b
Tel. 0 88 23 - 9 30 56
82481 Mittenwald
[email protected]
Tel. 08823 - 3001
82481 Mittenwald
[email protected]
Tel. 0 88 23 - 8059
82481 Mittenwald
[email protected]
Unser Spendenkonto:
HILFE RHEUMAKIND E.V.
KONTO 31 500 BLZ 70350000
KREISSPARKASSE GA.-PA.
221
» Autorenverzeichnis
Arbogast, Martin
Dr.med.
Chefarzt der Abteilung Rheumaorthopädie und Handchirurgie
Rheuma-Klinik Oberammergau
Hubertusstr. 40
Sekretariat: 08822 - 914311
Bartmann, Anja
ehem. Stationsleiterin
Kinderkrankenschwester Deutsches Zentrum für Kinder- und Jugendrheumatologie
(DZKJR)
Gehfeldstr. 24
82467 Garmisch-Partenkirchen
Becker, Christel
Deutsche Rheuma-Liga
Kontaktstelle der Elternkreise
Deutsches Zentrum für Kinder- und Jugendrheumatologie
Garmisch-Partenkirchen
Breun, Simone
Dipl. Sozpäd. (FH)
Händel, Hans-Jörg
Masseur,
medizin. Bademeister
Fauser, Bernhard
Diakon, Dipl. Sozpäd (FH)
Fischer, Carina
Ergotherapeutin
Häfner, Renate
Dr.med.
Kerbs, Thorsten
Dipl.-Psych.
Michels, Hartmut
Dr. med.
Miller, Verena
Dr. med.
Rummel-Siebert, Martin
Diakon, Dipl. Sozpäd.(FH)
Spamer, Marianne
Physiotherapeutin
Truckenbrodt, Hans
Prof. Dr.med
Übler, Ingrid
Kinderkrankenschwester
Weigert, Christine
Ergotherapeutin
Mitarbeiterin des Sozialdienstes (DZKJR)
222
Mitarbeiter der Abteilung Physiotherapie (DZKJR)
ehem. Leiter des Sozialdienstes (DZKJR)
ehem. Mitarbeiterin der Ergotherapie (DZKJR)
Oberärztin (DZKJR)
Klinischer Psychologe (DZKJR)
Chefarzt (DZKJR)
Assistenzärztin (DZKJR)
Leiter des Sozialdienstes (DZKJR)
Leiterin der Abteilung Physiotherapie (DZKJR)
ehem. Chefarzt (DZKJR)
Stationsleiterin (DZKJR)
Mitarbeiterin der Abteilung Ergotherapie (DZKJR)
Notizen
223
Impressum:
Das Werk ist einschließlich seiner Teile urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung der Texte
und Bilder – auch auszugsweise – ist ohne Zustimmung des Deutschen Zentrums für Kinder- und
Jugendrheumatologie, Garmisch-Partenkirchen unzulässig, urheberrechtswidrig und strafbar.
Dies gilt insbesondere auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen sowie für
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Produkthaftung:
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