Paroxetin bei Hitzewallungen in der Menopause?
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Paroxetin bei Hitzewallungen in der Menopause?
BDI aktuell Medizin Medizin Antidepressiva als Alternative zur Hormonersatztherapie? Paroxetin bei Hitzewallungen in der Menopause? Frank P. Meyer, Magdeburg / Groß Rodensleben 1. Einleitung Die Hormonersatztherapie (hormone replacement therapy, HRT) mit der kombinierten Anwendung von Estrogen/Progestin galt über viele Jahre als Goldstandard zur Behandlung klimakterischer Beschwerden (Hitzewallungen) bei Frauen. Nach der Publikation von HERS II (Heart and Estrogen/Progestin Replacement Study Follow-up) im Rahmen der Sekundärprävention und WHI (Women’s Health Initiative) im Rahmen der Primärprävention wurde jedoch klar, dass zumindest postmenopausale Frauen aus einer HRT keinen Nutzen zogen – zumindest im Hinblick auf die Prognose quoad vitam. Im Gegenteil – der Schaden überwog (Meyer 2002). Damit wurde natürlich auch die HRT während der Menopause fragwürdig. Langfristige Studien mit klinisch relevanten Endpunkten fehlen. Die Suche nach »ungefährlichen« Alternativen ist folglich gerechtfertigt. So erinnerte man sich verschiedener klinischer Versuche, in denen Frauen mit Krebserkrankungen wegen ihrer depressiven Symptomatik mit Antidepressiva, speziell selektiven Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmern (SSRI), behandelt wurden. Überraschend wurden auch die vasomotorischen Symptome bei den Patientinnen deutlich reduziert. Diese positiven Effekte traten gleichermaßen nach Fluoxetin (Fluctin), Paroxetin (Seroxat) und Venlafaxin (Trevilor) auf. Nachfolgend werden die Ergebnisse einer gezielten Paroxetin-Studie (Stearns et al. 2003) beschrieben und kommentiert. 2. Paroxetin bei klimakterischen Hitzewallungen – der Bonus Für eine randomisierte, doppelblinde, Placebo-kontrollierte, Parallelgruppenstudie, an der sich 17 Zentren aus den USA beteiligten, wurden 225 Frauen gescreent, von denen schließlich 165 Frauen einbezogen wurden, die über ausgeprägte klimakterische Beschwerden klagten (Tabelle 1 auf der folgenden Seite). Die Patientinnen erhielten entweder Paroxetin (12.5 mg/ d) oder Paroxetin (25 mg/d) oder Placebo und wurden über 6 Wochen behandelt und beobachtet. Neben der Anzahl der Hitzewallungen pro Tag und einem HitzewallungsScore, in den Häufigkeit und Stärke der Beschwerden eingingen, wurden weitere Beschwerden dokumentiert: MINI (Mini International Neuropsychiatric Inventory), BDI II (Beck Depression Inventory II), BAI II (Beck Anxiety Inventory II), CGI (Clinical Global Impression). Hitzewallungen und Hitzewallungs-Score sind Bestandteil der GCS (Greene Climacteric Scale). Die Ausgangssituation in den Behandlungsgruppen war in Hinblick auf das Zielsymptom Hitzewallungen (hot flashes) einigermaßen ausgewogen. Die Frauen in der Paroxetin 12 mg/ d-Gruppe hatten allerdings die ungünstigste Ausgangslage: 84% der Frauen klagten seit mehr als 12 Monaten über Beschwerden, hatten im Mittel 7.1 Hitzewallungen pro Tag und einen Gesamt-Score von 16.5. Durch Paroxetin wurden – praktisch dosisunabhängig – die Zahl der täglichen Hitzewallungen um 46-50% reduziert, der Hitzewallungs-Score um 62-65% gesenkt, was statistisch signifikant ist. Bemerkenswert ist allerdings der starke Placebo-Effekt. Die Zahl der täglichen Hitzewallungen wurde von 6.6 um 27% auf 4.8 reduziert, der Gesamt-Score wurde um 38% vermindert. Alle anderen Aspekte brauchen uns in dieser kurzen Übersicht nicht zu interessieren, da zwischen den Behandlungsgruppen keine wesentlichen Differenzen auftraten (z.B. Depressionen, Angst, sexuelles BDI aktuell 12-2003 7 BDI aktuell Fortsetzung von Seite 7 Tabelle 1: Paroxetin gegen Hitzewallungen im Klimakterium 165 Frauen [im Mittel 54 Jahre (36-76 Jahre)] mit Amenorrhoe seit mindestens 6 Monaten oder Ovarektomie vor mindestens 6 Wochen wurden nach 1 Woche Placebo-run-in-Phase randomisiert: Paroxetin (12.5 mg/d) versus Paroxetin (25 mg/d) versus Placebo. Einschlusskriterien: Mindestens 2 bis 3 Hitzewallungen pro Tag, seit wenigstens 6 Wochen keine Hormonersatztherapie. Ausschlusskriterien: Krebs, Chemo- oder Strahlentherapie. Primärer Endpunkt: Veränderung des "Hitzewallungs-Score" (Häufigkeit und Schwere) innerhalb von 6 Wochen. Ereignis Placebo Paroxetin 12.5 mg/d (n = 51) Paroxetin 25 mg/d (n = 58) 79 6.6 84 7.1 14.2 81 6.4 16.5 4.8 27 38 3.8 46 62 - 4.7 A 3.2 50 65 - 3.6 B (n = 56) Ausgangssituation HW seit >12 Monaten (%) HW pro Tag (n) HW-Score Nach 6 Wochen HW pro Tag (n) HW-Reduktion (%) HW-Score-Reduktion (%) HW-Score-Reduktion * P versus Placebo 13.6 A 0.007 B 0.03 Paroxetin wurde als Retardformulierung angewandt [paroxetine controlled release (CR)] HW: Hitzewallungen * Placebo-adjustiert Interesse, Schlafstörungen, Behinderungen). 3. Paroxetin bei klimakterischen Hitzewallungen – der Malus Dem Vorteil von Paroxetin – Reduktion der Hitzewallungen – stehen erwartungsgemäß Nachteile gegenüber. Die Nebenwirkungen und die wegen schwerer Nebenwirkungen resultierenden Studienabbrüche werden in Tabelle 2 zusammengefasst (Tabelle 2). Da die geringe Zahl einbezogener Patientinnen (n = 165, verteilt auf drei Gruppen) verallgemeinerungsfähige Angaben nicht zulässt, werden Literaturvergleiche angeführt, die sich auf aussagekräftigere Stichproben stützen. Die Paroxetin-Nebenwirkungen sind deutlich im Vergleich zu Placebo: Schwindelgefühl, Brechreiz, Schlafstörungen, Obstipation, Schläfrigkeit, Schwächezustände. In der Literatur häufig beschrieben (in der vorliegenden Arbeit aber nicht erwähnt) werden Mundtrockenheit, Schweißneigung und Tremor. Es sei auch darauf hingewiesen, dass durch Paroxetin auch bei bestimmungsgemäßem Gebrauch das Reaktionsvermögen so weit verändert werden kann, dass die Fähigkeit zur aktiven Teilnahme am Straßenver- kehr oder zum Bedienen von Maschinen beeinträchtigt wird. Da Paroxetin einer deutlichen First-pass-Metabolisierung unterliegt, ist bei Patienten mit Leberzirrhose, Rechtsherzinsuffizienz, Budd-Chiari-Syndrom mit unerwartet hohen Blutspiegeln zu rechnen. Der Effekt wird noch potenziert, da es Hinweise darauf gibt, dass die Elimination des Wirkstoffs einer nicht-linearen Pharmakokinetik unterliegt. Selbst wenn keine Eliminationsstörungen vorliegen, beträgt die Variationsbreite der Blutspiegel bei einer mittleren Dosierung etwa 1:10! Dadurch wird eine längere Therapie erschwert, so dass schon früh- Tabelle 2: Verteilung der Nebenwirkungen und Studienabbrüche und ein Literaturvergleich* Ereignis Placebo Kopfschmerzen Schwindelgefühl Nausea Dyspepsie Insomnie Obstipation Lethargie/Asthenie Schläfrigkeit Studienabbruch * Dunner und Kunnar (1998) ** Zaninelli und Meister (1997) 8 BDI aktuell 12-2003 % Paroxetin 12.5 mg/d % Paroxetin 25 mg/d % Paroxetin * (n = 6.145) % Placebo * (n = 1.226) % 12 2 2 – 2 – – 2 – 10 8 6 6 4 2 – – 8 16 9 12 3 10 7 7 7 14 19.5 10.2 22.0 2.9** 13.1 9.4 11.9 15.9 13.0 21.2 6.4 11.3 3.4** 10.0 5.5 5.6 6.1 5.0 zeitig Blutspiegelbestimmungen (Therapeutisches Drug Monitoring, TDM) empfohlen wurden (Bagli et al. 1995). 4. Schlussfolgerungen Obwohl eine HRT bei klimakterischen Beschwerden sehr gut anschlägt, lässt sich diese therapeutische Option aufgrund der Datenlage nicht mehr halten. In einer Pilotstudie wurde an 165 Frauen der Effekt von Paroxetin (12.5 mg/d versus 25 mg/d) versus Placebo getestet. Durch Paroxetin wurden die Hitzewallungen bei klimakterischen Frauen um etwa 60% reduziert. Allerdings war auch der Placeboeffekt mit 38% beeindruckend hoch, so dass vor weiterreichenden Empfehlungen umfassendere Untersuchungen erforderlich sind. Besondere Aufmerksamkeit erfordern die Nebenwirkungen, Wechselwirkungen und Kontraindikationen von Paroxetin und anderen SSRI. Ausdrücklich sei auf die mögliche Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit hingewiesen. Ein ganz anderes Problem besteht darin, ob in jeder Lebenslage jede (normale) Befindlichkeitsstörung unbedingt therapiert werden muss. Dörner (2002) wies darauf hin, dass „... der Bereich des Gesunden auch bei Befindlichkeitsstörungen immer mehr verkleinert und damit seiner motivierenden Stacheln beraubt...“ wird. Er nannte beispielhaft Schlafstörungen, Essstörungen, Angst, Aufmerksamkeitsstörungen bei Kindern, unerwünschte Kinderlosigkeit oder Schönheitsmängel. »Klimakterische Beschwerden« bei Frauen oder Männern lassen sich nahtlos ergänzen. Es ist heute mehr denn je an der Zeit, darüber nachzudenken, ob Ärzte (als Dienstleister) ihren Patienten (als Kunden) jeden Wunsch (durch Leistungsexpansion zur Gewinnmaximierung) erfüllen müssen. Vielleicht lässt sich durch die Empathie BDI aktuell Fortsetzung von Seite 8 der Partner und/oder Ärzte der hohe Placeboeffekt (~ 40 %) weiter steigern – ein Bonus ohne Malus? Literatur Bagli M, Rao ML, Sobanski T, Laux G.; Do non-linear pharmacokinetics of paroxetine call for therapeutic drug monitoring? Pharmacopsychiat. 1995; 28:161 Dörner K.; Gesundheitssystem. In der Fortschrittsfalle. Dtsch Ärztebl 2002; 99: A2462-2466 [Heft 38] Dunner D, Kumar R.; Paroxetine: a review of clinical experience. Pharmacopsychiat. 1998; 31: 89-101 Meyer FP.; Hormonersatztherapie in der Postmenopause kontraindiziert. BDI aktuell 2002; Heft 10: 22-25 Stearns V, Beebe Kl, Iyengar M, Dube E.; Paroxetine controlled release in the treatment of menopausal hot flashes. A randomized controlled trial. JAMA 2003; 289: 2827-2834 Zaninelli R, Meister W.; The treatment of depression with paroxetine in psychiatric practice in Germany: The possibilities and current limitations of drug monitoring. Pharmacopsychiat. 1997; 30 (Suppl.): 9-20 Anschrift des Verfassers Prof. em. Dr. Frank P. Meyer Magdeburger Str. 29 39167 Groß Rodensleben Leserbriefe Pharmastatistiker kommen und gehen, die Verkaufsstory bleibt Unser Leser Dr. Thomas Kühlein aus Bad Staffelstein hatte in BDI aktuell 11/2003 die heiß diskutierte ALLHAT-Studie verteidigt. Dieses nimmt unser Leser Dr. Th. Drescher aus Gratulation zu dieser so klaren und schlichten Interpretation der ALLHAT-Studie – so einfach können die Welt, die Medizin und die Wissenschaft sein – Hauptsache der Blutdruck wird gesenkt, Hauptsache mit dem billigsten Mittel. Weggelassen wird, dass in der ALLHAT-Studie 30% Afroamerikaner sind (siehe im selben Heft, Seite 19, Artikel von Dr. Peters), dass unter Chlortalidon eine extrem hohe Inzidenz für Diabetes auftrat. Gleichfalls weggelassen wird, dass, wie jeder weiß, die Monotherapie mit Thiacid-Diuretika kaum zu einer normotensiven effektiven Blutdrucksenkung führt. Solche Art Studieninterpretation macht auch klar, warum deutsche Patienten zu den schlechtest kontrollierten Blutdruckpatienten in Europa gehören. So kann man auch zweifelsohne eine Studie konzipieren, bei der dann herauskommt, dass in Beziehung auf irgendwelche noch entsprechend zu konzipierende Endpunkte, kein Unterschied mehr zwischen einer Blutdrucksenkung und dem Belassen eines erhöhten Blutdruckes besteht. Riesenstudie ohne große Relevanz Es sei deshalb nochmals mit Nachdruck betont, dass wissenschaftliche Studien mit Signifikanzkriterien, für die eine große Zahl an Patienten notwendig ist, um überhaupt Signifikanzen zu erreichen (siehe Artikel des Koll. Krut), kaum in eine klinische Relevanz für die Behandlung des einzelnen Patienten, auch bei noch so viel NNT Berechnungen, eins zu eins umgesetzt werden können. Sie sind bestenfalls in der Lage aufzuzeigen, dass Wirkungen existieren, mit denen wir versuchen können, Prozesse zu beeinflussen. Erbsenzähler contra Erbsenzähler Klar ist wohl, dass es Unterschiede in der Lebenserwartung zwischen einem normotensiven und einem hypertensiven Patienten gibt, wenngleich wir aber noch nicht einmal erschöpfend alle Pathomechanismen kennen. Normotensivität zu erreichen, kann nur individuell aus der Fülle der vorhandenen Möglichkeiten konzipiert werden. Nicht zuletzt an der Lebensqualität des Patienten orientiert sich Effektivität der Behandlung und wohl weniger an solchen harten, in der individuellen Praxis eher virtuellen Endpunkten, wie Mortalität. Da sollten eben auch die Nebenwirkungsprofile eine Rolle spielen, wenn man u.a. an Compliance denkt. Deprimierend, weil Wissenschaft zunehmend verdrängend, in dieser ganzen, in den Hettstedt zum Anlass für einen lesenswerten Rundschlag zum Thema Brauchbarkeit und Einsatz großer klinischer Studien in der Praxis und an der Verkaufsfront. (BY) letzten Jahren aus meiner Sicht, mittlerweile unsäglich hoch gepuschten Diskussion über die Therapiestudien bezüglich der Volkskrankheiten, ist auch die Tatsache, dass aus den verschiedensten Richtungen versucht wird, mittlerweile im Sinne von „Erbsenzählerei“ über Signifikanzen und der zum Teil minimalen Beeinflussung und Wichtung der Ergebnisse durch Randkriterien zu streiten. Und jeder Autor meint dabei, eine eigne einzig richtige Interpretation des Datenmaterials vorlegen zu können. Entkleidet man diese ganze Geschäftigkeit ihres scheinbar wissenschaftlichen Mantels, bleiben letztendlich nur noch ökonomische Interessen, seien es die der Industrie, die der Krankenkassen oder der Politik übrig. Man ist versucht, an alle Interpreten einmal die Frage zu richten, wie man denn mit den Studien umgehen würde, wenn die Kosten der Medikamente keine Rolle spielen würden? Diese immer häufiger werdende Art der Diskussion und Publikation, die mit ähnlich minimal statistischen Differenzen, wie in den Marketing-Offerten der Industrie empört deren Aussagen zu widerlegen sucht und über das ach so schnöde Gewinnstreben jener (ja was soll diese denn sonst wollen) klagt, wird zunehmend ermüdend. Wirtschaftliche Indikation verdrängt Wissenschaft Offenbar vergisst man, in welchem System man lebt, auch wenn es Marktwirtschaft heißt, ist es immer noch Kapitalismus. Auch die Kollegen, die mit der eigenen Praxis betriebswirtschaftlich ein kapitalistisches Unternehmen betreiben, vermarkten ihre Leistungen nach strategisch betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten und beschränken sich längst nicht auf das unbedingt medizinisch Notwendige. Dabei geht eine tatsächlich wissenschaftliche Diskussion, die die dialektische Zweiseitigkeit von biostatistischen Daten und individueller ärztlicher Erfahrung integriert, verloren. Gerade dies wäre aber für den in der praktischen Patientenbetreuung stehenden Arzt sehr wichtig, um individuelle optimale Therapiekonzepte zu entwickeln. Dem stehen aber gleichfalls alle in den letzten Jahren unternommenen Bemühungen gegenüber, eine dirigistische Medizin (Leitlinie, DMP o.ä.) zu entwickeln. Leitlinien sind eine wunderbare Sache, nur hält sich leider ein Großteil unserer Patienten in ihre biologischen Individualität und Vielfalt nur höchst unvollkommen an diese. BDI aktuell 12-2003 9