Peggy Mit Pauken und Trompeten
Transcription
Peggy Mit Pauken und Trompeten
L Mit Pauken und Trompeten Wenn Erwachsene zu Musikschülern werden. Fünf Frauen und Männer aus Erfurt erzählen von ihrer Späterweckung Peggy BEATE TYRON AMAC GARBE PROTOKOLLE FOTOS 39 Jahre, Informatikerin, spielt seit knapp einem Jahr Schlagzeug T ags sind sie Richter, Lehrerinnen, Redakteure – nach Dienstschluss üben sie hingebungsvoll Tonleitern und Etüden. Große Virtuosen wer den aus ihnen meist nicht, aber sie fühlen sich glücklich. Erwachsene Musikschüler sind keine so seltene Spezies mehr, zehn Prozent der Schüler sind im fortgeschrittenen Alter, sagt Claudia Wanner vom »Verband der Musikschulen«, sie spricht durchaus von einem Trend. Immer mehr entscheiden sich in der Mitte ihres Lebens, ein Instrument zu lernen. Manche frischen auch alte Kenntnisse auf. Auf jeden Fall wissen sie genau, was sie wollen. Sie sind ehrgeizig und machen sich den Leistungsdruck beim Flöten, Pauken oder Trompeten lieber selbst – eben wie sie es in ihrem Job gewöhnt sind. Längst haben sich die Musikschulen auf das neue Publikum eingestellt. Jeder werde genommen, nicht jeder habe eine Begabung, sagt Frank Beierlein, Chef der Erfurter Musikschule. Bei Erwachsenen geht es im Unterricht oft viel langsamer voran, die Finger müssen erst wieder beweglich werden, so Beier lein. Und Neues bleibt bei einem Mitt fünfziger nun mal schwe rer hängen als bei einem Sechsjährigen. 00 etztes Frühjahr habe ich mich von meinem Freund getrennt, und plötzlich war da wieder Platz in meinem Leben. Da dachte ich, jetzt mach ich es. Warum Schlagzeug? Weil ich wissen will, ob ich das lernen kann in meinem Alter, diese Koor di na tion, mit allen vier Gliedma ßen gleichzeitig einen anderen Rhythmus spielen. Ich will rausfinden, was geht. Mein Lehrer meint, ich wäre sehr ehrgeizig. Ich erwarte eben, wenn ich im Unterricht ein Stück spiele, dass das absolut korrekt ist, dass es sitzt. Bei Kindern ist das vielleicht anders, aber wir Erwachsenen haben einfach schon viel gute Musik gehört und wissen vorher, wie das klingen soll. Und wenn so ein Groove nicht stimmt, ist das grauenvoll, das tut weh! Da spiele ich lieber was Leichteres, dafür aber perfekt. In der Musikschule übe ich an einem richtigen Schlagzeug, da kann ich einmal pro Woche für eine halbe Stunde ordentlich Krach machen. Für zu Hause habe ich mir ein elektronisches Schlagzeug zugelegt, das klingt längst nicht so gut, ist aber wohnungstauglich, ich spiele es mit Kopfhörern, zum Üben reicht’s. Ein Schlagzeug allein gefällt wenigen – mir schon. Ich höre mir auch mal ein Solokonzert an. Und bin immer wieder beeindruckt, wie viele unterschiedliche Töne man durch unterschiedliche Schlagtech nik aus ein und demselben Fell rausholen kann, wie filigran man dieses Instrument bedienen kann. Man kann völlig aggressive Rhythmen oder ganz sanfte Grooves spielen. Ich find das berührend, ja man kann auch mit einem Schlagzeug Geschichten erzählen … Ich kann das nicht, noch nicht, aber bei professionellen Jazz-Schlagzeugern beeindruckt mich das ungemein. Als ich mich in der Musikschule angemeldet habe, war mir klar: Ich will das Instrument richtig lernen, so richtig mit Noten. Deshalb gehe ich auch zur Musiktheorie für Erwachsene. Das ist für mich wie eine Initiation in eine völlig neue Sprache. Ich fand es immer faszinierend zu sehen, dass sich Musiker nur anhand solch merkwürdiger Zeichen verständigen können. Wenn ich jetzt ein Notenbild sehe, kann ich mir schon so einigermaßen was darunter vorstellen. Gitarre wäre nichts für mich, das tut doch schrecklich weh an den Fingern. Und für Geige hätte ich nicht die Geduld, ewig auf einer Seite rumschrammeln, bis ein halbwegs guter Ton rauskommt, nein, ich bin fast vierzig, so viel Zeit habe ich nicht … DAS MAGAZIN | SEPTEMBER 2013 SEPTEMBER 2013 | DAS MAGAZIN 00 ngefangen hat alles damit, dass ich schon als junge Frau Musikinstrumente gesammelt habe, einfach so, weil die doch so schwer zu kriegen waren in der DDR. Ich hab dann ein bisschen auf denen rumgespielt, nur zum Spaß. Ich hatte schon eine Mandoline, eine Trompete und mehrere Flöten, als mir der Verkäufer zuraunte: Wir haben gerade eine Uebel-Klarinette reinbekommen … Das war damals was ganz Besonderes, also habe ich sie gekauft, für 680 Mark. Und dann brauchte ich mal ein bisschen Ruhe vor meinem Mann zu Hause und habe beschlossen, gehst in die Musikschule. Aber als Erwachsener ging das im Osten gar nicht so leicht, ich war schließlich schon 37 Jahre. Es klappte nur, weil der Klarinettenlehrer fand, so eine tolle Uebel-Klarinette wie meine müsse einfach gespielt werden. Sieben Jahre habe ich Klarinettenunterricht genommen, dann ging mein Lehrer in Rente, ich spielte noch ein bisschen im Optima-Blasorchester mit, aber das war nicht dasselbe. 1986 hab ich aufgehört und die Musik für viele Jahre vergessen. Dann kam die Wende, ich habe mich mit 52 Jahren als Ärztin niedergelassen – es gab einfach viel anderes zu tun. Erst 1997 erinnerte ich mich wieder an die Musik, an die gute Laune, die mir das Musizieren immer gemacht hatte. Ich war inzwischen geschieden und die Tochter aus dem Haus, also bin ich wieder in die Musikschule marschiert. Der Klarinettenlehrer aber spielte viel lieber Saxofon, da hab ich mir eben ein Saxofon gekauft. Nach zehn Jahren ist auch dieser Lehrer in Rente. Ich habe keinen neuen gefunden, denn als Erwachsener ist man seinem Lehrer doch irgendwie anders verbunden. Dem Saxofon aber bin ich treu geblieben, ich spiele seitdem im Erfurter Blasorchester als einzige Saxofonistin mit. Ja, das macht schon viel Spaß. Allerdings, als ich mit 68 Jahren meine Praxis aufgegeben habe und selbst Rentnerin wurde, da hatte ich Lust auf was Neues. Zuerst habe ich tagelang Holz für meinen Kamin gehackt, danach angefangen zu spinnen, mit dem Spinnrad. Als die erste Handarbeitswut vorüber war, ist mir die Mandoline eingefallen, die seit so vielen Jahren oben im Kleiderschrank liegt. Also bin ich wieder zur Musikschule. Mandoline ist nun ein wirklich schweres Instrument, und man ist als Erwachsener ja so furchtbar ehrgeizig. Im Moment ist Musik alles für mich. Mein Lehrer kann so schöne Töne auf der Mandoline spielen. Das will ich auch können. A uf der Trompete improvisieren lernen – das ist ein echtes Ziel für mich. Ich mag inzwischen diese weichen Töne der Jazztrompete … Als Kind war Trompete längst nicht so cool, ich hab das Instrument mal drei Jahre gelernt, der Musiklehrer riet das damals meinen Eltern, ich hätte doch so einen gut gebauten Brustkorb. Allerdings hat mir in der Pubertät das Wett kampf schwimmen mehr zugesagt. Die Trompete lag im Schrank und ist mit mir durchs Leben und von Schwaben nach Thüringen gezogen. Erst vor zweieinhalb Jahren wurde sie für mich wieder interessant. Mein dreijähriger Sohn hatte so ein Buch, »Tina und das Orchester«, und begeisterte sich witzigerweise vor allem für die Blechbläser. Wir mussten das immer wieder ansehen. Da hab ich meine Trompete rausgeholt … Ich hab schnell gemerkt, Technik und Disziplin müssen sein, wenn ich das jetzt noch einmal anfange. Ich hatte anfangs etwas Angst vor den Nachbarn, aber so ein Hoteldämpfer leistet gute Dienste beim Üben. Außerdem passt der Dämpfer zum Jazz, man kann damit so schöne weiche Töne spielen. Mir gefällt der Klang der Trompete und dass sie ein Melodieinstrument ist. Körperlich ist das allerdings anstrengend. Für eine halbe Stunde Spielen braucht man schon eine Menge Luft und für schöne Töne viele Muskelübungen. Die Trompete ist also auch eine sportliche Herausforderung. Für das regelmäßige Üben muss ich viel Disziplin aufbringen, aber jetzt als Erwachsener kriege ich das besser hin als früher als Kind. Und hinterher fühle ich mich einfach gut. Wenn der Ton besonders gelungen ist oder ich in eine Höhe gekommen bin, wo ich sonst nicht so gut hinkomme – das macht einfach Spaß. Und ich kann gut abschalten dabei, die Arbeit mal vergessen. Anfangs wollte mein Sohn natürlich auch Trompete spielen, jetzt schicken wir ihn zum Klavierunterricht. Das ist wie Latein, eine Basis eben. Mal sehen, was er später dann wirklich spielen wird. A Stefan 51 Jahre, Kika-Redakteur, spielt seit zweieinhalb Jahren Trompete 00 DAS MAGAZIN | SEPTEMBER 2013 SEPTEMBER 2013 | DAS MAGAZIN Irmgard 73 Jahre, Rentnerin, spielt seit 36 Jahren Klarinette, seit 16 Jahren Saxofon und seit drei Jahren Mandoline 00 ch musste als Kind Akkordeon lernen und immer nur Volkslieder spielen unter Beobachtung einer älteren Musiklehrerin. Dabei wollte ich doch viel lieber Gitarre spielen, was Fetziges eben. Ich hab schon damals gern gesungen und es mir so cool vorgestellt, dazu die Gitarre zu zücken. Na ja. Dann habe ich eigene Kinder gekriegt, bin Lehrerin geworden, und die Gitarre war vergessen. Vor drei Jahren erzählte mir eine Freundin, dass sie angefangen hat, ein Instrument zu lernen. Die klang so beseelt – das wollte ich auch. Ich höre doch so gern Musik und kann mich dabei so gut entspannen, warum also nicht auch selbst spielen lernen? Eigentlich fand ich nun das Akkordeon ja cool, aber als Instrument ist es mir zu schwer und zu unbequem. Also Gitarre! Und es ist wunderbar – wie eine andere Seite meiner Person, die ich besser kennenlernen darf. Anfangs war es schwierig. Meine eigene Unzulänglichkeit hat mich blockiert, ich stand immer unter Strom, besonders im Unterricht. Bloß nichts falsch machen. Schließlich bin ich ja sonst die Lehrerin. Ich habe gedacht, was für eine anstrengende Schülerin ich da wohl abgebe. Jetzt ist das fast weg. Ich bin einige Jahre älter als mein Gitarrenlehrer, glaub ich. Mir macht das nichts, aber er entschuldigt sich immer noch, wenn er mich verbessert, lustig, nicht? Ich übe gern, seit einigen Wochen sogar regelmäßig mit meiner Freundin. Was ich unbedingt mal können will, ist »Beautiful tonight« von Eric Clapton – Melodie und Bassbegleitung zugleich. Der Unterschied zu früher liegt für mich auf der Hand: Als Kind musste ich üben, jetzt will ich es. Musik zu machen, das fühlt sich für mich einfach gut an. Ich war jetzt ein paar Tage wandern mit Freunden und hab die Gitarre mitgenommen. Eigentlich traue ich mich ja immer nicht, weil ich denke, ich spiele nicht gut genug. Ich hab die Gitarre auch nur rausgeholt, weil ich nicht vier Tage auf das Üben verzichten wollte. Doch dann war das ganz toll. Und ich habe verstanden, dass es für andere was Besonderes ist, überhaupt ein Instrument spielen zu können, und ich nicht meinen eigenen Perfektionismus als Maßstab anlegen darf. Seit einigen Wochen singe ich auch in einem Gospelchor. Es ist klasse, ich kann mich da gut spüren. Toll, dass ich auch das endlich angefangen habe. Wer weiß, was noch alles passiert. I 00 emeinsam Musik machen ist großartig, finde ich. Deshalb habe ich auch wieder mit dem Saxofon angefangen. Bei uns zu Hause wurde viel gesungen, mein Vater hat den örtlichen Kirchenchor geleitet. Ich habe als Kind Noten und Instrument gelernt – zwei Jahre Klavier, ein Jahr Orgel. Während des Studiums habe ich vorübergehend mal Saxofon gelernt und sogar ein Jahr in einer Bigband gespielt. Der Berufseinstieg war dann stressig. Viele Jahre hat sich bei mir fast alles nur um die Arbeit gedreht, dann kam die Familie dazu. Irgendwann habe ich überlegt, so geht es nicht weiter, du musst auch mal was für dich tun. Der Kontakt zur Musik war ja immer da. Meine Frau spielt selbst Klarinette und Saxofon. Außerdem gehen unsere drei Kinder zur Musikschule. Ich brachte sie oft hin und hab dann einfach beschlossen, mich auch anzumelden. 15 Jahre bin ich im Beruf, öffentlicher Dienst, es läuft, wenn nicht jetzt, wann dann. Seit November bin ich nun Musikschüler und spiele seit Neuestem auch in der Musikschul-Bigband als einer von zwei Erwachsenen. Im Juni sind wir beim Stadtfest aufgetreten. Ich kann nicht alles mitspielen, aber egal. Mein Ziel ist, dass ich in einem halben Jahr alle Stücke der Bigband, das sind so zwanzig verschiedene, mitspielen kann. Ja, entweder ganz oder gar nicht. Ich übe vier- bis fünfmal pro Woche, immer eine dreiviertel Stunde. Am Anfang war es ziemlich mühsam. Die gleichmäßige Lippenkraft musste erst wiederbelebt werden. Aber ich merke, dass ich vorwärtskomme. Das macht zufrieden. Selbst zu spielen ist doch viel schöner, als sich eine CD einzulegen. Und ich kriege dabei meinen Kopf gut frei. Mir gefällt es, dass ich jetzt genau weiß, was ich spielen will, und es einfach tue. Als Kind spielst du doch eher drauflos, immer was der Lehrer sagt. Das ist als Erwachsener anders, und ich genieße es. Wenn ich irgendwann in der Bigband auch mal ein Solo spielen kann, ist das toll, das wäre ein Ziel, aber darum geht es mir eigentlich gar nicht. Meine Tochter spielt Bassgitarre, meine Söhne Trompete und Klavier, meine Frau wie gesagt Klarinette und Saxofon. Wenn wir alle dabeibleiben, können wir in zwei Jahren schon ordentlich Hausmusik machen – und gemeinsam spielen ist doch das Größte. G Petra 54 Jahre, Lehrerin, spielt seit anderthalb Jahren Gitarre DAS MAGAZIN | SEPTEMBER 2013 Ludger 50 Jahre, Richter, spielt seit einem halben Jahr Saxofon SEPTEMBER 2013 | DAS MAGAZIN 00