Vorwort Der Samurai sagt

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Vorwort Der Samurai sagt
Vorwort
Der Samurai sagt
Nicht wenige raten einem eindringlich, gefälligst erst einmal Mecklenburg Vorpommern oder den Harz kennen zu lernen, bevor man sich in die Fremde wagt und danach jeden, dessen man habhaft werden kann, mit den Nöten und Gefahren ferner Länder zu belästigen. Da sie aus Versehen einmal in Spanien waren und nach ihrer Rückkehr nichts weiter zu berichten gehabt hätten wie die Speisenfolge am Buffet und die Preise für Bananenbootfahren sehe man, Reisen bilde doch weit weniger als gemeinhin angenommen.
Andere wiederum meinen, dass man erst in der Fremde seine Heimat wirklich kennen lernen kann. Die Einheimischen helfen in der Regel da auch gerne mit aktuellen Angaben weiter, und nach dem Urlaub kennt man dann die komplette deutsche Nationalmannschaft sowie weite Teile von Bayern München und dem HSV. Aber selbst im Busch ist Fußball nicht alles. Auch weitergehende gesellschaftspolitische Themen werden nicht ausgespart. Wer sehenden Auges durch die fremde Welt streift, der kann mitunter erfahren, dass der größte Deutsche immer noch der Österreicher Adolf Hitler ist.
Wenn die Fernreisenden den Strand von Guardalavaca mit seinen Naturschönheiten und dem milden Klima mit den grenznahen neojodeligen Galtürs mit ihren skiindustriell aufbereiteten Berghängen vergleichen und den Heimatreisenden raten, am Besten gleich auf dem Balkon u bleiben, da gingen sie wenigstens niemandem auf die Nerven, stellen die Grenznahreisenden die brandenburgische Seenplatte den Slums von Mumbay gegenüber und nennen die Fernreisenden prolo, unöko oder uncool.
Um mäßigend auf die Streithähne einzuwirken, habe ich deshalb ein Buch mit dem Untertitel ‚Grüße aus aller Welt‘ geschrieben. Es wird darin ersichtlich, dass die Welt weder am Bodensee aufhört noch erst dahinter beginnt, und dass es gar nicht darauf ankommt, wo man reist, sondern wie.
Der Samurai sagt nämlich: Lerne zuerst alle 5 Sinne zu gebrauchen, denn erst dann bekommt man einen sechsten Sinn, den Sinn, mit dem man vor und hinter die Dinge sieht. Reisen muss man, oder man kommt hinter nichts. Voltaire
Wenn ein Esel auf Reisen geht, kommt er nicht als Pferd zurück.
Thomas Fuller
Also was jetzt?
Außerdem ist es gemein dem Esel gegenüber, so was zu behaupten. Hellmut Ambos 4
Wenn man nicht gerade weg ist,
ist man zu Hause.
Ich war einmal für 20 Sekunden als unbedeutende Randfigur in einem
Film über Lebensläufe zu sehen, der Sonntag nachmittag im Bayerischen Fernsehen lief. Es ist kaum zu glauben, wie vielen Leuten es
Sonntag nachmittag so langweilig ist, dass sie sich in ihrer Verzweiflung
nicht anders mehr zu helfen wissen als in dritten Programmen Filme
über Lebensläufe anzusehen. Jedenfalls haben mich Leute darauf angesprochen, von denen ich niemals gedacht hätte, sie würden so was auch
tun. Aber im Gegensatz zum Besuch im Sexshop, von dem man niemals
jemandem erzählen würde, wird solcherart Armutszeugnis anscheinend
freudig kundgetan und es wird auch noch anerkennendes Grinsen und
Schulterklopfen erwartet.
Um zu vermeiden, einmal selbst in die Szene abzurutschen, fahre ich,
wenn ich gerade mal über keine Zeit oder über kein Geld verfüge, aber
trotzdem gerne in Urlaub fahren möchte, Sonntag nachmittag gerne
nach Bregenz am Bodensee.
Natürlich gibt es am Hafen auch einen dieser Fliegenpilzkioske, wie
sie seit Jesu Gedenken Generation für Generation an ihre Jugend erinnern, und einen Neger, der Schmuck verkauft, der nun allerdings erst
die erste Generation Grauhaariger in die seligen Jugendzeiten versetzt.
Der Schmuck sieht aus, als hätten ihn fleißige Kunsthandwerker, von
Entwicklungshilfegeldern unterstützt in Dakarer Hinterhöfen fröhlich
singend gebastelt, wird aber in Wirklichkeit in chinesischen Fabriken
produziert, weil selbst Afrikaner mit kleiner Selbstversorger - Landwirtschaft im Vorgarten und mit Unterstützung der EU niemals so billig
produzieren könnten.
Einen Blick auf den See allerdings kann man vergessen, weil der Bodensee Sonntag nachmittags so vollgefüllt ist mit Ausflugdampfern, Segelbooten und Tretbooten, dass kein Wasser mehr zu sehen ist.
Bregenz hat noch eine Besonderheit, nämlich seine Altstadt. Nicht dass
dabei die Altstadt an sich besonders alt oder historisch wertvoll wäre, im
Gegenteil, sie ist eher ein bisschen verhaut, das Besondere der Altstadt
liegt daran, dass sie ein bisschen verhaut daher kommt und nicht nur
wie andernorts üblich nicht das Zentrum von Bregenz bildet, sondern
dass sie vielmehr irgendwo abseits irgendwo am Rande in der Oberstadt
liegt, dass man sie kaum findet, wenn man nicht ortskundig ist. Läden,
Kneipen, die Promenade und die ganze vorbeschriebene kulturelle Infrastruktur und damit das pulsierende Leben liegen unten, am See, in
der Altstadt ist außer einem Vielesternehotel nichts außer den Häusern,
in denen die Hausbewohner wohnen, keine Souvenirläden, überhaupt
keine Läden, keine Gastronomie und daher auch keine Touristen, oder
umgekehrt. Die Altstadt ist vergleichsweise leer, und daher wirkt sie
irgendwie, sagen wir, nicht schöner, im Gegenteil, aber authentischer
und auf ihre Art interessanter als vergleichbare touristisch aufgebrezelte
Altstädte, wie die Insel Lindau zum Beispiel.
Bregenz hat eine 1A Seeuferpromenade, und dazu noch ein international renommiertes Museum, ein international renommiertes Theater, eine
international renommierte Oper, die Seebühne, (als Freilichtbühne am
See, wo richtige Opern gegeben werden und nicht ABBA das Musical
oder so), ein Festspielhaus, dazu noch die übliche kulturelle Infrastruktur von Subzentren und noch so einiges mehr, prima Restaurants und
eine Handvoll 4-Sternehotels. Ich wohne zwar nie in diesen 4-Sternehotels, da ich in kaum 20 Minuten wieder zu Hause im Westallgäu bin und
eine Übernachtung sich nicht anbietet, aber der Besuch einer kulturellen
Veranstaltung oder eines feinen Restaurants ist meist trotzdem problemlos in den Sonntagnachmittag - Urlaub zu integrieren.
Dank Bregenz befindet sich das Westallgäu somit eben nicht in der Mitte
von Nirgendwo, wie viele, vermutlich sogar die meisten Nichtwestallgäuer denken.
Wenn die ziemlich akademischen Bewohner der Hotels dann ihr Vormittagsprogramm in den renommierten Kulturhäusern absolviert haben,
mischen sie sich an der Seepromenade mit den Familien der Regierungsbeamten - die größte Stadt in Vorarlberg ist zwar Dornbirn, Bregenz hat
nur 30.000 Einwohner, ist aber die Landeshauptstadt von Vorarlberg
- und mit den normalen Bewohnern von Bregenz und Umgebung und
bilden eine schön anzuschauende Bürgerlichkeit wie in den Sommerfrischen vor 100 Jahren, bevor Urlaub machen für alle eingeführt wurde.
Damit soll natürlich nicht gemeint sein, das Recht auf Urlaub für jeden
in Frage stellen zu wollen, die geballte Bürgerlichkeit hat auch so ihre
Tücken, nur dass die einen da und die anderen eben ganz von selber
wo anders Urlaub machen, nicht in Bregenz, sondern in El Arenal zum
Beispiel, oder in Benidorm. Solche Döners und Mannis schimmeln zwar
auch in Bregenz an der Promenade vor sich hin, es sind aber nur wenige, nur die, die selber aus Bregenz sind, deren tiefergelegte BMW 323i
Baujahr 1988 gerade was am Getriebe haben und weil Einladungen an
andere hey mann nie so recht klappen. Die Eingeladenen rufen dann aus,
hey mann, voll schwul, was sollen wir denn da, unter all dem voll blöden
Krampfadergeschwader.
Wer daher aber meint, nur gehobenes Akademikerpack vorzufinden, der
wird stets angenehm enttäuscht. Bei einem meiner letzten Urlaube hat
eine Vorarlberger Bauernfamilie versucht, im Eiskaffee, das sich krakenartig zwischen Bahngleis und Promenade ausbreitet, ihren Kinderwagen
zu einem Tisch irgendwo in der Mitte drin zu fahren, was nur gelingt
durch die Herstellung einer Schneise, in der alle Stühle samt derjenigen,
die darauf sitzen, auf die Seite geschoben werden müssen, um dann nach
kurzer Zeit ohne auch nur eine Bestellung aufgegeben zu hat wieder mit
der selben Mühe sich davonzutrollen und haben damit ein lustiges Rätselraten unter den anderen Eiskaffeebesuchern verursacht, warum sie nicht
einfach einen der freien Tische am Rand genommen hat, und so einen
willkommenen Anlass für mehrminütiges Bergbauernbashing gab.
Lindau im Bodensee ist trotzdem ebenfalls ein lohnendes Urlaubsziel
für Sommer-Sonntag-Nachmittage, vor allem wenn Besuch aus den
USA angekündigt ist, der beeindruckt werden will. Allerdings ist in Lindau im Gegensatz zu Bregenz ‚nix los’, wie man dann so sagt, wenn
kein Besuch von Kultur und Gastronomie ‚mitzunehmen’ ist, da nur Hafen mit Ausflugsdampfer, die natürlich wegen der Luftverschmutzung
nicht mehr dampfen, sondern schädlichen Diesel über den See blasen,
und Kaffee und Eiskonsum geboten sind, wogegen auch nichts einzuwenden ist.
Außerdem ist Lindau die Hauptstadt der Pudel. Alle Pudel bitten, so
scheint es, ihre aufgedonnerten älteren Herrschaften, den Urlaub stets in
Lindau zu verbringen.
Pudel sind in der Gegend traditionell an sich nichts Ungewöhnliches.
Die Allgäuer Sagenwelt ist reich an Pudeln, meist sind es Königspudel.
Der Pudel ist nämlich, wie jeder Allgäuer weiß, das Böse schlechthin, ist
niemand geringerer als Der Teufel. Das wissen allerdings Gott sei Dank
die wenigsten der Pudel.
Besser als ein Urlaub Sonntag Nachmittag in Bregenz oder Lindau aber
ist es allemale, es kommen Leute zu Besuch nach Hause. Gerne dürfen
sie dabei Kuchen mitbringen, woraufhin ich sofort das Goldrandgeschirr
meiner Mutter selig auspacke, obwohl ich dieses dann hinterher von
Hand abspülen muss, damit die Spülmaschine nicht den Goldrand frisst
und damit das Andenken meiner Mutter gleich mit.
Aber auch der Ruf der Gäste nach Schnaps ist willkommen, selbst wenn
er noch vor der Begrüßung erfolgt. Seit meine Gattin vor 20 Jahren in
einem Kaff im Inneren von Madagaskar mal ein paar gestandene Entwicklungshelfer mit Rum unter den Tisch getrunken hat, gibt es bei uns
zu Hause immer Schnaps, den wir unseren Gästen gerne anbieten, schon
um nicht alleine trinken zu müssen. Dabei stört es auch nicht im Mindesten, wenn einzelne Damen oder Herren kommen und allein eine halbe
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Flasche wegtrinken. Störend dabei ist lediglich, wenn die dann so alt
sind wie man selbst und um einiges korpulenter und trotzdem erzählen,
wie sie in Peru Sechstausender hochgekrabbelt sind, vor denen einem
schon beim Anschauen schwindlig wird.
Es sind nun unter den Besuchern häufig solche dabei, die das Schnapsangebot freudig annehmen. Mitunter kommt es aber auch vor, dass einen
der Besuch dann so komisch anschaut, als würde er denken, war doch
wohl eher ein Fehler, hier zu unkontrollierten Trinkern zu kommen, und
der dabei wohl annimmt, dass man den Rest seiner freien Zeit in Eckkneipen verbringt, die Sabine‘s Bistro heißen oder Immer Lustig. Die
solches denken, sind meist die gepflegten Weintrinker. Kaum einer weiß
nämlich, dass es die mystische Toskanafraktion Armani tragender Sozialdemokraten mit Haus bei Siena tatsächlich gibt.
Ich weiß nicht, was für ein Gesicht ich dann mache, ich habe bei solchen Situationen keinen Spiegel zur Hand. Es ist leider nicht gesellschaftskonform, immer einen Spiegel bei sich zu tragen, mit dem man in
überraschenden Situationen seinen Gesichtsausdruck kontrollieren und
gegebenenfalls auch weiterentwickeln kann. Ich würde mir aber wünschen, dann ein ähnlich angewidertes Gesicht machen zu können wie
meine Gegenüber. Wenn ich nämlich gewusst hätte, dass ich ein paar gepflegte Weintrinker eingeladen habe, die auf meine Kosten teuren Wein
vorgesetzt bekommen wollen, hätte ich mich von vorne herein darauf
einstellen können und mich auf ihr Niveau begeben und Aldi Wein in
alte Flaschen gefüllt.
In Sabine‘s Bistro gehe ich tatsächlich nie, aber nicht aus Imageschadensgründen, sondern weil Sabine’s Bistro ein Stehausschank ist und
mir der Name Stehausschank übel missfällt. In ein gleiches Etablissement namens Bar würde ich sofort schnurstacks reinlaufen, aber Stehausschank, das klingt schon so wie es ist, lässt einem keine Chance
zur Illusion, dort Nick und Nora Charles zu treffen, und Scarlett Johannson auch nicht. Stehausschank klingt nur nach dummem Gequatsche und schlechten Leberwerten, auch wenn ganze Heerscharen eines
bestimmten Schriftstellertypus um Harry Rowohlt dies immer wieder
versuchen zu überhöhen, deren Beschreibung dann aber trotz bemerkenswerter Präzision in der Beschreibung der Ödnis aus Bierkonsum in
Verbindung mit Weiberfantasien mit exzessiven Gebrauch von Eigen-
schaftsworten, also jedem Substantiv auf Teufel komm raus ein Adjektiv
zuzuordnen, diese nicht aufwerten. Die trotzdem nicht müde werden zu
behaupten, in Eckkneipen, da hielte sich die komplette Bandbreite der
Bevölkerung auf, von Arbeitslosen bis zum Unternehmer, von Hilfsschülern bis Intellektuellen usw. Das mag wohl so sein, aber leider haben die Akademiker und Chefs, die Eckkneipen bevölkern, dann regelmäßig halt gehörig einen an der Waffel. Nick und Nora Charles waren
noch sophisticated betrunken und dabei witzig, während Ditsche, der
seit 20 Jahren täglich im Fernsehen kommt, wie er in einem Imbiss rumsteht, säuft und sinnfreien Unfug daherlallt, nur dazu gut ist, einsamen
Trinkern virtuelle Gesellschaft zu vermitteln und somit den Gang in den
Stehausschank zu ersparen.
Wenn dann japanische Germanistikseminare die deutsche Kultur ergründen, nehmen sie sich so eine Beschreibung vor, und das Ergebnis
sind dann fehlgeleitete Japaner auf dem Oktoberfest.
Ich beziehe meinen Schnaps mitunter über den Onkel meiner Gattin
aus Slowenien, früher Jugoslawien, also mit anderen Worten selbstgebrannter Slivowitz, White Lightning, auf amerikanisch. So was trinkt
keiner, der Malt-Whiskey gewöhnt ist oder sowieso nur Barolo trinkt.
Die Jugos in Slowenien haben eine interessante Angewohnheit: Sie trinken vor dem Frühstück ein Glas Slivowitz. Das klingt furchtbar, ist es
aber nicht, vorausgesetzt, man säuft nicht nach dem Frühstück weiter.
So ein Schnaps ist gesund. Eine Tante aus Maribor hat mit 55 Jahren
Magenkrebs bekommen, woraufhin ihr der Arzt geraten hat, jeden Tag
ein Glas hochprozentigen Schnaps zu trinken. Als wir sie vor ein paar
Jahren besucht haben, war sie 85 und hatte immer noch Magenkrebs.
PS 1
Die Entwicklungshelfer unter den Tisch zu saufen war übrigens nicht so
schwierig, weil die Idioten ihren Rum mit Cola gemischt haben, meine
Gattin aber Rum pur getrunken hat.
PS 2
Wenn aber Sonntags das Goldrandgeschirr im Schrank verbleibt und es
am Bodensee vorbei ins Gebirge geht, ist die Mitnahme von Schnaps
ebenfalls nicht verkehrt.
Der kirchliche Dienst wünscht
einen guten Flug
Man achte mir ja das Fliegen nicht gering!
In Kreisen, in denen leider auch ich gelegentlich zu verkehren pflege,
ist es bedauerlicherweise nicht unüblich, dass Leute, die bestenfalls einmal im Jahr nach London zu ihren Freunden fliegen, im Stil wichtiger
manageresker Vielflieger über die entnervenden Anstrengungen dieser
Flugreisen berichten, nicht ohne dabei penetrant zum Flugzeug stets
Flieger zu sagen.
Und Backpacker, in deren Kreisen ich ganz und gar nicht verkehre, sagen
dann „Nach 18 Stunden im hinteren Teil des Flugzeugs, drei dämlichen
Filmen, zwei Plastikmahlzeiten, sechs Bier und ohne Schlaf bin ich endlich gelandet.“ Das weiß ich aus dem Kino, von Leonardo de Caprio.
Aber auch alte Hasen wollen einen gelegentlich lehren, dass fliegen uncool ist und nur nach durchzechten Nächten in komatösem Zustand erträglich sei (ist es dann tatsächlich überhaupt nicht, kann ich bestätigen).
Gott habe sie selig, einsteigen durfte, sofern er die 9-stündigen Sicherheitskontrollen am Flughafen lebend überstanden und das Flugzeug
ausreichend Verspätung hatte, so dass er es trotzdem noch erreichte,
der wusste schon bevor er gelandet war, this is fuckin‘ America. Wer,
ebenfalls in der guten alten Zeit, von dicken blonden Stewardessen herumkommandiert wurde, während andere dicke blonde Stewardessen
Essenswägen über wellige Gangteppiche rumpelten, weil schon wieder
im Fünfjahresplan doppelseitiges Teppichklebeband vergessen worden
war, wusste, er ist in einem sozialistischen Flugzeug der sozialistischen
Firma Aeroflot unterwegs in ein ebenso sozialistisches Land. Wer jedoch in ein Flugzeug von LTU einsteigt, der weiß nichts, der fliegt einfach nur irgendwohin in ein Hotelzimmer mit Poollandschaft davor.
Trotzdem: Fliegen ist nun einmal ein Teil der ganzen Reise, die genau genommen zu dem Zeitpunkt beginnt, wenn der Hausschlüssel im
Schloss umgedreht und in die Tasche gesteckt wurde und das Gepäck
hochgehoben wird, auf jeden Fall aber bereits am Flughafen und nicht
erst nach Ankunft am Zielort.
Es soll nun keineswegs verschwiegen werden, dass sich leider auch
beim Fliegen die Zeiten geändert haben, und zwar zum Schlechten. Wer
früher, in der guten alten Zeit, in ein Flugzeug der Fluglinie PanAm,
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Der kirchliche Dienst wünscht einen guten Flug und lädt ein zum Gottesdienst um 10 Uhr 30, leider zu spät, der Flug startet schon um 11. Jeder
Flughafen hat seine Flughafenkapelle, irgendwo, am JFK in New York
genau in der Mitte der Anlage, keiner weiß, wie man da hinkommt. Ich
bin nun keiner von denen, die es zeitgemäß finden, die Kirche zu preisen und zu loben in freudiger Erwartung, dass so was bei den gottlosen
Gesellen gut ankommt. Ich bin sicher, dass Flughafenkapellen ihrerseits
bei den Gläubigen gut ankommen, könnte mir aber vorstellen, dass diejenigen, die meinen, ein Besuch würde das Absturzrisiko vermindern,
letztlich auch zu dämlich sind, diese Gottesrestflächen zu finden.
jetzt nicht so toll, aber ich habe auch schon neben H-Mongs (in Laos),
Somaliern (nach Syrien), englischen Englischlehrerinnen (ebenfalls in
Laos)oder DDR - Funktionären (1986 nach Madagaskar) gesessen, und
es war immer ganz interessant.
Auch außerhalb des Flugzeugs findet die Reise statt, man muss nur gelegentlich mal aus dem Fenster sehen.
Von Senegal kommend überfliegt man in Mauretanien ein riesiges trockenes Flusstal, das aussieht als sei es einmal der Amazonas gewesen.
Von Luxor nach Kairo überfliegt man die Pyramiden.
Nach Südostasien fliegend kann man stundenlang die Gewitter am Rande des Himalajas beobachten.
Beeindruckend ein Flug über das Stadtzentrum von London, über die
riesigen schneegefüllten Täler Grönlands, die Vulkane Islands, über die
in einer schier endlosen roten Fläche verteilten Krale im Sudan.
Das Schönste am Fliegen sind aber immer noch die Wellen, die man
weit unten sieht, das Zweitschönste sind Wellen mit Schiffen, das
Drittschönste Wellen mit Strand, und besonders schön wird es, wenn
große Vögel darüber fliegen, die einen Schatten auf das Meer werfen,
was man aber nur bei Landeanflügen sieht, wenn das Flugzeug schon
sehr niedrig ist.
Alte Hasen jedoch geben in ‚Altehasengebenguteratschläge – Ratgebern’
mitunter den Rat, statt der Fensterplätze stets Gangplätze zu buchen. Sie
behaupten dann, am Gang habe man eine Seite frei zum ausstrecken und
entspannen und vergessen dabei zu erwähnen, dass diese Seite ebenfalls
die freie Seite für den Toilettenverkehr ist. Davon abgesehen, dass man
nicht aus dem Fenster sieht, keine Gletscher, Meere und Gebirge sieht,
rumpeln ständig Toilettenbesucher in die Gangplätze, so dass es zu unschönen Szenen kommen kann. Da ist das Eingesperrtsein am Fenster
ein Honigschlecken dagegen, und wenn der Nachbar unbedingt auf die
Armlehnenhoheit besteht, erspart das zumindest das schlechte Gewissen, ihn schon wieder aufstehen zu lassen, nur weil man ein bisschen
auf und ab laufen möchte. Nicht aus pädagogischen Gründen, sondern
einfach nur mit Fleiß.
Es ist mindestens genauso gut, sich während des Fluges mit den Eventualitäten bei abrupten Flugunterbrechungen zu beschäftigen, damit man
gewappnet ist, wenn diese eintreten, und außerdem vergeht die Zeit
schneller. Zuerst kommt es drauf an, heil unten anzukommen. Über dem
Meer eignen sich dazu herumfliegende Aluminiumplatten, die als eine
Art Gleitschirm verwendet werden können. Da sie die Fallgeschwindigkeit aber nicht ausreichend für eine weiche Landung reduzieren werden,
empfiehlt sich im allerletzten Moment ein Sprung ins Wasser. Im Gebirge hingegen suche man sich eine sehr steile Schneefläche aus. Damit
kann man auch Abstürze aus großer Höhe abfangen. Hilfreich wäre das
Tragen eines Anzugs aus Gummistoff, der ähnlich wie Schwimmhäute zwischen Kopf, Händen und Füßen eine Verbindung hat, um einen
größtmöglichen Luftwiderstand zu bieten, am besten in Verbindung
mit auf den Rücken genähten mehrstöckigen Luftsäcken, die wie Fallschirme wirken. Damit müsste der Fall auch entscheidend gebremst
werden können und ich finde es geboten, dass solcherart Anzüge zur
eigenen Sicherheit vorgeschrieben werden auf längeren Flügen, denn
freiwillig zieht die ja sonst niemand an.
Unten gut angekommen, muss man je nach Medium, in dem man gelandet ist, und je nach Gegend, sofort eine Schneehöhle graben, ein
hochgelegenes buddhistisches Kloster aufsuchen oder eine von einem
Korallenriff umgebene Insel, um dann als von allen Todgewähnter nach
einigen Tagen Wochen oder Monaten, Jahren wäre schon zu lang, die
triumphale Rückkehr vorzubereiten. Den Rest das Fluges kann man sich
dann die Freude und Erleichterung ausmalen, die dabei um sich greifen
wird.
Ist man dann gelandet in fernen tropischen Ländern, so ist das zuallererst
A die Backofenhitze und B der faulige süße schwere Duft von Blüten,
die genau so aussehen wie sie riechen, vermischt mit C Dieselgestank.
Wer nun in Bangkok das Flugzeug verlässt, für den trifft A + C zu, B
wird durch ein Duftgemisch aus ‚Schlecker Drogeriemarkt’ und ‚Motel
in Gallup für 18 Dollar die Nacht’ ersetzt.
Während dieser Überlegungen befinde ich mich eigentlich in Kurdistan,
Persien, Pakistan, Indien, Bangla Desh und Burma, über den Andamanen schaue ich extra nochmals aus dem Fenster, aber es ist Nacht und
man sieht nichts. Dabei bin immer nur 10 Kilometer entfernt von Teheran, Kalkutta, Delhi, und trotzdem so weit weg davon wie vom Mars.
Was die These von der Perversion des Tourismus stützt.
Alles schön und gut, werden Sie sagen, nur, umweltverträglich ist fliegen doch sicher nicht. Da haben Sie Recht.
Der von den Fluggesellschaften angegebene Prokopfverbrauch von
ca. 3 Liter/100 Kilometer ist eine Legende, der tatsächliche Prokopfverbrauch, unter Berücksichtigung aller Faktoren wie der Auslastung,
der Fluglänge und der Berücksichtigung der Flughöhe (wichtig auch bei
der Berechnung der Ausbreitung des CO2 in der Atmosphäre) wird von
Umweltverbänden auf 16 bis 32 Liter auf 100 km errechnet.
Aber einen Trost gibt es:
Durch den Tourismus werden Naturreservate geschaffen, die die Grundlage bilden für eine Rückkehr der Natur, so ähnlich wie etwa im Tiefland
von Petén, nach dem Niedergang der Maya, wo ja auch der Urwald von
den Rändern aus in fast ursprünglicher Form zugewachsen wieder ist.
In ungefähr 600 - 800 Jahren, und wenn ihn niemand daran hindert.
Wenn ich nun nicht so genau wüsste, was passiert, wenn ich meine Erlebnisse mit diesen Fluggesellschaften irgend jemandem erzähle, ich
würde es tun, ehrlich. Ich tus aber nicht, denn todsicher würde der oder
diejenige die Gelegenheit ergreifen und mich seiner- oder ihrerseits mit
länger zurückliegenden Erlebnissen mit anderen Fluggesellschaften
volllabern und mich anöden.
Im Flugzeug selbst ist die Welt zwar noch klein, dafür aber umso komprimierter.
Gut, ‚Herren’, die auf dem Flug nach Bangkok ‚gut drauf sind’, sind
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Londoner Museen
und Englische Christmas Partys
Um Weihnachten zu entgehen sind meine Frau und ich am 24. Dezember nach London geflogen, wo wir eine Freundin besucht haben, die
wir längere Zeit nicht gesehen hatten. Außerdem kannten wir die Tate
Modern wie auch den Umbau des British Museums noch nicht, was wir
bei der Gelegenheit ändern wollten.
Es fing auch vielversprechend unweihnachtlich an, als ich schon in der
U-Bahn vom Flughafen in die Innenstadt beklaut wurde. Zwei nette, ordentlich gewaschen und gekämmte Jungs haben sich neben mich gesetzt
und mir ungefragt Urlaubsfotos aus Israel gezeigt, was ich durchaus nett
fand, aber danach war der kostenlose U-Bahnplan, den es auf dem Flughafen gibt, weg.
Mehr war nicht passiert, da ich in offenen Seitentaschen von Windjacken keine wichtigen Dinge wie Geld, Ausweis und Zigaretten zu transportieren pflege. Ich trage mein Geld, Geldbörsenfabrikanten weggelesen, sowieso Zeit meines Lebens immer lose in der Hosentasche herum
und noch nie kam dabei etwas davon abhanden, außer für Einkäufe natürlich.
„Warum hast Du das nicht gleich gesagt“ zu provozieren, worauf ich
wiederum geantwortet hätte, dass es ja nicht zu ahnen gewesen sei, dass
diese Sondereinlagen hin und von christmas partys obligatorisch seien,
und die Weihnachtsstimmung wäre unwiederbringlich im Eimer gewesen.
Die christmas partys waren im übrigen nicht so richtig Partys, wo der
Bär abging, sondern eher gemütlich, und ich habe dabei gelernt, dass
sich in England wohnende Leute sehr wohl fühlen, wenn es gemütlich
ist. Gemütlich ist es, wenn das bekannte englische Reihenhaus vollgestopft ist mit Krimskrams bis oben hin, das Aufräumen über längeren
Zeitraum vermieden wurde, wenn das Kaminfeuer brennt, als Heizmaterial eignen sich Holz, Kohlen, gebrauchte Windeln etc, und wenn die
Besucher ausreichend Alkohol mitbringen. Ich kann das nachvollziehen
und fand es ebenfalls immer sehr gemütlich und irgendwie auch sehr traditionell britisch, wenngleich man in England immer nur England oder
bestenfalls Britain sagen darf, keineswegs aber Great Britain, so wie
wir ganz selbstverständlich Großbritannien sagen. Nur der Wein ging
ein bisschen ins Geld, weil in England alles unglaublich teuer ist, ein
Euro ist gleich ein Pfund, ein Pfund kostete 2005 bei der Bank aber 1
Euro 55 Cent. Auf neudeutsch sagt man, das Preisleistungsverhältnis
sei lausig. Auch das Essen im Cafe war immer recht kostspielig und
bestand hauptsächlich aus Matschekartoffeln mit verschiedenen Sachen
drin reingematscht.
Am 27. waren wir dann endlich in der tate modern (von Herzog und
DeMeuron). Ich fand, dass die große Geste des abgesenkten Eingangs
durch einen albernen Zwischenboden und die Abtrennung der Halle im
Untergeschoß vom eigentlichen Museum doch ziemlich auf halbem
Wege wieder in Frage gestellt worden sei, aber im Verlauf der nächsten
Tage lernte ich, dass jedwegliche Kritik an der tate modern, die im übrigen abseits der zu zaghaften großen Geste so schlecht nicht ist, nicht so
gut ankommt. Möglicherweise verstanden auch nicht alle die Redewendung ‚The moundain breeded und bore a mouse’. Danach sind wir ins
British Museum gefahren, wo Norman Forster den Innenhof überdacht
hat, in dem nun die Erlebnisgastronomie untergebracht ist. Die Überdachung sitzt auf einer um die schöne alte Bibliothek gebauten Rotunde,
an der beidseitig wieder mit großer Geste breite Aufgänge angebracht
sind, die aber nur in ein weiteres Erlebniscafé führen. Da hatten wir
von unausgegorenen großen Gesten wichtigtuerischer Architekten genug, zumal wir danach wieder auf eine christmas party gehen mussten,
wo ebenfalls ein paar Leute rumsaßen und tranken. Die Leute waren
diesmal vom Film und hatten daher keine Kinder und auch keinen Hund.
Dann sind wir wieder nach Hause gefahren und ich kann mich nicht
erinnern, jemals so intensiv Weihnachten gefeiert zu haben.
Es war dann auch wirklich sehr nett in London. Gleich bei der Ankunft
lagen schon in Weihnachtspapier eingewickelte Päckchen für uns bereit, die ebenso wie die Gastgeschenke schnell aufgemacht wurden,
denn dann sind wir mit Umweg über mehrere Weinläden sofort zu einer
christmas party gefahren, wo sich 2 Freundinnen der Freundin und ein
brasilianischer Mitbewohner befanden. Alle waren schon hackedicht,
und ich habe Weinbrand zu trinken bekommen, warum, war mir nicht
klar, vielleicht wegen des höheren Alkoholgehalts, ich habe jedenfalls
tapfer mitzuhalten versucht, es aber nicht geschafft, den selben dichten
Zustand zu erreichen, weil die anderen rasch die mitgebrachten Weinflaschen geleert haben und noch hackedichter wurden als bei unserer
Ankunft.
Am 25. Dezember waren die Museen leider geschlossen und die U Bahnen ebenso, daher veranstalteten wir eine christmas party zu Hause, zu
der sich auch ein blinder Hund einfand, der immer gegen alle möglichen
Hindernisse rannte. Der Besitzer sagte aber, das wäre ganz normal, seine
Schnauze wäre eben der Blindenstock. Am 26. gingen die U Bahnen
dann wieder, aber die Museen waren immer noch zu und so wir sind zu
einer weiteren christmas party gefahren. Dort waren 3 Paare mit vielen
Kindern. Auf dem Weg von und zu den christmas partys sind wir immer weite Umwege gefahren, weil mir die Freundin unbedingt noch was
typisch weihnachtliches zeigen wollte, was sich aber immer als eines
der bekannten englischen Reihenhäuser herausstellte, das über und über
mit beleuchtetem Weihnachtsschmuck behangen war, der ziemlich geschmacklos war und die Klimakatastrophe begünstigt. Beim ersten Haus
habe ich leider aus Taktgefühl versäumt zu sagen, das ich es ziemlich
ätzend finde, und später ging es natürlich nicht mehr, ohne den Anwurf
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chen mit Schublade mehr. Mit der Schublade ist auch die darin befindliche Bibel verschwunden, was den Verdacht nährt, die Bibel habe nur
zur Nachtkästchenschubladenfüllung gedient.
Im Hotel
Sicherlich mag es seltsame Zeitgenossen geben, denen es völlig egal ist,
wo sie während ihres Urlaubs ihr Haupt betten, die ausschließlich auf
die Körnung des Sandes oder die Anzahl von Kunstobjekten in den umliegenden Museen schauen, und die bestenfalls noch Wert darauf legen,
dass es sich um ein nach Tensiden und Aromastoffen duftendes Kopfkissen handelt, damit klargestellt ist, dass die Bettwäsche vom Vorschläfer
nicht einfach aufgebügelt wurde.
Nun wird ein zufällig hinter dem Erzähler stehendes Mütterchen einwenden, dass Bettwäsche sehr wohl auch ohne Aromastoffe in den
Waschmitteln duftet, wenn sie an der Sonne getrocknet wurde, aber wie
soll man dieser dann erklären, dass Hotelwäscher ihre Bettwäsche schon
seit geraumer Zeit nicht mehr an der frischen Luft trocknen und sie fragen, wann sie das letzte Mal Wäscheleinen voller Bettwäsche gesehen
habe, vermutlich 1961.
Diese Geringschätzung der Behausung woanders ist umso unverständlicher, als daheim die Doppelhaushälften mit Walmdach, Erker und kupfernen Dachrinnen aus dem Boden sprießen wie vorab an gleicher Stelle
die Trollblumen und die Margeriten, und dann soll plötzlich das alles
unwichtig sein? Das kann eigentlich nicht sein, und das ist auch nicht so,
ganz im Gegenteil, die Wahl der Unterkunft kann für das Gelingen einer
Reise von großer Bedeutung sein.
Wer nun aber meint, sich anhand von Fotos im Internet, die ausschließlich Betten oder Fassaden zeigen, ein Hotel aussuchen zu können, darf
sich nicht wundern, wenn er ankommt und selbst neue Livebilder machen muss, von Lichtschächten, auf die das Fenster seines Zimmers
geht, von verwaisten Receptionen, von Tiefgaragenausfahrten. Und,
leider überhaupt nicht internetkompatibel, ist der vorhandene Geruch.
Oft schon habe ich ein Hotel mit hübsch berankter Fassade wieder rückwärts verlassen, weil es hinter der berankten Fassade streng gerochen
hat. Nur einmal habe ich doch ganz bewusst ein Hotel mit dem intensiven Geruch von vier Lagen altem Teppichboden nicht wieder verlassen, im Hotel Two Bridges im Bodmin Mor, einem Tochtermoor von
Dartmor. Da gehörte der Geruch irgendwie zur Folklore. Über einem
ähnlich riechenden Sofa im Salon hing ein riesiges Portrait in Öl des
jungen Prinz Charles.
In einem Gasthof in Waldkirchen hatte die Dame im Zimmer nebenan
in einer Nacht fünf Orgasmen. Ich schaute währenddessen Fernsehen,
da an Schlaf nicht zu denken war, der Gasthof war alt und die Wände
dünn. Leider kommt spät nachts im Fernsehen aber kein Premium Programm, sondern nur Wiederholungen von Richterin Salisch und öder
Talk Shows, anstatt dass die Programmdirektion für aufrecht im Bett sitzende Hotelgäste wenigstens Fußball sendet. So aber hörte ich hin, nach
jedem der Orgasmen in der Hoffnung, jetzt hoffentlich endlich müde,
bereits nach dem 3. Orgasmus grübelnd, ob die unbekannte Dame ihrem
Partner die Orgasmen vielleicht doch nur vorgespielt.
Damit will ich aber keineswegs in ein langweiliges Hotelschlechtmachen verfallen, eher in ein ebenso langweiliges Fernsehenschlechtmachen. Hotels sind und bleiben die einzig adäquate Unterkunft, wenn man
mal woanders ist. Wer mitunter schon auf der Ausziehcouch bei Freunden im Wohnzimmer nicht schlafen konnte oder gar in zugigen Zelten
feststellen muss, dass Verwahrlosung keineswegs erholsam ist, der wird
niemals etwas anderes sagen oder auch nur denken.
Am schönsten ist es in einem Hotel ganz ohne Sternekategorie. So ein
Hotel ist meistens ganz individuell und liebevoll vom Hotelbesitzer
selbst geführt und gestaltet, meistens einem, wie man so schön euphemistisch sagt, Quereinsteiger, also einem, der nichts Gescheites gelernt
hat, in seinem Beruf nichts geworden ist, dem Investorenwechsel mit
anschließender Entlassung der halben Belegschaft zum Opfer gefallen
ist oder sonst irgendwie zum Hotel gekommen ist wie nur eine Jungfrau
zum Kind. Es gibt hier nicht selten keinen ‚Farbfernseher mit Fernbedienung’ wie auch keinen ‚Wagenservice’, keine ‚Minibar’, keinen ‚abendlichen Turndownservice’ und auch keine ‚Mystery Men Checks’. Und
obwohl es sonst oft vorkommt, dass einem Unprofessionalität gehörig
auf den Wecker geht, bei uninspiriertem unterbezahltem Hotelpersonal
in Hotelketten zum Beispiel, so ist doch Privathotelbetreibern meist rührend dabei zuzuschauen, wie sie sich bemühen, und am Schluss wird das
Geld zwar auch gerne genommen, schließlich müssen auch nichtprofessionelle Hotelbetreiber von was leben, aber es ist ihnen immer auch ein
kleines bisschen peinlich.
Bei Ein- oder Zwei Sterne Hotels sind die Zimmer oft zu klein, ‚Farbfernseher mit Fernbedienung’ hin oder her. 3 – 4 Sterne gehen zur Not,
wenn sie nicht a) verbilligte Firmenarrangements anbieten, wo dann
mittlere Angestellte auf Teambildungsseminaren nachts mangels Benehmen auf dem Flur rumbrüllen, da nützt auch der ‚systematische
Umgang mit Gästebeschwerden’ nichts, und b) einen der Monitor mit
falsch geschriebenem Namen begrüßt, kaum dass man es geschafft hat,
die Zimmertüre mittels einer billig anmutenden Plastikkarte zu öffnen.
5 Sterne sind oft rentneresk und höllisch teuer, da man ja den ‚abendlichen Turndownservice’ und die ‚Mystery Men Checks’ mit bezahlen
muss.
Die zitierten Begriffe sind alle aus dem Kriterienkatalog der Deutschen
Hotelklassifizierung, keine Ahnung, was sie bedeuten.
Wenig hilfreich ist es also, auf die Hotelklassifizierung zu schauen.
So ein Hotelzimmerranking, das die Sternenanzahl an Teppichboden,
Fernsehkanälen und Obstkorb bemisst, kann man vergessen, noch bevor
man es gelesen hat. Was nützen einem außerdem noch so viele Sterne,
wenn, wie leider üblich, etwas Wichtiges fehlt, ein funktionierender
Tisch nämlich, an dem geschrieben werden kann, gelesen, ich lese am
Tisch und nicht im Bett, die Notizen in den Laptop übetragen werden,
ich übertrage keine Notizen auf dem Bett sitzend mit Laptop auf den
Knien, und an dem auch mal was Mitgebrachtes gegessen werden kann,
um verdächtige Restaurants meiden zu können. Kein Ersatz für einen
Tisch, der diesen Namen verdient, ist so eine waagerechte Ablage, die
so tut, als wäre sie ein Tisch, die aber nur zur Ablage schmieriger, abgegriffener Hotelinformationskartons dient, auf denen nie das steht, was
man sucht.
Oft gibt es in neu ausgestatteten Hotelzimmern auch keine Nachtkäst-
Weit verbreitet unter Reisenden ist die Angst, womöglich überhaupt
kein Hotelzimmer mehr zu finden. Dies führt zu aufwändigen Reservierungsorgien bereits Monate vor der Abreise, nur um dann vor Ort festzustellen, das zwar der Internetauftritt des gebuchten Hotels 1a war, die
betrunkenen Rentnerinnen, die bereits Mittags am Pool zur Lautsprecheranlage deutsche Schlager mitsingen, auf der Homepage aber nicht
so präsent waren, während das kleine Hotel zwei Blocks weiter mit dem
hübschen Innenhof bei der Recherche zu Hause irgendwie übersehen
worden war. Daher der beruhigende Hinweis:
Mir selber ist es trotz Niemalsvorbuchung mir unbekannter Schlafstellen erst zwei Mal passiert, dass ich wegen mehrfacher Überfüllung eine
Nacht in einem schrecklichen Hotel meiner Nichtwahl schlafen musste,
einmal in Venedig und einmal in der Südsteiermark.
Dies gilt natürlich alles nicht für bekannte und bewährte Unterkünfte, da
ist das Vorbuchen genehmigt.
Im Hotelzimmer ziehe ich als erstes immer den Stecker der Minibar.
Nie würde ich einsam auf der Bettkante sitzend maßlos überteuerten
Alkohol trinken, für die einsame Einnahme teurer Alkoholika gibt es
schließlich Hotelbars. Außerdem möchte ich nicht im selben Zimmer
schlafen wie ein in Intervallen brummender, vibrierender, summender,
röhrender Kühlschrank.
Bin ich länger als zwei Wochen unterwegs, muss ich mir dann einen
Koffer kaufen für die ganzen Schampons, Duschgels, Badehauben,
Zahnbürsten, Schuhputzschwämme, die in den Hotelbadezimmern rumliegen. Ich nehme immer alle mit für mein Gästebad zu Hause, wo die
Schampons, Duschgels, Badehauben, Zahnbürsten, Schuhputzschwämme auch benutzt werden oder, den Verdacht hege ich, ebenfalls mitgenommen werden, um in anderen Gästebädern angeboten zu werden. Sie
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werden jedenfalls regelmäßig immer weniger und müssen daher auch
unablässig wieder aufgefüllt werden.
rückgreifen, die gelegentlich so anonym auch nicht sind, wie sie sich
gerne geben. In Wien war ich doch sehr überrascht, dass der Nachtportier eines großen Hotels, das durchaus gut belegt war, mich beim Zurückkommen mit Namen begrüßte und mir bereits an der Hoteltüre ungefragt
meinen Schlüssel übergab. Ich grübelte eine Weile, ob dies vielleicht
ein persönlicher Service besserer Hotels für besonders wichtige Gäste
sei. Es stellte sich jedoch heraus, dass ich nur der letzte heimkehrende
Gast war.
Natürlich kommt es immer wieder mal vor auf Reisen, dass es dann
doch nicht so einfach ist, gleich eine passende Unterkunft zu finden.
Man kann oft wählen zwischen gehobenen Mittelklassehotels in unansehnlichen Dörfern, normalen Hotels in dritteltoten Dörfern, gehobene
Hotels in den Städten und Landschaften mit rentnereskem Publikum
und überteuerten Stadthotels in den Großstädten, letztere entweder mit
Fenster zum stickigen Lüftungsschacht oder zur Megaeventmeile. Und
dann gibt es noch die Pensionen in hübschen Dörfern, wo die Reception
gleichzeitig die Bar ist, wogegen überhaupt nichts einzuwenden wäre,
wenn in solchen nicht stets ein riesiger Plasmafernseher mit einem Meter fünfzig Bilddiagonale stehen würde, der Unfug sendet. In Spanien
ist das ausschließlich Stierkampf. Ich kann Stierkampf nicht ausstehen,
da braucht mir auch niemand mit Folklore oder ähnlichem Quatsch zu
kommen. Was so toll daran sein soll, wenn ein aufgeblasener Fatzke mit
Hasenpfote in der Hose ein Tier malträtiert, ist mir ganz und gar nicht
einsichtig. Gut, was toll daran ist, wenn 20 junge Männer und gelegentlich auch junge Frauen und Kinder einem Ball hinterherrennen, um diesen mit dem Fuß oder dem Kopf, die Arme zu benutzen ist strengstens
verboten, in mal dieses mal jenes, von je einem Torwächter bewachtes
Tor zu schießen, könnte ich jetzt auch nicht auf Anhieb erklären, trotzdem schaue ich das Spektakel immer wieder gerne an. Der Unterschied
zwischen den beiden Alltagsentfliehveranstaltungen ist nämlich, dass in
einem Fall ein Ball, in dem anderen Fall ein Tier gequält wird. Und mangelnden Respekt gegenüber Lebewesen zu zeigen finde ich von vorne
herein verwerflich, sei es vom Geflügelmäster oder vom Torrero. Mit
Stieren Schabernack zu treiben und sie die Straße entlangzujagen lass
ich mir noch eingehen, Stiere sind schließlich keine Prinzessinnen, aber
sie zuerst anpieken, bis sie vor Schmerz ganz verrückt werden, und sie
anschließend genüsslich abstechen ist einfach nur große Scheiße.
Dass der Mensch meint, keinerlei Respekt anderen Lebewesen gegenüber zeigen zu müssen, in der untrüglichen und von Gott gegebenen Gewissheit, er schließlich sei die Krone der Schöpfung, und er mit ihr folglich umspringen könne wie es ihm gefällt, ist doch recht zum Kotzen.
Dabei darf man allerdings nicht der Legende aufsitzen, „Wer keinen
Respekt vor der Natur hat, der hat auch keinen vor den Menschen“. Ein
Generalrespekt vor Wölfen und Vergissmeinnicht bedeutet noch lange
keinen vor ‚der Menschheit’. Ich selber respektiere ausschließlich einzelne Menschen und Menschengruppen, persönlich bekannte wie auch
solche aus Funk Film und Fernsehen. Die Menschheit dagegen kann
mich mal. Ich halte es da eher mit der großen Alexandra David Neel,
von der kolportiert wird, dass sie einerseits recht unwirsch und ungehalten gewesen sei, anderseits ihr jeder Grashalm leid getan hat, den sie
beim Drüberlaufen plattgedrückt hat.
Dann muss man eben auf charakterlose sogenannte Businesshotels zu-
Einige weitere außergewöhnliche Hotels:
Kanar. Inseln – Hierro - Hotel Balneario
Ein schönes Heilbad am Fuß der Klippe in Sabinosa
USA - Los Angeles - Magic Hotel
Ein Apartmenthotel am Rande von Hollywood west bereits ein bisschen
am Hügel
USA – Junktion - Opera House
Eine Oper mitten in den Wastelands nahe Death Valley mit angeschlossenem kleinem Motel
Madagascar – Marovoy - Hotel de France
Kolonialhotel, ohne jeden Komfort, wie im Kino
Schweiz - Kleine Scheidegg - Bellevue des Alpes
auf der Kleinen Scheidegg
Näheres unter Reisebericht Schweiz
Syrien - Palmyra - Hotel Ruines
Näheres unter Reisebericht Syrien
King Arthur’s Hotel – Tintagel - Sussex England
ein uralter riesiger viereckiger Würfel auf der Kuppe eines Grashügels
am wilden Meer der Nordküste von Cornwall,
in dem seinerzeit wohl King Arthur selbst noch abgestiegen ist.
Ich war der jüngste Gast, was mir nicht mehr oft passiert, außer mir gab
es noch ein Rechtsanwaltsehepaar aus München, Mitte / Ende 50, der
Rest waren Amerikaner ab 80.
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Leben im Grand Hotel
Vorab:
Vielleicht gehört ja auch die Anreise bereits zum Aufenthalt im Bellevue
des Alpes, auch wenn das Ereignis nicht damit zusammenhängt, und
auch nie wieder stattgefunden hat, jedenfalls habe ich es nicht mehr erlebt, weder im Zusammenhang mit der Kleinen Scheidegg noch sonst
wann. Während der Anreise war das Rheintal, wenngleich eigentlich
schneebedeckt, braun, ein mildes Sepiabraun, wie auf alten Postkarten.
Ein Sandsturm aus der Sahara, oder genauer eine Sandwolke, die recht
langsam das weite Tal hinabzieht, wirft dämmeriges Licht, zwingt am
Vormittag die Scheinwerfer einzuschalten. Weiter westlich auf dem Weg
nach Lauterbrunnen geht der Sandsturm dann allmählich in einen Föhnsturm über.
den großen Hotelfilmen. Von L’Avventura von Antonioni, von Tod in Venedig von Visconti, von Pretty Woman von keine Ahnung wem, von Lost in Translation von Coppala der Tochter. Nur weil in der Literatur bereits millionenfach das Leben im Hotel als Metapher beschrieben wurde, oder weil das Bild, das jeder vom Leben in Hotels mit sich trägt, geprägt ist von den großen Hotelfilmen, so ist das noch lange kein Grund, die eigenen ganz realen Erlebnisse klein zu reden. Diese Fremdheit im eigenen Leben, die das große Hotelgefühl ausmacht, kann ganz verschieden sein, es ist aber immer auch irgendwie eine Inszenierung mit einem selbst in einer tragenden Rolle. Ohne sich als Zuschauer und Akteur zugleich zu verstehen, braucht man nicht in ein Grand Hotel zu ziehen, sondern ist besser aufgehoben in einem Chalet für Selbstversorger, in der zum Ausgleich abends gruppendynamische Spiele stattfinden, oder im Hotel Atlantic in Interlaaken, besonders als Gruppe aus den USA und Japan oder im ClubMed für die gesamte Mittelklasse mit Vollpension, wo es gutes Essen, nette Atmosphäre, Animation und überhaupt eine bemerkenswerte Infrastruktur gibt.
Im Hotel Bellevue des Alpes hingegen, als Grandhotel 1850 erbaut mitten auf der Kleinen Scheidegg auf 2070 Meter Höhe, das in vielem nicht mehr dem Standard moderner Luxushotels entspricht (Nachkriegsnasszellen!), dem noch immer moderner Brandschutz fehlt, und das noch teilweise völlig unrenoviert ist, die Möbel sind alt, jedoch keine Antiquitäten, einfache Möbel aus 100 Jahren erzählen davon, dass es auch schon vor der Ära der Hotelausstatter und Möbelhäuser Zeiten gegeben haben muss, in denen nicht so schöne Möbel hergestellt worden sind, allerdings damals noch in ordentlicher Qualität,
findet morgens mittags und abends Theater statt. Es wird Grandhotel gespielt.
Die Bühne ist der Orginalschauplatz von 1850 mit verschiedenen Szenen: Der Salon, der Wintergarten, das Entree mit offenem Kamin, der Speisesaal, die Hotelbar, der Flur, das Hotelzimmer.
Darsteller sind holländische, englische, schweizer Beatniks, junge Schauspieler, die das Personal geben. Zwei ältere Beatniks spielen das Hotelbesitzerpaar.
Die Zuschauer werden als internationale Hotelgäste in die Handlung mit einbezogen. Manche spielen richtig mit und tragen beim Abendessen eine Fliege. Das Stück zitiert das Leben im Grandhotel überzeugend.
Wenn nicht gerade ein Föhnsturm im Jungfrauenmassiv weht, fährt
eine Zahnradbahn von Lauterbrunnen über die autofreien Orte Wengen,
Allmend und die Scheidegger Alpe bis nach Grindelwald und wieder
zurück. Wenn aber der Föhnsturm weht, fährt die Zahnradbahn nur von
Lauterbrunnen bis Allmend und kehrt dann wieder um.
Diejenigen, die bereits in den Chalets und Hotels auf der Kleinen Scheidegg Zimmer gebucht haben, sagen dann dem Schaffner, dass sie bereits
Zimmer gebucht hätten und unbedingt auf die Kleine Scheidegg gelangen müssen. Der Schaffner verweist sie auf eine Gruppe von Touristen,
die am Rand des Bahnsteigs von Allmend stehen und die ebenfalls
Zimmer auf der Kleinen Scheidegg gebucht haben. Und die ebenfalls
äußerst beunruhigt dreinschauen, weil sie befürchten, dass die Zimmer
auch dann zu bezahlen sind, wenn der Gast auf Grund höherer Gewalt
gar nicht erscheint.
Der Schaffner sagt: „Die Schleuder wird in Kürze erwartet.“
Jetzt sind die bereits wartenden Touristen auch noch besorgt, dass sich
die Neuankömmlinge eventuell vordrängen könnten.
Nach einer Weile kommt dann eine Lokomotive mit Schneefräse vorne dran, die hier also ‚Die Schleuder’ heißt, und diejenigen, die zuerst da waren, steigen in die Führerkabine ein und fahren davon, und
der Schneefräsenzugführer sagt den Zurückgebliebenen vorher noch,
dass er in etwa einer Stunde wieder zurück ist und noch einmal fahren
wird. Dies alles läuft sehr gesittet ab und alle sind nun beruhigt, nur
die Schleuder macht seltsame Geräusche während der Fahrt, irgendwo
im Inneren des Bauches der Schleuder zischt Luft aus einer Hydraulik
und ertönen Jaulgeräusche beim Anfahren, und die Zahnräder rasseln
während der Fahrt.
Nach etwa eineinhalb Stunden, es sind inzwischen wieder etliche neue
Kleine - Scheidegg - Touristen eingetroffen, kommt ‚Die Schleuder’
wieder und wieder steigen Touristen in die Zugführerkabine. Diesmal
läuft es aus völlig unerfindlichen Gründen nicht mehr gesittet ab, sondern die zuletzt gekommenen drängen zuerst hinein, die zuerst gekommenen wollen aber nicht nochmals eineinhalb Stunden oder gar bis zum
nächsten Tag warten, und so drängen sich dann 30 Leute mit Gepäck und
Ski in der kleinen Kabine, und der Zugführer wird dabei zerquetscht.
Am nächsten Tag ist an Schifahren nicht zu denken, die Lifte stehen, eine Schar Dohlen, vielleicht 50 oder 60 Vögel, tanzen im Wind, bilden eine amorphe Form wie ein Heringsschwarm, der Schwarm entfernt sich, nähert sich, fliegt ganz nah am Fenster vorbei, entfernt sich wieder und ist ganz verschwunden, ohne erkennbaren Grund, in menschlichen Kategorien gedacht, und andere stehen nicht zur Verfügung, aus reiner Freude am Spiel, just vor fun. Nach ein paar Minuten sitzen sie plötzlich wieder wie vorher in kleinen Gruppen an den windgeschützten Seiten des Hotels und des Bahnhofs, auf Fassadenvorsprüngen und Balkons, als hätte es diesen Ausbruch nie gegeben.
Am Nachmittag reißen dann die Wolken auf und die Sonne scheint noch schnell, kurz bevor sie untergeht, genau auf einen der schneefreien blauen Gletscher und am nächsten Tag ist es windstill und strahlender Sonnenschein.
Wenn ‚Die Schleuder’ dann am Bahnhof Kleine Scheidegg einfährt, ist
es bereits dunkel. Alle anderen sind unterwegs nach und nach ausgestiegen, ich bin jetzt der einzige Passagier. Zum Hotel Bellevue des Alpes
sind es vom Bahnhof aus noch etwa 100 Meter, und das Gefühl, fremd
und allein im Schneesturm in der Nacht, die Schneeflocken stechen wie
Stecknadeln im Gesicht, mit dem Koffer in der einen Hand und den Ski
in der anderen, inmitten düsterer Viertausender, gebeugt sich zu dem
hell beleuchteten Hotelkasten aus dem 19. Jahrhundert durchzukämpfen
und dann durch eine messingbeschlagene Türe in ein Grand Hotel zu
treten, mit loderndem Kaminfeuer und weichen Sesseln, in denen Zeitung lesende Reisende sitzen, dieses Gefühl ist einfach überwältigend.
In einem Chalet ist es billiger, im Hotel Atlantic in Interlaken luxuriöser, im ClubMed wird mehr geboten. Der Aufenthalt im Bellevue des Alpes aber ist erfüllter. Und nicht die billige Reise, der internationale Standard, die gute Infrastruktur, sondern die erfüllte Reise macht glücklich.
Das Bild, das jeder vom Leben in Hotels mit sich trägt, ist geprägt von
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(Hinweis: Der vorbeugende Brandschutz (sic) wurde mittlerweile wesentlich verbessert, sogar dunkelrot gestrichene Nischen mit Löschwasseranschlüssen gibt es in jedem Stockwerk, was wieder einmal den
Zeitgenossen Vorschub geleistet hat, die meinen, mit flotten Sprüchen
durchs Leben gehen zu können, No Risk No Fun.
Weil es aber nichts umsonst gibt, geht die Sicherheit auf Kosten der
Authentizität des Hauses und auf Kosten der Kosten der Übernachtung.
Auch sonst wurde punktuell renoviert. Jede der noch vorhandenen Risse
in der Tapete, jede verdächtige Absenkung des Fußbodens oder der unter
dem Teppich hervorlugende Stragula sind dann umso mehr ein Grund
der Wiedersehensfreude.)
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Besser als im Neubauviertel ist es aber, Schwager hin oder her, im Zenobia Hotel. Das Zenobia Hotel wurde vor unbestimmter Zeit direkt am
Rande des Ruinenfeldes gebaut, auf jeden Fall noch vor der Zeit des
Französischen Protektorates, also vor 1918, als das von Scheich Faisal
und TE Lawrence von den Türken befreite Arabien zwischen England
und Frankreich aufgeteilt wurde, und hat unzweifelhaft den Flair des
Ortes, auch wenn Agatha Christie, wie auch aus all den anderen Hotels, in die man im nahen Osten so kommt, längst ausgezogen war, ja
nicht einmal ein einsamer älterer Portugiese auf der Terrasse sitzt, nur
der schwefelige Geruch des palmyratypischen Wassers ist noch da wie
immer. Genau genommen sitzt überhaupt niemand auf der Terrasse und
auch sonst nirgendwo, denn ich bin wieder einmal der einzige Gast.
Francois de Volney hat in seinem Reisebericht Voyage en Egypte et en
Syrie einen exemplarischen Zusammenhang zwischen Reise, Ruine und
Geschichte dargestellt; Das Bild der Ruine ist körperlich und sinnlich
erfahrbare Geschichte, Bild und Reflexion werden etwas Zusammengehörendes, indem der Reflexion eine Gemütsbewegung voraus geht.
Man stelle sich das so vor, dass er in den Ruinen von Palmyra sitzt und
bei diesem Anblick zerstörter Bauwerke in höchster Erregung über den
Verfall von Kultur und die Erkenntnis der Vernunft reflektiert.
Ich komme aber leider wie immer und überall zu spät, der idealtypische
Orientreisende sitzt nicht mehr sinnend auf den Ruinen,
aufgeklärt und romantisch,
er kommt vielmehr in Gruppen mit dem Reisebus an,
er wehrt einige Souvenirverkäufer ab,
will auch nicht auf dem Kamel reiten und dabei Gefahr laufen, Ringund Mittelfinger abgebissen zu bekommen,
auf der Schnellstraße, die durch die Ruinen führt, wird er fast überfahren,
es ist ihm eigentlich viel zu heiß.
Früher, früher war das Hotel Zenobia erfüllt von den Diskussionen
der Reisenden, die Berge zedernbestanden, die Quellen sprudelten unerschöpflich, und wo sich jetzt die ziemlich hässliche Ansiedlung aus
grauen Häusern immer weiter in die Wüste frisst, standen bunte Beduinenzelte. Durch die Wüste, die früher Steppe war, jagten Wölfe, Bären,
Tiger, Löwen, riesige Antilopenherden. Früher.
Man mag jetzt natürlich einwenden, früher hätten die Leute Veilchenpastillen essen müssen, weil sie wegen fauler Zähne Mundgeruch gehabt
hätten, aber das lasse ich nicht gelten. Auch nicht, dass es früher keine
klimatisierten Kleinbusse gab, weil klimatisierte Kleinbusse bekanntlich die ganze Reise verderben, weil die Fenster klimatisierter Kleinbusse auch nichts anderes sind wie Bildschirme von großen Fernsehern.
In Palmyra gewinnen die Kopftücher 10:0
Allein unter
Islamisten
Im Fernsehen hat mal einer gesagt, es würde sich keineswegs um einen
clash of cultures handeln, sondern vielmehr um einen clash with culture.
Das war ein Kabarettist aus Österreich und er meinte das Zusammentreffen zwischen Österreichern und Deutschen, und das Studiopublikum hat
sehr lachen müssen. Nun wird gelegentlich auch das Zusammentreffen
der islamischen Gesellschaft mit der christlich-jüdischen Gesellschaft
(über die hinduistisch-buddhistische Gesellschaft ist mir in diesem Zusammenhang nichts bekannt) so bezeichnet, und das ist dann nicht mehr
so lustig, leider dafür aber ziemlich genau getroffen. Niemand sagt nämlich ‚Aha, die Wiege der Menschheit, Mesopotamien’, oder, ‚war nicht
Damaskus zeitweise die Hauptstadt des Umayyadenreiches, das in der
ersten Hälfte des 2. Jahrtausends vom Atlantik bis nach China reichte
und maßgeblich die Kultur des Abendlandes bestimmte’, oder ‚verlief
nicht die Seidenstraße durch Palmyra,’ oder, ‚war Zenobia wirklich so
schön’, wenn man erzählt, man war in Syrien, da könnte ich auf Letzteres beispielsweise antworten, ‚keine Ahnung, aber im Zweifel für die
idealisierte Erinnerung’. Aber nichts dergleichen kommt, und auch sonst
sind keinerlei romantisierenden Seufzer zu hören.
Nein, üblicherweise kommt wie aus der Pistole geschossen, wenn diese
etwas unpassende Metapher erlaubt sei, nur ‚Diktatur, Entführung, Terrorismus, Kameltreiber, Islamisten’, und dann fügen sie noch hinzu, ‚sie
hätten sich solche Sorgen gemacht’, die Idioten.
In Wirklichkeit gibt es kaum ein Land, in dem sich der Reisende sicherer
fühlen kann. In einem großen und gut besuchten Gasthaus in der Altstadt
von Damaskus nehme ich den Rucksack mit auf die Toilette, weil ich ihn
nicht alleine auf dem Stuhl lassen will, worauf mir der Wirt, oder war es
der Kellner, bedeutet, dass das nun wirklich nicht notwendig gewesen
wäre. Daraufhin unterlasse ich ohne Folgen solcherart peinliche Vorabverurteilungen der Syrer als potentielle Diebe.
Bei der Landesmeisterschaft der Kopftücher gegen die Frisuren steht es
anfangs noch 9:1 für die Kopftücher.
Nach einem Tag Damaskus fahre ich dann mit dem Linienbus nach
Palmyra. Die Omnibusfahrt ist entspannend und preisgünstig, lediglich
einmal, an einer Kreuzung, wo es nach Bagdad abgeht, da hätte ich mir
gewünscht, anhalten zu können und einen Kaffee zu trinken im einsam
in der Wüste rumstehenden Bagdad Café, das im Vorbeifahren so ausschaut wie das Bagdad Café in den 70er Jahren in Amarillo, wenn es
denn so eines je gegeben hat.
Der Omnibusfahrer hält am Ortseingang von Palmyra vor einem Hotel,
das offensichtlich dem Schwager gehört, der auch sofort zur Stelle ist
und mir seine Zimmer zeigt. Die Zimmer in dem Neubau sind durchaus in Ordnung, auch die Lage an der Einfallstraße direkt gegenüber
der Kamelrennbahn am Rande des Ruinengeländes wäre nicht schlecht,
der Preis ist günstig, nur der Vorgarten mit einem älteren Portugiesen
drin lässt zu wünschen übrig, und außerdem leider die völlige Abwesenheit von dem Flair des Ortes. Damit soll nichts gegen Schwager gesagt werden, es ist überhaupt nicht erwiesen, dass die Schwageradressen
schlechter sind als die im Lonely Planet aufgelisteten und damit objektivisierten Adressen, von denen ja auch niemand weiß, ob denen nicht
wiederum irgendwelche Schwager vorausgegangen sind oder sie auch
nur von einem anderen Reiseführer abgschrieben worden sind. Auch ist
es verwerflich, das Schwagertum abwertend mit minderer Zivilisation
zu belegen, ich war in München kürzlich innerhalb von nur einer Woche
auf einer Veranstaltung einer Frauenzeitung, die nur deshalb stattgefunden hat, weil damit der Bruder der Anzeigenchefin als Künstler promotet
werden sollte, und auf einem Promotionkonzert in einem kleinen Club,
bei dem der Schlagzeuger der Onkel (!) des Leiters eines Spartenkanals
für Rockmusik war.
Die Fahrt von Palmyra oder Tadmur, wie der Ort in Syrien genannt wird,
nach Aleppo ist auch die Geschichte, wie ich einmal fast eine Nacht im
Beduinenzelt unter dem Sternenhimmel verbracht hätte.
Die Wüste im Taxi auf einem geraden Asphaltband zu durchqueren ist
nicht so wüstig wie im Sand auf dem Kamel. Es gibt in einem Auto
durchaus auch Ansätze sinnlicher Erfahrung von Wüste: Erstens, dass
über der Wüste kein Wölkchen zu sehen ist, wie es sich gehört, und
zweitens die echte Fata Morgana, keine, bei der einfach durch Luftspiegelung ein Streifen Horizont in der Luft schwebt, sondern richtige Seen
in Bodensenken.
Aber alles nicht ganz befriedigend für archetypische Orientreisende.
Daher die Nacht in der Wüste
im Beduinenzelt,
über sich der Sternenhimmel, außerhalb vom Zelt.
Den Fahrer, jeder Syrienreisende hat spätestens 5 Minuten nach Ankunft in jeder syrischen Stadt einen Fahrer, nach 8 Stunden hätte er
dann die Auswahl unter mindestens fünfzehn, sagt, danach gefragt, ob
er einen ins Zenobia Desert Camp fahren könnte, ach was, da fahren
wir nach Aleppo, schauen unterwegs das verfallene Wüstenschloss und
die verfallene Wüstenstadt und die verfallene Wüstenzitadelle an und
übernachten zwischendurch in der Wüste. „Maffin mischkil“, sagt der
Fahrer noch, was angeblich ‚no problem’ heißt, ich kann es aber nicht
nachprüfen, vielleicht heißt es auch ‚Scheiß die Wand an’ oder ‚Dich
kriegen wir auch noch klein’. Jedenfalls deutet er nach dem Besuch
der – unglaublich beeindruckenden – halb im Sand versunkenen ver14
fallenen Wüstenstadt auf die Ausflugsgaststätte in Form einer gemauerten Schuhschachtel neben der halb im Sand versunkenen verfallenden
Wüstenstadt und sagt, hier würden wir also jetzt übernachten, und die
Bewohner der Schachtel seien schließlich Beduinen. Ich sagte ihm aber,
dass Beduinenzelt erwünscht wäre, und nicht Beduinenschachtel. Er
zuckt mit den Schultern, sagt „Maffin mischkil“ und fährt weiter. Wir
verlassen jetzt die Wüste und kommen in die Nähe des Euphrat, wo mit
dessen Wasser Getreide angebaut wird. Irgendwo in so einem Getreidefeld entdeckt er ein Zelt, vor dem ein paar Beduinen und ein paar Ziegen
stehen, aber die Beduinen meinen, sie hätten keinen Platz für Touristen,
das Zelt sei mit ihnen und den Ziegen schon voll. Der Fahrer zuckt wieder mit den Schultern, sagt nichts und wir fahren weiter zur verfallenen
Wüstenzitadelle. Die steht jetzt am Assad Stausee und Wüste ist da weit
und breit keine. Dafür gegenüber der verfallenen Wüstenzitadelle direkt
am Ufer schon wieder eine Ausflugsgaststätte, diesmal mit Terrasse, auf
der wir jetzt schlafen sollen, Betten würden gebracht. Statt der Betten
kommen aber Gäste und essen. Ich bin müde. Syrer, die zum Abendessen ausgehen, schlingen ihr Essen nicht einfach so runter, es dauert.
Dann gehen irgendwann die Gäste doch noch, aber die Betten kommen
trotzdem nicht. Der Fahrer schlägt vor, beim Ausflugsterrassenbetreiber
im Wohnzimmer zu übernachten. Wir fahren in das nächste Dorf und
übernachten also im Wohnzimmer. Keine Wüste, keine Beduinen, kein
Zelt, kein Sternenhimmel. Aber auch interessant, wer übernachtet schon
mal im Wohnzimmer einer syrischen Familie.
Das Wohnzimmer ist ein großer, sehr hoher, rechteckiger Raum mit einer Außentüre und 2 gegenüberliegenden Fenstern, beleuchtet mit 2 an
der Wand hängenden Neonlampen, der Boden vollständig ausgelegt mit
Teppichen, an der Wand entlang umlaufend Polster. Sonst nichts, außer
3 Vasen mit Plastikblumen auf den Fensterbrettern. Die Toilette ist in
einem Häuschen quer über den Hof. Im Hof sitzt ein großer Hund und
knurrt. Ich habe zum Glück aber noch eine leere Plastikwasserflasche.
Am nächsten Morgen fahren wir dann nach Aleppo.
Das Nationalmuseum in Aleppo führt dem Besucher aus Westeuropa
eindringlich vor Augen, dass es hier schon eine hoch entwickelte Zivilisation gab, als bei ihm zu Hause noch zottelige Germanen durch die
Wälder schlurften. Mit der Gegenwart allerdings gibt es sich bescheiden. Es gibt zwar eine Abteilung moderne Kunst, die ist aber geschlossen, und die sich, als der Wärter sie mir aufgeschlossen hatte, als wohl
schon viele Jahre geschlossen erweist, die letzten Exponate sind von
irgendwann in den 70er Jahren. Danach trinke ich mit dem Wärter, der
ein paar Stühle zwischen zwei Vitrinen gestellt hat, Tee und rauche eine
Zigarette, in Syrien darf man in Begleitung eines Wärters im Museum
rauchen, die Abendsonne scheint durch das geöffnete Fenster und ich
beschließe, Krak de Chevalier sausen zu lassen und lieber noch einen
Tag ans Meer zu fahren. Dann fallen dem Wächter die Augen zu. Syrer
schlafen gerne oft und viel, sie liegen zu Hause rum, wenn man mal
in eine Privatwohnung gebeten wird, in der Moschee und sogar in den
Hauseingängen und auf dem Gehsteig, freilich ohne erkennbar betrunken zu sein, sondern augenscheinlich nur müde. So wird das natürlich
nix mit dam Anschluss an den Wohlstand.
Beim Kopftuchwettbewerb in Aleppo muss differenziert werden. Tagsüber im Suq praktisch 10:0, abends in der Stadt eher 8:2. Im Christenviertel etwa 5:5, denn es ist gerade Freitag, da haben die muslimischen
Geschäfte zu und die Muslime sind im Christenviertel beim Einkaufen.
Frisuren, am Strand und im Meer jedoch 8:2 für die Kopftücher.
Flug zurück von Lattakia nach Damaskus. Fliegen ist entspannend und
preisgünstig, bis auf die nervtötenden Passkontrollen bei einem Inlandflug.
PS
Der Wettbewerb Hochschulprofessorinnen zwischen Deutschland und
Syrien endet übrigens 2:1 oder 3:1, je nach Zählweise. Für Syrien.
PS 2
Weil man in allen älteren Hotels des Nahen Ostens stets das Zimmer
zugewiesen bekommt, ,in dem schon Agatha Christie gewohnt hat’ hätte
der Aufsatz natürlich auch ‚In Bed With Agatha Christie’ heißen können, hat er aber nicht.
Eine Bitte noch zum Schluss:
In Deutschland gibt es, bei aller Kritik, anders als in Syrien Pressefreiheit, das heißt, wer will, kann im Staatsfernsehen und den seriöseren
Zeitungen sich ein Grundwissen über Syrien aneignen. Wer nun trotzdem sagt, über solch komplexe Zusammenhänge bin ich nicht ausreichend genug informiert, um etwas dazu sagen zu können, dem ist das
sein gutes Recht und macht ihn damit nicht unsympathisch. Wer aber
augenscheinlich keinen blassen Schimmer hat, der möge Syrienreisende
von automatisch abgerufenen dümmlichen bildzeitungestquen Stereotypen wie ‚Diktatur, Entführung, Terrorismus, Kameltreiber Islamisten’
verschonen.
Wer nämlich keine Ahnung hat, Freiheit und Demokratie zwar nicht näher erklären kann, sondern halt weiß, weil das alle wissen, dass nämlich
hier ja, dort nein, der, finde ich, muss auch gefälligst den Rand halten
und ehrfurchtsvoll dem bisschen Wissen lauschen, das der Syrienreisende vor während und nach der Reise sich so angeeignet und zusammenkonstruiert hat, sonst fällt er auf an den Haaren herbeigezogene reißerische Titel herein und hat zum Schaden auch noch den Spott.
Mit dem Zug fahre ich nach Lattakia. Zugfahren ist entspannend und
preisgünstig.
Klingt absurd, ist aber so, ein besonderes Erlebnis für den auf außergewöhnliche Bilder fixierten Reisenden aus Mittelauropa, das ist jetzt
natürlich fies, wenn nicht gar rassistisch, sind mit Kopftuch und voller Mantelbekleidung im Meer schwimmende Frauen. Aber es passiert
einem in Syrien öfters mal, dass man etwas verwirrt ist. Da die Bauchfreimode bei den jugendlichen Schlampen auch vor Syriens Grenzen
nicht Halt gemacht hat, kann man zum Beispiel, nicht oft, aber gelegentlich durchaus, auf der Straße oder öfters noch im Lokal, Wasserpfeifen
rauchend, selbige in Begleitung von Schwarzgewandeten mit Kopftuch
und manchmal auch Schleier sehen, was dem gängigen Islamistenbild
des Mitteleuropäers irgendwie zuwider läuft.
Auch in Lattakia muss differenziert werden: Uferpromenade 2:8 für die
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Ciao Bella (Hi Honey)
Für den Italienbesucher besteht Italien, das man wegen der Form das
Landes auch Den Stiefel nennen darf, während in Österreich die Bezeichnung Das Schnitzel nicht so gut rüberkommt, obwohl das Wiener Schnitzel der italienischen Schuhindustrie an Bedeutung kaum
nachsteht, aus 2 ganz verschiedenen Teilen: Dem Urlaubsort und dem
Weg dahin. Und der Weg dahin führt über die Autobahn. Norditalien
ist schließlich keine Bananenrepublik, auch wenn es sich gelegentlich
als solche gebiert, sondern ein hochentwickelter Wirtschaftsstandort,
der über mehr Wirtschaftskraft, was immer das heißen mag, verfügt als
Westdeutschland. Das riecht man natürlich, und die Leitplanken an den
Autobahnen sind daher auch mindestens 4-stöckig, so dass man kaum
die hübschen Hügelchen mit den kleinen alten Dörflein sieht, die wie
Inseln aus dem Meer der Scheußlichkeiten ragen. Alles, was jünger ist
als 1920 ist ausnehmend hässlich. Moderne Architektur findet in Italien
nicht statt. Nicht zufällig hat den Wettbewerb um die Rekonstruktion
des Berliner Stadtschlosses ein italienischer Architekt gewonnen. Es
gilt zudem generell eine generelle Generalamnestie für Schwarzbauten.
Wenn dann im Erdbebengebiet eine Schule zusammenfällt und 28 Kinder 4 Lehrer und den Hausmeister unter sich begräbt, und der Staatsanwalt eine Untersuchung startet, weil die Schule kürzlich aufgestockt
wurde, so ist das dann als kleiner Scherz am Rande zu lesen.
Ich lehne aber den Bau und Betrieb von Autobahnen doch nicht grundsätzlich ab, auch wenn ich mich auf der anderen Seite zu meiner Freundlichkeit zu Tieren bekenne, und als ein solcher großer Tierfreund auch
nicht davor zurückschrecke, nach wolkenbruchartigen Regenfällen auf
dem Asphalt gestrandete Regenwürmer zu retten. Warum bitte meinen
die Leute auch, gestrandete Wale seien durchaus so rettenswert, dass die
gesamte freiwillige Seefeuerwehr von Travemünde sich in Szene setzen
darf, gestrandete Regenwürmer seien aber nicht der Rede wert, weshalb
die Feuerwehren die Finger davon lassen, weil das nie im Fernsehen
gezeigt werden würde, wie gerade die Feuerwehr etwa von Koblenz
ausrückt, um auf dem Asphalt gestrandete Regenwürmer zu retten. Ich
wollte immer schon mal einen Feuerwehrmann oder eine Feuerwehrfrau, die es mittlerweile auch schon gibt, danach fragen. Es ist nun nicht
so, dass einem nicht angelegentlich solche begegnen, ich hatte bislang
nur immer Angst vor der Gegenfrage, wie das denn gehen solle, auszurücken, um gestrandete Regenwürmer zu retten, ohne diese dabei platt
zu fahren.
Während der öden und endlosen Fahrten auf den Autobahnen bekommt
der Besuch von Autobahnraststätten als Unterbrechung einer eintönigen
und nervigen Fahrt trotz jeweilig nur kurzer Verweildauer eine besondere Bedeutung, er wird quasi zum Halt im Leben. Plötzlich wird klar,
aus welchem Grund mittelalte geschiedene blondierte Bedienungen
von Raststätten und Schnellrestaurants in kulturellen Erzeugnissen aller Art gemessen an ihrem Gesamtanteil an der Bevölkerung so signifikant überrepräsentiert sind. Wundern würde es mich nicht, wenn in
den Archiven der Universitäten darüber Hunderte von Dissertationen
schlummerten, gibt es doch Phasen, in denen bis zu 10,87% des Abendprogramms im Fernsehen nur mit Filmen bestritten wird, in denen Jack
Nicholson eine dramatische Beziehung zu einer Bedienung einer Raststätte beziehungsweise eines Schnellrestaurants eingeht.
Die Autobahn München – Lindau – Mailand - Genua ist zudem ein
großer Segen für mich, nimmt sie doch den ganzen Verkehr auf, der
ansonsten an meinem Wohnzimmer vorbei rauschen würde. Sie führt,
nach kurzer Zufahrt, auf nächstem Weg von dem erwähnten Wohnzimmer zum Meer, genau nach Arenzano nämlich. Arenzano liegt etwa 20
km westlich von Genua und ist das, was man unter einem italienischen
Seebad verstünde, wenn man sich eines vorstellen würde:
Ganz außen befindet sich immer das Meer, dann kommt der Strand und
oberhalb des Strandes die Strandpromenade mit ausreichend gemauerten
und gekachelten Bänken, auf denen dann Rentner unter Palmen rumsitzen. Zwischen dem Meer und der Stadt verläuft die unvermeidliche
Küstenstraße, die auf den Ansichtskarten immer so kunstvoll wegretuschiert wird, und die zu überqueren abenteuerlich ist. Über der Straße
reihen sich Cafés und Pizzerien, ebenfalls mit Palmen davor, und dahinter, beziehungsweise in den oberen Stockwerken, sind die Hotels, in
denen aber wegen des Lärms der Straße und der Cafés und Pizzerien bis
3 Uhr früh an Schlaf nicht zu denken ist. Trotzdem kommt für den klassischen Italienreisenden natürlich nur ein Zimmer ‚nach vorne hinaus‘
in Frage. Ganz links steht das Grand Hotel, vor dem ein Reisebus aus
Cottbus steht, was darauf hinweist, dass in der Nebensaison die Zimmer
an Reisegruppen verramscht werden, daneben das Hotel Metropol, dessen Eingangshalle an einen der Stände mit Putti, Elefanten und nackten
Negerinnen erinnert, wie sie an Durchgangsstraßen zu finden sind. Im
Hotel Regent sitzen in einer riesigen Halle in der Belle Etage lauter alte
Italienerinnen, die nicht gestört werden möchten. Das Hotel Albatros hat
blaues Licht in den Fluren, ähnlich gemütlich wie das blaue Licht in den
Insektenfallen, und ein schönes Zimmer mit Meerblick, das durch eine
versteckte Tapetentüre im Treppenhaus betreten wird. Das ist meins.
Hinter den Hotels verläuft die Bahnlinie, und hinter der Bahnlinie, das
Gelände nun schon leicht ansteigend, liegt die Altstadt mit Läden, weiteren Pizzerien und Wohnungen, an denen Elektrodrähte herumhängen
und Wäsche zum Trocknen. Hinter der Altsstadt liegt am Hang die
Neustadt, mit weiteren Läden, weiteren Pizzerien und Wohnungen, an
denen keine Elektrodrähte mehr herumhängen, aber weiterhin Wäsche
zum Trocknen. Mitten durch das Neubaugebiet verläuft auf Stelzen die
Autobahn. Hinter der Neustadt ist Schluss, die Berghänge sind herrlich
unberührt, sie dienen nicht zur Naherholung, sondern werden von den
Bewohnern nur betreten, wenn es Singvögel oder Wildschweine abzuknallen gilt.
Arenzano ist vor allem denen zu empfehlen, die der Meinung sind, früher sei eh alles besser gewesen. Da das aber kaum jemand denkt, ist
auch die Gefahr, dass der Küstenstrich von jetzt an völlig überlaufen
sein wird, gering. Es wird, wenn auf solch ein geradezu philosophisches
Thema die Rede kommt, doch nur unverzüglich auf die harte Arbeit in
den Kohlebergwerken im 19. Jahrhundert hingewiesen und auf die hygienischen Mängel am Hofe Ludwigs des Vierzehnten. Solcherlei durchsichtige Argumente lassen sich aber leicht mit Stichworten wie Hartz 4
oder Poollandschaft entkräften oder einer Schilderung von Kindern, die
12 Stunden am Tag Turnschuhe für Adidas herstellen und zu Zweiundzwanzigst im Schichtbetrieb in einem 11 qm großen Raum auf dem Betonboden schlafen, und sich bestenfalls einmal im Monat einen BigMac
leisten können und jeweils zu zweit ein Mobiltelefon.
Als ich in die Volksschule ging, mussten wir etwa einmal pro Woche unter Androhung körperlicher Gewalt wie Tatzen den Film ‚Die Ferien des
Monsieur Hulot’ ansehen, dessen Humor mir leider bis heute verschlossen blieb, aus dem mir aber der Brauch in südlichen Ländern bekannt
ist, den Strand komplett mit kleinen Häuschen zuzubauen, in denen sich
die Badenden unbehelligt umziehen können, ohne ihre Blöße der Welt
kundtun zu müssen oder sich in lächerliche Säcke zu packen um darin
Verrenkungen zu vollführen, und die dann in diesen Häuschen ihre Siebensachen von Diebstahl gesichert während der deshalb gänzlich ungetrübten Badefreuden aufbewahren. Halt, rufen jetzt die Sozialdemokraten, wenn schon die Vergesellschaftung von Grund und Boden nicht
recht geklappt hat so sei doch der freie Zugang zu den Gewässern eine
wichtige Errungenschaft des Kampfes der Arbeiterklasse um Licht und
Luft. Geschenkt, antworte man gönnerisch lächelnd, selbstverständlich
sind in Arenzano weiterhin öffentliche Strandabschnitte ausgewiesen,
der Strand ganz rechts, der Strand ganz links und sogar in der Mitte gibt
es einen ca. 1 Meter sechzig breiten öffentlichen Strand, auf dem sich
jeder zwischen Hundehaufen und Coladosen, die die, ohne ausreichende
Erfahrung im Umgang mit vergesellschaftetem Grund und Boden ausgestatteten, Bürger und deren Hunde hinterlassen haben, sonnen kann.
Wer mal nicht faul am Strand liegen möchte, der kann auch eine Wan16
derung in die hinter der Stadt liegenden Berge unternehmen, von denen er auf den Strand hinunter sehen kann oder die Schiffe beobachten
kann, die den zwischen Arenzano und Genua liegenden Containerhafen
Genua Volti anlaufen, rostig aussehende Riesen voll gepackt mit Containern, in denen lauter Sachen sind, mit denen dann die Chinaläden in
den Hafenstädten beliefert werden, mit Flip Flops für 3 Euro, seidenen
Schlafanzügen aus Polyester für 6 Euro und Hip-Hop-Hüten Modell
1989 für 4,50. Damit soll aber beileibe nicht unterstellt werden, dass der
Chinamann eher von gestern sei, wenn er mit Containerladungen voll 19
Jahre alten Hip-Hop-Hüten ankommt. 1989 waren es noch Rentnerhüte
und es gab kaum Hip-Hopper auf der Welt. Damit sich eine Massenproduktion von 100 Millionen Hüten pro Tag absetzen lässt, haben die
schlauen Chinesen ihren Rentnerhütchen einfach eine Doppelbedeutung
zugeschrieben, bis der Rest der Welt dringend das Modell Rentner 1989
als Hip-Hop-Hüte haben wollte.
Die Chinesenläden in Genua befinden sich in den Straßen zwischen
Bahnhof und Hafen. Hinter diesen Straßen, ebenfalls zwischen Bahnhof und Hafen, sind enge Gassen, die eine Brutstätte der Kriminalität
oder vielleicht sogar Keimzellen internationalen Terrorismus sind und
die zu durchschreiten nur demjenigen zu empfehlen ist, der an der Notwendigkeit der Wiederwahl der Regierungspartei Zweifel hegt, was aber
ordentliche Italiener momentan sowieso nicht haben, denn auch die Italiener selbst bestehen aus 2 Teilen.
Wenn nämlich Dostojewskij in den Brüdern Karamasow schreibt, dass
es viel leichter sei, seinen Fernsten zu lieben als seinen Nächsten, dass
Letzteres gar gänzlich unmöglich sei, so zeigt das eigentlich nur, dass
Dostojewskij nicht allzu viel rumgekommen sein kann; in Italien jedenfalls war er sicher nicht.
Der ferne, der gemeine, der namenlose Italiener, der Italiener an sich
eben, ist nämlich ein widerlicher Drängler und Raser vornehmlich
in deutschen Mittelklassewagen der Premiumklasse – Audi, BMW,
Mercedes - ein dummes, stinkendes, ungehobeltes, Arschloch, das stets
Berlusconi wählt - nicht obwohl kriminell bis auf die Knochen, sondern
gerade weil, der Hund -, ein blöder eingebildeter Gockel, der meint, dick
und hässlich wären keineswegs hinderlich für einen latin lover, der sich
sonntags in Camouflage kleidet, in den Wald geht und alles abknallt,
was ihm vor die Flinte kommt, und der am liebsten Fast Food und Packungen mit Fixundfertigpfannen in sich reinstopft,
während der nahe, der persönlich bekannte Italiener, der einen Namen
hat, nie und nimmer Berlusconi wählen würde, wunderbar italienisch
kocht, sehr nett ist, kreativ, dem Klischee entsprechend nicht immer
ganz zuverlässig, aber lustig, hilfsbereit, gebildet und viel lockerer und
pragmatischer als der oftmals zu Recht als unbeweglich und stur bekannte ferne gemeine und namenlose Deutsche.
Nach Venedig in Loops,
aber mit DER
Pfingsten war ich in Venedig. Ich war schon vorher ein paar Mal in Venedig gewesen und konnte mich noch recht gut daran erinnern, wie es
dort so ist, aber das Kunsthaus Bregenz schickte uns eine Einladung zur
Eröffnung der Biennale. Eigentlich nicht direkt uns, eher meiner Süßen,
und die meinte, das sei eine gute Gelegenheit, mal wieder hinzufahren,
auch wenn auf der Einladung nichts von 2 Personen und persönlich oder
so stand, sondern dass man per e-mail antworten soll und die inoffizielle
in eine offizielle Einladung umwandeln müsse, was wir dann erst auf
dem Weg zur Eröffnung gelesen haben.
Die Einladung ist ziemlich spät, genau 10 Tage vor der Eröffnung eingetroffen. ‚Wahrscheinlich wurden die Einladungen schon vor 3 Monaten
verschickt, und dann sind welche zurückgekommen, und weil sie Angst
hatten, den Laden bei der Eröffnung nicht voll zu kriegen, was peinliche
Kommentare von wichtigen Leuten bewirkt hätte, haben sie das Telefonbuch . . .‘, vermutete ich.
‚Schnauze‘, sagte sie.
‚Ich verspüre einen Schmerz im Schienbein‘ entgegnete ich.
‚Soso‘ entgegnete sie.
Ich rief also pflichtschuldig Charlie an, der aber sagte nach 2 Tagen Internetrecherche, dass Venedig komplett ausgebucht sei. Ich hatte dann
6 Tage Zeit, mich darüber zu freuen, bis er 2 Tage vor der Eröffnung
wieder anrief und stolz verkündete, er habe bei DER doch noch was
gefunden, Hotel Canaletto, zwischen Rialto und Markusplatz, in einem
500 Jahre alten Palast.
Oft wird berichtet von öden Flugreisen nach Neuseeland, vollkommen
uninteressanten Erlebnissen bei einer Bahnfahrt von Göttingen nach
Kassel oder sogar von einer Radtour rund um den Gardasee, kaum je
aber von einer schlichten Autofahrt München - Venedig. Die Fahrt begann mit Verzögerung, da im Reiseführer steht, dass Hunde nur mit
Maulkorb mit dem Linienschiff fahren dürfen, die Tieraussstattungsläden aber vor 10 Uhr noch schlafen und Karstadt keine Maulkörbe führt
und daher zu Recht keine Staatshilfen erhalten hat und später pleite gegangen ist. Den Maulkorb kauften wir dann in Garmisch, später stellte
sich heraus, dass er zu klein ist und sich nicht über die Schnauze stülpen
ließ, und dass man gar keinen wirklich braucht, jedenfalls hat sich nie
jemand beschwert.
Die Fahrt über die klassische Route über den Brenner verlief ganz normal wie bei Millionen Reisenden zuvor, das Mittagessen aus mitge-
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brachten belegten Broten wurde stehend an der Kühlerhaube auf dem Parkplatz der Autobahnraststätte eingenommen. Vor Trento verließen wir die
Autobahn und fuhren die Schnellstraße durch das Gebirge Richtung Padua.
Hinter Bassano folgten wir einem Schild Venezia, wodurch wir die letzten
50 km auf einer lückenlosen Aneinanderreihung von einem Kreisverkehr
an dem nächsten zurücklegten. Wir näherten uns Venedig also in halben
waagrechten Loops. Die Gegend dort ist unglaublich hässlich. Italienische
Dörfer sind wunderschön, wenn sie alt sind und auf einem Hügel liegen,
die Orte, die neu sind und am Kreisverkehr liegen, sind es nicht. Eine halbe Stunde lang überbrückten wir mit der These, dass es hier so exorbitant
hässlich ist, dass es schon wieder ein Erlebnis sei, weitere 10 Minuten mit
der Suche nach dem Plural von Kreisverkehr, aber dann machte sich doch
dumpfe Lethargie im Auto breit. Später hörte der Kreisverkehr dann auf
und wir waren am Meer, das Meer blendete, wenn man direkt draufschaute,
und der Hund schaute landeinwärts, er wäre lieber ins Gebirge gefahren.
vom Neubaustandard ist der Zugang zum Zimmer, man geht links an der
Rezeption vorbei in den Computerraum, von dort hinter in einen Raum, in
dem die Wäsche in Stoffsäcken aufbewahrt wird und auch die Koffer von
vormittäglichen Zimmerräumern, von diesem Raum führt eine Stiege in
den ersten Stock, und schon ist man in einem Flur, von dem das Zimmer
151 erreicht wird.
Zum Frühstück wickelt dann der ganze Speisesaal ähnlich wie die Isarnixen synchron Leberwurst, Streichkäse, Butter und Marmelade aus kleinen
Portionspackungen aus und belegt damit noch kleinere runde Semmeln,
die er flugs in den Mund steckt und zu kauen beginnt, aber nicht bevor das
Verpackungsmaterial in die Tischmülleimer, kleine unansehnliche hellbeige Plastikeimer mit Dekor, befördert worden ist. Jeweils nach einer halben Semmel wird mit Café Latte oder Orangensaft nachgespült, manchmal
auch mit beidem gleichzeitig. Naserümpfende Liberale werden jetzt rufen:
Aber das sind doch alles Individuen, ein Speisesaal kann keine belegten
Semmeln essen. Doch, ein ganzer Speisesaal.
Mein Lieblingsdokumentarfilm ist der Reisebericht eines Paares, das in den
50er Jahren eine 4 Jahre dauernde Weltreise im Goggomobil unternommen
hat und dabei, zumindest im Film, keinmal unordentlich oder auch nur verknittert gekleidet war. Sollten sie dazwischen doch einmal einen Kaffeefleck auf der Bluse gehabt haben oder eine schiefe Bügelfalte, was immer
mal passieren kann, so hatten sie zumindest die Höflichkeit, einstweilen
mit dem sich filmen auszusetzen. Mein Lieblingsspielfilm hingegen ist der
3. Teil der Mariachitrilogie von Rodriguez, in welchem Film Johnny Depp
als CIA Agent in auffälligen Anzügen durch Mexiko streift. Aber auch in
Venedig zur Zeit der Biennale laufen schon am Tag vor der Eröffnung gut
gekleidete Menschen vorbei auf dem Weg zu Veranstaltungen, zu denen ich
nicht eingeladen war, Empfänge an allen Ecken, die mir versperrt blieben.
Die Künstler und ihr Tross sind dabei leicht zu erkennen, sie sind häufig
seltsam gekleidet, was aber völlig in Ordnung ist, da sie der goldenen Regel der Kleidung auf Reisen entsprechen, die selbe Kleidung zu tragen, in
der sie auch ihre Großeltern besuchen oder einen Termin beim Vermieter
wahrnehmen.
Aber halt, rufen da die Verfahrenstechnikstudenten, wir laufen immer
schlecht gekleidet herum, müssen wir uns jetzt für den Urlaub extra einen
Anzug kaufen? Nein, beruhige ich sie, goldene Regeln gelten immer für
alle.
Aber keine Regel ohne Ausnahme, sagt das goldene Sprichwort. Ebenfalls
erlaubt ist es nämlich, sich einheimisch zu kleiden und in Venedig in quergestreiften Hemden auf die Straße zu gehen.
Etwas zu mäkeln gibt es aber auch. Den Damen sei der Zustand ihrer Knie
besonders ans Herz gelegt. Der Unterschied zwischen Venedig und Thailand ist nämlich, neben anderen Unterschieden in Sitten und Gebräuchen,
die hier nicht erwähnt werden sollen, dass in Thailand die männlichen Touristen häufig mit unschönen Beinen herumlaufen, die sie sich durch Unfälle
mit gemieteten Motorrädern verunstaltet haben, in Venedig sind es die inund ausländischen Damen, die in elegantem Schuhwerk die glatten Stufen
über die Kanäle purzeln und sich dabei die Knie aufhauen, ohne aber ihre
Kleidung dabei zu derangieren.
Die Biennale besteht aus 3 Teilen: Die in der Stadt verstreuten Länderausstellungen und die verschiedenen Begleitprogramme, das Arsenale und die
Giardini. Ersteres steht allen offen oder kostet, wenn im Museum, normalen Eintritt. Für die Arsenale hatten wir ja die Einladung. Fehlten dann noch
die Giardini, in denen die offiziellen Länderpavillons stehen.
Das Leben ist aber ein Zusammenspiel von Intuition und Buchhaltertum.
Als wir am Tag nach der Eröffnung intuitiv die Giardini besuchen wollten
in der Annahme, dass nach der Eröffnung die Ausstellung nun geöffnet
sein würde, wie der Name sagt, erst Eröffnung, dann offen, so wurden wir
bitterlich enttäuscht, denn am nächsten Tag stand erst einmal die Presseeröffnung an. Natürlich stand auf allen Plakaten auch 7. Juni und nicht 6.
Juni, aber diese zu lesen erschien unnötig, wir sind doch keine Buchhalter.
Also haben wir uns in Venedig ein wenig umgeschaut. Es schaute wie erwartet noch genauso aus, wie ich es vor Jahre verlassen hatte.
Unterwegs kamen wir beim Mexikanischen Biennalebeitrag von Theresa Margollas vorbei. Theresa Margollas hat forensiche Medizin studiert
und dann eine Death Metall Band gegründet. Mir scheint das ein bisschen
sehr vordergründig, aber die Ausstellungsbesucher bestehen zu Recht auf
suppige Lebensläufe, bei denen es am allerwenigsten darauf ankommt, ob
sie nun echt oder falsch sind. Eine gute Lüge ist besser als eine schlechte
Wahrheit, pflegte meine Oma mütterlicherseits immer zu sagen, und sicherlich hatte auch Theresa Margollas eine solche irgendwo in Mexiko
sitzen, die sie so lange mit überlieferten olmekischen Weisheiten fütterte,
bis die Idee mit der Death Metal Band herausgekommen ist. Theresa Margollas hat Tücher mit dem Wischwasser von Tatorten im Drogenkrieg getränkt. Auf dem Platz vor der Ausstellung saßen 3 Indigenas und stickten
mit Goldfaden was drauf, die Ausstellung selber ist in einem vermutlich
500 Jahre alten venezianischen Palazzo, der arg renovierungsbedürftig ist,
was die Installation noch spannender machte.
Durch so viel Dreck, Schweiß, Blut und andere üble Flüssigkeiten angeregt
meldete sich der Hunger. Auch die beflissensten Kunstliebhaber müssen
gelegentlich mal was essen. Gute und nur mäßig überteuerte Restaurants
findet man auch in Venedig ganz einfach, indem man stets nur in solche
einkehrt, die keine Tische auf dem Gehsteig stehen haben und aus denen
hässliche Musik dröhnt. Italiener finden im Freien essen albern, hören aber
beim Essen gerne hässliche Musik. Für Touristen hingegen gehört es zum
gelungenen Urlaub, bei Affenhitze angekokelten, totgegrillten Fisch in
mitten eines Stromes schlechtriechender Touristen in engen Gassen zu verspeisen, was einem Einheimischen nicht im Traum einfiele.
Was aber auch mit dem Ertragen von italienischen Coverversionen bereits
im Original unerträglicher Musikstücke vornehmlich aus den 90er Jahren nicht vermieden werden kann, ist die italienische Unsitte, vom Gast
zu verlangen, sich seinen Salat gefälligst selber anzumachen, indem man
ihm zum Salat eine Tischmöblierung aus Öl Essig Salz und Pfeffer vor die
Nase knallt. Man hat dann schließlich nach einigen Mühen aus zwei Dritteln einen selbstangemachten Salat gefertigt, der in Feinschmeckerlokalen
abwechselnd als Salat an zu viel Öl, Essig, Salz und Pfeffer bezeichnet
werden würde und auf den Schlag alle Sterne und Hauben kosten würde.
Das andere Drittel liegt auf dem Tisch herum. Wenn man aber als Britney
Spears durchgeht, die sich sicher nicht zu fein ist, auch einmal öffentlich
Das mit dem 500 Jahre alten Venezianischen Palast war weniger beeindruckend, in Venedig gibt es zwar fast nur 500 Jahre alte Venezianische Paläste, was man den meisten von ihnen aber von innen nicht mehr ansieht. Wer
jetzt allerdings meint, sofort eine Minderung des Preises beim Veranstalter
einfordern zu dürfen, wenn drinnen in den 500 Jahre alten Palästen schnöde Mittelklassehotels von TUI, DER und so untergebracht sind, der sei gewarnt. Reiseveranstaltervertragshotels sind standardisiert von Bora-Bora
bis Reykjavik. Echte Venezianische Paläste mit einem Salon, den Tiepolo
gerade eben verlassen hat, und dazu noch Dusche, Schminkspiegel und
TV zu erwarten, und das alles für 210 Euro mit Frühstück, antwortet dann
die Beschwerdeentgegennahme locker, da sei die Venedigkompatibilität
des Reisenden doch arg im Frage gestellt. Das kann daher sogar zu einer
Mehrung des Reisepreises führen, sofern der Reiseveranstalter nachweisen
kann, dass die Venedigverträglichkeit vorher vom Reisenden zugesichert
worden war.
Das Hotel ist zwar charakterlos, aber ansonsten völlig ok, leise, sauber und
freundlich und man schläft gut darin. Das Zimmer, das uns Charlie aufgetan hat, ist groß und mit komplett charakterlosen Neubarockmöbeln der
billigeren Sorte eingerichtet und aus dem Fenster schaut man auf andere
500 Jahre alte Paläste. Mehr erwarte ich gar nicht. Ein angenehmer Bruch
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hausfrauliche Qualitäten zu demonstrieren, könnte man darauf bestehen,
dass einem ein Schüsselchen gereicht wird, in dem man sich die Soße anmischen kann, da die Celebrities bekanntlich Eigenarten pflegen wie etwa
Mineralwasser für ihr Hündchen aus Gletscherwasser von Grönland einfliegen lassen. Wen aber niemand kennt, dem würde bereits das schlichte
Verlangen nach einer Salatsoßenbereitungsunterlage nicht als kreative Persönlichkeitserweiterung durchgewunken, sondern der wird als Prinzipienreiter angesehen und mit schiefen Blicken gequält, die sagen sollen, lass
dich hier bloß nicht mehr blicken, du unbekannter Wichtel.
Auch schön war der nach dem Essen besuchte wohl 500 Jahre alte Palazzo
Zenobia, in dem vielfältiges Zeug untergebracht ist, der Länderbeitrag von
Syrien, wie der Palastname schon sagt, wobei ich nicht herausfinden konnte, was jetzt der syrische Beitrag war, Armenien, dto, keine Ahnung was
das war, dazu noch beeindruckende Zeichnungen von Francis Bacon. Hier
konnte ich aber nicht herausfinden, was die hier sollten. Und 12 Stunden Fotos der Koreanerin Atta Kim. Der iranische Länderbeitrag war irgendwie
obskur achmedinedjadesk, so dass vermutet werden kann, dass der angegebene Verfasser ein Künstlername Achmediedjads ist, und die Ausstellung
der Libanesin Mata Hatoum im Begleitprogramm zur Biennale die interessanteste Ausstellung der 4 Tage überhaupt.
Abends gingen wir in eine Art italienische Straßencafétapasbar mit hässlicher Musik. Die Fensterbänke sind die Theke, die essenden Straßencafétapasbarbesucher stehen drinnen, die trinkenden draußen herum. Der
gemeine Italiener isst drinnen und trinkt draußen, was vernünftig ist. Es
sind auch fast nur Italiener da, ein paar angenehm ordinäre Mädchen, die
gut und gerne die zukünftigen Ministerinnen und Europaabgeordnete von
Berlusconi werden könnten, und ein uraltes deutsches Paar. ‚Wir kommen
bereits seit 50 Jahren jedes Jahr Pfingsten nach Venedig, und immer gibt
es noch etwas Neues zu entdecken‘, sagte die Frau und der Mann nickte
beiläufig. Das ist natürlich Unfug, aber weil der Mann so elegant gekleidet
war, wie man es sonst nur aus dem Fernsehen von Führungskräften der 2.
Reihe kennt, wagte ich nicht zu widersprechen.
Am nächsten Tag stellten wir uns dann in eine von 4 Schlangen vor den
4 Kassenhäuschen und erwarben die Eintrittskarten für die Giardini. Es
heißt immer, alle stünden stets in der längsten Schlange, aber das kann rein
logisch nicht stimmen, weil dann alle anderen Schlangen ja komplett leer
sein müssten. Unsere Schlange jedenfalls war die schnellste und so betraten wir schon gut 2 Stunden später das Ausstellungsgelände, ohne Hund.
Hunde dürfen nicht auf die Biennale, ihnen wird der Eintritt verweigert.
Das ist auch in Ordnung, da sich Hunde bekanntlich selten für moderne
Kunst interessieren, sondern oft an unpassenden Stellen das Bein heben.
Aber dass die Hunde vor und nicht hinter dem Zaun angebunden werden
müssen, ist reines Prinzip. Prinzipien reiten dürfen aber wie überall auf
der Welt keine unbekannten ausländischen Salatesser, sondern nur einheimische Funktionsträger, die neuerdings Bedenkenträger heißen. Der Bedenkenträger verweigert lieber 150.000 Menschen die Einreise in die USA
und 1 Hund in die Giardini, um nicht aus Versehen einen Terroristen ins
Land zu lassen
(Es sei denn der Terrorist bietet die Gewähr, eine milliardenteure Asbestsanierung zweier asbestverseuchter Hochhäuser überflüssig zu machen und
gleich noch kriegerische Handlungen irgendwo hinten in der Welt zu begründen.)
Die Giardini hätte ich mir sparen können, und zwar ohne Begründung, da
Kunstkritik von Laien stets zu viel über den Verfasser aussagt und der dann
dasteht wie ein begossener Tropf, und ein weiteres Kapitel Heiliger Einfalt
wird aufgeschlagen.
Als wir Nachmittag den Hund wieder abholten, war am Eingang die
Schlange noch genauso lang wie früh und zwei bekannte Damen standen
drin. Die eine gab an, deshalb erst Mittag gekommen zu sein, um dem
Andrang zu entgehen, die andere, dass sie in der Früh noch einen Termin
gehabt habe. Gerne hätte auch ich den Besuch der Biennale mit ‚einem
Termin‘ verbunden. Keine der Damen führte aus, erst deshalb so spät gekommen zu sein, weil sie ‚wieder einmal nicht aus den Federn’ gekommen
wären.
Wir weckten den Hund, banden ihn los und fuhren wieder heim, auf der
Autobahn.
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Auf Entdeckerreisen
Auf einer Gruppenreise mit Herrn Albrecht, Frau Park, Friederike, Frau
Hannelore, Bea, Onkel Wolfgang, Marianne und mir in die peruanischen
Anden ist an die Entdeckung archäologischer oder auch anderer Sensationen nicht zu denken. Wenn man im Kleinbus in der Gruppe durch die
Gegend fährt, hat man naturgemäß keine Chance, als kleiner Bingham
oder Savoy wieder heim zu kommen und von der zu Hause gebliebenen
Fachwelt gebührend als Entdecker gefeiert zu werden. Da nützt es dann
auch nichts, sich einen Dreitagebart sehen zu lassen und sich das Gesicht an einem Dornenbusch aufzukratzen.
Zumal die Ausflüge noch dazu deutlich erschwert werden durch zwei
Ausflugsverschärfungen: Einmal der Notwendigkeit, wegen der Höhe
viel zu trinken, hauptsächlich Wasser und Mate de Coca. Die Zuführung
von Flüssigkeit ist dabei stets genau auf das Programm der nächsten
Stunden abzustimmen, wie man schnell lernt. Vornehm ausgedrückt.
Und außerdem weil wir uns alle 10 Minuten zum Gruppenfoto für Frau
Park zusammenstellen müssen.
Die Höhenanpassung verläuft eher schleppend, und neben der Höhe
ist es zudem der Magen, der zu schaffen macht, obwohl wir ganz bürgerlich bei Bekannten von Friederike aus Ollantaytambo essen, einer
Kleinfamilie aus dem Mittelstand des indigen geprägten peruanischen
Hochlandes, also mit Arbeit und mit Zähnen, die sich damit etwas dazu
verdienen können. So sitzt dann jeden Abend eine Gruppe guter Konquistadoren im Wohnzimmer rum und kriegt was zu essen, landestypische Küche, beispielsweise Meerschweinchen, oder Ceviche, einem
eingelegten rohen Fisch, oder mal auch nur Reis mit Kartoffeln und
einem hartgekochten Ei, wo die Reisegruppe dann etwas betreten auf
ihre Teller schaut, sich aber nichts zu sagen traut. Das Essen kostet 10
Soles pro Person, was sich durchaus im Rahmen bewegt. Man bewegt
sich in fremden Ländern stets an einem Grat mit der Gefahr, in die eine
oder andere Richtung zu fallen: Desto mehr landesunübliche Bezahlung
und Trinkgeld, desto überheblicher und conquistadorischer. Desto weniger Geld und Trinkgeld, desto knauseriger und gemeiner.
seinem ‚Tagebuch einer Motorradreise’ von 1952 weiter schreibt, das ‚...
diesen friedlichen, wenn auch manchmal etwas beunruhigenden Ausdruck einer Zivilisation (hat), die tot ist.’
In Cusco machen wir, das heißt eigentlich nur ich, Marianne und Wolfgang, die anderen hatten es meist nicht so mit ‚noch was trinken gehen’,
dann am allerletzten Abend aber doch noch eine wichtige Entdeckung,
in einer komplett authentischen Bar. Da uns die Touristenbars die wir zuvor besucht haben, alle nicht gefallen hatten, die eine war zu australisch
determiniert, die nächste zu israelisch usw., und wir in einschlägigen
peruanischen Touristenbars schon Erfahrungen mit Gruppen (doof: “Wo
seid Ihr denn her?”) und alleinreisenden Frauen (auch doof: “Können
Sie die Zigarette bitte woandershin halten”) gemacht hatten, waren wir
in ein angrenzendes Wohnviertel ausgewichen. Und da mokiert sich
doch ein äußerst betrunkener Cusqueno darüber, dass wir Machu Picchu
anstelle von Choquequirao besucht hätten. Choquequirao sei nämlich
viel imposanter, größer und schöner. Wir haben daraufhin dann ein bisschen rumgefragt und dies im großen und ganzen bestätigt bekommen.
Jetzt mögen die üblichen Nörgler vielleicht einwenden, was das den
soll, a) etwas ja bereits Bekanntes, und b) gar in einer Bar, vorzugeben
‚entdeckt’ zu haben, aber siehe da, es geht. Schließlich war doch Machu
Picchu auch bereits bekannt, als es von Bingham entdeckt wurde, und es
ist nicht unwahrscheinlich, dass er das ebenfalls in einer Bar von einem
äußerst betrunkenen Inka erfahren hat. Die Leute machen sich auf Grund
ihres hohen Fernsehkonsums oft völlig falsche Vorstellungen, wie so
Entdeckungen entdeckt werden, glauben, da würden Wissenschaftler
jahrelang im Urwald herumkriechen, bis sie zufällig über eine Entdeckung stolpern. Diese Vorstellung ist geprägt von alten Hollywoodfilmen, die sie immer anschauen, auch weil immer noch eine blonde Frau
mit von der Partie ist, die kreischt, wenn der Löwe naht, dann aber von
dem Archäologen gerettet wird und daraufhin das Feldbett mit ihm teilt.
In Wirklichkeit lesen die mehr wissenschaftlich geprägten Entdecker die
einschlägigen Fachzeitschriften wie National Geographic, und fahren
dann da hin, wo es was zu entdecken gibt, während die raubeinigeren
unter den Entdeckern die einschlägigen Bars aufsuchen, sich Dreitagebärte wachsen lassen und auf betrunkene Eingeborene warten, denen sie
Geheimnisse entlocken können.
Wir sind nicht allein in den Anden. Unablässig treffen auf dem Plaza
Mayor Reisebusse voller munterer Senioren und Senioren in spe ein, die
die Ruinen in Ollantaytambo anschauen und danach mit dem Zug weiterfahren nach Machu Picchu. Die Studienreisenden werden sofort von
Stöcke- Mützen- und Handschuh - Verkäuferinnen umringt und schauen
gar nicht mehr munter drein, sobald sie ihren sicheren Bus verlassen
haben, eher hilflos und arm. Erst wenn alle beieinander sind, und der
Reiseleiter das Zeichen gibt, geht es weiter zu den Ruinen und die Mienen hellen sich wieder auf.
Anhang
Tote Entdecker
Gene Savoy, der Amerikaner, der Vilcabamba ‚entdeckt’ hat, und der die
Vorlage für die Indiana Jones Filme war, ist während der Niederschrift
dieses Reiseberichtes 80 jährig eines natürlichen Todes gestorben, wahrscheinlich sogar zu Hause in seinem Bett.
Wir wandern von Ollantaytambo nach Pumamarca, was ca. 5 Stunden
dauert. “Pumamarca bedeutet, dass hier die Pumas von den Bergen runtergekommen sind”, erklärt Friederike, wie stets mit fester Stimme, die
keine Auskunft darüber enthält, ob sie etwas weiß oder nur irgendwas
behauptet. “Wenn da wilde Tiere sind, geh ich nit weiter mit”, sagt die
Bea. Es kam aber weder ein Puma noch sonst wer vorbei, außer ein paar
Bauern mit wilden Hunden, und einmal in der Ferne ein Vogel, der ein
Kondor hätte sein können.
Bea sei schon ein Herzchen, wird später Frau Hannelore dazu sagen.
Allerdings stellte sich im Verlauf der Reise heraus, dass Bea damit keineswegs einzigartig ist.
Anhang: In Afrika
Nachdem es mit den Entdeckungen so unerwartet gut geklappt hat in
Peru, fahre ich weiter nach Afrika.
„Eine Reise ins Innere Afrikas ist seit der Aufklärung unbezwingbarer
Drang der Europäer geworden, das Innere Afrikas verheißt die reine
Läuterung nach der Selbstzerstörung durch die vielfältigen Gefahren,
die sich dem Reisenden in den Weg stellen“, kläre ich die Mitreisenden
auf, während wir am Flughafen in der Schlange vor der Passkontrolle
stehen. Die aber schauen nur und sagen nichts.
‚Ich weiß, die allermeisten von Euch verbringen ihr ganzes Leben mit
der Vorbereitung dieser einen Reise und dann sterben sie, bevor sie
überhaupt abfahren, oder zumindest kurz nach der Abreise, noch in
Sichtweite der Küste ihres Heimatlandes. Wir aber haben es geschafft,‘
fahre ich fort.
„Vielleicht haben Sie Malaria“, meint eine Vorgebräunte.
„Doch nicht nach einer Viertelstunde“, gebe ich zu Bedenken.
Nach zwei Wochen in Ollantaytambo, wo alles, was wir angeschaut haben, leider schon längst allgemein bekannt war, fahren wir nach Cusco,
das einmal für die Inka der Nabel der Welt war, und jetzt nur noch eine
Provinzhauptstadt mit einem hübschen kolonial geprägten Zentrum ist,
eine Reliquie aus vergangenen Zeiten, das ‚teilnahmslose Touristen mit
oberflächlichem Blick durchstreifen und sich an der Schönheit seines
bleiernen Winterhimmels erfreuen.’ Oder, wie E. Guevara de la Serna in
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Berühmte Peruaner raten
Wer allein oder nur mit seinem Partner verreist, der wird sich in ihm
unbekannten Ländern nicht selten nach dem Abendessen in seiner Unterkunft schweigend auf dem Bett sitzend wiederfinden. Steht dieses in
einer Cabana in Mazunte am mexikanischen Pazifikstrand, so wird das
Rauschen des Meeres und der Palmen den Individualreisenden sanft in
den erholsamen Schlaf wiegen.
Sitzt man aber allein im Zimmer eines Hotels hoch in den Anden, verhindert die ungewohnte Höhe und die daraus folgenden Kopf- und
Magenschmerzen entspanntes Einschlafen, da kann der Wind noch so
sehr um die Ecken rauschen. Die Höhenanpassung an noch nicht einmal
spektakuläre 2.800 Meter (Ollantaytambo) bis 3.400 Meter (Cusco) verläuft langwieriger als man sich das vorher so vorgestellt hat. Auch verfügen nur wenige von uns überhaupt über einen Ernährungsberater, der
ihnen ein höhengerechtes Menü zusammenstellt, und die werden den
Ihren dann auch gar nicht mitnehmen auf so eine gefährliche Reise in
die Anden, abgesehen davon, dass nicht viele Ernährungsberater sagen
können, wie sich der Verzehr von Meerschweinchen auf 3.400 Meter
Höhe auf die Verdauung auswirkt (schlecht). Der viel gepriesene Mate
de Coca, Cocatee, hat da leider nicht annähernd die Wirkung bei Höhenkrankheit oder Magenbeschwerden, die ihm in den lonely planets dieser
Welt zugeschrieben wird. Cocatee ist in etwa so anregend wie schwarzer
Tee auch. Der mate de coca ist also entgegen der landläufigen Meinung
von allen, die auch gerne mal Drogen genommen hätten, sich das aber
bislang nie getraut haben, eine reine Enttäuschung, ein verbreitetes Getränk und in jeder Gaststätte oder in jedem Abarotteladen erhältlich, nur
nach Deutschland darf es halt nicht mitgenommen werden.
(Der Unterschied von Coca und Kokain ist in etwa der gleiche wie der
vom Stück Mohnkuchen zur Heroinspritze. Es ist auch Unfug, dass in
Coca Cola bis 1913 Kokain enthalten war, es war nur ein Auszug aus
den Coca-Blättern. Peru Cola enthält diesen Extrakt immer noch, und
darf deshalb auch nicht in die EU importiert werden.)
Der arme Reisende bekämpft die Höhenkrankheit also mit anregendem
Tee und dann ist an Schlaf schon 2x nicht zu denken. So eine einschlaflose Zeit lässt sich in diesem Fall besser in einer Gruppe in der Inka
- Bar mit Inka - Bier als im Zimmer allein mit sich selbst und mit Aspirin verbringen, trotz der berechtigten Klagen über die Grupppenreise
an sich, als Reise, die oft beginnt als Unternehmen einer Gruppe von
Freunden und endet als ein in sich heillos zerstrittener Haufen auf Studienreise, in dessen Verlauf die eine Hälfte besessen davon ist, möglichst
viele alte Steinhaufen zu besichtigen, um ‚nichts zu verpassen’, während die andere Hälfte dagegen opponiert, weil sie sich sagt, da hätte
sie gleich eine Studienreise buchen können, und alle Gruppenreisenden
genervt sind, wenn sie sich alle zwanzig Minuten für ein Gruppenfoto
zusammenstellen müssen.
Reisende in einer Reisegruppe schweigen nie. Schweigen gehört nicht
zu ihrem Wortschatz. Sie sitzen nach dem Essen oft noch Stunden in der
Kneipe, trinken Inka - Bier und streiten darüber, welcher Steinhaufen
oder Tempel am nächsten Tag besichtigt werden soll und wie man am
Besten dorthin gelangt. Wenn dann Ort und Weg abschließend besprochen sind wird einer alles wieder in Frage stellen und einen Gegenvorschlag bringen und es geht von vorn los.
Um aber die Gemütlichkeit bei Inka Bier nicht durch kollektive Reiseplanung für den nächsten Tag zu vertreiben, schlägt man stattdessen
besser ein Quiz zum Thema berühmte Peruaner vor. Kaum jemand nämlich kennt berühmte Peruaner, dabei gibt sie es durchaus, auch wenn die
meisten berühmten Peruaner von überall her sind, nur nicht aus Peru.
Außerdem fällt dabei auf, dass sie fast alle als gescheitert zu betrachten
sind.
- Tupaj Amaru (auch Tupac Amaru geschrieben)
als letzter Inka Herrscher, in Atahualpa gescheitert. Enthauptet.
- Tupaj Amaru II
bürgerlich José Gabriel Condorcanqui der eigentlich nur seine Privilegien als Provinzführer verteidigen wollte und auch gescheitert ist. Gevierteilt.
- Tupaj Amaru III
bürgerlich Dieter Kunzelmann, Kommunarde, Bohémien und führendes Mitglied der Tupamaro Westberlin,
eigentlich Deutscher, zum Glück ebenfalls gescheitert, hier wegen technischer Probleme bei dem Versuch, eine vom Innensenator Neubauer über den Agenten Urbach gelieferte Bombe von Albert Fichter im jüdischen Gemeindehaus in Berlin zünden zu lassen. Ohne Konsequenzen, da Fichter daraufhin eh untergetaucht ist und Neubauer, CDU, seine Pension nicht aufs Spiel setzen wollte.
- Pizarro, Francisco
eigentlich Spanier, Conquistador, zuerst erfolgreich, nach der Eroberung von Peru letztlich doch noch gescheitert bei dem Versuch, nach den Inca dann auch noch seine Mitstreiter niederzumetzeln. Er ließ seinen Partner Almagro hinrichten und wurde deshalb von eben dessen Anhängern ermordet.
Sein Reiterstandbild im Zentrum von Lima wurde erst kürzlich in eine Grünanlage am Rande des Zentrums verbannt. Sein Standbild im Zentrum seiner Heimatstadt Trujillo in der Extremadura steht noch, allerdings handelt es sich dabei in Wirklichkeit um Hernan Cortez. - Pizarro, Claudio
Fußballspieler, 2002 – 2007 bei Bayern München, danach FC Chelsea, jetzt bei Werder Bremen gelandet, also auch irgendwie abgestiegen und gescheitert.
- Lope ‚der Zorn Gottes’ de Aguirre
eigentlich Spanier, selbsternannter Vizekönig von Peru. Wüterich, gescheitert
- Lope ‚der Zorn Gottes’ de Aguirre II
bürgerlich Klaus Kinski, eigentlich Deutscher, selbsternannter Vizekönig von Woauchimmer, ebenfalls ein Wüterich und ebenfalls gescheitert, an Werner Herzog.
- Alberto Fujimori
eigentlich geborener Japaner, behauptete aber, in Lima geboren zu sein, damit er überhaupt Präsident werden konnte. Peruanische und japanische Staatsangehörigkeit. Gescheitert.
War Präsident Perus vom 28. Juli 1990 bis zum 17. November 2000, als er wegen Korruption und Verstoßes gegen die Menschenrechte durch den Kongress seines Amtes enthoben wurde. Jetzt im Gefängnis in Lima, wartet auf seine Verhandlung. - Abimael Guzmann
Philosophieprofessor, Leiter des Sendero Luminoso, gescheitert, sitzt jetzt auch im Gefängnis.
- Paul Simon
der Kleine von Simon und Garfunkel („Die Scheinheiligen“ - Murakami), eigentlich Amerikaner, gescheitert an dem Lied El Condor Pasa des peruanischen Komponisten 23
Daniel Alomía Robles, der das Lied 1913 von einem peruanischen
Volkslied aus dem 18. Jhr. geklaut hat und sich als Komponisten eingetragen hat.
Und das waren dann aber irgendwie auch schon alle berühmten Peruaner, und schon gehen alle Gruppenreiseteilnehmer glücklich und erschöpft schlafen, ohne weitere Steinhaufenbesichtigungspläne.
- Marianne Rosenberg,
eigentlich Deutsche und Sinteza (Zigeunerin),
ebenfalls gescheitert an El Condor Pasa (Nur Du) und an Paul Simon, der bei einem Gesangswettbewerb 1971 in Rio der Janeiro schon vorab verkündet hatte, er als Jude könne einer Deutschen unmöglich einen Punkt geben.
Noch schwieriger als Berühmte Peruaner raten ist eigentlich nur noch
auf hochgelegenen Berghütten in der Steiermark ‚Berühmte Steyrer’ zu
raten.
In der Zeitung Profil, so was wie das österreichische time, steht ein Artikel über berühmte Steyrer, aber außer Arnold ‚Arnie’ Schwarzenegger
kennt man von den abgebildeten Prominenten ganze drei weitere, alle
bereits verstorbene, berühmte Steyrer, einen Operettenkomponisten, einen Prostituiertenmörder und den Gründer und einziges Mitglied der
bayuwarischen Befreiungsarmee, das war so ein Dummkopf, der an Politiker und Roma und Sinti Briefbomben verschickt hat und aus Versehen an sich selbst auch eine, woraufhin er keine Hände mehr hatte und
keine Briefbomben mehr basteln konnte und sich umgebrachte. Wie er
das gemacht hat, ohne Hände, weiß ich nicht mehr.
- Indiana Jones, bürgerlich Gene Savoy, eigentlich Amerikaner,
Abenteurer und Entdecker von Incastätten im Bergregenwald wie Vilcabamba,
und zum Schluss noch
Der Gerechtigkeit halber muss aber darauf hingewiesen werden, dass
es in der Sierra Maestra mit den Prominentenraten von Kubanern auch
nicht so weit her ist. Gewiss haben sie den Batista, dem Arnie nicht
das Wasser reichen kann, und den Fidel Castro, aber dann ist ebenfalls
schon bald Schluss, und es kommen nur noch Andy Garcia, Sottomayer
und Gloria Estefan und Ernesto Guevara de la Serna, aber letzterer war
Argentinier. Und Paul Lafarge, das war der Mann von Laura Marx.
- Maria Reichert
eigentlich Deutsche, Nasca-Linien-Forscherin, und
- Mario Vargas Llosa
tatsächlich echter Peruaner, bekanntester zeitgenössischer Schriftsteller Perus, gescheiterter Präsidentschaftskandidat 1990. Strammer
Vertreter der weißen Oberschicht, nennt die Bewegung der indigenen
Völker ‚archaische Utopie’.
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Die Augenbraue des Urwaldes
Die meisten Gäste in Machu Picchu alias Aguas Calientes reisen von
Cusco mit dem Zug an, eine Straße nach Aguas Calientes gibt es nicht.
Die andere Möglichkeit ist, bis Kilometer 88 mit dem Auto oder Omnibus zu fahren und vom Ende der Straße auf einem Abschnitt des Inka
Pfades durch das Valle Sagrada entlang des Urubamba Flusses in 2 – 4
Tagen direkt zu den Ruinen von Machu Picchu zu laufen. Wer das Abenteuer sucht, wird diesen Weg wählen und ein Pauschalarrangement – das
ist vorgeschrieben – mit Träger und Führer buchen.
Vom Zug aus kann man gut beobachten wie beim Km 88 die Krötenwanderung den Berg hinaufschleicht. Wenn es noch früh am Tag ist erst
einmal nur in eine Richtung. Die Wanderer sind meistens zu jung oder
zu alt und das größte Abenteuer steht ihnen da noch bevor, spätestens
wenn ihnen das Blut aus der Nase schießt, nämlich das Abenteuer der
Erkenntnis, nicht an Höhen von über 4.000 Meter angepasst zu sein und
wieder umkehren zu müssen. Vom Zug aus kann man dann abends gut
beobachten, wie bei Km 88 Teile der Krötenwanderung jetzt wieder den
Berg hinunterschleicht. Die Reiseveranstalter haben dies bereits einkalkuliert und Zugtickets gekauft, der Abendzug hält abends extra nochmals.
Jetzt mag der geneigte Leser sich vielleicht sagen, angesichts der unrühmlichen Vergangenheit, in der es 160 Fremden, geführt von einem
Schweinehirten aus Trujillo in der Extremadura, unehelicher Sohn
einer Dienstmagd, Analphabet, 1531 gelungen ist, ihr Reich von der
Größe und Bedeutung des römischen Imperiums innerhalb von kurzer
Zeit komplett zu zerstören, und angesichts des seit dieser Zeit sowieso in einem steten ununterbrochenen Fluss abfließenden Reichtums des
Landes, zuerst nach Europa, später auch nach Nordamerika, in letzter
Zeit noch nach China, da sei dieses bisschen nach Chile nun auch schon
wurscht, und besondere Besserwisser weisen noch darauf hin, dass zwar
in Venezuela Chavez diese Flut gerade einzudämmen versucht und in
Bolivien Morales und in Ecuador xx, dass aber die Peruaner brav den
Wirtschaftskriminellen Alan Garcia wiedergewählt haben, das zeuge
doch davon, dass die Peruaner zwar brave und sympathische Leute sind,
aber eben nicht so beschlagen, was Wirtschaft und Politik angeht.
Die Professoren unter uns werden nun beschwichtigend ausführen, dass
es dereinst ja vor allem drei Dinge den Spaniern ermöglicht haben, die
Inka zu besiegen: Pocken, Gewehre und Stahl. Die Inka hatten nämlich
leider nur Bronzewaffen und waren technologisch weit zurück, isoliert
vom Rest der Welt, selbst von Mittelamerika, wo die Maya wenigstens
eine Schrift besaßen, die ihnen gegen Cortes allerdings auch nichts genützt hatte, während es im europäisch – asiatischen Raum seit Tausenden von Jahren Austausch gegeben hatte, die Schrift der Assyrer, das
Schießpulver der Chinesen usw.
Außerdem wurden 95% der Urbevölkerung gar nicht hingemetzelt, sondern starben von selber durch eingeschleppte Infektionen. Die Europäer, die es gewohnt waren, mit ihren Haustieren, Hühnern, Schweinen,
Schafen, Kühen und Pferden auf engem Raum zu leben, waren immun
gegenüber Krankheiten wie Pocken, Masern, Grippe etc, die alle ihren
Ursprung in Tierkrankheiten haben. Die Inka dagegen hatten nur die
Lamas, die in Herden ohne engen Kontakt zu den Bauern lebten.
Aber diese ganzen politisch völlig korrekten Bemühungen laufen ins
Leere, wenn man sich vergegenwärtigt, wie Pizarro Atahualpa übertölpelt hat, die Minengesellschaften die Peruaner früher und die Chilenen
die Peruaner heute. Oder wie der Ethnologe Constantin von Barloewen
sagt, ‚die Inka Kultur widerspricht in ihrer transzendalen Kosmologie
der modernen westlichen Technologie‘. Als Fazit bleibt also leider nur:
Die Peruaner sind einfach nicht kompatibel mit dieser Art von Welt.
So viel aus der Sendereihe: ‚Komplexe historische Zusammenhänge
verständlich gemacht’. Zurück ins Studio nach Aguas Calientes.
Für die Zugfahrt von Cusco über Ollantaytambo nach Aguas Calientes
gibt es den luxuriösen Bingham für 550 Dollar, benannt nach einem
Amerikaner, der Machu Picchu zwar auch nicht entdeckt, aber als erster geplündert hat, den Vistadome und den Backpacker, letztere immer
noch für unglaublich viel Geld, 70 – 100 Dollar. Der Vistadome heißt
Vistadome, weil er ähnlich wie die Omnibusse in den 50er Jahren im
Übergang zwischen den Wänden und dem Dach der Waggons noch eine
Fensterchenreihe mit abgerundeten Ecken hat, aus der man auf der Fahrt
fast die Gipfel der Berge bewundern kann, während aus den Lautsprechern seltsame Töne dringen, die schon wieder vermuten lassen, dass
hier jemand versucht hat, auf der Panflöte Imagine von John Lennon
nachzuspielen. Der Zug ist bis auf den letzten Platz besetzt mit standartisierten Touristen, an die man sich nicht mehr erinnern kann, sobald man
am Bahnhof von Aguas Calientes ausgstiegen ist, als Zeuge in einem
Kriminalfall eine Katastrophe.
Auf den Waggons steht zwar Perurail, die lukrative Strecke von Cusco nach Aguas Calientes gehört aber laut erboster Einheimischer einem
chilenischen Konsortium, was aber nicht stimmt, tatsächlich gehört die
Linie den Engländern. Viele der Hotels sind jedoch fest in chilenischer
Hand, was die Wut der Inka über eine weitere Sparte ‚Reichtumstransfer
ins Ausland’ letztlich rechtfertigt.
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Auch dort oben in Machu Picchu regnet es. Nebelschwaden ziehen über
die Ruinenstadt und verdecken Teile der Anlage, geben diese wieder
frei und verdecken andere Teile. Ein beeindruckendes Schauspiel der
Natur ohne Aufpreis, außer den 3 Soles für eine farbige Mülltüte mit
Kapuze. Es ist 6 Uhr morgens. Friederike, die die Reise initiiert hatte und auch das Reiseziel vorgeschlagen hatte, spielt die Reiseleiterin
und die Reisegruppe, einer Schafherde nicht unähnlich, ist darob nicht
unglücklich, nimmt dankbar die dadurch entstehende Geborgenheit an,
und trägt auch den Konflikt aus, der immer dann entsteht, wenn einer
von ihnen von Friederike in die Schranken verwiesen wird, weil er widersprochen hat, eigene Vorstellungen durchsetzen will, Fehler moniert.
Die Reisegruppe erkennt an, dass eine Geborgenheit stiftende Leitung
gar nicht anders handeln kann, ohne ihre Selbstaufgabe, ohne die Auflösung der Geborgenheit zu riskieren, und so darf Friederike mit einer Flut
unnützen Wissens uns das Gehirn verstopfen, weil allein das Sichten
und Sammeln so vieler Daten schon so lange dauert bis man tot ist, alles
sehen nichts verstehen, weil gar keine Zeit bleibt für das Ordnen, Prüfen, Zuordnen, und dann werden all die vielen schönen angesammelten
Fakten zusammen mit der Gehirnmasse von den Würmern mitgefressen,
ohne auf sie überzugehen, was eher ein Glück für die Würmer bedeutet.
Das Schöne am Reisen ist die Vielfalt neuer Eindrücke. Ollantaytambo
zum Beispiel ist ein sehr ursprünglich erhaltener präkolumbianischer
Ort, Cusco einer aus der Kolonialzeit, und Aguas Calientes ist ein Ratzenloch, wie sie oft neben touristisch interessanten Stellen entstehen, es
tut mir daher auch absolut nicht leid, das so sagen zu müssen. Vielleicht
gab es ja einmal ein richtiges Dorf bei den heißen Quellen, die dem Ort
ihren Namen gaben, dieses wurde dann aber gründlich beseitigt, die nun
vorhandenen Hütten, Buden und Investorenschrecklichkeiten scheinen
alle nicht älter als 9 Monate zu sein.
Aber weil es so wichtig ist, eben nicht nur das Negative zu sehen und
dann seinem Gegenüber die Ohren so voll zu jammern, dass der sich
denkt, warum ist der Depp nicht einfach zu Hause geblieben, sei noch
erwähnt, dass, egal wie man ausschaut und in welcher Sprache man sich
gerade mit seinem Begleiter unterhält, die Angestellten der Restaurants
stets spanisch sprechen, wenn sie einem bei dem Spießrutenlauf durch
die Gassen zwischen 10 Uhr morgens und 10 Uhr abends die Speisekarte unter die Nase knallen. Sie rufen ‚amigo’, ‚muy rico’, ‚plato tipico’,
niemals wird man durch Worte wie ‚mein Freund’, ‚superlecker’ und
‚deutsche Küche’ belästigt.
Herr Albrecht macht zwischendurch Kopfstand am Bahnsteig, alle sind
begeistert, auch die Touristen.
Herr ‚Spanisch muss man nicht können’ Albrecht hat sich selbständig
gemacht und geht derweil prompt verloren, den Aufstieg zum Uayna
Picchu macht er nicht mit, weil er das Schild ‚nur 400 Personen am Tag’
mit ‚kostet 400 Soles pro Person’ (das wären 100 Dollar!) interpretiert,
was ihm dann doch zu teuer ist. Wir treffen ihn erst 4 Stunden später am
Omnibus wieder, der uns zurück nach Aguas Calientes bringt.
Am nächsten Tag fahren wir nach Cusco. Auf dem Platz warten mehrere
Schuhputzer auf Kunden. Diese Kunden sind meist ältere gut gekleidete
Einheimische, die Schuhputzer sprechen auch die Touristen an, möchten gerne an deren Reisekasse partizipieren, meist jedoch erfolglos, die
Touristen tragen Turnschuhe, Wanderschuhe mit Goretex, Trekkingsandalen, kaum einmal ist einer mit Glattlederschuhen dabei, die Voraussetzung für Schuhe putzen, die Schuhputzer, die die Art der Schuhe sehen,
sind davon unbeeindruckt. Sie tun mir leid, in der Regel bin ich Bettlern
oder Taxifahrern emotionslos gegenüber, aber Schuhputzer leiden an
der respektlosen Art der Touristen, ausschließlich touristenfunktionsgerechte Schuhe zu tragen. Dass gute Kleidung auch einen Respekt gegenüber dem Gastland darstellt ist den meisten Touristen nicht bekannt,
auch in unserer Reisegruppe trägt nur Herr Albrecht Glattlederschuhe,
die er sich daher zweimal putzen lässt.
In Aguas Calientes regnet es, Trockenzeit hin oder her. Das ist nicht
weiter bemerkenswert, da Aguas Calientes im Bergregenwald liegt, auf
peruanisch ceja de la selva, die Augenbraue des Urwaldes. Chinesen,
Japaner und Koreaner werden vor Neid erblassen, wenn sie das lesen
und sich sagen, poetischer hätten wir das auch nicht ausdrücken können,
und wir haben schließlich das Monopol auf blumige Begriffsumschreibungen, und dann werden sie den peruanischen Botschafter deswegen
einberufen und ihm eine Rüge wegen Blumigeausdrucksweisenanmaßung erteilen und internationale Verwicklungen heraufbeschwören.
Solcherart aus mehr als drei Wörtern zusammengesetzte Begriffe wie
Blumigeausdrucksweisenanmaßung sind immer sehr schön, aber noch
nichts besonders, fünf sind da schon besser. Ruinenparkerlebnisreiseziel ist so ein Wort, das selbst das Rechtschreibprogramm von microsoft
verzweifeln lässt. Machu Picchu ist so ein weiterer Ruinenerlebnispark
in der Reihe der beliebten Ruinenerlebnisparkreiseziele, die Anlage ist
aber im Gegensatz zu anderen mir bekannten Ruinenerlebnisparks in
Syrien, Mexiko oder Ägypten angenehm puristisch, es gibt weder Gastronomie, Souvenirverkauf feststehend, Souvenirverkauf zu Fuß, Toiletten, noch nicht einmal Erläuterungsschilder.
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Das Beste an Bangkok ist das
Grünteeeis von HägenDaz
Die meisten von uns werden dazu gezwungen, zwischen ihrer Schulzeit
und der Rente ihren Lebensunterhalt mit Arbeit zu verdienen, und um das
40 bis 50 Jahre durchzuhalten, haben Arbeitgeber und Gewerkschaften regelmäßige Rekreationsphasen festgelegt, genannt Urlaub, und nicht wenige der Kollegen verbringen diesen Urlaub in Abgasen, Lärm und Gestank,
in einem riesigen In- und Outdoorpuff, bewegen sich im Strom hässlicher
schlecht gekleideter übelriechender mittelalter Männer aus aller Herren
Länder, die gerade vom Puff kommen oder auf dem Weg dorthin sind,
in einer Stadt mit keinerlei urbanem Gefüge, in der soziales Elend und
großer Reichtum Tür an Tür vereint sind, in der kein Taxifahrer Englisch
versteht, Kinder Klebstoff schnüffeln, lassen sich von traurig aussehenden
Elefanten anbetteln, und ruhen sich zwischendrin auf Plätzen aus, auf denen angerostete schmierige Metalltische und angebrochene Plastikstühle
stehen und die so anheimelnd sind, wie es Ausruhplätze in ratzigen shopping malls eben so schaffen, nämlich gar nicht, lassen sich aber trotzdem
auf einem der angebrochenen Plastikstühle an angerosteten schmierigen
Metalltischen nieder, weil die Füße schmerzen, und essen ein Grünteeeis,
laufen auf müllübersäten Gehsteigen in viel zu engen Straßen herum, lassen sich von den Händlern gnadenlos übervorteilen, indem sie sich Anzüge aus Futterseide schneidern lassen, die nicht passen und die aus Kunstseide sind, und ersaufen in einem See billiger gefälschter Markenware in
einer Qualität, die eigentlich gar keinen Preis zuließe, warten darauf, dass
Kurt Russel um die Ecke kommt, auf dem Weg, den Präsidenten zu retten,
mit anderen Worten, Bangkok ist das Urlaubsziel für Endzeitpunks.
entstehen, Verwaltungsgebäude, Läden, immer noch Brachflächen, dann
wird der erste Wolkenkratzer gebaut, und so entsteht ein wildes Durchund Miteinander von der Holzhütte bis zum klimatisierten Tower mit 70
Geschoßen.
In Bangkok habe ich vor, so eine Show zu besuchen, weil so eine Show
touristisch zu Bangkok gehört wie der Eiffelturm zu Paris. ‚Aber auf dem
Eiffelturm warst Du doch noch gar nie‘, wende ich ein, ‚trotz mehrfacher
Parisbesuche. Und was soll eigentlich die verniedlichende Terminologie
dabei? Man könnte meinen, da seien Tingeltangelbienen mit Glitzerkostümen zu Gange, aber das sind Fickvorführungen, und in den Pausen
stellen die Mädels allerhand eigenartige Dinge mit ihrer Muschi an.‘ ‚Tingeltangelbienen finde ich noch viel schlimmer wie Mädels, die was mit
ihrer...‘ ‚ Du kannst gleich eine Watschn haben!‘ schrei ich wütend ‚Wenn
Du mich schlägst, gehe ich grad mit Fleiß in so eine Show!‘ ‚Außerdem
ist Pornographie pervers, wie Du selber sagst.!‘ Ich lies mich nicht ablenken. ‚Autofahren und fernsehen ist auch pervers, und ich tu es trotzdem.
Wenn ich alles nicht täte, was offensichtlich pervers ist, wäre ich nicht nur
nicht hier, ich wäre ein Einsiedler oder hätte mich umgebracht, was auch
pervers wäre, wenn . . . ‚ . ‚ Jetzt schweif nicht ab‘, unterbreche ich. ‚Überleg mal, da werden jährlich zigtausende Mädchen aus ärmsten Verhältnissen rangekarrt und müssen sich prostituieren.‘ ‚Dann haben sie doch was
zu essen’, gab ich mich philantrop. ‚Arschloch‘, sage ich. Das gebe ich zu,
aber dann fällt mir noch was ein: ‚Wie kann ich über so Shows schreiben,
um die Leute davor zu warnen, wenn ich sie nicht gesehen habe?‘ Das ist
der Durchbruch, denke ich, aber ich erwidere, dass das ein Niveau von
Privatfernsehsendern sei, die immer dann extra gegründet werden, wenn
mal wieder ein Bauer seine Familie und die Hühner abgeschlachtet hat,
worauf die Öffentlichkeit ein Recht hat. Da gebe ich es schweren Herzens
entgültig auf.
Fragt man aber Touristen, warum sie ihren Urlaub ausgerechnet in Bangkok verbringen, so antwortet einer: ‚Wegen der Parks‘, worauf ich entgegne, ‚so ein Unsinn, Parks, die nicht von Lenné entworfen wurden, sind
nur als Naherholung geeignet und für ein bisschen Sauerstoff,‘ und ihn
wegschicke und den nächsten frage, der dann mit ‚Tempel anschauen’ ankommt und dabei schaut, als müsse man jetzt sagen, brav, auch wenn allen
Beteiligten klar ist, dass er mit buddhistischen Tempeln so viel anfangen
kann wie die Kuh mit einem Miro, er ist aber trotzdem der festen Auffassung, Tempel - wie auch Kirchen - anschauen gehöre einfach dazu zum
Urlaub. Bevor ich auch ihn wegschicken kann, ergänzt seine Frau noch
schnell: ‚Wegen der Einkaufsmöglichkeiten, weil es so günstige Markenware gibt‘ und beweist das auch sogleich, indem sie auf einen formlosen
Fetzen an ihrem eigenen Körper hinweist, der entfernt die Form eines Tshirts aufweist und auf dem groß DKNY oder CK oder sonst irgend ein
Werbeaufdruck steht. ‚Sie verbringen also Ihren Urlaub mit dem Kauf von
minderwertigem Schrott, um danach als zu heiß gewaschene Litfasssäule
rumzulaufen?‘, frage ich ungläubig und schicke die beiden in die nächste Klapsmühle. ‚Touristen schauen, in der Khao Sok Road oder in den
Puffs‘ sagt ein Langhaariger. ‚Vielen Dank‘, entgegne ich desinteressiert.
Der Tourist als Touristenattraktion, ja geht’s noch. Dann läuft mir ein
rotgesichtiger übelriechender Mann in kurzen Hosen über den Weg, mit
Socken zu den Sandalen, mit denen er trotzig und ignorant ordentliche
Kleidung und Rechtschaffenheit zitiert und wahrscheinlich gleichzeitig
westliche Kultur transportieren will. ‚Was treibt Sie nach Bangkok, guter
Meister‘ frage ich ihn. ‚Bier trinken und kleine Thaimäuse ficken‘, entgegnet er verwundert ob der Frage, als ob das nicht klar wäre. Ich schlage
ihn zusammen und gehe ins Hotel zurück.
Bangkok ist hässlich, laut, stinkend, heiß, schmutzig. Aber das hatten
wir schon. Neu ist, dass es in Bangkok nun auch schon so dicke Thais
gibt, wie die fetten Underdogs in Amerika. Und zwar in der Umgebung
von Shopping Malls mit, genau, MacDonalds. Die Kausalität kann ich
aber nicht beweisen.
Bangkok ist keine Stadt. Der Entstehungsprozess, der sich unablässig an
den Rändern fortsetzt, ist evident: Auf der Wiese in der Nähe einer Ausfallstraße wird eine Lagerhalle, ein Haus, egal was errichtet, mit einer
Stichstraße erschlossen, an der Ausfallstraße der Strom angezapft und in
die Stichstraße geleitet, 500 Meter weiter ebenso, eine Immobilienentwicklungsgesellschaft baut 4 Reihenhäuser, die erst mal leer stehen, ein
Kleinbetrieb repariert Motoren. Im Laufe weniger Jahre füllen sich die
Flächen drum rum, die Beschäftigten ziehen her, kleine Läden entstehen,
die Stichstraße wird geteert und erhält einen Namen. Geschossbauten
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Keine Schiffsreise auf dem Mekong
Die nachfolgende Geschichte vermittelt dem Leser einen Eindruck der
Langsamkeit, die der Reisende in Laos entdecken kann, und zwar keineswegs bei sich selbst, was ja durchaus erwünscht wäre, sondern bei
den Laoten. Sie handelt von dem letztlich erfolglosen Versuch, eine
mehrtägige Schiffsreise von Louang Prabang den Mekong aufwärts zu
unternehmen. Die ‚Entdeckung der Langsamkeit’ als Leitthema kann
hier durchaus auch als ein Euphemismus für Langeweile gesehen werden, und die ganze Geschichte kann daher ohne schlechtes Gewissen
quergelesen, überflogen oder gleich überblättert werden.
die Möglichkeit aufmerksam gemacht worden zu sein, für 40 Dollar . . .
Es stellt sich heraus, dass das besagte Reisebüro eines jener ist, die gestern geschlossen waren. Heute hat es schon wieder zu. Ich versuche es
wieder bei anderen Reisebüros, der Auskunft vom Hotel ist erfahrungsgemäß auch nur bedingt zu trauen.
Das 112. Reisebüro hat nur Speedboats. ‚Bin ich wahnsinnig‘, schreie
ich und renne raus.
Nach dem 444. Reisebüro und 3 halben Tagen Recherchen weiß ich,
dass die einzige Existenzberechtigung der Reisebüros der gelegentliche
Verkauf von um mindestens 32 Dollar überteuerte Fahrten zum Wasserfall oder nach PakOu ist, und dass, wenn auch nur einmal alle dreieinhalb Wochen einer drauf reinfällt, die Herren auf den Couchgarnituren
prima davon leben können.
Also gehe ich nochmals zu dem Büro, das angeblich die richtigen Tickets verkauft. Wie gehabt hängt das Geschlossenschild an der Türe,
die aber einen Spalt offen steht. Ich gehe rein und rufe ‚Hallo, ist hier
jemand‘, was man so ruft, wenn man allein in einem Raum steht. Ich
höre, dass sich die Treppe rauf jemand bewegt, der sich aber nicht meldet. Es beginnt der Kampf, wer es länger aushält. Ich warte, dass irgendwann doch mal jemand runterschaut, er oder sie wartet darauf, dass ich
endlich aufgebe und gehe. Ich gewinne, und tatsächlich gibt es hier die
richtigen Fahrkarten nach HueySoy.
‚Das Boot ist heute morgen abgefahren und kommt erst in 9 Tagen
wieder‘, sagt der Laote freundlich und emotionslos. Neun Tage auf ein
Schiff warten! Einen Reisenden, der sich das leisten kann, gäbe es seit
1950 nicht mehr, erkläre ich ihm naseweis.
Froh darüber, dass es doch noch gelegentlich vorkommen kann, dass ein
Tourist nicht jederzeit im Verkehrsmittel seiner Wahl überall hingelangen
kann, mehr noch, dass ich nicht 2 Tage einen vollkommen vogellosen
Fluss entlang fahren muss, verlasse ich asiatisch lächelnd langsam den
erst von der Königsstadt zum französischen Provinzkaff und dann zur
Touristenkulisse abgestiegenen Ort und fliege nach Vientiane zurück.
‚Ich möchte gerne eine mehrtägige Schiffsreise buchen, nach Huey Sen
an der nordthailändischen Grenze. Ich habe gehört und auch im Reiseführer gelesen, es gibt da ein bequemes, komfortables Boot, das möchte
ich nehmen.’
‚Wir haben eine Fahrt zum Wasserfall, für 40 Dollar. Oder eine Bootsfahrt zu Pak Ou, der Höhle mit den vielen Buddhafiguren, für 40 Dollar.‘
antwortet der smarte Reisebüromensch vom Büro Diethelm Travel, laut
jedem Reiseführer der renommierteste Südostasienagent der Welt. ‚So
schaugst aus’, denke ich. Die Fahrt zum Wasserfall oder nach PakOu kostet auf der Straße zehn Dollar, und wenn man handelt, acht. Außerdem
glaube ich deutlich Huey Son und nichts anderes gesagt zu haben. Aber
macht nichts, fast nebenan ist das nächste Reisebüro. Es gibt ziemlich
viele Reisebüros in Louang Prabang, das ist mir schon aufgefallen.
‚Wir haben ein Boot für 200 Dollar‘ erklärt der Mann im zweiten Reisebüro. Das Reisebüro ist eingerichtet wie alle anderen der ebenerdig zur
Straße rausgehenden Wohnzimmer, nur eben mit einem Schild Travel
Office außen dran. ‚Für 150 Dollar‘, sagt er dann, als ich schweige. Ich
wollte eigentlich keines kaufen. Er erklärt, dass es sich hierbei um die
Miete eines ganzen Langsam - Langsam - Bootes handelt, mit etwa 10
Sitzplätzen, solche, die vom Moment des Platznehmens an unbequem
sind, ich kenne sie, das sind die gleichen, die auch für 10 respektive 40
Dollar die Fahrt nach PakOu durchführen. Die Boote haben ein Dach,
das etwa einen Meter über dem Schiffsboden ist. Man kann trotzdem
drunter sitzen, weil die Füße der Stühle nur 10 cm hoch sind. 2 Tage in
so einem Boot zuzubringen ist auch mit nur einem Meter achtundsiebzig
unvorstellbar.
‚Wir haben Langsam - Langsam - Boote und Langsam - Schnell Boote‘, sagt ein anderer im nächsten Reisebüro. Das Büro schaut auch
aus wie ein Wohnzimmer, auf der Sitzgarnitur sitzen aber hier gleich
mehrere Laoten. ‚Soso‘, antworte ich angenehm überrascht. Es ist zwar
nicht das, was ich wollte, aber immerhin ein Ansatz.
Das nächste Reisebüro ist geschlossen, im fünften oder sechsten sitzen
wieder ein paar Laoten auf einer Couchgarnitour, aber leider ohne Entscheidungsträger, der käme später.
Auch die nächsten Versuche führten aus verschiedenen Gründen nicht
zu Erfolg. Ein bequemes touristengeeignetes Verkehrsmittel war bislang
noch nicht darunter, dafür aber kristallisiert sich für Wasserfall und PakOu ein Einheitspreis von je 40 Dollar heraus.
Ich zweifle, ob es das legendäre Touristenboot überhaupt gibt. Nach
etwa drei Stunden Lektion in Langsamkeit habe ich keine Lust mehr
und beschließe, am nächsten Tag weiterzumachen.
Am nächsten Tag habe ich immer noch keine Lust, ich gehe am Mekong
spazieren und sehe ein hübsches Boot am Ufer liegen, in der Art der Expressboote, nur größer. Es ist das Boot, es gibt das Schiff also wirklich.
Dort vor mir lag die Xeng Ngume, mit Kabinen und Promenadendeck
und Sonnendeck und Restaurant und Bar, und alles ist aus echtem Tropenholz, was mir in den Tropen als politisch korrekt erscheint. Es schaut
genau so aus wie ein Boot, das dafür gemacht wurde, Touristen den
Mekong entlangzufahren.
Anstatt weiter Reisebüros abzuklappern frage ich jetzt gezielt an der
Hotelrezeption nach und werde an ein Reisebüro verwiesen, das angeblich Fahrscheine für eben dieses Boot verkauft, nicht ohne vorher auf
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Rote Strickkleider
Die Anreise erfolgt in der Regel im Flugzeug von Bangkok oder Phnom
Penh. Die Flugbegleiter tragen goldene Seidenjacken mit Stehkragen,
die Flugbegleiterinnen beige Seidenjacken und ultramarinblaue knöchellange enge Seidenröcke. Vor dem Flughafen warten klimatisierte
Kleinbusse, um die Touristen in ihr Hotel ins nahegelegene Siam Reap
zu bringen.
Ebenfalls möglich ist die Anreise im klimatisierten Schnellboot von
Pnom Pen.
Eine Anreise in der Dschunke den Mekong hoch, dann in Riderbooten über die Seen, danach auf 13 Elefanten durch den Dschungel, einschließlich der 6 Elefanten für die 23 Schrankkoffer, mit 14 Übernachtungen in verwanzten Holzhütten, bis endlich das Grand Hotel Angkor
erreicht ist, ist nicht mehr möglich. Das Grand Hotel aber gibt es immer
noch, nur wird es von der Raffles Group Singapore betrieben, und es
beherbergt keine exzentrischen Millionäre, keine korrupten Kolonialbeamten, keine Abenteurer, keine Vertreter der britischen Ostasiengesellschaft mehr, sondern Rechtsanwälte mit Frau, alleinstehende Gymnasiallehrerinnen, Börsenmakler, pensionierte Regierungsdirektoren, dazu
noch Geschäftsleute und Politiker, also wie überall.
Ein Paar jedoch, um die 40 etwa, versucht tatsächlich, die Zeit zu ignorieren. Er trägt einen hellen Leinenanzug, Hut, Handschuhe und hellbraune Wildlederschuhe sowie einen Stock, sie ein weißes Kleid und
einen breitrandigen Hut und ebenfalls Handschuhe. Sie werden als fehl
am Platz eingestuft, nichts weiter, noch nicht mal ihre Dekoration wird
gewürdigt.
In den Tempelgräben gibt es schon lange keine Krokodile mehr, es
gibt noch nicht mal mehr viele große Bäume, die wurden alle bereits
während des Bügerkriegs und danch vertickt. Wenigstens sitzen in den
Tempeln noch wie eh und je ein paar alte glatzköpfige Frauen mit den
schwarzen Zähnen und dem roten Mund der Betelkauer.
Vielleicht kommt eine Reise nach Angkor Wat ja 50 Jahre oder wenigstens aber 20 Jahre zu spät. Jetzt aber frage nicht, was besser ist, jetzt
oder früher, solcherart Fragen sind ganz und gar überflüssig, weil selbst
wenn sie beantwortet werden könnten, die Antworten nichts ändern
würden.
zu Speyer? Ich kann mich noch gut erinnern, dass sich der Dom zu
Speyer mir als ein Dom in Speyer erschlossen hat, dass mit viel Müh
und Not und gutem Willen auch noch die Zeitdifferenz zu seiner Entstehung irgendwie erfahrbar war, trotz jahrhunderte altem Bemühen, dies
durch ordentliche Renovierung zu verhindern, aber eben leider ohne Extrabonus. Da vor tausend Jahren irgendwelche Salier von Speyer aus das
Abendland beherrschten, hatte ich erwartet, dass sich in mir der Wunsch
nach der Wiederkehr des heiligen römischen Reiches deutscher Nation
einstellen würde, aber da war nichts. Schade.
Als die Tempelanlagen von Angkor gebaut wurden, lebten bereits eine
Million Khmer in der Provinz, und sie lebten nicht wesentlich anders
als heute, in der Fläche verteilte Felder, umsäumt von Bewässerungskanälen und Kokospalmen, an staubigen Wegen zurückversetzt einzeln
stehende Holzhäuser auf Stelzen, unten läuft das Land durch und die
Hühner und Schweine, im ersten Stock ein Raum zum Schutz gegen
das Wetter und anderes. Die Besetzung durch Vietnam und davor die
Herrschaft der Roten Khmer haben keine für den Touristen sichtbaren
Spuren hinterlassen, auch wenn sich bei den Tempeln 5 Einbeinige aufhalten, an jeder Touristenattraktion der Welt halten sich 5 Einbeinige auf
und versuchen mit gutem Recht aus den Touristen Geld rauszuholen.
Im Reiseführer steht, die Khmer Rouge hätten neben Pnom Penh auch
die Stadt Siam Reap entvölkert und fast alle Bewohner aufs Land verschickt, was nicht einfach gewesen sein dürfte, wohnten doch fast alle
Bewohner von Siam Reap bereits auf dem Land, außer während der
Kämpfe danach, als die Landbevölkerung in der Stadt Schutz suchte.
Ansonsten weiß ich nichts über die Khmer Rouge, in meiner Vorstellung
ist Khmer Rouge eine Art abgeschwächter Nationalsozialismus, also die
gewaltsame und brutale Durchsetzung einer Staatsidee, wobei alles vernichtet wird, was da nicht reinpasst, nur ohne der Zielsetzung der Nazis,
die Nachbarländer und die ganze Welt gleich mit auszumisten.
Evident ist jetzt, 25 Jahre danach, dass das Land sich kaum weiterentwickelt hat, die bäuerliche Gesellschaftsstruktur in ihrer gänzlich unromantischen Armut erscheint noch intakt und hat noch nicht der Dualität
von (sozialer und materieller) Verelendung vieler und (sozialem und materiellen) Reichtum weniger Platz gemacht, Fahrrad und Moped haben
den Lebensbereich der Einwohner vergrößert, aber noch nicht aufgelöst.
Hans Leisen, Geologe an der FH Köln, der in Ankor Wat mit der Konservierung der Reliefs befasst ist und der wie ich aus dem Westallgäu
stammt und schon deshalb als absolut glaubwürdig gilt, sagt, dass die
gerne in Reiseführern kolportierte Geschichte der im Urwald versunkenen Tempelanlage, die erst zu Beginn des 19. Jhr. wiederentdeckt
wurde, ein Schmarren sei, er sagt wirklich Schmarren. Ankor Wat sei ein
Nationalheiligtum der Khmer und Ntionalheiligtümer versinken nicht
einfach ein paar Jahhunderte. Dann warnte er noch, dass sich einem
wahrscheinlich Ankor Wat nicht in ein paar Tagen erschließen werde.
Aber wie erschließen sich einem, also mir zum Beispiel, Nationalheiligtümer, und dann noch fremdartige, in denen Shiva im Relief abgebildet
ist mit seinen 2 Söhnen, den Göttern des Krieges und der Weisheit, letzterer dargestellt als Elefant, und noch viele tausend andere Götter und
Krieger und Elefanten und Krokodile entlang von Mauern, die mit Touristen übersät sind wie tote Mäuse mit Ameisen? Dass die Tempelanlage
ein beeindruckender Ort ist, der Geist des Ortes für den europäischen
Touristen spürbar wird, vor allem wenn die Touristen heim ins Hotel
sind zum Dinner mit Folkloredarbietung, $ 25 pro Person, dafür aber
jetzt plötzlich nicht wenige Kambodschaner unter sich sind, ist nicht unerwartet und gehört zur Kulturgeschichte des Abendlandes seit Petrarca,
aber dass das jetzt der genius loci versunkener Reiche der Khmer ist,
das, fürchte ich, führt dann doch zu weit. In der Bar des Grand Hotels
den genius loci vergangener Zeiten heraufzubeschwören ist einfacher
und gewinnbringender.
Da fragt man sich doch gleich, welches sind eigentlich die deutschen
Nationalheiligtümer? Die Wacht am Rhein? Der Kyffheuser? Der Dom
Siem Reap ist die Hauptstadt der Provinz und das wichtigste Touristenziel Kambodschas, es gibt daher neben dem Grand Hotel eine Vielzahl
kleinerer Hotels und Restaurants, mit jeweils mehr oder weniger oder
gar keinem Touristenanteil, immer aber mit gutem kambodschanischen
Essen, auf jeden Fall besser und billiger als das Folkloredinner für $ 25
pro Person plus Getränke.
Die deutschen Reisebegleiter, mit denen ich jeden Abend zum Essen
gehe, sind sehr bewandert in zeitgenössischer deutschsprachiger Literatur. Ich nicht, fast alle Autoren und Titel, die in die Runde geworfen
werden, sind mir gänzlich unbekannt. Ich krame aufgeregt in meinem
Gedächtnis, aber mir fallen nur so Leute ein wie Goldt, Fauser, Dobler, Goetz, und mit denen kriege ich keine Anerkennung als ernsthafter
Literaturkenner, das wird so als ‚Leichte Literatur‘ angesehen, dessen
Grenze zu Hera Lind fließend sei. Ich kontere mit dem Ausruf ‚Ihr Bildungsbürger!‘, was mit Unverständnis quittiert wird. Außerdem vertragen die Literaturbeflissenen nur entweder das Essen oder die Hitze, nie
beides zusammen, da nützt auch die ganze Literatur nichts.
In Kambodscha, in Angkor Thom genau, finde ich stattdessen eine neue
Freundin. Sie fällt mir in ihrem roten Häkelkleid bereits auf, als ich auf
die Elefantenterrassen raufsteige und sie hinter mir herschreit: „Mister,
Mister, cold drinks“, ich aber mit fester innerer Stimme zu mir sage,
du bist wegen der Kultur und nicht wegen der Colabüchsen an Strickkleidchen hier. Irgendwann mal aber muss auch ich wieder hinunter, und
da steht sie dann auch schon, grinsend. ‚Jetzt hab ich fünf mal hinter
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dir hergerufen‘, mault sie auf englisch. ‚Nein, danke‘, sage ich in Khmer,
worauf sie weiter mault, jetzt in khmer. ‚Nein danke‘, wiederhole ich. ‚Ah’,
sagt sie, jetzt wieder auf englisch, ‚du kannst also nur 2 Worte khmer’, und
lacht.
Aus der Ferne ist unterdessen ein entschiedenes „No“ zu hören, das rasch
näher kommt, begleitet von belustigtem, keineswegs unergründlich asiatisch Lachen von anderen Cold Drinks Ladys. Der Taxifahrer, der mich
rumfährt, ruft mich zum Stand seiner Schwägerin, zumindest nehme ich das
an, Taxifahrer lotsen einen immer zu ihren Schwagern und Schwägerinnen,
und gibt mir seinerseits eine Cola. Es ist aber ausgerechnet der Stand neben
dem meiner zukünftigen Freundin. Meine zukünftige Freundin, noch ist sie
es ja nicht, sieht das und fängt an zu schimpfen und hört nicht mehr auf.
Alle lachen, und finden es auch noch sehr lustig, als sie mit einem Stock den
Taxifahrer verprügelt.
Es stellt sich währenddessen heraus, dass das entschiedene „No“ von einem
meiner literaturbeflissenen Reisebegleiter kommt. Ich nehme ihn am Arm
und nötige ihn, bei der Dame im roten Kleid ein Bier zu kaufen, worauf sie
endlich aufhört zu schimpfen und zu schlagen und meine Freundin wird.
Dann fahre ich ab, und sie winkt mir zum Abschied nach, bis das Taxi um
die Ecke biegt. Sie ruft mir noch etwas nach und ich redete mir noch Monate
später ein, dass es ganz gewiss ‚You Broke My Heart’ gewesen sein musste.
Eine schöne Geschichte, und garantiert wahr.
Unter unentdeckten Bergvölkern
Für jemanden, der zum erste Mal in Südostasien ist, ist Chiang Mai ein
guter Beginn. Chiang Mai ist übersichtlich. Die Altstadt ist akkurat quadratisch, begrenzt durch eine laute Straße ringsherum und einen mäßig
sauberen Kanal. Innerhalb des akkuraten Quadrats stehen alte Holzhäuser auf Stützen, ohne Gläser in den Fenstern, und neue Betonbauten
mit Klimakästen vor der Fassade, Gästehäuser und viele bunte Tempel,
das alles steht kreuz und quer und gar nicht akkurat. An der Nordseite
schließt die neue Stadt an, die sich bis zum Fluss erstreckt, wo die neuen
Hotelhochhäuser stehen. Um die neue Stadt schieben sich die Vorstädte
und Gewerbegebiete immer weiter ins Land, die in bemüht intellektuellen Aufsätzen über den moderne Städtebau gerne als Krebsgeschwür
benannt werden. Diese Vorstädte bleiben für Touristen unerheblich,
Touristen bewegen sich nur in den Bereichen Alt- und Neustadt, durch
die Vorstädte und Gewerbegebiete kommt der Tourist nur bei der üblichen und immer gleichen endlosen Anfahrt vom Flughafen auf mehrspurigen Straßen, wo er dann aus dem Fenster des Shuttlebusses schaut
und sich fragt, ob er aus Versehen statt in Chiang Mai nicht vielleicht
doch in Memmingen auf dem Allgäu-Airport gelandet sei. Aber die meisten Touristen haben sich diese Frage auch schon anderswo gestellt und
wissen mittlerweile, dass eben nicht immer alles ganz unverwechselbar
und authentisch ist, und haben sich damit abgefunden.
Ich wohne im Hotel Kanaree Place am Kanal zwischen den beiden
Stadtteilen, einem Thaihotel. Das bemerkenswerteste am Hotel Kenaree
Place ist die Klempnerin, die die Dusche repariert. Sie trägt ein enges
lila Seidenkostüm und hat eine Rohrzange dabei. Nach 5 Minuten funktioniert die Dusche wieder 1A.
Die erste Nacht. Nach und nach lassen die Geräusche nach und verschwinden dann völlig, die Stimmen im Hof, die Verkehrsgeräusche,
dann die asiatischen Lieder aus der Karaokebar gegenüber, der Fernseher im Zimmer nebenan, bis nurmehr das Dröhnen der Klimaanlagen
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bleibt. Das Kanaree Place hat Klimakästen vor dem Fenster, von denen,
wie häufig, manche kaputte Lager haben, alle viertel Sekunde klack,
klack, klack.
(Im Laufe der Reise treffe ich aber auch noch auf zentrale Anlagen, die
einem das Gefühl geben, vor der Türe parkt ein LKW mit laufendem
Motor, und zwar Tag und Nacht. Manchmal, selten, haben die Zimmer
Querlüftung und einen Deckenventilator. Meistens jedoch haben sie
AirCondition und sind entsprechend teurer.)
Nach einem Tag habe ich mich bereits eingewöhnt, frage mich, was ich
hier eigentlich soll, und versinke in tiefe Depressionen. Dann buche ich
eine Trekkingtour zu den unentdeckten Bergvölkern mit Bambusfloßrafting und Elefantenreiten, daraufhin geht es mir wieder gut. Ich finde
eine kleine Heimat in Chiang Mai. Sie ist wirklich nur klein und wird
nicht lange überdauern, aber vorher reise ich eh ab.
men gegenüber der Bhumipolfamilie streng bestraft wird. Auf den Wirpreisen-den-König-Test durch öffentliches Herumtrampeln auf einem
Geldschein wurde aber verzichtet.
Ebenfalls verzichtet werden kann auf einen Besuch auf dem legendären Nachtmarkt. Vor Jahren war ich einmal zu einer fröhlichen Veranstaltung in der Wohnung von Rosi Quint eingeladen, bei der auch ein
Zahnarzt in einem schlechtsitzenden Schlafanzug zugegen war. Der
Zahnarzt selbst jedoch bestritt energisch, dass er einfach vergessen
habe, sich umzuziehen, sondern gab an, es handele sich um einen Seidenanzug, den er sich in Thailand habe maßschneidern lassen, und er
hätte sogar noch einen weiteren solchen Seidenanzug zu Hause, was
heiteres Gelächter hervorgerufen hatte. Das fällt mir jetzt wieder ein,
als ich in der Bangkok Post eine halbe Seite nur mit Beschwerdebriefen
von Touristen finde, die sich mit Maßgeschneidertem gewaltig übers
Ohr hauen hatten lassen, was andere aber augenscheinlich nicht daran
hindert, damit auch noch rumzulaufen.
Wenn ich wieder einmal so eine Dicke im Seidenhosenanzug (meist
mit ganz kurzen Hosen) sehe, der nicht passt und unmögliche Farben
hat, denke ich mir, das machen die absichtlich, die machen sich einen
Spaß daraus, Europäer zu verarschen. Erzähl mir doch niemand, dass
es mehr Arbeit macht, einen hübschen Ballen Stoff aus dem Regal zu
ziehen und die Nähte ein bisschen woanders hin zu setzen, dahin halt,
wo sie passen.
Europäische Touristen, die die große Nordthailandrundreise von TUI
nach Chiang Mai verschlagen hat, sind oft duckmäusig und ängstlich.
Wenn sie ohne Reiseleiter durch die Straßen gehen, halten sie den Blick
streng geradeaus gerichtet, ‚seht her, ihr Schurken, wir haben ein Ziel
vor Augen, von dem wir durch nichts in der Welt und schon gar nicht
von euch abzubringen sind.’ Gehen sie aber über die Straße oder durch
eine Türe, so zögern sie unmerklich und weisen sich als Opfer aus.
Gottseidank gibt es jedoch kaum Täter, außer vielleicht, dass die TukTukFahrer drei Mal so viel verlangen wie normal.
Ganz anders die Australier, buschbewährt, im entsprechenden Outfit,
das sie zu Hause zum Känguruherschrecken verwenden, pflügen sie
durch die Gassen.
Elefantenreiten als Touristenattraktion ist albern, aber auch nicht alberner als der Tourismus an sich, und man kommt einem fremden Tier
so nah, wie man ihm sonst nicht mehr kommt, seit auch im ostasiatischen Dschungel das Auto den Elefanten ersetzt hat. Der Elefant hat
spärliche schwarze Stoppelhaare und angesichts des praktischen Rüssels fragt man sich, warum die Evolution dem Menschen nicht auch
so einen praktischen Rüssel verpasst hat, der große Vorteile verspricht,
beim Türen öffnen, wenn man alle Hände voll hat, oder beim Sex.
Der Besuch bei den unentdeckten Bergvölkern gilt als aufregend, allerdings nicht pc. In Wirklichkeit ist es nicht besonders aufregend, wenn
sich gleichzeitig drei Trekkinggruppen durch so ein Dorf schieben,
pflichtbewusst um die aufgebauten Kunsthandwerksstände scharen, und
den Bewohnern so zu einem arbeitsarmen Leben verhelfen. Neben und
hinter den Kunsthandwerkerständen sitzen einheimische Frauen und
weben. Ich vermute mittlerweile jedoch, dass sie nur so tun, denn viele
der Tücher, Schals, Armbänder und ähnlich nützlicher Dinge werden
mir erstaunlicherweise völlig identisch in Laos Kambodscha und Vietnam wieder begegnen.
Politisch unkorrekt ist das alles nicht. Verglichen mit dem Ausmaß an
Zivilisation, das die Erschließung der Bergregionen für die Menschen
mit sich gebracht hat, was ja nun bis zum kontrollierbaren Verbot das
Mohn- und Hanfanbaus geführt hat (den nun Pakistan und Afghanistan
dominieren) sind die Dummdödel aus fernen Ländern ein eher marginales Problem. Natürlich sind viele von ihnen Arschlöcher, die mit den
Menschen nicht umgehen können, aber das können sie zu Hause mit
ihren Kindern und Kollegen auch nicht, die viel mehr, weil ununterbrochen, darunter leiden als die Bergstämme, für die die Touristen ein steter
Strom komischer Menschen sind, die ohne einen für sie nachvollziehbaren Grund zu ihnen kommen und etwas Geld dalassen.
Am Himmel über Chiang Mai ziehen große gelbe Sterne ihre Bahn, es
könnten Satelliten sein oder Ufos, in Wirklichkeit sind es jedoch Papierballons, an denen eine mit Öl getränkte und dann angezündete Papierrolle in einer Büchse hängt. Sie sind hübsch anzuschauen. Gelegentlich
kommt einer der Ballons runter und setzt ein Haus in Brand.
Nachdem die Thai bereits beim asiatischen Unergründlichkeitstest durch
heftiges öffentliches Mokieren über doofe Touristen durchgefallen sind,
fallen dann auch noch die Mönche mit Pauken und Trompeten beim
Reinheitstest durch, dabei war die Aufgabe alles andere als schwer: Eine
Frau kauft einen kleinen Buddha, angeblich uralt, und wie jeder anständige Mönch weiß, sind Frauen nie ganz und gar rein. Daher ist jede
Berührung, aber auch jede direkte Übergabe von materiellen Dingen
nicht gottgemäß, die Frau muss daher das Geld entweder durch einen
Mann überreichen lassen, dass sie den eventuell dabei verunreinigen
könnte, so weit wird dann auch nicht gedacht, oder die Verunreinigung
dritter wird in Kauf genommen, Hauptsache selber Geld und rein, oder
die Frau muss das Geld auf ein speziell desinfizierendes Tuch legen,
wenn gerade eines verfügbar ist. Die Frau, aber streckt dem Mönch das
Geld hin, der Mönch nimmt es und schiebt es in die Tasche, einfach so.
Habe ich selber gesehen.
Auch zum Allgemeinwissen jedes Reiseführerschreibers und daher
auch jedes Reiseführerlesers gehört, dass Thailand einen albernen Personenkult um sein Königspaar betreibt, dass despektierliches Beneh31
In der Südsee
In Khao Lak gibt es türkisblaues Meer, weißen Sand und grüne Palmen. Hinter den Palmen sind Straßen, Felder, Ansiedlungen, daran schließen sich nach etwa 1000 Meter die bewaldeten Hügel des Nationalparks an.
Wir waren seit vielen Stunden den Strand entlang nach Norden gelaufen, es gab keine Hotels mehr, nur ein paar Dörfer von Meereszigeunern, die im Zuge eines Regierungsprogramms sesshaft geworden waren, es aber nicht bis zur Touristenattraktion unentdeckter Völker geschafft haben, der Bruch mit ihrer tradierten Lebensweise ist dabei nicht geringer. Sie haben elegante schmale Boote mit bunten Wimpeln und einem langen Ruder, auf dem oben direkt auf dem Gelenk der Motor sitzt und ganz unten die Schiffsschraube. An der Biegung zwischen den Stränden Khao Lak und Ban Sok liegt ein Wrack auf einer Sandbank. Dahinter kommt uns eine Büffelherde entgegen.
‚Hier ist es schön‘, sage ich zu der Frau mit den schwarzen Haaren.
‚Wie im Paradies‘, erwidert sie spöttisch. ‚Mir scheint‘, sage ich, ‚Sie können ins Paradies reisen und die böse Welt ist immer noch da, weil sie nämlich in Ihrem Kopf ist.‘
‚Oh weh!‘ seufzt sie und verdreht dabei die Augen.
‚Haben Sie etwas gegen das Paradies?’
‚Das ist kein Paradies’, entgegnet sie, ‚das ist der Mythos der Südsee, und den Mythos der Südsee gibt es erst, seit Captain Louis Antoine de Bougainville 1667 Tahiti entdeckte, wo er sich beim Anblick einer nackten Schönen in einer palmengesäumten Bucht aus türkisblauem Wasser und weißem Sand in den Garten Eden versetzt glaubte, und dann alles zu Hause weiter erzählte. Dass das Bild vom Paradies aber schon damals eher von simpel gestrickten Wunschvorstellungen denn von der Wirklichkeit geprägt war und in der Folgezeit immer noch unzutreffender wurde. . . ‚ sie holt weit aus, erzählt auch noch davon, wie die im Zuge immer neuer euphorischer oder auch nur geschönter Schilderungen, von Melville oder Stevenson oder Gauguin einfallenden Abenteurer und Missionare die gesamte Südsee umgehend weitgehend verwüstet hatten.
‚Thailand liegt nicht in der Südsee‘, behaupte ich besserwisserisch.
‚Das ist doch völlig egal‘, ruft sie verärgert.
‚Sie verstehen mich nicht‘, sage ich
‚Sie lieben mich nicht‘, entgegnet sie.
Zwei mir unbekannte Schlangen kommen ineinander verknäult den Hügel heruntergerollt, entwirren sich ruckzuck und streben in entgegengesetzte Richtungen davon. Dann setzen, wie immer um 17 Uhr, die Grillen das Teewasser auf, das sie dann etwa eine Stunde kochen lassen. Danach versinkt die Sonne senkrecht im Meer und es wird innerhalb weniger Minuten finster.
Das Telefon klingelt. es ist 5 Uhr 45. ‚Good morning, Sir, this is your wake up call‘ Ich sage nicht, ‚wrong number‘ sondern hoffe, dass die Gäste mit der richtigen Nummer verschlafen, ihr Flugzeug verpassen und den Idioten für mich erwürgen. Ich blicke in das Gesicht der Frau. Sie schläft fest, hat das Telefon nicht gehört, hätte das Flugzeug verpasst, wenn es ihr Flug gewesen wäre. Vielleicht war er es ja auch, aber dann hätte sie es vorher gesagt. Nun gut.
Es ist noch dunkel, aber ich kann nicht mehr schlafen. Von der Terrasse 32
des Jungle Tree Bungalows schaue ich den Meereszigeunern, die eigentlich keine mehr sind, zu, wie sie hellerleuchtet am Riff stehen, wie eine
Perlenkette aufgereiht und das Riff leer fischen.
Tage darauf bin ich mal mittags mit einem der Boote rausgefahren, zum
Schnorcheln, die Fischpopulation war ziemlich mager.
Als es hell wird, laufe ich zur Landstraße und halte den Omnibus an.
Die Decke des Omnibus’ ist verchromt und in 12 Felder unterteilt, jedes der 12 Felder hat einen Ventilator mit blauen oder grünen Propellern in einem verchromtem Käfig. Hinter dem Fahrer befindet sich eine
Blende an der Decke quer über den Bus, in die ein Fernseher und eine
Küchenuhr eingebaut sind. Wenn der Fernseher nicht angeschalten ist,
spielt laute thailändische Rockmusik. Es gibt einen Fahrer, einen der
kassiert, einer gibt das Signal für halten und weiterfahren und einer legt
beim Halt den Bremsklotz unter den Reifen. Der Omnibus ist knallvoll,
aber niemand steht, alle stapeln sich in den Sitzen und widerlegen die
Behauptung, dass in Thailand sich Männer und Frauen in der Öffentlichkeit nie berühren. Vor mir sitzt eine alte Frau, neben sich einen Beutel, der einen ganzen Sitzplatz beansprucht. Sie weigert sich, ihn dem
Schaffner zu geben, damit der ihn in das Gepäckfach legt. In dem Beutel
sind Bananen. Die Fahrpreise sind undurchsichtig, mitunter kostet Hinoder Rückfahrt das Doppelte wie in der anderen Richtung, es handelt
sich jedoch um Beträge von nur 50 Cent bis einem Euro.
Ich mag Omnibusfahren, es ist eines der wenigen verbliebenen Relikte
des Reisens und man kommt in Orte, zu denen man gar nicht hinwollte,
von deren Existenz man noch nicht einmal wusste, einfach nur, weil der
Omnibus da hinfährt.
Dieser Omnibus fährt nach Thai Muang, wie sich herausstellt ein ziemliches Drecksloch, ein Straßendorf mit einer Abfolge zweistöckiger,
ewig tiefer Häuser. Im Obergeschoß sind Wohnungen und im Erdgeschoß ist abwechselnd ein Laden und eine Kneipe mit ganz obskuren
Sachen wie Hamster, Grillen, Maden, ein Speisenangebot, das einem
alles Recht der Welt gibt, fortan bei jeder passenden Gelegenheit sagen
zu können: ‚Ach seien Sie doch still, Sie mit ihrem albernen Durchfall,
oder waren Sie vielleicht schon mal in Thai Muang essen?‘ Das Gegenüber wird daraufhin sofort verstummen und wieder einmal kann so ein
unappetitliches Thema elegant umschifft werden.
Es ist Nacht. Am Strand ist eine Bar aufgebaut, ein Tresen, ein Regal,
ein Sonnenschirm.
Drei Männer stehen an der Bar, einer hat einen Vollbart, einer einen
Schnurrbart, einer ist glattrasiert, sie tragen alle drei T-Shirts der Firma
Singa Bier, das sich über den Bierbäuchen wölbt und kurze Hosen, und
alle drei haben die zu dünnen Beine von Biertrinkern. Hinter der Bar
stehen Thaimädchen, ebenfalls drei. Aus der CD Anlage spielt Proud
Mary, eine leicht asiatisierte Coverversion, nicht schlechter als CCR,
nur anders. Als ich den Strand entlang komme, es ist eine Abkürzung zur
Hauptstraße, ruft eines der Mädchen ‚Hello Mister’. Die drei Männer
beäugen mich argwöhnisch, sagen aber nichts. Um mich auszugrenzen,
bestelle ich das Bier in einer Art Thai - Pidginenglisch, statt Singa small
sage ich sing samall. Es nützt nichts. ‚Where you come from?‘ fragt das
Mädchen, das gerufen hat. Ich trinke mein Bier aus und gehe weiter.
‚You not love me‘, ruft sie hinterher.
Volksmusik ist nur manchmal schön.
Nach einer kürzlich veröffentlichten Statistik sind 64% der befragten
Pauschaltouristen nach ihrem Urlaub nicht glücklich. Da denkt man sich
natürlich gleich, dass diese 64% vorher sicher auch schon nicht recht
glücklich gewesen sein können, sonst wären sie gar nicht erst auf die
Schnapsidee gekommen, eine Pauschalreise zu buchen, und man fragt
sich, ob sie nach dem Urlaub dann genauso unglücklich sind, doch etwas weniger unglücklich, oder vielleicht sogar noch unglücklicher als
vorher.
Ich tippe auf Letzteres, denn Urlauber, Hotelbetreiber und Hotelpersonal passen einfach nicht zusammen.
Der Hotelbetreiber, der seine Ruhe möchte, nötigt die armen Gäste dazu,
in praller Sonne an der Poollandschaft rumzuliegen und einen bodenlosen Mist zu lesen, am besten einen historischen Roman wie ‚Die Päpstin’, ‚Die Äbtissin’, ‚Die Diktatorin’, ‚Die Aztekin’, und dazu natürlich
die Bildzeitung, unterbrochen nur durch gelegentliche Barbesuche, so
lange, bis der Gast knallrot ist und betrunken, anstatt dass er im Urlaub
endlich die Muße loben und pflegen kann. Der gemeine Hotelier fürchtet sich vor Gästen, die sich die Freiheit nehmen möchten, die Muße zu
loben und zu pflegen und ihre Beschäftigung selbst zu wählen anstatt
am Pool liegend zuerst auf das Mittagessen, danach auf das Abendessen zu warten und sich vorher, dazwischen und hinterher volllaufen zu
lassen. Und er hat noch größere Angst vor Gästen, die, wenn sie sich
schon volllaufen lassen, dann gefälligst Absinth trinken möchten und
keinesfalls Cuba Libre.
musik, oft sogar mit von außen besorgter.
Ich bin mal in Ker Sering, einem Dorf in Gambia hinter der Hotelzeile,
die sich wie alle Hotelzeilen den Atlantik entlang erstreckt, spazieren
gegangen und dabei einer Trommler-/Tänzer-/Sängergruppe begegnet,
die vor ihrem Compound geprobt haben und sie haben erzählt, dass sie
immer Mittwochs im Kairaba Hotel, dem einzigen 5 Sternehotel Gambias, auftreten würden. Ich bin dann am nächsten Mittwoch mit ihnen zu
ihrer Vorführung mitgegangen – durch den Hintereingang für Personal
und Lieferanten natürlich, Musiker liefern ja etwas, wobei gleich noch
ein paar andere Freunde mit reingeschleust wurden, die ebenfalls nicht
zur Band gehörten. Das war erfreulich konspirativ. Ich weiß nicht, wie
viel weniger Zulauf Untergrundorganisationen hätten, wenn es da nicht
so toll geheim zugehen würde. Das Konzert aber, es war verheerend.
Nicht, dass die Musiker und Tänzer schlecht waren, sie waren an sich
durchaus beeindruckend, sondern weil die armen Touristen so rumsaßen
an ihren Tischen vor ihren Getränken im Freiluftrestaurant neben dem
Pool und weil sie so fassungslos dem Treiben zusahen. Es gelang ihnen
nicht, auch nur ein bisschen was davon mitzunehmen, und so schlichen
sie, einer nach dem anderen, betreten davon auf ihre Zimmer mit AC
und TV, und nach der nur etwa halbstündigen Schau waren nur noch
wenige Tische besetzt.
Nun geht es natürlich nicht, dass vor solchen Konzerten alle Hotelgäste
rausgeschmissen werden, auf dass sie schauen können, wie sie durch
Komplizen im Personal oder durch Löcher in Zaun wieder reinkommen,
nur um damit die Distanz zu den Musikern ein wenig zu verringern. Das
Desaster wäre aber auch nicht passiert, wenn die Hotelbetreiber Musiker
genommen hätten, die ihre Musik international kompatibel gemacht haben, aber nein, authentisch soll es sein. Das geht nicht, auch die Volksmusik kennt so was wie einen Kanon gemeinsamer Erfahrungen, eine
Grundausstattung, ohne die man im Leben wie in Gambia hilflos in den
‚eigenen vier Wänden’ strandet. Dass so etwas geht, die Loslösung von
Zeit und Ort, hat bereits ‚vor meiner Zeit‘ die Trapp Familie bewiesen,
und auch heutzutage gibt es genug Beispiele auf den Bühnen der Welt.
Ein Duo namens Coconami ist dabei allen ans Herz zu legen, die spielen
japanische, deutsche und hawaianische Weisen auf der Ukulele, das mutet schrecklich an, ist aber in Wirklichkeit ganz prima und klingt so gar
nicht wie die alten Hawaianer immer schon gespielt haben. Es geht also.
Nun ertönt der erwartete Aufschrei unter den Fans der Trapp Familie
wie von Coconami. Hier werden doch Äpfel mit faulen Birnen verglichen, rufen sie empört und drohen mit ernsthaften Konsequenzen, wie
fremdbestimmte Charaktere es zu pflegen tun, wenn ihre Fremdidentität
vermeintlich beschädigt wird. Alles nicht so tragisch. Hier werden nämlich Äpfel und Birnen mit Bananen verglichen.
Die Sache mit der Verkitschung, Purifizierung, Globalisierung oder
auch der Verniedlichung von Musik klappt allerdings nicht immer, eine
Garantie auf Weiterentwicklung der Musik durch das Einbeziehen neuer
Einflüsse, und damit einen ernsthaften Beitrag zur Steigerung des Lebensqualität, wie es die Sozialdemokraten seit Willy Brandt für sich beanspruchen, gibt es nicht. In Peru sind wir gerne nach dem Abendessen
gelegentlich noch im Kreise der Familie verweilt, aber dann wurde auch
schon mal der CD Spieler entpackt und eine CD reingeschoben, auf der
jemand versucht hat, auf der Panflöte Imagine von John Lennon und
anderes aus jüngerer Vergangenheit nachzuspielen.
Das Hotelpersonal hat, derweil die Gäste am Pool liegen, genügend
Zeit, Spatzen abzurichten, die in Fronarbeit die Tische säubern müssen.
Dass das Resultat meist eher mäßig ist, weil die Vögel ein Drittel der
abgeräumten Krümel sofort wieder hinkacken, stört dabei aber nicht.
Das Hotelpersonal ist in der Regel freundlich und lässt alles mit sich
machen, solange es nicht in Arbeit ausartet. Besonders beliebt ist es bei
Touristen, einen oder mehrere von ihnen für alberne Fotos herbeizuzitieren, wie im Text über Marrakech beschrieben. Denn oft wird das
Personal in eine Verkleidung gesteckt, die landesübliche Tracht darstellen soll, auch wenn der Besucher nirgendwo im ganzen Land jemanden
finden wird, der ähnlich bizarres Gewand trägt, außer in den benachbarten Hotelressorts. Da der Besucher aber während seines Aufenthaltes
gar nicht erst ‚ins Land‘ kommt, sondern höchstens in die benachbarten
Ressorts schlendert, hält er hinfort dies für die Landestracht, zumal in
dieser Aufmachung auch oftmals heimisches Liedgut zum Besten gegeben wird.
Man unterschätze ja die Musikalität des Hotelpersonals nicht. Immer
spielen sie fehlerlos und 1a, das Problem ist nur, dass alte Berberweisen
in grauenvollen Bettenburgen genauso fehl am Platz sind wie das Lied
vom Commandante Che Guevara. Den Siegeszug einer Weltmusik, die
nicht wie früher im Kuriositätenkabinett eingeschlossen ist, und der ich
gelegentlich durchaus zuneige, hat erst der Tonträger ermöglicht, der die
Musik von ihrer zeitgleichen Aufführung und damit von ihrem Ort gelöst hat. Zuhause kann ich dann ganz prima Zydeco anhören, aber schon
Queen Ida live in einem Studentenclub in San Francisco ist unerträglich, weil irgendwie schon wieder Kuriositätenkabinett, so wie früher
der Zoo von Hagenbeck in Hamburg Neger und Indianer ausgestellt hat.
Nichtsdestotrotz quälen Hotelbetreiber Touristen stets mit Fehlamplatz-
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Auf dem Gottesacker
Letzten Herbst sind wir auf den Gottesacker gestiegen, ich, zwei Freundinnen und ein Hund. Das Gottesackerplateau ist eine Karstlandschaft
westlich von Oberstorf, an der nordwestlichen Grenze des Kleinwalsertals, in der Nähe des Hohe Ifen. Man kann es von verschiedenen Seiten
aus erreichen, von Oberstorf, vom Hohen Ifen aus, auf den eine Seilbahn
führt, von der Schwarzwasserhütte aus oder von Norden über mehrere Aufstiege, die alle hinter Sibratsgfäll beginnen. Wir haben letzteres
gewählt, weil von uns aus am leichtesten zu erreichen, und weil es abwechslungsreicher ist, verschiedene Routen für Auf- und Abstieg zu
nehmen.
Schon der erste Teil des Anstiegs war außerordentlich vergnüglich, er
ist zwar sehr steil, führt aber durchweg durch den Wald, der nun gerade
voll war mit Brombeeren und Himbeeren, so dass wir vor lauter Beeren
essen kaum vorankamen.
Wenn der Wald dann endlich zu Ende ist und man genug hat von Bromund Himbeeren für die nächsten 2 Wochen oder 2 Jahre, geht es eine
Kuhweide empor, anschließend muss man eine Hochebene überqueren,
auf der ganz pittoresk eine Alm steht, mit Kühen davor und einer Sennerin.
Wir unterhielten uns kurz mit den Kühen und nach einem weiteren steilen Anstieg durch eine Scharte erreichten wir schließlich den Rand des
Gottesackers.
Das ganze Hochplateau war in ein goldenes Licht getaucht und bot
einen unbeschreiblich schönen Anblick. Der Gottesacker lag friedlich
und verlassen in der Abendsonne, wir waren ganz allein auf der riesigen Ebene, und ich sagte zu meinen beiden Begleiterinnen, sie hätten
vielleicht nicht so viele Beeren essen sollen, wenn sie schon bis zwölf
Uhr Mittags hätten frühstücken müssen, aber die beiden waren so in
das Naturschauspiel vertieft, dass sie mich nicht hörten oder nicht hören
wollten.
Wir haben uns ins Gras gesetzt und die mitgebrachten Brote aufgegessen
und uns dann umgehend an den Abstieg durch das Löwental gemacht.
Der Abstieg war dadurch etwas schwierig, weil er ein ganzes Stück am
Rande des Gottesackerplateaus entlang führte, das große Spalten im Boden hat, durch Niederschläge und Schneeschmelze entstandene so genannte Karren, und ich deshalb mehrere Male den Hund unter den Arm
nehmen und ihn ein Stück tragen musste. Gott sei Dank war es nur ein
kleinerer Terrier, der kaum 14 Kilogramm wog.
Das Löwental wurde zunehmend schattiger, und als wir an seinem Ende
den Gottesacker endgültig verließen und einen Hang hinunter wanderten, war die Sonne bereits gänzlich untergegangen, nur einige Bergspitzen in der Ferne leuchteten noch in der Abendsonne. Wir gingen nun
am Rande eines Baches entlang, der immer mal wieder da war und dann
war er wieder weg, weil er im Karst verschwunden war, auch ein sehr interessanter Streckenteil. Danach kamen wir wieder auf eine Hochebene,
die wir überqueren mussten, diesmal ohne Alm mit Kuh und Sennerin,
um dahinter nochmals ein- oder zweihundert Meter anzusteigen, um den
Berghang zu erreichen, an dessen Fuß wir gestartet waren.
Mittlerweile dämmerte es bereits, und als wir oben am Grat eine Hütte
sahen, überlegten wir uns, ob wir nicht versuchen sollten, einzubrechen
und die Nacht darin zu verbringen. Von Werner Herzog habe ich, hinterher, gelesen, dass er für solche Situationen immer einen Dietrich dabei
hat. Das wäre aber sowieso nicht gegangen, denn als wir näher kamen,
sahen wir zwei Jäger davor sitzen, die unglücklich dreinschauten, nicht
wegen unserer Einbruchsvisionen, von denen sie nichts wissen konnten,
sondern weil wir ihnen angeblich das Wild vertrieben, das nun in der
Dämmerung gefälligst das Unterholz verlassen und auf die Lichtung
kommen sollte, um dort abgeschossen zu werden. Ich versuchte den Jägern beschwichtigend die Problematik mit den Frühstücksgewohnheiten
der beiden Damen zu erläutern, aber die widersprachen dieses Mal und
ich hatte den Eindruck, dass die blöden Jäger ihnen mehr glaubten als mir.
Wir erkundigten uns nach dem Weg ins Tal, und der eine Jäger erklärte
uns, dass gleich hinter der Hütte ein Wirtschaftsweg hinunter führe, auf
dem auch sie herauf gekommen wären, und der auch bei völliger Dunkelheit nicht zu verfehlen wäre, aber der andere Jäger unterbrach ihn
schnell und zwangsverfrachtete uns in sein ziemlich kleines klappriges
Jägerauto, damit wir nicht noch mehr Unheil anrichten konnten an Natur
und Mensch. Der Weg zog sich dann doch ziemlich, so dass wir es vermieden, uns auszudenken, was gewesen wäre, wenn wir ihn im Dunkeln
hinabgestolpert wären. So aber waren wir doch noch vor Mitternacht
wieder zu Hause.
PS:
Was dem Perureisenden das Lama, das ist dem Allgäureisenden die
Kuh, oder zumindest, was von ihr noch übrig geblieben ist von früher,
als eine Kuh noch keine Projektion für Schokolade und die Apokalypse
postBSE’ Infernos war, so wie heute, und ihre Milch noch nicht als Primärallergen galt.
Dabei sind Kühe im eigentlichen Sinne gar nicht so nett, wie man wegen der Plüschohren vermuten würde. Sie laufen ungeniert mit verschissenem Hintern herum und befördern gelegentlich auch schon mal einen pensionierten Bauern zwischen 68 und 81 Jahren, der zwar bereits
im Austragshaus wohnt, sich aber immer noch mit seinem Wissen und
seiner Erfahrung bei den regierenden Jungbauern einbringen möchte,
durch einen Tritt ins Jenseits oder doch ins Krankenhaus. Prominentes
Beispiel hierfür ist der Landwirtschaftsminister der sogenannten sozialliberalen Koalition, Josef Ertl, der vormals aussah wie jeder Landwirtschaftsminister, als es noch echte Landwirtschaftsminister gab und noch
keine Verbrauerschutzminister, nämlich prall und gemütlich (wobei er
letzteres sicherlich gar nicht war, sonst wäre er nie Landwirtschaftsminister geworden) und der nach dem Tritt noch 10 Jahre lang daherkam
wie einer, der von der Kuh getreten worden ist. Warum Kühe es auf
die 68 – 81 Jährigen abgesehen haben, die nichts mehr auf dem Hof zu
sagen haben und nur noch aus der Erfahrung gerade auch im Umgang
mit Kühen ihr Selbstverständnis gewinnen, ist nicht schlüssig zu erklären, höchstens damit, dass Kühe rachsüchtig sind und dann zuschlagen,
wenn ihnen die Zeit dafür reif erscheint.
In Oberstdorf sagte im Mai 2001 der Ortsobmann des Bauernverbandes,
dass der Umbau einer Hofstelle zu Ferienwohnungen für die Familie
mehr Geld für weniger Arbeit bedeute, worauf der Kurdirektor entgegnet, dass der Tourismus nicht ohne Landwirtschaft leben könne, und
doch ein paar Mark übrig sein werden für die Kuh als Werkzeug zur
Bewirtschaftung unseres Kurgartens. Die Überschrift des Artikels in der
SZ lautete: ‚Der Kurgast soll die Kuh bezahlen.’
Wir sehen, die Kuh ist heute auf dem Weg zur lila Kuh, zum Zootier für
Touristen mit Kurgartenbewirtschaftung. Daher lohnt es sich auf jeden
Fall, schnell noch die letzten wildlebenden Kühe zu besuchen, ob vor
oder nach dem Besuch der letzten Elefanten von Laos, ist egal.
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Im Club
Man sollte doch meinen, wenn einem der Fuß weh tut, dass das ganz
allein demjenigen seine Sache ist, und dass das sonst niemanden interessiert, außer vielleicht noch den Arbeitgeber und die Frau Gemahlin. Stimmt aber nicht. Die Außenwirkung, wenn man so dahergehupelt
kommt, ist enorm. Nachdem ja mittlerweile alle einbeinigen Wehrmachtssoldaten, die in treuer Pflichterfüllung ein Bein dem Führer geschenkt haben, wobei sie aber immer anständig geblieben sind und auch
sonst nur Befehle ausgeführt haben, wie es sich gehört, weggestorben
sind, hinken nun nur mehr die Penner, die ihr offenes Raucherbein mangels Krankenversicherung und eigenem Antrieb nicht behandeln lassen
können, sowie Motorradfahrer und Männer mittleren Alters mit oft, aber
nicht zwingend, gehobenem Einkommen, die für ihr Alter ungeeigneten
Sport treiben.
Polizisten und sonstige Mitglieder von Wach- und Schließgesellschaften, die auf Stereotype geeicht sind, sehen dann im Hinkenden
stets nur den Penner, während optimistische Menschen wie du und ich,
die ebenfalls auf Stereotype geeicht sind, den erfolgreichen ‚was auch
immer‘ vermuten.
Deshalb habe ich mich auch am Flughafen sehr bemüht, zu gehen wie
man es von ordentlichen Flugreisenden erwartet. Da die Sicherheitskontrolle nach Bauchgefühl agiert, stehen Hinkebeine bei ihnen auf einer
Stufe mit Negern in lila Overalls und haben es schwerer als äußerlich
unversehrte Männer in grauen Anzügen.
sitzen, wie der Innenhof der Villen heißt, und Pfefferminztee trinken
mit ihren ebenfalls aus Europa angereisten Freunden, oder auch mal diverse Alkoholika. In der Altstadt wie der Neustadt sind daher viele neue
schicke und auch interessante Restaurants und Cafés entstanden.
In die ich alle nicht komme, denn Club heißt All Inclusive. Die vom
Veranstalter für mich auf meiner Reise vorgesehenen Restaurants, Cafés und Bars befinden sich alle in unmittelbarer Nähe meines Schlafzimmers und die Speisen und Getränke sind bereits bezahlt. Deshalb
fallen auch die sonst bei der Restaurantsuche üblichen en passant Entdeckungen weg, man lernt also nicht nur keine neuen Restaurants und Bars
kennen, sondern auch sonst eher weniger.
Die Gäste im Club bestehen hauptsächlich aus nichtsnutzigen gehobenen Mittelklasse - Familien mit nichtsnutzigen Schrazen und nichtsnutzigen verfressenen Teenagern. Meist sind es Franzosen, jedenfalls
sprechen sie unverständliche Laute, und sie sind keineswegs glücklich,
wenn man versucht, sie nachzuahmen. Dann schauen sie einen mitleidig
an, antworten mit etwas, das englisch sein soll und ich bin beruhigt, dass
offensichtlich nicht nur ich kein Französisch kann, sondern die Franzosen auch kein Englisch. Solange ich nur die Endungen der Verben
durcheinander bringe, sind solcherart Behinderungen in ihren Augen
noch zu tolerieren, auch nicht viel schlimmer als mein offensichtlicher
Klumpfuß, nichts aber wird toleriert bei Fehlern mit dem Personalpronomen. „Es‘ce que ce la autobus a la gare?“ „Yes.“
Natürlich sind alle freundlich, trotzdem ist man auch mit mitgebrachter
Reisebegleitung nirgendwo so allein wie in einer Clubanlage. Aber
immer wenn daher Eintrübungen in der Stimmung am Horizont erschienen, rief ich, ‚So ein Club ist eben nichts für Ansteller, die sollen
gefälligst eine Trekkingreise durch die Anden machen‘, und die Laune
besserte sich sofort.
Einen Tag vor der Abreise wurde mir nämlich ein Ellenbogen in meine
Wade gerammt. Die Geschichte könnte nun „Humpelnd durch Marokko“ heißen, das wäre aber weit gefehlt. Ich war eine Woche im Club.
Und damit so weit weg von Marokko wie vorher und nachher auch,
auch wenn manch anderer Reiseteilnehmer danach garantiert nicht davor zurückschrecken wird, auf die Frage, wo er denn gewesen sei, ‚In
Marokko‘ zu antworten.
Die Anreise nach Marrakech dauerte an die 17 Stunden und war, wie
man in Kreisen nicht mehr ganz junger Menschen dann sagt, beschwerlich, aber auch lehrreich. In langen Busfahrten kreuz und quer, durch
und über und um den Flughafen Paris Charles de Gaulle lernten wir
moderne Flughafenanlagen so genau kennen wie wir es vorher niemals
hätten wissen wollen. Befindlichkeiten Reisender gehören aber zu den
Angelegenheiten, die tatsächlich niemanden interessieren, ebenso wie
Befindlichkeiten während des zweistündigen Wartens auf den Zug nach
Marrakech bei strömenden Regen auf dem Bahnsteig eines Umsteigebahnhofs in einem Vorort von Casablanca. Die Erfahrung, dass vierstündige Nachtfahrten in überfüllten Zügen zwischen Casablanca und
Marrakech sich letztlich dann doch in nichts von ebensolchen zwischen,
sagen wir, Göttingen und Koblenz unterscheiden, außer vielleicht in
dem Aussehen der Mitreisenden, war aber dann recht beruhigend. Es
passierte eigentlich nur einmal wirklich etwas, als eine junge dunkelhäutige Marokkanerin während der Fahrt im Abteil ihre HipHop-Mütze
auszog und ein Islam-Kopftuch umband, was von mir fälschlicherweise
mit wohlwollendem Desinteresse bedacht wurde. Da wusste ich aber
auch noch nicht, dass dies der Höhepunkt der nächsten Tage gewesen
war.
Der Club heißt erstaunlicher weise auch nicht Le Clüb, wie man nach
dem Besuch von Französisch Grundstufe in der Volkshochschule erwarten würde, sondern Le Clöb.
So ein Aufenthalt im Club könnte, wenn er schon sonst zu nichts zu
gebrauchen ist, ja eigentlich zur Lethargie einladen, ist aber auch zur
Pflege der Lethargie dann doch völlig ungeeignet. Überall wird man
darin behindert, ohne dass einem etwas rechtes dafür geboten wird.
Nirgendwo gibt es einen ruhigen Platz, überall ist es rummelig, überall
dröhnen CDs, wie man sie in Mexiko an jeder Straßenecke und in den
Omnibussen für einen Dollar kaufen kann, lizenzgebührfreie Hinterhofproduktionen mit unbekannten Interpreten bekannter alter englischer
Popsongs, die schon im Original niemand hören will. Draußen ist es
zum Lesen zu kalt, drinnen, im Allzweckraum mit Bar, Salon, Bühne,
zu laut und zu dunkel.
Die Zimmer selber haben am Eingang ein WC, dann folgt ein fensterloses Durchgangszimmer mit je einem 1,40 m breiten Bett in einer Nische auf jeder Seite. Die beiden Betten sind als Alkofen ausgebildet, das
heißt, man steigt abends ein paar Stufen hinauf ins Bett, die man nachts
dann auf dem Weg zur Toilette wieder runterfällt. Wenn man nicht in
einer straff gezogenen Tüte schlafen will, die rechts und links vom Körper konstruktionsbedingt Öffnungen ausbildet, in die nachts die Zimmertemperatur bis zu den Zehen vordringen kann, muss man vor dem
Schlafengehen die steifen Wolldecken noch dreiseitig unter der Matratze herausziehen. Hierfür krabbelt man in die Nische und versucht, die
Matratze, auf der man gerade sitzt, hochzuheben und gleichzeitig die
Decken rauszuziehen, irgendwie eine Meisterleistung.
Dieses Durchgangsschlafzimmer führt in ein Ankleidezimmer mit in
den Boden eingelassener runder, bunt gefließter Dusche, mit einem
Waschbecken und lobenswert großer Ablage für die mitgebrachten Toilettenartikel und mit einem großem Fenster in den grünen Innenhof. Die
Wer einschlägige Zeitschriften liest und die dazugehörigen Filmbeiträge im Fernsehen sieht, obwohl er weiß, dass er sich damit dem Spott
selbsternannter Kulturhüter aussetzt, der weiß, dass viele der Menschen,
die gelegentlich auch schon mal von anderen Menschen, die sich selbst
wiederum als gestandene Bayern bezeichnen würden, als Gschwerl
bezeichnet werden, wie Ives Saint Laurent, Alain Delon, Brian Ferry,
Michael Douglas, Catherine Zeta-Jones, Tony Blair, Brad Pitt und Angelina Jolie, Robby Williams oder viele mehr, es gibt solcherart Leute
wie Sand am Meer, in Marrakech in der Altstadt, die hier Medina heißt,
Villen gekauft haben und dann einige Wochen im Jahr in ihrem Riad
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die Angehörigen die Gemeinde auf, glaube ich, 1,3 Millionen verklagt
haben, Schmerzensgeld und entgangener Gewinn. Ich überlegte daher
schon das eine oder andere Mal, den Ellenbogenbesitzer zu verklagen,
auf symbolische Hunderttausend. So kommt es, dass ich am Ende der
Woche 25 Mal das Angebot Essen und 1 Mal das Angebot Bogenschießen angenommen habe.
Zu den Sportangeboten fährt jede halbe Stunde ein Omnibus in den Palmengürtel zum Schwesterclub. Da die Gespräche vor, neben und hinter
einem hauptsächlich in französisch stattfinden, versteht man nix, nur
einmal saß eine deutsch sprechende Familie in der Sitzreihe dahinter,
und der Sohn beschwerte sich, dass der Busfahrer seine Schlafanzughose geklaut habe. ‚Der Busfahrer’? fragte die Mutter alarmiert, die sich
anscheinend ebenso verhört hatte wie ich. ‚Nicht der Busfahrer, der
Putzmann’ war die beruhigende Antwort. Da die Gespräche unter den
Franzosen vermutlich ähnlich ablaufen, scheint man wegen der fehlenden Sprachkenntnis nichts zu versäumen.
Das Personal im Club bekommt nach Clubfilosofie kein Trinkgeld und
ist daher eher gemütlich als bemüht, aber immer freundlich und lässt
alles mit sich machen. Besonders beliebt ist es, einen oder mehrere von
ihnen für alberne Fotos herbeizuzitieren, die dann im virtuellen Fotoalbum, das nach Fertigstellung niemals jemand anschauen wird, mit
‚Maman und Mireille mit Marokkaner vor dem Pool im Club 2008‘ untertitelt werden.
Ankleide ist hübsch eingerichtet mit marokkanischen Frühstückspensionsmöbeln. Viel unnütze Zeit vergeht dann allerdings erst einmal mit
der Suche nach einer Türe von der Umkleide in den Salon; es gibt keine.
Was nämlich völlig fehlt, ist irgendwas, wo man sich aufhalten kann,
wenn man gerade mal nicht schläft, sich aus-, um- und anzieht oder
duscht. Dass in Hotelzimmern niemals ordentliche Tische und Stühle zu
finden sind, habe ich mittlerweile kapiert, aber so ein kleines Sesselchen
in einem kleinen Eckchen, in dem man beispielsweise mal was lesen
kann, wenn es draußen regnet, das wäre doch schön gewesen.
Draußen regnete es. Regen in einer Wüstenstadt, das passt nicht zusammen, eine Wüstenstadt hat heiß und stickig zu sein, und ein bisschen
sandig, da darf es nicht von überall heruntertropfen.
Natürlich gibt es all die vielen Sportangebote, mit denen der Club Werbung betreibt. Aber Tennisspielen kann ich mit und ohne Bein nicht,
von Golf bekommt man, wie jeder weiß, nach nur kurzer Zeit bereits
Krebs oder Alzheimer, und die Radtouren im Club führen rund um den
Golfplatz und sind nur zulässig mit Helm, vermutlich wegen der Versicherung, falls mal einer einen Golfball an den Kopf bekommt. Es ist
ja längst keine amerikanische Marotte mehr, jeden zu verklagen, der
einen schief anschaut, die Mode ist längst, wie man so schön sagt, ‚über
den großen Teich geschwappt’ und macht nun vorzugsweise die Unterschicht ganz nervös ob der möglichen Geldquellen, die sich da auftun.
Erst vor kurzem ist irgendwo in Tirol einer Autofahrerin bei einem Gewitter ein Baum aufs Auto gefallen, woraufhin sie verschieden ist, und
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Rilke, Schröder und ich ziehen aus
Irgendwann hörte der Regen auf und ich verließ den Club. Wer jetzt
aber meint, es gäbe tatsächlich auch eine Welt hinter der Mauer, der irrt,
da hat der Panter recht, und es tut mir auch leid, dass ich mich einst, als
unser Altbundeskanzler Schröder das Rilkegedicht heruntergeleiert hat,
abfällig im Sinne von ‚abgenudelt’ darüber geäußert habe. Die Filosofen
unter uns werden es sicher irgendwie begründen können, dass man nämlich keineswegs das Gefühl hat, man träte aus einem ‚Irgendwas‘ in eine
Welt hinaus, sondern eher umgekehrt, dass man aus seiner Welt in eine
Art Fiktion aus Freiluftmuseum mit Shopping Mall tritt.
Es reihen sich Stände an Stände in kilometerlangen verwinkelten Gässchen, mit Millionen von farbigen Hausschuhen, T-Shirts, Lampen,
Quasten, Wandbehängen, Teegläsern, Teppichen, Mosaiktischchen,
lauter Sachen, die außer Frühstückspensionsbesitzern eigentlich niemand braucht, und wenn, dann nur sehr selten. Während man Auto und
Schrankwand alle paar Jahre ersetzt durch das neue Modell, bleibt der
Teppich meist liegen bis er durchgescheuert ist. Echter Berber, pflegt die
Hausfrau dann zu sagen, wenn Besucher tadelnd den Fetzen am Boden
betrachten, und der Hausherr nickt dazu, oder umgekehrt. Früher erhöhten noch Brandlöcher heruntergefallener Zigarettenkippen die Verfallszeit, aber jetzt, wo niemand mehr raucht, halten auch einfach gestrickte
sogenannte Berberteppiche ewig.
Neben dieser Frühstückspensionsbesitzerware gibt es aber auch den
üblichen Touristenkram, im Volksmund Mitbringsel genannt, eine Gattung Waren, die die Eigenschaft besitzen, sich ein paar Monate nach
Beschenkung von allen unbemerkt von selbst in Luft aufzulösen und
die danach auch niemals vermisst werden. Verlaufen kann man sich im
Souk eigentlich nicht, zunehmende Entfernung vom Zentrum zeigt sich
durch Abnahme von Touristen und Touristenkram an, und wenn man
wieder zurück will, kehrt man um.
Rund um die Souks, das muss man aber um der Gerechtigkeit willen
hinzufügen, hat Marrakech entlang der Ausfallstraßen eine Reihe schöner gepflegter Parks mit vielen schönen Rosen drin, und der Verkehr
selber verläuft angenehm unaufgeregt und rücksichtvoll, fast ohne Gehupe, Geschimpfe und Streitereien, so dass auch der Tourist entspannt
von einem Park in den identischen nächsten Park auf der anderen Straßenseite gelangen kann.
Aber wo viel Lob folgt oft auch sogleich etwas Tadel. Ältere Frauen,
vielleicht sind es auch die Witwen, haben häufig kein normales Kopftuch auf, sondern so eine Art Kasperlesmützchen, mit Lätzchen davor.
Liebe Marokkanerinnen! Weit entfernt davon, sinn- und identifikationsstiftende Gebräuche in Frage stellen zu wollen, muss doch gesagt
werden, unter die Nase geknallte und an den Ohren befestigte Lätzchen
vor dem Gesicht schauen echt bescheuert aus, wie Räuber Hotzenplotz
im Souk. Wie die modebewusste Muslimin sich von innen nach außen
schick und elegant kleidet, kann bei den Glaubensschwestern aus Syrien leicht nachgefragt werden. So jedenfalls ist das kein Wohlgefallen,
weder für die Familie noch für Allah. Und auch nicht für den Touristen.
terschicht, die in diesem Modell überhaupt nicht vorkommt, ist dabei
nicht zu verwechseln mit einem utopischen libertären demokratischen
Sozialismus. Wer also trotz der ständigen harten Propagandafilme im
Fernsehen, vorzugsweise mit Veronika Ferres und Heiner Lauterbach,
über den Gulag DDR noch immer unbelehrbar ist und mir weismachen
will, in der DDR, da sei es so schlimm nun auch nicht gewesen, den
schicke ich zur Strafe eine, ach was, zwei Wochen in den Club.
Stets entspann sich beim Frühstück eine Diskussion über den Tagesablauf, der geprägt war von den einzuhaltenden Essenszeiten, und der
daher straff organisiert werden musste. Leider gab es aber nichts zu
organisieren. ‚Was machen wir heute? Souk oder Museum?‘ war die
stets wiederkehrende Frage, auf die es keine Antwort gab. Da ich zu
Hause auch nicht jeden Tag zum Hertie gehe (eigentlich nie), und daher einmal Souk völlig ausreichend finde, und die paar Museen in Marrakech, freundlich gesprochen, wie es einem Gast geziemt, eher von
geringerem Erlebniswert sind, habe ich dann ab Donnerstag weiter an
meinem Führer über die Ratzenlöcher dieser Welt gearbeitet und bin
nach Tilouet gefahren, ein Berberdorf im Hohen Atlas. Meine Reisebegleitung und ich haben uns einen Kleinbus gemietet und rumgefragt,
ob noch jemand mitfahren will, um die Kosten klein zu halten, aber die
Franzosen konnten alle kein Deutsch und haben daher die Frage erst gar
nicht verstanden, so blieb nur die deutsche Familie mit dem Sohn ohne
Schlafanzughose.
Gleich hinter Marrakech bekamen wir ein schönes Beispiel längst vergangener deutscher Sitten und Gebräuche zu sehen, ein ganzes Feld voller arbeitsloser Störche, die ja nun schon länger keine deutschen Kinder
mehr bringen müssen und es sich daher im warmen Marokko gemütlich gemacht haben. Dann kamen wir über einen Pass und es gab einen
kurzen Streit, weil ich sagte, der Schnee auf dem Hohen Atlas sei kälter
und kleinkristalliger als der bei uns, meine Reisebegleitung ist nicht der
Meinung und sagt, Schnee sei Schnee.
Tilouet hat aber dann den Erwartungen voll und ganz entsprochen und
kann mühelos mit Basse-Santa-Su in Gambia, Mui-Ne in VietNam, ThaiPhuong in Thailand und Ellhofen-Moos im Allgäu mithalten, außer vielleicht, dass Tilouet als einziger der Orte keinen Doppelnamen besitzt.
Dass es noch ein Problem werden wird, für ein opulentes Ratzenlöcherwerk einen Verleger zu finden, ist mir durchaus bewusst. Verleger neigen
dazu, zuerst einmal zu fragen, ob es für die Art von Buch überhaupt eine
Zielgruppe gäbe. Aber die wird sich schon noch finden.
Tilouet jedenfalls ist von vorne ein ganz normales Straßendorf mit je
einem Dutzend zurückgesetzer Läden auf jeder Straßenseite, eher Lagerräumen gleich, und gekachelten Kneipen, in denen rote Coca-Cola Kühlschränke wie Ankömmlinge von fernen Planeten wirken, und mit darüber
im 1. Stock liegenden Wohnungen. Zwischen unbefestigter Straße und
Häuserzeile ist der ebenfalls unbefestigte Platz vollgefüllt mit Autos, Säcken, Baustahl, Müll und Menschen. Es gibt in Tilouet drei völlig verschieden aussehende Ethnien, Schwarze, Nachkommen der Sklaven, die
sich früher, also so bis Mitte der 40er Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts,
die Stammesfürsten hielten, Araber und hellhäutige, eher rundliche Menschen, fast armenisch aussehend, vermutlich sind das die Berber, genau
weiß ich es nicht. Die mitgenommene Familie jedenfalls behauptet, die
Berber seien in grauer Vorzeit aus Skandinavien eingewandert. Hinter der
Straßenzeile hangseitig liegt ein leicht schräger Marktplatz, von Arkaden
und weiteren Läden umsäumt, mit der Konsistenz einer über Nacht aufgelassenen Kiesgrube, auf der die Händler, die in alten Ford Transit angereist kommen, auf fleckige Planen allerlei Sachen hingeworfen haben, von
Seife über Geschnitzes aus Autoreifen bis hin zu Hühnerteilen. Niemand
erwartete von mir, dass ich etwas kaufen würde, niemand zerrte mich
am Ärmel um mir seine Waren vorzuführen, nur von der Familie wurde
ich am Ärmel gezerrt, weil die schnell wieder abfahren wollte. Familien
scheinen nicht zur Zielgruppe für mein Werk zu gehören.
Wieder im Club nahm dann die Animateurin den Touristen an der Hand
und führte ihn aber nur zum Aquajogging, das am Rand des Pools stattfndet, weil, zum Baden zu kalt. Ich konnte leider nicht mit, mein Bein,
und ging in die Bar.
All Inclusive, das wird schnell klar, ist eine Erfindung der Freunde des
Sozialismus, wie ihn auch führende Vertreter der deutschen Wirtschaft,
früher auch Wirtschaftskapitäne genannt, gerne propagieren. Diese Art
Sozialismus lehnt sich eng an das Modell der Ostzone an, jetzt auch
„ehemalige DDR“ genannt, als ob es auch eine aktuelle DDR gäbe. Man
stelle sich nur mal vor, man wäre bei einer relativ neuen Bekannten zum
Kaffee eingeladen, man sagt anerkennende Worte über den Goldrand
an der Tasse und die Gastgeberin erwidert emotional nicht unbelastet,
das Geschirr sei noch von ihrer ehemaligen Mutter. Der real existierende Staatssozialismus, nur eben ohne die lästige Beteiligung der Un37
Nachdem zuerst die Tage und Nächte so dahingehumpelt waren wie ich
selber ging dann plötzlich alles ganz schnell, von einem Augenblich
zum anderen fing die Zeit plötzlich und völlig überraschend an zu rasen,
und der Urlaub in Anführungsstrichen war rum. Ich war jetzt ziemlich
urlaubsreif, so ein Urlaub im Club ist ordentlich anstrengend, keine Ahnung warum, ich kann wirklich nicht behaupten, ständig Sportangebote
angenommen zu haben oder auch sonst stets ‚was unternommen‘ zu haben. Mein Bein war wieder ganz gut, dafür hatte ich nun eine Gastritis,
die aber für Außenstehende unsichtbar blieb.
Meine Französischlehrerin hat mich mal gelehrt, dass Franzosen sehr
genau unterscheiden zwischen ‚au revoir‘ und ‚adieu‘.
Dann also adieu, le club. Das nächste Mal verreise ich nämlich wieder
ganz normal. Trotzdem muss ich sagen, hat das Clubleben der Stimmung zu keinem Zeitpunkt Abbruch getan, meine Reisebegleitung und
ich waren stets vergnügt damit beschäftigt, die Absurditäten des Lebens
im Club zu bestaunen. Das ist gewiss nichts Neues, auch die Bundesregierung weiß ja, wie sie mit immer neuen Feindbildern wie Vogelgrippe,
Muslime oder Acrylamid ihre Bürger bei nie nachlassender guter Laune
hält.
Auf der Heimreise fuhr ich dann mit dem Zug wieder zurück nach Casablanca, mietete mich in einem Einheimischenhotel ein, dessen Portier
verdächtig nach Peter Lorre aussah, ohne dass deshalb ein Touristenzuschlag erhoben worden wäre, und begab mich am nächsten Tag zum
Flughafen. Als Bestätigung meiner These, dass An- und Abreise auch
immer Teile der Reise sind, wurde die Wartezeit diesmal lehrreich verkürzt durch eine etwa 30 – 35 jährige Frau in einfacher einheimischer
Kleidung, die an einem der Abfertigungsschalter rumbrüllte und sich
gar nicht mehr beruhigen wollte, obwohl sich mittlerweile zu den beiden Schaltermitarbeitern noch zwei weitere und zwei Polizisten gesellt
hatten, die beruhigend auf sie einredeten. Der ganze Terminal 2, der in
Casablanca allerdings überschaubar ist, schaute gebannt auf die Frau
und alle dachten sich, so rumzuschreien, mit den Armen zu fuchteln und
auf die Theke zu hauen, das bringt doch nichts, das ist doch peinlich,
und waren aber doch neugierig, wie der Streit ausgeht, ob die Frau damit
vielleicht letztlich Erfolg haben würde, ob so ein Auftritt also nicht doch
was bringt und damit auch nicht mehr ganz so peinlich ist, ob man es
sich dann nicht doch noch mal überlegen sollte, bei nächster Gelegenheit auch einmal so schön rumzubrüllen, etwas, was man immer schon
mal gerne gemacht hätte, es aber stets unterlassen hat, weil es ja doch
nichts bringt und außerdem peinlich ist.
(In der selben Ausgabe meldete die Süddeutsche Zeitung einige Wochen später, dass eine chinesische Reisegruppe auf dem Flughafen München ‚randaliert‘ hatte, weil der Reiseleiter sich nicht erneut ausweisen
wollte, während auf dem Flughafen in Bangkok es zu ‚Emotionsausbrüchen‘ deutscher Urlauber gekommen sei, weil der Flugverkehr durch
politische Demonstrationen empfindlich gestört war.)
Pünktlich um 17 Uhr 35 bin ich wieder in München, Flughafen Levi
Strauss gelandet, wie Kapitän und Flugbegleitung unisono schon beim
Landeanflug versichert hatten. Endlich sei einmal etwas anders als vor
der Reise, meinte meine Reisebegleitung erfreut. Die Freude konnte
ich gut verstehen, denn wie oft kehrt man nach längerem Fortsein nach
Hause zurück und muss betrübt feststellen, alles ist noch genau so wie
es vorher gewesen war. „Aber warum ausgerechnet ein 100 jähriger belgisch-französischer Filosoph und Ethnologe als Namensgeber für einen
bayerischen Flughafen?“ Ich klärte auf, dass es sich selbstverständlich
um den deutschstämmigen Jeans-Erfinder handeln müsse, der ja unbestritten mehr für die Menschheit geleistet hätte als ein konservativer
Wissenschaftler und erklärter Feind Sartres. Und tatsächlich hatten die
Air-France Mitarbeiter auch deutlich Levi Strauss gesagt und nicht Levi
Stroos, wie der belgische Franzose ausgesprochen wird. Und den sie
vielleicht auch gar nicht kannten. Wie viele deutsche Filosofen des 20.
Jahrhunderts gibt es, von denen man selber auch noch nie etwas gehört
hat? Tausende? Millionen? Und wie viele Jeans-Erfinder? Keinen.
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ZipOff Hosen
sind gesellschaftlicher Konsens
„Man hat nicht das Recht, in Afrika in Sachen rumzulaufen, für die man entfliehen. Denn was sie da dann anschauen, ist den meisten doch recht
sich zu Hause schämen würde.“
egal, und die Pflichtjahreszahlen, die sie vom Reiseführer dazu aufgeMary Kingsley, Ende 18. Jhr.
sagt bekommen, haben sie vergessen, noch bevor sie die Kirche wieder
verlassen haben. So kann sich jeder von uns zwar nicht an alle Kirchen,
Mir ist es schon mal passiert, dass mich eine Mittedreißigerin, eine Tempel und Pagoden erinnern, die er in seinem Leben schon besichtigt
Deutsche mit verkniffenem Mund, ohne dass ich wusste wie mir ge- hat, aber sehr gut daran, schon durch recht viele Kirchen, Tempel und
schah und ohne den Grund dafür zu kennen, angefahren hat mit den Pagoden gewandert zu sein, die ihm absolut nichts gesagt haben.
Worten, „ja ja die Deutschen, verbissen, kinderfeindlich, humor- und niveaulos“, und sie habe es satt, ständig von ‚den Deutschen‘ herunter- Dabei würde auf Reisen eigentlich ganz normale Kleidung, wie man sie
gezogen zu werden, auf dass es ihr in Deutschland permanent schlecht zu Hause auch trägt, mit der man ins Restaurant geht, ins Kino, ins Büro,
ginge. Und dass es woanders ganz anders sei. Bei letzterem konnte ich die Oma besuchen, und mit der auf der Reise auch mal Einladungen
ihr zustimmen, aber zu denken, man könne all dem Schlechten zu Hause von Einheimischen anständig angenommen werden können, vollkomdurch Wegreisen entfliehen, das erweist sich doch umgehend als falsch. men reichen, ach was, wäre einfach perfekt. Damit soll nicht etwa der
Das merkt man schon nach der Ankunft an den Taxifahrern. grauen Einheitskleidung das Wort geredet werde, im Gegenteil, ‚come
Unbestätigten Gerüchten zufolge gibt es unter Journalisten ein unge- as you are‘ Kleidung auch deshalb, damit endlich eine Entuniformisieschriebenes, aber oft fahrlässig missachtetes Gesetz, in Reiseberichte rung entsteht.
keine Erlebnisse mit Taxifahrern einfließen zu lassen. Erlebnisse mit Vor zwei Jahren, auf einer Reise nach Peru saß ich im Café, als die GrupTaxifahrern aus aller Welt sind ungefähr so unterhaltsam wie Erlebnisse penreisemitglieder nacheinander von ihren verschiedenen Unterkünften
mit Fluggesellschaften und führen sofort zum Überspringen des gesam- eintrudelten, und ich schrieb auf, was sie anhatten, in der Hoffnung,
ten Artikels oder zumindest der nächsten Passagen. Irgendwo in der dies irgendwann mal in einem Text aufnehmen zu können: Zuerst kam
Mitte des Berichtes wird dann meist lustlos weitergelesen und die ganze Bea in einer Trainingsjacke, wie sie von Rekonvaleszenten in Rehaschöne Arbeit ist für die Katz. Auf Reisen gelegentlich von Taxifahrern Kliniken gerne getragen wird, allerdings dann ohne im Rücken runterübervorteilt zu werden ist absolut unumgänglich und stellt denn auch hängender Kapuze mit Einpunktbefestigung, als nächstes Herr Albrecht
keinen Mangel an Intelligenz, persönlicher Integrität oder am Charakter und Frau Park, Herr Albrecht in einer postmodernen Kombination aus
des Reisenden dar. Mit anderen Worten: Nicht grämen. Das trifft jeden. selbst gefertigtem Lederwams mit Gürtel und mehreren Ledertaschen
Man stelle sich einfach vor, es gibt Millionen und Abermillionen von über einem 200 Euro Leinenhemd, mit 1300 Euro Ed Meier Schuhen
Taxifahrern, und alle überlegen sich zwischen den Fahrten, während sie und einem speckigen Filzhut, den er einem zahnlosen Bergbauern für
auf den nächsten Fahrgast warten, und die Wartezeiten können mitunter 20 Soles abgeschwätzt hatte, nicht ohne – erfolglos – gefragt zu haben,
lang sein, wie sie zu mehr Geld kommen können, in dem Fall also, wie wie es denn dazu gekommen sei, dass alle Zähne fehlten. Frau Park
sie den Fahrgast dazu bringen können, mehr zu zahlen als angemessen wie auch die gleich danach eintreffende Frau Hannelore trugen High
wäre. Da ist es nur natürlich, dass immer wieder mal einem etwas ein- End Kleidung im Stil von Patagonia oder Salewa, dann kam Friederike,
fällt, auf das der Gast, der nicht mit der Materie behaftet ist, nicht im die eine buntbestickte Inkamütze mit Ohrenklappen aufhatte und daTraum käme.
mit vergleichsweise aussah wie ein Neger mit Tirolerhut, und als letztes
Wesentlich schlimmer ist es, man sitzt in einem netten Straßencafé in Marianne, in schicker und bequemer come as you are Kleidung, und
San Cristòbal de la Casa und möchte gerade sein Bier an den Mund Wolfgang in irgendwas, was Trekkingkleidung zitierte.
führen, als irgendein Klaus, Mitte 50, Lehrer für Deutsch und Geschichte, genau in diesem Moment beginnt, die Hosenbeine seiner ‚Zip-Off-
Man darf aber im Leben und deshalb auch auf Reisen auch nicht kleinHose‘ in mehreren Schritten zu kürzen, weil ‚die Sonne herauskommt’. lich sein, vor allem auch nicht im Nachsehen von kleineren Eigenheiten
Das Abschrauben von Hosenbeinteilen in der Öffentlichkeit ist bislang anderer Menschen, schließlich macht das mit das bunte Leben aus und
kein Bestandteil unserer Kultur und mutet daher befremdlich an, fast verhindert die graue Eintönigkeit. Sieht man Leute in 300 Euro teuren
obszön, davon abgesehen, dass solche Hosen hässlich und unnütz sind. Wanderschuhen der festgelegten Klasse A-B auf den 1050 m hohen
Unnütze Reißverschlüsse an Hosen sollten einzig und allein Sache der Hirschberg gehen, so würde ich mir in deren Namen jede hämische KriPunks bleiben. tik zufälliger Bekannter verbeten, auch wenn jedes Kind, zumindest jedes Kind, das in der Nähe wohnt, andere Kinder werden den Hirschberg
Den schlechten Ruf, den die Come As You Are - Kleidung völlig zu Un- nicht kennen, dazu ist er zu klein, wenn also jedes Kind weiß, dass der
recht bei Einladungen und auf Reisen genießt, führt dazu, dass sich nicht Hirschberg bequem in Flip Flops zu ‚bezwingen’ ist. Und wer es wohl
nur die Touristen, sondern auch die Reisenden bemüßigen, sich stets als zu Recht etwas seltsam findet, dass auch völlig ebene Strecken nur mehr
Touristen zu kostümieren. Anscheinend wird der Urlaub neuerdings als in Begleitung von 2 federgedämpften umgebauten Skistöcken bewältigt
eine Art Maskenball angesehen, auf dem alles erlaubt ist, von der ‚Zip- werden können, der möge es heimlich tun, schließlich geht es nicht nur
Off-Hose‘ bis zum Hiphophütchen, Hauptsache geschmacklos, weil, niemanden etwas an, welche Industrie mit welchen Mitteln wem das
man ist ja im Urlaub. Gelegentlich soll sogar mit der Verwahrlosung Geld aus der Tasche zieht, sondern er möge bedenken, dass ja durch eine
der Kleidung der gerade stattfindende Erholungsprozess des Trägers be- prosperierende Wirtschaft allen gedient ist.
wusst sichtbar gemacht werden. Es ist ja nun nicht so, dass in Zeiten Da mag man nun einwenden, dass man es doch nicht so einfach durchvon Neoliberalismus und Globalisierung es etwas Außergewöhnliches gehen lassen könne, wenn sich jemand zum Sklaven der Freizeitinduist, wenn rotgesichtige Weiße in Eingeborenendörfern rumstiefeln, aber strie mache. Doch, meine ich, das kann man, solange man selbst davor
Gründe, dabei echt scheiße auszusehen, sind mir zumindest nicht be- bewahrt ist, mit unguten Gefühlen einen Berg-, Dschungel- oder sonkannt.
stigen Pfad zu betreten ohne ausreichend high-end Produkte am Leib.
Ich tendiere nämlich sogar dazu, dass es ziemlich egal ist, was man so
Noch dazu, weil diese Scharen von ‚zipp off‘ behosten Urlaubern und anhat, und neige zu der durch keinerlei wissenschaftliche Studien unterUrlauberinnen stets auch im Rahmen eines Ausflugs, den sie im Hotel mauerten Ansicht, dass all die so genannten Halb- und Turnschuhtougebucht haben, bevorzugt in Kirchen, Tempeln und Pagoden der Lang- risten, die mitunter von den Bergen herunterfallen, mit Meindlstiefeln
weile endloser Stunden am Pool und ihrem schlechten Gewissen davon genauso runter gefallen wären, weil sie einfach zu unerfahren und zu
39
PS 2
Die Befreiung vom Highendausrüstungszwang bedeutet nun zwar kostengünstigeres und unbeschwerteres Reisen, aber mit und ohne Goretex, Reisen schließt immer auch die Verantwortung mit ein, dass man
gefälligst nur solche Sachen macht, die man auch einigermaßen anständig und ohne die Zuhilfenahme von Bergrettung, Seerettung oder Feuerwehr zu Ende bringt.
dämlich waren. Auch müsste man mal untersuchen, wie viel Prozent
die Halbschuhtouristen in der Gesamtmasse der Runtergefallenen überhaupt ausmachen, aber da wird schon die Outdoorindustrie davor sein
und solche Studien durch ihre Lobbyisten im Bundestag zu verhindern
wissen.
Alexandra David Neel jedenfalls, wie man gut nachlesen kann, ist von
Indien nach Tibet gelaufen völlig ohne Nordic-Walking-Stöcke light,
die speziell für Frauen entwickelten. Und auch Alexander von Humboldt hat den Chimborazo in völlig unzureichender dünner Kleidung
mit eiswasserdurchlässigen schwarzen Halbschuhen bestiegen, ohne zu
klagen.
PS 3
Ich habe nach meiner Rückkehr aus Mexiko Sepp Dürr, den ehemaligen Fraktionsvorsitzenden der Bayer. Grünen, der nun im Ausschuss
für Wissenschaft und Kultur im Bayerischen Landtag sitzt, beim Essen
getroffen, und weil ich nicht oft prominente Entscheidungsträger beim
Essen treffe, ihn daher auch sofort gefragt, was seine Partei generell,
und er im Kulturausschuss konkret, gegen Zip-Off-Hosen zu unternehmen gedenke. Dürr hat aber nur mit den Schultern gezuckt und behauptet, Zip-Off-Hosen seien gesellschaftlicher Konsens und somit kein
Bestandteil der Politik. Das ist natürlich Unfug. Genauso wenig, wie
man 1933 sagen konnte, der Führer sei eben gesellschaftlicher Konsens,
kann man das heute von den Zip-Off-Hosen sagen.
Das Gelingen einer Reise hängt nicht von high-end Produkten ab, wohl
aber auch von anständiger Bekleidung, wie vielfältig sie auch sein mag.
Erlaubt ist alles, was man guten Mutes auch zu Hause anziehen würde.
Alles andere ist verboten.
PS
Im Fernsehen kam kürzlich ein Film über eine 4 Jahre dauernde Weltreise im Goggomobil aus den 50er Jahren. Ob in New York, im Busch
in Guinea oder im bolivianischen Hochland, er trug stets gebügelte Garbardinehosen, kurz oder lang, und weißes Hemd, kurz- oder langärmlig,
und sie, mit Hochfrisur, im Dreiviertelrock mit weißer Bluse, sah aus
wie Sarah Palin, falls die noch jemand kennt, das war die Vizepräsidentschaftskandidatin der Republikaner 2008. Es geht also doch.
40
Klingeltöne in Mexiko
Der Volksmund hält allerlei Weisheiten für den täglichen Gebrauch bereit, die die Gemeinsamkeit haben, dass sie allesamt reiner Unfug sind.
Genauso wenig, wie man bei Gewitter Buchen suchen sollte, weil man
sonst vom Blitz erschlagen würde, töten drei Hornissen einen Menschen.
Wissenschaftlichen Untersuchungen zufolge braucht es dazu an die 300
Tiere, die aber kaum noch wo in dieser Anzahl anzutreffen sind. Dass die
Autofahrer die Melkkuh der Nation seien, ist ein weiterer Beleg dafür,
dass der Volksmund einfach nur dumm ist, oder die Mär von der Servicewüste Deutschland. Da zeigt sich, dass der Volksmund nicht in der Lage
dazu ist, über den Tellerrand zu schauen, geschweige denn, ferne Länder
zu bereisen.
sie die Zeile, auf die gedeutet wird, in einen Block abschreiben, und dabei
Laute von sich geben, die so ähnlich wie mimimi klingen. Lustig ist auch,
wenn die Leute am Nachbartisch Sonderwünsche haben, wie kein Eis im
Bier oder gar einen Kräutertee, den es gibt, der aber nur auf der Kaffeekarte steht, die es aber wiederum am Pool nicht gibt. Das klappt dann nie,
entweder gibt’s gnadenlos Bier mit Eis oder die Mäuschen sagen mimimi
und entschwinden und gehen in ihr Häuschen, wo sie sich gegenseitig die
Haare richten, und kommen nicht wieder.
Nicht so lustig wird es, wenn man selber was bestellt, und die Mäuse piepsen unverständliche Mäuselaute und halten sich an den Händen. Bedienungen Tatzen zu geben ist in Thailand aber nicht erlaubt und zöge diplomatische Verwerfungen nach sich, und 100.000 Solidaritätsunterschriften
anderer Thailandreisender an das Auswärtige Amt.
Die Thai, die man so unterwegs trifft, sind ganz normale Leute wie du und
ich, erst wenn sie eine Stellung in der Gastronomie antreten, mutieren sie
sogleich zu kompletten Vollidioten, oder es werden überhaupt nur solche
eingestellt, die zu absolut nichts anderem zu gebrauchen gewesen waren,
beispielsweise noch nicht mal als Begleitung orangeroter Müllwagen, was
weiß denn ich.
Alle Nachfragen zu Angaben auf der Speisekarte, ‚Was ist das für ein
Fisch?‘ oder Änderungswünsche ‚bitte den Fruchtteller ohne Ananas‘
werden gnadenlos abwechselnd mit Falschauskünften und Ignoranz beantwortet.
In kostenlosen englischsprachigen Zeitungen, die vermutlich von distinguierten Engländerinnen und Engländern über 60 verfasst und herausgegeben werden, die es, noch im Berufsleben oder kurz danach, nach
Mexiko verschlagen hat, in diesen Zeitungen, die in Hotels ausliegen,
wird neben Problemen mit Genmais von Monsanto und der Globalisierung ganz allgemein oftmals über das schlechte Benehmen der Touristen
in Mexiko geklagt. Zu Recht natürlich, was aber nicht weiter verwundert,
da Leute, die es gewohnt sind, zu Hause tagein tagaus freundlich respektlos behandelt zu werden, dazu neigen, als etwas minderwertig angesehene
andere Leute wie etwa drollige kleine Indianer ebenfalls wohlwollend respektlos zu behandeln. Das ist trotzdem entschieden zu kritisieren, bildet
es doch den geistigen Nährboden des Faschismus.
Harmloser, aber natürlich ebenfalls abzulehnen hingegen ist der Versuch,
die Eingeborenen zu tourismuskompatiblem Verhalten zu erziehen. Wenn
man also auf der Reise einmal in Hotels oder Bungalowanlagen auf mexikanische Mäuse trifft, die als ihre einzige Aufgabe das Austeilen der
Zimmerschlüssel und das Kassieren der Miete ansehen, und die ansonsten
unentwegt vor der Internetkiste sitzen, unterbrochen nur vom gegenseitigen Vorspielen von Klingeltönen für Mobiltelefongeräte (hier Cellulares
genannt und nicht etwa Händi’s), und das am liebsten, während der Gast
frühstückt, anstatt die Betten zu machen, die Handtücher zu wechseln,
den Fußboden mit dem sonst in Mexiko stets präsenten gleichen, streng
riechenden Putzmittel zu beschichten und was sonst halt noch so gemacht
werden muss, so wäre es völlig unangebracht, oberlehrerartig oder auch
FDPesk, nun aus erzieherischen Gründen auf das Austeilen von Trinkgeld
zu verzichten, nur damit die Nudeln einmal merken, dass es ohne Leistung
gefälligst keinen Lohn gibt. Die Nudeln würden es nicht verstehen und
den Gast als unhöflichen und arroganten Idioten bezeichnen, natürlich nur
untereinander, den Gast würden sie mit der gleichen Unaufmerksamkeit
strafen wie vorher auch. Von mir würden sie zwar auch kein Trinkgeld
bekommen, aber nicht aus erzieherischen Gründen, sondern weil sich hier
die Gelegenheit böte, ohne schlechtes Gewissen die Reisekasse zu entlasten. Und wie jeder weiß, ist die Reisekasse erst einmal entlastet, so
entlastet das auch den Reisenden.
Solche im fernen Mexiko gemachten Erfahrungen, die ja schon viele Jahre vorher zu Hause begonnen haben, führen nun entgültig zu einer Änderung im Ranking der 3 schrecklichsten Erfindungen der Menschheit, für
die bislang galten:
Atombombe, Poollandschaft, tragbarer Benzinmotor-laubblassauger.
Der tragbare Benzinmotorlaufblassauger fällt aus den Top Drei raus, noch
hinter die Jahresrückblicke mit Johannes B. Kerner und Günther Jauch,
dafür rücken die Klingeltöne für „Händi’s“ nach.
Nun sind die Zeiten, in denen die Darbietung von Speisen und Getränken
für den Reisenden ein wichtiger Indikator war um herauszufinden, ob er
in den Stamm aufgenommen werden würde oder in der nächsten Nacht
verhackstückelt, längst vorbei, und das alles klingt eher nach einer Randerscheinung einer Urlaubsfahrt, ist es aber nicht, im Gegenteil:
Häufig ist das Servicepersonal der einzige Kontakt, den der Tourist überhaupt zu den Leuten im Land bekommt, und mit denen er verbal verkehrt,
zu denen er, angenommen er hat 14 Tage Strandhotel ohne Rundreise gebucht und wird vom deutschen Reiseleiter am Flughafen mit dem klimatisierten Minibus abgeholt und direkt zum Hotel gefahren, 13 Mal good
morning, 13 Mal good night, 1 Mal good bye und 13 - 39 Mal, je nach
Zufriedenheit, thank you sagt.
Nicht ohne Grund erfinden die Verfasser von Reiseberichten in den vielen
Reisezeitungen wie Globo (schon eingegangen) oder Geo Saison immer
eine reale Figur, einen ideellen Einheimischen, einen Jim aus Arizona,
einen Björn aus Schweden oder einen Ngujen aus Vietnam, den sie dann
ein paar Sachen in gefakter (sic) wörtlicher Rede sagen lassen, um die
Sprach- und Sinnlosigkeit des modernen Tourismus zu vertuschen, oder
sie interviewen aus dem gleichen Grund in ihrer Verzweiflung unter Zuhilfenahme ihres Presseausweises den Bürgermeister in irgendeinem
Kaff, an den sie keine Fragen haben und der der Weltöffentlichkeit nichts
mitzuteilen hat.
In Thailand hingegen, dem Land des ewigwährenden Lächelns, schaffen
es die Servicemäuse ganz ohne Technik, Laute zu erzeugen, die dem Reisenden die Nackenhaare aufstehen lassen. Zunächst ist es noch ganz entzückend anzusehen, wenn Leute am Nachbartisch etwas zu trinken bestellen. Dann kommen zwei oder drei Thaimädchen vorbei, die aussehen wie
12 und sich benehmen wie 11, gelegentlich halten sie sich dabei an der
Hand, singen sawadiii ka im Chor und nehmen die Bestellung auf, indem
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Maximilian I von Mexiko
„Letzthin habe ich das Kapital von Karl May gelesen!“
„Das Kapital ist von Karl Marx.“
„Und ich habe mich schon gewundert, dass keine Indianer vorkommen.“
(Hör Zu, Witzeseite im Mai 1961)
Die Geschichte Mexikos in groben Zügen ist schnell erzählt: Die Herrschaft der indigenen Völker hatte bis ins 16. Jahrhundert Bestand, danach kamen die Spanier und es war noch viel weniger nichts mehr wie
es vorher war wie nach dem 11. September 2001, und im 19. Jahrhundert wurde Mexiko dann einer der Nationalstaaten, wie sie im 19. Jahrhundert eben modern waren.
Aber einen kleinen Fleck in der Übersichtlichkeit gibt es doch, als die an
Tragik nicht arme Geschichte für 3 Jahre ins Absurde abrutschte.
Wer Näheres erfahren möchte, kann dies bei Karl May tun oder bei Karl
Marx, was aber beides nicht mehr so einfach ist, denn früher hatten viele
Leute, mit denen man so verkehrte, eine Reihe dicker, gebundener Bücher im Regal stehen, auf deren blauem Rücken in goldenen Lettern untereinander Marx, Engels, Werke, eine goldene Nummer und ganz unten
Titel wie ‚März 1872 bis Mai 1875’ oder ‚Das Kapital Band 3’ oder auch
‚Theorien über den Mehrwert’ standen. In dieser Reihe waren häufig
einige Lücken durch herausgenommene Bände, die dann auf dem Tisch
davor gestapelt lagen, weil sie gerade in Benutzung waren. Weiter unten
oder weiter oben im Regal, so, dass sie nicht mehr in bequemer Griffweite lagen, sondern dass, um sie zu erreichen, man sich umständlich
bücken oder gar einen Hocker zu Hilfe nehmen musste, standen dann
die noch aus dem Elternhaus mitgebrachten Karl May Bände. Später
denn traf es sich noch des öfteren, dass die blauen Bände im Bücherregal ganz nach unten oder ganz nach oben gewandert waren, dort, wo früher die Karl May Bände gestanden hatten, die nun gänzlich verschwunden waren, und es waren auch nie mehr welche herausgenommen, die
gerade gelesen wurden. Ich ging dann immer gleich zum Regal, nahm
ein blaues Buch raus und rief, die Bücher sind ja ganz verstaubt, worauf
entweder, je nach Temperament, mit verschämtem, unverständlichem
Stammeln geantwortet wurde oder aber ärgerlich zurückgerufen wurde,
man habe der Putze schon hundert mal gesagt, sie solle gefälligst auch
die Marx-Engels-Werke abstauben, aber ich wisse ja, wie das sei mit den
Putzen und den Polinnen. Und heutzutage wird man nirgendwo mehr
solche wichtigen Bücher finden, es sei denn bei den ewig Gestrigen oder
den Vollcoolen, denn mittlerweile haben auch diese blauen und nicht
sehr dekorativen Bände Platz machen müssen irgendwelchen anderen
Staubfängern, und man muss sich schon ein bisschen anstrengen, bis
man die passenden Bände von Marx und May findet, in denen über das
tragische Abenteuer des Österreichers Ferdinand Maximilian als Kaiser
von Mexiko berichtet wird.
Genaugenommen handelt es sich um viele Einzelgeschichten, die ziemlich unabhängig voneinander ablaufen, davon abgesehen natürlich, dass
es sich immer um dieselben Protagonisten handelt. In den Geschichtsbüchern und daraus abgeschrieben in den Reiseführern steht stets die Imperialpolitik der europäischen Nationalstaaten im Vordergrund, aber ich
glaube, es ist im Grunde eher die Geschichte einer Wirtschaftsgaunerei,
und außerdem eine Kriminalgeschichte, eine psychologische Geschichte der tragischen Art und nicht zuletzt auch eine Abenteuergeschichte.
Die Hauptdarsteller sind:
Ferdinand Maximilian, Habsburger, österr. Kronprinz
Seine Frau Charlotte oder auch Carlota genannt
Napoloen III, Bourbone, König von Frankreich
Zunächst einmal scheint gar nicht sicher zu sein, dass Ferdinand Maximilian, in der Folge nur noch Maximilian genannt, überhaupt Habsburger war und nicht eigentlich ein Enkel Napoleon Bonapartes, wäh42
rend Napoleon III, der ihn in sein Verderben nach Mexiko schickt, in
Wirklichkeit irgendein dahergelaufenes Bürgersöhnchen gewesen sein
könnte. Ich muss aber gestehen, dass das Verschwörungstheorien von
Egon Erwin Kisch sind, und dass ich dies nicht nachrecherchiert habe,
weil es für den Fortgang der Geschichte von nachrangiger Bedeutung ist
und hier nicht auch noch einer präfaschistischen Rassenlehre vom edlen
und weniger edlen Geschlecht das Wort geredet werden soll.
Ganz ohne Bedeutung ist die Abstammung aber dann doch nicht, denn,
wenn ich den kurzen Abschnitt in den Marx-Engels-Werken Band 22
richtig verstanden habe, lief die Geschichte so:
In Mexiko regiert der gewählte Präsident Juarez, der aber nur einen Teil
des Landes kontrolliert. In dem anderen Teil haben sich die Repräsentanten von Großgrundbesitz und Klerus festgesetzt. Diese bereits übel
in Bedrängnis geratene Reaktionärsclique unter Führung von General
Miramon, der den Gegenpräsident darstellte, nimmt nun einen Kredit
über 52 oder 75 Millionen Franken auf von dem Schweizer Bankier Jecker, der wiederum von dem französischen Bankier Mires diese vollen
52 oder 75 Millionen emittieren ließ.
Die Mexikaner bekommen aber von dem Geld nur 4 Millionen zu sehen,
den Rest teilen sich Jecker, Mires und außerdem ist noch ein gewisser
Morny, ein Halbbruder oder sogar der Bruder Napoleons III, der möglicherweise Napoleon III mit 30% beteiligt.
Als nun die Liberalen den Bürgerkrieg weitgehend für sich entscheiden, verweigert das Parlament unter Juarez, dem echten Präsidenten, die
Zinszahlung für Anleihen, die ja vermutlich nur zum kleinen Teil Mexico und seine legale Administration schon gar nicht erreicht hatten. Und
als es gar ans Zurückzahlen des gesamte Kredites geht, schaut es noch
schlechter aus, und Napoleon III setzt den ersten Trottel, den er finden
konnte, mit Hilfe einer selbstgebastelten europäischen Eingreiftruppe
aus Frankreich, England und Spanien sowie Österreich und Belgien als
Herrscher ein. Diese Eingreiftruppen, die sich gute Beute versprechen,
merken aber bald, dass sich dies irgendwie nicht recht verifizieren lässt,
so dass ziemlich schnell zuerst die Spanier, dann die Engländer und zu
guter Letzt auch die Franzosen, Österreicher und Belgier wieder heimreisen und den Kaiser von Mexiko mit seinem eben erst neu erworbenen
Volk ganz allein lassen. Kurz und gut, es war so ähnlich wie im Irak
2002.
Karl May beschreibt die Transaktion in ‚Waldrüschen’ so:
(Weiß jemand was ein Waldrüchen oder Waldrüs-chen ist? Ein Waldröschen?)
»Dieser naturalisirte Franzose borgte Miramon, welcher damals Gegenpräsident war, sieben Millionen Franken, gab ihm aber nur drei Millionen baar und die anderen vier in werthlosen Papieren. Hierfür erhielt
Jecker von Miramon Schuldbriefe, welche auf die Republik Mexiko lauteten, und zwar im Betrag von fünfundsiebzig Millionen Franken. Ueber
achtundsechzig Millionen also waren erschwindelt.«
»General!«
»Diese Schwindelschuld kaufte Herr Morny, Halbbruder Napoleon‘s.
Und weil Juarez diese Summe nicht bezahlen wollte, so - -«
»General!« rief Max noch drohender.
Aber Mejia ließ sich in seinem ehrlichen Feuereifer nicht irre machen,
sondern er fuhr fort:
»So überzog Napoleon unser schönes Land mit Krieg.«
Max (Maximilian I) als sympathisches, aber ignorantes Arschloch. Es
ist unwahrscheinlich, dass Maximilian keine Kenntnis von dem eigentlichen Anlass der Intervention und damit seines Jobs hatte, bei Karl May
wird ihm erst davon erzählt, als es darum geht, zu fliehen oder zu bleiben als er verraten worden war und von den republikanischen Truppen
gefangen genommen in der Zelle im Kloster von Queretaro saß und auf
seine Erschießung wartete, die Manet dann nicht ganz historisch korrekt
in Öl malte. Aber das ist ja auch ein Roman.
Dass Maximilian kraft seiner Herkunft ignorant war, darf man voraus-
setzen, und dass er zeugungsunfähig war, auch (?), aber war er auch so
dämlich oder wieso hat er sich darauf eingelassen?
Warum wurde gerade er gefragt von Napoleon, mit dem er auch ohne
Verschwörungstheorie von Egon Erwin Kisch nur entfernt verwandt
war, und der außerdem seinen Bruder Franz Josef, den echten Kaiser
von Österreich, im Piemont böse geschlagen hat, justament, als der
Kronprinz Ferdinand Maximilian dort der Generalgouverneur war?
Welcher besoffene Idiot kam auf die Idee, in Mexiko eine Monarchie
mit einem Österreicher der 2. Garnitur begründen zu wollen? Diesen
Fragen wird es in ferner Zukunft nachzugehen sein oder auch nicht.
die Tochter des belgischen Königs Leopold I heiratete, was ordentlich
Brautgeld einbrachte, er aber keinerlei sexuelles Interesse an der kleinen
Belgierin zeigte, (warum eigentlich nicht, dass Maximilian zeugungsunfähig war, ist überliefert, aber war er auch schwul?) was diese wiederum
als hochherrschaftliche Geste ansah (war sie auch schwul?).
Nun kann man dezent zuerst auf Geschichten über die Habsburger überleiten, dann auf Romy Schneider zu sprechen kommen und ob Sissy
Bulimie hatte oder von ihrem Gatten Franz Ferdinand mit Syphilis angesteckt worden war oder einfach nur schlechte Zähne hatte, was einzig
sicher überliefert ist, und zuletzt auf eigene Erlebnisse beim Besuch von
Miramar in Triest.
Carlota war die Schwester von Leopold II, dem wiederum einmal der
ganze Kongo persönlich gehörte, bis er es selbst für hartgesottene Kolonialisten zu weit trieb und der Kongo ihm wieder weggenommen wurde.
War Carlota einmal im Kongo? Wohl nicht. Aber sie hat einmal im Vatikan übernachtet, in der Bibliothek (haben die keine Gästezimmer?) und
dem Papst die heiße Schokolade weggetrunken, soviel steht fest, das
kam in Bayern 2 und muss deshalb stimmen.
Eine weitere Geschichte ist die von den Freimaurern. Freimauererei
war in der ersten Hälfte des 19.Jahrhunderts ‚am Hofe‘ verbreitet, siehe
Friedrich II. Wer waren die Freimaurer, welchen Einfluss hatten sie, wer
war sonst noch alles Mitglied?
In jedem Indiodorf im Urwald gibt es ein Internetcafé, in dem kurzbehoste Amerikanerinnen und Amerikaner sitzen, e-mails ‚checken’
und sich beim Einstellen unsäglicher Reisetagebücher ins Internet von
Mosquitos in die nackten Beine stechen lassen, was ihnen aber nichts
ausmacht, da sie Malariaprophylaxe mit Lariam betreiben, von deren
Nebenwirkungen sie später dann verrückt werden. Gegen Internet gucken zu Hause ist allerdings nichts einzuwenden. Viele schöne Verschwörungstheorien kommen da zum Vorschein, und das schönste an
den schönen Verschwörungstheorien ist, dass sie, umso abstruser, desto
wahrer sind, egal ob es sich um Pearl Harbour, den 11. September 2001
oder die Unterstützung abstrakter Maler durch den CIA handelt.
Über Kaiser Maximilian vom Mexiko, dem Habsburger, heißt es da,
dass dieser keineswegs in Queretaro füsiliert worden sei, sondern auf
Grund alter Freimaurerbanden mit seinem Widersacher Benito Juarez
heimlich nach El Salvador fliehen konnte, wo er als Justo Armas mit
großem Erfolg als Eventveranstalter tätig war und 104 Jahre alt wurde, wie zumindest Rudolfo Ernesto Deneken, ein sansalvadorianischer
Hobbyhistoriker, behauptet. Ja ja, rufen jetzt die Abonnenten des Fischer Jahresalmanach und der Zeitung Fokus, und jetzt sitzt er wohl
neben Barbarossa im Kyffhäuser! Und außerdem sei Deneken sicher
nur das spanische Pseudonym für Däniken. Aber ich jedenfalls finde
das ganz vernünftig. Wenn ich einmal Kaiser von Mexiko werde, und
die Revolution dann über mich hinweggefegt wäre, ich würde es ganz
genau so machen.
Spannender ist allemal, dass mit der Hinrichtung Maximilians für Mexiko die Sache dann zwar erledigt war und wieder zur innermexikanischen Tagesordnung der üblichen Schrecklichkeiten übergegangen
wurde, dass Geschichte aber deswegen ja nicht aufhört, sondern sich
unentwegt immer weiter verzweigt und im Handumdrehen eine Million
neuer Geschichten ausbildet, die aufzuschreiben den Rahmen einer simplen Reisebeschreibung sprengen würde, zumal ich darauf hinweisen
muss, dass, wenn ich eine Million hinschreibe, ich auch eine Million
meine und nicht etwa sieben oder zweiundzwanzig.
Eine Geschichte wäre beispielsweise die, wie der böse schweizfranzösischmexikanische Bankier Jecker während der Zeit der Pariser Kommune geschnappt wird und genau wie Maximilian ebenfalls standrechtlich erschossen wird, wozu man dann meistens Ironie der Geschichte
sagt.
Oder, wie die Kaiserin, Carlota, die schon vor der Gefangennahme ihres
Gatten angeblich schwanger und ganz sicher verrückt war, Mexiko verlässt und nach Belgien zurück kehrt. Dort bekommt sie – angeblich - einen Sohn, was ‚bei Hofe‘ viel Kummer bereitet, ist doch bekannt, dass
Maximilian zeugungsunfähig war. Der Sohn bekommt einen albernen
Kompromiss als Namen, er wird Maxim genannt und zur Adoption freigegeben. War Charlotte schwanger von Freiherr van Schmissen, dem
Kommandeur der belgischen Interventionstruppen, war ihr Sohn Maxim
der spätere General Weyrich, der Befehlshaber der französischen Armee
im 1.Weltkrieg. – alles ziemlich wahrscheinlich.
Eine weitere Geschichte wäre die über den Gesundheitszustand Carlotas, die unverdrossen behauptet, in Mexiko vergiftet worden zu sein,
was aber eher unwahrscheinlich ist, auch wenn Egon Erwin Kisch in
seinem Buch ‚Entdeckungen in Mexiko’ behauptet herausgefunden zu
haben, dass sie von einer republikanisch gesinnten Marktfrau mit Teyhuinti, einem Pilz, vergiftet worden sei.
Man könnte sich nun den überlieferten oder vielleicht auch nur kolportierten Ausspruch Sissys, die als Frau Kaiser Franz Josephs ja Maximilians Schwägerin war, zu Nutze machen: „Die merkt auch gar nichts,
die kleine Belgierin“, was sich darauf bezog, dass Maximilian wegen
des Baues von Miramar bei Triest rechte Geldsorgen hatte, und deshalb
43
Was mache ich hier eigentlich
Das Bemerkenswerteste an Sofia für mich war, dass es eigentlich nichts
gab, was mich an Sofia interessierte, und ich auch niemanden kannte,
der jemals in Sofia war oder seinerseits für Sofia Interesse zeigte. Ja
mitunter kam es sogar vor, dass wenn ich von meiner geplanten Reise
erzählte einer gar nicht wusste, wo Sofia überhaupt liegt, dass es die
Hauptstadt von Bulgarien ist. Es gibt Städte mit großen Namen, mit Mythos besetzt, Städte, in die man sich versetzt, auch wenn man vielleicht
niemals hinfahren wird, Mexiko oder Valencia oder Los Angeles zum
Beispiel, Sofia allerdings gehört nicht dazu.
gigen Rumpfstaat Bulgarien im Westen und ein türkisches Protektorat
Ostrumelien, in dem auch Plovdiv liegt, das damit seinen Hauptstadtstatus gleich wieder los war. So wurde Sofia, das zwar auf eine lange
Geschichte zurückblicken kann, zu dieser Zeit jedoch gerade mal 20.000
Einwohner hatte, einstöckige Häuser, krumme Straßen und keine Kanalisation, 1879 zur Hauptstadt und blieb es auch nach der Wiedervereinigung mit Ostrumelien.
Mittlerweile gibt es Kanalisation, aber die Gehsteige sind noch immer
alle äußerst holperig, die Fassaden unrenoviert, Sofia ist deshalb aber
keineswegs schäbig, eher irgendwie ratzig, eine unaufgeregte, entspannte Stadt, niemals habe ich jemanden rennen sehen, niemals Autos durch
die Stadt rasen gesehen.
Es gibt, abgesehen von zuckerbäckerigen orthodoxen Kathedralen der
Jahrhundertwende nur wenige Sehenswürdigkeiten, eine alte Basilika,
die durch die eigentlich unzulässige Sichtbarmachung der Renovierungen im Sichtmauerwerk – ursprünglich war sie selbstverständlich
verputzt – noch eindrucksvoller ist, eine römische Rotunde mit sehr
schönen Wandmalereien, und natürlich das Weltkulturerbe Kloster Bojana, eine kleine Kirche aus dem 11. Jahrhundert mit seinen berühmten
Wandmalereien.
Zufälligerweise traf ich dann aber vor der Abreise auf ein paar Koreaner, die ebenfalls noch nie in Bulgarien waren, die jedoch der festen
Meinung waren, die Bulgaren stammten von den Koreanern ab, wegen
eines gemeinsamen, nur wenige Monate sichtbaren Flecks am Steiß von
Neugeborenen.
Am ersten Tag gab es denn auch nichts weiter zu berichten über Sofia.
Dass ich schon am Flugplatz vom Taxifahrer übers Ohr gehauen wurde,
lohnt fast nicht zu erwähnen, denn von Taxifahrern gelegentlich übervorteilt zu werden ist eine unvermeidliche, unbedeutende Randerscheinung des Reisens.
Über den Straßen hingen Lichtergirlanden, die Zweige und Glocken
darstellen, ich fühlte mich am 30. April an Weihnachten zurückversetzt.
Mehr morbider Charme einer spätkommunistischen Ära war äußerlich
allerdings kaum noch wahrzunehmen. Das Denkmal zur Befreiung Bulgariens durch Truppen der roten Armee steht noch, ist aber bereits ein
wenig heruntergekommen, die Natursteinplatten des Sockels beginnen
einer nach dem anderen abzufallen, was allerdings die Natursteinsockel
politisch unbelasteter Bauwerke ebenfalls machen.
In den Cafés sind nun aber die sozialistischen wohnküchenartig gekleideten dicken uninspirierten Bedienungen nun durch schwarzgekleidete
schlanke uninspirierte Schlampen ersetzt, die große Angst davor haben,
für Bedienungen gehalten zu werden.
Eine Dreiklassengesellschaft offenbart sich dem Besucher durch den
Verkehr, 100.000 Euro SUVs für die Oligarchen, Wirtschafts- und
Schattenwirtschafts-kapitäne, 12 Jahre alte Gebrauchtwagen aus dem
Westen, Audi 80, Renault, Honda sowie neue japanische und tschechische Kleinwagen für die Angestellten und Kleingewerbetreibenden,
die vielen Busse für den Rest. Ein Teil der Autos, so geht das Gerücht,
sei geklaut, aber davon unabhängig gilt trotzdem die EU-Verordnung,
dass alle Fahrzeuge eine Warnweste mitführen müssen.
Die EU ist bereits angekommen in Bulgarien, die Zigaretten tragen
große Aufschriften, dass rauchen den Raucher, seine Eltern, Geschwister, Mitbürger und das ungeborene Leben schädige und die Ursache
für alle Übel dieser Welt wie Klimakatastrophe und Artensterben sei.
Vermute ich jedenfalls, ich spreche nicht bulgarisch. Außerdem wird
gerade während meiner Anwesenheit die EU Richtlinie zur Schaffung
von Behindertenparkplätzen umgesetzt, Behinderte sind noch keine zu
sehen, ein Rollstuhlfahrer würde auch auf den holperigen Gehsteigen
unweigerlich alle 50 Meter einmal umkippen und sich dabei weitere Behinderungen zuziehen.
Generell ist eine gewisse Missachtung des Fußbodens in Bulgarien festzustellen, das Parkett der National Art Galerie als renovierungsbedürftig zu beschreiben stellt eine Höflichkeit des Gastes gegenüber seinem
Gastland dar. Die National Art Galerie ist im Übrigen eine Schinkensammlung, deren Schrecklichkeit im Mai 2007 nur noch überboten wird
von der Ausstellung mehr oder weniger dekorativer geometrischer Spielereien eines Ungarn mit Namen Vasarely, der einmal einer der teuersten
zeitgenössischen Künstler war, den heute aber kaum noch jemand kennt.
Am dritten Tag traf ich dann auf eine Gruppe von deutschen Künstlerinnen, die eine Ausstellung im Goethe - Institut vorbereiten wollten,
jedoch erfahren hatten, dass sie wegen organisatorischer Probleme mit
dem Seminarbetrieb erst in 2 Tagen mit dem Aufbau beginnen können
und die in der Stadt rumlungerten. Nun lungerten wir also gemeinsam
in der Stadt herum und aßen am Abend in einem typisch bulgarischen
Gasthaus mit typisch bulgarischer Volksmusik und typisch bulgarischen
Runden Schnaps, der, wie ich verstand, angeblich ‚Serbische Perle’
heißt, was aber eher unwahrscheinlich scheint und wohl eine auf mangelnde Sprachkenntnisse zurückzuführende Fehlinterpretation darstellt.
Bulgarien ist auf alle seine Nachbarn, die Serben, Mazedonier, Griechen, Rumänen und besonders die Türken nicht gut zu sprechen, da diese allesamt nach bulgarischer Lesart ihnen Territorien geklaut haben.
Auch vom zweiten Tag gab es nichts zu vermelden, die Sonne schien
und ich langweilte mich. Sofia, Zentrum eines von Landwirtschaft und
Tourismus geprägten, sich langsam entvölkernden Landes, ist eine
Stadt von eher unscheinbarer Schönheit, umgeben von jetzt im April
noch schneebedeckten Bergen, mit von mächtigen Bäumen gesäumten
Straßen, die Kronen der Bäume oben zusammenwachsend, wenn die
Straßen eng genug sind. Ungleich anderer Großstädte ist Sofia nicht von
innen nach außen gewachsen, sondern besteht aus einer Anzahl lose aneinanderhängender Vorstädte, auf dem Stadtplan sieht das dann aus wie
im Gelände verteilte Batzen, von denen einer dank seiner geografischen
Lage als Zentrum bezeichnet wird. Eine historische Altstadt als natürlicher Stadtmittelpunkt ist nicht zu erkennen, fast die ganze Stadt ist
erst nach der Befreiung von den Osmanen ab der zweiten Hälfte des 19.
Jahrhunderts entstanden,
Sofia ist nämlich eine rein zufällige Hauptstadt. Nachdem die Russen im
russisch - türkischen Krieg von 1877 –78 die Türken aus dem Gebiet des
heutigen Bulgarien vertrieben hatten, schufen sie einen selbständigen
bulgarischen Staat und bestimmten 1878 die größte und wichtigste Stadt
zur Hauptstadt - Plovdiv. Durch Intervention der Briten und Österreicher wurde der neue Staat umgehend wieder geteilt in einen unabhän-
Den vierten Tag verbrachte ich fast gänzlich auf der Dachterrasse des
Hotels, auf die ich versehentlich von der Frühstücksfrau eingeschlossen
worden war, durch Glück im Unglück hatte ich ein Buch in der Tasche,
lesend, gelegentlich unterbrochen durch kurze Phasen des Wartens.
Der Antwort auf die Frage der Herkunft der Bulgaren durch den Mongolenfleck, so heißt der Fleck auf dem Steiß von Neugeborenen, wie ich
mittlerweile eruiert hatte, war ich trotz Befragung des Hotelpersonals
noch nicht näher gekommen. Von den Koreanern stammen sie aber wohl
kaum ab, denn die Tatsache, dass die Mongolei in der Geschichte pha44
geständnis gleich gekommen wäre, dass auch sie sich langweilten.
Der deutsche Botschafter in Bulgarien, ein kleiner rundlicher älterer Herr mit wachen Augen, sagte sogleich fröhlich „Türkische Worte“, schränkte aber ein, er sei erst 9 Monate hier, versprach aber, noch welche zu senden. Seine brasilianische Frau war nicht mit auf die Eröffnung gekommen, so dass ich sie nicht nach ihrer Meinung fragen konnte, ob 9 Monate in Bulgarien erst oder schon bedeuten. Der Direktor des Goethe – Institutes wiederum sagte voller Schrecken „Türkische Worte“, das Thema sei aber momentan sehr heikel. Er versprach keine weiteren konkreten Worte. senweise zu Korea gehört hatte, macht die Mongolen noch nicht zu Koreanern, die Bewohner der Andamanen sind ja auch keine Österreicher.
Außerdem war mir aufgefallen, dass Bulgaren ganz anders aussehen als
die Koreaner.
Am fünften Tag besuchte ich die Künstlerinnen beim Aufbau. Am überzeugendsten fand ich dabei die Arbeit einer Künstlerin, die im Treppenhaus des Goethe - Institutes deutsche Worte an die Wand schrieb, die
ihr in Deutschland lebende Bulgaren genannt hatten als Worte, deren
Bedeutung sich für sie durch die fremde Sprache vertieft hatte, Worte
wie Überheblichkeit, Bergwandern, verboten, Schlussverkauf. Es war
auch das Wort homosexuell dabei.
„Das geht nicht“ sagte der Direktor, als er das noch nicht ausgemalte,
durch einen Beamer an die Wand projizierte Wort eher zufällig bemerkte.
Am siebten Tag fuhr ich dann wieder nach Hause. Auf die Frage, was es denn in Sofia so gäbe, antworte ich stets, dass man anhand der noch immer durch langjähriges hellblond Färben strohig gewordenen Haare der Bulgarinnen die Kontinuität der Geschichte über alle Staatsideologien hinaus beobachten könne. Es werden dann meist keine weiteren Fragen gestellt.
Sechster Tag: Die Ausstellungseröffnung war ein großer Erfolg, es waren zahlreiche deutsche und bulgarische Künstler und Kunstinteressierte erschienen, nur der Katalog befand sich, wie nach umfangreichen
Recherchen erfahren, gerade in Istanbul. Es gab Wein und Wasser und
es wurden Reden gehalten, vom Direktor des Goethe - Institutes, der
Künstlerkuratorin, dem Botschafter, und anderen wichtigen Leuten, und
danach wurden viele Blumen überreicht. Die Künstlerkuratorin erläuterte im Anschluss die einzelnen Arbeiten, worauf hin die Künstlerinnen
ihre Arbeiten nicht wiedererkannten, aber es ihr nicht weiter übel nahmen, der Tatsache Rechnung tragend, dass eben keine ganze Kuratorin
bezahlt werden konnte, der Etat für die Ausstellung betrug etwa null
Euro plus die Kosten für den auf dem Flughafen von Istanbul weilenden
Katalog. In den Amateurfußballligen sind bekanntlich auch oft Spielertrainer tätig, weil es für einen Trainer allein nicht ganz reicht, und dann
ist eben nicht immer alles ganz perfekt.
Drei Besonderheiten und eine Nichtbesonderheit zur Ergänzung:
Erstens: Alles ist unglaublich billig. Zweitens: Die kyrillische Schrift zu lesen ist schwierig, außer den aus dem Lateinischen bekannten Buchstaben gibt es noch extra Buchstaben für zh, ts, ch, sh, sht, yu und ya, dafür gibt es kein c, qu, v, w und x. Das heißt, x gibt es schon, aber das bedeutet h, klein g bedeutet d, h ist n, p ist r, c ist s. Nicht einfach.
Drittens: In Sofia gibt es unglaublich viele Cafés und Restaurants. Vermutlich weil es auch den Einwohnern oft mal langweilig ist und sie dann nicht wissen was sie sonst tun sollen, außer Kaffee trinken.
Durch den glücklichen Umstand, anlässlich der Ausstellungseröffnung
auf andere Deutsche in Bulgarien zu treffen, begann ich herumzufragen,
was diese denn in Sofia so machen würden, und weil ich die Frage so
nicht stellen konnte, benutzte ich einen der Ausstellung entsprechenden
Euphemismus und fragte nach den bulgarischen Worten, die für sie hier
in der Fremde besondere Bedeutung erhalten haben. Es stellte sich jedoch heraus, dass die meisten Anwesenden die Frage anscheinend auch
nicht erschöpfend beantworten konnten oder wollten, was ja einem Ein-
Viertens: Nein, die Bulgaren stammen nicht von den Koreanern ab, Mongolenfleck hin oder her. Und wenn dann wären es höchstens die Türkvölker, bei denen der Fleck häufiger auftritt, aber auch diese Verbindung ist nicht wirklich belegt.
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Sehenswürdigkeiten sind langweilig
Allerorts erschallt großes Wehklagen über das mangelhafte Allgemeinwissen der Bevölkerung. Infotainmentmäuse schwirren zu Dutzenden
in die Fußgängerzonen aus, stellen sich vor H&M oder C&A, und fragen verdutzte Passanten nach dem Namen des Bundespräsidenten. Bei
den solcherart überfallartig befragten tritt dann sofort eine intellektuelle Blockade ein und sie verwechseln den Bundespräsidenten prompt
mit Helmut Schmid oder Uwe Seeler und sich dabei, wie man so sagt,
unsterblich blamieren. Würde man aber stattdessen den Leuten auf der
Straße Fotos von mehreren Türmen vorlegen, etwa von den ehemaligen Twin Towers, dem Kölner Dom und dem Eiffelturm, und fragen,
welches davon ist denn nun der Eiffelturm, so wird die Trefferquote
satte 100 Prozent betragen. Das wundert wenig, da seit den 50er Jahren
auf Kalendern von Metzgereien und vom Reifenfachhandel neben dem
Atomium in Brüssel, oft mit Blumenrabatten im Vordergrund, und dem
Schiefen Turm von Pisa der Eiffelturm nicht mehr wegzudenken ist,
während Host Köhler in Jahreskalendern nie vertreten ist.
Daher ist es auch völlig unnötig, extra nach Paris zu fahren, Paris ist
teuer und die Leute dort sprechen komisch.
Nur wenn es einem an Selbstwertgefühl mangelt und man sich beständig selbst bestätigen muss, indem man dann also sagen könnte,
da ist ja der echte Eiffelturm, genau so habe ich ihn mir immer vorgestellt, sollte man die Strapazen auch auf sich nehmen, was schließlich immer noch besser ist, als einer rechtsradikalen Partei beizutreten
oder im Vorgarten die Deutschlandfahne zu hissen. Verloren gegangenes Selbstwertgefühl findet man übrigens auch in den Grachten von
Amsterdam einfach und sicher wieder. Für alle anderen sind Sehenswürdigkeiten eher langweilig.
In meinem Französischkurs waren fast alle Schüler Mitte 20, jung und
attraktiv. Über 40 war außer mir nur noch eine Frau, die ähnlich begriffsstutzig war wie ich, und natürlich der unvermeidliche Rentner.
Auch die Lehrerin dürfte so an die 50 gewesen sein. Wir ‚Älteren’ wurden von den anderen aber toleriert und fühlten uns auch in den Pausen
nicht ausgeschlossen. Im Unterricht bekam man oft recht dumme und
schlecht gemachte Zeichnungen vorgesetzt und man musste dann sagen
was man darauf sieht. Aber mangels Wortschatz kamen nur so einfältige
Halbätze heraus wie ‚es gibt einen Mann’, ‚es gibt eine Frau’, ‚die Frau
ist alt’, Die Jungen fügten dann noch dazu ‚sie ist 50 Jahre alt’. Unsere
Lehrerin war aber, ihrem Gesichtsausdruck zu schließen, keineswegs
der Meinung, dass man mit 50 schon alt sei.
Weil nun also Begegnungen, Erlebnisse und Erfahrungen auf Reisen
enorm wichtig sind für das Verständnis von Vorgängen in einem Land
und für die Erkenntnis daraus erfolgender Zusammenhänge, die weit
in den eigenen Lebensbereich eingreifen, hat sich ein eigenes, sehr erfolgreiches Genre in der Reiseliteratur entwickelt, das als Schwerpunkt
nicht mehr die Beschreibung der Sehenswürdigkeiten und der Sitten und
Gebräuche hat, sondern die Grenze, die den Reisenden von dem Einheimischen trennt, für den dieser ja erst einmal ein Wesen ist, das ohne erkennbaren Grund zu ihm kommt und ohne Spuren zu hinterlassen nach
kurzer Zeit wieder verschwindet.
Weil es sich aber bei den Schriftstellern oft um psychoanfällige Tanten
und Onkel handelt, verwechseln sie dann die Erfahrungen hinter den
sichtbaren Dingen mit ihren eigenen Befindlichkeiten und schreiben
Tausende und Abertausende von Seiten damit voll, die von Lesern, die
solcherart Verwechslung ebenfalls zugeneigt sind, gerne gelesen werden. So eine Mischung halt aus Beschreibung einer Depression unter
Palmen und der Mystifizierung der Neger. Lieve Joris hat mal in einem
Bericht über den Kongo geschrieben, „ .. und eh ich mich versah, hatte ich die Trennlinie zwischen Schwarz und Weiß überschritten und
fand mich auf der anderen Seite wieder.“ Das ist Globertrotterpsychochickenquatsch, und außerdem negiert er dabei auch noch wesentliche
sozioökonomische Unterschiede. Ein westlicher Reisender, auch wenn
er als Schriftsteller oder Journalist reist, wird genau so wenig eine imaginäre Trennlinie überschreiten wie ich ein Mitglied der Gemeinschaft
der Bauern in dem Allgäuer Dorf werde, in dem ich in der 3. Generation
wohne. Es ist durchaus möglich, über persönliche Bekanntschaften einzelne Menschen kennenzulernen, die einen bei der Hand nehmen und
ein Stück in ihren Alltag mitnehmen. Dann ist der Reisende zumindest
für einige plötzlich niemand mehr, der ohne Grund kommt und ohne
Spur wieder geht. Allerdings, wenn einer der beiden, der Reisende oder
der Einheimische, die Hand loslässt, findet sich der Reisende sofort auf
seiner Seite wieder.
Viel spannender ist in fremden Ländern die Alltagskultur, sind die großen und kleinen Besonderheiten. Und die erfährt man einfach und sicher
durch einheimische oder zugezogene Bekannte vor Ort, die einen überall hin mitnehmen, nur nicht auf den Eiffelturm, auf den sowieso kein
Pariser je einen Fuß setzen würde, ja der gemeine Pariser sich bereits bei
der bloßen Erwähnung der Worte ‚Tour Eiffel’ mit der linken Hand in
die rechte Armbeuge schlägt.
Nicht verkehrt ist es allerdings, man lernt für die Erkundung der Alltagskultur vorher die Sprache, denn sonst sitzt man im Kreis der Bekannten
des Bekannten und der Tag läuft an einem vorbei. Sprachen lernen ist
nur leider längst nicht so lustig, wie das manches Mal in lustigen Geschichten kolportiert wird, in Büchern wie „Eines Tages ich sprechen
schön“, in denen die Sprachenschüler abgedrehte Sachen sagen über
Osterhasen und Geschlechtsverkehr und die Sprachenlehrerin, es sind
auch in Wirklichkeit meist Lehrerinnen, dann verzweifelt ist und mit
gehörigem Sadismus ihre Schüler dafür quält. Solche verkappten PR
Erzeugnisse schönen im Auftrag der Sprachschulenlobby, die sicherlich
auch bei uns im Bundestag vertreten ist, die Tristesse von Sprachenschulen und suggerieren, Sprachschulen seien superlustig und man lernt
nebenbei sogar noch dazu fremde Sprachen.
Beides stimmt aber so nicht. Das Erlernen von Sprachen ist für Erwachsene keineswegs einfacher als vor 5 oder 25 Jahren der Sprachunterricht
in der Schule, nur ist das nun weiter nicht schlimm, denn anders als in
der Schule, wo sprachbegabte Mitschüler einen fertig gemacht haben,
sitzen in den Kursen der Volkshochschulen oder der Kulturinstitute lauter Leute, denen das Sprachenlernen ebenfalls erkennbar schwer fällt.
Die sich partout keine Vokabeln merken können, von Possessivpronomen ganz zu schweigen. Dass ein Adverb einem Verb, ein Adjektiv
einem Substantiv zugeordnet ist, kapieren noch die meisten, wie aber
während des Satzes dieser Abgleich ohne Stocken über die Bühne zu
bringen, das wissen selbst Leute mit Bühnenerfahrung selten. Wo allerdings die Menschen mit „Sprachbegabung“ jetzt neue Sprachen lernen,
ist mir nicht bekannt, jedenfalls nicht bei VHS und den Kulturinstituten,
Gott sei Dank.
Um nun auch die fremden Länder, wie man so sagt, ‚hautnah‘ zu erleben,
in denen ich keine Freunde und Bekannte habe, bin ich einem Verein
beigetreten, der Servas heißt und so eine Art Couchsharingclub darstellt.
Das war auch ganz prima, wenn man die Gastrolle innehatte, in Antananarivo etwa oder in Lima. Weniger prima war, dass dann ja auch Leute
zu einem nach Hause kamen. Im wesentlichen waren es Australier bzw.
Neuseeländer, beide Nationen mögen verzeihen, dass das für unsereiner
Jacke wie Hose ist, dann Italiener und vor allem Amerikaner. Die Australier waren ganz in Ordnung, machten einen robusten Eindruck, haben
alles ohne Murren mitgemacht, sind mit in die Großmarkthalle oder auf
die Baustelle vom Filmmuseum, sogar ins Taekwondo Training sind
mal zwei mitgegangen, und sie waren dankbar. Sie konnten zwar nur
Englisch, aber nicht, weil sie der Meinung waren, wie die Amis, dass es
eine Selbstverständlichkeit sei, überall auf der Welt die Weltsprache der
führenden Weltnation zu sprechen, sondern weil sie einfach intellektuell
etwas anspruchsloser waren.
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Die Italiener, die häufig ein wenig deutsch sprachen, haben oft noch
jemanden mitgebracht, so dass im Gästezimmer dann auch mal vier geschlafen haben, 2 im Bett und zwei davor. Sie waren immer lustig und
gut aufgelegt, sind aber nirgendwo hin mitgegangen, sondern sind den
ganzen Tag in Jogginghosen in der Küche rumgesessen und haben darauf gewartet, dass man sich dazusetzt. Am Abend haben sie sich dann
aufgebrezelt wie Christbäume, in Parfüm gebadet, und sind party gegangen. Wenn dann einzwei Wochen später Besuch zu mir kam, hat dieser
stets kurz geschnuppert und die Unverschämteren unter den Besuchern
haben dann ungefragt festgestellt, aha, waren wieder mal Italiener da,
während die mit besserem Benehmen taktvoll schwiegen und den in der
Wohnung hängenden Gestank den ganzen Abend mit keinem Wort erwähnten.
Die Amis dagegen waren schrecklich. Die sind des Nachmittags angekommen, wollten nichts hören und auch nichts essen. „Some eat?“
„Thank you, I am not hungry.” “Some drink?” „Only tabwater, please“
und sind dann schnell in ihr Zimmer verschwunden, wo sie in Penguin Taschenbüchern gelesen haben und Süßigkeiten in sich reingestopft
haben. In der Früh haben sie dann nach ‚Cornflakes with some milk’
gefragt. „No have.“ Dann haben sie mit den Schultern gezuckt, als hätten sie sowieso nicht erwartet, hier irgendwas vernünftiges vorzufinden
und sich getrollt.
Irgendwohin mit wollten sie nie, da sie bereits ein festes Programm
hatten, nämlich 1.Tag Schloss Nymphenburg, Olympiagelände, Hof-
bräuhaus, 2.Tag Neuschwanstein. Am Tag darauf sind sie dann wieder
abgereist. Das Hofbräuhaus hätte ich mir noch vorstellen können, zumindest für jemanden, der nicht nur Süßigkeiten und Leitungswasser
zu sich nimmt, aber warum Schloss Nymphenburg, warum Olympiagelände?
Auch meine Mitbewohnerin wusste erst keine Antwort, bis wir nach
monatelangem Grübeln draufgekommen sind, dass Schloss Nymphenburg, Olympiagelände und Hofbräuhaus überhaupt keine realen Orte für
sie darstellten, sondern Synonyme, um andere Amerikaner zu treffen,
die gerene von sich behaupten, es handele sich bei ihnen um ‚anständige gleichgesinnte Menschen, die Gott gesandt hat, um der Welt Hello
zu sagen’, was aber nicht stimmt, außer ‚gleichgesinnt’. Sie wollen der
Welt gar nichts sagen, noch nicht mal ‚Hello’, dazu sind sie viel zu sehr
mit sich selber beschäftigt, mit dem Austausch von Erfahrungen über
den Alltag in – richtig, Amerika. Die Welt hat gefälligst Hello zu ihnen
zu sagen, und wenn nicht, dann eben nicht.
Es ist völlig unverständlich, warum Dokumentarfilme wie der von
Quentin Tarantino produzierte Film ‚Hostal’ über amerikanische Backpacker in Europa keine abschreckendere Wirkung haben. Der Film sollte
unbedingt Unterrichtsfilm für alle amerikanischen Schulen werden.
Mythen
von ihrer ehemaligen Mutter, die es aber leider nun nicht mehr gäbe.
Genau so ein peinliches Schweigen müsste auch eintreten, immer wenn
jemand ‚ehemalige DDR‘ sagt.
Ich bin mit dem Zug gefahren bis Dresden, dann weiter mit dem Mietwagen. Jedes Mal, wenn ich mit dem Zug fahre, taucht tief in mir die
Frage auf, ob ich es verwerflich finden soll, wenn Mitreisende ihren mitgeführten Haushalt statt im Gepäckfach auf die umliegenden 8 Sitzreihen verteilen und man sich mit der Frage ‚Ist hier noch frei’, was nichts
anders bedeutet wie die Euphemie von ‚Räumen Sie sofort Ihren Müll
da weg, Sie asoziales Schwein’, erst einen Platz erbitten muss, oder ist
das eher spießig, schließlich standen die Sitze bis dato doch zur freien
Verfügung? Aber wahrscheinlich ist es nur einfach unhöflich. Höflich ist
es, finde ich zumindest, dass, wenn 2 Zeitungen im Hauseingang liegen,
weil noch jemand die gleiche Zeitung bekommt, und wenn es nun regnet
meistens eine der beiden Zeitungen ziemlich nass ist, man abwechselnd
mal die trockenere, mal die nasse Zeitung nimmt, und sich nicht denkt,
was schläft der andere Abonnent auch so lange, das hat er nun davon,
und immer gleich die Trockenere an sich reißt.
Normalerweise bin ich aber Unhöflichkeiten gegenüber meist nachsichtig. Man kann von Leuten, die 4 Euro 85 brutto die Stunde verdienen,
nicht verlangen, dass sie auch noch höflich zu einem sind. Es wäre besser für alle Beteiligten, auch für die Geringverdiener, aber verlangen
kann man es nicht. Unhöflichkeit lässt sich auch nicht durch moralisch
zweifelhaftes Gejammere darüber in Kolumnen bekämpfen, sondern
nur durch eine Revolution. Ich fürchte aber, da eine Revolution einstweilen nicht in Sicht ist, dass das Problem mein Ableben noch unbeantwortet überdauern wird.
Ebenfalls höflich ist heiraten.
Von dem vorgebuchten Zimmer im Hotel Sackwitzer Mühle sind es nur
etwa 350 Meter bis zu dem Ferienhaus, das kommt dem Idealfall nahe,
da kann man sich nicht beschweren, zumal keine Polizei weit und breit,
und auch nicht über das Hotel selbst, es ist auch alles drin, was reingehört, Fernseher mit Sat-Anschluss, Dusche, Teppich, und auch der
Schuhputzautomat hat, wie es sich gehört, den Gast im Flur begrüßt,
immer wenn man an ihm vorbeiging, sogar dann noch, wenn man nach
der Hochzeit nachts um 3 Uhr 30 leicht angeheitert mit schmutzigen
Schuhen in sein Zimmer geschwankt ist. Laut hoteleigenem Prospekt
fühlt man sich in den ‚Standardzimmern wie zu Hause’, und es gibt auch
‚3-4 (!) separate Räumlichkeiten für die Familie und für Betriebsfeiern’.
Irgendwann bin ich dann wieder aus dem Servas Couchsharing Verein
ausgetreten, ohne dass damit dann eine spürbare Leere in mein Leben
getreten wäre.
Jetzt bin ich wieder wo eingeladen, zu einer Hochzeit. Ich kann Hochzeiten gut leiden, ganz im Gegensatz zu dem Lied I Never Promised
You A Rose Garden von Lynn Anderson, das fast so schrecklich ist wie
Ha Ha Said The Clown von Manfred Mann oder In The Year 25 25 von
Zagger und Evans. Gut leiden kann ich Hochzeiten aber nur, wenn man
dabei viel Alkohol auf anständige Weise zu sich zu nehmen kann, sie
also nicht in einem idyllischen Ausflugslokal im See stattfinden und man
nach reichlich Mineralwassergenuss hinterher noch 55 Kilometer mit
dem Auto nach Hause fahren muss. Leider gibt es nicht mehr so viele
Hochzeiten, um dann durch eine verfehlte Eventplanung auch noch daran gehindert zu werden. Die beiden anderen Gelegenheiten, die mir im
Zusammenhang mit dem Genuss von Alkohol noch einfallen, sind: Gestrandet in einer Stadt im Inneren Madagaskars an der Bar des einzigen
Hotels, das natürlich Hotel Paris heißt, zusammen mit Entwicklungshelfern von der GTZ, und das Revival der eigenen Garagenrockband
in Lokalen, die Café Notausgang heißen und vor 20 Jahren auch schon
so geheißen haben. Leider sind, als vierte potentiell gute Möglichkeit,
Besäufnisse bei Begräbnissen aus der Mode gekommen, da gibt es jetzt
nach der Trauerfeier, auf der Frank Sinatra gespielt wurde, immer Kaffee und Kuchen, um die Trauer angemessen zu verstärken, sogar auch
dann, wenn statt Frank Sinatra AC/DC gespielt wurde. Warum mir übrigens beim Thema Hochzeiten I Never Promised You A Rose Garden
einfällt kann ich auch nicht sagen, oder In The Year 25 25.
Die Hochzeit von Clara und Troll fand in ihrem Ferienhaus in Sackwitz
statt. Sackwitz ist ein kleines Dorf und liegt etwa 40 km nordöstlich von
Leipzig, vermutlich in Sachsen, also in der, wie man leider noch viele
Jahre sagen wird ‚ehemaligen DDR’. Man stelle sich nur mal vor, man
wäre bei einer relativ neuen Bekannten zum Kaffee eingeladen, man
sagt anerkennende Worte über das feine Dekor an der Tasse und die
Gastgeberin erwidert emotional nicht unbelastet, das Geschirr sei noch
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Natürlich hätte ein heruntergekommenes Sozialismushotel auch seinen
Reiz gehabt, wäre aber dem Anlass nicht angemessen gewesen. Dieses
Hotel jedenfalls ist der gebaute Schlussstrich unter die deutsche Geschichte. ‚Ich wollte nie einen Schlussstrich unter die Deutsche Geschichte ziehen,’ sagt Martin Walser live aus Haar, was auch nicht so einfach wäre bei
einem offenen kontingenten Prozess. Da er zweifelsohne damit nur das
Hotel Sackwitzer Mühle gemeint haben kann, wäre es noch interessant zu
erfahren, ob er nicht vielleicht sogar im selben Zimmer gewohnt hat wie
ich. Vielleicht hat er hier sogar einen seiner neuen Romane, zum Beispiel
‚Angstblüte’ geschrieben, ein unglaublicher Mist mit einer Protagonistin,
die er Amei Varnbühler-Bülöw-Wachtel nennt. Das sagt eigentlich schon
alles.
Dresden dagegen steht in krassem Gegensatz zum Schlussstrichhotel,
da schlägt die Geschichte Kapriolen, wurde doch unlängst für viel Geld,
was euphemistisch gerne mit ‚ein erkleckliches Sümmchen’ umschrieben
wird, das Modell einer alten Kirche an gleicher Stelle im Maßstab 1:1
errichtet. Dafür aber wird jetzt der Status Erbe der Menschheit oder so
ähnlich von der Unesco wieder aberkannt wegen einer neuen Brücke, Kirchenmodell hin oder her, auch wenn die Dresdener schlaue Füchse sind
und ihre Hightechmonsterbrücke durch die Elbauen Waldschlösschenbrücke genannt haben, die Unesco ist darauf aber nicht hereingefallen, vielleicht wäre Waldschlösschenbrücklein besser gewesen.
Im Museum liegt einer von 3 Maya Kodices, die nicht der spanischen Bücherverbrennung anheim gefallen sind. Wie der Kodex aber nach Dresden
kam und was er dort zu suchen hat angesichts des doch eher bescheidenen
Anteils von Mayas unter den Einwohnern, das wissen wohl nur die Maya
Götter, die Spanier und einige Forschungsreisende. Den Codex darf man
nur zusammen mit Fachpersonal besichtigen, und wenn man ihn filmt und
dabei erwischt wird, wird man von ihnen zusammengeseckelt.
irgendwo auch.
Wahrscheinlich aber ist der real existierende Sozialismus vor allem daran
gescheitert, dass die Leute einfach immerzu genervt waren von ‚gibt es
nicht und kriegen wir auch nicht wieder rein’. Ich weiß das unter anderem
daher, weil ich einmal zu Sowjetzeiten mit Aeroflot nach Antananarivo
geflogen bin, mit Umsteigen in Moskau, also in 4 verschiedenen Flugzeugen, und in allen vier Flugzeugen rumpelten dicke blonde Stewardessen Essenswägen mühsam über den Flugzeuggangteppich, der Falten
geworfen hatte, weil im Fünfjahresplan doppelseitiges Teppichklebeband
schlicht vergessen worden war. Die dicken blonden Stewardessen machten daher auch den Eindruck, dass sie irgendwas zwischen deprimiert,
wütend und unglücklich seien und dass sie nicht im Traum daran dächten,
dies vor den Passagieren zu verbergen.
Aber es muss da noch etwas anders sein, ich komme nur nicht drauf.
Die Hochzeit selbst war natürlich auch 1A, mit Braut, Bräutigam, Ziehharmonika, Spanferkel wie seinerzeit bei Bush und Merkel in Stralsund
und allem was sonst noch dazu gehört. Die Hochzeitsfeier fand im Garten
statt und es hatte an die 35 Grad und der Rasen war genau so ein Acker
wie der bei mir zu Hause. Leider waren aber alle sehr nett und wohlerzogen und haben sich nicht betrunken.
Dass die alten Werte wieder bei jung und alt verstärkt zur Geltung kommen, ist ja manchmal schon ganz schön, kommt aber einer Hochzeit mit
ausreichend Alkoholvorrat und kurzen Insbettfallwegen nicht recht zu
passe. Auch nimmt dabei, das darf nicht übersehen werden, leider auch
die fast schon vergessen geglaubte Tragik des Scheiterns an den Konventionen zu. Ich habe das selbst bei der Kusine einer Freundin erlebt, die
sich zuerst verlobt hat und nach einem Jahr dann doch nicht geheiratet
hat. Also musste eine Entlobung stattfinden. Einher mit der schon nicht
unproblematischen Entlobung geht die Rückerstattung aller Geschenke,
die sich gegenseitig während der Verlobung in der Gewissheit der eigenen
Partizipation an den gemachten Geschenken nach der Hochzeit gemacht
wurden. Der Ex-Verlobte hat beispielsweise der Kusine einen Mixer geschenkt, nicht ohne den Hintergedanken, damit verschiedene Fruchtshakes hergestellt zu bekommen. Und jetzt mixt sie für jemanden anderen,
heult er nun völlig zutreffend. So etwas hätte es früher, wo es noch als
peinlich angesehen wurde, zu heiraten, an Verlobung war gar nicht erst zu
denken, nicht gegeben.
Die ‚ehemalige DDR’ ist für mich aus dem Westen immer noch was zum
Staunen, irgend etwas, ich weiß nur nicht, was eigentlich genau, ist anders
als ‚bei uns’.
Ich als unpolitischer Mensch, der keinen blassen Schimmer hat, wie es
in der DDR zugegangen ist, die DDR hauptsächlich als Transitautobahn
kennengelernt habe, habe ja überhaupt den Verdacht - alle, die in der DDR
gelebt haben mögen mich dafür verachten, sogar schlagen - dass viele
der Schrecklichkeiten, die der DDR angelastet werden, ganz normale
Schrecklichkeiten waren, wie sie in jedem Land, das einen Innenminister
oder sogar ein Home Security Departement hat, vorkommen, und dass
der eigentliche Unterschied zwischen der DDR und dem Westen gar nicht
Freiheit und Demokratie war, wobei sowieso niemand weiß, was das eigentlich ist, sondern schlicht die Tatsache, dass wir hier im Westen immer schon fest davon überzeugt waren, dass wir kurz davor stehen, reich
glücklich und berühmt zu werden, während die in der DDR ganz genau
wussten, dass sie noch hundert Jahre im Arbeiter- und Bauern - Staat so
weiter malochen konnten, ohne jemals eine Aussicht auf Flucht aus der
Wurstkuchel zu haben. Ansonsten es aber so menschlich zuging wie sonst
Warum mir diese kleine Geschichte jetzt ausgerechnet im Zusammenhang
mit der Hochzeit von Clara und Troll eingefallen ist, dafür kann ich schon
wieder absolut keinen Zusammenhang herstellen.
Es ist schon seltsam, ich fahre zu einer Hochzeit nach Sackwitz, und die
ganze Zeit drehen sich meine Gedanken immer rund um das Phänomen
Hochzeit, ohne zum Kern zu gelangen. Aber erst zu Hause fiel mir dann
ein, dass das schon in Ordnung geht. Hochzeit gibt es nämlich gar nicht,
ist nur ein Mythos, der sich eben über seine Peripherie definiert.
Ratgeber versauen einem die ganze Reise
Gewicht sparen erleichtert das Reisen. Wer möchte schon mit schweren
Koffern beladen durch die Welt ziehen, außer Bruce Chatwin vielleicht,
der immer mit Riesenreisetruhen verreist ist?
Wer nicht bereits zu Hause sein Reisegepäck auf ein Minimum reduziert,
dem passiert es mit unabwendbarer Sicherheit, dass er zwar zu Beginn
der Reise, durchaus noch voller Elan, die schweren Koffer zum Flughafen schleppt, aber spätestens wenn dann wegen der vielen Schampons,
Duschgels, Badehauben, Zahnbürsten und Schuhputzschwämme, die
im Laufe der Zeit so aus den Hotelbadezimmern zusammengesammelt
worden sind, wegen der unvermeidlichen ‚Mitbringsel‘, wie wegen all
der Sachen, die ‚hier viel billiger sind als bei uns‘, neue Koffer angeschafft werden müssen, ohne dass die schon vorhandenen Koffer damit
verschwänden, der wird dann plötzlich tief bereuen. Seine Sünden bereuen gehört aber in die Kirche und nicht auf die Reise.
Gewicht lässt sich einfach und ohne Einschränkungen in Kauf nehmen
zu müssen sparen durch Reduktion der Anzahl der Reiseführer. Einer
reicht, die anderen werden weggeworfen, aufheben lohnt nicht, da die
Zeit bereits bei der Drucklegung von Reiseführern beginnt, über diese
hinweg zu fegen.
Alsdann reiße man aus dem verbliebenen Führer die ganze erste Hälfte raus, das spart weitere unnütze Schlepperei. Die erste Hälfte besteht
nämlich aus einer vom Reisebuchautor, der in den seltensten Fällen
Historiker ist, irgendwo abgeschriebenen und recht bescheiden fundierten chronologischen Abhandlung von Wirtschaft und Geschichte
des Landes, und die wiegt allein oft über 500 Gramm. Die Daten und
Fakten gehen außerdem sowieso zum einem Auge rein und zum anderen
wieder raus. Dann sollte man noch die Seiten aller Orte entfernen, in die
man gar nicht fährt. Nun kann man den unansehnlichen, zerfledderten
Rest auch noch wegwerfen.
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Mit Bildungsbürgertum kommt man im Urlaub sowieso nicht weit. Wer das partout nicht einsehen will, soll halt in Gottes Namen sich eine Person oder ein Ereignis des Landes über Google oder Wikipedia raussuchen und sich damit beschäftigen, dann erfährt er mehr über das Land als mittels sämtlicher Jahreszahlen und alberner Anekdoten, die sich arbeitslose Kunsthistoriker und Kusthistorikerinnen so zusammengelesen haben.
Weil man aber oft trotzdem ganz gerne etwas mehrdarüber erfahren möchte, was man gerade so sieht, gibt es Möglichkeiten, die besser sind:
Es gibt nämlich erstaunlicherweise nicht nur deutsche oder auch von den Touristikunternehmen engagierte deutschsprachige einheimische KunsthistorikerInnen, sondern auch richtige einheimische Führer, die mit den lokalen Gegebenheiten vertraut sind. Die sind in der Regel teuer, aber gut. Man muss sie nur suchen.
Die meisten der Führer, die man auf Reisen beobachten kann, erschöpfen sich jedoch in auswendig gelernten Fakten über einzelne Bauteile, die bereits nach 180 Sekunden vollständig vergessen werden. Am lustigsten war der Führer einer deutschen Reisegruppe in Palenque, der vor einer Vitrine, in der sich eine Kette befand, sagte, ‚eine schöne Kette’, und einen dicken Armreif als ‚dicken Armreif’ erklärte, wobei die Reisegruppe jeweils unisono anerkennend und bestätigend nickte, und ansonsten noch von den englisch- und spanisch-sprachigen Erläuterungstafeln vorlas und dabei viele Übersetzungsfehler machte, was aber niemandem auffiel oder zumindest niemanden störte.
Kleine Sprachführer werden ebenfalls gerne gekauft, obwohl sie da auch nichts nützen würden, auch wenn sie nicht ganz so dämlich sind wie der von Harry. In dem Taschensprachführer ‚Gebräuchliche (sic) Redewendungen‘ für Thailand von Dipl.-Betriebswirt Touristic (sic) Harry Bauer steht nämlich:
Phom ayn samsip et, phom ben nak ton tiang, phom mai lun arai loi.
(Ich in über 31 Jahre, ich bin Tourist, ich habe keine Ahnung) Wer hätte das gedacht? Und wie blöde muss man eigentlich sein, um einen Sprachführer verfassen zu dürfen? Dafür stehen die ersten beiden Worte, die ich wirklich brauche, nicht drin, klein und Boot. Auch die lustigen Sachen fehlen. So heißt zum Beispiel Zahn phan und Zahnarzt moa phan (gesprochen engl. fun / more fun).
P.S.
Wer einen betrunkenen Thai trifft, sollte, wenn’s nach Harry geht, sagen: Khum mai, chai mai? (Sie sind betrunken, nicht wahr?) Oder doch vielleicht besser nicht. Wer aber nun denkt, gedruckte Führer aller Art durch die Untiefen des
Lebens seien ja grundsätzlich etwas für die Katz, dem ist voll und ganz
zuzustimmen.
Die Zahl der Experten, die davon leben, Ratgeber zu verfassen, deren
Inhalt entweder sowieso jeder weiß, auf den er mit ein bisschen Nachdenken selber hätte kommen können, was er auch von seiner Oma erfragen kann oder der komplett gaga ist, füllt mittlerweile allein in Deutschland eine Stadt von der Größe Göttingens. Wer den Satz ‚So sammelte
der Autor einen wahren (sic) Schatz (sic) an praktischen Erfahrungen
(sic), die er in diesem Buch in kompakter Form (sic) weitergibt.’ liest
und nicht sofort weinen muss, kann kein guter Mensch sein.
Ist eigentlich noch niemandem, außer mir natürlich, aufgefallen, dass
der Nachweis des Nutzens der gesamten Ratgeberindustrie nur in der
indirekten Beweisführung funktioniert? So ähnlich wie der Nachweis
der Existenz des Yetis anhand von Fußspuren, obwohl ja noch niemand
jemals einen Yeti gesehen hat: Leser lassen sich unzählige nachweisen,
aber hat schon jemand mal einen glücklicheren Menschen gesehen nach
der Lektüre ‚Wie werde ich glücklich’?
Ähnlich verhält es sich leider auch mit allen übrigen Ratgebern, für
Liebe, Reichtum, Karriere, Kochrezepte und Waschbrettbäuche. Es ist
leider völlig ausgeschlossen, mittels Ratgebern schlank, fit, schön, erfolgreich, sexy, glücklich, erleuchtet, organisiert, 100 Jahre und älter,
höflich oder sonst was zu werden, reich zum Beispiel. In Wirklichkeit
wird man manchmal durch glückliche Umstände reich, wenn man es
nicht schon von Hause aus ist, meistens aber durch nur Härte und Habgier und mitunter, aber eher selten, auch durch das Verfassen von dubiosen Ratgebern. Der Nutzen von Ratgebern bemisst sich nämlich wie ge49
sagt ausschließlich indirekt, anhand der Verkaufszahlen. Der Nutzen für
die Ratgeberindustrie natürlich. Traue daher niemals einem Ratgeber.
Was einem da die Experten so um die Nase hauen gehört entweder in
die Kategorie ‚Der Regen fällt von oben’ (Fanny Müller) oder ist gleich
völlig bescheuert. Dasselbe gilt nun leider eben auch für Ratgeber für
Reisen, das ‚Reise ABC’, ‚Reisen selbst organisiert’, ‚Fernreisen auf eigene Faust’‚ ‚34, 44 oder hundert Hinweise für einen erfüllten Urlaub’:
Alles Unfug.
Großstadthotels haben meist einen nur kleinen Parkplatz, vor allem in
Asien sollte man niemals Heißgetränke trinken wie etwa ganz normalen
Tee: Der Kellner hat möglicherweise reingespuckt, und keine Strände
mit Kokospalmen aufsuchen. Auf KoSamui würden angeblich 1% (das
wären 5.000 jährlich!) der Touristen von Kokosnüssen verletzt oder getötet, in Indonesien wäre die Kokosnuss Todesursache Nr. 1. Und immer
2 Moskitonetze übereinander benutzen. Was für ein Oberschwachsinn.
Diese Polemik gegen Ratgeber dürfte aber ähnlich erfolglos bleiben wie
Warnungen vor Alkohol und Kokain, denn Ratgeber sind die Droge des
kleinen Mannes und natürlich auch der kleinen Frau und machen auch
ähnlich abhängig.
Ein Reisender mit Reiseratgeber hört auf, auf das zu vertrauen, was er
weiß, was er sieht oder was er sich denken kann, er misstraut sich selber
und verlässt sich fortan lieber auf den Ratgeber, der sein Versprechen
aber selbst dann nicht hält, wenn die Ratschläge mal nicht völlig absurd
sind, weil der Reisende die geschriebenen Zeilen im Alltag des Reisens
erst gar nicht erst 1:1 umsetzen kann, selbst wenn es sich um Banalitäten
handelt. Der Reisende bekommt es dann mit der Angst zu tun, statt dass
ihm Ängste genommen werden. Er geht deshalb unverzüglich in den
nächsten Laden und kauft sofort neue Ratgeber.
Da hätten Sie jetzt auch selber draufkommen können.
P.S.
Von dieser Kritik ausgenommen sind selbstverständlich Ratgeber für
gutes Benehmen, verfasst von verarmten Adligen, die das Autorenhonorar dringend zu Renovierung ihres maroden Schlosses benötigen. Diese Ratgeber bringen zwar niemandem gutes Benehmen bei, denn wenn
der Mann nicht weiß, wie man einer Dame gegenübertritt, dann kann er
nach Beendigung der Mahlzeit hundertmal sein Besteck bei 4 Uhr auf
den Teller legen und ihr die Türe aufhalten, nachdem er ihr in den Mantel geholfen hat, es wird ihm nichts nützen. Ratgeber für gutes Benehmen haben aber einen Unterhaltungswert an sich, der mit zunehmendem
Alter der Ratgeber noch zunimmt.
Ebenfalls ausgenommen von der Kritik über Ratgeber sind Bücher über
Hundeerziehung, verfasst von britischen Küchentischpsychologinnen,
die wiederum das Honorar für den Kauf von selbstgemachten Marmeladen auf Benefizveranstaltungen der Kirchengemeinde Samstag Nachmittag im Pfarrhaus verwenden und damit für einen guten Zweck wie
etwa die Renovierung der Sakristei, an der der rauhe walisische Seewind seit 1745 nagt.
Wenn aber alle Führer und Ratgeber für die Katz sind, dann auch die
über Hundeerziehung.
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Nachwort:
Auf Reisen sich selbst finden
zu belästigen. Das verblüffendste daran ist nämlich die stets ungefragt
erfolgte Beteuerung der sich selbst suchenden Menschen, dass sie dies
keineswegs aus einer verwerflichen Egozentrik heraus täten, sondern um
offen zu werden für die anderen. Dabei gibt es keine egozentrischeren
Klöpse auf der Welt als die sich selbst suchenden Sinnsucher.
Die Welt ist aber leider voller reisender Sinnsucher, die unterwegs unglaublich lästig werden können und die man daher tunlichst meidet. Ich
meine, wer den Sinn des Lebens auf Reisen finden will, soll zu Hause
bleiben und Hape Kerkeling lesen. In peruanischen Hotels jedenfalls
wird die Suche nach dem Sinn des Lebens genauso erfolglos bleiben
wie die nach einem Kleiderhaken, von einem ganzen Kleiderschrank
ganz zu schweigen. Reisen bedeutet Erfahrungen zu machen, die selbst
bereits allen möglichen Sinn beinhalten, nur nicht den des Lebens. Die
Frage nach dem Sinn des Lebens hat auf Reisen also ein Tabuthema zu
bleiben ähnlich dem Tabu, Wassermotorradfahrer mit einem Gewehr mit
Zielfernrohr abzuschießen.
Sich selbst findet man am einfachsten mit einem Blick in den Spiegel
in seinem Badezimmer, zur Not geht auch ein spiegelndes Schaufenster,
wenn man gerade mal nicht zu Hause ist und Bedürfnis nach sich hat.
Ist es aber schon so weit gekommen, dass man mit sich nichts mehr anfangen kann, sich womöglich gar nicht mehr als sich selbst erkennt, hilft
immer noch der Gang zum Psychoanalytiker.
Wem das zu persönlich ist, der kann natürlich den Sinn des Lebens überhaupt suchen, etwa in guten Büchern, allerdings wissen Schriftsteller oft
auch nicht so genau, was der Sinn des Lebens ist oder haben sogar den
Verdacht, es gäbe gar keinen. Weil sie aber den Leser nicht enttäuschen
wollen, und sich vor allem nicht das Geschäft vermasseln, geben Sie
kryptische Antworten wie ‚42’, was dann den Intellekt, nicht aber die
Spiritualität anregt.
Das alles kann man bequem zu Hause erledigen, eine Reise, beispielsweise in die Anden, ist dafür nicht erforderlich. Im Gegenteil. Reisen mit
der Vorgabe, endlich einmal einen Sinn zu suchen (sic) und dabei gleich
noch sich selbst zu finden, also sich auf der Reise im Wesentlichen mit
sich selbst zu beschäftigen, ist dem Erfolg der Reise äußerst hinderlich,
reist man doch, um fremden Menschen, Tieren, Pflanzen, Landschaften
zu begegnen, (oder ‚zugänglich und offen (sein) für Menschen, die
einem unterwegs begegnen, aber auch für die Tiere, ein Eichhörnchen,
oder für am Meeresrand aufgetürmte blauschimmernde Eisplatten’, wie
Lecarrière schreibt), um sinnliche Erfahrungen zu machen, und nicht
um sich selbst zu erfahren und dabei auch noch andere Reisende damit
Reisende haben mehr davon, wenn sie darauf aus sind, sich auf der Reise zu verlieren als sich selbst zu finden.
Der Samurai sagt: Lerne zuerst, alle 5 Sinne zu gebrauchen, denn erst
dann bekommt man einen sechsten Sinn, den Sinn, mit dem man vor und
hinter die Dinge sieht.
Der Samurai sagt übrigens dann noch weiter, dass erst der sechste Sinn
es ermögliche, seinen größten Widersacher, nämlich sich selbst, zu überwinden.
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