Pharmastatistiker kommen und gehen, die Verkaufsstory bleibt

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Pharmastatistiker kommen und gehen, die Verkaufsstory bleibt
BDI aktuell
Fortsetzung von Seite 8
der Partner und/oder Ärzte der
hohe Placeboeffekt (~ 40 %)
weiter steigern – ein Bonus
ohne Malus?
Literatur
Bagli M, Rao ML, Sobanski T, Laux G.; Do non-linear
pharmacokinetics of paroxetine call for
therapeutic drug monitoring? Pharmacopsychiat. 1995; 28:161
Dörner K.; Gesundheitssystem. In der Fortschrittsfalle. Dtsch Ärztebl 2002; 99: A2462-2466
[Heft 38]
Dunner D, Kumar R.; Paroxetine: a review of clinical
experience. Pharmacopsychiat. 1998; 31: 89-101
Meyer FP.; Hormonersatztherapie in der
Postmenopause kontraindiziert. BDI aktuell
2002; Heft 10: 22-25
Stearns V, Beebe Kl, Iyengar M, Dube E.; Paroxetine
controlled release in the treatment of
menopausal hot flashes. A randomized
controlled trial. JAMA 2003; 289: 2827-2834
Zaninelli R, Meister W.; The treatment of depression
with paroxetine in psychiatric practice in
Germany: The possibilities and current
limitations of drug monitoring. Pharmacopsychiat. 1997; 30 (Suppl.): 9-20
Anschrift des Verfassers
Prof. em. Dr. Frank P. Meyer
Magdeburger Str. 29
39167 Groß Rodensleben
Leserbriefe
Pharmastatistiker kommen und gehen,
die Verkaufsstory bleibt
Unser Leser Dr. Thomas Kühlein aus Bad Staffelstein hatte
in BDI aktuell 11/2003 die heiß diskutierte ALLHAT-Studie
verteidigt. Dieses nimmt unser Leser Dr. Th. Drescher aus
Gratulation zu dieser so klaren und schlichten Interpretation der ALLHAT-Studie – so
einfach können die Welt, die
Medizin und die Wissenschaft
sein – Hauptsache der Blutdruck wird gesenkt, Hauptsache mit dem billigsten Mittel.
Weggelassen wird, dass in der
ALLHAT-Studie 30% Afroamerikaner sind (siehe im selben Heft, Seite 19, Artikel von
Dr. Peters), dass unter Chlortalidon eine extrem hohe Inzidenz für Diabetes auftrat.
Gleichfalls weggelassen wird,
dass, wie jeder weiß, die Monotherapie mit Thiacid-Diuretika kaum zu einer normotensiven effektiven Blutdrucksenkung führt. Solche Art Studieninterpretation macht
auch klar, warum deutsche
Patienten zu den schlechtest kontrollierten Blutdruckpatienten in Europa
gehören. So kann man auch
zweifelsohne eine Studie konzipieren, bei der dann herauskommt, dass in Beziehung auf
irgendwelche noch entsprechend zu konzipierende Endpunkte, kein Unterschied mehr
zwischen einer Blutdrucksenkung und dem Belassen eines
erhöhten Blutdruckes besteht.
Riesenstudie
ohne große Relevanz
Es sei deshalb nochmals mit
Nachdruck betont, dass wissenschaftliche Studien mit Signifikanzkriterien, für die eine
große Zahl an Patienten notwendig ist, um überhaupt Signifikanzen zu erreichen (siehe
Artikel des Koll. Krut), kaum
in eine klinische Relevanz für
die Behandlung des einzelnen
Patienten, auch bei noch so
viel NNT Berechnungen, eins
zu eins umgesetzt werden können. Sie sind bestenfalls in der
Lage aufzuzeigen, dass Wirkungen existieren, mit denen wir
versuchen können, Prozesse zu
beeinflussen.
Erbsenzähler contra
Erbsenzähler
Klar ist wohl, dass es Unterschiede in der Lebenserwartung zwischen einem normotensiven und einem hypertensiven
Patienten
gibt,
wenngleich wir aber noch nicht
einmal erschöpfend alle Pathomechanismen kennen.
Normotensivität zu erreichen,
kann nur individuell aus der
Fülle der vorhandenen Möglichkeiten konzipiert werden.
Nicht zuletzt an der Lebensqualität des Patienten orientiert sich Effektivität der Behandlung und wohl weniger an
solchen harten, in der individuellen Praxis eher virtuellen
Endpunkten, wie Mortalität.
Da sollten eben auch die Nebenwirkungsprofile eine Rolle
spielen, wenn man u.a. an
Compliance denkt.
Deprimierend, weil Wissenschaft zunehmend verdrängend, in dieser ganzen, in den
Hettstedt zum Anlass für einen lesenswerten Rundschlag
zum Thema Brauchbarkeit und Einsatz großer klinischer
Studien in der Praxis und an der Verkaufsfront.
(BY)
letzten Jahren aus meiner
Sicht, mittlerweile unsäglich
hoch gepuschten Diskussion
über die Therapiestudien bezüglich der Volkskrankheiten,
ist auch die Tatsache, dass aus
den verschiedensten Richtungen versucht wird, mittlerweile im Sinne von „Erbsenzählerei“ über Signifikanzen
und der zum Teil minimalen
Beeinflussung und Wichtung
der Ergebnisse durch Randkriterien zu streiten. Und jeder Autor meint dabei, eine
eigne einzig richtige Interpretation des Datenmaterials vorlegen zu können.
Entkleidet man diese ganze
Geschäftigkeit ihres scheinbar
wissenschaftlichen Mantels,
bleiben letztendlich nur noch
ökonomische Interessen, seien es die der Industrie, die der
Krankenkassen oder der Politik übrig. Man ist versucht, an
alle Interpreten einmal die
Frage zu richten, wie man
denn mit den Studien umgehen würde, wenn die Kosten
der Medikamente keine Rolle
spielen würden?
Diese immer häufiger werdende Art der Diskussion und Publikation, die mit ähnlich minimal statistischen Differenzen,
wie in den Marketing-Offerten
der Industrie empört deren
Aussagen zu widerlegen sucht
und über das ach so schnöde
Gewinnstreben jener (ja was
soll diese denn sonst wollen)
klagt, wird zunehmend ermüdend.
Wirtschaftliche Indikation
verdrängt Wissenschaft
Offenbar vergisst man, in
welchem System man lebt,
auch wenn es Marktwirtschaft heißt, ist es immer
noch Kapitalismus. Auch die
Kollegen, die mit der eigenen Praxis betriebswirtschaftlich ein kapitalistisches Unternehmen betreiben, vermarkten ihre Leistungen nach strategisch betriebswirtschaftlichen
Gesichtspunkten und beschränken sich längst nicht
auf das unbedingt medizinisch Notwendige. Dabei
geht eine tatsächlich wissenschaftliche Diskussion, die die
dialektische Zweiseitigkeit
von biostatistischen Daten
und individueller ärztlicher
Erfahrung integriert, verloren. Gerade dies wäre aber
für den in der praktischen Patientenbetreuung stehenden
Arzt sehr wichtig, um individuelle optimale Therapiekonzepte zu entwickeln.
Dem stehen aber gleichfalls
alle in den letzten Jahren unternommenen Bemühungen
gegenüber, eine dirigistische
Medizin (Leitlinie, DMP o.ä.)
zu entwickeln. Leitlinien sind
eine wunderbare Sache, nur
hält sich leider ein Großteil
unserer Patienten in ihre biologischen Individualität und
Vielfalt nur höchst unvollkommen an diese.
BDI aktuell 12-2003
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BDI aktuell
Interessante Urteile
in Leitsätzen
Patientenverfügung
nur über
VormundschaftsGericht wirksam
Ein durch Apparatemedizin
am Leben gehaltener Patient darf entsprechend seiner Patientenverfügung erst
sterben, wenn ein Vormundschaftsgericht zugestimmt hat. Dieses muss den
Willen des Patienten respektieren, wenn der Patient zu
Entscheidungen nicht mehr
in der Lage ist. Eine wirksame Patientenverfügung
reicht aus, damit Angehörige von Ärzten den Stopp
lebenserhaltender Behandlungen fordern können.
BGH, Az.: XII ZB 2/03
(Eine ausführliche Besprechung finden Sie auf unserer Internetseite
www.bdi.de, <Berufspolitik>,
<Recht>, <Aktuelle Urteile> –
BDI-aktuell-Redaktion)
§
Auf SchönheitsOperationen
keine Rabatte
Ein Gesundheitszentrum
darf auf seine Schönheitsoperationen und -behandlungen keinen Frühlingsrabatt geben. Ärztliche Leistungen können nicht wie
Saisonartikel „verschleudert“ werden.
LG Frankfurt/Oder
Az.: 32 O 43/03
Befristete
Arbeitsverträge:
Ablaufdatum
muss konkret
benannt sein
Befristete Arbeitsverträge
mit Ärzten in der Weiterbildung müssen mit genauem Ablaufdatum versehen
sein. Eine Angabe im Vertrag bis zur „Facharzt-Anerkennung“ reicht nicht aus.
BAG, Az.: 7 AZR 266/01
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BDI aktuell 12-2003
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Es wäre zu empfehlen, sich
doch noch einmal mit der sozial-ökonomischen Grundlage
unserer Gesellschaft zu beschäftigen. Wem Karl Marx
hier zu suspekt ist, dem seien
zeitgenössische Systemtheoretiker, wie Elmar Altvater oder
Imanuel Wallerstein empfohlen. Mit dieser Lektüre könnte
man sich noch einmal den Dualismus von Tausch- und Gebrauchswert jedweder Ware
vergegenwärtigen und wieder
erinnern, dass Gewinnstreben
Grundlage und Motivation jeder unternehmerischen Tätigkeit ist.
Dann sollte auch klar werden, dass und warum die Pharmaindustrie mittlerweile die
einzige Institution in Deutschland ist, die Arzneimittelentwicklung und -forschung be-
treibt und dies, da sie eben ein
kapitalistisches Unternehmen
ist, zweifelsohne nicht nur aus
Nächstenliebe.
Universitäten
bringen es nicht
Zweifelsohne wäre es wünschenswert, wenn relativ gewinnunabhängige öffentliche
Institutionen, wie Universitäten oder Institute dies übernehmen würden. Aber der
Verfall dieses Sektors ist vorprogrammiert und in den so
genannten künftigen Reformmaßnahmen weiter vorgezeichnet, weil letztendlich am
Ende auch hier Gewinnbilanzen stehen müssen.
Mit diesem Wissen im Hintergrund und in Anwendung
der einmal erworbenen aka-
demisch-wissenschaftlichen
Ausbildung und Denkfähigkeit,
sollte jeder Arzt eigentlich in
der Lage sein, mit Datenofferten umzugehen und dies in seine individuelle Patientenerfahrung zu integrieren.
Wünschenswert wäre vielmehr auch, dass sich ärztliches
Wissen konzentriert artikuliert
gegen tatsächlich mit ihren Produkten Gesundheitsschädigung
betreibende und Volkskrankheiten induzierende bzw. befördernde Industriezweige, wie
z.B. Tabak-, Alkohol-, Fastfood- und Fertignahrungsmittel-Industrie. Tatsächlich klagt
aber dieses Land gegen das europäische Verbot der Tabakwerbung.
Dr. med. Th. Drescher
Facharzt für Innere Medizin
Hettstedt
Hämofiltration wurde versucht,
nicht Dialyse
Die aktuelle Berichterstattung
in Ihrer Zeitschrift BDI aktuell
über relevante internistische
Probleme ist zu begrüßen.
Leider haben sich in der Ausgabe November 2003 (Seite
20) bei der Rezension eines
Artikels aus dem New England
Journal of Medicine relevante
Fehler in der deutschen Übersetzung und Bewertung der
Studie eingeschlichen, die
bereits in der Überschrift
‚Hilft prophylaktische Kurzzeitdialyse?’ auftreten. In dieser Studie wurde keineswegs
eine Kurzzeitdialyse hinsicht-
lich der Prophylaxe eines Kontrastmittel-bedingten Nierenversagens nach HerzkatheterUntersuchung untersucht,
sondern eine kontinuierliche
Hämofiltration über 24 Stunden. Der Unterschied zwischen Hämodialyse (Wirkprinzip Diffusion über semipermeable Membran entsprechend
des Konzentrationsgefälles)
und Hämofiltration (Wirkprinzip Konvektion durch Abscheiden eines Ultrafiltrates
mittels hydrostatischer Druckdifferenz über hochpermeable Membran) sollte den Re-
dakteuren einer internistischen Zeitschrift vertraut sein.
Zudem haben Studien über
den Einsatz einer Hämodialysebehandlung in der Vermeidung eines Kontrastmittel-bedingten akuten Nierenversagens keinen Vorteil,
evtl. sogar negative Einflüsse gezeigt. Deshalb ist gerade eine prophylaktische
„(Kurzzeit-)Dialyse“ nicht indiziert.
Dr. Ulf Schönermarck
Prof. Dr. Walter Samtleben
Klinikum Großhadern
der Ludwig-Maximilians-Universität
81377 München
Risikostrukturausgleich (RSA) der Krankenkassen
14,6 Milliarden Euro Umverteilung
Das Umverteilungsvolumen zwischen den gesetzlichen Krankenkassen erreicht im laufenden Jahr
den neuen Rekord von 14,6 Milliarden Euro. 1995 waren es 8,8
Milliarden Euro – so viel wie alle
Betriebskrankenkassen (BKK)
dieses Jahr an die anderen Kassen abgeben müssen.
So unterstützt jedes BKKMitglied die Konkurrenzkassen – im Wesentlichen die
AOK – mit 871 Euro pro Jahr
(1995: 138 Euro).
Die RSA-Zahlungen der BKK
haben sich seit 2000 verdoppelt. Der RSA hat mit seinem
hohen Umverteilungsvolumen
mehr Einfluss auf die Höhe
der Beitragssätze als die beschlossene Gesundheitsreform. Das Transfervolumen
übersteigt erheblich das des
Länderfinanzausgleichs der
Bundesrepublik.
(Aus: DgD, 21-2003)