Berichte über Landwirtschaft 87(2)

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Berichte über Landwirtschaft 87(2)
Band 87 (2) · 185–352 · September 2009
ISSN 0005-9080
Berichte über
Landwirtschaft
Zeitschrift für Agrarpolitik und Landwirtschaft
Herausgegeben vom Bundesministerium für Ernährung,
Landwirtschaft und Verbraucherschutz
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Herausgeber: Die „Berichte über Landwirtschaft“ und „Sonderhefte der Berichte über Landwirtschaft“
werden vom Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, Postfach
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Printed in Germany
Ber. Ldw. 87 (2009), H. 2, S. 185–352
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Inhalt
Nachhaltige Entwicklung als übergeordnetes Politikziel
von ilse aigner, Berlin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189
Der europäische Milchmarkt im Umbruch – Neue Herausforderungen für Milcherzeuger und
Molkereigenossenschaften in Baden-Württemberg
von reiner doluschitz, Stuttgart. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197
Auswirkungen des Fettsäuremusters von Futterpflanzen auf die Fettqualität von Milch und
Fleisch
von martin gierus, insa alter und friedhelm taube, Kiel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214
Sind landwirtschaftliche Unternehmer bei der Fremdkapitalaufnahme begrenzt rational?
von oliver musshoff, norbert hirschauer, harm wassmuss, Göttingen/Halle . . . . . . . . . . . . 234
Die Auswirkung von Heizölpreissteigerungen auf sächsische Gartenbauunternehmen
von georg ruhm, nazim gruda, wolfgang bokelmann und uwe schmidt, Berlin . . . . . . . . . 246
Notwendigkeiten für eine Risikoabsicherung im Ackerbau dargestellt am Beispiel Nordostdeutschlands1)
von clemens fuchs, theodor fock und Joachim kasten, Neubrandenburg. . . . . . . . . . . . . . . . 266
Leistungsorientierte Entlohnung in der Landwirtschaft:
Formen, Indikatoren und Perspektiven
von zazie von davier, Göttingen und enno bahrs, Hohenheim. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295
Was regionale Bioproduktketten erfolgreich macht
von ruth bartel-kratochvil, heidrun leitner und paul axmann, Wien. . . . . . . . . . . . . . . . . 323
Auswirkung der Internationalisierung des Lebensmitteleinzelhandels auf die Agrar- und Ernährungswirtschaft
von Jon h. hanf, kathrin krückemeier, Halle (Saale) und c-hennig hanf, Kiel. . . . . . . . . . . 343
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Nachhaltige Entwicklung als übergeordnetes Politikziel
Von ilse aigner, Berlin
Artikel auf der Grundlage der Rede der Bundesministerin für Ernährung,
Landwirtschaft und Verbraucherschutz anlässlich der Festveranstaltung zur
Einrichtung des Lehrstuhls für Nachhaltigkeitsforschung an der HumboldtUniversität zu Berlin am 06. Mai 2009
1
Einleitung
Jede Zeit prägt ihre Begriffe: Im 18. Jahrhundert war es die Aufklärung, im 19. Jahrhundert
die soziale Frage, im 20. Jahrhundert – dem Zeitalter von Kriegen und Diktaturen – waren
es Frieden und Freiheit. Heute geht es weltweit um die Nachhaltigkeit der Entwicklung.
Noch ist nicht gewiss, ob das jetzige Handeln dieser Herausforderung gerecht wird, sodass
spätere Generationen sagen können, es sei richtig gehandelt worden.
Zumindest setzt sich die Erkenntnis durch, dass die heutige Produktionsweise der
Industriegesellschaft und das Konsumverhalten nicht dauerhaft linear fortgeschrieben
werden können. Würden alle Menschen so leben wie in den Industrieländern, wären drei
Erden nötig. Ein „weiter so“ darf es deshalb nicht geben.
2
Nachhaltigkeitsverständnis und Umgang in der Politik
Nachhaltigkeit ist für viele ein unbestimmter Begriff, jedoch in den Medien allgegenwärtig. Die Werbung verwendete den Begriff im Jahr 2007 gegenüber den Vorjahren mehr als
dreimal so häufig – von der „nachhaltigen Faltencreme“ über „nachhaltigen Bürobedarf“
bis zur „nachhaltigen Kapitalanlage“. In der Politik wird Nachhaltigkeit unterschiedlich
verstanden, im Sinne von „dauerhaft“, „langfristig“ und „beständig“, aber auch als Vorsorge und Ressourcenschonung.
Vorsorge und Ressourcenschonung hat schon immer die Landwirtschaft begleitet:
Ein Teil der Ernteerträge musste vorsorgend für die neue Aussaat zurückgelegt werden.
Begrifflich stammt Nachhaltigkeit aus der Forstwirtschaft mit dem Grundsatz „Nutze nicht
mehr als wieder nachwächst“. Dies wurde bereits zu Beginn des 18. Jahrhunderts vom kursächsischen Forstmeister hans-carl von carlowitz als Leitgedanke niedergeschrieben.
Nachhaltigkeit wird auch als zivilisatorischer Entwurf einer neuen Gesellschaft gesehen, wie er sich aus der UNO-Konferenz über Umwelt und Entwicklung in Rio 1992
ableitet. Auf dem Weg dorthin markierten drei große Berichte die Eckpfeiler zu diesem
Konzept:
● der Bericht des Club of Rome über die „Grenzen des Wachstums“,
● der Brandt-Bericht über die ungerechte Verteilung zwischen Nord und Süd und
● der Brundtlandbericht über die Forderung nach einem Ausgleich der Generationen.
Das Konzept der Nachhaltigkeit vereinbart im globalen Maßstab wirtschaftliche Prosperität, soziale Verteilungs- und Chancengerechtigkeit sowie Schutz der natürlichen RessourU.S. Copyright Clearance Center Code Statement:
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cen. Künftigen Generationen darf dabei die Möglichkeit eigenständiger Lebensentfaltung
nicht genommen werden.
Dieses dreidimensionale Konzept ist ein ambitioniertes Großprojekt der Menschheit.
Es setzt auf die gemeinsame überregionale Lösung der Probleme. Die Politik hat daher die
Verantwortung nicht nur für das eigene Land, sondern auch weltweit.
Nachhaltigkeit ist dynamisch zu verstehen als kreativer Antrieb für die Gestaltung einer
neuen, anderen Industriegesellschaft. Im Bereich Energie sieht man, wie produktiv solch
ein Ansatz sein kann: Energieeffizienz bei Kohlekraftwerken, Solarenergie mit immer
besseren Zellen, Verwertung von Biomasse in Kombination mit Kraft-Wärme-Kopplung,
Kernfusion oder Energieversorgung auf Wasserstoffbasis – man könnte hier viele produktive Ansätze aufzählen, die die Politik mit Förderprogrammen unterstützt. Vieles davon
wurde von der Bundesregierung begonnen, einiges steht auf dem Reißbrett, manches ist
Gedankenentwurf und Ideenskizze.
Andererseits muss eingestanden werden: Von Vielem, was die künftige Welt prägen
wird, ist noch zu wenig bekannt. Nachhaltige Entwicklung ist deshalb ein Such-, Lernund Entscheidungsprozess von Politik und Gesellschaft. Viele wirken daran mit eigenen
Sichtweisen, Erkenntnissen und praktischen Erprobungen mit.
Das ist auch notwendig, denn der Weg nachhaltiger Entwicklung, die das Ökonomische, Soziale und Ökologische miteinander verbindet, ist überaus komplex. Diese Wechselwirkungen dürfen nicht verkürzt werden – beispielsweise zugunsten eines Primats der
Umwelt oder einer kurzfristigen Ökonomie, wie es leider häufig geschieht. Ziele und
Visionen sind notwendig, die Geist und tatkräftigen Anstrengungen eine Richtung geben.
In diesem Sinn ist Nachhaltigkeit ein Kompass, der die Richtung weist. Aber, es gibt viel
unerforschtes Terrain.
Deswegen ist stets der eingeschlagene Weg zu überprüfen. Nehmen Sie das Beispiel
Entwicklungshilfe. Ohne Zweifel gibt es viele gute, sinnvolle Entwicklungsprojekte.
Andererseits ist in einigen Staaten Afrikas, die erhebliche Finanzmittel bekamen, das
Wirtschaftswachstum gesunken und die Eigeninitiative geschwächt worden; auch die Korruption breitete sich aus. Statt Dogmen sind richtige Erkenntnis, statt Tunnelblick neue
Horizonte erforderlich.
3
Nachhaltige Entwicklung und deren Umsetzung in der Politik
Nachhaltigkeit ist in der Politik angekommen, insbesondere in den Bereichen Landwirtschaft, Bildung, Familie, soziale Sicherheit und Umweltschutz. Auch die hohe Staatsverschuldung, die jetzige und künftige Generationen belastet, wurde in den letzten Jahren
deutlich zurückgefahren: 2008 betrug die Verschuldung 0,1 % des Bruttosozialprodukts.
Allerdings ist dieser Prozess durch die Finanz- und Wirtschaftskrise jäh unterbrochen
worden. Trotzdem bleibt die Bundesregierung dabei, so schnell wie möglich zum Nachhaltigkeitskurs bei den Finanzen zurückzukehren. Die im Zuge der Föderalismusreform II
verankerte Schuldenbremse soll das flankieren.
Nachhaltigkeit hat auch seine institutionelle Ausprägung. Davon zeugen
● die Enquete-Kommissionen zu Globalisierung, Umwelt und Klima,
● der Nachhaltigkeits-Rat,
● der Parlamentarische Beirat für nachhaltige Entwicklung des Deutschen Bundestages,
● die Zuständigkeit des Kanzleramtes und der Staatssekretärsausschuss,
● der Indikatorenbericht des Statistischen Bundesamtes und
● der regelmäßige Fortschrittsbericht der Bundesregierung.
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Mit der nationalen Nachhaltigkeitsstrategie (2) bekennt sich die Bundesregierung zur
Nachhaltigkeit als Leitprinzip ihrer Politik und knüpft explizit an das dreidimensionale
Verständnis von Rio an. In diesem Sinn sind wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, Schutz
der natürlichen Grundlagen und soziale Verantwortung so zusammenzuführen, dass Entwicklungen dauerhaft tragfähig sind.
Nachhaltigkeit wird zum Leitprinzip für die Politik und zwar als ressortübergreifende
Querschnittsaufgabe. Schwerpunktthemen sind Klimaschutz und Energieeinsparung,
nachhaltige Rohstoffwirtschaft, Bewältigung der demografischen Entwicklung und Welternährung. Dazu kommen einzelne Politikfelder – von der Gesundheit über die Wirtschaft
bis hin zu Bildung, Forschung, Entwicklung, Verkehr, Flächennutzung und Umwelt. Um
die Nachhaltigkeitsziele handhabbar und überprüfbar zu machen, wurden Indikatoren
gebildet. Nachhaltigkeit soll auch als Zukunftsstrategie Innovationsmotor sein. Das steht
im Einklang mit der Europäischen Nachhaltigkeitsstrategie (5).
In der Politik können neue Themen aktuell aufkommen aber auch wieder schnell in
den Hintergrund rücken. Beim Thema Nachhaltigkeit ist es durch die Institutionalisierung
politisch gelungen, diese über das politische Alltagsgeschäft hinaus zu verankern.
In der Nationalen Nachhaltigkeitsstrategie werden die Vertreter der Zivilgesellschaft
– Unternehmen, Kirchen, Gewerkschaften, Verbände, Nichtregierungsorganisationen –
in vielfältiger Weise eingebunden. Hier gibt es ein stetes Ringen um Inhalte, Wege und
Lösungen. Die Parteien haben unterschiedliche Ansätze, ebenso die Wirtschaft, die Wissenschaft, die Vertreter der Zivilgesellschaft. Oft sind unterschiedliche Vorstellungen von
Gesellschaft, Natur und Umwelt die Grundlage. So wird z. B. als schützenswerte Natur
empfunden, was eigentlich von Menschen gestaltete Kulturlandschaft ist. Konflikte entstehen auch durch unterschiedliche Interessen: Werden die Arbeitsplätze von Nokia in
Deutschland erhalten oder die mit der Verlagerung nach Rumänien oder gar nach China
für die Menschen dort verbundenen Einkommens- und Entwicklungschancen begrüßt?
Solche politischen Zielkonflikte oder Widersprüche erschweren es, eine Balance im Zieldreieck der Nachhaltigkeit zu erreichen und diese mit globaler und intergenerationeller
Gerechtigkeit auszutarieren.
Für das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz
(BMELV) sind die Regeln der Natur, des Sozialen und der Wirtschaftlichkeit Bestandteil
nachhaltiger Politik. Das BMELV ist das erste Ressort, das ein eigenes Nachhaltigkeitskonzept aufgestellt hat (1). Der vorausschauende Umgang mit den natürlichen Ressourcen der Erde ist die Grundlage für die Agrar-, Ernährungs- und Verbraucherpolitik. Mit
folgenden Beispielen soll aufgezeigt werden, wie Nachhaltigkeit in die Praxis umgesetzt
werden kann.
4
Nachhaltige Entwicklung in der Landwirtschaft
Landwirtschaft hat die Aufgabe, mit hochwertigen und sicheren Lebensmitteln die Ernährung zu sichern – weltweit. Die deutsche Landwirtschaft muss dafür wettbewerbsfähig
sein. Dies wird von der Bundesregierung gefördert. Für ihre Arbeit benötigen die Bauern
ein angemessenes Einkommen, nicht zuletzt auch für die Pflege der Kulturlandschaft.
Damit dies nachhaltig gesichert ist, hat die Bundesregierung mit den Reformen bei der
Unfall-, Gesundheits- und Altersversicherung die soziale Sicherung von Landwirten
zukunftsfähig gemacht.
Nachhaltige Landwirtschaft heißt auch Beachtung ökologischer Regeln und des Schutzes von Umwelt und Tier. Hier hat sich in den letzten Jahrzehnten viel getan. Für den
Landwirt sind die natürlichen Ressourcen nützenswerte wie schützenswerte Lebensgrundlage. Ökologische und konventionelle Landwirtschaft dürfen dabei nicht gegeneinander
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ausgespielt werden. Denn auch in der traditionellen Landwirtschaft wird Umweltschutz
praktiziert.
Die Direktzahlungen, die die Landwirte erhalten, sind an die Erfüllung von Umweltauflagen gekoppelt. Viele Maßnahmen sind gesetzlich vorgeschrieben und verpflichtender
Teil der „guten fachlichen Praxis“. Das gilt beispielsweise für Düngung und Pflanzenschutz oder im Natur- und Bodenschutz.
Im Bereich der Agrobiodiversität engagiert sich das BMELV, um genetischen Ressourcen zu nutzen und langfristig zu erhalten; z. B. durch die effizientere Ausrichtung von
Agrarumweltmaßnahmen auf eine nachhaltige Nutzung des Bodens oder die Förderung
von Blühflächen und Extensivgrünland. Gerade eine schonende Bodenbearbeitung und ein
anspruchsvoller Pflanzenbau sind wichtig, nicht nur wegen des wirtschaftlichen Ertrags.
Sie ermöglichen ein besseres Gedeihen von Pflanzen, die dadurch mehr CO2 binden als
weniger produktive Pflanzen. Nachhaltigkeit im Ackerbau heißt, die Fruchtbarkeit der
Böden für kommende Generationen zu sichern.
Moderne Techniken, wie GPS-gesteuerte Landmaschinen oder passgenaue Bodenbearbeitung (Präzisionslandwirtschaft), tragen ebenfalls dazu bei, eine umweltschonendere
Landwirtschaft zu betreiben. An diesen Beispielen zeigt sich, dass ökonomische Wettbewerbsfähigkeit, soziale Sicherung und ökologische Standards durchaus in eine Balance
gebracht werden können.
5
Nachhaltige Entwicklung in der Forstwirtschaft
Die deutschen Wälder umfassen eine Fläche von 11 Mio. ha, sind qualitativ hochwertig
und weisen eine hohe Artenvielfalt auf. In Deutschland leben zwei Drittel der Tier- und
Pflanzenarten in Wäldern. Als Ökosystem, als Erholungsort und als Wirtschaftsfaktor sind
sie für die Gesellschaft gleichermaßen schützenswert.
Gerade mit Blick auf den Klimawandel sind Wälder von zunehmender Bedeutung als
dynamischer Lebensraum und CO2-Senke. Eine einzige 100-jährige Buche produziert mit
3,2 Mio. Liter Sauerstoff genug für das Leben von 24 Menschen. Die Rolle des Waldes für
das Weltklima kann nicht hoch genug bewertet werden. Am „Tag des Baumes 2009“ haben
Schüler eine Aktion gestartet, um innerhalb von zwei Jahren insgesamt 1 Mio. Bäume in
Deutschland zu pflanzen.
Neben dem ökologischen Wert des Waldes geht es auch um die ökonomische Nutzung.
Der Wald ist ein gewaltiges Rohstofflager, Holz ist ein naturfreundlicher und vielseitig
einsetzbarer Rohstoff. Seit vielen Jahrzehnten wächst in Deutschland mehr Holz nach
als eingeschlagen wird. Es wird zunehmend Holz eingesetzt: Von der Herstellung von
Möbeln, über die energetische Nutzung bis hin zum Hausbau. Der Wald schafft Einkommen und Arbeitsplätze. Über 1,2 Mio. Menschen leben vom Wald – Förster, Waldarbeiter,
Tischler, Papierverarbeiter, Holzingenieure u. a. m. Der Jahresumsatz der gesamten holzbasierten Branche liegt bei rund 160 Mrd. Euro.
Das Bundeswaldgesetz setzt die Rahmenbedingungen für einen nachhaltigen Umgang
mit dem Wald. Es legt Regelungen zum Umwelt- und Naturschutz, zur Erholung und
Holznutzung fest und sichert damit Erträge für Waldbesitzer und Forstbetriebe, ohne die
Waldbestände für kommende Generationen zu gefährden (3).
Deutschland ist hier auf einem guten Weg. Das schließt nicht aus, dass es Konflikte
gibt. So gelangt nach Deutschland immer noch illegal geschlagenes Tropenholz. Die
Waldvernichtung gefährdet in den Ursprungsländern die Ökosysteme und letztendlich
auch das Einkommen der örtlichen Bevölkerung. Die Entscheidung zwischen Holz aus
Raubbau oder Holz aus nachhaltiger Nutzung fällt leider zu oft zugunsten der zunächst
billigeren Variante aus.
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Deswegen unterstützt die Bundesregierung das Vorhaben der Europäischen Union,
wonach der Handel mit illegalem Holz unterbunden und bestraft werden soll. Konsumenten können sich beim Kauf von Holzprodukten heute schon an forstlichen Nachhaltigkeitszertifikaten orientieren. Eine stärkere aktive Nachfrage der Verbraucher nach
diesen Zertifikaten wäre eine wichtige Unterstützung für die laufenden Bemühungen von
Unternehmen der Holzwirtschaft.
6
Nachhaltige Entwicklung in der Fischereiwirtschaft
Fisch gehört zu den wichtigsten Nahrungsmitteln; der Fischfang zu den ältesten Berufen.
Natürlich haben sich im Zuge der technischen Entwicklung der Fischfang und der Beruf
des Fischers verändert. Über hochmoderne Kommunikationstechniken werden heute große
Fangschiffe geleitet, die Teil einer ganzen Verwertungskette sind. Die Fischereiflotten
bewegen sich heute nicht nur in einheimischen Meeren, sondern in Fischgründen überall
auf der Welt.
Immer wieder musste sich die deutsche Fischereiflotte dem Verlust traditioneller Fanggebiete und dem Rückgang wichtiger Fischbestände anpassen. Trotzdem ist die Fischerei
eine Zukunftsbranche. Es gilt auch hier, Arbeitsplätze zu erhalten, Fischer – wo nötig –
sozial zu unterstützen und der Fischwirtschaft die richtigen Rahmenbedingungen zu geben,
um sie wettbewerbsfähig zu erhalten. In wichtigen Bereichen wurde bereits gehandelt.
Dazu zählt insbesondere die
● Einführung von Bewirtschaftungs- und Wiederaufbauplänen,
● Einrichtung der regionalen Beratungsgremien und
● Maßnahmen zur Bekämpfung der illegalen Fischerei.
Die seit einigen Jahren verfolgten Wiederaufbaupläne haben langsam zur Erholung der
Bestände geführt – zumindest in den europäischen Gewässern. Mit der EU-Verordnung
gegen die illegale, unangemeldete und unregulierte Fischerei, die ab 1. Januar 2010 gilt,
wurde auch hier ein wichtiger Schritt getan.
Ein besonderes Problem stellt die weltweite Überfischung dar. Weltweit stammen nach
Schätzungen der FAO bei bestimmten Fischarten bis zu 30 % aller Anlandungen aus
illegaler Fischerei (4). Neben einer Zerstörung maritimer Lebensräume stellt dies auch
eine Existenzbedrohung für die Fischer dar. Ursachen und Defizite bei der Umsetzung
der Maßnahmen müssen jetzt klar benannt und behoben werden. Dafür sind folgende
Erkenntnisse von zentraler Bedeutung:
1. Die Überkapazitäten der Fangflotten einiger Mitgliedstaaten sowie strukturelle Defizite bei der Fischereikontrolle sind Ursache dafür, dass die Bestände in ihrer Existenz
gefährdet und Fischbestände in der EU zu stark befischt werden.
2. Auch global gesehen, gibt es einen deutlichen Überhang an Fangkapazitäten.
Nur bei einem nachhaltigen Umgang mit den Ressourcen stehen die Meeresschätze auch
künftigen Generationen zur Verfügung. Aus diesem Grund ist es erklärtes Ziel der EUFischereipolitik, die Fangkapazitäten an den zur Verfügung stehenden Ressourcen anzupassen. Gleichzeitig müssen die Regeln der EU-Fischereipolitik durch strengere Kontrollen und wirksame Sanktionen durchgesetzt werden. Unerwünschte Beifänge sind soweit
wie möglich zu vermeiden. Aus diesem Grund setzt sich die Bundesregierung für die
Einführung von Rückwurfverboten und Anlandegeboten ein.
Global betrachtet sind in der praktischen Umsetzung einer nachhaltigen Fischereipolitik leider widerstreitende Interessen im Spiel. Das macht es schwierig, internationale
Übereinkommen durchzusetzen. Ein vergleichbares Beispiel ist der Walschutz: Japan und
Norwegen bestehen auf einer Wiederaufnahme des traditionellen Walfangs, andere Länder
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auf ein Verbot. Es ist daher wichtig, einen Konsens zu den politischen Zielen einer nachhaltigen Fischereipolitik zu finden.
Der EU-Fischereikommissar borg hat gerade das Grünbuch zur Fischereipolitik vorgestellt und damit den Anstoß zu einer neuen Diskussion in der nachhaltigen Fischerei
gegeben. Fischer und andere Branchenvertreter, Wissenschaftler, interessierte Bürgerinnen
und Bürger und auch die Politik sind aufgefordert, sich an diesem Austausch zu beteiligen.
Gemeinsam sollen auch die bestehenden Instrumente der Fischereipolitik beleuchtet und
Verbesserungen im nachhaltigen Fischereimanagement erreicht werden (6).
Die Kontroll- und Verbotspolitik der EU kann dadurch unterstützt werden, dass der
Konsument auf Siegel und Zertifizierung einer nachhaltigen Fischereiwirtschaft bewusst
achtet.
7
Nachhaltige Entwicklung bei der Ernährungssicherung
Zur nachhaltigen Entwicklung gehört auch die Versorgung einer wachsenden Weltbevölkerung mit Lebensmitteln. Fast eine Milliarde Menschen haben zurzeit nicht genug zu
essen. Die Zahl wird sich vergrößern, wenn im Jahr 2050 rund 9 Mrd. Menschen die Erde
bewohnen.
Nahrung für alle – das ist eine große Herausforderung für die Landwirtschaft. Weltweit sind höhere Erträge, neue Technologien in Pflanzen- und Tierzucht sowie Anbau und
Erschließung neuer Ackerflächen nötig, ohne dafür Wälder zu roden. Dazu ist insgesamt
eine Aufwertung ländlicher Räume erforderlich.
Die Landwirtschaftsminister der G8-Staaten haben bei ihrem ersten Treffen – April
2009 in Treviso, Italien – ein gemeinsames Bekenntnis zu einer stärkeren Förderung kleinbäuerlicher Betriebe und zu einer nachhaltigen Landwirtschaft weltweit abgegeben. Eine
nachhaltige Landwirtschaft ist Impulsgeber für alte und neue Wertschöpfungsketten im
ländlichen Raum. Zur Erzeugung von Lebensmitteln tritt der Anbau von nachwachsenden
Rohstoffen hinzu. Diese tragen zur einheimischen Energieversorgung bei und schaffen
neue Einkommensmöglichkeiten. Die Bundesregierung will dies verstärkt unterstützen.
Wenn die Landwirte auf der Welt mehr und nachhaltig produzieren, sind Erfolge im
Kampf gegen Hunger und globale Krisen möglich.
Die Politik hat die ersten Schritte getan mit der Verpflichtung auf das Leitbild einer
nachhaltigen Entwicklung und dem Versuch, dies in den verschiedenen Politikfeldern
umzusetzen. Für Nachhaltigkeit gibt es kein Standardrezept. Hierzu ist ein intensiver
Such-, Lern- und Entscheidungsprozess erforderlich. Davon darf auch die aktuelle wirtschaftliche Krisensituation nicht ablenken.
Wenn jeder seinen Teil zu einer nachhaltigen Entwicklung beiträgt, ist es möglich, der
Verantwortung für eine gute Zukunft gerecht zu werden.
Zusammenfassung
Das 21. Jahrhundert wird von der Nachhaltigkeit der Entwicklung geprägt sein. Die Produktionsweise
der Industriegesellschaft und das Konsumverhalten können nicht dauerhaft linear fortgeschrieben
werden. Das Konzept der Nachhaltigkeit vereinbart im globalen Maßstab und einem Generationen
übergreifenden Ansatz wirtschaftliche Prosperität, soziale Verteilungs- und Chancengerechtigkeit
sowie Schutz der natürlichen Ressourcen. Dieses dreidimensionale Konzept ist überaus komplex und
darf nicht zugunsten eines Primats der Umwelt oder einer kurzfristigen Ökonomie verkürzt werden.
Nachhaltigkeit ist Leitbild der Politik. Mit der nationalen Nachhaltigkeitsstrategie bekennt sich die
Bundesregierung zur Nachhaltigkeit als ressortübergreifende Querschnittsaufgabe. Gleichwohl erschweren politische Zielkonflikte oder Widersprüche die Balance im Zieldreieck der Nachhaltigkeit
und deren Austarierung mit globaler und intergenerationeller Gerechtigkeit. Für die Land-, Forst- und
Fischereiwirtschaft sind die Regeln der Natur, des Sozialen und der Wirtschaftlichkeit Bestandteil
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nachhaltiger Politik. Das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz
hat als erstes Ressort ein eigenes Nachhaltigkeitskonzept aufgestellt. Schonende Bodenbearbeitung
und anspruchsvoller Pflanzenbau sind entscheidend für die Bewahrung der Fruchtbarkeit der Böden
für kommende Generationen. Die Wälder erlangen zunehmende Bedeutung für Rohstoffversorgung,
Erholung, Biodiversität und als CO2-Senke. Auch in der Fischereiwirtschaft ist nachhaltiger Umgang mit den Ressourcen notwendig, damit die Meeresschätze ebenfalls künftigen Generationen zur
Verfügung stehen. Zur nachhaltigen Entwicklung gehört ebenso die Versorgung einer wachsenden
Weltbevölkerung mit Lebensmitteln. Weltweit sind höhere Erträge, neue Technologien in Pflanzenund Tierzucht sowie eine nachhaltige Produktion nötig. Von der Nachhaltigkeit als übergreifendes
Leitbild darf die aktuelle wirtschaftliche Krisensituation nicht ablenken.
Summary
Sustainable development as an overarching policy aim
An article based on the speech given by Ilse Aigner, Federal Minister of Food, Agriculture
and Consumer Protection, on the occasion of the event marking the establishment of the Chair for
Sustainability Research on 6 May 2009 at the Humboldt University of Berlin
One of the main features of the 21st century will be the sustainability of development. Production
methods in industrial societies and consumer behaviour cannot continue as they are forever. The
concept of sustainability unites, on a global scale and across generations, economic prosperity, social justice regarding distribution and opportunities, and protection of natural resources. This threedimensional concept is highly complex and must not be reduced in favour of the primacy of environmental concerns or short-term economic considerations. Sustainability is a guiding political
principle. With its national sustainability strategy, the Federal Government has declared its support
for sustainability as an inter-ministerial task. Nevertheless, conflict or contradictions in political
objectives make it more difficult to achieve a balance between the three objectives of sustainability,
global justice, and justice between the generations. For the agricultural, forestry and fisheries sectors,
the rules of nature, of social affairs, and of economic efficiency, are elements of sustainable policy
aims. The Federal Ministry of Food, Agriculture and Consumer Protection was the first ministry to
draw up its own sustainability concept. Resource-conserving soil cultivation and high-quality plant
production are of decisive importance in protecting the fertility of the soils for coming generations.
Forests are gaining in importance as a source of raw materials, recuperation and biodiversity, and
as a CO2 sink. Sustainability in handling resources is also necessary in the fisheries industry, so that
marine resources are available to future generations as well. Providing a growing global population
with food is also part of sustainable development. Greater yields, new technologies in plant and
animal breeding and sustainable production are required throughout the world. The current economic
crisis must not distract attention from sustainability as an overarching principle.
Résumé
Développement durable: objectif politique primordial
L’article se base sur le discours prononcé par la ministre fédérale allemande de
l’Alimentation, de l’Agriculture et de la Protection des Consommateurs Ilse Aigner à l’occasion
de l’évènement célébrant la création de la chaire de recherche de durabilité à l’université de
Humboldt de Berlin le 06 mai 2009
Le 21e siècle sera marqué par la durabilité du développement. Les méthodes de production de la
société industrielle et les habitudes de consommation ne pourront pas continuer toujours de façon
linéaire. L’approche de la durabilité réunit la prospérité économique, l’équité sociale et l’égalité des
chances ainsi que la protection des ressources naturelles, et ceci à l’échelle mondiale et au-delà des
générations. Cette approche tridimensionnelle est très complexe et ne doit pas être restreinte en faveur d’une priorité de l’environnement ou d’une économie à court terme. La durabilité est un modèle
important pour la politique. Par sa stratégie de durabilité nationale, le gouvernement fédéral allemand
reconnaît la durabilité en tant que mission transversale de tous les domaines politiques. Néanmoins,
des objectifs politiques contradictoires rendent plus difficile la réalisation d’un équilibre entre les
trois grands buts de la durabilité tout en respectant l’équité mondiale et intergénérationnelle. En ce
qui concerne l’agriculture, la sylviculture et la pêche, les règles de la nature, les aspects sociaux et
la rentabilité font partie d’une politique durable. Le ministère fédéral allemand de l’Alimentation,
de l’Agriculture et de la Protection des Consommateurs est le premier département ministériel ayant
défini un propre concept de durabilité. Pour que les prochaines générations puissent encore profiter
de la fertilité du sol, il faut recourir à des méthodes culturales qui préservent les sols et à une produc-
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tion végétale de qualité. Les forêts jouent un rôle toujours plus important dans l’approvisionnement
en matières premières, comme lieu de récréation, pour la biodiversité et en tant que puits de CO2.
Dans le secteur de la pêche, il est également nécessaire de gérer les ressources de manière durable
afin de conserver la faune et la flore marines pour les prochaines générations. L’approvisionnement
en produits alimentaires de la population mondiale croissante est un autre élément du développement
durable. Au niveau mondial, nous avons besoin de rendements plus élevés, de nouvelles techniques
dans la culture des plantes et l’élevage des animaux ainsi que d’une production durable. La crise
économique actuelle ne doit pas mener à l’abandon du principe de la durabilité en tant que modèle
primordial.
Literatur
1. BMELV (2008): Nachhaltigkeit konkret. Nachhaltigkeitskonzept des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz. 36 Seiten. Bonn: BMELV.
2. Bundesregierung (2008): Für ein nachhaltiges Deutschland. Fortschrittsbericht 2008 zur nationalen
Nachhaltigkeitsstrategie. 220 Seiten. Berlin: Presse- und Informationsamt.
3. Bundeswaldgesetz, 1975: Gesetz zur Erhaltung des Waldes und zur Förderung der Forstwirtschaft (Bundeswaldgesetz) vom 2. Mai 1975 (BGBl. I S. 1037), zuletzt geändert durch Artikel 213 der Verordnung
vom 31. Oktober 2006 (BGBl. I S. 2407); http://bundesrecht.juris.de/bwaldg.
4. FAO, 2008: The State of World Fisheries and Aquaculture 2008. ftp://ftp.fao.org/docrep/fao/011/i0250e/
i0250e.pdf.
5. KOM, 2007: MITTEILUNG DER KOMMISSION AN DEN RAT UND DAS EUROPÄISCHE PARLAMENT. Fortschrittsbericht 2007 zur Strategie für nachhaltige Entwicklung. http://ec.europa.eu/sustainable/docs/com_2007_642_de.pdf.
6. KOM, 2009: GRÜNBUCH Reform der Gemeinsamen Fischereipolitik. http://ec.europa.eu/fisheries/reform/docs/greenpaper_de.pdf.
Autorenanschrift: ilse aigner, Bundesministerin für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, 11055 Berlin, Deutschland
[email protected]
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Der europäische Milchmarkt im Umbruch – Neue
Herausforderungen für Milcherzeuger und Molkerei­
genossenschaften in Baden­Württemberg
Von reiner doluschitz, Stuttgart
1
Einleitung
Die im Jahr 2015 auslaufende EU-Milchgarantiemengenregelung erfordert von den
Milcherzeugern und den Molkereien Anpassungsmaßnahmen. Es gilt als sicher, dass
diese Anpassungsmaßnahmen zu strukturellen Veränderungen sowohl auf regionaler als
auch auf einzelbetrieblicher Ebene führen werden. Aufgrund deutlicher Differenziertheit
der Standortbedingungen für die Milcherzeugung in Baden-Württemberg steht zu erwarten, dass diese Anpassungsmaßnahmen hier besonders deutlich und regionsspezifisch
auch unterschiedlich ausfallen (müssen). Vor diesem Hintergrund sollen im vorliegenden Beitrag zunächst die absehbaren Veränderungen auf dem europäischen Milchmarkt
skizziert werden. Dabei geht es insbesondere um eine kurze Beschreibung der Garantiemengenregelung für Milch sowie deren Anpassungen bis und vor allem nach 2003. Daran
anschließend wird die Milcherzeugung in Baden-Württemberg bezüglich ihrer Struktur
und regionalen Differenziertheit dargestellt. Ergänzend wird das aktuelle Stimmungsbild
der baden-württembergischen Milcherzeuger skizziert und dabei wird insbesondere auf
deren Erwartungshaltung an die Molkereien eingegangen, bevor Perspektiven aufgezeigt
werden. Im darauf folgenden Kapitel werden entsprechend die Milchverarbeitungsstufe,
deren strukturelle Situation sowie Anpassungsnotwendigkeiten im Innen- wie im Außenverhältnis aufgezeigt. Der Beitrag schließt mit Schlussfolgerungen und Empfehlungen,
die differenziert für die Milcherzeugungsstufe, die genossenschaftlichen Molkereien und
die Politik abgeleitet werden.
2 Absehbare Veränderungen auf dem europäischen Milchmarkt
2.1
Die Garantiemengenregelung für Milch
Mit dem Ziel, das Übermengenproblem bei Milch unter Gewährleistung stabiler Preise
zu lösen, wurde 1984 in der Europäischen Union die Garantiemengenregelung für Milch
in Kraft gesetzt. Das seit Anfang an bestehende Problem dieser Marktregelung lag u. a.
darin, dass die den Betrieben zugeteilten Quoten anfangs 20 %, derzeit 8–12 % über dem
Verbrauch liegen. Dies führt dazu, dass Übermengen subventioniert abgesetzt werden
müssen. Lediglich eingeschränkt erfolgreiche Maßnahmen zur Verringerung der Milcherzeugung beinhalteten im Rahmen der Garantiemengenregelung Quotenkürzungen,
Superabgaben, die Einführung von Fettquoten sowie Milchrentenprogramme. „Durch
eine falsche Grundkonzeption in Verbindung mit bäuerlicher Disziplinlosigkeit konnte
sie [die Garantiemengenregelung für Milch] weder die Menge nachhaltig regulieren noch
die Milchpreise stabilisieren.“ (7)
U.S. Copyright Clearance Center Code Statement:
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Reiner Doluschitz
2.2
Anpassungen bis 2003
Die nationale Rechtsgrundlage für die Garantiemengenregelung für Milch und die Übertragungsmöglichkeiten von Quoten wurden seit 1984 über 35-mal geändert (11). Im Folgenden werden wichtige Eckpunkte der Veränderungen skizziert.
Seit der EU-Agrarreform 1993 wurde das Ziel verfolgt, das Preisniveau der EU-Binnenpreise an den Weltmarkt anzunähern. In diesem Zusammenhang kam es zunächst zu
einer Lockerung des Quotenregimes – zum einen durch Aufhebung der Flächenbindung –
zum Zweiten durch Schaffung der Möglichkeit einer bundesweiten Saldierung von Überund Untermengen.
Im Zuge der GATT/WTO-I-Verhandlungen 1995 kam es zu einer weiteren Lockerung
des Außenschutzes und zur Einschränkung subventionierter Ausfuhren, wodurch sich ein
zusätzlicher Angebotsdruck ergab.
Im Rahmen der Agenda 2000 fand innerhalb der EU-Agrarpolitik u. a. eine Vorbereitung auf die Osterweiterung statt. Dabei wurden auch die Fortführung der Milchgarantiemengenregelung bis 2007/08 beschlossen sowie Quotenerhöhungen für Italien, Spanien,
Irland, Griechenland und Nordirland um insgesamt 1,4 Mio. t vereinbart.
2.3
Anpassungen und Perspektiven nach 2003
Die Agrarminister der Europäischen Union haben am 26. Juni 2003 in Luxemburg eine
grundlegende Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) verabschiedet, die sich mittlerweile in der Umsetzung befindet. Zu den Hauptelementen des umfangreichen Maßnahmenpaketes gehören u. a.:
● Eine Entkoppelung der Direktzahlungen von der Produktion,
● die Bindung der Direktzahlungen an das Einhalten von gesetzlich bereits definierten
Umwelt-, Tierschutz- und Qualitätsstandards (Cross Compliance) sowie
● eine Stärkung der Förderung des ländlichen Raumes durch Mittelumschichtung (Modulation).
Bezogen auf die Milchviehhaltung sind die folgenden Politikelemente dieser Reformbeschlüsse besonders hervorzuheben:
● Fortführung der Quotenregelung bis 2015: Anhebung der Referenzmenge ab 2006/07
um 1,5 % in drei Stufen, die weiteren 2 % wurden zunächst lediglich ausgesetzt.
● Stufenweise Senkung der Interventionspreise seit 2004/05: Bei Butter um 25 % (3 × 7 %,
2007 die restlichen 4 %); bei Magermilchpulver um 15 % (3 × 5 %).
● Begrenzung der Butterintervention bis 2008: Abbau auf 30 000 t.
● Stufenweise Einführung einer Milchprämie: Ab 2006 in Höhe von 3,550 €ct/kg.
● Entkoppelung der Prämien seit 2005 (daraus folgend geänderte Wettbewerbsrelationen
in der Futterwirtschaft; Ackergräser gewinnen gegenüber Mais an Wettbewerbskraft).
Als Folge des sogenannten „Health Check 2008“ wird die Gemeinsame Agrarpolitik der
EU im Hinblick auf ihre Ausrichtung weiterhin optimiert. Dabei geht es insbesondere
um die sich aus der EU-Erweiterung ergebenden Anforderungen sowie um Reaktionen
auf das immer dynamischer werdende globale Umfeld. Es sind allerdings keine gravierend geänderten Auswirkungen auf die landwirtschaftliche Produktion und die Einkommenssituation der Landwirtschaft zu erwarten. Konkrete Änderungsvorschläge betreffen
die Direktzahlungen, die Marktregelung (insbesondere bei Milch) sowie die Verwendung
zusätzlicher Modulationsmittel zur Entgegnung auf neue Herausforderungen (Klimawandel, Wassermanagement, Biodiversität, erneuerbare Energien). Auch die Lösung von
Strukturproblemen in der Milcherzeugung wurde als zusätzliche „neue Herausforderung“
anerkannt.
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Der europäische Milchmarkt im Umbruch – Neue Herausforderungen
199
Die – bezogen auf den Milchmarkt und die Milcherzeugung – relevanten Ergebnisse
des „Health Check 2008“, auf die sich die EU-Agrarminister am 20. November 2008 in
Brüssel politisch geeinigt haben, lassen sich wie folgt zusammenfassen:
● Aufstockung der Garantiemengen um insgesamt 5 % in fünf jährlich gleichen Schritten
ab 2009.
● Damit wird das endgültige Auslaufen der Regelung durch den Agrarrat nochmals
bekräftigt.
● Überprüfung des Ratsbeschlusses 2010 und 2012 auf Initiative Deutschlands in der
Verhandlung.
Aufgrund der heterogenen Interessenstruktur innerhalb der Mitgliedsstaaten der EU muss
damit gerechnet werden, dass es auch zu eher deutlicheren Quotenanhebungen kommen
kann. In solch einem Fall wird die Absenkung der Superabgabe zu einem späteren Zeitpunkt kommen, wodurch auch die den Molkereien angedienten Milchmengen mehr als
erwartet steigen.
Damit entstehen neue Herausforderungen für die Molkereien. Die bislang zur Anwendung gelangte Markt- und Preispolitik der EU für den Bereich Milch wird ansonsten
für die Laufzeit der Garantiemengenregelung weitgehend unverändert fortgeführt, sodass
sich für diesen Sektor keine gravierenden aber auch keine überraschenden Änderungen
ergeben.
Unter allen Beteiligten am Milchmarkt herrscht angesichts der skizzierten Perspektiven Verunsicherung. Ein ganz wesentlicher Auslöser hierfür ist die nun sicher zu erwartende Abschaffung der Milchgarantiemengenregelung im Jahr 2015. Obwohl der Erfolg
dieser Regelung zur Stabilisierung des Milchmarktes durchweg sehr umstritten ist (vgl. 6),
sind sehr viele Milcherzeuger – insbesondere in Baden-Württemberg – gegen deren
Abschaffung, was sich u. a. an den erheblichen Protesten des Bundesverbandes Deutscher
Milchviehhalter (BDM) erkennen lässt. In einer Umfrage des BDM (1) haben 95 % der
Befragten (35 000 BDM-Mitglieder und 8000 Nichtmitglieder) für die Beibehaltung einer
Mengenregulierung gestimmt. Ein weiterer Anlass zur Verunsicherung auf dem badenwürttembergischen Milchmarkt ist durch die Einführung der überregionalen Milchquotenbörse entstanden. Damit einher ging ein Verlust von Milchquote an andere westdeutsche
Bundesländer. Während in Baden-Württemberg bei den Börsenterminen 2007 und anfangs
2008 die nachgefragte Menge an Milchquote regelmäßig meist deutlich unter dem Angebot lag, hat die Nachfrage bei den beiden letzten Börsenterminen (2008 und Anfang 2009)
das Angebot überstiegen. Im Vergleich mit dem Bundesdurchschnitt und v. a. im Vergleich
mit stark expandierenden Bundesländern wie Niedersachsen und Schleswig-Holstein ist in
Baden-Württemberg eine eher verhaltene Wachstumstendenz zu verzeichnen.
Diese beiden Entwicklungen verstärken die Befürchtung, dass in manchen Regionen
Baden-Württembergs, wie auch allgemein in Gebieten mit geringen Grünlandanteilen,
mit niedriger Dichte an Milchviehbetrieben sowie mit klein strukturierten Beständen die
Milcherzeugung deutlich eingeschränkt wird. Ergebnisse von Studien der Bundesforschungsanstalt für Landwirtschaft bzw. des Johann Heinrich von Thünen-Instituts (8; 9)
geben für verschiedene Milchmarktszenarien Prognosen für die regionale Entwicklung der
Milcherzeugung. Die Ergebnisse der Analysen deuten insgesamt eine Abwanderung der
Milchproduktion aus Baden-Württemberg an, falls die Milchquote abgeschafft wird. In
den Landkreisen Ravensburg und Biberach könnte jedoch unter diesen Rahmenbedingungen noch mehr Milch produziert werden (8). Selbst bei einem Milchpreisanstieg von 10 %
ist jedoch im Ortenau-Kreis mit einer reduzierten Milcherzeugung zu rechnen (9).
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Reiner Doluschitz
3
3.1
Entwicklungen auf der Milcherzeugungsstufe
Strukturdefizite und regionale Differenziertheit in Baden-Württemberg
Die Milcherzeugung bestimmt in hohem Maße die Erlöse und Einkommen landwirtschaftlicher Betriebe in der Bundesrepublik Deutschland wie auch in der überwiegenden Mehrzahl anderer Mitgliedsländer der Europäischen Union. Im Vergleich zu anderen deutschen
Bundesländern nimmt Baden-Württemberg dabei eine mittlere Stellung in Bezug auf die
erzeugte Milchmenge ein. Im Jahr 2007 wurden 7,8 % der deutschen Milch in BadenWürttemberg erzeugt (21). Der Selbstversorgungsgrad in Baden-Württemberg lag 2006
bei ca. 60 %. Mit im Mittel 29 Kühen pro Halter und der geringsten durchschnittlichen
Milchleistung zählen die Milchviehbetriebe in Baden-Württemberg zu den kleinsten in
Deutschland. Allerdings muss mit Blick auf die Milchleistung berücksichtigt werden, dass
ca. 43 % der Milchkühe in Baden-Württemberg der Rasse Fleckvieh und damit einer Zweinutzungsrasse angehören, die eine geringere Milchleistung aufweist als reine Milchrassen
(14).
Einen Überblick über die Struktur der Milchviehhaltung Baden-Württembergs im bundesweiten Vergleich enthält die Tabelle 1. Bei bundesweit durchschnittlichem Flächenbesatz werden in Baden-Württemberg etwa 9 % aller Kühe in Deutschland gemolken. Die
Milch-, Rind- und Kalbfleischproduktion hat in Baden-Württemberg gegenüber der Bundesrepublik Deutschland eine leicht unterdurchschnittliche Bedeutung. Allerdings liegt
der Grünlandanteil deutlich über dem Mittelwert; die durchschnittliche Bestandsgröße und
Milchleistung liegen hingegen deutlich darunter.
Innerhalb Baden-Württembergs herrschen bezüglich der Milchviehhaltung deutliche
regionale Unterschiede sowohl bei der Betriebsstruktur als auch hinsichtlich der Viehbesatzdichte. Tabelle 2 zeigt hierzu einen Strukturvergleich der Milcherzeugung in den
Landkreisen Ravensburg (RV), Biberach (BC), Ostalbkreis (AA), Reutlingen (RT), Breisgau-Hochschwarzwald (FR), Ortenaukreis (OG), Ludwigsburg und Rhein-Neckar-Kreis
(zusammengefasst AB).
In den Landkreisen Ravensburg, Biberach und im Ostalbkreis wird innerhalb BadenWürttembergs die meiste Milch produziert – ca. 38 % der baden-württembergischen Milch
(19).
Die Beschreibung dieser Beispiels-Regionen zeigt eindeutig die starke regionale Differenziertheit der landwirtschaftlichen Erzeugung, insbesondere der Milcherzeugung in
Baden-Württemberg. Hieraus ergibt sich auch klar die Forderung nach individuell unterschiedlichen, jeweils betriebsspezifisch angepassten künftigen Entwicklungsstrategien.
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Der europäische Milchmarkt im Umbruch – Neue Herausforderungen
Tabelle 1. Struktur der Milchviehhaltung in ausgewählten Bundesländern sowie in
der Bundesrepublik Deutschland 2007
Zahl der Milchkühe
Anteil an der
Gesamtzahl BRD
Milchkühe je 100
ha LF
Kuhmilcherzeugung
Anteil an der
Gesamterzeugung
BRD
Anteil der Milchproduktion an den
Erlösen der landw.
Erzeugung
Anteil der Milch-,
Rind- und Kalbfleischproduktion
an der landw.
Erzeugung
Grünlandanteil an
der LF
Durchschnittliche
Bestandsgröße
Milchvieh
Durchschnittliche
Milchleistung
Einheit
BW
NI
SH
NBl
1 000
%
362,2
8,9
709,4
17,4
334,2
8,2
778,0
19,1
Bundes­
republik
insges.
4071,2
100
Anzahl
25
28
34
14
24
Mio. t
2,212
5,152
2,377
6,266
28,400
%
7,8
18,1
8,4
22,1
100
%
18,1
18,0
28,3
-
21,0
%
24,6
25,3
37,6
-
27,8
%
38,4
28,1
34,6
33,2
28,8
Anzahl
29
50
62
185
40
kg/Kuh
u. Jahr
6 089
7 080
7 014
7 982
6 944
BW = Baden-Württemberg; NI = Niedersachsen; SH = Schleswig-Holstein; NBl = Neue Bundesländer
Quellen: (13; 19)
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Tabelle 2. Regionale Differenziertheit ausgewählter typischer Regionen in
Baden­Württemberg
Reg.
Landkreise
Ver­
gleichs­
gebiet
Vorherr­
schende Be­
triebstypen
GV/ Milchk./
ha
100 ha
LF LF
RV1)
Ravensburg
Allgäu
Futterbau
1,42
80
69
Tourismus mit
großer Bedeutung
BC1)
Biberach
Oberland
Futterbau,
Verbund,
Ackerbau
1,15
46
33
Biogaserzeugung von 6,8 %
der LF
RT1)
Reutlingen
Schwäb. Futterbau,
Alb/ Alb- Verbund,
vorland
Ackerbau
0,67
20
52
AA1)
Ostalbkreis
Schwäb. Futterbau,
Alb/ Alb- Verbund,
vorland/ Ackerbau
Schwäb.
Wald
1,11
39
47
Mittelgebirge
mit z. T. kargen
und trockenen
Lagen
OG1)
Ortenaukreis Westund
Hochschwarzwald,
(Oberrhein)
Futterbau
0,52
15
39
FR1)
BreisgauHochschwarzwald
Westund
Hochschwarzwald
(Oberrhein)
Futterbau
0,56
21
48
AB2)
Ludwigsburg/
Stuttgart
Unterland
Dauerkultur,
Futterbau,
Verbund
0,55
14
19
RheinNeckar
Bergstraße/
Rheinebene/
Odenwald
Ackerbau,
Futterbau,
Verbund
0,43
10
18
Grünl.­
anteil
(%)
Besonderheiten
Hangneigung
z. T. >35 %;
Tourismus
Ballungsraum
1) Die Abkürzungen entsprechen den Kfz-Kennzeichen der Landkreise
2) AB = Ackerbauregion
Quelle: (12; 19)
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Der europäische Milchmarkt im Umbruch – Neue Herausforderungen
3.2
203
Meinungsbild der Milcherzeuger zu den Veränderungen
auf dem Milchmarkt
Im Rahmen einer Anfang 2008 seitens der Universität Hohenheim in Kooperation mit
dem baden-württembergischen Ministerium für Ernährung und Ländlichen Raum (MLR)
durchgeführten Studie wurden in den oben genannten Regionen insgesamt 1050 Landwirte
befragt (22; 5). Mit 411 auswertbaren Fragebögen (Rücklaufquote knapp 40 %) hat sich
ein überraschend großer Teil von Landwirten an der Befragung beteiligt. Die Auswahl der
Regionen (vgl. Tab. 2) erfolgte dahingehend, dass bezüglich der Milcherzeugung bevorzugte und benachteiligte Standorte bzw. Intensivregionen mit wenigen Produktionsalternativen und solche Regionen, in denen die Milchviehhaltung lediglich eine Rolle neben
anderen Betriebszweigen spielt, vertreten sind. Die befragten Landwirte halten durchschnittlich 37,9 Kühe. Dies entspricht nahezu dem bundesweiten Mittelwert von etwa 40
Kühen pro Betrieb. liegt jedoch deutlich über dem Durchschnitt in Baden-Württemberg
(durchschnittlich 29 Milchkühen je Halter). Die meisten der befragten Betriebe halten
zwischen 20 und 49 Kühe. In knapp 30 % der Betriebe werden mehr als 50 Kühe gehalten. Die regionalen Unterschiede bezüglich der Bestandsgrößenstruktur sind deutlich. Die
größeren Bestände sind im Allgäu/Oberland sowie auf der Schwäbischen Alb und die
kleineren im Schwarzwald zu finden. Die durchschnittliche Milchleistung von 7255 kg/
Kuh und Jahr laut Milchleistungsprüfung (MLP) liegt für die befragten Betriebe etwas
unter dem bundesweiten Durchschnitt von 7933 kg. Weiterhin sind in der betrachteten
Stichprobe Betriebe mit hohem Anteil an Grünland stärker vertreten als in der Grundgesamtheit in Baden-Württemberg.
Befragt nach der Bewertung der zukünftig sich ändernden Regelungen auf dem Milchmarkt erwarten ca. 76 % der Landwirte vom Ausstieg aus der Milchquotenregelung negative bzw. eher negative Folgen für ihren Betrieb. Dabei fällt in der Region Schwarzwald
die negative Bewertung des Milchquotenausstiegs deutlich aus (über 90 %).
Für die Zukunft erwarten die Milcherzeuger in Baden-Württemberg überwiegend eine
Steigerung der produzierten Milchmenge und eine Absenkung des Milchpreises. Diese
Erwartung gilt bereits bis zum Termin des Auslaufens der Garantiemengenregelung für
Milch – viel deutlicher aber noch danach. Entsprechend dieser Einschätzung bewerten die
Landwirte die Milchquote auch als einen der wichtigsten Faktoren, der den zukünftigen
Milchpreis beeinflusst. Allerdings sehen sie, dass weitere Faktoren, wie die weltweite und
EU-weite Nachfrage, die allgemeine Wirtschaftsentwicklung sowie veränderte Verzehrsgewohnheiten der Verbraucher – neben dem Auslaufen der Quote – ebenfalls einen großen
Einfluss auf den Milchpreis haben.
Für 37 % der befragten Milcherzeuger ist der Ausstieg aus der Milchviehhaltung die
bevorzugte Strategie zur Anpassung an die geplante Abschaffung der Milchquote. Damit
dürfte sich der in der Vergangenheit beobachtbare Strukturwandel in vergleichbarem
Umfang bzw. teilweise in etwas beschleunigter Form weiter fortsetzen. Im Gegensatz
dazu möchten etwas weniger als die Hälfte der Landwirte versuchen, die Milcherzeugung
auszudehnen (Abb. 1).
Die Milcherzeuger in Baden-Württemberg sehen agrarpolitische Maßnahmen, die den
Ausstieg aus der Milchgarantiemengenregelung abfedern, als wichtig an. Die Landwirte
konnten Agrarumweltmaßnahmen, die Ausgleichszulage für benachteiligte Gebiete und
die Agrarinvestitionsförderung bewerten. Im Vergleich der drei Instrumente wurde der
Ausgleichszulage die größte Bedeutung für die Abfederung des Quotenausstiegs und den
Agrarumweltmaßnahmen die geringste Bedeutung beigemessen. Besonders die Landwirte
im Schwarzwald werten die zur Auswahl stehenden agrarpolitischen Instrumente als wichtig.
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Abb. 1. Strategien zur Anpassung an den Milchquotenausstieg (Mehrfachnennungen möglich)
Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an (5)
Allgemein nach den Zukunftsaussichten der Milcherzeuger in den verschiedenen
Regionen befragt, sehen die Landwirte überwiegend für das Allgäu/Oberland gute und für
den Schwarzwald schlechte Perspektiven als gegeben. Auffällig bei der Auswertung dieser
Frage ist, dass die Einschätzung der regionalen Zukunftsaussichten seitens der Milcherzeuger aus anderen Regionen deutlich positiver ausfällt als diejenige von Milcherzeugern aus der jeweiligen Region selbst. Dies kann auch so interpretiert werden, dass die
subjektiv erwarteten einzelbetrieblichen Folgen bei objektiver Betrachtung gar nicht so
gravierend ausfallen.
Die Landwirte wurden auch nach ihren Forderungen an die Molkereien gefragt. Die
entsprechenden Ergebnisse sind in Abschnitt 4.2 dargestellt und erläutert.
3.3
Perspektiven der Milcherzeugung in Baden­Württemberg
Die Faktoren mit Einfluss auf die regional unterschiedliche strukturelle Entwicklung und
Wettbewerbsfähigkeit der Milcherzeugung lassen sich den folgenden fünf Gruppen zuordnen:
● Standortfaktoren (natürliche Verhältnisse, insbesondere Klima und Boden; regional
gegebene Milchdichte und deren Entwicklung; einschlägige Netzwerke und Infrastrukturen),
● strukturelle Faktoren, besonders Faktoren der Betriebs- und Bestandsgrößenstrukturen
(Ausgangsbetriebsstrukturen unter Quotenbedingungen; kleinbetriebliche familienbäuerliche Strukturen),
● wirtschaftliche Faktoren (Wettbewerbsfähigkeit der Futtererzeugung; einkommenswirksame alternative Verwertungsmöglichkeiten für Grünlanderträge; günstige Erfassungs- und Verarbeitungsstrukturen),
● Politikfaktoren (Ausgestaltung 1. und 2. Säule der GAP; Ausgestaltung des Quotenhandels; Superabgabe; Quotennachweis vor Investitionsförderung bzw. dessen Entfallen).
● Managementfaktoren.
Fasst man die zu erwartenden Wirkungsänderungen der genannten Faktoren mit Einfluss
auf die regional unterschiedliche Entwicklung und Wettbewerbsfähigkeit der Milchvieh-
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Der europäische Milchmarkt im Umbruch – Neue Herausforderungen
haltung zusammen, so wird perspektivisch erkennbar, dass die Bedeutung der den Strukturwandel hemmenden Faktoren künftig tendenziell eher abnehmen, diejenige der den
Strukturwandel fördernden Faktoren tendenziell eher zunehmen wird. Der Einfluss von
wirtschaftlichen Faktoren und von Politikfaktoren sowie von Managementfaktoren wird
tendenziell stärker ausgeprägt sein gegenüber dem Einfluss von Struktur- und Standortfaktoren. Diese Tendenzen geben Hinweise darauf, dass sich die regionale Konzentration und
Wettbewerbsfähigkeit der Milcherzeugung auf den Vorzugsstandorten in Baden-Württemberg mit Lockerung bzw. Aufhebung der Quotenregelung und entsprechender Begleitung
seitens der Politik verstärken bzw. verbessern wird. Entscheidend für das Halten von
Erzeugungspotenzialen im Land wird sein, wie zügig der Wechsel in der Bedeutung fördernder und hemmender Faktoren unterstützt bzw. vollzogen wird.
Als sicher gilt, dass sich die Milcherzeuger in Baden-Württemberg künftig mehr als
zuvor bei ihrer betrieblichen Entwicklung entlang der in Abbildung 2 dargestellten einkommenswirksamen Anpassungsstrategien für landwirtschaftliche Betriebe orientieren
müssen und dabei – neben der Umsatzsteigerung und Kostensenkung – unter bestimmten
(regionalen) Bedingungen und bei ungünstiger Betriebsstruktur auch an alternative Einkommensquellen und eventuell eine Änderung der Erwerbsform denken müssen. Insbesondere Strategien zur Leistungssteigerung, zur Qualitätssicherung, zur Kostenoptimierung und des betrieblichen Wachstums sollten auf Eignung geprüft werden.
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Abb. 2. Einkommenswirksame Anpassungsstrategien landwirtschaftlicher Betriebe im Überblick
Quelle: Eigene Darstellung
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206
Reiner Doluschitz
4
Entwicklungen auf der Milchverarbeitungsstufe
4.1
Mobilisierung von Strukturreserven
Weltweit gesehen ist die Molkereiwirtschaft im hohen Grade konzentriert. Dies gilt bereits
derzeit und gewinnt angesichts der im Zuge der Globalisierung (zeit- und phasenweise)
weltweiten rasant steigenden Nachfrage nach Milchprodukten weiter an Bedeutung. Unter
den globalen „Playern“ in der Milchwirtschaft befinden sich sowohl Molkereigenossenschaften mit stark regionaler Orientierung (z. B. Fonterra, Neuseeland) sowie auf den
Milchmarkt ausgerichtete Kapitalgesellschaften (z. B. Dean Food, Parmalat), als auch
international diversifizierte Lebensmittelkonzerne (z. B. Nestlé, Danone, Kraft Foods)
(11).
In der Europäischen Union findet man eine diverse Molkereistruktur vor. Es gibt sowohl
Länder mit überdurchschnittlich großen Molkereiunternehmen (Niederlande, Dänemark
und Schweden) sowie solche mit Kleinstrukturen (insbesondere Italien, Griechenland,
Spanien und Frankreich).
Die Struktur der Molkereiunternehmen in Baden-Württemberg und in Deutschland ist
in Tabelle 3 dargestellt. Insgesamt ist die deutsche Milchwirtschaft traditionell als mittelständisch einzustufen. Umso mehr gilt hier die Forderung nach Kooperation zur Entgegnung der wachsenden Nachfrage auf globalisierten Märkten. Auch gilt es, den hochgradig
konzentrierten Nachfragern im Lebensmittelhandel durch entsprechendes Marktgewicht
zu entgegnen.
Tabelle 3. Struktur der Molkereiunternehmen in Baden­Württemberg
und in Deutschland 2006
Entsprechend der jähr­
lichen Milchverarbeitung
(1 000 t)
Deutschland
<20
20–75
76–300
>300
Insgesamt
Baden-Württemberg
<20
20–75
76–300
>300
Insgesamt
Unternehmen
Verarbeitung
Anzahl
%
Mio. t
%
63
50
57
28
198
32
25
29
14
100
0,22
2,17
9,07
23,61
35,08
0,6
6,2
25,9
67,3
100
7
3
3
3
16
43,75
18,75
18,75
18,75
100
0,02
0,13
0,60
1,25
2,00
1
6.5
30
62,5
100
Quelle: (20)
Die Molkereiwirtschaft in Baden-Württemberg verarbeitet insgesamt gut 2 Mio. t Rohmilch.
Dabei dominieren die sehr großen Molkereien mit über 90 % der Verarbeitungsmenge. Die
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Der europäische Milchmarkt im Umbruch – Neue Herausforderungen
207
sieben kleinsten Milchverarbeitungsunternehmen mit jeweils unter 20 000 t Verarbeitung
pro Jahr verarbeiten hingegen nur etwa 1 % der Milchmenge – häufig in Form von (regionalen) Spezialitäten.
„Entscheidend für eine nachhaltige, erfolgreiche Milchwirtschaft und damit stabile
Einkommen sind wettbewerbsfähige Strukturen in der gesamten Wertschöpfungskette von
der Milcherzeugung über die Verarbeitung bis hin zur Vermarktung. Diese müssen sich an
den Marktrealitäten orientieren, denn auch die besten Strukturen können den Markt nicht
aushebeln“ (3).
4.2 Vertrauensbildung im Innenverhältnis
Als weiteres Ergebnis der in Abschnitt 3.2 vorgestellten Befragung kann festgehalten werden, dass – zumindest kurz- und mittelfristig – die Geschäftsbeziehungen der Milcherzeuger laut deren eigenen Angaben zu ihrer jeweiligen Molkerei an Bedeutung gewinnen
werden. Am Wichtigsten sind den Landwirten dabei ein wirtschaftliches Handeln und die
Abnahmesicherheit durch die Molkereien. Die Bedeutung der langfristigen Verbundenheit
der Landwirte mit ihrer Molkerei nimmt ab. Dies könnte bedeuten, dass Landwirte mehr
als bisher bereit sind, ihre angestammte Molkerei zu wechseln. Diese Aussagen deuten
an, dass das Vertrauensverhältnis zwischen Milcherzeugern und -verarbeitern klar gestört
ist.
Als Gründe für den Vertrauensverlust nennt spiller (17) ein bereits länger anhaltendes
gestörtes Verhältnis in den Geschäftsbeziehungen zwischen Milcherzeugern und Molkereien, welches sich u. a. durch folgende Indizien belegen lässt:
● Steigende Zahl an Kündigungen von Milchliefer- bzw. Genossenschaftsverträgen in
den letzten Jahren.
● Häufiges Scheitern von Strukturanpassungen auf Molkereiebene am Votum der landwirtschaftlichen Anteilseigner.
● Räumliche Ausdehnung und Steigerung des Organisationsgrades des BDM.
● Zunehmende Selbstorganisation von Milchviehhaltern in Liefergemeinschaften.
Die Vertrauensbildung muss, auch im Sinne einer nachhaltigen Lieferantenbindung seitens
der Milchverarbeiter, also künftig eine nachhaltige Wiederherstellung guter Geschäftsbeziehungen zwischen Milcherzeugern und -verarbeitern verfolgen. Dies gilt insbesondere
für genossenschaftliche Molkereiunternehmen. „Da in den Genossenschaften neben der
Lieferbeziehung auch eine Kapitalbeziehung zwischen Unternehmen und Mitglied besteht,
bedarf es der Bereitschaft der Milcherzeuger, sich künftig eng an ihre Genossenschaften
zu binden und sich an Zukunftsinvestitionen mit Kapital zu beteiligen“ (3). Wesentliche
Voraussetzung für die nachhaltige Vertrauensbildung ist es, dass Molkereien sowie ihre
Mitglieder im konstruktiven Austausch miteinander stehen. Gemeinsam müssen sich alle
Akteure künftig stärker damit auseinandersetzen, dass die Bewegungen auf den Märkten bei zunehmender Liberalisierung größere Ausschläge erwarten lassen. Dies gilt umso
mehr dann, wenn ordnungsbedingte Verpflichtungen zur Abnahme der erzeugten Milchmenge zunehmend entfallen. Die geforderte Vertrauensbildung muss langfristig angelegt
sein und sollte sich nicht von kurzfristigen Marktbewegungen beeinflussen lassen.
Die Tabelle 4 enthält weitere Angaben bezüglich der Erwartungen der Landwirte an ihre
jeweilige Molkerei, wie sie der weiter oben näher beschriebenen Befragung als Ergebnis
zu entnehmen sind. Es zeigt sich, dass die Bedeutung von für die Geschäftsbeziehungen
wichtiger Faktoren künftig – durchweg und z. T. sehr deutlich – zunehmen wird. Molkereigenossenschaften sollten dringend hierauf reagieren, indem sie ihre vertrauensbildenden
Maßnahmen mit den Mitgliedern eng hieran ausrichten.
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Reiner Doluschitz
Tabelle 4. Veränderung der Bedeutung zentraler Geschäftsbeziehungen zwischen
Milcherzeugern und Molkereien
Geschäftsbeziehung
Bedeutung
Vertrauensvolle Zusammenarbeit
sehr wichtig
wichtig
Langfristige Verbundenheit
sehr wichtig
wichtig
Wirtschaftliches Handeln
sehr wichtig
wichtig
Information über Unternehmensziele
sehr wichtig
wichtig
Information über Vermarktungsstrategien
sehr wichtig
wichtig
Abnahmesicherheit
sehr wichtig
wichtig
bisher
(%)
n = 390
38
45
n = 371
23
46
n = 354
52
33
n = 356
33
44
n = 365
31
44
n = 372
63
30
künftig
(%)
n = 367
46
44
n = 354
26
35
n = 346
68
24
n = 343
50
36
n = 353
50
36
n = 358
67
25
Quelle: (21)
4.3
Kooperation und Markterschließung nach außen
Die Forderung nach einem weiteren Strukturwandel in der Milchwirtschaft begründet sich
vor allem in folgenden Faktoren:
● Bei den weltweit agierenden Wettbewerbern handelt es sich zum überwiegenden Teil
um groß strukturierte Unternehmen.
● Die im Rahmen der Globalisierung rasant steigende internationale Nachfrage nach
Milchprodukten erfordert schlagkräftige und große Partner. Insbesondere die Erschließung der osteuropäischen, russischen und asiatischen Märkte ist an dieser Stelle zu
nennen.
● Der in hohem Grade konzentrierten aufnehmenden Hand – der Lebensmittelindustrie
und des Lebensmittelhandels – ist eine entsprechende Marktmacht auf Angebotsseite
entgegenzusetzen, wenn hohe Preise durchgesetzt werden sollen.
Alle genannten Entwicklungen werden voraussichtlich längerfristig anhalten, weshalb
perspektivisch stetig und mit hohem Nachdruck an der Aufrechterhaltung und Forcierung
des Strukturwandels gearbeitet werden muss, um begleitend hierzu strategische Allianzen
zwischen Wettbewerbern zu schließen und nachhaltig zu pflegen.
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Der europäische Milchmarkt im Umbruch – Neue Herausforderungen
5
209
Schlussfolgerungen und Empfehlungen
5.1
Stufe der Milcherzeugung
Als betriebliche Entwicklungsstrategien sind künftig insbesondere Maßnahmen in den
Bereichen Umsatzsteigerung und Kostensenkung (vgl. Abb. 2) zu sehen. Dazu zählen
insbesondere Bestrebungen zur Milchleistungssteigerung, zur Qualitätssicherung, zur
Kostenoptimierung, zur Bestandsaufstockung im Rahmen des einzelnen Betriebes bzw.
auf dem Weg der zwischenbetrieblichen Kooperation sowie zur Überprüfung der Organisations- und Verfahrensstrukturen.
Den Einfluss des Faktors „Managementgeschick“ auf die Leistungsfähigkeit und den
Erfolg von Betrieben lässt der Vergleich ausgewählter Buchführungskennwerte von Futterbaubetrieben der Region Oberschwaben-Bodensee 2005/06, der in Tabelle 5 dargestellt
wird, erkennen. Es zeigt sich, dass die erfolgreicheren Betriebe größer sind als die weniger erfolgreichen. Darüber hinaus weisen sie eine deutlich höhere Arbeits- und Flächennutzungsproduktivität auf. Dies führt zu deutlich positiven Eigenkapitalveränderungen.
Die Milchleistung liegt beträchtlich über derjenigen der weniger erfolgreichen Betriebe,
während die Erlöse/Milchpreise vergleichbar sind. Erfolgreiche Betriebe sind zudem kosteneffizienter als weniger erfolgreiche.
Zentrale Unternehmerkompetenzen werden somit künftig wieder deutlich stärker
gefordert sein als in den letzten Jahren. Nach doluschitz (4) zählen hierzu insbesondere
die fachliche und soziale Kompetenz, Neugier und Kreativität, Risikobereitschaft, Organisationstalent, Führungsgeschick, Motivationsfähigkeit sowie Informations- und Kommunikationskompetenz. Unternehmer sind somit mehr denn je aufgefordert, Anpassungsstrategien sorgfältig zu prüfen, ihr Bewusstsein für zentrale Unternehmereigenschaften
und -kompetenzen zu schärfen und dabei persönliche Stärken zu fördern sowie Defizite
gezielt abzubauen.
Tabelle 5. Vergleich ausgewählter Buchführungskennwerte von Futterbaubetrieben
der Region Oberschwaben­Bodensee 2005/06
Kennwert
Landw. genutzte Fläche
Milchreferenzmenge
Milchkühe
Arbeitskräftebesatz
Rindviehbesatz
Eigenkapitalveränderung
Milchleistung
Verkaufserlös Milch
Aufwand Futtermittel
Aufwand Tierarzt, Besamung
Einheit
Erfolgreiche
ha
1 000 kg
Stück
AK/100ha LF
VE/100ha LF
€/ha LF
kg/ Kuh
Cent/kg
Cent/kg Milch
€/Kuh
61,73
449
63
2,84
177
+ 443
7 142
31,42
6,34
138
Weniger
Erfolgreiche
35,97
186
31
3,83
150
-210
5 888
31,74
5,45
151
Quelle: (12)
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210
Reiner Doluschitz
5.2
Molkereigenossenschaften
Die Molkereigenossenschaften müssen den wachsenden Wettbewerbs- und Anpassungsdruck klar als Herausforderung erkennen und als solche auch annehmen. In Anlehnung an
nüssel (16) ist den genossenschaftlichen Molkereiunternehmen zu empfehlen,
● „ …, in ihrer Verantwortung für ihre Mitglieder auf eine mehr vom Markt her orientierte Milchwirtschaft weiter anzupassen“,
● mehr Eigenverantwortung bei der Marktstabilisierung zu übernehmen,
● einen höheren Grad an Verwertungsstabilität zu erreichen,
● Marktschwankungen in Teilmärkten mit breiteren Produktsortimenten und der Fähigkeit zur Bedienung verschiedener Marksegmente zu entgegnen,
● Kostenvorteile dadurch zu nutzen, dass Unternehmen expandieren, sich breit aufstellen
und über engere Kooperationen nachhaltige Bindungen eingehen.
Dies setzt aber ganz klar die „Bereitschaft der Genossenschaftsmitglieder voraus, diese
notwendigen Schritte mitzugehen.“ (16). Unter der Zielsetzung einer Wettbewerbsverbesserung des Milchsektors müssen seitens der Politik auch Möglichkeiten der Investitionsförderung sowohl Milch erzeugender Betriebe als auch von Molkereiunternehmen
vorgesehen werden, da mit den o. g. Empfehlungen in Teilen umfangreiche Investitionsmaßnahmen verbunden sind.
5.3
Politik
Ob und wie das Auslaufen der Garantiemengenregelung für Milch 2015 über Anpassungsmaßnahmen der Milchmarktordnung und weitere Maßnahmen der ersten und zweiten Säule
flankiert werden kann und soll, befindet sich zurzeit im Stadium der Bewertung. Die Maßnahmen konkurrieren um knappe Mittel. Über die Modulation sind die erste und zweite
Säule der GAP miteinander verbunden, d. h., die möglichen Wirkungen der Maßnahmen
müssen hinsichtlich der agrarpolitischen Zielsetzung überprüft und gewichtet werden. Als
politische Begleitmaßnahmen werden insbesondere die folgenden Bereiche diskutiert:
● Die Agrarinvestitionsförderung,
● die Agrarumweltmaßnahmen bzw. die Ausgleichszulage für benachteiligte Gebiete,
● verschiedene Maßnahmen zur Anpassung der Marktordnung (Reduzierung der Superabgabe, Saldierung, Quotenerhöhung); diese würden allerdings nicht im Zuständigkeitsbereich des Landes, sondern der EU liegen.
Hervorgehoben und der Politik als vorrangig zu ergreifende Begleitmaßnahme empfohlen werden sollte hierbei die Agrarinvestitionsförderung. Diese im Rahmen der Modernisierung landwirtschaftlicher Betriebe (Art. 26, ELER-VO (EG) Nr. 1698/2005 des Rates
v. 20. 09. 2005) angebotene Maßnahme der Förderung von Investitionen in der Landwirtschaft hat als klare Ziele:
● Eine Steigerung der Arbeitsproduktivität,
● dadurch ausgelöst eine Verbesserung der Einkommenssituation und
● die Wettbewerbsverbesserung der begünstigten Unternehmen.
Somit sollte diese Maßnahme nicht dazu genutzt werden, die Landbewirtschaftung, insbesondere in eher benachteiligten Regionen, zu sichern. Vielmehr trägt die Maßnahme
zur Verstärkung des Strukturwandels bei und beschleunigt damit die Konzentration der
Produktion in Regionen mit Wettbewerbsvorteilen.
Um die oben genannten Ziele zu einem möglichst hohen Grad erreichen zu können,
wäre die Agrarinvestitionsförderung bevorzugt auf Milchvieh haltende Betriebe, die in
vielen Regionen Baden-Württembergs dringende Investitionsnotwendigkeiten haben, und
dort insbesondere auf Gebäudeinvestitionen und Investitionen in moderne Haltungssysteme zu konzentrieren. Um tastsächlich Struktur bildende Effekte zu erzielen, sollte dabei
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Der europäische Milchmarkt im Umbruch – Neue Herausforderungen
211
die Mindestinvestitionssumme, derzeit in Höhe von 30 000 €/Förderfall, sehr deutlich
überschritten werden. Darüber hinaus sollten Maßnahmen im Bereich der Milcherzeugung
gegenüber anderen Produktionszweigen – zumindest befristet während der Übergangszeit
in der Milchmarktpolitik – eine ganz deutliche Priorität eingeräumt werden.
Zusammenfassung
Das mittlerweile als sicher geltende Auslaufen der EU-Milchgarantiemengenregelung im Jahr 2015
erfordert von den Milcherzeugern und -verarbeitern Anpassungsmaßnahmen. Vermutlich werden
diese Anpassungsmaßnahmen zu strukturellen Veränderungen sowohl auf regionaler als auch auf
betrieblicher Ebene führen. Dies trifft auf das überwiegend klein strukturierte Baden-Württemberg,
mit zudem deutlich heterogenen Standortbedingungen, in besonderem Maße zu.
Im vorliegenden Beitrag werden die Entwicklung der Milchquotenregelung sowie deren Änderungen seit 1984 in groben Zügen dargestellt. Die Strukturen in der Milcherzeugung und -verarbeitung werden für Baden-Württemberg skizziert und strukturelle Anpassungserfordernisse werden
für beide Stufen abgeleitet. Zudem wird das Meinungsbild der Akteure der Branche zu den Veränderungen auf dem Milchmarkt und deren Konsequenzen dargestellt und es werden Perspektiven
aufgezeigt, indem den Milcherzeugern ein forcierter Strukturwandel und eine Rückbesinnung auf
ihre Managementfähigkeiten und Unternehmerkompetenzen bei liberalisierten Märkten empfohlen
wird. Den Molkereien wird angeraten, bestehende Strukturreserven zu mobilisieren, die Vertrauensbildung im Innenverhältnis mit ihren Mitgliedern deutlich zu fördern und auf den zunehmend
globaler werdenden Absatzmärkten zum Zweck der Angebotsbündelung strategische Allianzen mit
Wettbewerbern einzugehen.
Mit der seitens aller Akteure geforderten politischen Begleitung des dringend notwendigen strukturellen Anpassungsprozesses kommt der Politik eine schwierige, wenngleich auch außerordentlich
wichtige Aufgabe zu. Die Empfehlungen lauten hier, mit einem deutlichen Schwerpunkt und zügig
die Wettbewerbsfähigkeit der baden-württembergischen Milcherzeuger durch gezielte Förderung
investiver Maßnahmen zu verbessern und flankierend hierzu in besonders benachteiligten Regionen
die Ausgleichszulage, gezielte Grünland- und Weideprämien und andere Möglichkeiten aus dem
Bereich der Agrarumweltmaßnahmen zur Milderung der negativen Konsequenzen der Anpassung
zu nutzen.
Summary
The European Dairy Market in Transition – New Challenges for Dairy Farmers and Dairy
Cooperatives in Baden-Württemberg
The current EU milk quota system will most likely be terminated in 2015. This requires adaptation
measures by the milk producers as well as the milk processors. These adaptations will presumably
lead to structural changes at both the regional and at the enterprise level, especially in the mainly
small structured and heterogeneous federal state of Baden-Württemberg.
This contribution outlines the development of the milk quota system and its changes and adjustments since 1984. It describes the structures of dairy production and processing for Baden-Württemberg and derives the requirements for their structural adjustment. In addition, the attitudes of the
actors of the dairy industry towards market changes and their consequences are presented.
Based on these findings, the author suggests that structural change of the dairy farms is needed
and that the management and entrepreneurial skills of farmers will become more important in a
liberalised market. Dairies are advised to make use of existing structural reserves and to strengthen
confidence in the internal relationship with their members. Moreover, they should found strategic
alliances with competitors in order to cope with increasingly global markets.
All actors claim that political support is vital for a sound structural adjustment to the new conditions; a difficult albeit extremely important task for policy-makers. It is recommended to clearly
focus on the competitiveness of the Baden-Württemberg’s milk producers by supporting investments. In addition, dairy farmers of the most disadvantaged regions should receive compensatory
allowances for grassland and pasture and additional options within the scope of agro-environmental
measures should be used to mitigate the negative consequences of adaptation.
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212
Reiner Doluschitz
Résumé
Le secteur laitier européen en transition – nouveaux défis pour les producteurs de lait et les
coopératives laitières au Bade-Wurtemberg en Allemagne
Vu que le régime des quotas laitiers dans l’Union européenne se terminera très probablement en
2015, les producteurs et transformateurs de lait doivent prendre des mesures d’adaptation. Ces mesures impliqueront certainement des changements structurels tant au niveau régional qu’au niveau
des exploitations et concerneront tout spécifiquement le Bade-Wurtemberg caractérisé par de petites
structures et des conditions d’implantation hétérogènes.
L’étude présente résume le développement du régime des quotas laitiers et ses modifications depuis 1984. Les structures dans le secteur de la production et de la transformation du lait sont décrites
pour le Land de Bade-Wurtemberg ainsi que les besoins d’adaptation structurelle qui s’en déduisent.
En plus, les points de vue des acteurs du secteur concernant les changements sur le marché du lait
et ses conséquences sont exposés et une approche possible est développée en recommandant aux
producteurs de lait de réaliser des restructurations et de se recentrer sur leurs capacités de gestion
et leurs compétences entrepreneuriales dans un contexte de marchés libéralisés. Aux laiteries, il est
conseillé de mobiliser les réserves structurelles existantes, de favoriser un climat de confiance dans
les rapports internes avec leur membres et de conclure des alliances stratégiques avec des concurrents
dans le but de regrouper les offres sur les marchés toujours plus globaux.
Tous les acteurs demandent à la politique d’accompagner ce processus d’adaptation absolument
nécessaire – une mission difficile mais très importante. Il s’agit en effet d’améliorer rapidement la
compétitivité des producteurs de lait du Bade-Wurtemberg en promouvant de manière ciblée les
investissements ; dans les régions les plus défavorisées, il convient d’utiliser également l’indemnité
compensatoire, les primes à l’herbe spécifiques et autres possibilités du domaine des mesures agroenvironnementales afin d’atténuer les effets négatifs du processus d’adaptation.
Literatur
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29.1.08.pdf Abrufdatum: 20. 10. 2008.
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Der europäische Milchmarkt im Umbruch – Neue Herausforderungen
213
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Ergebnisse aus der Milchleistungsprüfung 2007. http://www.lkvbw.de/download.php/218/a_web_
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Unterricht und Beratung in Baden-Württemberg. 23. Jahrgang. Landesanstalt für Entwicklung der
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16. nüssel, m., 2009: Health Check: Auswirkungen auf die Raiffeisen-Genossenschaften – Gemischtes
Bild. Geno Graph – Journal für die Genossenschaften in Baden-Württemberg 1/2009, S. 65–67.
17. spiller, a., 2008: Der Milchmarkt im Umbruch – Wie müssen Genossenschaftsmolkereien reagieren?
Pressemitteilung aus dem Department für Agrarökonomie und Rurale Entwicklung, Universität Göttingen.
18. Statistisches Landesamt Baden-Württemberg, 2008 a: Agrarland Baden-Württemberg – vielfältig und leistungsfähig. Statistik Aktuell, http://www.statistik-bw.de/Veroeffentl/Statistik_AKTUELL/803408003.pdf#search=%22Agrarland%22 Abrufdatum: 23. 09. 2008.
19. –, 2008 b: Agrarstruktur in Baden-Württemberg, Aus der Reihe Statistische Daten, 05/2008, CDRom.
20. wolter, r., 2008: Die Unternehmensstruktur der Molkereiwirtschaft in Deutschland. Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, Bonn. Bundesanstalt für Landwirtschaft
und Ernährung http://www.bmelv-statistik.de/fileadmin/sites/050_Strukturb/Molkereiwirtschaft_
Struktur06.pdf Abrufdatum: 28. 01. 2009
21. ZMP, 2008: Milcherzeugung konzentriert sich auf Bayern und Niedersachsen. ZMP- Infografik, 08. 09.
2008, http://www.zmp.de/presse/agrarwoche/marktgrafik/2008_09_08_zmpmarktgrafik_337_Milcherzeugung-D_2007.asp Abrufdatum: 23. 09. 2008.
22. zondler, a., 2008: Meinungsbild baden-württembergischer Milchviehhalter zu Anpassungsmaßnahmen im Zuge des Auslaufens der Garantiemengenregelung für Milch. Masterarbeit aus dem Institut
für Landwirtschaftliche Betriebslehre, Fachgebiet Agrarinformatik und Unternehmensführung, der
Universität Hohenheim, Stuttgart.
Autorenanschrift: Prof. Dr. reiner doluschitz, Leiter des Fachgebiets Agrarinformatik und
Unternehmensführung sowie Leiter der Forschungsstelle für Genossenschaftswesen, Universität Hohenheim, 70593 Stuttgart, Deutschland
[email protected]
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214
Auswirkungen des Fettsäuremusters von Futterpflanzen auf
die Fettqualität von Milch und Fleisch
Von martin gierus, insa alter und friedhelm taube, Kiel
1
Einleitung und Zielsetzung
In der vorliegenden Arbeit soll eine Verbindung zwischen Pflanzenanbau und der Veredlung von Pflanzen, in Form von Milch und Fleisch, hergestellt werden. Im Gegensatz
zu den Produkten von Wiederkäuern, haben Pflanzen einen hohen Gehalt an mehrfach
ungesättigten Fettsäuren. Milch- und Fleischrinder wandeln die mehrfach ungesättigten
Fettsäuren im Pansen zu gesättigten Fettsäuren um. Die Betrachtung der Entstehungsund Umwandlungsprozesse von Fettsäuren in Pflanze und Tier ist insofern von großer
Bedeutung, als die Fettzusammensetzung und der Fettgehalt tierischer Produkte bereits
durch die Erzeugung beeinflusst werden können. Der Einfluss von Haltung und Fütterung, insbesondere von Weide- bzw. Stallhaltung, stehen im Mittelpunkt dieser Arbeit. Es
werden sowohl die Auswirkungen der Haltung und Fütterung von Rindern sowie die Produktqualität von Milch und Fleisch für die menschliche Ernährung thematisiert, als auch
die verarbeitungstechnologischen Faktoren, die durch ein günstigeres Fettsäuremuster in
Produkten entstehen. Daher soll ein Überblick über die Fettsäurensynthese in Futterpflanzen, die Bedeutung von Fettsäuren in Pflanzen, sowie die Verwertung der pflanzlichen
Fette bei Wiederkäuern gegeben werden. Als weiterer Aspekt wird die Fettsäurezusammensetzung von importiertem Rindfleisch, insbesondere aus Südamerika, angesprochen,
da dies einen zunehmenden Marktanteil in Deutschland erlangt. Es wird diskutiert, ob sich
die Fettsäurezusammensetzung des aus Südamerika importierten Rindfleisches durch die
extensivere Haltung, die Unterschiede in Fütterung und Genetik von heimischem Rindfleisch unterscheidet.
2
Bedeutung der Fettqualität von Milch und Fleisch
für die menschliche Ernährung
Im Vordergrund steht der Gesundheitswert von Milch und Fleisch, denn dieser ist heute
eines der wichtigsten Kriterien, nach dem sich Konsumenten für den Kauf eines Produktes
entscheiden. Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass nicht alle Fettsäuren, die in Milch
und Fleisch enthalten sind, einen negativen Effekt auf die Gesundheit haben. Einerseits ist
bekannt, dass Laurinsäure (C12:0), Myristinsäure (C14:0) und Palmitinsäure (C16:0) sich
ungünstig auf den LDL (low density lipoprotein)-Plasmagehalt auswirken (19). Andererseits enthält das Fett in Milch und Fleisch auch Fettsäuren, die für den Menschen gesundheitsfördernd sind. Gemeint sind die konjugierten Linolsäuren [conjugated linoleic acid
(CLA)]. Der CLA-Gehalt in Rindfleisch liegt bei ca. 4,3 mg/g Fett. In Schweinefleisch ist
hingegen nur ca. 0,6 mg CLA/g Fett enthalten (8). In Pflanzen liegt der Gehalt an CLA nur
bei 0,1 bis 0,7 mg/g Fett, denn Pflanzen sind im Gegensatz zu Wiederkäuern nicht in der
Lage trans-Fettsäuren zu bilden (18). Die Milch und das Fleisch von Wiederkäuern sind
daher die Hauptquellen für CLA in der Humanernährung. Es dürfte daher im Interesse des
Verbrauchers sein, den Gehalt an CLA in den Produkten weiter zu steigern, bzw. Produkte
U.S. Copyright Clearance Center Code Statement:
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Auswirkungen des Fettsäuremusters von Futterpflanzen auf die Fettqualität
215
auszuwählen, die einen höheren Anteil an CLA beinhalten. Die natürlichste Methode, die
zu einer Erhöhung führt, ist die Weidehaltung (18).
Mit dem Anteil an ungesättigten Fettsäuren variiert allerdings die Beschaffenheit des
Fettes. Bei vielen ungesättigten Fettsäuren ist der Schmelzpunkt niedrig, und damit auch
die Konsistenz der Fette weicher. Insbesondere bei Fleisch ist diese Eigenschaft als nachteilig zu bewerten, denn obwohl dieses Fett für den Konsumenten aus ernährungsphysiologischer Sicht gesünder ist, wird es aufgrund der weichen Konsistenz gemieden, bzw. führt
zu einer verkürzten Haltbarkeit, da das Fett leichter oxidiert.
3
Fettsäuren in Futterpflanzen
3.1
Funktionen der Fettsäuren
Bei Fettsäuren handelt es sich um charakteristische Verbindungen höherer Pflanzen. Im
Gegensatz zum Tier dienen Fettsäuren den Pflanzen als Bausteine der Triacylglycerine
nicht als Energiespeicher, sondern primär als Kohlenstoffspeicher. Außerdem sind sie
Bausteine der polaren Glycerolipide, welche den Hauptbestandteil der Membranen bilden
(12). Die meisten Membranlipide leiten sich vom Glycerin ab. Dieses Lipid verfügt im
Gegensatz zu den Triacylglycerinen über eine polare Kopfgruppe, deren Struktur sehr
unterschiedlich sein kann. Die häufigsten polaren Gruppen sind die Phospholipide und die
Galaktolipide. Die Phospholipide, deren Kopfgruppe Phosphat enthält, werden vor allem
in die Membranen der Mitochondrien und in die Plasmamembran eingebaut, während
den Galaktolipiden, deren Kopfgruppe aus Zuckern besteht, in den Chloroplasten eine
große Bedeutung zukommt. Diese Lipide sind Hauptbestandteil der Thylakoidmembranen
(16). Die polaren Glycerolipide sind amphiphile Moleküle. In den polaren Glycerolipiden
kommen fast ausschließlich Fettsäuren mit 16 oder 18 Kohlenstoffatomen vor, von denen
wiederum der größte Teil ungesättigt ist und über ein bis drei Kohlenstoffdoppelbindungen verfügt.
Der hohe Anteil ungesättigter Fettsäuren in Pflanzen ist physiologisch begründet.
Durch die cis-ständigen Kohlenstoffdoppelbindungen können sich die Fettsäuren nicht
zu regelmäßigen Packungen zusammenlagern, wie dies bei gesättigten Fettsäuren erfolgt.
Dieser Umstand hat großen Einfluss auf die Fluidität der Membran, welche durch den
Anteil ungesättigter Fettsäuren in den Membranlipiden geprägt wird. Mit steigender
Anzahl ungesättigter Fettsäuren in der Membran nimmt auch deren Fluidität zu. Auch der
Schmelzpunkt der Fettsäuren sinkt mit steigender Anzahl an Doppelbindungen stark ab.
Je kürzer die Fettsäureketten und je höher die Anzahl der Doppelbindungen sind, umso
geringer ist der Schmelzpunkt. So ist es verständlich, dass viele Pflanzen während des
Wachstums bei niedrigen Temperaturen hoch ungesättigte Fettsäuren in die Membran einbauen, denn dadurch bleiben die Membranen auch bei niedrigen Temperaturen durchlässig
anstatt zu erstarren (2; 22). Dennoch ist die Fettsäurezusammensetzung der Membranen
nicht maßgeblich für die Kältetoleranz von Futterpflanzen.
3.2
Biosynthese von Fettsäuren
Die Biosynthese von geradzahligen gesättigten Fettsäuren in den Pflanzen ist Aufgabe der
Plastiden. Im grünen Blatt werden Fettsäuren in den Chloroplasten synthetisiert; in nicht
grünen Blättern in den Leukoplasten und Chromoplasten und im reifenden Samen in den
Proplastiden. Weil Fettsäuren in der Pflanze nicht über weite Strecken transportiert werden
können, erfolgt die Fettsäurensynthese in jeder Zelle individuell. Das Ausgangsmaterial
für die Synthese von Fettsäuren bildet der bei der CO2-Assimilation fixierte Kohlenstoff in
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den Chloroplasten. Der Aufbau erfolgt aus C2-Körpern, wobei Acetyl-CoA das Startermolekül darstellt, an das schrittweise Malonyl-CoA Einheiten addiert werden. So entstehen
Fettsäuren mit bis zu 18 C-Atomen. Haben die Fettsäuren eine Länge von 12 C-, 16 Coder 18 C-Atomen erreicht, so werden sie durch Thioesterasen vom Acylcarriertransport
getrennt und in das Zytoplasma exportiert. Im Zytoplasma werden die Fettsäuren an das
CoA gebunden. In dieser Form werden die Fettsäuren dann an den Membranen des endoplasmatischen Retikulums (ER) modifiziert. An den Membranen des ER befinden sich
die Elongasen, deren Aufgabe darin besteht neue C2-Einheiten an die CoA gebundenen
Fettsäuren zu binden (2; 23).
Aus der bisher beschriebenen Fettsäuresynthese sind allerdings nur gesättigte Fettsäuren hervorgegangen. Das Einfügen von Doppelbindungen wird als Desaturierung bezeichnet. Eine einzige Desaturierung kann schon in den Chloroplasten erfolgen. Gemeint ist
die Desaturierung von der Stearinsäure (C18:0) zur Ölsäure (C18:1). Das Einfügen von
Doppelbindungen erfolgt schrittweise durch Desaturasen, die integrale Membranproteine
sind (23).
In Abbildung 1 sind auf der linken Seite ungesättigte und unkonjugierte Fettsäuren
sowie ein cis-Isomer aufgezeigt. Nach diesem Muster ist auch der überwiegende Teil der
Fettsäuren in pflanzlichen Fetten aufgebaut. Dargestellt werden die ungesättigten Fettsäuren, die sich durch mindestens eine Doppelbindung auszeichnen. Konjugierte Fettsäuren
und trans-Isomere Formen, welche auf der rechten Seite der Abbildung 1 zu sehen sind,
sind vor allem in den Produkten der Wiederkäuer nachzuweisen, dort entstehen sie durch
Umwandlungsprozesse im Pansen bei zum Teil unvollständigen Hydrierungen mit Wasserstoff. Diese Produkte werden auch als konjugierte Linolsäuren bezeichnet (1; 18).
Abb. 1. Schematische Darstellung von Fettsäuren und deren räumliche Struktur
Quelle: (nach 1)
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Auswirkungen des Fettsäuremusters von Futterpflanzen auf die Fettqualität
3.3
217
Fettsäuremuster verschiedener Futterpflanzen
Die Fettgehalte verschiedener Futterpflanzen liegen zwischen 1–5 % der Trockensubstanz (TS). Die anteilsmäßig wichtigsten Fettsäuren in Futterpflanzen sind Palmitinsäure
(C16:0), Linolsäure (C18:2) und α-Linolensäure (C18:3). Die Zusammensetzung kann
in Abhängigkeit von der Pflanzenart und dem Schnittzeitpunkt sehr stark variieren (1;
5; 9). In aller Regel handelt es sich bei 50–75 % der Fettsäuren in Futterpflanzen um
α-Linolensäuren, bei weiteren 16 % um Linolsäuren, weitere 16 % machen die Palmitinsäuren aus, welche damit die größte Gruppe der gesättigten Fettsäuren in Futterpflanzen
darstellen. Andere Fettsäuren kommen nur in geringeren Anteilen vor (3).
Die Fettsäuremuster von Deutschem Weidelgras und Weißklee sind in Tabelle 1 beispielhaft aufgeführt (3). Für diesen Versuch wurden die Pflanzen in Gefäßen aufgezogen
und die Ernten erfolgten im Abstand von jeweils drei Wochen. Die Ergebnisse lassen das
oben beschriebene typische Fettsäuremuster der Pflanzen erkennen. So enthält Weißklee
mit durchschnittlich 58,2 % α-Linolensäure am Gesamtfettsäuregehalt weniger von dieser
Fettsäure als Deutsches Weidelgras mit durchschnittlich 67,1 %; dafür aber mit 18,4 %
Linolsäure am Gesamtfettsäuregehalt etwa 5,4 %-Punkte mehr als Deutsches Weidelgras.
Auch ist festzuhalten, dass der Gesamtfettsäuregehalt von Weißklee mit 3,1 bis 4,5 %
etwas niedriger ist als der von Deutschem Weidelgras mit 4,0 bis 5,1 %. Nach clapham
et al. (3) zeichnen sich Gräser durch einen, im Verhältnis zu anderen Futterpflanzen, geringen Gehalt an der gesättigten Fettsäure Palmitinsäure (C16:0) aus. Dieser liegt zwischen
13 und 15 % am Gesamtfettsäuregehalt.
Tabelle 1. Fettsäuremuster von Deutschem Weidelgras (Lolium perenne) und
Weißklee (Trifolium repens) in Abhängigkeit vom Erntezeitpunkt (in g/kg TS)
Laurinsäure – C12:0
Myristinsäure – C14:0
Palmitinsäure – C16:0
Palmitoleinsäure – C16:1
Stearinsäure – C18:0
Ölsäure – C18:1
Linolsäure – C18:2
α-Linolensäure – C18:3
Lolium perenne
1.
2.
3.
Ernte
Ernte
Ernte
0,03
0,05
0,07
0,62
0,62
0,61
6,99
6,35
5,91
0,94
0,74
0,56
0,30
0,32
0,28
1,46
1,01
0,71
6,76
5,74
5,47
34,70
31,50
26,80
Trifolium repens
1.
2.
3.
Ernte
Ernte
Ernte
0,02
0,02
0,10
0,42
0,42
0,51
6,52
5,62
4,85
1,01
0,75
0,59
0,54
0,47
0,44
1,40
0,89
1,21
8,23
5,89
6,27
26,70
20,30
17,80
Quelle: (nach 3)
Unterschiede im Fettgehalt und in der Fettzusammensetzung zwischen verschiedenen
Grasarten wurden bereits untersucht (5; 9). dewhurst et al. (5) stellten in einem Versuch
verschiedene Grasarten gegenüber, um zu beobachten wie sich ihr Fettsäuremuster in
Abhängigkeit von Schnittzeitpunkt und Art voneinander unterscheiden. Alle Arten wurden
im November, Juli und September geerntet. Es ist zu erkennen, dass die verschiedenen
Grasarten Unterschiede in der Fettsäurenzusammensetzung aufweisen (Tab. 2).
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Tabelle 2. Effekt von Grasart und Schnittzeitpunkt auf den Gehalt an Fettsäuren
bei unterschiedlichen Gräsern (in g/kg TS)
Fettsäure Schnittzeitpunkt
C16:0
C18:0
C18:1
C18:2
C18:3
Summe
November
Juli
September
November
Juli
September
November
Juli
September
November
Juli
September
November
Juli
September
November
Juli
September
Dactylis
glomerata
4,61
3,91
2,67
0,53
0,92
0,32
0,71
0,45
0,30
2,98
2,85
2,09
11,53
10,56
8,72
21,62
19,67
14,92
Lolium
multiflorum
6,61
3,05
3,88
1,30
0,94
0,73
1,83
0,84
0,59
3,45
2,26
2,48
15,28
6,94
9,33
29,80
14,66
17,91
Lolium
perenne
5,73
4,30
4,11
1,21
1,01
0,78
1,64
1,24
0,69
3,15
2,90
2,71
11,09
11,42
12,28
24,09
21,82
21,66
Art ×
Ernte
***
***
*
*
***
***
* P<0,05; *** P<0,001
Quelle: (nach 5)
Des Weiteren ist ein saisonal bedingter Anstieg des Fettgehaltes zu erkennen. So ist der
Fettgehalt in diesem Versuch mit 2,2 % i. d. Trockensubstanz für Dactylis glomerata, 3,0 %
i. d. Trockensubstanz für Lolium multiflorum und 2,4 % i. d. Trockensubstanz für Lolium
perenne bei allen drei Gräsern im November am höchsten. elgersma et al. (9) untersuchten die Fettsäurenzusammensetzung verschiedener Deutsch-Weidelgras-Sorten und
konnten im Gegensatz keine Unterschiede zwischen den Sorten beobachten.
Neben Gras und Graskonservaten, macht Maissilage in den meisten deutschen Milchviehherden einen erheblichen Anteil des Grundfutters aus. Die Maissilage hat sich sowohl
bei der Verfütterung an Milchvieh, als auch an Masttiere als energiereiches Grundfutter
durchgesetzt. Folglich sind nicht nur die Einflüsse einzelner Futterkomponenten, sondern auch die durch die Kombination von Gras bzw. Grassilage und Maissilage erhöhten
Mengen an Stärke und Faser (Neutral-Detergenzienfaser, NDF) zu betrachten. Dies führt
auch zu Veränderungen im Pansenmillieu. Der pH-Wert wird verändert sowie die Zusammensetzung der Pansenmikrobenpopulation, und somit die Verhältnisse der entstehenden
flüchtigen Fettsäuren (30).
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Auswirkungen des Fettsäuremusters von Futterpflanzen auf die Fettqualität
219
Tabelle 3. Fettsäuremuster von Mais- und Grassilage (in % am Gesamtgehalt)
Fettsäure
Laurinsäure – C12:0
Myristinsäure – C14:0
Palmitinsäure – C16:0
Palmitoleinsäure – C16:1
Stearinsäure – C18:0
Ölsäure – C18:1
Linolsäure – C18:2
Linolensäure – C18:3
Maissilage
0,47
1,40
18,84
0,32
1,41
15,76
56,32
5,47
Grassilage
0,51
4,94
19,29
2,49
1,18
4,47
19,79
47,31
Quelle: (nach 24)
Wie Tabelle 3 zeigt, weisen die untersuchten Mais- und Grassilagen Unterschiede in der
Fettsäurezusammensetzung auf. Unterschiedliche Fettsäurezusammensetzungen in Milch
und Fleisch sind zu erwarten die nicht allein den Rationskomponenten zuzuschreiben sind,
sondern auch von den Abbauprozessen und der -dynamik in den Vormägen beeinflusst werden (24). Im Vergleich zu Grassilagen und leguminosenhaltigen Mischungen weicht das
Fettsäuremuster der Maispflanzen ab. Die Ursachen für diese deutlichen Unterschiede sind
nicht nur im Alter der Pflanzen oder der Rationsgestaltung, sondern auch in der Physiologie der Pflanzen zu finden. Im Gegensatz zu den Gemengen werden die Maispflanzen als
einjährige Nutzpflanzen im Herbst geerntet. Diese Pflanzen sind also im Normalfall nicht
dem Frost ausgesetzt, was wiederum bedeutet, dass auch das Fett dieser Pflanzen keinen
Minustemperaturen ausgesetzt wird und somit der Anteil an Fettsäuren mit einem niedrigen
Schmelzpunkt abnimmt. Gras hingegen lagert gerade im Herbst verstärkt mehrfach ungesättigte Fettsäuren ein, um im Winter auch bei Frost zu überleben (24). Es ist außerdem festzuhalten, dass die Samen das Fettsäuremuster der Gesamtpflanzen maßgeblich beeinflussen.
Fettspeichernde Samen enthalten nur C:18 Fettsäuren, die bis zur Stufe der Linolsäure
desaturiert sind. Ausgenommen davon sind die Samen von Cruciferen, Leguminosen und
Linaccen. Dessen Embryonen sind in der Lage, bereits in den ersten Reifestadien photosynthetisch aktive Chloroplasten mit einem hohen Gehalt an α-Linolensäure zu entwickeln
(31).
Zusammenfassend ist zu sagen, dass das Fettsäurenmuster in den unterschiedlichen
Futterpflanzen je nach Nutzungsintensität bzw. Auswahl der Art deutlich variieren kann.
Es besteht dadurch die Möglichkeit, durch die Rationsgestaltung Einfluss auf die Fettsäurenzusammensetzung des Futters zu nehmen.
4
Einflussfaktoren auf das Fettsäuremuster – Bewirtschaftung
4.1
Der Schnittzeitpunkt
Der Schnittzeitpunkt übt einen Einfluss auf das Fettsäuremuster der Futterpflanzen aus.
So ist der Fettsäurengesamtgehalt, insbesondere der Anteil von α-Linolensäure (C18:3),
während des vegetativen Wachstums besonders hoch. Ist das vegetative Wachstum abgeschlossen, so sinkt der Fettgehalt. Dies ist im Sommer, insbesondere zum Zeitpunkt der
Blüte, der Fall. Im Herbst ist ein erneuter Anstieg des Fettgehaltes in den Pflanzen zu
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beobachten (3). Nachgewiesen wurde dieser Effekt (5) unter anderem bei Deutschem Weidelgras, Knaulgras und Weißklee (Tab. 2).
Der schwankende Gehalt an Fettsäuren in den Pflanzen ist auf den sich verändernden
Blattanteil an der Pflanze während des Jahres zurückzuführen. Bei einem hohen Blattanteil ist auch der Fettgehalt in der Pflanze hoch, während er bei einem niedrigen Blattanteil dementsprechend niedrig ist. Die Erklärung dafür ist, dass es sich bei den Blättern
um photosynthetisch aktives Gewebe handelt, welches Chloroplasten enthält, aus denen
die Fettsäuren in den Pflanzen stammen. Während des vegetativen Wachstums steigt der
Blattanteil an der Gesamtpflanze. In diesem Abschnitt des Wachstums nimmt der Anteil
an Stängeln an der Pflanze zu. Die Stängel enthalten nur wenige Fettsäuren, sodass der
Fettgehalt in der Pflanze insgesamt abnimmt. Die niedrigeren Konzentrationen an Fettsäuren in den Pflanzen hängen mit einem zunehmenden Verdünnungseffekt, bedingt durch
Wachstum, zusammen (3). Während des Pflanzenwachstums steigen auch die Konzentrationen an Zellulose, Hemizellulose und Lignin und tragen zu diesem Verdünnungseffekt
bei (3).
Soll das Fettsäuremuster der Pflanzen über den ganzen Sommer auf einem konstant
hohen Niveau gehalten werden, so gibt es die Möglichkeit durch gezieltes Management
die Variation im Fettsäuremuster zu minimieren (3). Diese Strategie beruht darauf, bei den
Pflanzen das vegetative Entwicklungsstadium durch eine regelmäßige Ernte der Pflanzen
aufrechtzuerhalten. Wie in Tabelle 1 zu erkennen, ist bei der ersten Nutzung der Fettgehalt
durchschnittlich am höchsten und nimmt mit jeder weiteren Ernte ab. Das gilt sowohl für
Deutsches Weidelgras, als auch für Weißklee. Auch hier kann wieder der Bezug zum Blattanteil an der Gesamtpflanze bei Deutschem Weidelgras hergestellt werden, denn dieser ist
für gewöhnlich beim ersten Aufwuchs am höchsten und nimmt mit jedem weiteren Aufwuchs ab. Zum Herbst hin, das heißt wenn eine Überwinterung bevorsteht, werden wieder
verhältnismäßig mehr Fettsäuren in die Pflanzen eingelagert, wie anhand von Tabelle 2
veranschaulicht wird.
4.2
Futterkonservierung
Die Zusammensetzung des Fettsäuremusters von frischem Grünfutter ist eine andere
als die von konserviertem Grünfutter. Dies spiegelt sich auch in den unterschiedlichen
Zusammensetzungen der Fettsäuremuster in Milch und Fleisch wieder. Hier sind deutliche
Unterschiede zu erkennen, wenn man die Milchfettzusammensetzung von Kühen aus der
Weidehaltung mit denen aus der Stallhaltung vergleicht (19).
In einer Studie wurde die Fettsäurezusammensetzung von frischem Grünfutter und von
Silage für drei verschiedene Futterpflanzenmischungen ermittelt (21). Bei den Mischungen handelte es sich um eine reine Gräsermischung, eine Klee/Gras-Mischung und eine
Luzerne/Gras-Mischung, wobei hier die Ergebnisse des zweiten Schnitts aufgeführt sind
(Tab. 4). Es werden die fünf Fettsäuren mit dem höchsten Anteil am Gesamtfettgehalt
betrachtet. Die Ergebnisse des Versuches betrachtend kann zusammengefasst werden, dass
es durchaus zu Verschiebungen des Fettsäuremusters während der Konservierung von
Futter kommt, aber auch, dass diese von der Pflanzenart abhängig sind. Der Gesamtfettgehalt von frischem Grünfutter und Silage unterscheidet sich nur leicht, im Gegensatz
zu dem von Heu. Bei Heu gehen bis zu 20 % der Fettsäuren während der Konservierung
verloren.
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Auswirkungen des Fettsäuremusters von Futterpflanzen auf die Fettqualität
Tabelle 4. Vergleich der Fettsäurenzusammensetzung von Grünfutter und Silage
(in g/kg TS)
Fettsäuren
Palmitinsäure
Stearinsäure
Ölsäure
Linolsäure
Linolensäure
Σ Fettsäuren
Gräsermischung Gras/Klee
C16:0
Grünfutter
Silage
C18:0
Grünfutter
Silage
C18:1
Grünfutter
Silage
C18:2
Grünfutter
Silage
C18:3
Grünfutter
Silage
C8:0 – C24:1 Grünfutter
Silage
2,09
2,80
0,21
0,21
0,31
0,39
2,17
2,72
9,49
10,20
14,55
16,89
Gras/
Luzerne
2,25
3,11
0,21
0,26
0,32
0,42
2,51
3,11
12,84
10,74
18,29
18,53
2,39
3,73
0,21
0,31
0,34
0,39
2,63
2,90
12,18
7,89
18,00
16,23
Quelle: (nach 21)
Bei den in dem Versuch analysierten Proben der reinen Gräsermischung ist der Gesamtgehalt an Fettsäuren in siliertem Futter höher als in frischem Futter. Im Allgemeinen sind
die Unterschiede im Fettgehalt zwischen frischen und konservierten bzw. getrockneten
Produkten auf die stattfindenden Oxidationen zurückzuführen. Durch Lipolyse werden
während der Trocknung Lipide abgebaut. Das Ergebnis sind höhere Fettgehalte in frischem Grünfutter als in Silage oder Heu. Die Gehalte in Heu sind in jedem Fall die
niedrigsten. Die Aktivität mikrobieller Lipasen während der Anwelk- und anschließenden Gärphase ist allerdings von Pflanzenart zu Pflanzenart verschieden (6). Die aus dem
Versuch gewonnenen Daten (vgl. Tab. 4) deuten darauf hin, dass die Lipasen der Luzerne
eine höhere Aktivität aufweisen können, als die in Gras. Zu klären bleibt, inwiefern sich
eine bestimmte Artenmischung, wie sie im Dauergrünland vorkommt, auf das Fettsäurenmuster von konserviertem Futter auswirkt, da die meisten Studien sich auf einzelne
Futterpflanzen konzentrieren.
5 Aufnahme pflanzlicher Fette durch den Wiederkäuer
Um zu klären, inwieweit das Fettsäuremuster der Futterpflanzen das Fettsäuremuster des
Milchfettes und des Fleisches beeinflusst, muss zunächst der Abbau des Futters im Wiederkäuer und der Aufbau von Milchfett und intramuskulärem Fett erläutert werden.
5.1
Umsetzungen im Pansen
Die aufgenommenen Pflanzenteile gelangen zuerst in den Pansen der Milchkuh oder des
Fleischrindes, wo sie um- und abgebaut werden. Als Erstes wird Fett, das in den Pansen gelangt, der Lipolyse unterzogen. Bei diesem Vorgang werden die Fettsäuren und
das Glycerin durch bakterielle Enzyme voneinander getrennt. Das abgespaltene Glycerin
kann von den Mikroorganismen energetisch genutzt werden; außerdem kann es zum Teil
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an der Pansenwand absorbiert werden (29). Die freien Fettsäuren können in ihrer Form
nicht von Mikroorganismen genutzt werden. Nur kurzkettige Fettsäuren werden im Pansen
absorbiert. Andere Fettsäuren werden erst mit Wasserstoff abgesättigt. Hierbei ist hervorzuheben, dass das Milieu im Pansen anaerob und wasserstoffreich ist. Somit ist eine
Biohydrogenierung von ungesättigten Fettsäuren von der Menge an gefüttertem Fett und
dessen Anteil an gesättigten Fettsäuren abhängig. Ungesättigte Fettsäuren werden einer
mikrobiellen Hydrierung unterzogen, was bedeutet, dass Wasserstoff angelagert wird und
dadurch die Doppelbindungen beseitigt werden. Ca. 68–87 % der ungesättigten Fettsäuren
werden im Pansen hydrogeniert. Für die Hydrierung gibt es zwei Gruppen von Bakterien.
Die eine Gruppe hydriert Linol- und α-Linolensäure zu trans-Vaccensäure; die andere
Gruppe Bakterien hydriert cis- und trans- Isomere der ungesättigten Fettsäuren zu Stearinsäuren (4). Bei diesen Prozessen entstehen aus den mehrfach ungesättigten Fettsäuren
(polyunsaturated fatty acids = PUFA) neben gesättigten Fettsäuren (saturated fatty acids =
SFA) auch die einfach ungesättigten Fettsäuren (monosaturated fatty acids = MUFA).
Dass neben den gesättigten Fettsäuren auch einfach ungesättigte Fettsäuren entstehen liegt
daran, dass bei der Hydrierung zum Teil die Positionen der Wasserstoffgruppen an den
Doppelbindungen verändert werden. Auf diese Weise entsteht unter anderem aus Linolsäure die konjugierte Linolsäure. Dabei werden die in Pflanzen gehäuft vorkommenden
cis-Isomere in trans-Isomere umgewandelt. Durch ein Zusammenrücken der isolierten
Doppelbindungen entsteht eine Konjugation (siehe auch Abb. 1). Das Resultat dieses
Vorgangs ist die konjugierte Linolsäure, auch CLA genannt. Den konjugierten Linolsäuren wird eine positive Wirkung auf die menschliche Gesundheit nachgesagt, weshalb ein
hoher Gehalt an CLA in der Milch und im Fleisch durchaus erwünscht ist (17).
5.2 Auswirkungen auf den Milchfettgehalt und die -qualität
Ein Liter Milch enthält, wenn von Milch in ihrem rohen Zustand ausgegangen wird, im
Durchschnitt etwa 4,1 % Fett (2,5–5,5 %). Milchfett besteht hauptsächlich aus Triacylglycerinen, Phospholipiden und Sterolen, wobei die Tryacylglycerine mit 98 % den höchsten
Anteil aufweisen. Der Anteil an Phospholipiden ist mit 0,5 bis 1,0 % gering, während
die Sterole in Milchfett lediglich 0,2 bis 0,5 % ausmachen. Cholesterol ist das wichtigste
Sterol in der Milch mit 100–200 mg/l. Die Zusammensetzung des Milchfettes variiert
wenig zwischen den verschiedenen Milchviehrassen. Unterschiede tauchen eher zwischen
Tierarten auf.
Für einen Überblick über das Fettsäuremuster des Milchfettes lassen sich die Fettsäuren in vier Hauptgruppen einteilen. Bei der ersten Gruppe handelt es sich um die kurzkettigen Fettsäuren, mit vier bis zehn C-Atomen. Diese machen etwa 10–11 % der Fettsäuren
in Milch aus. Die zweite Gruppe sind die mittelkettigen, gesättigten Fettsäuren mit 12 bis
14 C-Atomen, welche 12–16 % der Fettsäuren darstellen. Die langkettigen, gesättigten
Fettsäuren mit 16 bis 20 C-Atomen repräsentieren die dritte Gruppe. Diese Gruppe hat
mit 35–45 % den höchsten Anteil an Fettsäuren im Fettsäuremuster des Milchfettes. In
der vierten Gruppe sind dann wiederum langkettige Fettsäuren mit 16 bis 20 C-Atomen
enthalten, die aber ungesättigt sind. Die ungesättigten, langkettigen Fettsäuren machen
25–35 % der Fettsäuren aus (4). Bei der Beurteilung der Fettqualität von Milch (und
Fleisch) sollte das Verhältnis von Omega-6- zu Omega-3-Fettsäuren beachtet werden.
Das Verhältnis dieser beiden Fettsäuren sollte unter dem Gesichtspunkt einer gesunden
Ernährung kleiner sein als 5:1 (11).
Der Nahrungsbrei passiert den Labmagen, bevor er in den Dünndarm gelangt, wo unter
anderem die Fettsäuren (CLA und langkettige Fettsäuren) absorbiert werden. Fettsäuren,
vor allem die Stearinsäuren (C18:0), können durch Desaturasen im Verdauungskanal und
in der Milchdrüse teilweise desaturiert werden. Auf diese Weise gelangen also Fettsäuren
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Auswirkungen des Fettsäuremusters von Futterpflanzen auf die Fettqualität
aus dem Futter in das Milchfett und in das Depotfett. Fettsäuren aus dem Futter machen
allerdings maximal ein Drittel der Fettsäuren im Milchfett aus (4). Eine Energiemangelsituation kann insofern das Fettsäuremuster der Milch beeinflussen, als das die Fettsäuren
nicht nur aus dem Futter, sondern dann auch aus dem abgebauten Depotfett des Tieres
stammen.
In Tabelle 5 ist ein Referenzfettsäuremuster des Milchfettes aufgeführt (25), indem
sich die von collomb et al. (4) angeführten Verhältnisse widerspiegeln. Bei den Werten
aus Tabelle 5 handelt es sich um Durchschnittswerte, von denen einzelne Untersuchungen
durchaus abweichen können. Bis zu zwei Drittel der Fettsäuren im Milchfett werden im
Eutergewebe de novo synthetisiert. Als Ausgangsmaterial für die Neusynthese von geradzahligen kurz- und mittelkettigen Fettsäuren dienen Acetyl-CoA und 3-Hydroxybutyrat,
welche aus der Pansenwand absorbiert werden und aus dem Abbau von Kohlenhydraten
im Pansen stammen. Aus der de novo Fettsynthese gehen gesättigte Fettsäuren mit vier
bis 16 C-Atomen hervor (11). Die mittel- und langkettigen Fettsäuren des Milchfettes
resultieren aus der Absorption und Verdauung der Nahrungsfette oder aus der Mobilisierung von Depotfett. Fettsäuren aus Depotfett werden gehäuft zu Beginn einer Laktation
freigesetzt, da sich die Milchkuh zu diesem Zeitpunkt oft in einer negativen Energiebilanz
befindet (11). Das Einschmelzen des Depotfetts erfolgt durch Lipasen. Die frei werdenden
Fettsäuren können von der Milchdrüse aufgenommen und verestert werden.
Tabelle 5. Referenzfettsäuremuster des Milchfettes (in g/100 g Fett)
und Ursprung der Fettsäuren
Fettsäure
Buttersäure – C 4:0
Capronsäure – C 6:0
Caprylsäure – C 8:0
Caprinsäure – C 10:0
Laurinsäure – C12:0
Myristinsäure – C14:0
Palmitinsäure – C16:0
Palmitoleinsäure – C16:1
Stearinsäure – C18:0
Ölsäure – C18:1
Linolsäure – C18:2
Linolensäure – C18:3
>C20:0
Fettgehalt
3,32
2,34
1,19
2,81
3,39
11,41
29,53
3,38
9,84
27,39
2,78
1,12
0,40
Spanne
2,0– 4,6
1,5– 3,0
0,7– 1,9
1,7– 4,1
2,0– 5,2
8,9–14,4
19,9–41,1
2,0– 5,0
6,2–17,8
17,2–37,0
1,9– 7,5
0,2– 2,7
0,1– 0,7
De novo
Euter
Leber
x
x
x
x
x
x
x
–
–
–
–
–
–
x
x
x
x
x
x
x
–
–
–
–
–
–
Plasma
–
–
–
–
–
–
x
x
x
x
x
x
x
Quelle: (nach 25)
Im Milchfett sind auch mehrfach ungesättigte Fettsäuren zu finden. Diese können nicht
von Mikroorganismen gebildet, sondern müssen mit dem Futter aufgenommen werden.
Aufgrund der Hydrierung mehrfach ungesättigter Fettsäuren im Pansen ist der Gehalt an
mehrfach ungesättigten Fettsäuren im Milchfett gering. Es kann davon ausgegangen wer-
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den, dass von den 500 g pro Tag aufgenommenen α-Linolensäuren aus dem Gras lediglich
25 g dem Abbau im Pansen entgehen (33).
Mehrfach ungesättigte Fettsäuren, die in das Milchfett gelangen, werden zunächst
absorbiert und von Lipoproteinen im Blut transportiert. Bei diesen Lipoproteinen handelt es sich um „High Density Lipoproteins (HDL)“, also um Lipoproteine hoher Dichte,
welche in der Leber gebildet werden. Mithilfe der Lipoproteine gelangen die mehrfach
ungesättigten Fettsäuren in die Milchdrüse.
Neben den Lipoproteinen gibt es noch eine weitere Transportform für die Fettsäuren
(speziell Nahrungsfette) im Blut, die Plasmalipide. Zu den Plasmalipiden gehören Chylomikronen, VLDL (very low density Lipoprotein) und NEFA (non esterified fatty acid).
Die Absorption der Fettsäuren erfolgt über in der Dünndarmwand gebildete Mizellen, wie
z. B. Chylomikronen. Über den Lymphweg gelangen die Fettsäuren in den Blutkreislauf
und können später unter Mitwirkung von Lipasen gespalten werden (11).
Der Einfluss verschiedener Futterpflanzen auf die Fettzusammensetzung der Milch
variiert z. T. stark. In Tabelle 6 ist eine Gegenüberstellung des Fettsäuremusters von Milch
sowie von Gras- und Maissilage dargestellt. Deutlich zu erkennen sind die Verschiebungen
in den Fettsäuremustern, die durch den ruminalen Fettabbau verursacht werden. Der Anteil
der gesättigten Fettsäuren steigt von durchschnittlich 24,0 % bei Mais- und Grassilage auf
63,8 % in der Milch. Auch der Anteil einfach ungesättigter Fettsäuren ist mit 33,4 % in
der Milch deutlich höher als in den Futterpflanzen. Die mehrfach ungesättigten Fettsäuren
sind in den Silagen mit durchschnittlich 64 % etwa 25-mal so hoch wie die in der Milch.
Zu erklären sind diese Unterschiede mit der Absättigung der ungesättigten Fettsäuren im
Pansen (11).
Tabelle 6. Gegenüberstellung der Fettsäuremuster von Milch sowie Mais- und
Grassilage in Bezug auf den Anteil an gesättigten, einfach ungesättigten und
mehrfach ungesättigten Fettsäuren (in % des Gesamtfettgehaltes)
Anteil gesättigte
Fettsäuren in %
Milch
Grassilage
Maissilage
63,83
25,92
22,12
Anteil einfach
ungesättigter
Fettsäuren in %
33,40
6,96
16,08
Anteil mehrfach
ungesättigter
Fettsäuren in %
2,78
67,10
61,79
Quelle
25
24
24
Mit zunehmendem Grasanteil in der Ration, steigt die Aufnahme an α-Linolensäure, und
damit der CLA-Gehalt in der Milch. Das Milchfett von einer auf frischem Grünfutter
basierenden Fütterung weist eine weichere Konsistenz auf als jenes, das auf Grundlage
von einer Maissilage oder mit einer totalen Mischration (TMR) produziert wurde. Die
Differenzen haben ihre Ursache im unterschiedlichen Gehalt an mehrfach ungesättigten
Fettsäuren (Linol- und α-Linolensäure) in den Futtermitteln. Da die mehrfach ungesättigten Fettsäuren nicht mikrobiell gebildet werden können, sondern mit dem Futter aufgenommen werden müssen, kommt es bei der Verfütterung von Silagen oder Heu, speziell
im Winter zu einer härteren Konsistenz des Milchfetts (19). Den positiven Einfluss einer
grasbetonten Ration stellten auch kelly et al. (14) beim Vergleich von Milchfett von
Kühen aus Weidehaltung, mit Milchfett von Kühen die mit einer mit TMR gefüttert wurden fest.
Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass das Fettsäuremuster der Milch mit steigendem Anteil an Grünfutter, bzw. Weidefutter, sich zugunsten des Anteils an mehrfach
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Auswirkungen des Fettsäuremusters von Futterpflanzen auf die Fettqualität
225
ungesättigten Fettsäuren, darunter CLA, entwickelt. Es ist daher möglich, das Fettsäuremuster des Milchfettes durch Fütterungsmaßnahmen zu verändern. Der Gehalt an Omega3-Fettsäuren und CLA in der Milch nimmt mit steigenden Anteilen von Maissilage in der
Ration und hohen Kraftfuttergaben ab. Dieser Zusammenhang wird auch in einer Zusammenstellung von weiss (33) in Tabelle 7 deutlich.
Tabelle 7. Anteil an gesättigten Fettsäuren, Omega-3-Fettsäuren und CLA am
Gesamtfettgehalt der Milch (in %)
Gesättigte Fettsäuren
Omega-3-Fettsäuren
CLA
1/3 Weide
56,0
0,8
0,9
2/3 Weide
52,0
1,6
1,5
3/3 Weide
50,0
2,1
2,3
Hochleistungs-TMR
57,0
0,6
0,4
Quelle: (nach 33)
Studien, in denen die Fettsäuremuster in der Milch unter Vollweidehaltung untersucht
wurden, sind allerdings auch kritisch zu betrachten. Eine Hochleistungskuh kann in reiner
Weidehaltung nicht ausreichend ernährt werden. Unter diesen Bedingungen wird, wie
bereits erläutert, Depotfett eingeschmolzen. Dies verändert das Fettsäuremuster der Milch
auf Kosten der Gesundheit der Kuh.
5.3 Auswirkungen auf die Fettqualität des Fleisches
Fettqualität und Fettgehalt von Fleisch spielen in der menschlichen Ernährung und damit
auch für den Handel eine immer größere Rolle. Verbraucher achten zunehmend auf eine
gesunde und fettarme Ernährung. Weithin unbekannt und unbeachtet bleibt dabei allerdings die Qualität, also die Zusammensetzung des Fettes. Allgemein wird Rindfleisch von
den Konsumenten als Produkt mit einem hohen Anteil an Fett, vor allem gesättigten Fettsäuren, beschrieben. Dabei ist dem Verbraucher oft nicht bekannt, dass der Fettgehalt von
Rindfleisch meist niedrig ist, und dass es sich bei den Fettsäuren auch um eine günstige
Fettsäurezusammensetzung, einschließlich Omega-3-Fettsäuren und CLA handelt (6).
Das Fettsäuremuster von Rindfleisch variiert jedoch sehr stark, da die Fettsäurezusammensetzung abhängig ist von der Tierart, der Rasse, dem Geschlecht des Tieres, dem
Alter, besonders aber von der Fütterung. Der Fettgehalt von Fleisch setzt sich zusammen
aus Depotfett, also dem Unterhautfettgewebe, dem intermuskulären und intramuskulären Fett. Des Weiteren werden Fette in Form von Phospholipiden in die Zellmembranen
eingelagert. Der intramuskuläre Fettgehalt spielt für den Konsumenten die größte Rolle,
denn dieser ist für die typische Marmorierung des Fleisches verantwortlich und hat großen
Einfluss auf den Geschmack, das Aroma und die Zartheit des Fleisches.
Aufgrund der Umwandlung der Fettsäuren durch die Mikroben im Pansen lässt sich
sowie beim Milchfett, die Fleischqualität nur bedingt durch die Fütterung beeinflussen.
Dies bedeutet gleichzeitig auch, dass nur ein kleiner Teil der mit dem Futter aufgenommenen Fettsäuren unverändert im Muskelfett oder im subkutanen Fett eingelagert wird.
Es stellt sich also die Frage, inwieweit die Fettzusammensetzung im Fleisch durch die
Fütterung beeinflusst werden kann. In einem Versuch (11) wurde beobachtet, dass sich der
Gehalt an Omega-3-Fettsäuren im Muskelfett bei Tieren mit Weidegang, im Gegensatz zu
Tieren die auf Kraftfutterbasis gemästet wurden, verdoppelte (Tab. 8). Auch hier kann das
Fettsäuremuster von Gras verantwortlich für den hohen Omega-3-Gehalt im Fleisch der
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Weidetiere gemacht werden, da es reich an α-Linolensäure (C18:3) ist. Mais und viele
Kraftfutterkomponenten hingegen enthalten viel Linolsäure (C18:2).
Tabelle 8. Fettsäuregehalte von Holstein Bullen und Fleckviehbullen in Bezug auf
Weide- und Stallmast (in mg/100 g Muskel)
Gesättigte Fettsäuren
Einfach ungesättigte Fettsäuren
Omega-3-Fettsäuren
Omega-6-Fettsäuren
Verhältnis Omega-6/Omega-3
Dt. Holstein Bullen
Stallmast Weidemast
1 506,0
1 047,0
1 490,0
852,9
28,1
65,1
181,7
124,7
6,5
1,9
Dt. Fleckvieh Bullen
Stallmast Weidemast
1 126,4
685,8
1 060,2
533,9
20,5
57,3
167,7
115,1
8,4
2,0
Quelle: (nach 10)
Der Einfluss von Grassilage auf das Fettsäuremuster im Fleisch wurde in einem Versuch
analysiert, dessen Ziel es war zu untersuchen, wie sich eine Endmast (von 440 kg bis zu
615 kg) basierend auf einer Maissilageration, gegenüber einer Endmast mit einer grasbetonten Ration bzw. einer Mischung von Gras- und Maissilage verhält (24). Über den
gesamten Versuchszeitraum betrachtet (167 Tage) nahmen die Tiere, deren Ration auf
Maissilage basierte, 172 kg Gewicht zu. Die mit Grassilage gemästeten Tiere waren zum
Ende des Versuches 146 kg schwerer als am Anfang und die Tiere, die eine Mischung aus
Gras- und Maissilage erhielten nahmen im Durchschnitt 154 kg Gewicht zu. Die höchsten
Zunahmen werden also bei einer reinen Maissilage-Kraftfuttermast erreicht (Tab. 9).
Tabelle 9. Fettsäuremuster des Fleisches aus einer grasbetonten, einer maisbetonten
und einer 50:50 Gras-Mais Ration (in % des Fettgehaltes)
Fettsäure
Laurinsäure – C12:0
Myristinsäure – C14:0
Palmitinsäure – C16:0
Palmitoleinsäure – C16:1
Stearinsäure – C18:0
Ölsäure – C18:1
Linolsäure – C18:2
Linolensäure – C18:3
Maissilage
0,14
3,38
35,96
5,05
9,54
39,26
5,87
0,79
50:50
0,15
3,49
34,69
3,40
8,57
42,05
6,27
1,37
Grassilage
0,18
3,54
36,88
4,04
9,11
38,32
6,13
1,78
Quelle: (nach 24)
Über die Komponenten des Kraftfutters wird das Fettsäuremuster des Muskelfettes zusätzlich beeinflusst. Trotz des Kraftfuttereinsatzes spiegelt sich ein Unterschied zwischen
grasbetonter und maisbetonter Ration im Fettsäuremuster des Muskelfettes wieder (24).
Es stellte sich heraus, dass das Fleisch der Tiere die grasbetont gefüttert wurden bessere
Qualitäten in Bezug auf Farbe, Fettoxidation und Vitamin E Gehalt aufwiesen. Wurde die
Grassilage in der Endmastration durch Maissilage substituiert, zeigten sich für die oben
genannten Qualitätsparameter Verschlechterungen (24). Diese Ergebnisse sind insbesondere für die Lagerfähigkeit einzelner Fleischpartien im Einzelhandel von Bedeutung.
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Auswirkungen des Fettsäuremusters von Futterpflanzen auf die Fettqualität
227
Die Mastdauer wirkt sich auf das Fettsäuremuster nicht so stark aus, wie die Intensität
der Fütterung. sami et al. (28) zeigten an einer Gruppe von Simmentaler Bullen, dass sich
das Fettsäuremuster des Muskelfleisches bei extensiver Fütterung günstiger verhält als bei
intensiver Fütterung. Dafür müssen die Tiere aber über einen längeren Zeitraum gemästet
werden, um das gleiche Schlachtgewicht zu erreichen. Werden die Bullen hingegen intensiv über einen längeren Zeitraum gefüttert, so ist eine deutliche Abnahme des Anteils an
mehrfach ungesättigten Fettsäuren im Muskelfett erkennbar.
Die Ergebnisse der Studien deuten darauf hin, dass in der Rindermast die Weidehaltung
bzw. die Fütterung von Grassilage positive Auswirkungen auf die Fettzusammensetzung
im Muskelfleisch hat. In der Praxis finden sich in Deutschland allerdings vor allem Mastbetriebe mit maisbetonten Rationen, was auf dessen höheren Energiegehalt und damit
geringe Kosten zurückzuführen ist.
6
Fettsäurezusammensetzung von eingeführtem Rindfleisch
Mit Blick auf den aktuellen Rindfleischmarkt wird deutlich, dass schon jetzt, aber vor
allem auch in der Zukunft, sehr viel Rindfleisch aus anderen Ländern, wie den südamerikanischen Staaten, Australien oder den USA importiert werden wird. Daher ist es wichtig
zu betrachten, inwieweit sich die Qualität des importierten Rindfleisches von der Qualität
des heimischen Rindfleisches unterscheidet.
Unterschiede in der Fettsäurezusammensetzung sind vor allem auf Umweltfaktoren
zurückzuführen. In einer umfassenden Studie wurde ein direkter Vergleich von Rindfleisch
aus verschiedenen Ländern vorgenommen (27). Dabei wurde das Rindfleisch aus den
verschiedenen Regionen hinsichtlich seines Fettsäuremusters verglichen. Bei dem Versuch wurden Fleischproben von Blau-Weißen-Belgiern (BB), Limousin (Limo), irischen
Rindern (Irish) und argentinischen Rindern (Argent) miteinander verglichen. Die Tiere
wurden in ihrem Herkunftsland, nach den regional typischen Verfahren gemästet. Dieses
Vorgehen ermöglicht einen Vergleich der Produkte in der Form, in der sie auch auf dem
Markt miteinander konkurrieren. Die Rassen Blau-Weiße-Belgier und Limousin wurden
in dem Versuch unter intensiven Bedingungen gemästet, d. h. mit einer maisbetonten
Ration und hohen Kraftfuttergaben. Die anderen beiden Rassen wurden extensiv, d. h.
unter Fütterung von Grassilage bzw. nur durch Beweidung gemästet. In Tabelle 10 sind
die Ergebnisse dieses Versuches als prozentuale Anteile von SFA, MUFA und PUFA am
Gesamtfettgehalt dargestellt. Aus Tabelle 10 geht hervor, dass die beiden extensiv gehaltenen Rassen, also die irischen und die argentinischen Rinder, den höchsten Gehalt an
gesättigten Fettsäuren und den niedrigsten Gehalt an mehrfach ungesättigten Fettsäuren,
dafür aber mit 46,7 % und 42,3 % den höchsten Gehalt an einfach ungesättigten Fettsäuren
aufweisen. Gleichzeitig ist aber beim Fleisch aus den extensiv gehaltenen Rassen (Irish
und Argent) ein günstigeres Omega-6/Omega-3-Verhältnis zu beobachten.
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Tabelle 10. Verhältnis von gesättigten, einfach ungesättigten und mehrfach
ungesättigten Fettsäuren im Musculus longissimus lumborum, im intramuskulären
Fett von Blau-Weißen Belgiern (BB), Limousins (Limo), irischen (Irisch) und
argentinischen (Argent) Rindern
(in % der gesamten Fettsäuren und in mg/100 g Muskel)
Fettsäuren
BB
kurzkettige Fettsäuren
einfach ungesättigte Fettsäuren
mehrfach ungesättigte Fettsäuren
n-6/n-3
cis9, trans11 CLA
37,0b
35,5a
21,7a
6,7a
5,8b
Summe
kurzkettige Fettsäuren
einfach ungesättigte Fettsäuren
mehrfach ungesättigte Fettsäuren
865b
338c
323b
195b
Limo
Irisch
% gesamt Fettsäuren
36,7b
43,0a
bc
40,3
46,7a
17,1a
6,9b
a
4,9
2,7b
9,6b
35,4a
mg/100 g Muskel
1 266b
3 710a
506bc
1 625a
b
554
1 795a
195b
251b
Argent
46,3a
42,3ab
7,8b
2,5b
23,0ab
2 777ab
1 337ab
1 210ab
203bb
Quelle: (nach 27)
Es zeigt sich, dass irisches und argentinisches Rindfleisch bei den absoluten Konzentrationen in allen Fettsäureklassen höhere Gehalte aufweist (27). Die hohen Konzentrationen
der Fettsäuren bezogen auf 100 g Muskelfleisch begründen sich sowohl aus den höheren
Gesamtfettgehalten der beiden Rassen, der Fütterungsart und dem genetischen Hintergrund. Die Rassen Blau-Weiße-Belgier und Limousin wurden in der Vergangenheit gezielt
auf einen niedrigen Fettgehalt gezüchtet, was sich in den hier dargestellten Ergebnissen
widerspiegelt (27). Es wurde auch eine Akkumulation von Omega-3-Fettsäuren bei Grasfütterung nachgewiesen, die tendenziell bei argentinischem Rindfleisch abnimmt. Genetische Unterschiede sind zudem zwischen Bos taurus- und Bos indicus-Rassen und deren
Kreuzungen belegt worden (26).
Neben genetisch- und fütterungsbedingten Unterschieden in der Fettsäurezusammensetzung von Fleisch sind besonders Umweltfaktoren, wie anfänglich erwähnt und in
Tabelle 10 anschaulich dargestellt, zu berücksichtigen. kelly et al. (15) untersuchten in
Australien das Fettsäuremuster im Fleisch von 577 Rindern, die aus 7 unterschiedlichen
genetischen Herkünften stammten und jeweils in Weide- oder intensiven Mastsystemen
(mit Kraftfutterzusatz) an je zwei unterschiedlichen Standorten (tropisches bzw. gemäßigtes Klima) gemästet wurden. Bei den unter gemäßigten Bedingungen gemästeten Rindern
war der Anteil an C18:1 cis 9 im Fett höher und der Anteil an C18:0 und C16:0 geringer,
als bei den unter tropischen Bedingungen gemästeten Rinder. Insbesondere die Ölsäure
(C18:1) wurde von der Wechselwirkung zwischen den Faktoren Fütterung (Weide oder
Stall) und Standort stark beeinflusst. Die Rinder am tropischen Standort wiesen bei intensiver Mast deutlich höhere Anteile an C18:1 trans 11 (Vaccensäure) auf, als die anderen
Gruppen. Bei einem vergleichbaren Schlachtgewicht waren die Rinder an den tropischen
Standorten älter, fetter und das Fleisch hatte einen höheren Anteil an gesättigten Fettsäuren
(C16:0, C18:0).
Es bleibt festzuhalten, dass sowohl die Mastintensität als auch der Standort (Umweltbedingungen) einen erheblichen Einfluss auf die Fettsäurezusammensetzung hat. Obwohl
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Auswirkungen des Fettsäuremusters von Futterpflanzen auf die Fettqualität
229
bisher nur wenige Arbeiten vorliegen, die die Unterschiede in der Fettsäurezusammensetzung von Rindfleisch aus europäischen und südamerikanischen Produktionssystemen
darstellen, zeigen andere Arbeiten (15) eine erhebliche Wirkung des Standortes auf die
Fettsäurezusammensetzung. Bei extensiver Weidehaltung in Europa und in den Exportländern mögen zudem die botanische Zusammensetzung und das Fettsäuremuster der Weide
einen Einfluss auf das Fettsäuremuster des Fleisches nehmen. Systematische Untersuchungen liegen allerdings nicht vor.
7
Strategien zur Modifizierung des Fettsäuremusters
in Milch und Fleisch
Aus dem Vorangegangen lässt sich schlussfolgern, dass sich das Fettsäuremuster von
Milchfett und intramuskulärem Fett zugunsten der ungesättigten Fettsäuren wandelt,
wenn der Anteil an Frischgras in der Ration steigt. Umgekehrt verhält es sich bei einem
höheren Maisanteil an der Ration. Bei steigendem Mais- und Kraftfutteranteil verändert
sich das Fettsäuremuster zugunsten der gesättigten Fettsäuren. Weiterhin kann auch über
die Genetik und den Standort Einfluss auf den Gesamtfettgehalt in Milch und Fleisch
genommen werden.
Werden die ungesättigten Fettsäuren aus den Pflanzen nicht im Pansen abgesättigt, so
können sie in dieser Form auch in das Milchfett und in das Fettgewebe eingebaut werden.
Um eine geringere Hydrierung im Pansen zu erreichen gibt es verschiedene Möglichkeiten. Es gibt die Möglichkeit die Hydrierung der Fettsäuren im Pansen zu reduzieren,
indem Silagen mit einem höheren Anteil an Leguminosen, insbesondere Rotklee, verfüttert werden (7). Weiterhin wird in diesem Zusammenhang der Einsatz von pansengeschützten Fetten oder von fettreichen Kraftfutterkomponenten viel diskutiert. Hier gibt
es eine Reihe von Versuchen und auch in der Praxis hat der Einsatz zum Teil schon
Einzug gehalten. Fette in der Ration bringen vor allem einen weiteren großen Vorteil: sie
heben die Energiekonzentration in der Ration deutlich an und sind zudem oft auch noch
preislich günstige Energieträger (20). Die langkettigen Fettsäuren pansengeschützter Fette
werden erst im Dünndarm absorbiert und gelangen von dort direkt als Milchfettsäure in
die Milch (32). Ein sehr großer Effekt auf das Fettsäuremuster der Milch wurde beim
Einsatz von Fischöl1), welches durch eine Formaldehyd-Behandlung vor dem Abbau im
Pansen geschützt wurde, in der Ration erzielt (7). Diese Ergebnisse bestätigen sich auch
in anderen Studien (11); allerdings treten in vielen Fällen sensorische Nachteile auf, die
den Geschmack der Milch beeinträchtigen.
8
Fazit
Das Fettsäuremuster von Milch und Fleisch der Wiederkäuer weist ein für die menschliche Gesundheit günstiges Fettsäuremuster auf. Besonders deutlich wird dieser Effekt,
wenn die Tiere auf der Weide gehalten wurden, oder ihre Ration einen hohen Grasanteil
und nur einen geringen Kraftfutteranteil hatte. In Zeiten in denen der Verbraucher immer
mehr auf eine artgerechte Tierhaltung sowie die Herkunft seiner Nahrungsmittel achtet,
könnte die Weidehaltung von Milch- und Fleischrindern daher wieder neu belebt werden
und eine Alternative zur reinen Stallhaltung darstellen. Der Weidehaltung sind in diesem
Zusammenhang allerdings auch Grenzen gesetzt, wie z. B. die ausreichende energetische
Versorgung, die für hochleistende Tiere nicht gewährleistet werden kann. Folglich fallen
die täglichen Zunahmen beim Mastvieh beispielsweise bei solch einer Produktionsform
geringer aus, als auf Basis von Maissilage und Kraftfutter.
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Eine Möglichkeit das Fettsäuremuster in Futterpflanzen zu beeinflussen lässt sich durch
ein gezieltes Management realisieren. Dabei müssen, insbesondere Gräser, regelmäßig
in kurzen Intervallen geerntet werde und die Feldliegezeit sollte möglichst von kurzer
Dauer sein. Somit werden im frischen Gras die höchsten Gehalte an günstigen Fettsäuren
erreicht. Durch einen hohen Anteil an ungesättigten Fettsäuren gewinnt das Fett an Fluidität. Bei einer Verbesserung des Fettsäuremusters in Futterpflanzen, durch eine Erhöhung
des Anteils an (mehrfach) ungesättigten Fettsäuren gilt es zu beachten, dass damit auch die
Haltbarkeit des Produktes herabgesetzt wird. Um die Hydrierung der Fettsäuren im Pansen
zu reduzieren, können Silagen mit einem höheren Anteil an Leguminosen, insbesondere
Rotklee, verfüttert werden. Ein Einfluss der botanischen Zusammensetzung der Weide auf
die Veränderung der Fettsäurezusammensetzung von Fleisch und Milch bleibt allerdings
unklar, sowohl in Europa als auch im importierten Fleisch aus Südamerika.
Es bleibt festzuhalten, dass sich das Fettsäuremuster in der Milch und im Fleisch von
Wiederkäuern nur bedingt durch die Fütterung und Umweltbedingungen beeinflussen
lässt. Dennoch findet sich ein Teil der Fettsäuren, insbesondere der ungesättigten Fettsäuren aus dem Futter, in den Produkten von Wiederkäuern wieder, bzw. einige werden durch
die Aktivität der Pansenmikroben synthetisiert.
Zusammenfassung
Die vorliegende Arbeit setzt sich mit den Veränderungen der Fettsäurezusammensetzung im System Pflanze-Tier auseinander. Das Fettsäuremuster in Produkten tierischen Ursprungs ist von verschiedenen Aspekten in der Wertschöpfungskette der Lebensmittelproduktion abhängig. Nicht nur
die Umweltbedingungen verändern das Fettsäuremuster von Futterpflanzen, auch die Bewirtschaftungsmaßnahmen (Schnitthäufigkeit der Bestände, Futterkonservierung), Haltung der Tiere (Weide/
Stall), die Auswahl der Arten für Grünland und Futterbau, und letztlich die Rationsgestaltung in der
Wiederkäuerernährung haben einen Einfluss. Wenige Informationen liegen allerdings über den Einfluss der Veränderung der Artenvielfalt von Weiden auf das Fettsäuremuster in Produkten tierischen
Ursprungs vor. Die meisten Ergebnisse und Aussagen beruhen auf Beobachtungen der einzelnen Futterpflanzen. Im weiteren Verlauf innerhalb der Wertschöpfungskette werden im Verdauungstrakt von
Wiederkäuern die wertvollen mehrfach ungesättigten Fettsäuren (konjugierte Linolensäure, CLA)
synthetisiert. Diese bilden in der Humanernährung die Grundlage für eine gesunde Ernährung. Tierische Produkte aus der Wiederkäuerproduktion weisen zwar entscheidende Vorteile auf, der höhere
Anteil an mehrfach ungesättigten Fettsäuren wirkt sich jedoch nachteilig auf die Haltbarkeit der
Produkte aus. In diesem Zusammenhang sind die weichere Fettkonsistenz sowie die Anfälligkeit des
Fettes zur Oxidation zu nennen.
Tierische Produkte als Importware, insbesondere Fleisch aus Südamerika, scheint an Bedeutung
im europäischen Markt zu gewinnen. Im Hinblick auf das Fettsäuremuster wird in wenigen Arbeiten
die Vermutung unterstützt, dass nicht nur die Fütterung der überwiegend auf Weide basierten Produktionssysteme einen Einfluss auf das Fettsäuremuster nimmt, sondern auch die Physiologie der Futterpflanze eine Rolle spielt. Aufgrund von klimatisch bedingten Unterschieden, werden im Vergleich zu
gemäßigten Regionen weniger mehrfach ungesättigte Fettsäuren eingelagert. Als Konsequenz ist in
aller Regel ein härteres Fett zu beobachten. Allerdings fehlen hierfür systematische Untersuchungen,
die diese Vermutung bestätigen.
Summary
Fatty acid composition of forage plants: Consequences for the fat quality of milk and meat
The main objective the present work is to discuss changes in the fatty acid composition within the
plant-animal production system and possibilities of influencing the fatty acid composition in milk
and meat. The fatty acid composition in animal products is influenced by different aspects within
the food production chain. It is not just environmental contrasts such as climatic conditions that alter
the fatty acid composition of forages; grassland management practices (cutting frequency, forage
conservation), animal husbandry (pasture/indoor feeding), the species composition of pasture-based
production systems and the diet composition in the feeding of ruminants may also contributes to the
different fatty acid composition. However, little is known about the relationship between species
composition on grassland and the variation in fatty acid composition, as most work is done on single
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Auswirkungen des Fettsäuremusters von Futterpflanzen auf die Fettqualität
231
species. Along the food production chain, ruminants contribute substantially to the proportion of polyunsaturated fatty acids (PUFA) in milk and meat. The formation of conjugated linolenic acid (CLA)
is unique for ruminants and CLA is claimed to be related to good health in human nutrition. Although
PUFA content is found in animal products, the higher content of PUFA leads to a softer consistency
of fat and consequently to higher susceptibility of meat and milk fat to oxidation, shortening the
retail life time span of these products.
Animal products, especially beef from South America, are being imported and make up a large
part of the European meat market. With regard to the fatty acid composition, only a few works
confirm the assumption that it is not just the pasture-based feeding that may influence the fatty acid
composition. Tropical and subtropical climatic conditions in the production countries reduce the
amount of PUFA. In consequence, the fat tends to be of a harder consistency. However, there are
few studies supporting this observation.
Résumé
Les effets de la composition des acides gras de plantes fourragères sur la qualité de la matière
grasse du lait et de la viande
Dans le présent document les modifications de la composition des acides gras dans le système «plante
-animal» sont analysées. La composition des acides gras dans les produits d’origine animale dépend
de différents éléments dans la chaîne de valeur de la production de denrées alimentaires. Ce ne sont
pas seulement les conditions environnementales qui modifient la composition des acides gras de
plantes fourragères mais les mesures de gestion (fréquence de coupe des plantes, conservation du
fourrage), le type de détention des animaux (pâturage/stabulation), le choix des espèces pour les herbages et la culture fourragère et finalement aussi les caractéristiques des rations alimentaires données
aux ruminants semblent également y jouer un rôle. Mais il n’y a que peu d’informations disponibles
relatives au rapport qui existe entre le changement de la diversité des pâturages et la composition des
acides gras dans les produits d’origine animale. La plupart des résultats et des conclusions basent sur
des observations faites séparément pour chaque plante fourragère. Plus loin dans la chaîne de valeur,
pendant leur processus de digestion, les ruminants produisent les acides gras poly-insaturés précieux
(acide linolénique conjugué). Pour la nutrition humaine, ces derniers constituent la base pour une
alimentation saine. Certes, les produits animaux de ruminants présentent des avantages importants
mais le taux plus élevé d’acides gras poly-insaturés a des conséquences désavantageuses telle que la
consistance plus molle de la matière grasse ainsi que la sensibilité à l’oxydation de la matière grasse
pouvant diminuer la durée possible de conservation de la viande et du lait.
Apparemment, les produits animaux importés, notamment la viande en provenance de l’Amérique
du Sud jouent un rôle croissant sur le marché européen. En ce qui concerne la composition des acides
gras, un petit nombre de travaux de recherche soutiennent l’hypothèse que pour les systèmes de
production basés principalement sur le pâturage, l’alimentation animale n’est pas le seul élément
ayant des effets sur la composition des acides gras mais que la physiologie de la plante fourragère
est également déterminante. À cause des conditions climatiques différentes, le taux d’acides gras
poly-insaturés incorporé est moins élevé que dans les régions tempérées. En conséquence, la matière
grasse est normalement plus dure. Cependant, il n’existe pas d’analyses systématiques confirmant
cette hypothèse.
Literatur
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Auswirkungen des Fettsäuremusters von Futterpflanzen auf die Fettqualität
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Fußnoten
1)
Derzeit ist nach § 18 des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuches in Deutschland u. a. das
Verfüttern von Fischöl sowie von Mischfuttermitteln, die Fischöl enthalten, an Wiederkäuer
verboten.
Dank
Die Autoren danken Frau Dr. anne schiborra für die kritische Überarbeitung des Manuskriptes.
Autorenanschrift: Dr. habil. martin gierus, B. Sc. insa alter, Prof. Dr. friedhelm taube, Institut
für Pflanzenbau und Pflanzenzüchtung, Grünland und Futterbau/ Ökologischer
Landbau, Christian Albrechts Universität zu Kiel, Hermann Rodewald Str. 9,
24118 Kiel, Deutschland
[email protected]
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Sind landwirtschaftliche Unternehmer bei der
Fremdkapitalaufnahme begrenzt rational?
– Eine empirische Analyse –
Von oliver musshoff, norbert hirschauer, harm Wassmuss, Göttingen/Halle
1
Einleitung
In der deutschen Landwirtschaft werden jährlich rund 420 €/ha investiert. Aufgrund der
relativen Faktorpreisverhältnisse und des technologischen Fortschritts werden Landwirte
zukünftig noch mehr Geld für dauerhafte Produktionsmittel ausgeben. Da es für viele
landwirtschaftliche Unternehmen und insbesondere für Wachstumsbetriebe keine Alternative zur Fremdkapitalaufnahme gibt, gewinnen die Entscheidungen bei der Finanzierung
an Bedeutung.
Die Konditionen der am Markt angebotenen Finanzierungsprodukte variieren oftmals
stark von Anbieter zu Anbieter. Aufgrund der hohen „Durchschlagskraft“ der Kapitalkosten sollten Landwirte bei Finanzierungsentscheidungen ebenso systematisch vorgehen wie
bei Investitionsentscheidungen und sich gründlich darüber informieren, welches Produkt
ihren Erfordernissen gerecht wird und wie hoch jeweils der Preis der Kapitalbereitstellung
ist.
Vielfach ist zu beobachten, dass Landwirte nur Geschäftsbeziehungen mit einer einzigen Bank (ihrer „Hausbank“) unterhalten. Sie wechseln nicht zu einer anderen Bank, auch
wenn diese höhere Haben- bzw. niedrigere Sollzinsen bietet. Diese „Wechselträgheit“
kann in den Transaktionskosten (vgl. 12) des Wechsels begründet sein: Erstens verursacht
die Suche nach alternativen Darlehnsangeboten Informationskosten. Zweitens erfolgt
durch Basel II die Kreditvergabe risikoorientiert, d. h. Kreditnehmer müssen systematisch
hinsichtlich ihres Risikos bewertet werden (Rating). Bei einem schlechteren Rating sind
höhere Zinsen zu zahlen. Bei einem Bankwechsel sind deshalb umfangreiche Unterlagen
zum Unternehmenserfolg und -risiko aufzubereiten und vorzulegen, während die Hausbank über diese Informationen im Regelfall bereits verfügt. Zudem vertrauen Landwirte
vielleicht darauf, dass ihnen wegen der langjährig bestehenden Geschäftsbeziehungen
zukünftig geldwerte Vorteile (z. B. durch kürzere Wege bzw. über ein günstigeres Rating)
bei ihrer Hausbank entstehen (vgl. 8, s. 140).
Die „Wechselträgheit“ kann aber auch daran liegen, dass die Landwirte aufgrund
unvollkommener Informationen und begrenzter kognitiver Fähigkeiten suboptimale Entscheidungen treffen. simon bezeichnet dies als „begrenzte Rationalität“ (10). gigerenzer
betont, dass viele Menschen aufgrund ihrer „Zahlenblindheit“ Schwierigkeiten haben,
Relativgrößen wie z. B. Prozentangaben richtig zu interpretieren (5). Dies ist mit Blick
auf die Finanzierungsentscheidungen relevant, weil Banken mit dem Effektivzins eine
Relativkennzahl ausweisen, die Vergleiche unterschiedlicher Darlehensangebote ermöglichen soll. Begrenzte Rationalität könnte sich darin äußern, dass Landwirte den geldwerten
Unterschied zwischen alternativen Finanzierungsangeboten nicht erkennen, wenn dieser
als Zinsunterschied ausgedrückt wird.
Vor diesem Hintergrund untersucht der vorliegende Beitrag das Verhalten landwirtschaftlicher Unternehmer bei der Finanzierungsentscheidung. Auf der Grundlage einer
U.S. Copyright Clearance Center Code Statement:
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Verhalten landwirtschaftlicher Unternehmer bei der Fremdkapitalaufnahme
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schriftlichen Befragung wird zwei zentralen Forschungsfragen nachgegangen, die unserem Wissen nach bislang nicht empirisch untersucht wurden: Erstens, verhalten sich landwirtschaftliche Unternehmer bei der Finanzierungsentscheidung begrenzt rational? Wenn
ja, in welchem Umfang? Zweitens, durch welche Bestimmungsfaktoren kann begrenzte
Rationalität ggf. erklärt werden. Die Ergebnisse der Untersuchung sollen erste Schlussfolgerungen ermöglichen, ob und wie die Entscheidungsunterstützung bei Finanzierungsfragen verbessert werden kann.
2
Datengrundlage und Forschungsdesign
Die Grundlage der Analyse ist eine Mitte des Jahres 2008 durchgeführte schriftliche
Befragung niedersächsischer Landwirte. Von 280 versandten Fragebögen konnten 73 in
die Auswertung einbezogen werden. Allerdings enthalten nicht alle Fragebögen vollständige Angaben.
Von den 73 in die Auswertung einbezogenen Betrieben werden 96 % im Haupterwerb
und 4 % im Nebenerwerb geführt. 80 % der untersuchten Betriebe sind als Ackerbaubetriebe und 15 % als Gemischtbetriebe zu klassifizieren. Außerdem sind drei Veredlungsbetriebe und ein Futterbaubetrieb in der Stichprobe enthalten. Im Durchschnitt bewirtschaften die Betriebe 214 ha Acker- bzw. Grünland. Der Fremdkapitalanteil liegt in den
73 Betrieben im Mittel bei 16 %. Die Betriebsleiter sind durchschnittlich 48 Jahre alt. Die
folgenden Auswertungen basieren also im Wesentlichen auf den Ergebnissen einer Befragung verhältnismäßig großer Marktfruchtbetriebe, die von erfahrenen Betriebsleitern im
Haupterwerb geführt werden.
Neben allgemeinenAngaben zum Unternehmen (Rechtform, Betriebstyp, Faktorausstattung etc.), soziodemografischen Daten und verschiedenen Einstellungsstatements wurden
zunächst Informationen hinsichtlich des tatsächlichen Finanzierungsverhaltens erhoben.
Vor allem aber wurden die Landwirte „experimentell“ mit der folgenden Entscheidungssituation konfrontiert: Es soll eine Gebäudeinvestition in Höhe von 250 000 € getätigt
werden. 100 000 € können aus Eigenkapital bereitgestellt werden. Für die Finanzierung
der restlichen 150 000 € bietet die Hausbank ein Annuitätendarlehen ohne Abschlussgebühren zu einem Zinssatz von 6 % p. a. und einer Laufzeit von 15 Jahren an. Gleichzeitig
bietet eine Direktbank ein alternatives Finanzierungsangebot an. Der Landwirt müsste
dann aber die Hausbank wechseln. Zur Erfassung der Mehrzahlungsbereitschaft (MZB)
und für einen Verbleib bei der bisherigen Hausbank wurden folgende Fragen gestellt:
I. Absolute MZB: Wenn Ihre Hausbank Abschlussgebühren erheben würde, wie viel Euro
dürften diese bei einer Kredithöhe von 150 000 € maximal betragen, bevor Sie bei sonst
gleichen Konditionen (z. B. Zinssatz, Laufzeit) zu einer Direktbank wechseln?
II. Relative MZB: Wenn Ihnen eine Direktbank die Finanzierung anbietet, um wie viel
Prozentpunkte dürfte der Zinssatz maximal unter dem ihrer Hausbank liegen, ohne
dass Sie bei sonst gleichen Konditionen (z. B. Abschlussgebühren, Laufzeit) die Bank
wechseln?
Begrenzte Rationalität wird oftmals mit begrenzter Informationsverarbeitungskapazität
und unvollständiger Information in Verbindung gebracht (vgl. 10). Dadurch, dass sowohl
die absolute als auch die relative MZB (unterschiedliches Framing der Fragen zur MZB)
von jedem Entscheider getrennt erfasst wurde, lassen sich die begrenzten Informationsverarbeitungskapazitäten (bzw. Inkonsistenzen im Entscheidungsverhalten) unabhängig von
der Informationslage untersuchen. Die absolute MZB liefert die Information, wie hoch
der einzelne Landwirt die Höhe der Wechselkosten subjektiv einschätzt. Ausgehend von
dieser als individuell gegeben angenommenen Größe spiegelt die Differenz zwischen der
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absoluten und der kapitalisierten relativen MZB alleine die begrenzte Informationsverarbeitungskapazität wider.
3
Identifizierung begrenzter Rationalität durch
unterschiedliches Framing
In 64 der ausgewerteten 73 Fragebögen haben die Landwirte die absolute MZB (in €) und
die relative MZB (in Prozentpunkten) quantifiziert. Sieben der 64 Unternehmer haben
angegeben, dass ein Wechsel der Hausbank für sie grundsätzlich nicht in Betracht kommt.
Für die übrigen 57 Landwirte wurde im ersten Analyseschritt die relative MZB mit den
geringsten Kosten der Kapitalbeschaffung (d. h. dem geringeren Zinssatz des Alternativangebotes) kapitalisiert. Das bedeutet, es wurde „der geldwerte Nachteil“ (Barwert)
des erhöhten Kapitaldienstes berechnet, der sich ergibt, wenn der Landwirt den von ihm
angegebenen höheren Hausbankzins akzeptiert.
In Abbildung 1 wird die „absolute MZB“ und die „kapitalisierte relative MZB“ für die
57 Unternehmen angezeigt. Dabei wurden die Unternehmen aufsteigend nach der Differenz zwischen der kapitalisierten relativen MZB und der absoluten MZB geordnet. Diese
framingbedingte Differenz wird im Folgenden als „Delta-MZB“ bezeichnet. Acht Landwirte würden die Hausbank wechseln, sobald diese höhere Abschlussgebühren verlangt.
Dies entspricht einer absoluten MZB von Null. Nur zwei dieser acht Landwirte haben auch
eine kapitalisierte relative MZB von Null und würden wechseln, sobald der Zinssatz der
Hausbank höher ist. Die absolute MZB liegt bei 51 der 57 Unternehmen (89 %) unterhalb
der kapitalisierten relativen MZB. Der in 89 % der Fälle unterschätzte monetäre Nachteil
eines höheren Zinssatzes deutet darauf hin, dass die Landwirte in bestimmten Situationen
aufgrund begrenzter Rationalität zu spät die Hausbank wechseln und damit potenziell
unternehmerische Fehlentscheidungen treffen.
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Abb. 1. Absolute und kapitalisierte relative MZB der Unternehmen in € (aufsteigend geordnet nach
der Differenz beider Größen)
Wären die Unternehmer rational, müsste die absolute MZB der kapitalisierten relativen
MZB entsprechen. Natürlich haben wir nicht erwartet, dass Delta-MZB Null ist. Selbst
Betriebswirtschaftler können nicht „auf die Schnelle im Kopf“ einen höheren Zinssatz
in einen geldwerten Betrag umrechnen. Allerdings sind (häufig gemachte) Angaben wie:
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„300 € absolute MZB und 1 % relative MZB“ nicht allein durch Defizite bei der Zinseszinsrechnung zu begründen. Im genannten Beispiel (d. h. für ein Darlehn über 150 000 €)
ist allein der Barwert des zusätzlichen Kapitaldienstes (1 % von 150 000 € = 1500 €) im
ersten Jahr höher als die gesamte angegebene absolute MZB.
Im Mittel beträgt die absolute MZB 796 € (Standardabweichung: 825 €). Die durchschnittliche relative MZB beläuft sich auf 0,78 % (Standardabweichung: 0,70 %). Bei
einem 15 jährigen Annuitätendarlehen über 150 000 € und einem Zinssatz von 6 % p. a.
führt eine Zinsdifferenz von 0,1 % zu einem geldwerten Nachteil von knapp 1000 €. Die
von den Landwirten im Mittel angegebene Zinsdifferenz von 0,78 % entspricht einem
Nachteil von 8195 €. Die Diskrepanz zwischen der durchschnittlichen absoluten MZB von
796 € und der durchschnittlichen kapitalisierten relativen MZB von 8195 € spiegelt das
Ausmaß der begrenzten Rationalität wider.
Mit Blick auf die wirtschaftlichen Konsequenzen lassen sich drei Bereiche des unternehmerischen Wechselverhaltens von der Hausbank zu einer Wettbewerbsbank unterscheiden. Abbildung 2 verdeutlicht dies durch einen als Durchschnittsentscheider abgebildeten Landwirt, der annahmegemäß am Markt verschiedene Finanzierungsangebote
beobachtet.
● Bereich A: Der Landwirt beobachtet am Markt nur Finanzierungsangebote mit Effektivzinssätzen, die weniger als 0,08 Prozentpunkte unter dem seiner Hausbank liegen. Entsprechend seinem begrenzt rationalen Entscheidungskriterium (Wechsel ab
0,79 Prozentpunkten) wechselt er nicht zu einer anderen Bank. Er macht dadurch aber
keinen Fehler, weil seine subjektiv wahrgenommenen Wechselkosten von 796 € tatsächlich nicht durch die Zinsdifferenz gedeckt sind („right for the wrong reasons“).
● Bereich B: Der Landwirt beobachtet am Markt Finanzierungsangebote mit Effektivzinssätzen, die zwischen 0,08 Prozentpunkten und 0,78 Prozentpunkten unter dem
seiner Hausbank liegen. Gemäß seinem begrenzt rationalen Entscheidungskriterium
wechselt er noch nicht. Er macht dadurch aber einen Fehler, weil seine (subjektiv
wahrgenommenen) Wechselkosten durch die kapitalisierte Zinsdifferenz eigentlich
schon gedeckt sind.
Abb. 2. Bereiche unternehmerischen Wechselverhaltens mit beispielhaft angezeigten Mittelwerten
der Unternehmerbefragung
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● Bereich C: Der Landwirt beobachtet am Markt Finanzierungsangebote mit Effektivzinssätzen, die mehr als 0,78 Prozentpunkte unter dem seiner Hausbank liegen. Er
wechselt die Bank und macht dadurch keinen Fehler, weil seine (subjektiv wahrgenommenen) Wechselkosten tatsächlich durch die Zinsdifferenz gedeckt sind („right
for the wrong reasons“).
Die Diskrepanz zwischen absoluter MZB und kapitalisierter relativer MZB ist gemäß Mittelwertvergleich mit einer Irrtumswahrscheinlichkeit von weniger als 1 % (p-Wert = 0,00)
signifikant. Das heißt, wenn man den Landwirten den Nachteil der Hausbankfinanzierung in Form eines Prozentsatzes „verkauft“, akzeptieren sie einen anderen (viel höheren) Nachteil als bei einer Absolutgröße. Der Effektivzins, der bei richtiger Interpretation
die Finanzierungskosten transparent macht, ist somit nur bedingt zur praktischen Unterstützung von Wahlentscheidungen geeignet. Mit anderen Worten: Aufgrund begrenzter
Informationsverarbeitungskapazitäten werden transparent dargelegte Konditionen intransparent. Eine objektive Finanzierungsberatung würde für die betrachteten Landwirte einen
ökonomischen Vorteil bringen.
4
Erklärungsansätze für Wechselträgheit
Für eine erfolgreiche Entscheidungsunterstützung reicht es nicht aus, unternehmerische
Verbesserungspotenziale nachzuweisen. Vielmehr muss man mit den Unternehmern auch
effektiv kommunizieren. Dafür muss man verstehen, wie diese zu ihren Einschätzungen
kommen und aus welchen Gründen sie begrenzt rational handeln. Mit einer Regressionsanalyse wird deshalb zunächst untersucht, von welchen Faktoren die absolute MZB
und damit die Höhe der subjektiv eingeschätzten Wechselkosten abhängen. Anschließend
wird analysiert, welche Faktoren einen Einfluss auf Delta-MZB und damit die begrenzte
Informationsverarbeitungskapazität haben.
4.1
Entscheidungstheoretische Analyse der Wechselkosten
und der begrenzten Rationalität
Zur Erklärung der subjektiven Einschätzungen bezüglich der Höhe der Wechselkosten
bzw. der absoluten MZB scheinen aus entscheidungstheoretischer Sicht folgende Faktoren
relevant:
(a) Ratingnachteile: Das günstige Angebot könnte ein „Lockangebot“ der Direktbank darstellen. Zukünftig könnte sie an das Unternehmen Kredite zu „marktüblichen“ Konditionen vergeben. Der Barwert der erwarteten zukünftigen Ratingnachteile verursacht
Wechselkosten, weil ein Zurückwechseln zur bisherigen Hausbank nicht ohne Nachteile möglich ist (vgl. 7, S. 113 f.).
(b) Eigener Arbeitsaufwand: Weitere Wechselkosten entstehen durch Informationskosten.
Der Landwirt muss vor einem Wechsel zunächst nach Alternativangeboten suchen.
Außerdem sind Unterlagen (z. B. Jahresabschlüsse) zusammenzustellen und aufzubereiten (Anbahnungs- und Vereinbahrungskosten; vgl. 11, S. 19 f.).
(c) Realistische Einschätzung der Wechselkosten: Landwirte, die schon einmal die Hausbank gewechselt haben, können die Kosten möglicherweise besser einschätzen als
diejenigen, die bislang noch keine Erfahrungen bei einem Wechsel sammeln konnten.
Von Fehleinschätzungen bezüglich der Wechselkosten wird beispielsweise auch im
Zusammenhang mit der Umstellungsentscheidung vom konventionellen zum ökologischen Landbau berichtet (vgl. 9).
(d) Tradition: Neben ökonomischen Aspekten spielen bei der Wechselentscheidung möglicherweise weitere Präferenzen eine Rolle. Zum Beispiel könnte dem Landwirt der
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Erhalt einer gewachsenen Beziehung zur Hausbank etwas wert sein (man kennt den
Ansprechpartner, hat Vertrauen zu ihm etc.). Das heißt, die persönliche Beziehung
selbst hat einen intrinsischen Wert und der Landwirt zieht eventuell über das erzielte
Ergebnis hinaus einen Verfahrensnutzen (procedural utility) aus den gemeinsamen
Arbeitsabläufen (vgl. 4).
In Tabelle 1 sind die Variablen angezeigt, die als Messgrößen für die angesprochenen
Einflussfaktoren auf die absolute MZB herangezogen werden. Außerdem ist die erwartete
Wirkungsrichtung verdeutlicht und kurz begründet.
Tabelle 1. Variablen und Hypothesen zur Erklärung der absoluten MZB (N = 45)
Variable
Mittel­
wert
Standard­
abweichung
Abhängige Variable:
Absolute MZB**
865,6 €
797,2 €
–
entspricht den subjektiv geschätzten Wechselkosten
27,6
14,4
↑
qualitativer Bestandteil des
Ratingprozesses maßgeblich
von Dauer der Geschäftsbeziehung abhängig
17,5 %
19,8 %
↑
je höher Fremdkapitalbelastung, desto wertvoller ist eine
positive Bewertung bei der
Hausbank
-0,2
1,4
↓
Kosten der Suche nach Alternativangeboten geringer
(i)
Dauer der Geschäftsbeziehung in Jahren
Va r i a b l e n
(ii) Fremdkapitalanteil
U n a b h ä n g i g e
(iii) Internetnutzung zur
Inormationsbeschaffung und Kreditberatung***
(iv) Anzahl der Geschäftsbeziehungen zu unterschiedlichen Banken
(0: 1 Bank, 1: mehr
als eine Bank)
62 % haben
Geschäftsbeziehungen
zu mehr als einer
Bank
↓
Informationssuchkosten und
Arbeitsaufwand bei Aufbereitung von Jahresabschlüssen
geringer
(v) Hausbank in der Vergangenheit gewechselt (0: nein, 1: ja)
17,8 % haben
gewechselt
?
absolute MZB ohne Erfahrung
höher/geringer bzw. Wechselkosten über-/unterschätzt?
↑
Erhalt einer gewachsenen
Beziehung stiftet intrinsischen
Nutzen
(vi) Alter des Betriebsleiters in Jahren
*
erwarteter Erläuterung
Einfluss*
48,9
9,9
↑ absolute MZB nimmt zu; ↓ absolute MZB nimmt ab; ? keine a priori Hypothese zur Wirkungsrichtung.
** Die Stichprobengröße unterscheidet sich aufgrund der zu berücksichtigen unabhängigen Variablen von der in Abschnitt 3.
*** Gemessen auf einer 5er-Skala zwischen -2 und + 2.
Die beiden erstgenannten unabhängigen Variablen sind Messgrößen für (a) Ratingnachteile, die dritte und vierte Variable für den (b) Arbeitsaufwand, die fünfte Variable für eine
(c) realistische Einschätzung der Wechselkosten und die sechste Variable für (d) Tradition. Für die Erklärung der absoluten MZB wird eine multiple lineare Regressionsanalyse
durchgeführt:
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$
# " = ! ' ! ⋅ %"! + χ " H @!8 " = -H +H FFFH &
[1]
! =-
Dabei kennzeichnet yi die abhängige Variable der i-ten Beobachtung und aj den entsprechenden Regressionskoeffizienten für die j-te erklärende Variable xij. χi beschreibt den
Störterm der Regression. Die Regressionskoeffizienten aj werden mittels Methode der
kleinsten Quadrate geschätzt.
Eine zweite Regressionsanalyse untersucht, wie Delta-MZB und damit das Ausmaß der
begrenzten Rationalität erklärt werden kann. Hier scheinen aus entscheidungstheoretischer Sicht folgende Faktoren relevant:
(a) Bildung: Es ist zu erwarten, dass Landwirte rationaler sind und ihre absoluten und relativen MZB eher in Einklang stehen, wenn sie ein höheres Maß an Methodenkenntnis
(insbesondere finanzmathematischer Art) haben.
(b) Aktive Änderungen des Wissensstandes: Die Wahrnehmung von Informations-, Beratungs- und Weiterbildungsmöglichkeiten hinsichtlich der Fremdkapitalaufnahme führt
dazu, dass sich der Wissensstand eines Entscheiders verändert. Dies sollte ebenfalls
dazu führen, dass die begrenzte Rationalität sinkt. Allerdings ist zu beachten, dass
„Beratung“ durch die Hausbank nur dann den Wissenstand verbessert, wenn sie objektiv und unabhängig vom Interesse, den Kunden zu halten, erfolgt.
(c) Zufriedenheit mit der Hausbank: Die Zufriedenheit mit der Hausbank und das gewachsene Vertrauen, dass sie „schon eine faire und günstige Finanzierung bereitstellen wird“,
können dazu führen, dass man sich Zinsdifferenzen „schönredet“ („self-manipulation
of beliefs“; vgl. 2), die man z. B. im Wirtschaftsteil in der Tageszeitung wahrnimmt.
Mit anderen Worten: Man vermeidet kognitive Dissonanz (vgl. 1 und 3) und will nicht
wahrhaben, dass ein (zahlenmäßig) gering aussehender Zinsunterschied einem verhältnismäßig großen geldwerten Unterschiedsbetrag entspricht, weil man einerseits aufgrund der Zufriedenheit innerlich nicht die Bank wechseln möchte und andererseits ein
hoher Absolutbetrag entsprechend „schmerzen“ würde. Das würde zu einer Erhöhung
der begrenzten Rationalität führen.
In Tabelle 2 sind die Variablen angezeigt, die als Messgrößen für die angesprochenen
Einflussfaktoren auf Delta-MZB herangezogen werden. Außerdem ist die erwartete Wirkungsrichtung verdeutlicht und kurz begründet. Die erste unabhängige Variable ist eine
Messgröße für (a) Bildung, die zweite und dritte Variable für (b) aktive Änderungen des
Wissensstandes und die vierte Variable für die (c) Zufriedenheit mit der Hausbank. Für die
Erklärung der Delta-MZB wird ebenfalls eine multiple lineare Regressionsanalyse gemäß
Gleichung [1] durchgeführt.
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241
Tabelle 2. Variablen und Hypothesen zur Erklärung der Delta-MZB (N = 49)
Variable
U n a b h ä n g i g e Va r i a b l e n
Abhängige Variable:
Delta-MZB**
(i) Grad des Bildungsabschlusses (0: nicht
studiert, 1: studiert)
Mittelwert
Standard­
abwei­
chung
erwarteter
Einfluss*
7 342,6 €
6 922,4 €
–
entspricht begrenzter
Informationsverarbeitungskapazität
↓
Entscheider/in mit
Hochschulabschluss
haben höheren Wissensstand
42,9 % haben studiert
Erläuterung
(ii) Intensität der Beratung
durch die Hausbank***
1,1
1,1
?
Beratung zur Bedeutung
von Zinsdifferenzen
objektiv/nicht-objektiv?
(iii) Internetnutzung zur Informationsbeschaffung
und Kreditberatung***
-0,2
1,4
↓
Aneignung „objektiven“ Wissens sollte
Einschätzungsvermögen
verbessern
(iv) Weiterempfehlungsbereitschaft für die
Hausbank***
0,8
1,0
↑
Zufriedenheit mit der
bisherigen Geschäftsbeziehung deutet auf
„self-manipulation of
beliefs” hin
*
↑ Delta-MZB nimmt zu; ↓ Delta-MZB nimmt ab; ? keine a priori Hypothese zur Wirkungsrichtung.
** Die Stichprobengröße unterscheidet sich aufgrund der zu berücksichtigen unabhängigen Variablen von der in Abschnitt 3.
*** Gemessen auf einer 5er-Skala zwischen -2 und + 2.
4.2
Ergebnisse
In Tabelle 3 sind die Ergebnisse der Regressionsanalysen zur Erklärung der absoluten
MZB sowie der Differenz zwischen absoluter und kapitalisierter relativer MZB angezeigt. Gemäß F-Test ist für beide Regressionsmodelle eine Fehlspezifikation mit einer
Irrtumswahrscheinlichkeit von 1 % auszuschließen. Sie haben zudem mit einem R2 von
0,68 bzw. 0,63 sowie einem nur geringfügig kleineren adjusted R2 einen hohen Erklärungsgehalt.
Mit Blick auf die absolute MZB (Regression 1) ist festzustellen, dass alle Koeffizienten
– mit Ausnahme desjenigen für die „Dauer der Geschäftsbeziehung“ – mit weniger als
10 % Irrtumswahrscheinlichkeit signifikant verschieden von Null sind. Der Schätzwert
für die Dummyvariable „Hausbank bereits gewechselt“ ist positiv: Landwirte, die einen
Wechsel der Hausbank in der Vergangenheit vorgenommen haben, schätzen die damit verbundenen Kosten im Durchschnitt um 631 € höher ein als andere Landwirte. Die übrigen
Vorzeichen für die Koeffizienten entsprechen den Erwartungen (vgl. Tab 1)
Mit Blick auf Delta-MZB (Regression 2) gilt, dass alle Koeffizienten – mit Ausnahme
desjenigen für den „Grad des Bildungsabschlusses“ – mit deutlich weniger als 5 % Irrtumswahrscheinlichkeit signifikant verschieden von Null sind. Das Vorzeichen für die
„Internetnutzung für Kreditberatung“ entspricht den Erwartungen (vgl. Tab. 2). Das positive Vorzeichen bei der „Weiterempfehlungsbereitschaft“ des Landwirts für seine Haus-
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Oliver Mußhoff, Norbert Hirschauer, Harm Wassmuss
Tabelle 3. Schätzergebnisse der beiden Regressionen
Unabhängige Variable
Dauer Geschäftsbeziehung
Fremdkapitalanteil
Internetnutzung für Kreditberatung
Anzahl Geschäftsbeziehungen
Hausbank bereits gewechselt
Alter des Betriebsleiters
Grad des Bildungsabschlusses
Beratungsintensität durch Hausbank
Weiterempfehlungsbereitschaft
R2 (adjusted R2)
Regression 1
Absolute MZB
(N = 45)
Koeffizient p-Wert
10,4
0,17
Regression 2
Delta-MZB
(N = 49)
Koeffizient
p-Wert
–
–
11,3
0,04
-195,0
0,02
-437,8
0,07
630,6
0,05
10,0
0,09
–
–
–
–
–
–
0,68 (0,64)
–
–
-1 558,9
0,02
–
–
–
–
–
–
2 477,3
0,11
3 476,6
0,00
1 991,7
0,03
0,63 (0,60)
bank zeigt, dass Zufriedenheit mit der Hausbank zu einer höheren begrenzten Informationsverarbeitungskapazität führt („self-manipulation of beliefs”).
Die „Beratungsintensität durch die Hausbank“ ist – mit einer gegen Null gehenden
Irrtumswahrscheinlichkeit – positiv mit Delta-MZB und damit der Fehlinterpretation des
Zinssatzes gekoppelt. Sehr vorsichtig formuliert bedeutet dieser, in seiner Eindeutigkeit
erstaunliche Sachverhalt, dass den Landwirten, die eine intensive Beratung durch die
Hausbank nachfragen, die Bedeutung von Zinsdifferenzen zumindest nicht transparent
gemacht wird. Das Ergebnis könnte aber auch als Indiz dafür gewertet werden, dass eine
Moral-Hazard-Problematik vorliegt und die „Beratung“ durch die Hausbank zu einer
Unterschätzung der Bedeutung von Zinsdifferenzen beiträgt. Ob dies zutrifft, lässt sich
mit den vorliegenden Informationen nicht eindeutig beantworten. Möglicherweise haben
ja Landwirte, die sich intensiv von ihrer Hausbank „beraten“ lassen, von vornherein einen
besonders geringen finanzmathematischen Kenntnisstand.
Das positive Vorzeichen des Koeffizienten für die Dummyvariable „Grad des Bildungsabschlusses“ überrascht. Studierte Landwirte weisen eine um durchschnittlich
2 477 € höhere Diskrepanz bei der absoluten und kapitalisierten relativen MZB auf als
andere Landwirte. Anders gesagt: Mit einer Irrtumswahrscheinlichkeit von ca. 10 % sind
die kognitiven Fähigkeiten zur Verarbeitung der Relativgröße „Zinssatz“ bei einem akademischen Bildungsabschluss geringer als ohne. Dieses Ergebnis zeigt sich auch bei alternativer Formulierung der übrigen Regressoren als sehr robust. Eine durch dieses (zunächst
kontra-intuitive) Ergebnis induzierte Arbeitshypothese für zukünftige Forschung wäre,
dass finanzmathematische Kenntnisse durch die berufliche Fachausbildung besser vermittelt werden als durch eine akademische Ausbildung. Bei dieser Interpretation ist allerdings
einschränkend zu berücksichtigen, dass hier nicht nach der Art der akademischen Ausbildung gefragt wurde und somit ingenieurwissenschaftliche, (agrar-)ökonomische und nicht
agrarbezogene Studienabschlüsse gleichbehandelt wurden. Außerdem könnte es sich bei
dem kontra-intuitiven Zusammenhang zwischen „begrenzten Informationsverarbeitungskapazitäten“ und „Grad des Bildungsabschlusses“ um eine „Scheinkorrelation“ handeln.
Dies könnte beispielsweise der Fall sein, wenn die in die Analyse einbezogenen studierten
Unternehmer mehrheitlich mit derselben Hausbank zusammenarbeiten. Beim vorliegen-
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Verhalten landwirtschaftlicher Unternehmer bei der Fremdkapitalaufnahme
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den Kenntnisstand lässt sich über die Gründe für die unerwartete Wirkungsrichtung nur
vage spekulieren.
5 Schlussfolgerungen
Die Auswertung einer schriftlichen Befragung norddeutscher landwirtschaftlicher Unternehmer zum Finanzierungsverhalten zeigt, dass Landwirte bei Finanzierungsentscheidungen aufgrund mangelnder Informationsverarbeitungskapazitäten begrenzt rational sind.
Fast 90 % der mit einer „experimentellen“ Entscheidungssituation konfrontierten Unternehmer unterschätzten den „geldwerten“ Nachteil des erhöhten Kapitaldienstes, der sich
bei einem höheren Effektivzins ergibt. Mit anderen Worten: Wenn die Informationen in
Form eines erhöhten Effektivzinssatzes vorliegen, akzeptieren die Landwirte höhere Kosten für den Verbleib bei der Hausbank, als wenn die Informationen in Form absoluter
Mehrkosten vorliegen. Damit bestätigen die Ergebnisse dieser Studie die Aussage von
gigerenzer, dass viele Menschen „zahlenblind“ sind und insbesondere Schwierigkeiten haben, Relativgrößen wie z. B. Prozentangaben richtig zu interpretieren (vgl. 5). Im
Durchschnitt der Unternehmen wurde beim Framing in Form des Zinses eine im Vergleich
zu den absoluten Mehrkosten ca. zehnfache Zahlungsbereitschaft ermittelt. Damit stellt
auch begrenzte Rationalität eine wesentliche Erklärungskomponente für „Wechselträgheit“ dar.
Die für die untersuchte Unternehmergruppe gefundenen Ergebnisse stellen noch keinen
endgültigen „Befund“ bezüglich des Ausmaßes und der Ursachen begrenzter Rationalität
bei Finanzierungsentscheidungen in der Landwirtschaft dar. Die Ergebnisse „indizieren“
aber weiteren Forschungsbedarf insbesondere bei den folgenden Punkten:
● In einem ersten Schritt geht es um die Frage, wie robust bzw. kontextabhängig die
Ergebnisse sind. Dazu müsste man andere Unternehmensgruppen und Regionen in die
Untersuchung einbeziehen.
● Handelt es sich bei dem kontra-intuitiven Zusammenhang zwischen „begrenzten
Informationsverarbeitungskapazitäten“ und „Grad des Bildungsabschlusses“ um eine
„Scheinkorrelation“ oder ist es wirklich so, dass durch eine akademische Ausbildung
finanzmathematische Kenntnisse schlechter vermittelt werden als durch die berufliche
Fachausbildung?
● Erhöht intensive „Beratung“ durch die Hausbank tatsächlich die begrenzte Rationalität
oder nehmen Landwirte mit von vornherein geringerem Kenntnisstand (ohne Erfolg)
vermehrt Beratung durch ihre Hausbank wahr?
● Welche Bedeutung spielt „self-manipulation of beliefs“ beim Finanzierungsverhalten
von Landwirten, die gefühlsmäßig mit ihrer Hausbank zufrieden sind?
Darüber hinaus wäre es interessant zu untersuchen, ob Loss Aversion (vgl. 6) eine Erklärungskomponente für ein Auseinanderfallen von absoluter und kapitalisierter relativer
MZB darstellt. Dies bedeutet, dass Entscheider einen Verlust (hier: höhere Kosten durch
Abschlussgebühren, Framing 1) stärker negativ gewichten als sie einen Gewinn (hier: einsparbare Kosten durch geringeren Zinssatz, Framing 2) positiv gewichten. Neben weiteren
Untersuchungen zum unternehmerischen Entscheidungsverhalten ist die Forschungsfrage
zu stellen, inwieweit begrenzte Rationalität im Lichte der in der Praxis tatsächlich zu
beobachtenden Zinsdifferenzen bei Finanzierungsentscheidungen zu unternehmerischen
Fehlentscheidungen führt. Möglicherweise kommt ein Teil der begrenzten Rationalität
nicht zum Tragen, weil Entscheidende „right for the wrong reasons“ sind.
Wie bei anderen empirischen Studien, die sich auf Stichproben beziehen, zu denen
man mehr oder weniger zufälligen „Zugang“ hatte, sind diese Ergebnisse aufgrund der
geringen Größe und der fehlenden Repräsentativität der Stichprobe mit Vorsicht zu inter-
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Oliver Mußhoff, Norbert Hirschauer, Harm Wassmuss
pretieren. Aus der gewonnenen empirischen Evidenz lassen sich aber aufgrund der Eindeutigkeit trotzdem Schlussfolgerungen ableiten, die für die unterschiedlichen Akteure
interessant sind:
(a) Banken, die mit objektiv günstigeren Konditionen werben, sollten ihr Marketingkonzept dahingehend anpassen, dass sie neben dem Effektivzinsvorteil auch den absoluten
Kostenvorteil kommunizieren.
(b) Unternehmensberater können ggf. einen hohen Beratungsmehrwert generieren, wenn
es ihnen gelingt, dem jeweiligen Landwirt den tatsächlichen ökonomischen Unterschied zwischen Finanzierungsalternativen mit unterschiedlich hohen Zinssätzen zu
vermitteln und somit seine begrenzte Rationalität abzubauen.
(c) Landwirte können ihre Entscheidungen besser an ihren jeweiligen Präferenzen ausrichten und ggf. Gewinnsteigerungspotenziale realisieren, wenn sie durch Fortbildung
und bessere finanzmathematische Kenntnisse den ökonomischen Vor- bzw. Nachteil
verschiedener Finanzierungsangebote zutreffender einschätzen können.
(d) Politikberater müssen bei der Politikfolgenabschätzung berücksichtigen, dass reale
Entscheider begrenzt rational handeln und sich deshalb nicht gemäß normativen
Prognosemodellen an veränderte Rahmenbedingungen anpassen. Mit anderen Worten: Modelle zur Prognose der Entwicklung von Unternehmen müssen die bestehende
begrenzte Rationalität der Unternehmer abbilden, wenn die Veränderung der Rahmenbedingungen nicht die Durchführung von Fortbildungs- und Beratungsprogrammen
und eine Erhöhung der unternehmerischen Kompetenz beinhaltet.
Im Sinne der präskriptiven Entscheidungstheorie sei abschließend angemerkt, dass nicht
gemeint ist, den Landwirt in seinen Präferenzen zu beeinflussen bzw. zu verändern. Ausgehend von den jeweils gegebenen individuellen Präferenzen gilt es, dass Potenzial zur Nutzensteigerung durch bessere Entscheidungen (d. h. durch einen Abbau begrenzter Rationalität) auszuschöpfen bzw. Inkonsistenzen im Entscheidungsverhalten aufzudecken.
Zusammenfassung
Landwirte wechseln oft nicht von ihrer Hausbank zu einer anderen Bank, auch wenn diese niedrigere
Sollzinsen bietet. Diese „Wechselträgheit“ kann zum einen in den Transaktionskosten des Wechsels
begründet sein. Zum anderen kann sie aber auch das Ergebnis begrenzt rationalen Entscheidungsverhaltens sein. Die Analyse der Befragungsergebnisse einer Gruppe norddeutscher Landwirte zeigt,
dass diese tatsächlich begrenzt rational sind. Sie unterschätzen den geldwerten Nachteil, der ihnen
durch höhere Darlehenszinsen der Hausbank entstehen. Anders ausgedrückt: Sie wechseln die Bank
nicht, auch wenn die von ihnen subjektiv wahrgenommenen Wechselkosten schon längst durch den
geringeren Effektivzins eines Alternativangebotes „gedeckt“ sind.
Summary
The Role of Bounded Rationality in Farm Financing Decisions
– First Empirical Evidence –
Farmers do not often change from their house bank to another bank, even if the competing banks
offer better conditions. This “reluctance to switch” can be explained, on the one hand, by the transaction costs resulting from such a change. On the other hand, it may be the result of bounded
rationality. The results of a survey of North German farmers show that they are indeed bounded
rational borrowers. They greatly underestimate the monetary disadvantages which are caused by the
higher interest rates for loans from their house bank. In other words: they do not switch banks even
if their individually perceived transaction costs are already “covered” by the lower interest rates of
the alternative loan offer.
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Verhalten landwirtschaftlicher Unternehmer bei der Fremdkapitalaufnahme
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Résumé
Les exploitants agricoles agissent-ils de manière non rationnelle en empruntant
des fonds de tiers?
– Une analyse empirique –
Il arrive souvent que les agriculteurs ne quittent pas leur banque habituelle pour une autre, même si
la banque concurrentielle offre un taux d’intérêts débiteurs plus bas. D’une part, cette «passivité»
peut s’expliquer par les frais de transaction dus lors d’un tel changement. D’autre part, elle peut aussi
résulter d’un comportement pas vraiment rationnel. L’analyse des résultats d’une enquête menée
auprès d’un groupe d’agriculteurs de l’Allemagne du Nord montre que ces derniers agissent en effet
de manière pas tout à fait rationnelle. Ainsi, ils sous-estiment le désavantage financier causé par les
intérêts débiteurs plus élevés de leur banque habituelle. Autrement dit, ils ne quittent pas leur banque
bien que les frais de transaction reliés au changement et jugés subjectivement par eux soient déjà
largement « compensés » par l’intérêt effectif plus bas de l’offre de prêt alternative.
Literatur
1. akerlof, g. a.; dickens, w. t., 1982: The Economic Consequences of Cognitive Dissonance. In:
American Economic Review 72 (3), S 307–319.
2. brocas, I.; carrillo, J. D., 2003: The Psychology of Economic Decisions: Rationality and Well-being.
Oxford University Press, Oxford.
3. festinger, l., 1957: A Theory of Cognitive Dissonance. Standford University Press, Stanford.
4. frey, b. s.; benz, m.; stutzer, a., 2004: Introducing Procedural Utility: Not Only What, But Also
How Matters. In: Journal of Institutional and Theoretical Economics 160 (3), S. 377–401.
5. gigerenzer, g., 2007: Das Einmaleins der Skepsis. Berliner Taschenbuch Verlag, Berlin.
6. kahneman, d.; tversky, a., 1979: Prospect Theory: An Analysis of Decision under Risk. Econometrica 47 (2), S. 263–291.
7. münchow, m. m., 1994: Bankenmacht oder Kontrolle durch Banken - Eine institutionen-ökonomische
Analyse der Beziehung zwischen Banken und Unternehmen in Deutschland. Pro Universitate Verlag,
Sinzheim.
8. plötscher, c., 2001: Finanzierungsrestriktionen bei Unternehmen - Ursachen und Auswirkungen in
Deutschland. Deutscher Universitäts-Verlag, Wiesbaden.
9. schneider, R.; schneeberger, W.; eder, M.; freyer, B., 2002: Umstellungsprobleme werden überschätzt. In: Blick ins Land 06/2002, S. 29–30.
10. simon, h. a., 1956: Rational Choice and the Structure of Environments. In: Psychological Review 63
(2), S 129–138.
11. vogt, J., 1997: Vertrauen und Kontrolle in Transaktionen. Gabler, Wiesbaden.
12. williamson, o. e., 1985: The Economic Institutions of Capitalism: Firms, Markets, Relational Contracting. Free Press, New York.
Dank
Für hilfreiche Kommentare, Anregungen und Kritik danken wir silke hüttel und den Gutachtern.
oliver musshoff dankt der Deutschen Forschungsgemeinschaft für die finanzielle Unterstützung.
Autorenanschrift: Prof. Dr. oliver musshoff, harm wassmuss, Georg-August-Universität Göttingen, Fakultät für Agrarwissenschaften, Department für Agrarökonomie und Rurale Entwicklung, Platz der Göttinger Sieben 5, 37073 Göttingen, Deutschland
[email protected]
Dr. norbert hirschauer, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Naturwissenschaftliche Fakultät III, Institut für Agrar- und Ernährungswissenschaften,
Ludwig-Wucherer-Straße 2, 06108 Halle (Saale), Deutschland
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Die Auswirkung von Heizölpreissteigerungen auf sächsische
Gartenbauunternehmen
Teil II: Maßnahmen zur Energiekosteneinsparung der Unterglasbetriebe
Von georg ruhm, nazim gruda, Wolfgang bokelmann und uWe schmidt, Berlin
1
Einleitung
Die dramatisch zugespitzte Preissituation im Energiesektor, speziell bei fossilen Brennstoffen, bedroht vornehmlich die Gewächshausproduktion. Besonders die Existenz kleiner
und mittlerer Gartenbaubetriebe ist derzeit ernsthaft gefährdet. Aktuelle Studien zeigen,
dass die zunehmende Verteuerung des Faktors Energie, insbesondere von Öl und Gas, bei
vielen Unterglasbetrieben in Deutschland zu einem Gewinnrückgang führt. Eine Umfrage
bei 60 Zierpflanzenbetrieben in Sachsen hat zwar Umsatzsteigerungen gezeigt; diese
Umsatzzuwächse der letzten Jahre sind jedoch nicht auf Preissteigerungen, sondern auf
Flächenzuwächse und z. T. auf eine verbesserte Flächennutzung zurückzuführen und reichen nicht aus, die gestiegenen Energiekosten zu decken. Dabei sind die Energiekosten bei
kleineren Betrieben (<3000 m2) im Verhältnis zum Umsatz am stärksten gestiegen (24).
Im Rahmen eines Projektes zur Energiesituation von Gartenbaubetrieben in Sachsen
wurde im ersten Teil dieses Artikels eine Analyse der Ausgangs- und Energiesituation
dargestellt (vgl. 8). Die wirtschaftliche Situation zahlreicher Unterglasbetriebe in Sachsen ist so einzuschätzen, dass notwendige umfangreiche Investitionen – beispielsweise
im Rahmen einer Umstellung der Heizungssysteme – von zahlreichen Betrieben nicht
geleistet werden können. Weiter sind diese Betriebe mittelfristig zu Anpassungsstrategien
gezwungen, um nicht an Konkurrenzfähigkeit zu verlieren und bei zunehmenden Preissteigerungen im Energiebereich weiter am Markt zu existieren.
Aufbauend auf dieser Analyse der Ausgangs- und Energiesituation können einige Optimierungsansätze bezüglich der Energieeffizienz abgeleitet werden. Hier ist die Frage zu
klären, welche Maßnahmen für bestehende Betriebe Energieeinsparungen und somit Kostenentlastungen ermöglichen. Ferner soll auch auf aktuell diskutierte Möglichkeiten zur
Nutzung alternativer Brennstoffe eingegangen werden. Neben einer eigenen Energieversorgung der Unternehmen sollen hier auch Ansätze einer externen Wärmeversorgung im
Rahmen von Contracting-Modellen, durch z. B. industrielle Abwärme oder landwirtschaftliche Anbieter, sowie die damit verbundenen Vor- und Nachteile betrachtet werden.
Neben der Beurteilung von Kosteneffekten spielen bei einer Entscheidung für
Wärmekonzepte weitere Faktoren, wie etwa die Verfahrenssicherheit, Preisentwicklungstendenzen, Planungs- und Organisationsaufwand u. a. eine wichtige Rolle. Abschließend
sollen auch diese Ergebnisse der Studie kurz wiedergeben werden.
U.S. Copyright Clearance Center Code Statement:
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Maßnahmen zur Energieeinsparung der Unterglasbetriebe
247
2 Absenkung des Wärmeenergiebedarfs durch Maßnahmen zur Ver­
besserung der Energieeffizienz
Unter energiesparenden Maßnahmen sind vorrangig Maßnahmen zu verstehen, die den
Energieverbrauch pro Flächeneinheit oder Produktionseinheit vermindern. Der Heizenergieverbrauch ergibt sich rechnerisch aus der Formel (34):
qH = AH/AG k‘ Δt – qSF D η
qH = spezifische Wärmeverbrauch (W/m2)
AH = Hüllfläche (m2)
AG = Grundfläche (m2)
k‘ = Wärmeverbrauchskoeffizient (W/m2 K)
Δt = (ti – ta), ti = die Innentemperatur, ta = die Außentemperatur (°C)
qSF = Freilandglobalstrahlung (W/m2)
D = die Durchlässigkeit der Gewächshauskonstruktion (-)
η = ein Faktor, Wirkungsgrad Umsetzung in sensible Wärme (-)
Der im zweiten Teil der Gleichung enthaltene Zugewinn an Energie kann jedoch nur dann
wirksam werden, wenn es gelingt, Anteile der am Tage eingestrahlten Sonnenenergie für
den Wärmebedarfsfall nutzbar zu machen. Hierzu werden Wärmespeichertechnologien
oder/und spezielle Klimasteuerstrategien (z. B. warm evening strategy) eingesetzt.
Energieverluste entstehen durch ungünstige Verhältnisse von Hüllfläche zu Grundfläche, hohe Temperaturen und Verwendung ungeeigneter Materialien. Über 90 % des
Gesamtenergieverbrauchs fallen im Unterglasanbau für die Beheizung der Gewächshäuser an (26).
Viele Ansätze zur Energieeinsparung bei Gewächshäusern sind konstruktiver Natur.
Hierzu zählen z. B. Neubauten in Blockbauweise, Doppelverglasungen, Energieschirme,
(zeitweilige) Noppenfolie an den Stehwänden und Untertischheizung. Aus Platzgründen
wird hier jedoch nur auf ausgewählte Ansätze eingegangen.
2. 1.
Gewächshauskonstruktion und der Zustand der Häuser
Im Freistaat Sachsen sind 31 % aller Gewächshäuser zwischen 10 und 25 Jahre alt, 40 %
sogar älter als 25 Jahre (8; 21). In diesem Zusammenhang ist es sinnvoll zunächst alle
vorhandenen bautechnischen Einrichtungen zu prüfen, mit dem Ziel, ein Maximum an
Isolation zu erreichen.
Ein beträchtlicher Teil der Wärme wird über den Luftwechsel abgeführt. Abgerutschte
oder gebrochene Scheiben, undicht gewordene Verkittungen, schlecht schließende Lüftungsklappen, Türen und Tore sind dafür verantwortlich. Die Wirkung solcher Öffnungen
auf den Wärmeverbrauch wird in der Praxis häufig unterschätzt. Bereits eine alte, schlecht
schließende Firstlüftung kann den Wärmeverbrauch um bis zu 20 % erhöhen (3). Um die
Sonnenenergie maximal zu nutzen, sollte man weiterhin den Lichteinfall in das Gewächshaussystem optimieren, indem Scheiben regelmäßig gereinigt oder gewechselt werden.
Als eine bei optimalem Einsatz sehr effektive Maßnahme zur Energieeinsparung ist
der Einsatz von Energieschirmen zu sehen. Für den Dachbereich empfiehlt sich daher
Einfachverglasung in Kombination mit einem dicht schließenden Energieschirm. Kalkulationen zur Wirtschaftlichkeit von Energieschirmen im Rahmen der Studie haben gezeigt,
dass diese sich bei einem angenommenen Energiepreis von 5 €ct/kWh in Abhängigkeit des
Investitionsaufwands ab einer jährlichen Energieeinsparung von ca. 30–60 kWh rentieren.
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Georg Ruhm, Nazim Gruda, Wolfgang Bokelmann und Uwe Schmidt, Berlin
Bei einem angenommenen Energiebedarf in der Tomatenproduktion von 430 kWh/m² entspräche dies einer Energieeinsparung von 10 bzw. 13 %. In einem vom BMELV in Auftrag
gegebenen Forschungsprojekt zum Einsatz von Energieschirmen in einem Tomatenproduktionsbetrieb waren im Rahmen der Kulturführung Einsparungen von rund 17 % zu
realisieren. Im Zierpflanzenbau sind zum Teil deutlich höhere Einsparungen zu erreichen
(13; 14). Fehlt der Energieschirm, kann man bei Nachrüstung in Abhängigkeit von der
Kulturführung mit Einsparungen von bis zu 40 % der Energiekosten rechnen.
Auch eine Isolierung der Flächen kann deutliche Energieeinsparungen erbringen. Für
viele Kulturen kommt nur eine Isolierung der Stehwände und Giebel in Frage. Bei sachgemäßer Installation kann der Energieaufwand um bis zu 30 % vermindert werden. Bei
insgesamt 91 % der Gewächshausfläche in sächsischen Gewächshäusern ist der Stehwandbereich mit Materialien ausgestattet, die nicht optimal isolieren, wie z. B. Einfachglas oder
einfache Folie. Die Anbringung von Noppenfolie auf Stehwänden und Giebel ist eine
sinnvolle Maßnahme, um Wärmeverluste zu verringern. Gute Isolierung von Kessel und
Zuleitungen, regelmäßige Wartung und Reinigung von Kessel und Brenner, Verringerung
von Stillstandverlusten durch Abstufung der Heizleistung, Einsatz eines Abgaskondensators und die Nutzung der Niedertemperatur- und Brennwerttechnik haben einen hohen
Einfluss auf den Wirkungsgrad der Kesselanlage.
Da Klimasensoren ständig der Globalstrahlung ausgesetzt sind, sollten Temperaturund Luftfeuchtefühler mit Strahlenschutz und Ventilierung versehen sein. Weiterhin sollten die Messgeräte regelmäßig gewartet und deren Funktion kontrolliert werden. Daneben
sind neue Sensortechnologien einzuführen, mit deren Hilfe mehr Informationen über die
Energieumsätze in den Kulturen bereitgestellt werden können. So steht mit dem Phytomonitoring inzwischen ein Verfahren zur Erfassung der thermischen Bilanzen an der
Pflanze zur Verfügung. Damit können Gewebetemperaturen der Pflanzen berechnet und
zur Steuerung des Mikroklimas nutzbar gemacht werden.
Mithilfe von Klimacomputern ist es möglich, komplexe Klimaregelstrategien einzusetzen und Energieeinsparungen im Bereich von 10 % zu erzielen (32).
Besonders aussichtsreich bei der Entwicklung neuer Technologien zur Energieeinsparung scheinen dynamische Klimastrategien zu sein. Charakteristisch für diese Strategietypen ist, dass keine konstanten Temperaturen auf die Pflanzen einwirken, sondern die
Temperaturen in unterschiedlich langen Zeiträumen stark variieren können (17). Zu den
dynamischen Klimastrategien zählen zum Beispiel Temperatursummenregelung, strahlungs-, wind- und außentemperaturabhängige Regelung.
Eine Wärmeintegration kann auch über mehrtägige Witterungsschwankungen realisiert werden. Die Überwachung der Temperatursummen ist dabei ein besonders wichtiger Bestandteil. Das Programm zur Korrektur des Heizungssollwertes nach der Differenz
zwischen den erwarteten (langjährigen Mitteln) und tatsächlichen Außentemperaturen
wird als „dynamische Außentemperaturkorrektur (dATKorrektur)“ bezeichnet. Versuche
in Pillnitz haben bei Frühjahrs- und Herbstkulturen ein Einsparpotenzial von 15 bis 20 %
ergeben, ohne dass es zu Kulturzeitverlängerung oder Qualitätsverlusten kam (31; 32).
Dem Wachstumsfaktor „Licht“ wird der größte Einfluss auf die Pflanzenentwicklung
beigemessen. Das in Dänemark entwickelte Intelligrow®-Verfahren basiert auf einer Temperaturführung nach den Lichtverhältnissen und entsprechender Photosyntheseleistung
der Pflanzen. In lichtschwacher Zeit werden die Temperaturen über das bisherige Maß
hinaus abgesenkt, um Heizenergie zu sparen.
Dies sind erste Schritte zu einer Prozesssteuerung mit mehrfaktorieller Optimierung
der Wachstumsfaktoren einerseits und der energierelevanten Prozesseinstellungen andererseits.
Bei sinkenden Preisen für Hardware sollte abweichend von der bisherigen Meinung
auch moderne Regelungstechnik für ältere Gewächshäuser vorgesehen werden. Mit ent-
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Maßnahmen zur Energieeinsparung der Unterglasbetriebe
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sprechenden Algorithmen könnten dadurch Maßnahmen der baulichen Wärmeisolierung
bewertet und auf die Klimaführung ausgerichtet werden.
2. 2.
Kulturmaßnahmen zur Energiekostensenkung
Durch die Veränderung pflanzenbaulicher Maßnahmen können hinsichtlich der Energieeinsparung keine außerordentlichen Ergebnisse erzielt werden, da Pflanzen biologische
Systeme sind, die für ihre Entwicklungsprozesse eine bestimmte Wärmemenge benötigen.
Bei zahlreichen Kulturen werden dennoch in der Forschung Ansätze diskutiert, durch
Anpassungen des Kulturverfahrens eine Senkung des Wärmebedarfs zu erreichen. Eine
Energieeinsparung soll dabei im Wesentlichen durch verringerte Temperatursollwerte oder
Kulturzeitverkürzungen in den Hauptheizperioden erzielt werden. Auch durch Ertragssteigerungen lässt sich das Verhältnis von Energiekosten/Mengeneinheit produzierter Ware
verbessern.
2.2.1
Kulturzeitverkürzung und Kaltkultur
Einer der intensiv diskutierten Punkte ist die Möglichkeit, den Kulturverlauf so zu verändern, dass die heizkostenintensiven Zeiten möglichst kurz sind. ludolph (18) zeigte
beispielsweise die Auswirkungen auf die Heizkosten für verschiedene Pelargoniensätze,
die zu unterschiedlichen Zeiten (1. bis 11. KW) getopft wurden, aber alle Anfang Mai verkaufsbereit sein sollten. Die Ist-Temperaturen über den gesamten Kulturzeitraum bewegten sich zwischen 16 °C beim ersten Satz bis zu 21 °C beim letzten Satz. Obwohl die ersten
Sätze verhältnismäßig kühl kultiviert wurden, lagen die Heizenergiekosten höher als in
den letzten Sätzen. Allerdings waren die Pflanzen der Sätze, die nach der 7. Kalenderwoche getopft wurden auch deutlich kleiner als die zu einem früheren Zeitpunkt getopften
Pflanzen (18).
Für die Produktion von Beet- und Balkonpflanzen sind zwei Kulturverfahren praxisüblich, Kalt- und Warmkultur. Die Warmkultur zeichnet sich durch eine kürzere Kulturzeit
und bessere Anwachsraten durch bereits bewurzelte Jungpflanzen aus (15). Jedoch sollen
beide Kulturvarianten nicht isoliert von der weiteren Anbauplanung und vom übrigen
Betriebsablauf verglichen werden.
krusche (12) untersuchte die betriebswirtschaftlichen Aspekte einer Kaltkultur von
Poinsettien und kam zu dem Ergebnis, dass sich bei hohen Energiekosten und niedrigen
Kosten für die Produktionsfläche Kostenvorteile ergeben können. In der Untersuchung
wurde im besten Fall eine Kostensenkung um 0,15 € je Pflanze erreicht. Allerdings ergaben sich im schlechtesten Fall Mehrkosten durch die Kaltkultur pro Pflanze von 0,17 €.
Bei steigenden Energiepreisen wird eine Kaltkultur in Abstimmung mit den betrieblichen
Gegebenheiten an Bedeutung gewinnen (12).
2.2.2
Stufenproduktion
Auch durch die Verwendung von Halbfertigware lässt sich eine deutliche Kulturzeitverkürzung erreichen. Jungpflanzenbetriebe bieten bei verschiedenen Kulturen für die Zierpflanzenproduktion schon seit Jahren neben Jungpflanzen auch Halbfertigware für die
Produktion an. Den Einsparungen bei Heizkosten, Arbeitszeitbedarf und beispielsweise
Kulturgefäßen stehen die höheren Kosten für die Rohware entgegen.
Die folgende Tabelle gibt einen Überblick über die Preissituation (ohne Mehrwertsteuer, Transportkosten und Lizenzgebühr) für Jungpflanzen und Halbfertigware für Pelargonien- und Poinsettienkulturen. Die Angaben resultieren aus Anfragen bei verschiedenen
Jungpflanzenunternehmen.
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Georg Ruhm, Nazim Gruda, Wolfgang Bokelmann und Uwe Schmidt, Berlin
Tabelle 1. Preisspannen für Jungpflanzen und Halbfertigware
(Pelargonien/Poinsettien)
Pelargonien Zonale/Peltatum
Poinsettia
Jungpflanzen/Rohware
Jungpflanzen mit Topfballen
12 cm Topf
Jungpflanzen mit Topfballen
Mehrtrieber (12 cm Topf)
Midi Mehrtrieber (10,5 Topf)
Eintrieber (10,5 Topf)
Preis in €/Stück
0,20–0,34*)
0,55–0,68
0,25–0,40
1,00–1,20
0,80–1,05
0,70–0,95
*) In Abhängigkeit von der Topfballengröße und der Abnahmemenge
Quelle: Eigene Darstellung anhand von Angaben verschiedener Jungpflanzenunternehmen
Mit steigender Abnahme bieten die Unternehmen in aller Regel die Pflanzen zu geringeren
Stückkosten an. Dies verdeutlicht an dieser Stelle auch Nachteile kleiner Betriebe.
Zu den höheren Pflanzenkosten für die Rohware kommen auch, wenn nicht bei sehr
großer Bestellmenge die Ware versandkostenfrei geliefert wird, höhere Preise für den
Transport. Während diese bei Jungpflanzen (z. T. in Abhängigkeit von der Entfernung
und der Stecklingsart) bei ca. 0,015 €/Stück liegen, muss für Rohware mit Kosten in einer
Größenordnung von 0,05–0,15 €/Pflanze gerechnet werden.
Beispielrechnungen für Pelargonium Zonale Hybriden und für Poinsettien (Daten nicht
dargestellt) verdeutlichen zunächst bei verschiedenen Heizölpreisen die Kosteneffekte auf
Einzelkostenbasis einer „Normalkultur“ im Verhältnis zu einer Kultur mit Halbfertigware.
Aufgrund des verhältnismäßig hohen Wärmebedarfs wurde davon ausgegangen, dass ein
Energieschirm vorhanden ist und eine Nachtabsenkung der Temperatur stattfindet. Die
Berechnungen wurden mithilfe des Programms Com(putergestüzte) Pro(duktionsplanung)
3.0 durchgeführt, wobei die Kulturdaten anhand verschiedener Literaturangaben (1; 4; 11;
30) den klimatischen Bedingungen im Bundesland Sachsen und der oben angegebenen
Preise angepasst wurden.
Für die Produktion von Pelargonium Zonale Hybriden zeigt sich, dass durch die höheren Preise für die Rohware, zumindest bei der betrachteten Ausstattungsvariante des
Gewächshauses, auch bei höheren Brennstoffpreisen nur sehr geringe Kostenvorteile entstehen. Bei Poinsettien ergeben sich aufgrund der hohen Rohwarenpreise sogar Mehrkosten (Daten nicht dargestellt).
Da sich bei Halbfertigware allerdings eine deutlich kürzere Standzeit ergibt, können
Vorteile bei den Kulturen zuzurechnenden anteiligen Gemeinkosten1) vorliegen. Ausgehend von einem Gemeinkostenanteil von 0,09 €/Bruttoquadratmeter (11) ergibt sich für die
dargestellte Pelargonienkultur mit Halbfertigware ein Kostenvorteil von rund 215 €, bei
Poinsettien ergeben sich auch unter der Berücksichtigung der Gemeinkosten keine Kostenvorteile. Der Kostenvorteil bei Pelargonien ist abhängig von der Gesamtproduktionsplanung des Betriebes. Wird eine bestehende Kultur mit Jungpflanzen lediglich durch
eine Kultur mit Halbfertigware ersetzt, so sind hier keine Kostenvorteile zu erwarten, da
die verbliebenen Kulturen auch bei kürzerer Standzeit weiterhin die Gemeinkosten tragen
müssen. Vorteile treten vor allem dann auf, wenn Halbfertigware zur Optimierung der
Flächennutzung eingesetzt wird (Tab. 2).
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Maßnahmen zur Energieeinsparung der Unterglasbetriebe
Tabelle 2. Beispielkalkulation für eine Kulturführung mit Jungpflanzen und
Halbfertigware bei Pelargonium Zonale Hybriden Angaben
Pelargonium Zonale Hybriden
(Angaben bezogen auf 1 000 Pfl.)
Kulturbeginn
Kulturdauer
Kulturende
Tagesbruttoquadratmeter
Pflanzen/Nm2 (Endstand)
Kosten Jungpflanzen in €
€/l Heizöl
Heizkosten in €
Arbeitskosten (bei 20 €/h) in
Weitere Einzelkosten in €
(Düngung, Pflanzenschutz, Kulturgefäße etc.)
Summe Einzelkosten bei versch.
Heizölkosten (€/l) in €
Jungpflanzenkultur
12er Topf
Woche 07
15 Woche
Woche 21
4 565
20
320
0,4
165
0,5
206
225
0,6
248
Halbfertigware
12er Topf
Woche 17
5 Wochen
Woche 21
2 067
20
693
0,4
0,5
0,6
50
63
76
118
294
0,4
1 079
0,5
1 120
216
0,6
1 162
0,4
1 117
0,5
1 130
0,6
1 143
Quelle: Eigene Darstellung, Kulturdaten in Anlehnung an (1; 4; 11; 30)
Diese Ergebnisse decken sich auch mit Aussagen von Jungpflanzenbetrieben, die den Einsatz von Halbfertigware insbesondere bei solchen Betrieben als sinnvoll erachten, die
durch ihren Einsatz eine hohe Flächenbelegung erreichen.
Aus Sicht der Jungpflanzenbetriebe entsteht durch die Produktion von Rohware ein
deutlich höherer Bedarf an Produktionsfläche. Z. T. sehen die Betriebe hier das Problem,
dass, um die Mehrkosten durch die zusätzliche Fläche zu erwirtschaften, auch Fertigware in gewissem Umfang produziert werden muss, was zum einen nicht der eigentlichen
Betriebsausrichtung entspricht und zum anderen nicht im Sinne der Jungpflanzen- und
Rohwarenkunden ist.
2.2.3
Sortenwahl
Eine weitere Möglichkeit der Energieeinsparung besteht in der Auswahl temperaturtoleranter Arten und Sorten. Durch eine gezielte Auswahl ist eine Produktion ohne Kulturzeitverlängerung bei niedrigeren Tagesmitteltemperaturen möglich (15).
Bei Poinsettien beispielsweise lässt sich durch die Weiterentwicklung von stärker
wachsenden Sorten mit langer kritischer Tageslänge bzw. schneller Brakteen-Entwicklung, wie z. B. ‚Early Millennium’ oder ‚Silent Night’ der Zeitraum der heizintensiven
Kurztagsphase, verkürzen. Dennoch scheint fraglich ob diese Tendenz zu einer befriedigen Markentwicklung führen wird (18).
2.2.4
Ertragssteigerungen
Durch Ertragssteigerungen ist es grundsätzlich möglich den Anteil der Heizkosten an den
Stückkosten zu senken, wie exemplarisch auch in Untersuchungen zur Gurken- und Tomatenproduktion in Pillnitz gezeigt wurde (16). So haben diese Versuche gezeigt, dass eine
Ertragssteigerung bei Gurken von 120 Stück/m² auf z. B. 140 Stück/m² bei Energiekos-
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ten von 0,04 €/kWh eine Kostenentlastung der anteiligen Energiekosten (pro Gurke) um
1,40 €ct/Stück (von 10,20 €ct/Gurke auf 8,80 €ct/Gurke) bedeutet.
Um zukünftig die Effizienz des Wärmeenergieeinsatzes und auch der Reduktion der
CO2-Emmissionen besser vergleichen und beurteilen zu können, wäre es insgesamt sinnvoller, den Energieverbrauch auf das Produkt zu beziehen, beispielsweise pro Kilo Tomate
oder pro Rosenstiel. Dann gingen in die Bewertung – neben den aufgeführten technischen
Maßnahmen – auch eine bessere Flächenausnutzung, kulturtechnische und züchterische
Maßnahmen mit ein (29). Die produktspezifische Bewertung energetischer Maßnahmen
sollte zukünftig zu einer Standardmethode im Sinne einer Produktivität des Energieeinsatzes entwickelt werden.
2.2.5
Gemeinsamer Brennstoffeinkauf
Eine weitere Möglichkeit Heizkosten zu reduzieren, ist der gemeinsame Einkauf von
Brennstoffen, vor allem Heizöl. Neben einem Gemeinschaftstank, der einen hohen logistischen Aufwand erfordert, wären auch Sammelbestellungen, wie sie für den Privatbereich
schon länger empfohlen werden, interessant. Je größer die Gesamtabnahmemenge und je
geringer die Anzahl der Lieferstellen ist, desto größer fällt dann der Mengenrabatt beim
Preis aus. Einsparungen von 2 €ct pro Liter werden als realistisch angesehen (9). Bei
einem Heizenergiebedarf von 20 bis 40 Liter Heizöl je m2 Glasfläche ergeben sich für eine
2500 m2 große Gewächshausfläche Einsparungen von 1000 bis 2000 €.
Neben den regionalen Preisschwankungen variieren die Preise innerhalb eines Jahres
um bis zu 50 % (5). Der Einkaufszeitpunkt kann somit auch einen großen Einfluss auf die
Brennstoffkosten haben.
3 Verwendung anderer Energieträger zur Energieerzeugung
Neben den vorher beschriebenen Optimierungsmöglichkeiten bestehender Gewächshäuser und weiteren Ansätzen zur Verbesserung der Energieeffizienz, kann auch die Entscheidung für ein neues Heizungssystem – in Abhängigkeit der Betriebsstrukturen – Kosteneinsparungen erbringen.
Derzeit stellen vor allem Öl und Gas die hauptsächlich genutzten Energieträger im
Unterglasanbau in Sachsen dar (8). In den letzten Jahren sind aber verstärkt biogene
Brennstoffe, wie etwa Holz, Stroh, Getreide, Pflanzenöl etc. in der Diskussion. Diese
Entwicklung korrespondiert mit dem Ziel des Freistaats Sachsens, bis zum Jahr 2010 den
CO2-Ausstoß in den Bereichen Verkehr, private Haushalte, Kleinverbraucher und Industrie (ohne Großfeuerungsanlagen) um 2,5 Mio. t gegenüber 1998 zu senken. Während des
Zeitraumes von 2005 bis 2010 sollen 5 % des Endenergieverbrauches aus erneuerbaren
Energien gedeckt werden (27).
Betriebe, die eine Erneuerung, bzw. Modernisierung der Heizungsanlage benötigen,
befinden sich zunächst in einer „Make“ oder „Buy“ Entscheidungssituation. Soll ein Heizungssystem selber angeschafft (erneuert) und betrieben werden, oder soll über ein Contractingmodell, bzw., soweit möglich, über die Nutzung von Abwärme ein reiner Wärmeeinkauf erfolgen. Welche Lösung für einen Betrieb vorteilhaft ist, lässt sich letztlich nur
in Abhängigkeit der spezifischen Betriebssituation beantworten.
Insbesondere bei einer Biomassenutzung ergeben sich verschiedene Fördermöglichkeiten, die einen weiteren Anreiz zur Nutzung bieten sollen. So werden auf Bundesebene
Biogasanlagen zur Stromerzeugung oder zur kombinierten Strom- und Wärmerzeugung
und Biomassefeuerungsanlagen nach dem Marktanreizprogramm „zur Förderung von
Maßnahmen zur Nutzung erneuerbarer Energien“ gefördert. Im Rahmen des Programms
zur Förderung erneuerbarer Energien können Biomasseanlagen zur Wärmeerzeugung,
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Maßnahmen zur Energieeinsparung der Unterglasbetriebe
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Biogasanlagen, ebenso wie beispielsweise Tiefengeothermieanlagen – durch die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) – über zinsgünstige Darlehen gefördert werden. Zudem
bestehen in den einzelnen Ländern Förderprogramme (10). In Sachsen sind zunächst
allerdings 2006 das Agrarinvestitionsförderprogramm (RL 21) und die Förderung der
nachhaltigen Entwicklung der Landwirtschaft (RL 51) 2006 ausgelaufen. Über diese Programme wurden im Gartenbau zwischen 2000 und 2005 insgesamt 84 Maßnahmen mit
einer Gesamtfördersumme von rund 900 000 € bewilligt. Derzeit werden in Sachsen neue
Förderprogramme vorbereitet.
Neben einer Biomassenutzung zeigen sich in den letzten Jahren auch verstärkt Ansätze
einer Erdwärmenutzung. Beispielsweise sind in Holland bereits verschiedene Modellprojekte zur Gewächshausbeheizung über eine Erdwärmenutzung (über sogenannte „geschlossene Gewächshäuser“) in Planung bzw. in Betrieb. Insgesamt befindet sich diese Technologie aus gartenbaulicher Sicht aber noch in einem frühen Entwicklungsstadium.
Aufgrund der preislichen Situation hat zudem die Kohlenutzung in den letzten Jahren
für den Unterglasanbau wieder an Attraktivität gewonnen. Für den Gartenbau wird insbesondere die Nutzung von Anthrazitkohle diskutiert. Vorteile liegen in dem hohen Heizwert
und der hohen Dichte, wodurch ein geringerer Lagerraum, als beispielsweise bei Holz,
benötigt wird. Auch liegen die Brennstoffkosten deutlich unter denen für Heizöl oder
Gas, allerdings etwas höher als bei Holzhackschnitzeln. Zudem haben sich in den letzten
Jahren nur moderate Preissteigerungen ergeben. Aufgrund der hohen CO2-Emissonen bei
der Kohleverbrennung ist diese Entwicklung aus umweltpolitischer Sicht jedoch kritisch
zu sehen.
Insgesamt lässt sich das Kosteneinsparpotenzial alternativer Energieträger im Vergleich
zu herkömmlichen fossilen Brennstoffen nicht allein anhand des Energiepreisniveaus
beurteilen. Erst durch die Berechnung der Wärmegestehungskosten, in die neben den
Brennstoffkosten auch die durch die Investitionen entstehenden kaptialgebundenen Kosten und die z. B. durch den Wartungsaufwand entstehenden betriebsgebundenen Kosten
mit einfließen, ist ein realistischer Vergleich verschiedener Heizungssysteme möglich.
Hierzu wurden im Rahmen der Untersuchung umfangreiche Modellkalkulationen
durchgeführt. Dabei wurden als Brennstoffe Holzhackschnitzel, Holzpellets, Stroh und
Kohle im Vergleich zu einer Heizölanlage und für Sachsen typische Ausstattungsvarianten und Gewächshausgrößen berücksichtigt, wie sie bereits im ersten Teil des Artikels
dargelegt wurden.
Insgesamt hat sich bei den Berechnungen gezeigt, dass aufgrund der deutlich höheren Investitionskosten für Heizungssysteme, die mit alternativen Brennstoffen beschickt
werden, der Wärmebedarf eine große Rolle für ein mögliches Einsparpotenzial gegenüber einer Heizölanlage darstellt. So ist beispielsweise bei einem Kalthausbetrieb nur bei
sehr günstigen Rahmenbedingungen von Kostenvorteilen auszugehen, wie die folgende
Abbildung 1 zeigt, die die Ergebnisse einer Vergleichsrechnung zwischen einer Holzhackschnitzelnutzung und einer Heizölanlage bei einem 2500 m² großen Gewächshaus
bei geringem Wärmebedarf (Kalthausbetrieb) unter Berücksichtigung verschiedener Rahmenbedingungen darstellt.
Dagegen ist bei hohem Wärmebedarf im Allgemeinen von deutlichen Kostenvorteilen
für alternative Heizanlagen (inklusive Kohle), die mit rund 20–30 % zu beziffern sind,
auszugehen. Die Amortisationszeit liegt dann durchschnittlich bei 8–9 Jahren. Lediglich
die Nutzung von Holzpellets hat aufgrund der in den letzten Jahren stark angestiegenen
Preise selbst bei hohem Wärmebedarf keine Kostenvorteile gezeigt.
Während für alle biogenen Brennstoffe bei einer Grundlastnutzung von einer deutlichen Reduktion der CO2 Emissionen von 80–90 % gegenüber einer Heizölanlage auszugehen ist, liegen diese bei einer Kohleheizung um rund 20 % höher.
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Abb. 1. Wärmegestehungskosten in Euro/ MWh für eine Holzhackschnitzelanlage im Vergleich zu
einer Heizölanlage bei verschiedenen Rahmenbedingungen/Kalthaus 2500 m2
Quelle: Eigene Darstellung
Die Wärmeerzeugung mit Holz wird durch Gewächshausbetriebe bereits verstärkt genutzt;
dagegen stehen Entwicklungsmöglichkeiten wie etwa die der Stroh- oder Getreidenutzung
zur Wärmeerzeugung im Gartenbau noch am Anfang.
4
Contractingmodelle/Möglichkeiten des Wärmeeinkaufs
Bei der Neugestaltung der Heizungssysteme, bzw. Neuplanung von Gewächshausanlagen
kann in Abhängigkeit der Betriebs- bzw. Planungssituation auch ein externer Wärmeeinkauf eine sinnvolle Lösung bedeuten. Dabei sollen hier zwei unterschiedliche Pfade abgegrenzt werden. Zum einen werden Möglichkeiten einer externen Nutzung von Abwärme
in Sachsen skizziert, die aufgrund der zum Teil benötigten Standortnähe besonders bei
Neuplanungen von Bedeutung sein können. Zum anderen werden – und dies bietet sich
in aller Regel auch für bestehende Betriebe an – die Möglichkeiten im Rahmen von Contractingmodellen, insbesondere das Anlagen-Contracting, kurz erläutert.
4.1
Energieliefer­Contracting/Anlagen­Contracting
Unter diesem Begriff werden Modelle zusammengefasst, bei dem vom Contractor im
Regelfall eine Energieanlage auf eigenes Risiko geplant, gebaut und betrieben wird. Somit
findet eine Risikoverschiebung vom Unternehmen hin zum Dienstleister statt. Die Anlagen verbleiben im Besitz des Contractors. Mit dem Contractingnehmer werden im Gegenzug langfristige Verträge, die größtenteils Laufzeiten zwischen 5 und 20 Jahren aufweisen,
über Energielieferungen abgeschlossen.
Die Refinanzierung beim Anlagen-Contracting findet über die Entgelte für die Energiebereitstellung und -lieferung statt.
Aufgrund der langen Vertragslaufzeiten sind in aller Regel auch vertragliche Preisanpassungsoptionen notwendig. Dies muss auch im Interesse der Wärmeabnehmer sein,
da beispielsweise bei deutlichen Brennstoffpreissteigerungen, wie sie zum Teil bei Holz
stattgefunden haben, sonst die Unwirtschaftlichkeit der Anlage droht, was letztlich zur
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Stilllegung und damit zur Einstellung der Wärmelieferung führen kann. Insgesamt sollten
die richtigen Bezugsgrößen, wie etwa die Lohnkosten oder der Brennstoffpreis, sowie eine
Definition der Gewichtung der Preisanteile berücksichtigt werden (7).
Contractingmodelle haben gerade im Bereich der Nutzung alternativer Brennstoffe an
Bedeutung gewonnen.
Contracting-Modelle können folgende Vorteile für den Contracting-Nehmer haben:
● Liquiditätserhalt; je nach Ausgestaltung des Vertrages kann eine Fremdkapitalaufnahme vermieden bzw. vorhandenes Kapital für andere Zwecke genutzt werden,
● Risikoreduzierung aus dem Anlagenbetrieb,
● Nutzung externen Know-hows, das eine wirtschaftlich-technische Optimierung des
Anlagenbetriebs ermöglichen kann,
● Kostenreduzierung der Betriebsführung durch Synergieeffekte beim Personaleinsatz,
● Nutzung von Förderprogrammen und oder Steuervorteilen, die dem Contracting-Nehmer nicht zugänglich sind (Beispielsweise ist für Contractingmodelle eine Vergabe von
zinsgünstigen Darlehen über die Kreditanstalt für Wiederaufbau möglich).
Zum Teil können die benannten Vorteile zu Kostenvorteilen bei der Anlagenerstellung und
dem Betrieb für den Contractor führen. Inwieweit diese auch an den Contracting-Nehmer
weitergegeben werden, hängt von den vertraglichen Regelungen und der Preisgestaltung
ab.
Insgesamt ist eine Einbeziehung Dritter bei der Anlagengestaltung bzw. Wärmeversorgung nur dann sinnvoll, wenn zumindest einer der benannten Vorteile realisiert werden
kann. Im Allgemeinen ist aufgrund von Rentabilitäts- bzw. Gewinnerwartungen des Contractors von höheren Wärmenutzungskosten im Verhältnis zu einer Eigenerstellung für den
Contracting-Nehmer auszugehen. Zudem sind Leistungen des Contractors umsatzsteuerpflichtig, was auch eine Verteuerung der Wärmebereitstellung zur Folge haben kann.
Contractingmodelle können auch dann interessant sein, wenn die Kapitalverfügbarkeit
bzw. -beschaffung für eine Eigenfinanzierung problematisch ist. Allerdings kann es für
Unternehmen, die sich in einer wirtschaftlich prekären Lage befinden, schwierig sein,
einen geeigneten Contractor zu finden.
Nach Angaben von Praktikern hat die Zahl der Anbieter von Contractinglösungen im
Bereich des Anlagencontracting, die auch im Gartenbau genutzt werden können, in den
letzten Jahren stark zugenommen. Hier ist davon auszugehen, dass sie aufgrund ihrer
Praxistauglichkeit insbesondere bei Biomasseheizanlagen/Holzheizungen von Bedeutung
sind, wobei es beispielsweise in Bayern auch bereits eine Firma für ein BiogasanlagenContracting gibt (19). Insgesamt stellt Vertrauen einen wichtigen Faktor bei der Entscheidungsfindung für einen geeigneten Contractor dar. Aufgrund der Gefahr weitreichender
Produktionsausfälle bei einem Einbruch bei der Wärmelieferung, muss die Auswahl des
Contractors sehr sorgfältig stattfinden.
Ein Betriebsleiter hat in diesem Zusammenhang darauf verwiesen, möglichst auf
Anbieter mit jahrelangen Markterfahrungen zurückzugreifen, die bereits zahlreiche Anlagen betreuen. Als weitere Absicherung sollten bei der Vertragsgestaltung ausreichende
Haftungsklauseln berücksichtigt werden.
Gerade für kleinere Betriebe kann es sich, wie von einem Betriebsleiter berichtet
wurde, aufgrund des geringen Wärmebedarfs schwierig gestalten, einen geeigneten Contractor zu finden.
4.2 Abwärmepotenzial in Sachsen
Während mit dem Anlagen-Contracting häufig Modelle umschrieben werden, die auf
einer Neuerrichtung von Energieanlagen durch den Contractor beruhen, sind auch Ansätze
denkbar, bei denen anfallende Abwärme bestehender Biogas-, Biomasse- oder Industrie-
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anlagen genutzt wird. Aufgrund einer mehrheitlich fehlenden Standortnähe von bestehenden Unterglasbetrieben zu Abwärmeanbietern und den hohen Kosten für Wärmeleitungen
besteht diese Möglichkeit vor allem bei der Neuplanung von Anlagen.
Eine Abwärmenutzung im Gartenbaubereich hat bisher jedoch nur eine geringe Bedeutung. Zu vermuten ist, dass aufgrund der in den 1980er- und 1990er-Jahren verhältnismäßig geringen Energiekosten und der energetischen Optimierung der Gewächshäuser,
andere Standortfaktoren wie Verkehrsanschluss, Verbrauchernähe, Grundstückpreise etc.
für die Wahl des Betriebsstandortes stärker von Bedeutung waren und die Betriebsleiter
häufig eine eigene Heizungsanlage bevorzugten. Zudem ergeben sich, je nach Abwärmeart, höhere Anforderungen an das zu installierende Heizungssystem.
Inwieweit sich durch die Preissteigerungen im Energiebereich und den zunehmenden
Wettbewerbsdruck eine Zunahme der Abwärmenutzung im Unterglasanbau ergibt, ist derzeit nicht abzuschätzen. Die starke Zunahme der Biomassenutzung zur Energieerzeugung,
die zumeist dezentral in kleineren bis mittleren Anlagen stattfindet, hat zu neuen Möglichkeiten geführt.
Um bestehende Möglichkeiten einer Abwärmenutzung in Sachsen zu skizzieren, werden im Folgenden landwirtschaftliche und außerlandwirtschaftliche (industrielle) Anbieter
dargestellt.
Landwirtschaftliche Anbieter
Zur Verbesserung der Einnahmeseite landwirtschaftlicher Betriebe und aufgrund der
von politischer Seite forcierten Reduzierung des CO2-Austoßes hat in den letzen Jahren
eine deutliche Zunahme des Anbaus nachwachsender Rohstoffe stattgefunden. Zum Teil
fungieren dabei die Landwirte als reine Rohstofflieferanten, beispielsweise für größere
Biomassekraftwerke, gleichzeitig findet aber auch verstärkt eine Energieerzeugung im
landwirtschaftlichen Betrieb bzw. in Kooperation mit anderen Betrieben statt. Aufgrund
der Fördersituation im Rahmen des EEG spielen dabei Biogasanlagen eine zunehmende
Rolle. So ist die Zahl der sich in Betrieb, Bau und Planung befindenden Biogasanlagen
in Sachsen zwischen 2005 und 2006 um rund 39 % von 95 auf 132 Anlagen gestiegen.
Die durchschnittliche Leistung der sich in Betrieb befindenden Anlagen liegt dabei allerdings nur bei 320 kWel., wobei die in Planung befindlichen Anlagen mit durchschnittlich
400–500 kWel. etwas größer dimensioniert sein werden (24).
Im Regelfall werden die Anlagen zur Stromerzeugung über Blockheizkraftwerke
genutzt. Eine Abwärmenutzung findet nur zum Teil statt (33).
Für die Betreiber besteht der Anreiz für die Abwärmenutzung in zusätzlichen Einnahmemöglichkeiten, wodurch sich die Wirtschaftlichkeit von Biogasanlagen insgesamt
verbessern kann. Die Mehreinnahmen resultieren dabei zum einen aus dem Wärmeverkauf
und zum anderen aus der zusätzlichen Förderung in Form des KWK-Bonus. Der KWKBonus errechnet sich wie folgt: Nutzwärme x Stromkennzahl x 2 €ct/kWh.
Die Mehreinnahmen machen allerdings nur rund 4–6 % der Gesamteinnahmen aus. Es
ist anzumerken, dass in Veröffentlichungen zumeist ein verhältnismäßig hoher Preis/kWh,
der sich am Ölpreis orientiert, für den Wärmeverkauf angesetzt wird. Geht man davon
aus, dass auch bei einer Abwärmenutzung Investitionskosten, beispielsweise in Form von
Pufferspeichern, Nahwärmeleitungen, Anschluss an das Heizungssystem etc. entstehen, ist
aus Sicht der Gartenbaubetriebe die Abwärmenutzung bei einer solchen Preiskoppelung
schnell unattraktiv. Praxisbeispiele zeigen aber, dass Preise in Höhe von 1,5–2,5 €ct/kWh
möglich sind.
Zudem ist eine vollständige Nutzung der Abwärme gerade für den Unterglasanbau in
aller Regel nicht zu erreichen. Es ergeben sich deutliche Differenzen bei der Wärmebereitstellung und dem Wärmebedarfsprofil im Unterglasanbau. Häufig ist Anlagenbetreibern
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Maßnahmen zur Energieeinsparung der Unterglasbetriebe
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der Jahreslastgang eines Gartenbaubetriebes nicht bekannt und der Energiebedarf wird
überschätzt.
Wenn nicht gleichzeitig ein Kühlbedarf besteht, stellen Unterglasbetriebe, die im Winter einen höheren Wärmebedarf haben, während Biogasanlagen in diesem Zeitraum etwas
weniger Abwärme bereitstellen, für Anlagenbetreiber somit nicht die optimalen Abwärmenutzer dar. Aufgrund des aktuell geringen Nutzungsgrades ist aber davon auszugehen, dass
bisher keine Abwärmenutzungskonkurrenz besteht und somit dieser Bereich potenziell
für Energiekonzepte im Gartenbau genutzt werden kann. Dies wird durch Praxisbeispiele
auch bestätigt. So wird ein solches Modell in Hennstedt (Dithmarschen) umgesetzt. Dort
wird eine neu gebaute 6 ha Gewächshausanlage eines Gemüsebaubetriebes durch die
Abwärme einer angrenzenden Biogasanlage in Kombination mit einem Holzheizkraftwerk
versorgt. Zusätzlich wird für die Pflanzendüngung CO2 aus dem Blockheizkraftwerk der
Biogasanlage ausgekoppelt (31).
Neben der Preisgestaltung spielt vor allem die Versorgungssicherheit eine bedeutende
Rolle. Sie hängt davon ab, wie redundant die Systeme der Wärmelieferer ausgelegt sind,
bzw. inwieweit z. B. über noch vorhandene eigene Heizanlagen bei Ausfall der Wärmelieferung eine Versorgung sichergestellt werden kann.
Insgesamt sollten Betreiber ausgewählt werden, die nachweislich über ausreichende
Erfahrung mit dem Betrieb einer Biogasanlage verfügen. Eine weitere Absicherung sollte
auch durch Haftungsklauseln vertraglich mit dem Wärmelieferanten geregelt werden.
Aufgrund der hohen Kosten für Nahwärmeleitungen (hier ist von 200–500 €/m inklusive Verlegung auszugehen2)) die häufig vom Gartenbaubetrieb zu tragen sind, ist eine
Abwärmenutzung im Allgemeinen nur standortnah zur Biogasanlage sinnvoll. Trotz der
deutlichen Zunahme der Biogasanlagen in Sachsen ist daher davon auszugehen, dass die
Abwärmenutzung eher bei Neuplanungen von Bedeutung sein kann.
Außerlandwirtschaftliche Anbieter
In Sachsen hat in den letzten Jahren auch eine deutliche Zunahme von Biogas- und Biomasseanlagen (Heizkraftwerke, Blockheizkraftwerke) stattgefunden. Da es sich hier zum
Teil auch um größere Kraftwerksanlagen handelt, die nicht direkt durch landwirtschaftliche Unternehmen betrieben werden, wurden diese den außerlandwirtschaftlichen Anbietern zugeordnet. Die Gesamtzahl für Biomasseanlagen (ohne Biogasanlagen) lag 2005 bei
213 mit einer jährlichen Wärmegesamtleistung von 25 612 kW. Hier ist davon auszugehen, dass bereits bei der Konzeption vieler Anlagen zur Steigerung der Rentabilität auch
eine Wärmenutzung mit eingeplant wurde. Damit besteht nur bedingt eine Nutzbarkeit
durch Gewächshausanlagen. Allerdings ließen sich bereits mit 5 % der Wärmeleistung
rund 35–40 ha (bei gleichzeitiger Nutzung eines Spitzenlastkessels) Gewächshausfläche
(Warmhaus) beheizen.
Die folgende Karte gibt einen Überblick über die Standorte von Biogas- und Biomasseanlagen und Betriebsstandorten des Zierpflanzenbaus in Sachsen (Abb. 2).
Neben Biogas- und Biomasseanlagen bieten sich für Gartenbauunternehmen in Sachsen auch zahlreiche Möglichkeiten einer Nutzung industrieller Abwärme, auf die hier nur
kurz eingegangen werden kann.
Bereits 1980 wurde in Zusammenarbeit zwischen KTBL und ZVG ein Kriterienkatalog
entwickelt, der aufgrund der Anforderungen von Gartenbaubetrieben in Bezug auf die
Höhe und Verfügbarkeit von Heizenergie bestimmte Industriebereiche beschreibt. Hierbei
wurden u. a. Kraftwerke der Energiewirtschaft, Erdgas-Kompressorstationen und Anlagen
der Müllverbrennung und Mülllagerung benannt (15). In Sachsen gibt es eine Verdichterstation der Erdgasleitung STEGAL in Olbernhau im Erzgebirge nahe der polnischen
Grenze. 2004 waren in Sachsen fünf thermische Abfall-Behandlungsanlagen in Betrieb.
Zwei davon hatten eine Nennleistung von 10 000 bis 50 000 t/a, drei Anlagen verwerteten
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Abb. 2. Standorte von Biogasanlagen, Biomasseanlagen und Betriebsstandorten des Zierpflanzenbaus
Quelle: veränderte Darstellung nach Angaben von Sachsen (22)
mehr als 100 000 t/a (28). In diesen findet auch die Restabfallbehandlung seit 2005 statt.
Die Thermische Abfallbehandlungsanlage TA-Lauta war der erste Neubau in Sachsen. Sie
ist seit 2004 im Betrieb. Die Nutzung der Abwärme durch ein Gartenbauunternehmen lag
von Anfang an im Konzept der Betreiber, konnte jedoch bis zum heutigen Zeitpunkt nicht
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Maßnahmen zur Energieeinsparung der Unterglasbetriebe
259
realisiert werden (22). Die Restabfallbehandlungsanlage in Gröbern bei Meißen befindet
sich noch im Bau bzw. in der Auftragsvergabe. Darüber hinaus bestehen zahlreiche Anlagen der Energiewirtschaft, wobei in Sachsen bis heute die Braunkohle einen Schwerpunkt
darstellt.
In Gesprächen mit Vertretern der Papierindustrie hat sich herausgestellt, dass auch hier
Potenziale für eine Wärmenutzung liegen.3) Gerade die bis jetzt ungenutzte Niedertemperaturabwärme, die bis zu 40 % der Gesamtenergie ausmacht, gilt bis dato als ungelöstes
Problem. Die Wirtschaftlichkeit einer solchen Abwärmenutzung leidet jedoch unter der
steigenden Entfernung und den damit notwendigen Rohrverlegungsarbeiten. Die Situation
ist nach Meinung von Experten jedoch vergleichbar mit einer Schwimmbadbeheizung
mittels Abwärme, wofür es Praxisbeispiele gibt. Auch Gewächshäuser wurden schon mit
Abwärme aus der Papierindustrie beheizt, wie es das Beispiel der Gewächshausanlagen
in unmittelbarer Nähe der heutigen Biocel-Heinzel-Zellstofffabrik in Paskow (heutiges
Tschechien) aus den 1980er-Jahren zeigte.
Die Entfernung z wischen dem Abwärmebereitsteller und -nutzer sollte aus wärmetechnischen und Kostengründen 1–2 km nicht überschreiten und die Übergabetemperatur
ganzjährig nicht unter 25 °C liegen (33).
Praxisbeispiele zeigen, dass trotz des höheren technischen Aufwandes und der damit
verbundenen höheren Investitions- und Betriebsmittelkosten eine gartenbauliche Nutzung
von Kraftwerksabwärme wirtschaftlich sein kann. So wird beispielsweise bereits seit 1985
in Nordrhein-Westfalen in Bergheim-Niederaußem ein Betrieb mit der Abwärme eines in
der Nähe gelegenen Braunkohlekraftwerkes versorgt. Das Konzept der Abwärmebereitstellung und Nutzung einschließlich der notwendigen technischen Auslegung wurde dort
unter dem Namen „Hortitherm“ in Zusammenarbeit zwischen den Kraftwerksbetreibern
und einem Gartenbaubetrieb entwickelt.
5 Abschließende Bewertung und Ausblick
Ausgehend von der im Sinne der Energieeffizienz oftmals nicht ausreichenden Ausstattung ergeben sich zahlreiche Optimierungsansätze für die Unterglasbetriebe in Sachsen.
So ist beispielsweise die Dichtigkeit der Hülle, aufgrund der vielfach alten Bausubstanz
zu überprüfen. Zudem sollte, wenn nicht vorhanden, eine Anbringung von Noppenfolie an
Stehwänden und Giebeln geprüft werden. Dadurch sind Energieeinsparungen im Bereich
von rund 8–10 % möglich. Auch sind nicht alle Häuser mit Energieschirmen ausgestattet.
Bereits ein einfacher, gering aluminierter Energieschirm erbringt Energieeinsparungen
von rund 17 %. Bei älteren Anlagen sollte auch eine Überprüfung der Messfühler vorgenommen werden, da von der Messgenauigkeit und dem Pflegezustand der Sensoren
unmittelbar die Qualität der Klimaregelung abhängt. Vorteile dieser Ansätze sind, dass
sie im Verhältnis zu einer Umstellung des gesamten Heizungssystems mit vergleichsweise moderaten Investitionskosten verbunden sind, jedoch deutliche Energieeinsparungen erbringen können.
Auch im Bereich der Kulturmaßnahmen zeigen sich zahlreiche Möglichkeiten, um
auf die veränderte Energiepreissituation zu reagieren. Wie bei Gesprächen auf der IPM
2007 deutlich wurde, scheint sich dabei insgesamt ein Trend zur Umstellung auf weniger wärmebedürftige Kulturen abzuzeichnen. Zwar liegen die Energiekosten nach den
Modellrechnungen bei einem überwiegenden Kalthausbetrieb rund 71 % unter denen eines
Warmhausbetriebes, Kulturumstellungen und Anpassungen müssen sich aber auch immer
an der Markt- und der individuellen Betriebssituation orientieren und Vorteile einzelner
Maßnahmen können nur bedingt verallgemeinert werden. So wurde von Gesprächspart-
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Georg Ruhm, Nazim Gruda, Wolfgang Bokelmann und Uwe Schmidt, Berlin
nern auf der IPM 2007 auch in einem Anbau von sehr wärmebedürftigen Kulturen ein
Strategieansatz gesehen, um von potenziellen Angebotslücken zu profitieren.
Die Umfrageergebnisse haben zudem gezeigt, dass bei einem Teil der Betriebe noch
sehr alte Heizungsanlagen vorhanden sind. Insbesondere hier stellt sich die Frage, welche
Heizungssysteme/Wärmeversorgungskonzepte bei einer Erneuerung zukünftig genutzt
werden sollen.
5.1
Gesamtbewertung unterschiedlicher Energieversorgungskonzepte
Neben herkömmlichen Gas- und Ölheizungen werden in den letzten Jahren auch verstärkt Heizungsanlagen auf Basis biogener Brennstoffe für den Gartenbau diskutiert, da
die Brennstoffpreise hier zum Teil deutlich unter denen von Heizöl liegen. Zudem gelten
diese weitestgehend als CO2 neutral und leisten somit einen Beitrag zu einer gesellschaftlich zunehmend geforderten CO2-Emissionsabsenkung. Aber auch Kohle, insbesondere
Anthrazit, wird aufgrund der günstigen Preissituation wieder als attraktiv eingeschätzt.
Die Untersuchungen haben ergeben, dass verschiedene Energieversorgungskonzepte
dabei in Abhängigkeit von der Ausgangssituation ein z. T. deutlich unterschiedliches
Potenzial zur Energiekosteneinsparung besitzen. Die Beurteilung nur nach dem Kosteneinsparpotenzial greift jedoch zu kurz. So können beispielsweise Contractingmodelle
aufgrund eines geringeren Kapitalbedarfs sowie Planungs- und Betriebsaufwands, trotz
generell etwas höherer Wärmebereitstellungskosten, Vorteile bieten. Für eine abschließende Bewertung über Energieversorgungskonzepte wurden daher aufgrund von Rechercheergebnissen und Expertengesprächen Kriterien zusammengestellt, die im Rahmen
von Entscheidungsprozessen in gartenbaulichen Unternehmen eine Rolle spielen. Dabei
wurden ökonomische (Kapitalbedarf, Einsparpotenzial, Preisentwicklung, Fördermöglichkeiten), technische (Ausfallsicherheit/technische Reife, Lagerraum, Transportraumbedarf, Umweltwirkung) und organisatorische (Planungsaufwand/Genehmigungsaufwand,
Arbeits-/logistischer Aufwand, vertraglicher Regelungsbedarf) Kriterien berücksichtigt.
Die Zusammenfassung der Ergebnisse zu einer Neugestaltung von Heizungssystemen/
Wärmeeinkauf der Studie findet im Folgenden anhand einer grafischen Kriterienbewertung statt (Abb. 3). Diese Darstellung ist jedoch nicht uneingeschränkt, sondern immer
im Vergleich zu den weiteren betrachteten Alternativen und herkömmlichen Heizanlagen
(Heizölanlagen) zu verstehen und dient einer Veranschaulichung und Abgrenzung der
unterschiedlichen Alternativen.
6
Handlungsoptionen und Ausblick
Insgesamt zeigen sich aus Sicht der sächsischen Betriebe zahlreiche Ansätze um auf die
veränderte Energiekostensituation zu reagieren. Dabei sind Maßnahmen zur Energieeffizienzsteigerung und neue Energieversorgungskonzepte, wie eine Umstellung auf biogene
Energieträger nicht als „Entweder/Oder“ Strategie zu verstehen. Vielmehr gilt es hier für
den Einzelbetrieb ein Gesamtkonzept zu entwickeln, bei dem zunächst Möglichkeiten
zur Energiebedarfsabsenkung durch Optimierungsmaßnahmen auch in Abstimmung mit
dem Kulturprogramm zu prüfen sind. Überlegungen zu einer Umstellung der Energieversorgung sollten erst im Anschluss daran und in Abhängigkeit von den vorhandenen Heizungssystemen erfolgen, da mögliche Kostenvorteile alternativer Energieträger stark vom
Wärmebedarf abhängen. Bei geringem Wärmebedarf zeigen sich aufgrund der noch deutlich höheren Investitionskosten für alternative Energieträger keine bis nur sehr geringe
Kostenvorteile im Verhältnis zu den in Sachsen am stärksten verbreiteten Heizölanlagen.
Zwar erhöht sich bei wieder steigenden Heizölpreisen der Kostenvorteil, dennoch ist bei
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Maßnahmen zur Energieeinsparung der Unterglasbetriebe
261
Abb. 3. Vergleichende Bewertung relevanter Kriterien verschiedener Energieversorgungskonzepte
Quelle: Eigene Darstellung
geringem Wärmebedarf ein Umstieg als risikoreich einzuschätzen, zumal auch die Preissituation beispielsweise von Holz einen Aufwärtstrend zeigt.
Tendenziell ergeben sich besonders für kleinere Betriebe verstärkt Nachteile durch
die steigenden Energiepreise. Zum einen sind sie aufgrund eines höheren Energiebedarfs/
Fläche durch Preissteigerungen am Energiesektor generell stärker betroffen. Zum anderen
ist davon auszugehen, dass die Handlungsoptionen – beispielsweise aufgrund deutlicher
Kostendegressionseffekte bei größeren Heizungsanlagen oder möglicher Schwierigkei-
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Georg Ruhm, Nazim Gruda, Wolfgang Bokelmann und Uwe Schmidt, Berlin
ten geeignete Contractoren zu finden4) – eingeschränkt sind. Eine verstärkte Kooperation kleinerer Betriebe etwa beim Brennstoffeinkauf, aber auch – eine räumliche Nähe
vorausgesetzt – bei einer gemeinsamen Heizanlagenkonzipierung, kann in Teilbereichen
helfen, diese Nachteile zu mildern. Auch eine Förderung von Maßnahmen zur Energieeffizienzsteigerung, wie gegebenenfalls eine Optimierung der Gewächshausausstattung, kann
dazu beitragen, die Wettbewerbssituation kleinerer Betriebe zu verbessern. Die Kennzahlenauswertungen haben u. a. gezeigt, dass steigende Energiekosten zu einer angespannten
wirtschaftlichen Lage in der Unterglasproduktion führen können. Bei bereits jetzt unrentabel arbeitenden Betrieben liegen zumeist mehrere Faktoren vor, wie z. B. vergleichsweise geringe Umsätze bei insgesamt hohen Produktionsaufwendungen. Dies gefährdet
mittel- bis langfristig der Betriebserhalt. Um eine nachhaltige Verbesserung der Situation
zu erzielen, können deutliche Energiekosteneinsparungen die Betriebslage entspannen.
Sie werden in einem solchen Fall aber nicht ausreichen.
Für eine Übernahme neuer Heiztechniken in den sächsischen Betrieben ist vor allem
der hohe Kapitalbedarf als Hürde zu sehen. Ohne eine intensive Förderung wird eine
Verbreitung nur bei sehr leistungsstarken Unternehmen stattfinden. Die Schaffung zusätzlicher Anreize für die Nutzung biogener Brennstoffe erscheint auch im Hinblick auf eine
angestrebte Reduzierung der CO2-Emissionen notwendig, da ansonsten von einer zunehmenden Nutzung von Kohleheizanlagen im Gartenbau auszugehen ist.
Neben Fördermöglichkeiten kann auch ein auf die Energiekostenproblematik ausgerichtetes Beratungsangebot die Betriebe unterstützen, einen auf die spezifische Betriebssituation abgestimmten Maßnahmenkatalog in Sinne eines Gesamtkonzepts zur Energiekosteneinsparung zu entwickeln und umzusetzen. So wurde aus Betriebsleiterinterviews
in anderen Bundesländern deutlich, dass diesbezüglich nur ein sehr geringes, bis gar kein
Angebot bestand und somit die Informationsbeschaffung zum Teil sehr aufwendig und die
Entscheidungsfindung erschwert war.
Weiterer Forschungsbedarf besteht insbesondere für die Auswahl und Umsetzung
geeigneter Optimierungsmaßnahmen zur Energieeinsparung bei Betrieben mit älterer
Bausubstanz. Im Rückgriff auf Forschungsergebnisse konnten in der vorliegenden Untersuchung Optimierungsmöglichkeiten und ihre Auswirkungen auf den Energiebedarf in
Gewächshäusern dargestellt werden. Eine tatsächliche energetische Bewertung der vorhandenen Bausubstanz und die Wertung der Zielwirkung von Anpassungsmaßnahmen ist
aber erst mithilfe neuerer Verfahren des Wärmestrommonitorings möglich. Durch exakte
Messungen und Bewertungen anhand von ausgewählten Beispielbetrieben in Sachsen
ließe sich ein abgestimmtes Gesamtkonzept für Energieeinsparungsmaßnahmen für typische Betriebsstrukturen entwickeln, das beispielsweise als Grundlage für eine gezielte
Beratung genutzt werden könnte. Dafür sind Prüfverfahren erforderlich, die mit einem
geringen Zeit- und Kostenaufwand, Undichtigkeiten und Wärmebrücken an der Gewächshaushülle sowie Schwachstellen, Abnutzungserscheinungen und Konstruktionsmängeln
an den Energieschirmen aufdecken.
Diese Methoden sind zu einem Katalog für das Energiemonitoring in den Unternehmen
zusammenzufassen und als Bewertungsverfahren zu entwickeln.
Anhand exemplarischer Projektplanungen zur Abwärmenutzung für den Gartenbau
in Sachsen könnten für die Planung von Neuanlagen Konzepte entwickelt werden, die
neben der Energiebereitstellung auch weitere wesentliche Standortfaktoren aus der Sicht
gartenbaulicher Unternehmen prüfen und bei Bedarf Optimierungsmöglichkeiten aufzeigen. Gespräche mit Vertretern der Papierindustrie haben beispielsweise gezeigt, dass hier
grundsätzlich ein Interesse an der Schaffung solcher Möglichkeiten besteht. Dies könnte
in Sachsen zukünftig zu einer Erhöhung des Abwärmenutzungsgrades führen und somit
ein bisher wenig genutztes Energiepotenzial weiter erschlossen werden.
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Maßnahmen zur Energieeinsparung der Unterglasbetriebe
263
Bei steigenden Brennstoffpreisen und hohem Wärmebedarf kann eine rentable Unterglasproduktion in Deutschland nur mit Energiekonzepten funktionieren, die nachhaltig die
Energieeffizienz steigert und/oder durch alternative Brennstoffe die Energie kostengünstiger bereitstellt. Wenn es den Betrieben nicht gelingt geeignete Strategien zur Kostenminderung umzusetzen, ist zu vermuten, dass anhaltende Preissteigerungen im Energiebereich
zu einer Beschleunigung des Strukturwandels führen werden.
Zusammenfassung
Im Rahmen der Studie wurden aufbauend auf einer Ausgangs- und Energieanalyse der sächsischen
Unterglasbetriebe (siehe Teil I, 8), unterschiedliche Strategieansätze zur Energiekosteneinsparung
dargestellt. Viele Ansätze bei Gewächshäusern sind konstruktiver Natur. Auch im Bereich der Kulturmaßnahmen zeigen sich einige Möglichkeiten, um auf die veränderten Energiepreissituation zu
reagieren. Kulturumstellungen und Anpassungen müssen sich aber auch immer an der Markt- und der
individuellen Betriebssituation orientieren und Vorteile einzelner Maßnahmen können nur bedingt
verallgemeinert werden. Neben Ansätzen zur Steigerung der Energieeffizienz wurden dabei auch
Möglichkeiten eines Umstiegs auf alternative Energieversorgungskonzepte betrachtet. Der Fokus
lag u. a. auf der Frage, inwieweit verschiedene Ansätze unter den gegebenen regionalen und betrieblichen Rahmenbedingungen geeignet sind, um zu einer nachhaltigen Energiekosteneinsparung in den
Betrieben beizutragen.
Darüber hinaus lässt sich auch verstärkt ein Anlagen-Contracting beobachten. Zudem haben sich
in Sachsen grundsätzlich zahlreiche Möglichkeiten einer Abwärmenutzung aus Industrie- oder landwirtschaftlichen Anlagen gezeigt.
Summary
The effect of price increases of heating oil on horticultural companies in Saxony.
Part II: Measures for saving energy costs in glasshouse companies
This study presents different strategies for reducing heat energy costs in horticultural glasshouse
companies in Saxony, Germany, based on the initial energy situation (see part I, 8). Many of them relate to greenhouse construction. In respect of the plant-cultivation measures, there are also a number
of different options for adjusting to the changed heat energy price situation. The conversions and
adjustments in plant-cultivation measures must, however, always be customized to the market and
to the situation of the individual company. Advantages of individual measures can only be generalized to a certain degree. Besides the strategies for increasing energy efficiency, the study also
presents possibilities for switching to alternative heating energy concepts. The focus was on the
extent to which different strategies are suitable to contribute to a sustainable reduction of heat energy
costs under the given regional characteristics and individual conditions of horticultural companies
in Saxony.
Moreover, it has been observed that, increasingly, plant-contracting solutions are being favoured.
Several possibilities for heat utilization and production from both industrial and agricultural plants
are shown.
Résumé
Les conséquences de la hausse du prix du mazout pour les exploitations horticoles de la Saxe,
en Allemagne
Partie II : Mesures pour réduire les coûts de l’énergie des exploitations pratiquant la culture en
serre
Dans le cadre de cette étude et à la base d’une analyse de la situation de départ et d’une analyse énergétique dans les exploitations en Saxe pratiquant la culture en serre (voir partie I, 8) de différentes
approches stratégiques visant à réduire les coûts de l’énergie sont présentées. Beaucoup d’entre
eux reposent sur la construction des serres. Quant à la culture des plantes, il y existe également des
possibilités de réagir à la nouvelle situation des prix de l’énergie. Mais les changements à réaliser
dans le domaine de la culture des plantes doivent toujours être adaptés à la situation sur le marché
et à la situation spécifique de chaque exploitation de sorte que les avantages de certaines mesures
individuelles ne se laissent pas bien généraliser. Outre les stratégies pour augmenter l’efficacité
énergétique, les options d’un passage à des concepts alternatifs d’approvisionnement en énergie
sont prises en compte. La question est de savoir si, sous les conditions régionales et opérationnelles
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Georg Ruhm, Nazim Gruda, Wolfgang Bokelmann und Uwe Schmidt, Berlin
données, les différentes approches sont appropriées pour contribuer à économiser durablement des
frais d’énergie dans les exploitations.
D’ailleurs, on observe de plus en plus souvent des formules de contrat global pour les installations énergétiques. En plus, en Saxe, il y a aussi de nombreuses possibilités d’utiliser les rejets
thermiques de l’industrie ou des installations agricoles.
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Maßnahmen zur Energieeinsparung der Unterglasbetriebe
265
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Fußnoten
1)
2)
3)
4)
Die Gemeinkosten können je nach Betriebsaustattung sehr stark variieren und hier nur beispielhaft bewertet werden.
Nach Angaben von Interviewpartnern bei den Betriebsbesichtigungen.
Laut Aussagen von: Papiertechnische Stiftung München, Myllykoski Paper, Papierfabrikation
und mechanische Verfahrenstechnik Technische Universität Darmstadt.
Nach Aussagen von Interviewpartnern ist es schwierig bei nur geringem Wärmebedarf/kleinen
Betrieben geeignete Contractoren zu finden.
Autorenanschrift: Dipl.-Ing. agr. georg ruhm, Prof. Dr. wolfgang bokelmann, HumboldtUniversität zu Berlin, Institut für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften
des Landbaus, Fachgebiet Ökonomik der gärtnerischen Produktion, Luisenstr. 56, 10099 Berlin, Deutschland
[email protected];
[email protected]
Dr. habil. nazim gruda, Prof. Dr. uwe schmidt, Humboldt-Universität zu
Berlin, Institut für Gartenbauwissenschaften, Fachgebiet Technik im Gartenbau, Lentzeallee 55/57, 14195 Berlin, Deutschland
[email protected];
[email protected]
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Notwendigkeiten für eine Risikoabsicherung im Ackerbau
dargestellt am Beispiel Nordostdeutschlands1)
Von clemens fuchs, theodor fock und Joachim kasten, Neubrandenburg
1
Einleitung
Ertrags- und Preisschwankungen sowie natürliche Kalamitäten, wie z. B. Tierseuchen
und Naturkatastrophen sind typische Risikofaktoren der landwirtschaftlichen Produktion.
Besonders groß ist das Risiko im Ackerbau in Nordostdeutschland (Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg) aufgrund der oftmals eher geringen Niederschlagsmengen. In
Deutschland sind Instrumente der Risikoabsicherung gegenüber Ertragsschwankungen
bislang weder auf privatwirtschaftlicher noch auf staatlicher Ebene gebräuchlich (Ausnahme: Hagelversicherung). Vonseiten der Versicherungswirtschaft werden jedoch bereits
Lösungsmodelle für eine bessere Risikoabsicherung im Falle von Ertragsschwankungen
aufgrund natürlicher Ereignisse entwickelt (1; 10).
In der vorliegenden Ausarbeitung liegt das Hauptaugenmerk darauf, das aktuelle Ausmaß von Ertragsschwankungen für unterschiedliche Standorte auf betrieblicher Ebene zu
untersuchen. Ziel ist es, mögliche einzelbetriebliche Anpassungsstrategien für das landwirtschaftliche Risikomanagement in der Pflanzenproduktion vorzustellen. Des Weiteren
sollen Empfehlungen für die Versicherungswirtschaft sowie Politik abgeleitet werden.
Als Beispielsregion in Deutschland wird das Bundesland Mecklenburg-Vorpommern
gewählt. Wie in den Nachbarregionen, vor allem Brandenburg, waren hier in den vergangenen Jahren größere witterungsbedingte Ertragsschwankungen zu beobachten; zudem hat
der Marktfruchtbau besonders große Bedeutung.
Es werden die beobachteten Ertragsschwankungen realer Betriebe auf vier verschiedenen Standorten auf der Ebene von Ackerschlägen des Zeitraums 1997 bis 2006 als
Grundlage für eine Risikoanalyse, unter Durchführung von Monte-Carlo-Simulationen,
verwendet. Neben den Witterungseinflüssen (Ertrag) und den Markteinflüssen (Preis) wird
auch die Politik (GAP-Reform, Health Check; 4) als Einflussfaktor auf die Wirtschaftlichkeit und das Risiko im Ackerbau untersucht. Mit Modellkalkulationen auf Betriebsebene
sollen Absicherungsstrategien, z. B. in Form einer Erlös- oder Ertragsversicherung, und
deren Auswirkungen auf die Betriebsergebnisse dargestellt werden. Analysiert wird expost und mithilfe von ex-ante-Simulationen.
2
Beschreibung der Untersuchungsstandorte
Das Untersuchungsgebiet Mecklenburg-Vorpommern kann wie folgt geografisch und
meteorologisch eingeteilt werden: Es bietet sich die räumliche Einteilung in Küste und
Nordostdeutsches Tiefland an. Die vier untersuchten Standorte umfassen den Hochertragsstandort „Klützer Winkel“, einen mittleren Standort im „Teterower und Malchiner
Becken“ sowie zwei ertragsschwächere Standorte im Südosten Mecklenburg-Vorpommerns, „Neustrelitzer Kleinseenland“ und Ueckermünde (Abb. 1). Diese Standorte weisen wegen unterschiedlicher Bodenbonitäten und Niederschlagsverteilung verschiedene
Ertragsspannen auf.
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Notwendigkeiten für eine Risikoabsicherung im Ackerbau
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Abb. 1. Untersuchungsstandorte in Mecklenburg-Vorpommern (LK: Landkreis; SK: Kreisfreie
Stadt)
Das tatsächliche Ausmaß von Ertragsschwankungen und die Auswirkungen auf die
Betriebsergebnisse werden auf der Grundlage betrieblicher Daten analysiert. Die vier
befragten landwirtschaftlichen Unternehmen bewirtschaften zwischen ca. 600 ha und
ca. 5000 ha. Neben Pflanzenproduktion betreiben sie auch Viehzucht. In dieser Untersuchung wird allerdings nur der Ackerbau betrachtet. Für einen Zeitraum von zehn Jahren
(1997 bis 2006) wurden die Ertragsdaten von insgesamt ca. 1200 Ackerschlägen ausgewertet, um das Ausmaß der Ertragsschwankungen abzubilden. Auf Betriebsebene wurden die
Ertragsdurchschnitte für die einzelnen Kulturen, z. B. Weizen und Raps, gebildet. Diese
Aggregation wird damit begründet, dass ein Betrieb Unterschiede zwischen einzelnen
Schlägen bedingt ausgleichen kann und deshalb wird das Risiko von Ertragsschwankungen zwischen den Schlägen nicht weiter untersucht.
Die Standorte unterscheiden sich zum einen im durchschnittlichen Ertrag, wobei auf
dem guten Standort der Median für den Weizenertrag 83 dt/ha und auf dem schwächsten
Standort nur 63 dt/ha und für den Rapsertrag 40 dt/ha bzw. 34 dt/ha beträgt (Tab. 1). Zum
anderen treten auf den schwächeren Standorten deutlich höhere Ertragsschwankungen
als auf den besseren Standorten auf. Z. B. beträgt die Spannweite zwischen Minimum
und Maximum für Weizen auf dem guten Standort lediglich 10 dt/ha, während auf den
schwachen Standorten eine Differenz von 37 dt/ha und 33 dt/ha erreicht wird. Bei den
Rapserträgen beträgt die Spannweite 12 dt/ha (mittlerer Standort) und 20 dt/ha (schwacher
Standort 1).
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Clemens Fuchs, Theodor Fock und Joachim Kasten
Tabelle 1. Spannweite und Median für Weizen­ und Rapserträge auf vier
Standorten in Mecklenburg­Vorpommern (dt/ha) 1997–2006
Standort
Kultur
Minimum
Median
Maximum
Spann­
weite
Guter Standort
(55 Bodenpunkte)
Weizen
Raps
Weizen
Raps
Weizen
Raps
Weizen
Raps
78
34
57
33
38
16
37
23
83
40
70
41
65
34
63
34
88
47
78
45
75
46
70
41
10
Mittlerer Standort
(43 Bodenpunkte)
Schwacher Standort 1
(32 Bodenpunkte)
Schwacher Standort 2
(29 Bodenpunkte)
13
21
12
37
20
33
18
Die drei Werte Minimum, Median und Maximum stellen die Parameter für die Dreiecksverteilungen
dar, mit denen die ex-ante-Erträge simuliert werden (Kap. 5).
Quelle: Auswertung von Daten aus vier Betrieben
Aus Abbildung 2 wird beispielhaft für die beiden extremen Standorte ersichtlich, dass
sich nicht nur das Ertragsniveau erwartungsgemäß zwischen den Standorten unterscheidet,
sondern auch die deutlich größeren Ertragsschwankungen auf den schwächeren Standorten. In Jahren mit einem ungünstigeren Witterungsverlauf wirkt sich dies durch erhebliche
Ertragsrückgänge aus.
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Abb. 2. Entwicklung der Weizen- und Rapserträge auf extrem guten bzw. schlechten Untersuchungsstandorten
Quelle: Auswertung von Betriebsdaten; eigene Darstellung
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Notwendigkeiten für eine Risikoabsicherung im Ackerbau
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Die Streuungsdiagramme zeigen weiterhin, dass es nur einen geringen Zusammenhang
zwischen der Ertragshöhe bei Getreide (Weizen) und Ölfrüchten (Raps) gibt und diese
somit weitgehend unabhängig voneinander auftreten. Durch eine Diversifizierung innerhalb der Fruchtfolge kann demnach das Risiko bereits reduziert werden. In Abbildung 3
ist dieser Zusammenhang beispielhaft für die beiden extremen Standorte für den Zeitraum
1997 bis 2006 aufgezeigt. Je flacher die Trendlinie verläuft, desto weniger sind die Erträge
der beiden Kulturen korreliert.
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Abb. 3. Streuungsdiagramme der Weizen- und Rapserträge auf extrem guten bzw. schlechten Untersuchungsstandorten im Zeitraum 1997 bis 2006
Quelle: Auswertung von Betriebsdaten; eigene Darstellung
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3
Betriebsmodell
Für alle vier Standorte wird deshalb das gleiche Betriebsmodell in Bezug auf die Faktorausstattung unterstellt.2) Um einen Vergleich der Standorte in Bezug auf das Witterungsrisiko unabhängig von der Vielzahl betrieblicher Einflussfaktoren, z. B. von Sonderkulturen
oder der Viehhaltung, zu ermöglichen, werden lediglich Daten zum Ertragsniveau und
zur Schwankungsbreite aus den Untersuchungsbetrieben übernommen. Der Modellbetrieb
soll über 300 ha Ackerfläche verfügen, wobei Flächenkosten (Pachten und Beiträge) in
Höhe von 151 €/ha anfallen. Es wird eine Vollkostenrechung durchgeführt, z. B. werden
die Lohnkosten der Mitarbeiter berücksichtigt. Die Fruchtfolge besteht zu zwei Dritteln
aus Getreide (200 ha Weizen) und einem Drittel Ölfrüchten (100 ha Raps). Da für die vier
Standorte jeweils Ertragsdaten über einen Zeitraum von zehn Jahren vorliegen, werden
zunächst in einer ex-post-Analyse die wirtschaftliche Entwicklung und die Wirkungen von
Erlös- und Ertragsversicherungen untersucht. Bei der anschließenden ex-ante-Simulation
wird ebenfalls die Betriebsentwicklung über einen Zeitraum von zehn Jahren zugrunde
gelegt.
Planungsmethode ist eine „vollständige Finanzierung“, die ausgehend von Ein- und
Auszahlungsreihen, einschließlich Investitionen und Privatentnahmen, das Finanzierungsgeschehen detailliert abbildet und eine betriebswirtschaftliche Analyse mit Gewinn, Steuerlast und Eigenkapitalentwicklung umfasst. Zu Beginn der Planung wird in Maschinen
im Umfang von 600 000 € investiert. Die Maschinen werden innerhalb von 10 Jahren
abgeschrieben und müssen dann ersetzt werden.
In der Ausgangsvariante stehen zu Beginn eigene Finanzmittel in Höhe von 150 000 €
(25 % Eigenkapitalanteil) zur Verfügung. Ergänzend können die Investitionen über einen
Annuitätenkredit (Zinssatz 8 % p. a., Laufzeit 10 Jahre) finanziert werden. Liquiditätsengpässe beseitigt ein Kontokorrent- bzw. Dispositionskredit zu einem Zinssatz von 12 %
p. a. bis maximal 50 000 € und darüber zu einem Überziehungszinssatz von zusätzlich
5 % p. a. Die Geldanlage ist zu einem Zinssatz von 2 % p. a. möglich. Der Gewinn und
das Eigenkapital wird nach (Einkommen-) Steuern bei einem Durchschnittsteuersatz von
25 % ab einem jährlichen Gewinn von 8000 € ermittelt. Abb. 4 zeigt die Entwicklung des
Sachvermögens und des Geldvermögens im Zeitraum von zehn Jahren für die beiden
extremen Standorte.
Zum Planungsende wäre eine Ersatzinvestition notwendig, da die Maschinen dann
abgeschrieben wären. Bei in diesem Zeitraum gleichbleibenden Rahmenbedingungen
(Preis-Kosten-Verhältnisse, Höhe der Direktzahlungen), würde die Ersatzinvestition in
Höhe von erneut 600 000 € beim guten Standort vollständig aus dem Eigenkapital finanziert werden können und es wäre noch eine bare Liquiditätsreserve in Höhe von 160 929 €
vorhanden. Auf dem schlechten Standort könnte die Ersatzinvestition am Planungsende
zu 52 % aus dem Eigenkapital finanziert werden. Dieser Wert, ca. 50 % Eigenkapital, wird
weiter unten als möglicher Ausgangspunkt für die ex-ante-Simulationen wieder aufgegriffen.
Als Kriterien für die Beurteilung der Wirtschaftlichkeit und des Risikos werden vier
Kriterien herangezogen:
a) der Gewinn nach Steuern im Mittel der zehn Planungsjahre,
b) die Streuung des Gewinn nach Steuern und zwar als Standardabweichung,
c) das Eigenkapital zum Planungsende (EKt10),
d) und die Wahrscheinlichkeit, dass das Unternehmen Insolvenz anmelden müsste, wobei
Insolvenz dann festgestellt wird, wenn das Eigenkapital unter Null absinkt.
Gewinn und Eigenkapital weisen tendenziell in die gleiche Richtung, Gewinn nach Steuern ergibt einen Anstieg im Eigenkapital, wogegen Verluste das Eigenkapital abschmel-
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Notwendigkeiten für eine Risikoabsicherung im Ackerbau
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Abb. 4. Entwicklung des Sachvermögens und des Geldvermögens – ex-post-Analyse, ohne Versicherungen für den guten Standort und den schwachen Standort 2
Quelle: Eigene Berechnungen
zen. Daher ist es für die Analyse zumeist ausreichend, wenn für die einzelnen Szenarien
die Höhe des durchschnittlichen Gewinns nach Steuern und seiner Streuung (Standardabweichung) in den folgenden Tabellen aufgeführt werden.
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Clemens Fuchs, Theodor Fock und Joachim Kasten
4 Versicherungsmodelle
Die hier diskutierten Erlös- und Ertragsversicherungen sollen als Ergänzung zu bereits
bestehenden Versicherungen gegen Hagel und Feuer angeboten werden (10). Im Hinblick
auf die aktuelle Diskussion zum Klimawandel und seinen Folgen sollen als Schadensursachen vorrangig witterungsbedingte Schäden abgedeckt werden, wie z. B. Trockenheit,
Frost und Überschwemmung (vergleichbar mit Versicherungslösungen in Spanien und den
USA). Im Folgenden werden zwei Versicherungsmodelle analysiert, a) eine Erlösversicherung und b) eine Ertragsversicherung nach EU-Vorgaben3):
a) Erlösabsicherung des Durchschnittserlöses (= Versicherungssumme), Versicherung
gegen Preisschwankungen und Ertragsschwankungen, jedoch ohne Totalschäden
durch Hagel und Feuer, da es dafür eigene Versicherungen gibt. Entschädigt wird die
Differenz zwischen Versicherungssumme und (geringerem) tatsächlichem Erlös. Die
Höhe der Auszahlungen der Erlösversicherung orientiert sich am Versicherungswert.
Es liegt jedoch kein wirtschaftlicher Schaden vor, wenn steigende Produktpreise den
Ertragsausfall kompensieren. Im Vergleich guter mit schlechteren Standorten haben
schlechtere Standorte mit niedrigem naturalen Ertragspotenzial die geringeren Versicherungswerte (Tab. 2).
b) Versicherung von Ertragsrisiko durch widrige Witterungsverhältnisse wie Frost, Eis,
Regen oder Dürre, jedoch keine Schäden durch Hagel (Hagelversicherung) oder Feuer
(Feuerversicherung). Die mögliche Schwankungsbreite der Erträge wird aus den Beobachtungen der zehn Jahre (1997–2006) abgeleitet (Tab. 3). Die Konditionen für die
Ertragsversicherung sind in Anlehnung an den EU-Vorschlag (11) definiert worden,
die einen Versicherungsfall bei Mindererträgen über 30 % des Durchschnittsertrages
vorsehen.
b1) ohne staatliche Zuschüsse,
b2) mit 60 % Zuschuss4) zu den Versicherungsprämien (aus Modulationsmitteln). Entschädigt wird der Minderertrag im Vergleich zum Durchschnittsertrag des Standortes multipliziert mit dem Durchschnittspreis. Ab einer Schwelle von 30 % Minderertrag (hier: Naturalertrag bei den Kulturen Getreide (Weizen) und Ölfrüchten
(Raps)) soll der Schaden durch die Ertragsversicherung ersetzt werden.
Im Folgenden sind die fairen Prämien, auch Nettoprämien genannt, welche im Durchschnitt gleich hohe Einzahlungen wie Auszahlungen ergeben würden, für das Erlösversicherungsmodell (Tab. 2) und das Ertragsversicherungsmodell (Tab. 3) in Abhängigkeit
vom Standort angegeben. Infolge von Transaktionskosten, Verwaltungsaufwand und
Gewinnspanne der Versicherung wird ein Zuschlag zur Nettorisikoprämie mit einem Faktor von 1,3 berücksichtigt (2).
Die Erlösversicherung springt in allen Fällen ein, sobald der tatsächlich erzielte Erlös
unter den Versicherungswert sinkt. Damit tritt verhältnismäßig häufig der Versicherungsfall ein. Auf alle betrachteten Fälle ist das mindestens in der Hälfte der Jahre der Fall, auf
dem schwachen Standort 2 sogar in 60 % der Jahre (Tab. 2).
Die „faire“ Nettoprämie liegt zwischen 21 €/ha und 34 €/ha. Bei diesen Beträgen würden die Landwirte dann über die Jahre genau so viel einzahlen, wie sie wieder ausgezahlt
bekommen. Die Vorzüge dieses Null-Summen-Spiels liegen zum einen im Liquiditätseffekt: Sie zahlen in guten Jahren und können Liquiditätsengpässe in schlechten Jahren
ausgleichen. In der Realität kommt noch ein zweiter Aspekt dazu, der Solidaritätseffekt.
Die Hilfe ist nicht limitiert durch die Zahlungen des Einzelnen, sondern extreme Einzelschäden können über die Solidargemeinschaft ausgeglichen werden. Letzterer Effekt wird
jedoch in dieser Untersuchung nicht explizit abgebildet.
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Notwendigkeiten für eine Risikoabsicherung im Ackerbau
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Tabelle 2. Erlösversicherungsmodell und faire Prämie; ex­post­Analyse
guter
Versicherungssumme1) in €/ha
Versicherungsfälle
faire Nettoprämie
Bruttoprämie3)
1)
2)
3)
Weizen
Raps
Erlösverlust
Anzahl Jahre
€/ha
in %2)
€/ha
in %2)
948
870
5 %–11 %
5 von 10
J.
33
3,6 %
43
4,7 %
Standort
mittlerer schwacher schwacher
1
2
787
682
674
830
695
680
2 %–19 %
1 %–13 % 5 %–33 %
5 von 10 J. 5 von 10 6 von 10 J.
J.
21
34
25
2,6 %
5,0 %
3,7 %
27
44
33
3,4 %
6,5 %
4,8 %
Erlös = mittlerer Ertrag am jeweiligen Standort x Durchschnittspreis; wobei Weizenpreis
11,3 €/dt und Rapspreis 21,1 €/dt;
der gewogenen Versicherungssumme;
Zuschlag zur Nettorisikoprämie (Marge der Versicherungswirtschaft): Faktor 1,3 (2, S. 123).
Quelle: Eigene Berechnungen
Grundsätzlich sind viele verschiedene Varianten zur Ausgestaltung der Versicherungsmodalitäten vorstellbar, die sich auch in Bezug auf Datenaufwand und Verwaltungskosten sehr unterscheiden können (9). Würde man, ausgehend vom oben dargestellten Fall
einer Erlösversicherung, den Versicherungsfall stärker beschränken und beispielsweise
eine Selbstbeteiligung einführen, so werden sich Prämienhöhe und Häufigkeit der Versicherungsfälle aber auch die Wirkung auf die Einkommensschwankungen tendenziell so
entwickeln, wie sie nachfolgend für die Ertragsversicherung ohne Zuschüsse dargestellt
sind.
Bei einer rigiden Ertragsversicherung, die erst bei Naturalverlusten über 30 % des
Durchschnittsertrages einspringt, sind die Versicherungsfälle verhältnismäßig selten. Auf
dem schwachen Standort 1 wurden lediglich in einem von zehn Jahren, und zwar im Jahr
2003, Mindererträge von 33 % bei Raps und von 38 % bei Weizen festgestellt. Auf dem
schwachen Standort 2 sanken die Erträge in zwei von zehn Jahren, einmal um 30 % bei
Raps (im Jahr 2002) und ein anderes Mal um 38 % bei Weizen (2003). Die „faire“ Nettoprämie liegt zwischen 24 €/ha und 29 €/ha (Tab. 3).
Die Versicherung für den Ackerbau gegen witterungsbedingte Schäden wird zunächst
mithilfe von ex-post-Analysen beurteilt. Da die mögliche Spannweite und die Kombination der verschiedenen wirtschaftlich entscheidenden Variablen jedoch weit über das in
der Vergangenheit beobachtete Ausmaß hinausgehen könnte, werden weitere Simulationsrechnungen durchgeführt. Insgesamt werden folgende Varianten betrachtet (Tab. 4).
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Tabelle 3. Ertragsversicherungsmodell (EU­Modell, Entschädigung ab 30 %
Minderertrag gegenüber Durchschnittsertrag und 60 % Zuschuss zu den
Versicherungsprämien vom Staat) und faire Prämie; ex­post–Analyse
Durchschnittsertrag
Versicherungsfälle1)
Faire Nettoprämie
Bruttoprämie3)
1)
2)
3)
Weizen
Raps
Anzahl
Jahre
€/ha
in %2)
€/ha
in %2)
guter
84
41
0
mittlerer
70
39
0
0
0
0
0
Standort
schwacher 1
60
33
1 von 10 J.
schwacher 2
60
32
2 von 10 J.
29
4,2 %
37
5,4 %
24
3,5 %
31
4,6 %
Erlös = mittlerer Ertrag am jeweiligen Standort x Durchschnittspreis; wobei Weizenpreis
11,3 €/dt und Rapspreis 21,1 €/dt;
der gewogenen Versicherungssumme;
Zuschlag zur Nettorisikoprämie (Marge der Versicherungswirtschaft): Faktor 1,3 (2, S. 123).
Quelle: Eigene Berechnungen
Tabelle 4. Szenarien für die ex­post­Analyse und die ex­ante­Simulation;
Analysezeitraum jeweils 10 Jahre
Variable
1. Standorte/Betriebe
Spannweite/Varianten
guter, mittlerer sowie schwacher
Standort 1 und 2
2. Versicherungsart
Erlösversicherung (Ver- Ertragsversicherung;
sicherungswirtschaft) ohne/mit staatlichem
Zuschuss
ex-ante-Simulation; je Variante 1000 Simulationsläufe
3. Deckungssumme
0, 25 %, 50 %, 75 % und 100 % der
Versicherung
4. Direktzahlungen
Ausgangssituation:
GAP-Reform (Mo300 €/ha Flächenprämie dulation): 225 €/ha
Flächenprämie
5. Eigenkapitalanteil in t0
25 % Eigenkapital
50 % Eigenkapital
Summe Varianten (Kombinationen)
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Anzahl
Varianten
4
3
5
2
2
240
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Notwendigkeiten für eine Risikoabsicherung im Ackerbau
5
275
Ex­post­Analyse der Ausgangssituation
Es werden die Erträge und Preise der Jahre 1997 bis 2006 (10 Jahre) betrachtet. Die
Direktzahlungen in der Ausgangssituation betragen 300 €/ha. Der Eigenkapitalanteil zu
Planungsbeginn wird mit 25 % angenommen. Damit ist es möglich, verhältnismäßig sicher
Gewinne im Ackerbau zu erzielen. In dem Planungszeitraum können dynamische Effekte,
insbesondere bei der Liquidität und der Eigenkapitalentwicklung, abgebildet werden. Als
Modellbetrieb ist ein Ackerbaubetrieb mit 300 ha Fläche unterstellt. Die Fruchtfolge
besteht aus zwei Dritteln Getreide (Weizen) und einem Drittel Ölfrüchten (Raps). Die
Wirkungsweise der verschiedenen Versicherungsmodelle wird in Abbildung 5 deutlich:
Tritt kein Versicherungsfall ein, ist der Gewinn (nach Steuern) mit Versicherung geringer
als ohne Versicherung. Im Jahr mit Versicherungsfall gewährt die Versicherung einen Ausgleich, wodurch der Gewinn vergleichsweise ansteigt.
Bei einer Erlösversicherung erfolgen öfter Ausschüttungen durch die Versicherung, da
bereits geringe Schäden ausgeglichen werden. So hätte z. B. auf dem schlechten Standort 1 in zwei Jahren (2000 und 2003) ein Verlust vermieden werden können.5)
Bei der Ertragsversicherung wäre dies ex-post auf dem schwachen Standort 1 nur
einmal, im Jahr 2003, der Fall, beim schwachen Standort 2 lediglich in 2 von 10 Jahren
(2002 und 2003), da nur in diesen Fällen der Ertragsausfall über 30 % gelegen hat (EURegelung).
Abb. 5. Gewinn nach Steuern (ex-post) – Erlösabsicherung (oben) und Ertragsabsicherung (unten)
Quelle: Eigene Darstellung
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Da in der Vergangenheit (ex-post-Analyse) in keinem Fall Insolvenzgefahr festgestellt
werden konnte, kann dieses Kriterium nicht als Entscheidungshilfe für die Empfehlung
herangezogen werden. Diese Betrachtungsweise wird im folgenden Kapitel 6 (Simulationen) erweitert. Doch zunächst werden die Ergebnisse der ex-post-Analyse vorgestellt.
Bei der Erlösversicherung sinken Gewinn und Risiko mit zunehmender Deckungssumme. In Abbildung 6 zeigt sich dies im Kurvenverlauf – ausgehend von rechts oben
(Deckungssumme 100 %) nach links unten (ohne Versicherung). Die Betriebe bezahlen
mit der Versicherungsprämie für die Risikominderung, wobei die Versicherungsprämie
die Kosten für die Risikominderung darstellten. Die durchschnittlichen Gewinne gehen
um etwa 5 bis 10 €/ha zurück, während die Standardabweichung der Betriebsmodelle um
500 € (mittlerer Standort) bis zu 4900 € (schwacher Standort 1) abnimmt (Tab. 6).
Welcher Versicherungsschutz angestrebt wird, hängt von der Risikoaversion des Unternehmers ab. Zunächst bestand ex-post bei hohen Direktzahlungen (300 €/ha) in keinem
Fall die Gefahr einer Insolvenz wegen aufgebrauchten Eigenkapitals.
In einem Fall (mittlerer Standort) kann das geringste Risiko dann erzielt werden, wenn
nur eine Deckungssumme von 75 % abgesichert wird. Bei 100 % Absicherung steigt die
Standardabweichung wieder an.
Abb. 6. Änderung und Schwankungsbreite des Gewinns bei der ex-post-Analyse einer Erlösversicherung für vier Standorte mit Direktzahlungen in Höhe von 300 €/ha und in Abhängigkeit von der
Deckungssumme (100 %, 75 %, 50 %, 25 % und ohne Versicherung)
Quelle: Eigene Berechnungen
Bei der Ertragsversicherung ohne Zuschüsse ist mit zunehmender Deckungssumme ebenfalls ein Rückgang im Gewinn zu beobachten, mit anderen Worten: Die Versicherung
kostet Geld. Mit steigender Deckungssumme (25 % bis 50 %) sinkt zunächst die Streuung
des Gewinns (Standardabweichung wird kleiner). Diese steigt jedoch wieder an und ist
bei 100 % Deckungssumme sogar größer als ohne Versicherung.
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Notwendigkeiten für eine Risikoabsicherung im Ackerbau
Bei der Ertragsversicherung mit Zuschüssen ist der Kurvenverlauf umgekehrt zu interpretieren. Mit zunehmender Deckungssumme steigt aufgrund des Subventionseffektes des
Prämienzuschusses der Gewinn (Abb. 7, von links unten nach rechts oben). Gleichzeitig
nehmen die Schwankungen zu. Der Einkommenstransfer durch die Ertrags-Absicherung
nach dem EU-Modell beträgt ex-post ca. 10 bis 12 €/ha (im Vergleich zur Situation ohne
Versicherung).
Die Ertragsversicherung (ohne staatlichen Zuschuss) ist uninteressant, da nur in wenigen Jahren Ausfälle über 30 % auftreten. Mit zunehmendem Deckungsgrad sinkt zwar,
wie bei der Erlösversicherung auch, wegen der zu zahlenden Versicherungsprämie der
Gewinn, jedoch steigt gleichzeitig das Risiko, da die Standardabweichung gleichzeitig
ansteigt.
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Abb. 7. Änderung und Schwankungsbreite des Gewinns bei der ex-post-Analyse einer Ertragsversicherung mit Direktzahlungen in Höhe von 300 €/ha und in Abhängigkeit von der Deckungssumme
(100 %, 75 %, 50 %, 25 % und ohne Versicherung); oben mit 60 % staatlichem Zuschuss (Gewinnanstieg durch Einkommenstransfer); unten ohne Zuschuss zu den Versicherungsprämien
Quelle: Eigene Berechnungen
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Tabelle 5 zeigt den durchschnittlichen Gewinn/ha und die Standardabweichung als
Ergebnis der ex-post-Analyse im Zeitraum 1997 bis 2006 für die vier Standorte und Varianten ohne Versicherung sowie mit Erlös- und Ertragsversicherung – letztere mit und ohne
staatlichen Zuschuss. Hier kommt nochmals zum Ausdruck, wie sehr sich die vier Untersuchungsstandorte unterscheiden. Während auf dem guten Standort ca. 200 €/ha Gewinn
nach Steuern erzielt werden, sind es auf dem mittleren Standort durchschnittlich 130 €/
ha. Auf den beiden schlechten Standorten sinken die entsprechenden Werte auf 50 €/ha
bzw. 54 €/ha in der Ausgangssituation ohne Versicherung. Die Tabelle zeigt ebenfalls die
Standardabweichungen für den Gewinn in €/Betrieb. Diese Werte schwanken zwischen
ca. 16 800 € und 24 000 €.
Tabelle 5. Vergleich der Höhe und der Streuung des Gewinns nach Steuern (€/ha),
und des Risikos (Standardabweichung des Gewinns in €/Betrieb und Jahr) im
Vergleich der verschiedenen Versicherungslösungen; ex­post­Analyse im Zeitraum
1997 bis 2006
Ohne
Versi­
cherung
Erlös­
versiche­
rung
Ertrags­
Ertrags­
versi­
versi­
cherung
cherung
(60 %
(ohne Zu­
Zuschuss)
schuss)
100 % Deckungssumme
Guter Standort
(55 Bodenpunkte)
Gewinn nach Steuern
204
195
–
–
Standardabweichung
22 104
18 642
–
–
Mittlerer Standort (43
Bodenpunkte)
Gewinn nach Steuern
130
124
–
–
Standardabweichung
18 448
17 630
–
–
Schwacher Standort 1
(32 Bodenpunkte)
Gewinn nach Steuern
50
42
41
60
Standardabweichung
22 104
17 200
24 439
24 052
Schwacher Standort 2
(29 Bodenpunkte)
Gewinn nach Steuern
54
47
45
62
Standardabweichung
18 481
16 796
20 586
20 122
–
nicht relevant, da die Ertragsschwankungen unter 30 % bleiben und deshalb eine
Ertragsausfallversicherung nicht abgeschlossen würde
Quelle: Eigene Berechnungen
6
Ex­ante­Simulation
Im Gegensatz zur Vergangenheit, mit begrenzt verfügbaren Daten im Referenzzeitraum,
ist zukünftig mit sehr viel stärkeren Preisschwankungen und wirtschaftlichen Auswirkungen zu rechnen. Klimawandel, Globalisierung und damit größere Volatilität der Rohstoffmärkte sind einige Gründe für zunehmendes Risiko. Diese vielfältigen möglichen Situationen werden mithilfe von Simulationen dargestellt. Der Vorteil der als Monte-CarloSimulation durchgeführten weitergehenden Analyse besteht darin, dass die Bandbreite
von möglichen günstigen, aber auch ungünstigen Ertrags-Aufwands-Kombinationen in
einzelnen Jahren den Erwartungen entsprechend und mit einer entsprechenden Wahrscheinlichkeit dargestellt werden kann.
Das Risiko im Ackerbau kann unterteilt werden in das Ertrags- und das Marktrisiko.
Während das Ertragsrisiko stark standortabhängig ist und damit lokal beurteilt werden
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Notwendigkeiten für eine Risikoabsicherung im Ackerbau
279
muss, ist das Marktrisiko oder genauer das Preisrisiko durch globale Entwicklungen determiniert. An dieser Stelle werden zunächst die Preisschwankungen für die beiden Kulturen
Weizen und Raps aufgezeigt.
Die Preise für diese Kulturen werden durch das nationale, EU-weite und internationale
Spiel der Kräfte von Angebot und Nachfrage bestimmt. Als Indikator wird das Preisgefüge
in Deutschland herangezogen. Bei steigenden Erträgen sinken die Erzeugerpreise und vice
versa. Durch diese gegenläufige Bewegung wird im Grundsatz das wirtschaftliche Risiko
für die Unternehmen gemindert.
Die im Rahmen der Modellkalkulationen verwendeten Erzeugerpreise werden aus den
ZMP-Daten der Jahre 2000 bis 2006 (13; für Raps, Brotweizen) bzw. 1995 bis 2006 (13;
für Qualitätsweizen) abgeleitet (Abb. 8). Hier können zwischen ca. 30 bis 50 % der Abweichungen im Preisniveau durch die Erträge erklärt werden.
Abb. 8. Zusammenhang zwischen Ertragsniveau und Erzeugerpreis für Weizen und Raps in
Deutschland
Quelle: 11, verschiedene Jahre; eigene Berechnungen
Der Wettbewerbsdruck verschärft sich im Ackerbau, z. B. durch zukünftig sinkende
Direktzahlungen im Rahmen der Reformen der EU-Agrarpolitik und durch zunehmende
Preisschwankungen, wenn volatile Weltmärkte bei geringerem Außenschutz auf den Binnenmarkt durchschlagen. Gerade das Wirtschaftsjahr 2007/08 mit Erzeugerpreisen in Höhe
von 25–30 €/dt Weizen und 45–50 €/dt Rapssaat ist ein Beispiel für volatile Preise. Diese
Beispiele zeigen, dass neue Versicherungen interessant und notwendig werden könnten.
Bei der Simulation wird von den in Abbildung 2 dargestellten Ertragsschwankungen
und den in Abbildung 8 dargestellten Spreizungen der Erzeugerpreise ausgegangen. Es
wird wie folgt vorgegangen (Schema 1):
I. Zunächst werden in einer Monte-Carlo-Simulation6) die Erträge simuliert, wobei die
Ertragsschwankungen anhand von Dreiecksverteilungen berechnet werden. Die für die
Dreiecksverteilungen verwendeten Minimalwerte, Mediane und Maximalwerte sind
für die einzelnen Standorte in Tabelle 1 dargestellt.
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II. Da jedoch nicht die lokalen Erträge für die spätere Preisfindung entscheidend sind, sondern überregionales Angebot (und Nachfrage), wird in einem weiteren Schritt aus der
Relation „langjähriger Ertrag eines Standortes“ zum „langjährigen Ertrag in Deutschland“, unter Berücksichtigung der in der Vergangenheit beobachteten Abweichungen
beider Mittelwerte, ein „Durchschnittsertrag für die Region Deutschland“ berechnet.
III. Im nächsten Schritt ist der Erzeugerpreis abzuschätzen. Basis ist die aus dem Streuungsdiagramm zwischen Ertrag und Preis abgeleitete Regressionsgerade (Abb. 8). Auch
hier liegen aus der Vergangenheit Beobachtungen über Abweichungen in einzelnen
Jahren vor. Diese Spannbreite wird in einer weiteren vergangenheitsorientierten Dreiecksverteilung abgebildet. Beispielsweise können dann am „schwachen Standort 2“
die Weizenpreise im Extrem zwischen 6,50 € und 18 €/dt und die Rapspreise zwischen
11 € und 34 €/dt schwanken.
Schema 1. Ablauf der Simulation in fünf Schritten und Darstellung der Ergebnisvariablen Ertrag
auf Betriebsebene (Y) und Erzeugerpreis (P) in der Marktregion; eigene Darstellung
Die Wirkung einer Erlösversicherung wird in der Abbildung 9 anhand der Summenkurven
für den Gewinn nach Steuern im Planungszeitraum t1 bis t10 deutlich. Mit einer Erlösversicherung brechen die Verteilungskurven auf ungefähr halber Höhe ab und ein Großteil der
ansonsten zu erwartenden Verluste könnten vermieden werden. Zudem wird die Akkumulation von Eigenkapital durch von Jahr zu Jahr stattfindender Verschiebung des Gewinns
nach rechts deutlich. Sofern eine Erlösversicherung abgeschlossen würde, wäre es demnach selbst am schwachen Standort 1 möglich, die Gewinnzone zu erreichen. Gegen Ende
des Planungszeitraums wären die Schulden getilgt und die Versicherung könnte witterungsabhängige Ertragsschwankungen und die Auswirkungen volatiler Märkte vollständig
abfangen.
Durch die Simulation7) wird ein sehr viel breiteres Risiko abgedeckt. Dass tritt z. B. ein,
wenn mehrere schlechte Jahre nacheinander folgen, wodurch die Liquidität der Betriebe,
aber auch die der Versicherung stärker belastet würden, als in der Vergangenheit beobach-
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Notwendigkeiten für eine Risikoabsicherung im Ackerbau
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C
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Abb. 9. Streuung des Gewinns nach Steuern im Planungszeitraum (t1 bis t10) ohne Versicherung
(oben) und mit Erlösversicherung (unten) für den schwachen Standort 1; Flächenprämien 300 €/ha,
EK-Anteil 25 % in t0
Quelle: Eigene Berechnungen
tet. Kriterien für die Beurteilung der Effekte einer Erlös- oder Ertragsversicherung sind
neben dem bereits verwendeten Gewinn nach Steuern auch:
a) Der Endwert des Eigenkapitals nach 10 Jahren,
b) die Standardabweichung der Endwerte dieser Größen und
c) die Wahrscheinlichkeit, dass ein Unternehmen illiquide wird und damit bankrottgehen
könnte.
Die Wirtschaftlichkeit des Ackerbaus verändert sich bei den ex-ante-Simulationen wegen
der größeren Preisschwankungen und vor allem, wenn bei weiteren Reformen der GAP
die Direktzahlungen weiter gekürzt werden. Die zunehmende Volatilität der Märkte bei
ansonsten gleichen Rahmenbedingungen (Flächenprämie 300 €/ha, 25 % Eigenkapital in
t0) führt zu geringen Gewinnen und zu höherem Risiko: Letzteres wird ersichtlich an der
steigenden Standardabweichung sowie an zu kleineren Endwerten im Eigenkapital am
Planungsende. Der Schwund an Eigenkapital kann in 11 % der Fälle zu einem Bankrott der
Unternehmen auf den beiden schwachen Standorten führen (Tab. 6). Grundsätzlich sind
Versicherungen oftmals eine Möglichkeit, um solche Existenz gefährdenden Situationen
zu vermeiden. Inwieweit dies durch die Erlös- bzw. Ertragsversicherung möglich wäre,
wird anschließend erläutert. Zuvor jedoch ein kurzer Hinweis auf mögliche politische und
strukturelle Veränderungen.
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Clemens Fuchs, Theodor Fock und Joachim Kasten
Bei einer Minderung der Direktzahlungen um 25 %, d. h. Kürzung von 300 €/ha auf
225 €/ha, würden die durchschnittlichen Gewinne auf dem guten Standort von 204 €/ha
auf 126 €/ha und damit um 78 €/ha sinken, während auf den weiteren Standorten der Verlust noch größer ausfallen würde, nämlich 94 €/ha auf dem mittleren Standort und 156 €/
ha bzw. 185 €/ha auf den beiden schwachen Standorten (Tab. 6).
Die Differenz im Endwert des Eigenkapitals wäre beträchtlich. Die Verluste schwanken zwischen ca. 230 Tsd. € auf dem guten Standort und ca. 550 Tsd. € auf dem schwachen
Standort 2. Die Unternehmen auf den beiden schwachen Standorten wären gefährdet, da
sie in 78 % bzw. 91 % der Fälle ihr Eigenkapital aufbrauchen würden und in Insolvenz
gehen müssten. Diese Verluste kann eine Versicherung nicht abfangen. Hier wären dann
strukturelle Anpassungen notwendig, wie sie der technische Fortschritt oder organisatorische Veränderungen bieten.
Tabelle 6. Vergleich der Wirtschaftlichkeit ohne Versicherung bei
reduzierten Direktzahlungen und veränderter Kapitalstruktur
Ex­
post
1997–
2006
Standort
Guter Standort
Kennzahl
Gewinn1, €/ha
(55 Bodenpunkte)
Standardabweichung2
Eigenkapital, € in t10
Bankrottgefahr in %
Gewinn1, €/ha
Mittlerer Standort
(43 Bodenpunkte)
Standardabweichung2
Eigenkapital, € in t10
Bankrottgefahr in %
Schwacher Standort 1 Gewinn1, €/ha
(32 Bodenpunkte)
Standardabweichung2
Eigenkapital, € in t10
Bankrottgefahr in %
Schwacher Standort 2 Gewinn1, €/ha
(29 Bodenpunkte)
Standardabweichung2
Eigenkapital, € in t10
Bankrottgefahr in %
Ex­ante­Simulation
(Planungszeitraum 10 Jahre)
Flächenprämie
ursprünglich
reduziert 225 €/ha
300 €/ha
Eigenkapital in t0: 25 %
50 %
187
126
204
145
22 104 21 367
21 133
19 770
760 929 711 040 526 510 735 499
0%
0%
0%
0
104
36
130
62
18 448 19 885
20 959
18 209
540 089 460 595 259 381 486 919
0%
1%
0%
0
10
-106
50
-27
22 104 26 067
26 227
26 414
299 631 180 863 -166 865 218 932
11 %
78 %
2%
0
-2
-131
54
-39
18 481 22 708
21 178
22 364
311 737 143 906 -242 002 183 217
11 %
91 %
2%
0
Bezeichnung der Variablen: 1durchschnittlicher Gewinn nach Steuern in €/ha, 2Standardabweichung des Gewinns in €/Betrieb und Jahr, Eigenkapital (EK) am Planungsende (t10), Bankrottgefahr in %
Annahmen: Flächenprämie 300 €/ha in der Ausgangssituation und nach weiteren GAP-Reformen
Reduktion auf 225 €/ha möglich; Eigenkapital in t0: 25 % entspricht 150 Tsd. € und 50 % entsprechen 300 Tsd. €.
Quelle: Eigene Berechnungen
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Notwendigkeiten für eine Risikoabsicherung im Ackerbau
283
Die letzte Spalte in Tab. 6 stellt eine solche Möglichkeit dar, wobei hier ein höherer Eigenkapitalanteil infolge der Nichtentnahme des Gewinns oder durch Beteiligungen
unterstellt ist. Ganz praktisch könnte man sich folgende Situation vorstellen, dass nämlich
in der ersten Dekade mit hohen Direktzahlungen, wie in der ex-post-Analyse dargestellt
(Abb. 4), Eigenkapital akkumuliert wurde, welches nun in der folgenden Dekade für Reinvestitionen eingesetzt werden kann. Wie bereits erläutert, wäre auch auf den schwachen
Standorten ein Eigenkapitalanteil von leicht über 50 % möglich (siehe Kap. 3).
Die Prämien für die Erlösversicherung erhöhen sich aufgrund der größeren Volatilität
der Variablen im Vergleich zur ex-post-Analyse um bis zu 17 €/ha (Tabelle 7). Bei der
Ertragsversicherung ist dagegen eine starke Reduktion um bis zu 20 €/ha zu verzeichnen. Diese ist, wie schon zuvor angeführt, auf die stark restriktive Eingrenzung eines
Versicherungsfalls auf Ertragsverluste über 30 % zurückzuführen. Damit nähern sich die
Reaktionen und Ergebnisse stark einer Situation ohne Versicherung an. Ebenfalls stark
reduziert wird der Subventionseffekt der staatlichen Förderung einer Ertragsversicherung
nach EU-Vorschlag.
Tabelle 7. Vergleich der fairen Netto­ Prämie (€/ha) bei ex­post­Analyse und
Ex­ante­Simulation
Ex­post­Analyse
1997–2006
Erlös­
Ertrags­
versicherung versicherung
Guter Standort
33,07
–
Mittlerer Standort
20,67
–
Schwacher Standort 1
34,18
28,75
Schwacher Standort 2
25,03
23,84
Ex­ante­Simulation
(Planungszeitraum 10 Jahre)
Erlös­
Ertrags­
versicherung versicherung
40,50
–
34,60
–
51,80
10,45
37,45
3,83
– nicht relevant, da die Ertragsschwankungen unter 30 % bleiben und deshalb eine Ertragsausfallversicherung nicht abgeschlossen würde
Quelle: Eigene Berechnungen
Zusammenhang zwischen Kosten (Gewinnminderung) und Nutzen (reduzierte Standardabweichung) der Erlösversicherung zeigt Abb. 10. Insbesondere am schwachen Standort 1
könnte das Risiko erheblich gemindert werden, wenn eine solche Erlösversicherung abgeschlossen würde.
Durch die sehr viel stärkere Volatilität der Preise im Vergleich zur Vergangenheit, steigt
für Modellbetriebe an den beiden schwachen Standorten die Gefahr von Verlusten. In
ungünstigen Kombinationen, z. B. geringere Erträge und niedriges Preisniveau, würde das
Eigenkapital aufgebraucht, die Betriebe überschulden sich und die Gefahr eines Bankrotts
steigt. Ohne Versicherung würden, wie bereits erwähnt, Modellbetriebe auf den beiden
schwachen Standorten in 11 % der Fälle in Liquidation gehen müssen. Der Eigenkapitalverlust lässt sich zwar durch eine Versicherung nicht verhindern – die Versicherung
selbst kostet ja bereits Geld –, aber extreme wirtschaftliche Einbrüche könnten vermieden werden. Durch den Abschluss einer Erlösversicherung gelänge es, das Bankrottrisiko
weitgehend zu vermeiden (Abb. 11). Die Nachfrage nach einer Erlösversicherung auf
schwachen Standorten wäre unter zukünftig stark schwankenden Erträgen und vor allem
volatilen Preisen keine Frage der Risikoeinstellung des einzelnen Unternehmers, sondern
eine Frage des wirtschaftlichen Überlebens.
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Clemens Fuchs, Theodor Fock und Joachim Kasten
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Abb. 10. Änderung und Schwankungsbreite des Gewinns bei einer Erlösversicherung für vier
Standorte, Direktzahlungen (300 €/ha) und in Abhängigkeit von der Deckungssumme (100 %,
75 %, 50 %, 25 % und ohne Versicherung); ex-ante-Simulation, 10-Jahreszeitraum, 1000 Simulationsläufe
Quelle: Eigene Berechnungen
Im Falle von Ertragsversicherungen besteht die Tendenz, dass das Risiko einer Insolvenz
durch den Versicherungsschutz kaum gemindert werden kann. Erst strukturelle Änderungen, z. B. eine höhere Eigenkapitalausstattung u. a., wie sie im folgenden Kapitel 7 vorgestellt werden, bieten die Chance auf eine signifikante Reduktion des Insolvenzrisikos.
Auch für die ex-ante-Simulation einer Ertragsversicherung ergibt sich das bereits zuvor
gezeichnete Bild: Ertragsversicherungen ohne staatliche Zuschüsse bleiben unattraktiv,
da es unter den angenommen Konditionen (z. B. Leistung ab 30 % Minderertrag) nicht
gelingt das Risiko zu verringern. Ertragsversicherungen mit staatlichen Zuschüssen zur
Versicherungsprämie werden bei der unterstellten Höhe von 60 % Zuschussanteil zu einem
Subventionierungsinstrument der Agrarpolitik und lukrativ (Abb. 12).
Tabelle 8 weist den durchschnittlichen Gewinn nach Steuern und die Standardabweichung als Ergebnis der ex-ante-Simulation in einem Zeitraum von 10 Jahren für die vier
Standorte und die Varianten ohne Versicherung sowie mit Erlös- und Ertragsversicherung
aus. Während der gute Standort mit Gewinnen um 180 €/ha und der mittlere Standort mit
ca. 100 €/ha noch vergleichsweise rentabel sind, ergibt sich für die marginalen Standorte
eine deutlich schwierigere wirtschaftliche Situation, da man sich hier der Gewinnschwelle
nähert. Ein positives Bild gibt die Erlösversicherung ab, da die auf allen Standorten stark
sinkende Standardabweichung auf eine wesentliche Stabilisierung hinweist. Für die bislang durchgeführten Simulationen wurde von verhältnismäßig stabilen agrarpolitischen
Rahmenbedingungen ausgegangen. In Zukunft ist jedoch mit weiteren Veränderungen
der Rahmenbedingungen durch den Prozess der GAP-Reform zu rechnen. Veränderungen
könnten z. B. durch Subventionskürzungen auf die Landwirte zukommen. Deren mögliche
Auswirkungen sollen im folgenden Kapitel betrachtet werden.
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Notwendigkeiten für eine Risikoabsicherung im Ackerbau
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Abb. 11. Wahrscheinlichkeit eines Bankrotts (Eigenkapital negativ) in Abhängigkeit von der
Deckungssumme, der Höhe der Direktzahlungen (Flächenprämie) und des Eigenkapitalanteils (EK
in %) für die beiden schwachen Standorte bei Erlösversicherung (oben) und Ertragsversicherung
mit 60 % staatlichen Zuschüssen (unten) – ex-ante-Simulation
Quelle: Eigene Berechnungen
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286
Clemens Fuchs, Theodor Fock und Joachim Kasten
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Abb. 12. Änderung und Schwankungsbreite des Gewinns bei der ex-ante-Simulation einer Ertragsversicherung mit Direktzahlungen in Höhe von 300 €/ha und in Abhängigkeit von der Deckungssumme (100 %, 75 %, 50 %, 25 % und ohne Versicherung); oben mit 60 % staatlichem Zuschuss
zu den Versicherungsprämien und Gewinnzuwachs durch diesen Einkommenstransfer; unten ohne
Zuschuss
Quelle: Eigene Berechnungen
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287
Notwendigkeiten für eine Risikoabsicherung im Ackerbau
Tabelle 8. Vergleich des Gewinns nach Steuern (€/ha) und des Risikos (Standardab­
weichung €/Betrieb) im Vergleich der verschiedenen Versicherungslösungen
(ex­ante­Simulation, 10­Jahreszeitraum, 1000 Simulationsläufe); Flächenprämie
300 €/ha
Guter Standort
(55 Bodenpunkte)
Gewinn nach
Steuern
Standardabweichung
Mittlerer Standort
Gewinn nach
(43 Bodenpunkte)
Steuern
Standardabweichung
Schwacher Standort 1 Gewinn nach
(32 Bodenpunkte)
Steuern
Standardabweichung
Schwacher Standort 2 Gewinn nach
(29 Bodenpunkte)
Steuern
Standardabweichung
Ertrags­
Ertrags­
Ohne Erlösver­
versiche­
Ver­ sicherung versiche­
rung (ohne rung (60 %
siche­
Zuschuss)
Zuschuss)
rung
100 % Deckungssumme
187
177
–
–
21 367
14 825
–
–
104
96
–
–
19 885
13 660
–
–
10
3
7
15
26 067
16 244
27 170
26 780
­2
­8
­4
­1
22 708
16 027
23 604
23 699
– nicht relevant, da die Ertragsschwankungen unter 30 % bleiben und deshalb eine
Ertragsausfallversicherung nicht abgeschlossen würde
Quelle: Eigene Berechnungen
7
GAP­Reform – Health Check
Wie bereits angedeutet, befindet sich die GAP in einem ständigen Reformprozess und
die jüngsten Beschlüsse zum Health Check in Bezug auf Modulation und Degression
bedingen für die landwirtschaftlichen Betriebe eine Reduzierung der Direktzahlungen (4).
Dieser Prozess dürfte sich zukünftig (nach 2013) fortsetzen. An dieser Stelle soll im Hinblick auf weitere zu erwartende Umschichtungen und Kürzungen im Agrarbudget für den
Zeitraum der nächsten Planungsperiode (2013–2020) eine Kürzung der Flächenzahlungen
in Höhe von 25 % unterstellt werden. Damit würden die Direktzahlungen von 300 €/ha auf
255 €/ha sinken.
Keine Änderung wird dagegen bei den unterstellten Ertrags- und Preisschwankungen
vorgenommen, sodass, wie bereits in Tabelle 6 dargestellt, starke Gewinneinbrüche erfolgen könnten. Unternehmen auf guten bis mittleren Standorten kämen damit immer noch
über die Runden, wogegen auf marginalen Standorten zunächst die Pachtpreise fallen
würden, aber auch weitere strukturelle Anpassungen unumgänglich wären. Solche Anpassungsmöglichkeiten wären auch die Öffnung für Beteiligungen Dritter oder Betriebsfusionen – diese sollen jedoch an dieser Stelle nicht weiter diskutiert werden.
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Clemens Fuchs, Theodor Fock und Joachim Kasten
Mit den Simulationen für das Szenario „25 % Prämienkürzung und 25 % höherer
Eigenkapitalausstattung zu Planungsbeginn (50 % EK-Anteil in t0)“ konnte gezeigt werden, dass das Instrument der Versicherung nicht geeignet wäre, um schwieriger werdende
Rahmenbedingungen auszugleichen oder gar strukturelle Mängel zu beheben. Selbst 60 %
Zuschuss zu einer Ertragsversicherung, welche Ertragsausfälle über 30 % erstatten würde,
in Kombination mit einer höheren Eigenkapitalausstattung reicht auf den marginalen
Standorten nicht aus, um in der Gewinnzone zu verbleiben (Tab. 9).
Tabelle 9. Vergleich des Gewinns nach Steuern (€/ha) und des Risikos
(Standardabweichung Betrieb) im Vergleich der verschiedenen
Versicherungslösungen; Flächenprämie 255 €/ha und höhere EK­Anteile auf
schwächeren Standorten!
Ohne Erlös­
Ertrags­
Ver­
versi­
versiche­
siche­ cherung rung (ohne
rung
Zuschuss)
Gewinn nach
Guter Standort
Eigenkapital in t0: 25 % Steuern €/ha
Standardabweichung
Gewinn nach
Mittlerer Standort EiSteuern €/ha
genkapital in t0: 25 %
Standardabweichung
Gewinn nach
Schwacher Standort 1
Eigenkapital in t0: 50 % Steuern €/ha
Standardabweichung
Schwacher Standort 2
Gewinn nach
Eigenkapital in t0: 50 % Steuern €/ha
Standardabweichung
126
Ertrags­
versi­
cherung
(60 %
Zuschuss)
100 % Deckungssumme
–
116
–
21 133
14 489
–
–
36
31
–
–
21 009
14 534
–
–
­27
­37
­30
­23
26 414
13 229
27 277
26 927
­39
­47
­40
­38
22 364
12 544
23 350
22 942
– nicht relevant, da die Ertragsschwankungen unter 30 % bleiben und deshalb eine Ertragsausfallversicherung nicht abgeschlossen würde
Quelle: Eigene Berechnungen
Der Effekt einer Erlösversicherung in Bezug auf die Streuung des Eigenkapitals am
Planungsende (t10) besteht darin, dass die Spreizung deutlich reduziert wird und – was
für die Stabilität der Unternehmen wichtig ist – dass vor allem geringe EK-Endwerte
vermieden werden (Abb. 13). Für den Betrieb auf dem mittleren Standort wird es dadurch
möglich sein, das Eigenkapital in jedem der simulierten Fälle gegenüber dem Ausgangswert in Höhe von 150 Tsd. € (25 % EK-Anteil) zu steigern. Für Betriebe auf marginalen
Standorten wird dies nicht möglich sein.
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Notwendigkeiten für eine Risikoabsicherung im Ackerbau
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Abb. 13. Verteilung des Eigenkapital am Planungsende ohne Versicherung (dünne Linie) und mit
Versicherung (dicke Linie) auf dem mittleren Standort (oben) und dem schwachen Standort 2
(unten) bei angepasstem Eigenkapitalanteil (EK-Anteil zu Beginn 25 % bzw. 50 %)
Quelle: Eigene Berechnungen
Auf dem marginalen Standort ist diese Stabilisierung ebenfalls zu beobachten, denn das
Eigenkapital sinkt nicht mehr unter Null ab. Um einen Konkurs zu vermeiden, müssten
die marginalen Standorte mindestens eine Deckungssumme von 50 % bei der Erlösversicherung abschließen (Abb. 10).
Allerdings reicht selbst ein höherer Eigenkapitalanteil von 50 % nicht aus, um den
Eigenkapitalverzehr zu vermeiden. Wie schon angedeutet, kann eine Versicherung sich
verschlechternde wirtschaftliche Rahmenbedingungen nicht kompensieren, da sie auf
einen solidarischen und kurzfristigen Ausgleich angelegt ist.
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Clemens Fuchs, Theodor Fock und Joachim Kasten
8
Schlussfolgerungen und Empfehlungen
Ertragsschwankungen als Folge von Witterungseinflüssen stellen ein bedeutendes Risiko
für landwirtschaftliche Betriebe dar. Standorte mit ertragsschwachen Böden in Verbindung
mit vergleichsweise ungünstigen klimatischen Bedingungen, wie sie in Nordostdeutschland insbesondere im südöstlichen Mecklenburg, im südlichen Vorpommern und in Brandenburg vorgefunden werden, sind hiervon besonders betroffen. Aber auch in anderen
Regionen Deutschlands sind derartige natürliche Standortbedingungen gegeben. Die Analyse einzelbetrieblicher und schlagbezogener Erträge verdeutlicht, dass die Schwankungen deutlich größer ausfallen, als dies aus regionalisierten Durchschnittswerten ersichtlich
wird. Da die untersuchten Betriebe ihr spezifisches Ertragsrisiko implizit auf Erfahrungswerten basierend kennen, ist davon auszugehen, dass typische betriebliche Risikostrategien z. B. durch eine entsprechende Anbauplanung und Ausrichtung von Betriebszweigen
bereits existieren. Inwieweit zusätzliche Absicherungsstrategien sinnvoll sind, wird für
Deutschland anhand neuer Versicherungsprodukte untersucht.
Erlösversicherungen und Ertragsversicherungen, auch in der Variante, wie sie die EU
in ihren Reformen zum Health Check vorschlägt (Versicherungsfall bei mehr als 30 %
Ertragsausfall, bei ca. 60 % Zuschuss zu den Versicherungsprämien), werden in ihren Kosten und Nutzen zunächst ex­post analysiert. Hier zeigt sich zunächst, dass eine Ertragsversicherung nur für die schlechteren Standorte in Frage kommen würde, da auf den guten
Standorten die Erträge im Untersuchungszeitraum (1997 bis 2006) in keinem Jahr um
30 % unter dem Durchschnitt lagen. Die staatlich geförderte Ertragsversicherung wirkt
sich einerseits in höheren Gewinnen aus. Der Subventionsbeitrag beträgt ca. 8 €/ha und
Jahr, andererseits steigt aber auch die Standardabweichung des Gewinns, welche hier
als Risikomaß verwendet wird. Die Erlösversicherung dagegen folgt den theoretischen
Erwartungen: die Versicherungsprämie senkt den Gewinn um ca. 10 €/ha p. a., gleichzeitig reduziert sich das Risiko für die Erhöhung der Standardabweichung des Gewinns im
Unternehmen.
Da zukünftig sehr viel stärkere Schwankungen bei Erträgen und auch bei Erzeugerpreisen als im Beobachtungszeitraum erwartet werden können, werden mithilfe der MonteCarlo-Simulation (1000 Simulationen für jedes Jahr im Planungszeitraum einer Dekade)
die Erlös- und die Ertragsversicherung ex-ante beurteilt. Hier konnten die zuvor ermittelten Tendenzen bestätigt werden. Für die Erlösversicherung wurde darüber hinaus festgestellt, dass bei stärker volatilen Märkten das Risiko eines Bankrotts auf den schwachen
Standorten deutlich gemindert werden könnte.
Da für alle Analysen ein einheitliches Betriebsmodell zugrunde gelegt wurde, wird
jeweils der Einfluss des einzelnen Standortes vorrangig herausgearbeitet. Die Modifizierung der Annahmen in den einzelnen Szenarien bezüglich der Versicherungsart, der
Deckungssumme, der Höhe der Direktzahlungen sowie der Eigenkapitalausstattung
ermöglichen eine Übertragung der Ergebnisse auch auf andere Betriebe.
Die Übertragbarkeit der Ergebnisse auf andere Regionen und Zeiträume ist in einem
gewissen Maß ebenfalls gegeben. Die regionale Variation der Erträge ist ein wesentlicher
Einflussfaktor und anhand von Gradienten der Daten und Ergebnisse für alle vier Standorte dieser Untersuchung kann man die Ergebnisse auch auf andere Standorte übertragen
und begrenzt auch extrapolieren.
Für Betriebe mit überdurchschnittlichen Ertragsschwankungen ist es wirtschaftlich
betrachtet sinnvoll, dieses Risiko entsprechend zu versichern. Hohe Schwankungen in der
Größenordnung von 30 % sollten in jedem Fall durch eine Versicherungslösung reduziert
werden. Auf den schwachen Standorten sind deutlich wirtschaftliche Vorteile für den Fall
einer Versicherungslösung erkennbar, sodass eine hohe Beteiligung an einer möglichen
Versicherung zu erwarten wäre. Auf guten Standorten ist oft der wirtschaftliche Druck
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Notwendigkeiten für eine Risikoabsicherung im Ackerbau
291
etwas geringer, wenn aus eigenen Mitteln ein Ausgleich zwischen Jahren mit niedrigeren
und höheren Umsätzen erfolgen kann.
Die Empfehlung an spezialisierte Ackerbaubetriebe lautet, die Erlösversicherungen
für das betriebliche Risikomanagement zu prüfen. Einfache zusätzliche einzelbetriebliche
Kalkulationen, z. B. der Liquidität des Unternehmens in besonders schwierigen Jahren,
können klarstellen, ob durch Versicherungsleistungen gravierende Engpässe überwundene
werden könnten. Je ungünstiger die Standorte, je geringer die Eigenkapitalausstattung, je
höher die Zinsen und je höher die Restriktionen in der Kreditvergabe sind, desto empfehlenswerter ist eine Versicherungslösung.
Die Empfehlungen für die Versicherungswirtschaft lauten, Erlösversicherungen anzubieten. Speziell den Ackerbaubetrieben wird empfohlen, diese Versicherungen vor allem
dann anzunehmen, wenn sie nicht genügend Reserven haben und illiquide werden könnten. Und schließlich kann an die Agrarpolitik die Empfehlung gegeben werden, besonders solche Versicherungsformen zu berücksichtigen, mit denen man möglichen Liquiditätsengpässen wirksam begegnen kann.
Den Abschluss der Untersuchung stellen Betrachtungen dar, die die Auswirkungen
einer fortgesetzten GAP-Reform mit weiter sinkenden Direktzahlungen berücksichtigen.
Mit reduzierten Direktzahlungen würde ein bislang stabilisierend wirkendes Element entfallen, das jedoch nur teilweise durch Erlös- oder staatlich geförderte Ertragsversicherungen ausgeglichen werden kann. Vor allem die Erlösversicherung kann, wie zuvor bereits
erläutert, Einnahmeschwankungen ausgleichen. Da jedoch vor allem marginale Standorte bei den unterstellten Preis-Kosten-Relationen eine Subventionskürzung wirtschaftlich nicht überstehen würden, sind weitere Anpassungsreaktionen zu erwarten (sinkende
Pachtpreise, neue Organisationsformen, z. B. Beteiligungen u. a.), die jedoch weitergehender Untersuchungen bedürfen.
Zusammenfassung
Für vier Standorte in Nordostdeutschland werden die Ertragsschwankungen im Ackerbau im Zeitraum von 1997 bis 2006 untersucht. Für die Leitkulturen Weizen und Raps konnte festgestellt werden, dass die durchschnittlichen Erträge umso geringer waren, je geringer die Bonität der Böden
ist. Gleichzeitig nehmen die Ertragsschwankungen zu, d. h. schlechtere Standorte weisen höhere
Schwankungsbreiten auf. Damit ist auch das wirtschaftliche Risiko der marginalen Standorte sehr
viel größer als auf guten. Ex-post-Analysen mit einem Betriebsmodell für ein Unternehmen mit
300 ha Ackerbau zeigen, dass in einer Dekade auf guten Standorten bis zu 3,75-mal mehr Eigenkapital akkumuliert werden kann als auf den ungünstigen Standorten. Dabei besteht auf schlechteren
Standorten selbst unter den derzeitigen Rahmenbedingungen, insbesondere den Direktzahlungen in
Höhe von ca. 300 €/ha, das Risiko, dass in einzelnen Jahren Verluste auftreten. Daher wurden hier
als zusätzliches Instrument für ein Risikomanagement die in Deutschland bisher nicht angebotenen
Erlös- und Ertragsausfallversicherungen untersucht.
Für das betriebliche Risikomanagement können Erlösausfallversicherungen deutlich positive Effekte bewirken, wie dies die Ergebnisse der ex-post-Analyse und der ex-ante-Simulationsrechnungen
zeigen. Das Risiko kann erheblich reduziert werden und vor allem auf marginalen Standorten könnten
solche Versicherungen auch helfen, Insolvenzen zu vermeiden. Für die Versicherungswirtschaft ergeben sich durchaus interessante Geschäftsfelder, insbesondere wenn für marginale Standorte mit
stärker schwankenden Erträgen Erlösversicherungen angeboten werden. Die Politik sollte jedoch
berücksichtigen, dass die diskutierten Ertragsausfallversicherungen, die erst ab 30 % Ertragsausfall
greifen, nur für wenige Standorte zutreffen, da zumindest auf den besseren Standorten im Betriebsdurchschnitt keine so hohen Ertragausfälle beobachtet wurden. Für die marginalen Standorte entspräche im Falle der ex-ante-Simulationen der angenommene staatliche Zuschuss in Höhe von 60 %
der Versicherungsprämien in etwa einer Subvention in Höhe bis zu 8 €/ha.
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Clemens Fuchs, Theodor Fock und Joachim Kasten
Summary
Need for Risk Hedging in Crop Production Usingthe Northeast of Germany as an Example
Crop-yield fluctuations at four sites in northeast Germany were examined in the period from 1997
to 2006. Results showed correlations betweens low soil quality and low average yields of wheat and
rapeseed crops, as well as between marginal location quality and high fluctuation in crop yields.
Thus the economic risk for marginal sites is much higher than for good locations. Ex post analysis
for a farm with 300 hectares (ha) of arable land shows that in the time period of one decade, up to
3.75 times more equity can be accumulated in good sites than in the marginal locations. There is a
risk at marginal sites that losses may occur in certain years, even with the current practice of direct
payments of about € 300/ha. This study examines revenue insurance and yield insurance, which has
not been offered in Germany up to now, as an additional tool for risk management.
With regard to the farms’ response to risk, revenue insurance may have significantly positive
effects, as the results of ex post analysis and ex ante simulations show. The risk can be reduced
considerably, and such revenue insurance could, in particular on marginal sites, also help to avoid
bankruptcy. This could be an interesting business area for the insurance industry, especially if revenue insurance policies are offered for marginal locations. Agricultural policy should take into account
the fact that the yield insurance under discussion, on which claims can only be made when yield loss
reaches 30 % and more, will be applicable for only a few locations, as high yield fluctuations were
not observed at the better locations. For the marginal sites, the ex ante simulations showed a subsidy
amounting to up to 8 €/ha, if the state grant covers 60 % of insurance premiums.
Résumé
Etude sur la nécessité d’une assurance couvrant les risques de la production agricole, illustrée
à partir de l’exemple du nord-est de l‘Allemagne
De 1997 à 2006, des recherches sur les fluctuations des rendements agricoles sur quatre sites dans le
nord-est de l’Allemagne ont été effectuées. En ce qui concerne le colza et le blé en tant que cultures
dominantes, il est constaté que plus la qualité des sols se dégrade, plus les rendements moyens diminuent. En même temps, les fluctuations des rendements augmentent ; les sites moins avantageux
sont donc confrontés à des fluctuations plus accentuées. Par conséquent, les sites marginaux sont
aussi plus exposés aux risques économiques que les bons sites. Des analyses ex post réalisées à partir
d’un modèle de fonctionnement pour une exploitation de 300 ha de terres cultivées montrent qu’au
bout d’une décennie, l’accumulation de capital propre est jusqu’à 3,75 fois plus grande sur les bons
sites que sur les sites défavorables. Même en tenant compte des conditions générales actuelles et des
paiements directs d’environ 300 euros par hectare, sur les sites moins avantageux, le risque de subir
des pertes dans certaines années est existant. C’est pour cette raison que les assurances contre les
pertes de rendements et de recettes qui jusqu’à présent ne sont pas proposées en Allemagne, ont été
étudiées en tant qu’instrument supplémentaire dans le cadre d’une gestion des risques.
Les assurances contre les pertes de recettes peuvent avoir des effets clairement positifs sur la
gestion des risques de l’exploitation comme le montrent les résultats de l’analyse ex post et les
simulations mathématiques ex ante. Le risque pourra bien être diminué et de telles assurances permettraient également aux exploitations agricoles sur des sites marginaux d’éviter l’insolvabilité. Il
en résulte des affaires intéressantes pour les compagnies d’assurance notamment en proposant des
« assurances-recette » pour les sites marginaux aux rendements très fluctuants. La politique devrait
cependant avoir égard au fait que ces assurances contre la perte de rendements actuellement envisagées qui n’interviennent que lorsque les rendements chutent de 30 %, ne s’appliquent qu’à peu de
sites car sur les sites plus avantageux une telle forte baisse des rendements n’a pas été observée en
moyenne des exploitations considérées. Pour les sites marginaux, dans le cas des simulations ex ante,
l’aide financière de l’État attendue à hauteur de 60 % des primes d’assurance correspondrait à une
subvention d’environ 8 euros par hectare.
Literatur
1. AgraEurope, 2007: Klimawandel: Mehrgefahrenversicherung nimmt Flut und Dürre den Schrecken,
Nr. 41/07, Dokumentation, 2007.
2. berg, e., 2002: Das System der Ernte- und Einkommensversicherungen in den USA-ein Modell für
Europa? In: Berichte über Landwirtschaft Bd. 80, Heft 1/2002, S. 94–133.
3. Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (BMELV), 2007: Statistisches Jahrbuch über Ernährung, Landwirtschaft und Forsten der Bundesrepublik Deutschland 2006,
Berlin.
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Notwendigkeiten für eine Risikoabsicherung im Ackerbau
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4. EU-Commission 2008: Agriculture: CAP Health Check will help farmers meet new challenges. http://
ec.europa.eu/agriculture/healthcheck/index_en.htm (27. 11. 2008).
5. fock, th.; fuchs, C.; kasten, J.; mahlau, m.; seyfferth, t., 2008: Risikostrategien für den Marktfruchtbau in Nordost-Deutschland. Landwirtschaftliche Rentenbank, Schriftenreihe Band 23, S. 53–89,
Frankfurt.
6. Landesanstalt für Landwirtschaft des Landes Brandenburg (LVLF), 2005: Datensammlung für die
Betriebsplanung und die betriebswirtschaftliche Bewertung landwirtschaftlicher Produktionsverfahren
im Land Brandenburg. PC-Version 3.1 und 4. Auflage, Ruhlsdorf.
7. Landesforschungsanstalt für Landwirtschaft und Fischerei des Landes Mecklenburg-Vorpommern,
2007: Schlagkarteiauswertung für vier Standorte in Mecklenburg-Vorpommern, 2007, Gülzow (unveröffentlicht).
8. Ministerium für Landwirtschaft, Umwelt und Verbraucherschutz Mecklenburg-Vorpommern, 2007:
Agrarbericht 2007 des Landes Mecklenburg-Vorpommern, Schwerin.
9. musshoff, o.; hirschauer, n., 2008: Hedging von Mengenrisiken in der Landwirtschaft – wie teuer
dürfen „ineffektive“ Wetterderivate sein? Argarwirtschaft 57 (5), S. 269–280.
10. Vereinigte Hagelversicherung, 2007: VEREINIGTE HAGEL reagiert auf Klimaveränderungen – Neue
Produkte. HAGEL AKTUELL MITGLIEDERINFORMATIONEN, November 2007, Gießen.
11. Verordnung (EG) Nr. 73/2009 des Rates vom 19. Januar 2009 mit gemeinsamen Regeln für Direktzahlungen im Rahmen der Gemeinsamen Agrarpolitik und mit bestimmten Stützungsregelungen für
Inhaber landwirtschaftlicher Betriebe und zur Änderung der Verordnungen (EG) Nr. 1290/2005, (EG)
Nr. 247/2006, (EG) Nr. 378/2007 sowie zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1782/2003.
12. Verordnung (EG) Nr. 1857/2006 DER KOMMISSION vom 15. Dezember 2006 über die Anwendung
der Artikel 87 und 88 EG-Vertrag auf staatliche Beihilfen an kleine und mittlere in der Erzeugung
von landwirtschaftlichen Erzeugnissen tätige Unternehmen und zur Änderung der Verordnung (EG)
Nr. 70/2001.
13. ZMP (Zentrale Markt- und Preisberichtstelle für Erzeugnisse der Land-, Forst- und Ernährungswirtschaft): ZMP-Marktbilanzen „Getreide Ölsaaten Futtermittel“, verschiedene Jahrgänge, Bonn.
Fußnoten
1)
2)
3)
4)
5)
6)
7)
Diese Analyse basiert auf den Untersuchungen eines von der Edmund Rehwinkel-Stiftung geförderten Projekts (5) und ist eine Weiterentwicklung der dort vorgestellten Modelle, wobei
insbesondere die Auswirkungen der EU-Beschlüsse zum Health Check berücksichtigt werden.
Quellen für das Betriebsmodell: Erträge und Preise für Deutschland: Statistisches Jahrbuch über
Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (3) und ZMP (13); Betriebliche Daten: Schlagkarteiauswertung von vier Standorten in Mecklenburg-Vorpommern (7); Modellbetrieb in Anlehnung
an Auswertungen des Agrarberichtes Mecklenburg-Vorpommern 2006 für Einzelunternehmen
Ackerbau (8) und Vollkostenkalkulation für Weizen- und Rapsanbau mit der Excel-Version der
Datensammlung Brandenburg (6).
Artikel 70 – Ernte-, Tier- und Pflanzenversicherung:
a) „widrige Witterungsverhältnisse“ … wie Frost, Hagel, Eis, Regen oder Dürre;
… aufgrund derer mehr als 30 % der durchschnittlichen Jahreserzeugung … zerstört wurden.
Der je Betriebsinhaber gewährte finanzielle Beitrag darf 65 % der zu zahlenden Versicherungsprämie (11).
Dies ist zunächst ein fiktiver Wert, da die derzeit gültige EU-rechtliche Regelung nur Zuschüsse
in Höhe von 50 % zulässt (12).
Der Verlust im ersten Jahr (1997) beruht auf einem ungünstigen Zusammentreffen mehrer Faktoren; hier die angespannte Liquidität, die den Dispositionskredit in hohem Maße beansprucht
hat. Daraus lässt sich ableiten, dass sich mit einer Ernteversicherung strukturelle Probleme nicht
lösen lassen.
Simulation mit @RISK (Version 4.5, 2005), Anzahl Simulationen: 1000.
Bei einer Anzahl von 1000 Simulationsläufen und einem Planungszeitraum von 10 Jahren sowie
jeweils 2 Kulturen (Getreide und Raps) im Anbau werden pro Szenario 20 000 Vollkostenkalkulationen fällig.
Dank
Die Autoren bedanken sich bei der Rentenbank für die finanzielle Unterstützung des Projektes und
bei Herrn Prof. ernst berg und Prof. Dr. Dr. h. c. Jürgen zeddies für wertvolle Hinweise.
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Clemens Fuchs, Theodor Fock und Joachim Kasten
Autorenanschrift: Prof. Dr. clemens fuchs, Prof. Dr. theodor fock und Dr. Joachim kasten,
Hochschule Neubrandenburg, Postfach 110121, 17041 Neubrandenburg,
Deutschland
[email protected]
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Leistungsorientierte Entlohnung in der Landwirtschaft:
Formen, Indikatoren und Perspektiven
Von zazie von davier, Göttingen und enno bahrs, Hohenheim
1
Problemstellung und Vorgehensweise
1.1
Problemstellung
Personalwirtschaftliche Fragestellungen, hierzu gehören neben Fragen der Personalplanung, -beschaffung, -entwicklung und des Personaleinsatzes auch die Mitarbeiterführung
und -motivation (36), spielten in der agrarökonomischen Forschung in Deutschland bisher
eine untergeordnete Rolle. Einige Analysen zur Personalführung und -motivation wurden
im Rahmen von Diplomarbeiten und Forschungsprojekten vornehmlich in den neuen Bundesländern durchgeführt (z. B. 11; 44; 3; 20). Durch die dort vorherrschende Arbeitsverfassung des Lohnarbeitsbetriebs, hatten Forschungsfragen des Personalmanagements von
jeher im Gebiet der ehemaligen DDR eine gewisse Relevanz (vgl. z. B. 16). In den alten
Bundesländern dominiert nach wie vor der Familienbetrieb als Arbeitsverfassung. Durch
den Strukturwandel nimmt die Bedeutung familienfremder Arbeitskräfte hier aber zu (40).
Dies führt dazu, dass sich auch eine steigende Zahl von Betriebsleitern im früheren Bundesgebiet mit Fragen des Personalmanagements auseinandersetzen muss.
Dieser Beitrag konzentriert sich auf die Frage der leistungsorientierten Entlohnung in
der Landwirtschaft, da Leistungslöhne nicht nur in der Fachliteratur kontrovers diskutiert
werden. Zunächst wird ein kurzer Überblick über den theoretischen Hintergrund der Analyse gegeben. Im Anschluss daran werden verschiedene Formen der leistungsorientierten
Entgeltgestaltung vorgestellt und ihre Bedeutung in der Landwirtschaft anhand empirischer Ergebnisse verdeutlicht. Die Einsatzmöglichkeiten und Grenzen unterschiedlicher
Leistungsindikatoren werden im letzten Teil des Beitrags für den Ackerbau, die Milchvieh- und Schweinehaltung diskutiert.
1.2
Datengrundlage
Neben einer Literaturanalyse stützt sich der vorliegende Beitrag auf eine Arbeitgeberbefragung aus 260 landwirtschaftlichen Unternehmen, mit dem Ziel, bislang bestehende Formen der leistungsorientierten Entlohnung sowie deren Bewertung durch die Beteiligten
zu erfassen. Von den 260 befragten Betriebsleitern oder sonstigen Führungskräften haben
rund 23 % ihren Betriebssitz in den alten und 72 % in den neuen Bundesländern. 5 % der
Betriebsleiter haben keine Angabe zu ihrem Bundesland gemacht. Die Datenauswertung
erfolgte mit dem Statistikprogramm SPSS 12.0 für Windows. Die am häufigsten vertretenen Rechtsformen sind die Einzelunternehmen (28,1 % aller Betriebe), GbR (22,3 %)
und e. G. (21,5 %). Die restlichen Betriebe werden als GmbH (17,3 %), KG (6,5 %) oder
sonstige Rechtsformen geführt. Unter die Rubrik „sonstige Rechtsform“ fallen vor allem
Betriebe, die Doppelnennungen von Rechtsformen vorgenommen haben. In diesem Fall
wurden Teilbetriebe unter verschiedenen Rechtsformen geführt. Diese Aufteilung konvergiert z. T. mit der im Jahr 2003 festzustellenden Aufteilung in Deutschland, bei denen
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26,6 % aller ständig beschäftigten landwirtschaftlichen Fremdarbeitskräfte in Einzelunternehmen sowie 35,6 % in juristischen Personen und 36,3 % in Personengesellschaften
beschäftigt waren (40).
Die verschiedenen betriebswirtschaftlichen Ausrichtungen sind in der Stichprobe
wie folgt vertreten: 30,5 % der analysierten Betriebe sind Ackerbau-, 24,6 % Verbund-,
17,3 % Futterbau- und 7,7 % Veredlungsbetriebe. 19,6 % der Betriebe sind keiner der oben
genannten betriebswirtschaftlichen Ausrichtungen eindeutig zuzuordnen. Ein Großteil
dieser Kategorie entfällt auf Doppelnennungen. Am häufigsten wurden hier Acker- und
Futterbau als wichtigste betriebswirtschaftliche Ausrichtungen genannt. In Deutschland
waren im Jahr 2003 27,2 % aller ständig beschäftigten familienfremden Arbeitskräfte
(ohne Berücksichtigung des Gartenbaus) in Ackerbau-, 27,7 % in Futterbau-, 6,1 % in
Veredlungs- und 9,8 % in Verbundbetrieben beschäftigt.
Alle Personen, die den Fragebogen beantworteten, befanden sich in Führungspositionen. In rund 95 % der Fälle waren es Betriebsleiter bzw. Betriebsleiterinnen. Der Bildungsgrad der befragten Personen ist sehr hoch. 68,8 % der Befragten haben ein landwirtschaftliches Studium absolviert. Die Personen, die über keine landwirtschaftliche
Ausbildung verfügen (3,1 %) gaben an, eine betriebswirtschaftliche Ausbildung bzw. ein
Studium abgeschlossen zu haben.
In den untersuchten Ackerbaubetrieben werden durchschnittlich 781,11 ha bewirtschaftet. Die durchschnittliche Ackerfläche aller in der Stichprobe enthaltenen Betriebe
ist höher als die der spezialisierten Ackerbaubetriebe, da die LPG-Nachfolgeunternehmen
über die meiste Ackerfläche verfügen, und häufig als Verbundbetriebe wirtschaften. Die
Veredlungsbetriebe verfügen im Mittel über 6637 Mastschweineplätze bzw. 1058 Plätze
für Zuchtsauen. In den Futterbaubetrieben werden im Durchschnitt 411 Milch- und 304
Mutterkühe gehalten. Durchschnittlich sind in den Untersuchungsbetrieben 15,5 familienfremde Arbeitskräfte und 2,15 Familienarbeitskräfte beschäftigt.
In 45 % der Betriebe sind 1 bis 5 familienfremde Arbeitskräfte angestellt. Fast 46 %
der Betriebsleiter haben 6 bis 20 familienfremde Arbeitskräfte. In über 9 % der befragten
Betriebe werden mehr als 40 Lohnarbeitskräfte beschäftigt.
2 Theoretischer Hintergrund der Untersuchung
Mit der Frage der optimalen Gestaltung von Anreizsystemen haben sich verschiedene
Strömungen der betriebswirtschaftlichen Forschung beschäftigt. Eine trennscharfe
Abgrenzung der theoretischen Ansätze ist jedoch nicht möglich, da sich die verschiedenen
Strömungen gegenseitig beeinflussen.
In der allgemeinen Betriebswirtschaftslehre werden Anreizsysteme zur Mitarbeitermotivation häufig vor dem Hintergrund der Prinzipal-Agenten-Theorie (PA) betrachtet.
Neben einigen Veröffentlichungen, die der positiven Prinzipal-Agent-Theorie zuzuordnen sind, dominieren stark mathematisch geprägte Lösungen, die sich auf die normative
Prinzipal-Agent-Theorie stützen (vgl. 21; 13).
Anwendungsmöglichkeiten der normativen Prinzipal-Agent-Theorie in der Landwirtschaft wurden von odening (32) und Möller (31) aufgezeigt. Die normative PrinzipalAgent-Theorie stellt der ökonomischen Forschung ein analytisches Instrument zur Verfügung, das Empfehlungen zur Gestaltung von Vertragsbedingungen ableitet. Durch die
Annahme von Informationsasymmetrien erweitert es die strengen Annahmen des neoklassischen Modells.
Für die Gestaltung von Entlohnungssystemen erlaubt die Prinzipal-Agent-Theorie die
folgenden Tendenzaussagen (32; 7):
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Leistungsorientierte Entlohnung in der Landwirtschaft: Formen, Indikatoren, Perspektiven
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● Bei einem risikoaversen Agenten und einem risikoneutralen Prinzipal setzt sich das
optimale Entlohnungsschema aus einer erfolgsabhängigen und einer erfolgsunabhängigen Gehaltskomponente zusammen.
● Das Grundgehalt sollte umso größer sein, je höher die Risikoaversion des Agenten
ist.
● Bei Risikoneutralität des Agenten kann das Entlohnungsschema vollständig erfolgsabhängig sein.
Für die Gestaltung von Anreizsystemen in der Landwirtschaft mithilfe des PA-Ansatzes
bilden die Annahmen einer kardinalen Messbarkeit des Aktivitätsniveaus, die Unabhängigkeit der Bemessungsgrundlage (vom Agenten allein beeinflussbar) und die Beobachtbarkeit der Bemessungsgrundlage Schwierigkeiten (31; 7). Probleme bei der praktischen
Anwendung bietet vor allem die Annahme, der Prinzipal kenne die Nutzenfunktion des
Agenten (7).
Mikroökonomische Modelle gehen im Allgemeinen davon aus, dass sich der Mensch
eigennützig und rational verhält. Die verhaltenswissenschaftliche Forschung hat zumeist
in Experimenten einige Verhaltensabweichungen festgestellt, die dem Rationalverhalten des homo oeconomicus und dem Entscheidungsverhalten der Menschen gemäß der
Erwartungsnutzen-Theorie entgegenstehen. Die daraus entwickelten Erklärungsansätze
helfen vor allem bei unvollständigen Verträgen und Märkten mit nicht standardisierten
Gütern (14). Arbeitsbeziehungen sind typischerweise unvollständige und implizite Verträge (30).
Für die Gestaltung von Entlohnungssystemen haben die folgenden Abweichungen des
menschlichen Verhaltens vom Rationalitätsprinzip eine wichtige Bedeutung: Die Zahlungsbereitschaft (willingness to pay, WTP) zum Kauf eines Gegenstandes fiel in Experimenten geringer aus als die Kompensationsforderung zum Verkauf des gleichen Gegenstandes (willingness to accept, WTA). Die Differenz zwischen WTP und WTA, wird als
Besitzeffekt bezeichnet (22; 7). Demnach schätzen Menschen einen Gegenstand mehr,
wenn er ihnen bereits gehört als wenn sie ihn kaufen müssten.
Eine dem Besitzeffekt verwandte Verhaltensabweichung vom Rationalprinzip ist die
sogenannte Status Quo-Orientierung (37 zitiert in 22). Die ökonomische Bewertung von
zwei Handlungsalternativen sollte eigentlich unabhängig davon sein, welche der beiden
Handlungsoptionen den Status Quo darstellt. Tatsächlich neigen jedoch Menschen dazu,
die Handlungsoption zu bevorzugen, die den Status Quo darstellt – sie sind strukturkonservativ.
Aus Besitzeffekt und Status Quo Bias lassen sich folgende Schlussfolgerungen für die
praktische Gestaltung von Lohnsystemen ableiten:
● Arbeitet ein Mitarbeiter bereits in einem bestimmten System im Unternehmen (z. B.
Art der Entlohnung), so wird er eine Änderung des Systems ungern hinnehmen, auch
wenn ihm im Austausch ein objektiv gleichwertiges (aber anders gestaltetes) System
angeboten wird.
● Neue Vergütungssysteme lassen sich mit neuen Mitarbeitern leichter implementieren
als mit älteren Mitarbeitern, da diese andere Referenzpunkte haben.
Dass diese Ergebnisse verhaltenswissenschaftlicher Ökonomik praktische Relevanz haben,
zeigt der folgende Hinweis (36) nachdem sich „[…] einmal eingeführte Vergütungsregelungen oftmals schwer verändern lassen“. Änderungen an den eingeführten Vergütungsregelungen können leicht zu Widerständen und Unzufriedenheit bei den Mitarbeitern führen
und eine demotivierende Wirkung hervorrufen (ebenda).
Für die Frage, welche Form des Entlohnungssystems – leistungsorientiert oder nicht
leistungsorientiert – gewählt werden soll, ist ein Blick auf die Motivationswirkung der
verschiedenen Systeme zu richten. Die Motivation von Menschen kann intrinsischer oder
extrinsischer Natur sein. Intrinsisch motivierte Mitarbeiter erledigen die Arbeit um ihrer
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selbst willen (5; 43); zum Beispiel aufgrund von Freude an der Tätigkeit, dem Wunsch
nach Anerkennung der Leistung oder aus altruistischen Zielen (z. B. in der ehrenamtlichen
Tätigkeit). Extrinsische Motivation zielt hingegen auf eine indirekte Nutzenerfüllung ab.
Die Tätigkeit wird ausgeführt, um dadurch etwas anderes zu erreichen (z. B. mehr Freizeit,
teure Hobbys).
Leistungsorientierte Entlohnungssysteme zielen auf die Förderung extrinsischer
Motivation ab. Ein Kritikpunkt an leistungsorientierten Entlohnungssystemen liegt im
möglichen Auftreten eines Verdrängungseffekts (auch Crowding-Out-Effekt genannt).
Experimente haben gezeigt, dass intrinsische Motivation durch extrinsische Motivation
verdrängt werden kann (15; 42). Ob ein Verdrängungseffekt auftritt, hängt zum einen
davon ab, ob die Mitarbeiter die Einführung leistungsorientierter Entlohnungssysteme als
Einschränkung ihrer Selbstbestimmung und als verstärkte Fremdkontrolle interpretieren
(ebenda). Diese Gefahr ist besonders bei Mitarbeitern groß, für die finanzielle Anreize
von untergeordneter Bedeutung sind (ebenda). Die Präferenzstruktur der Mitarbeiter ist
folglich von großer Relevanz für die Anreizwirkung des Systems.
Als ein Teileffekt des Verdrängungseffekts wird die Reziprozität der Akteure angesehen (15). Die Intentionen des Gegenübers sind danach für die Entscheidung von Menschen
relevant. Für den Erfolg eines Anreizsystems nach dem Reziprozitätsansatz ist entscheidend, wie Mitarbeiter diesen interpretieren (vgl. 14). Interpretiert ein Arbeitnehmer die
Einführung eines Leistungslohnsystems als Ausdruck der Unzufriedenheit des Arbeitsgebers mit der Mitarbeiterleistung, so kann dies zu einem Motivationsrückgang führen.
Des Weiteren spielen Fairnessaspekte bei der Gestaltung von Lohnsystemen eine große
Rolle. Die Anreizwirkung ist abhängig davon, ob die Mitarbeiter das System gerecht
finden. Sie vergleichen dabei das jeweilige System mit ihnen zur Verfügung stehenden
Referenzgrößen (1). Diese können externer oder interner Natur sein. Als interne Referenzgrößen dienen z. B. die Kollegen im eigenen Unternehmen. Externe Referenzgrößen sind
z. B. der Lohn, den andere Unternehmen zahlen oder der Vergleich des eigenen Lohnes
mit anderen Branchen (6; 35).
3
Leistungsabhängige Vergütungsformen und ihre Anwendung
in der Praxis
3.1
Formen leistungsabhängiger Vergütung
In diesem Abschnitt werden zunächst mögliche Formen der leistungsorientierten Vergütung vorgestellt. Im Anschluss daran wird auf die Anwendungsmöglichkeiten und Bedeutung der verschiedenen Entlohnungsformen in der landwirtschaftlichen Praxis eingegangen. Die Abgrenzung der leistungsorientierten Vergütungsformen von anderen materiellen
Anreizsystemen erfolgt in diesem Beitrag nach der Art der Bemessungsgrundlage (vgl.
Abb. 1).
Inputabhängige Bemessungsgrundlagen sind im Allgemeinen Zeitlöhne, deren Höhe
sich durch verschiedene persönliche Attribute des Stelleninhabers bemisst. Hierzu gehören üblicherweise die Anforderung des Arbeitsplatzes bzw. die Qualifikation des Stelleninhabers, der Sozialstatus (Familienstand), die Dauer der Betriebszugehörigkeit (Seniorität)
und der Lebensabschnitt. Hingegen bemessen sich leistungsabhängige Vergütungsformen
am Output. Daneben existieren Mischformen, die sich meist aus einem inputabhängigen
Grundlohn und einem outputabhängigem variablem Zusatzlohn zusammensetzten. Die
Mischformen zwischen input- und outputabhängiger Bemessungsgrundlage werden in
diesem Betrag aufgrund einer gewissen Relevanz in der Landwirtschaft beschrieben.
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Leistungsorientierte Entlohnung in der Landwirtschaft: Formen, Indikatoren, Perspektiven
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Abb. 1: Materielle Anreizsysteme im Überblick
Quelle: Eigene Darstellung
Die reine Form des Leistungslohns ist der Akkordlohn. Man unterscheidet den Geldakkord
vom Zeitakkord. Beim Geldakkord erhält der Arbeiter pro geleistetes Stück einen zuvor
definierten Geldbetrag. Der Zeitakkord bemisst sich aus einem tariflich festgelegten Zeitlohn zuzüglich eines Akkordzuschlags, der etwa 30 bis 50 % beträgt. Akkordgrundlohn
und -zuschlag ergeben zusammen den Akkordrichtsatz in €/h. Dividiert durch die Anzahl
der Stücke, die pro Stunde produziert werden können, ergibt sich das Entgelt/Stück. Der
Geldfaktor besagt, wie viel €/Min. bezahlt werden (12). Besondere Bedeutung bei der
Bemessung des Akkords kommt Arbeitsstudien zu, auf deren Grundlage festgelegt wird,
wie lange die Erstellung einer Arbeitseinheit (eines Werkstücks) dauert.
Der Akkordlohn kann auf individueller oder Gruppenbasis bezahlt werden. Der letztere Fall findet Anwendung, wenn der Einzelne das Ergebnis nicht alleine beeinflusst.
Die Vor- und Nachteile von Gruppenentlohnungen werden im letzten Teil dieses Kapitels
diskutiert.
Ein sinnvoller Einsatz des Akkordlohns ist an verschiedene Bedingungen geknüpft
(ebenda):
● Es müssen eindeutig messbare Leistungskriterien zu finden sein.
● Das Ergebnis muss von den betreffenden Mitarbeitern wirklich beeinflussbar sein.
● Damit sich der Aufwand der Arbeitsstudien lohnt und die Mitarbeiter eine normale
Leistung erreichen können, muss die Arbeit über längere Zeit gleichbleibend sein.
Diese Eigenschaft bezeichnet man als Akkordfähigkeit.
● Der Arbeitsablauf muss akkordreif, d. h. störungs- und mängelfrei sein.
Die Vorzüglichkeit des Akkordlohns wird sich in der Landwirtschaft nicht allzu leicht
einstellen, denn die meisten Tätigkeiten in der Landwirtschaft unterliegen stochastischen
Einflüssen und sind nicht über längere Zeit gleichbleibend. In der Landwirtschaft findet
der Akkordlohn daher vor allem in der Gemüse- und Obsternte Anwendung. Vor allem
Erntehelfer werden in diesen Bereichen im Akkord bezahlt.
billikopf (6) berichtet von einem landwirtschaftlichen Obstanbauer, der nach der Einführung des Geldakkordsystems feststellte, dass die Leistung seiner Mitarbeiter deutlich
höher als erwartet ausfiel. Daraufhin beschloss er den Lohn/Stück zu senken. Daraufhin
verließen ihn die besten Mitarbeiter und die Motivation der verbleibenden Mitarbeiter
nahm beträchtlich ab. Das Beispiel zeigt, dass der Bemessung des Lohns/Stück und der
exakten Feststellung der Normalleistung besondere Bedeutung zukommt, denn einmal
eingeführte Lohnhöhen pro Arbeitseinheit lassen sich im Nachhinein schwer senken. Die
Reaktion der Mitarbeiter ist konsistent mit der theoretischen Bedeutung des Status Quo
und der Verlustaversion (22).
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Die Vorteile des Akkordlohns sind die Bindung der Bezahlung an die Leistung, sofern
diese wirklich vom Mitarbeiter beeinflussbar ist. Außerdem können die Mitarbeiter zu
starken Bemühungen motiviert werden und eine positive Selektion der Mitarbeiter ist
ebenfalls möglich. Die genannten Vorteile des Akkordlohns können durch empirische
Ergebnisse gestützt werden (vgl. 28).
Es besteht bei der Akkordentlohnung aber die Gefahr, dass durch den Akkord die
Qualität des Produkts leidet (43; 39). Ist die Produktqualität entscheidend, so kann der
Akkordlohn an eine Qualitätsprämie gekoppelt werden (28). Ein weiterer Nachteil des
Akkordlohns ist eine mögliche Überforderung der Mitarbeiter durch das Entlohnungssystem. Außerdem kann sich bei dauerhafter Erhöhung der Normalleistung der Akkordlohn
zu einem Fixlohn entwickeln, wenn sich die Mitarbeiter mit ihrer Leistung immer an der
Obergrenze bewegen (39). In diesem Fall würde vom Akkordlohnsystem kein zusätzlicher
Leistungsanreiz mehr ausgehen.
Die Leistungszulage stellt eine Mischform aus in- und outputorientiertem Entlohnungssystem dar. Sie besteht aus einem anforderungsabhängigen Grundlohn und einer variablen
Leistungszulage, die auf personenbezogenen Leistungsbeurteilungen beruht. Verschiedene
Beurteilungsmerkmale können für die Bemessung der Leistungszulage herangezogen
werden. Hierzu gehören die Arbeitsquantität (Intensität, Wirksamkeit und Arbeitsweise),
Arbeitsqualität (z. B. Sorgfalt im Umgang mit Maschinen), das Einhalten von rechtlichen
Schutzvorschriften, Führungs-, Verhaltens- und Persönlichkeitsmerkmale (33; 39).
Die aufgezeigten Beispiele für Leistungszulagen zeigen den subjektiven Charakter dieser Entlohnungsform. Deshalb sollte sie nur dort Anwendung finden, wo es nicht möglich
ist, objektive Bewertungskriterien zu finden. Außerdem ist auf eine periodisch stattfindende Leistungsbeurteilung mit Mitarbeitergespräch zu achten, um dem Mitarbeiter Gelegenheit zu geben, die Bemessungsgrundlage der Leistungszulage zu verstehen.
Der Prämienlohn ist eine Kombination aus Grundlohn und einer Prämie, die auf „objektiven“ Mehrleistungen beruht. Ein Vorteil des Prämienlohns im Vergleich zum Akkordlohn
ist die geringere Volatilität des Arbeitseinkommens und die weniger ausgeprägte Störanfälligkeit gegenüber stochastischen Einflüssen, da ein Grundlohn unabhängig vom Output
immer gewährt wird.
Tabelle 1. Prämienarten und ­indikatoren
Arten von Prämien
Indikatoren
Mengenleistungsprämien Steigerung der Mengenleistung
(z. B. Milchmenge, Hektarerträge)
Qualitätsprämien
Steigerung der Produktqualität
(z. B. Milchqualitätsprämie, Milchinhaltsstoffe; Zellzahlen)
Ersparnisprämie
Sparsamer Einsatz von Roh- Hilfs- und Betriebsstoffen
(z. B. Diesel, Öl, Werkzeug, Schmierstoffe)
Nutzungsgradprämie
Steigerung der Kapazitätsauslastung
Sonderformen
Termineinhaltung, Unfallverhütung
Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an 39; 26
Tabelle 1 verdeutlicht, dass es eine Vielzahl von Indikatoren gibt, auf denen der Prämienlohn basieren kann. Um negative Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Indikatoren
zu vermeiden, werden zum Teil komplexe Vergütungssysteme entworfen, die aus dem
Blickwinkel der Nachvollziehbarkeit motivationstheoretisch zweifelhaft sind, da die
Anreizwirkung darunter leiden kann.
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Nicht immer ist es möglich, die Leistung individuell zu messen. Wenn verschiedene
Personen die Leistung gemeinsam erbringen oder die Gefahr besteht, dass die Mitarbeiter
durch individuelle Leistungsentgelte das Teamergebnis gefährden, können Gruppenanreize ein probates Mittel sein.
Gruppenanreize funktionieren über die Ausübung von Gruppendruck. Da in manchen
Situationen der Arbeitgeber weniger über die individuelle Arbeitsleistung informiert ist als
die Teammitglieder, kann beim Gruppenanreiz dieses Problem gelöst werden, indem die
einzelnen Teammitglieder auf den Arbeitsbeitrag des Einzelnen achten (30).
Leistungsvergütungen, die sich auf die Gruppe beziehen, haben jedoch den Nachteil,
dass sie einen Anreiz zum sogenannten „Trittbrettfahren“ schaffen können. Das Trittbrettfahrerverhalten kann durch verschiedene Maßnahmen begrenzt werden. Eine entscheidende Rolle spielt dabei die Teamgröße, in kleinen Teams ist die Gefahr des Trittbrettfahrens geringer als in großen Teams, da die Mitarbeiter den Leistungsbeitrag des Kollegen
besser beobachten können. Außerdem ist es wichtig, die Teams so zusammenzustellen,
dass die Mitglieder möglichst ähnliche Tätigkeiten ausüben (4).
Eine Möglichkeit, eine zeitlich begrenzte Teamleistung zu belohnen, sind Teamboni.
Das Team erhält hierbei einen Bonus für ein zeitlich überschaubares Projekt, um zu vermeiden, dass sich die Teamzusammenstellung während der Projektlaufzeit ändert (ebenda).
Die Turnierentlohnung ist eine relative Entlohnungsform. Die Mitarbeiter werden in
diesem Entlohnungssystem nach ihrer relativen Leistung in eine Rangfolge gebracht und
entlohnt. Für diese Form der leistungsorientierten Entlohnung ist es daher nicht notwendig, die Leistung kardinal zu messen. Die Leistung wird durch ordinale Messung, nämlich
durch Einstufung in Rangreihen, bestimmt. Dies unterscheidet die Turnierentlohnung von
der relativen Leistungsbewertung, wo neben dem Rang der Wettbewerber auch der Leistungsabstand zwischen den Teilnehmern in die Entgelthöhe einfließt (8; 23).
Die Turnierentlohnung hat dann Vorteile, wenn die Leistung nicht kardinal messbar ist
und stochastische Einflüsse den Output beeinflussen. Außerdem ist sie vorteilhaft, wenn
noch keine Erfahrungen über sinnvolle Werte zur Entlohnung des Outputs fehlen. Mit der
Turnierentlohnung sind jedoch auch einige mögliche Nachteile verbunden. Es ist zum
Beispiel möglich, dass sich die Wettbewerber untereinander absprechen. Außerdem hat sie
dort Nachteile, wo ein Teamverhalten für die Produktion des Outputs notwendig ist, denn
Turnierentlohnung unterdrückt vollständig Teamproduktion (8).
Die Anreizwirkung von Turnierentlohnungen ist ferner vom Informationsstand der
Wettbewerber bezüglich ihrer Leistungsfähigkeit abhängig. Handelt es sich um gleich
leistungsfähige Mitarbeiter, so ist von einer positiven Anreizwirkung eher auszugehen
als bei heterogenen Leistungspotenzialen der Mitarbeiter. Ist die Leistung der Mitarbeiter
nämlich heterogen und die Leistungsunterschiede den Mitarbeitern bekannt, so führt dies
zu einer verminderten Leistungsbereitschaft der leistungsstarken und leistungsschwachen
Mitarbeiter. Die leistungsstarken Mitarbeiter brauchen nur eine geringere Anstrengung
aufbringen, als im Wettbewerb mit gleich starken Wettbewerbern. Die leistungsschwachen
Mitarbeiter hingegen bemühen sich weniger, da sie davon ausgehen, dass sie den Wettbewerb ohnehin nicht gewinnen können (23).
3.2
Bedeutung von Leistungslöhnen in der Landwirtschaft
Leistungsorientierte Entlohnungssysteme wie Leistungszulagen, Prämien und reine Leistungslöhne (ohne Grundlohn bzw. Gehalt) spielen in den untersuchten Betrieben in der
Tierproduktion eine bedeutendere Rolle als in der Pflanzenproduktion (vgl. Tab. 2). Bei
den Entgeltsystemen mit Leistungsbezug dominieren aber die Mischformen zwischen
einem im Regelfall anforderungsabhängigen Grundlohn und einer auf subjektiven Kriterien beruhenden Leistungszulage oder einem Prämienlohn, der auf objektiven Leistungsindikatoren beruht.
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Tabelle 2. Leistungslöhne in der Produktion
Leistungszulagen
Prämien
Höhergruppierung in Lohnstufen in Abhängigkeit von
der Leistung
Ackerbau Milchproduktion Schweineproduktion
n = 241
n = 139
n = 70
15,4 %
16,5 %
7,2 %
16,2 %
36,0 %
24,3 %
26,6 %
27,3 %
20,0 %
Quelle: Eigene Erhebung
Leistungszulagen werden von 15,4 % der befragten Betriebsleiter im Ackerbau eingesetzt.
In der Milchproduktion sind es 16,5 % der Betriebsleiter, die Leistungszulagen einsetzen.
In einigen Betrieben erhalten die Arbeitnehmer Zulagen für wenige Krankheitstage oder
Unfälle. In der Schweineproduktion spielt die Leistungszulage eine untergeordnete Rolle,
sie wird nur von 7,2 % der Betriebsleiter eingesetzt.
Der Anteil der Betriebsleiter, der Prämienlöhne einsetzt, unterscheidet sich stark zwischen den verschiedenen Produktionsrichtungen. So werden in 16,2 % der analysierten
Ackerbaubetriebe Prämienlöhne eingesetzt. 36 % der Betriebsleiter in der Milchproduktion und 24,3 % der Betriebsleiter in der Schweineproduktion wenden Prämienlöhne an.
Auf die verwendeten Leistungsindikatoren wird in Abschnitt 5.4.3 näher eingegangen.
Die in den untersuchten Milchvieh und Schweine haltenden Betrieben angewendeten
reinen Leistungslöhne sind Teamvergütungen. Hier werden die Mitarbeiter nach dem Endprodukt vergütet. In der Milchviehproduktion erhalten die Mitarbeiter in einem Betrieb
monatlich 5 €ct pro Liter ermolkener Milch, die auf alle Mitarbeiter in der Milchproduktion nach geleisteten Arbeitsstunden verteilt wird.
Eine Lösung, um die individuelle Arbeitsleistung in die Berechnung von Zeitlohn und
Gehalt einzubeziehen, haben 20–30 % der befragten Betriebsleiter in den verschiedenen
Produktionsrichtungen gewählt. Die Eingruppierung in Lohngruppen beruht in den gängigen Arbeitsbewertungsverfahren auf der Messung der mit den verschiedenen Tätigkeiten verbundenen Anforderungen und notwendigen Qualifikationen. Die Einstufung der
Mitarbeiter in Lohngruppen nach ihrer Leistung entspricht dieser üblichen Vorgehensweise nicht. Die Leistungsbeurteilung in den analysierten Betrieben zur Einstufung in
die verschiedenen Lohngruppen beruht eher auf subjektiven als objektiven Kriterien. So
wird zum Beispiel die Sorgfalt bei der Arbeit oder die Arbeitsgeschwindigkeit als Bemessungsgrundlage herangezogen. Dies kann als eine Form der relativen Leistungsentlohnung
in landwirtschaftlichen Betrieben interpretiert werden. Die Beförderungsmöglichkeiten
sind in der Landwirtschaft nur sehr begrenzt. Entwicklungsmöglichkeiten, die sich im
Lohn ausdrücken, können folglich nur über einen höheren Stundenlohn oder, dort wo sie
anwendbar ist, durch eine hohe Leistungsvergütung zum Ausdruck kommen. Die Hochstufung auf ein höheres Stundenlohnniveau durch gute Leistung entspricht dem Charakter
eines Turniers, denn nicht jeder Mitarbeiter wird jährlich ein höheres Lohnniveau erreichen. Zur Einordnung der subjektiven Leistung des Mitarbeiters wird der Betriebsleiter
auch die Leistung der anderen Kollegen als Vergleichsgrundlage heranziehen.
Die Gegenüberstellung von Rechtsformen zeigen Zusammenhänge zwischen der
Rechtsform und der Anwendung leistungsorientierter Entlohnungsformen. In Tabelle 3
werden aus diesem Grunde exemplarisch die Häufigkeiten dieser Vergütungsformen in
Einzelunternehmen und in der Rechtsform der eG aufgeführt.
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Tabelle 3. Rechtsformunterschiede in der Entlohnungsform
Einzelunternehmen
eG
18,2 %
n = 66
29,4 %
n = 17
13,6 %
n = 66
5,9 %
n = 17
16,4 %
n = 55
36 %
n = 50
21,8 %
n = 55
24,0 %
n = 50
Leistungszulagen im Ackerbau
Leistungszulagen in der Milchproduktion
Prämienlöhne im Ackerbau
Prämienlöhne in der Milchproduktion
Quelle: Eigene Erhebung, Betriebsleiterbefragung
Es zeigt sich, dass im Ackerbau in den Einzelunternehmen und in den eingetragenen
Genossenschaften ungefähr gleich häufig Leistungszulagen eingesetzt werden. Prämienlöhne werden im Ackerbau hingegen deutlich häufiger von den eingetragenen Genossenschaften verwendet.
Auch in der Milchproduktion spielen leistungsorientierte Ansätze wie Leistungszulagen und Prämien in den Einzelunternehmen eine geringere Rolle als in den Genossenschaften. Der Unterschied zwischen den Rechtsformen ist besonders außerhalb des
Ackerbaus deutlich erkennbar.
Zwar spielen Führungskräfte in der Landwirtschaft eine zahlenmäßig untergeordnete
Rolle, die Entlohnung von Führungskräften ist jedoch nicht nur von praktischer, sondern
auch von theoretischer Bedeutung. Die Erkenntnisse aus der Prinzipal-Agenten-Theorie
legen z. B. eine Risikobeteiligung der Führungskräfte nahe, um moral hazard zu vermeiden. Tabelle 4 zeigt die in den erhobenen Betrieben verwendeten Entlohnungssysteme für
Führungskräfte.
Tabelle 4. Entlohnungssysteme bei den Führungskräften
Entlohnungssysteme
Gewinnbeteiligung
Höhergruppierung in Lohnstufen in Abhängigkeit von der
Leistung
Prämien, z. B. für die Entwicklung der Kosten oder der
Milchleistung
Kapitalbeteiligung
Anteil in %
24,4
12,2
11,4
4,1
Quelle: Eigene Erhebung, Betriebsleiterbefragung, Mehrfachantworten möglich, n = 123
Die Führungskräfte erhalten in 96,7 % der analysierten Unternehmen einen festen Stundenlohn bzw. ein Gehalt. Dieser Anteil der Zeitentgelte ist sogar noch höher als in der
Produktion. Prämienlöhne spielen hingegen bei der Entlohnung der Führungskräfte eine
geringere Rolle als bei den Mitarbeitern in der Produktion, unabhängig von der Produktionsrichtung.
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12,2 % der befragten Betriebsleiter, die Führungskräfte beschäftigen, nehmen auch
bei den Führungskräften eine Höhergruppierung in Lohnstufen in Abhängigkeit von der
Leistung vor.
Das Ergebnis spiegelt die Problematik der Lohngestaltung von Führungskräften gut
wider. Managementaufgaben umfassen vor allem kognitive Aufgaben, die nicht kardinal messbar sind. Die Einführung von Prämien für bestimmte messbare Teilbereiche des
Managements könnte zu sogenannten „Spill-over-Effekten“ führen, dass heißt, es werden
bevorzugt die Aufgaben aufgeführt, für die eine Belohnung ausgelobt ist.
Hingegen lassen sich Führungskräfte leichter am Erfolg beteiligen, da ihr tatsächlicher
Einfluss auf den Betriebserfolg größer ist als bei den Arbeitern. So verwundert es auch
nicht, dass 24,4 % der befragten Betriebsleiter ihre leitenden Angestellten am Gewinn
beteiligen oder wie in 21,1 % der Fälle andere Tantiemeregelungen gefunden wurden.
Eine Beteiligung der Führungskräfte am Kapital des Unternehmens wird jedoch nur
bei 4,1 % der analysierten Betriebe durchgeführt.
4
Leistungsindikatoren in der landwirtschaftlichen Praxis
Im folgenden Abschnitt werden mögliche Leistungsindikatoren der Entlohnung für verschiedene landwirtschaftliche Betriebszweige vorgestellt. Für jeden Betriebszweig werden die Leistungskriterien entlang des Produktionsprozesses und auf der Aufwands- und
Ertragsseite vorgestellt. Für die Tierproduktion werden Leistungsindikatoren am Beispiel
der unterschiedlichen Verfahrensschritte oder, dort wo es sinnvoller erscheint, anhand von
produktionstechnischen Kennzahlen aufgezeigt. Die Leistungskriterien sollten die folgenden Anforderungen erfüllen. Sie müssen
● objektiv messbar,
● dem Mitarbeiter oder der Gruppe von Mitarbeitern eindeutig zuzuordnen,
● einfach,
● kostenrelevant,
● und mit wenig Kontrollaufwand verbunden sein.
Die Besonderheiten der landwirtschaftlichen Produktion führen dazu, dass es faktisch
unmöglich ist, diese Erfolgsbedingungen alle zu erfüllen. Es werden deshalb die betrieblichen Voraussetzungen aufgeführt, die eine Annäherung an die oben genannten Erfolgsbedingungen ermöglichen.
4.1
Leistungsindikatoren für den Ackerbau
Die Tabelle 5 zeigt mögliche Leistungsindikatoren im Ackerbau entlang des Produktionsprozesses auf. Produktionsverfahren im Ackerbau beginnen mit der Aussaat und enden
in aller Regel mit der Bodenbearbeitung. Es ist zu diskutieren, ob die Bodenbearbeitung
am Anfang des Produktionsprozesses oder am Ende steht. Aufgrund der zunehmenden
Bedeutung von Direktsaatverfahren werden sie im zeitlichen Ablauf als letzter Verfahrensschritt aufgeführt, da die Bodenbearbeitung gegebenenfalls auch entfallen kann. Die
Tabelle ist wie folgt gegliedert. Für jeden Arbeitsschritt ist ein Indikator aufgeführt, der als
Basis für ein Leistungslohnsystem verwendet werden könnte. Es werden dann die für die
Verwendung des Indikators notwendigen Kontrollen, betrieblichen Voraussetzungen und
potenziellen Fehlanreize aufgeführt. Eine Einschätzung der zur Kontrolle der Leistungsindikatoren notwendigen Transaktionskosten und die Störanfälligkeit der Arbeitsqualität
erfolgt im Anschluss. Die Leistungsindikatoren werden dann nach ihrer Vorzüglichkeit
rangiert.
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Erfassung der Fahrgeschwindikeit, der
geleisteten ha/Zeiteinheit pro Fahrer
Ausgebrachte
Pflanzenschutzmengen bei
mittlerer Hof-FeldEntfernung pro
Zeiteinheit
Tonnage/h
Kopplung an
Tonnage/h
ha/Zeiteinheit bei
mittlerer HofFeld-Entfernung
und vorgegebener
Bearbeitungstiefe
Pflanzenschutz
Ernte
Transport
Bodenbearbeitung
Quelle: Eigene Darstellung
Erfassung der Fahrgeschwindikeit, der
geleisteten ha/Zeiteinheit pro Fahrer
Ausgebrachte
Kontrolle der vorgeseDüngermenge bei henen Ausbringungsmittlerer Hof-Feld- mengen, MaschinenEntfernung
einstellungen
Kontrolle von
Bearbeitungstiefe,
Fahrgeschwindigkeit
Zuordnung der
transportierten Tonnage
Messung der Druschleistung und -qualität
Kontrolle des
vorgesehenen
Maschineneinstellungen, Wetter
Erfassung der
Fahrgeschwindigkeit,
der geleisteten ha/Zeiteinheit pro Fahrer
Wiegen der Anhänger
automatische
Mengenerfassung, Daten über erzielbare t/h
Erfassung der Fahrgeschwindikeit, der
geleisteten ha/Zeiteinheit pro Fahrer
Düngung
Saattiefe, Fahrgeschwindigkeit, ausgebrachte Saatmenge/ha
ha/Zeiteinheit
bei vorgesehener
Qualität
Betriebliche Voraus­
setzungen
Aussaat
Notwendige Kon­
trollen
Indikator
Arbeits­
schritt
Zu geringe
Bearbeitungstiefe,
Unterlassung von Maschinenwartung und
-nacheinstellung
schnelles Fahren
(höherer Verschleiß),
Überladung
Zu hohe Schnitthöhe,
Schneidwerkverluste,
Überlastung der
Maschine, Vernachlässigung der Druschqualität (Bruchkorn)
Vernachlässigung der
korrekten Befüllung
und Dosierung,
schnelles Fahren auf
der Straße
Überlappungen
am Vorgewende,
ungenaue Verteilung
der Menge auf dem
Schlag
Falsche Fahrgeschwindigkeit,
Saattiefe, verstopfte
Särohre, falsche
Maschineneinstellung
Mögliche Fehlanreize
(exemplarisch)
Tabelle 5. Leistungsindikatoren für den Ackerbau nach Arbeitsschritten
↓
↓
↓
↑
→
↑
→
→
→
↑
↓
↑
Störanfälligkeit
der Arbeits­
qualität
Bewertung von
Höhe der
Transaktions­
kosten
3
2
1
5
4
6
Vorzüg­
lichkeit
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Im Produktionsschritt der Aussaat wäre es in der Praxis denkbar, eine Prämie für die
erreichten „ha/Zeiteinheit“ zu gewähren. Diese Entlohnung würde sogar einem Zeitakkord
entsprechen, wenn man den Mitarbeiter nur nach der Menge der geleisteten Hektar im
Abrechnungszeitraum (Woche oder Monat) entlohnen würde.
Dieses System wurde in der ehemaligen DDR in den landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften angewendet. Dort gab es umfangreiche Normenkataloge, mit Richtwerten zur Bestimmung der Normleistung bei der Arbeit mit einer bestimmten Maschinenausstattung (16). Von diesem System wurde aufgrund der Notwendigkeit der ständigen
Normanpassung und der Berücksichtigung unterschiedlicher Bodenverhältnisse in einigen Betrieben nach der Wende wieder Abstand genommen (41). Schon in der DDR-Zeit
war diese Form der Entlohnung in der Pflanzenproduktion wegen der oben aufgeführten
Schwierigkeiten auch bei den Arbeitgebern nicht sehr beliebt (16).
Da bei der Aussaat jedoch nicht nur die Mengenleistung von Bedeutung ist, sondern
die Qualität der Aussaat einen starken Einfluss auf den Ertrag hat, ist es dringend notwendig, auch die vorgesehene Qualität zu bestimmen. Hierzu gehört die Festlegung der
Fahrgeschwindigkeit, die bei mechanischen Standarddrillmaschinen einer Maximalgeschwindigkeit entsprechen würde. Bei Mulch- oder Direktsaatdrillmaschinen ist hingegen
häufig auch eine Minimalgeschwindigkeit für die Saatqualität von Bedeutung. Gibt man
die Fahrgeschwindigkeit vor und berücksichtigt Wende-, Weg-, Befüll- und Kontrollzeiten, so ist der Spielraum des Mitarbeiters sehr eng. Der Parameter ist außerdem störanfällig gegenüber Flüchtigkeitsfehlern. Auch ist es möglich, dass die Mitarbeiter auf
Kontrollen an der Drillmaschine oder eine zwischenzeitliche Anpassung der Maschineneinstellung an die Bodengegebenheiten verzichten, um die Hektarleistung zu steigern.
Der Einsatz dieses Parameters ist unter den angeführten Schwierigkeiten überhaupt nur
möglich, wenn durch einen Bordcomputer wichtige Parameter wie die Erfassung der tatsächlichen Fahrgeschwindigkeit, die geleisteten ha pro Zeiteinheit und die Ausbringung
der geplanten Saatmenge pro ha automatisch festgehalten werden. Anderenfalls müssten
diese entscheidenden Daten vom Betriebleiter zusätzlich ermittelt werden. Dies würde
zu hohen Transaktionskosten führen, die die Anwendung eines Leistungslohnsystems in
diesem Fall nicht sinnvoll erscheinen lassen. Auch beim Einsatz einer modernen Datenerfassung kommt der Betriebsleiter hingegen nicht umhin, die Aussaatqualität anhand einer
Feldbegehung zu prüfen. Dabei wird jedoch noch nicht deutlich, ob ein Särohr einmal
verschlossen war, denn der Betriebsleiter wird kaum jede Reihe prüfen können. Ähnliche
Prämien für die geleistete Arbeit pro Zeiteinheit wären für Bodenbearbeitung, Düngung
und Pflanzenschutz denkbar, sofern die in Tabelle 5 aufgeführten Kontrollen und Voraussetzungen gegeben sind.
Die Datenerfassung über moderne Bordcomputer ermöglicht die Dokumentation sämtlicher Tätigkeiten auf dem Schlag und verringert damit den Kontrollaufwand für die oben
genannten Kriterien. Die schlagbezogene Datenerfassung registriert auch Unterbrechungen
sowie Fahrten zwischen den einzelnen Schlägen und Transporte. Schlagbezogene Daten
wie die ausgebrachte Menge (z. B. ausgebrachte Düngermenge pro ha) und die benötigte
Zeit werden ebenfalls erfasst (2). Diese technischen Möglichkeiten bieten dem Betriebsleiter deutliche Erleichterungen bei der Kontrolle der oben genannten Arbeitsschritte. So
kann zum Beispiel festgestellt werden, ob der Fahrer während der Ausbringung zwischenzeitlich abgestiegen ist, was bei der Kontrolle der Saattiefe wünschenswert ist. Ob er dabei
tatsächlich Kontrollen durchgeführt hat, ist hingegen nicht überprüfbar. Praxiserfahrungen
zeigen, dass die Dokumentation sämtlicher Arbeitsvorgänge zwar betriebswirtschaftliche
Analysen erleichtern, jedoch ein hoher Datenerfassungsaufwand und eine permanente
Pflege des Datenbestandes notwendig sind (25). Auch wenn der technische Fortschritt bei
modernstem EDV-Einsatz in der Landwirtschaft die Kontrollen verringert, verbleibt für
Aussaat und Pflanzenschutz immer noch die Notwendigkeit der Vor-Ort-Kontrolle der tat-
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sächlichen Arbeitsqualität. Bei der Düngung ist der Kontrollaufwand hingegen geringer,
da vom Bordcomputer die wesentlichen Kennziffern, nämlich die „ausgebrachte Menge
pro ha“ mit der hierfür benötigten Zeit, automatisch geliefert werden. Überschneidungen,
z. B. am Vorgewende, können die Aussagefähigkeit des Parameters jedoch verzerren. Es
ist außerdem fraglich, wie sinnvoll ein solches Kriterium ist, wenn es wesentlich durch
die Maschineneinstellung vorgegeben ist und sich der Handlungsspielraum des Fahrers im
Wesentlichen auf die Schnelligkeit bei der Befüllung des Düngerstreuers und der Dauer
des Übersetzens zwischen verschiedenen Schlägen beschränkt.
In Bezug auf die Störanfälligkeit der beschriebenen Kriterien lässt sich festhalten, dass
Aussaat und Pflanzenschutz wesentlich störanfälliger hinsichtlich der Arbeitsqualität sind
als die Düngerausbringung. Die Saatqualität kann durch das Leistungskriterium negativ
beeinflusst werden und es kann letztendlich nur im Nachhinein festgestellt werden, wie
gut die Arbeitsqualität war. Die Nachkontrolle hat nur eine beschränkte Aussagefähigkeit
hinsichtlich der Arbeitsqualität, da der Feldaufgang auch noch von weiteren Faktoren,
wie Temperatur und Niederschlag, nach der Saat bestimmt werden kann. Im Bereich der
Pflanzenschutzausbringung ist nicht festzustellen, ob für jede Spritze die Spritzbrühe korrekt angesetzt wurde, da dieser Parameter nicht automatisch erfasst wird. Für die Qualität der Arbeit ist dies jedoch ein entscheidendes Kriterium, da auch Flüchtigkeitsfehler
starke negative Auswirkungen auf weitere produktionstechnische Schritte und vor allem
die Wirtschaftlichkeit haben können.
Ein mögliches objektiv messbares Kriterium bei der Ernte ist die erzielte „Druschmenge pro Druschstunde in t/h“. Da die zu erzielende Tonnage/h neben der Kapazität der
Maschinen von der Feuchtigkeit des Druschgutes, dem Ertrag und weiteren Erntebedingungen wie Lager oder Strohreife abhängt, bedarf es einer ausgefeilten Datenbasis für die
Berechnung einer Normleistung. Da häufig der Abtransport die Druschleistung pro Stunde
auch beeinflusst, könnte die Bezahlung der Abfahrer an die Tonnage/h gebunden werden.
In einem Praxisbeispiel, das in einer landwirtschaftlichen Fachzeitschrift aufgeführt ist,
schlägt ein Betriebsleiter vor, den Lohn der Abfahrer an die von den Mähdreschfahrern
gedroschene Menge zu binden. Die Mähdrescherfahrer erhalten einen leistungsabhängigen Stundenlohn, der sich an der geernteten Tonnage pro Stunde orientiert, und die Abfahrer erhalten 80 % des erzielten Druschlohns. Dadurch werden sie angehalten, Standzeiten
zu vermeiden (41).
Der Kontrollaufwand durch den Betriebsleiter und die dadurch resultierende Transaktionskostenbelastung sind bei der Ausstattung der Mähdrescher mit modernen Bordcomputern vergleichsweise gering. Die Störanfälligkeit des Parameters bewegt sich im Vergleich zu den oben genannten Leistungsindikatoren im mittleren Bereich. Die Aussagefähigkeit des Leistungsparameters hängt jedoch stark von den zur Einordnung notwendigen
Betriebsdaten ab, die eine objektive Einschätzung erst ermöglichen.
Erfahrungen mit leistungsabhängiger Entlohnung bei der Bodenbearbeitung in Russland, die auf rein quantitativen Maßstäben wie den bearbeiteten Hektar pro Tag beruhen,
zeigen, dass es unabdingbar ist, Qualitätsmerkmale wie die Bearbeitungstiefe in das Vergütungsschema mit aufzunehmen. Um eine hohe Anzahl bearbeiteter Fläche zu erreichen,
vernachlässigen nach der Erfahrung von kowalczyk und schmidt (24) die Mitarbeiter
die richtige Arbeitstiefe, eine gute Einebnung und Stroheinarbeitung. Die Übertragbarkeit
von Erfahrungen mit bestimmten Leistungsindikatoren aus anderen Ländern ist jedoch
nur bedingt aussagefähig, da soziokulturelle Unterschiede, die sich im Arbeitsverhalten
niederschlagen können, berücksichtigt werden müssen.
Leistungsindikatoren anhand von Kosten- und Leistungspositionen des Betriebszweigs
Ackerbau, die der Mitarbeiter durch seinen individuellen Leistungsbeitrag beeinflussen
kann, sind in der nachfolgenden Tabelle 6 aufgeführt.
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Tabelle 6. Leistungsindikatoren für den Ackerbau anhand von
Kosten­Leistungspositionen
Kosten­/
Leistungs­
position
Indikator
Marktleistung
Maschinenunterhaltung
Treibstoffe
Notwendige
Kontrollen
Betriebliche
Vorausset­
zungen
Entwicklung der
Hektarerträge
gegenüber einem
Normwert
Individueller
Leistungsbeitrag
Unterschreitung
der durchschnittlichen Maschinenunterhaltungskosten
Unterschreitung
des durchschnittlichen Treibstoffverbrauchs in
Litern
Bewertung von
Höhe der
Trans­
aktions­
kosten
Störanfäl­
ligkeit des
Leistungs­
indikators
Horizontaler
und vertikaler
Betriebsvergleich
↓
↑
Korrektur
um nicht
zurechenbare
Schadensfälle
Zuordnung
der Maschinen zu einem
Schlepperfahrer,
verfügbare
Daten aus BV
→
↑
Korrekturabschläge in
nassen Jahren
Zuordnung
der Maschinen zu einem
Schlepperfahrer,
verfügbare
Daten aus BV
→
↓
Quelle: Eigene Darstellung
Die Marktleistung setzt sich zusammen aus der Menge marktfähiger Ware und dem Produktpreis. Es empfiehlt sich nicht, die Mitarbeiter an den Preisschwankungen teilhaben zu
lassen, da die Mitarbeiter in der Produktion den Produktpreis kaum beeinflussen können.
Angestellte Betriebsleiter haben in höherem Maße Einfluss auf die erzielten Marktpreise;
jedoch ist auch hier der Einfluss der Entwicklung an den Agrarmärkten bedeutender als der
Betriebsleitereinfluss. Es ist aber möglich, die Entlohnung der Mitarbeiter an die Entwicklung der Hektarerträge in Relation zu einem zuvor festgelegten Normwert zu knüpfen, der
sich auf Daten stützt, die aus horizontalen und vertikalen Betriebsvergleichen bezogen
werden können. Die Transaktionskosten zur Bemessung dieses Leistungsindikators sind
gering, der individuelle Leistungsbeitrag der einzelnen Mitarbeiter zur Erzielung hoher
Hektarerträge hängt jedoch stark von der Betriebsorganisation ab. Der Leistungsindikator
ist sehr störanfällig gegenüber Witterungs- und Standorteinflüssen.
Außerdem könnten Mitarbeiter Ersparnisprämien bei der Maschinenunterhaltung und
dem Treibstoffverbrauch erhalten. Diese Ersparnisprämien werden in der Praxis zum Teil
auch angewandt. Bei Unterschreitung der durchschnittlichen Maschinenunterhaltungskosten können die Mitarbeiter eine Prämie erhalten. Diese kann auch als Gruppenprämie
gewährt werden, was den Vorteil hat, dass die Mitarbeiter gegenseitig darauf achten, ob
auch sorgsam mit den Maschinen umgegangen wird. Der Nachteil ist, dass Trittbrettfahrereffekte auftreten können. Wird die Prämie als Einzelprämie gewährt, so müssen
verschiedene betriebliche Voraussetzungen gegeben sein. Zum einen ist es notwendig,
dass jedem Mitarbeiter eine eigene Maschine zugeordnet wird. Zum anderen müssen in
diesem Fall Vergleichswerte für die jeweilige Maschine vorliegen. Darüber hinaus muss
der Maschinenbestand immer ein konstantes Durchschnittsalter haben, da die Maschinenunterhaltungskosten mit dem Alter der Maschinen ansteigen und Vergangenheitswerte
dann nicht als Vergleichsbasis herangezogen werden können.
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Eine weitere wichtige Kostenposition im Ackerbau, die vom Fahrer deutlich durch sein
Fahrverhalten beeinflusst werden kann, ist der Kraftstoffverbrauch. Nach mann (29) lassen sich bei guter Schulung der Mitarbeiter und optimalem Maschinensatz 15 % der Kraftstoffkosten sparen, ohne Leistung einzubüßen. Die Transaktionskosten zur Kontrolle des
Treibstoffverbrauchs sind, im Vergleich zu den zuvor genannten Indikatoren, in Abhängigkeit von den betrieblichen Gegebenheiten, als gering bis mittelhoch einzuschätzen. Der
Kontrollaufwand ist gering, wenn für jedes Jahr und jede Zug- bzw. Erntemaschine der
Treibstoffverbrauch insgesamt und die geleisteten Betriebsstunden bereits erfasst werden.
Höher ist er hingegen, wenn diese Erfassung aufgrund des Leistungslohnsystems erfolgen
muss. Störanfällig ist der Indikator bei schwierigen Bodenverhältnissen in einem nassen
Jahr und wenn sich der Einsatzbereich der Zugmaschine im Laufe der Jahre verändert. Da
der Treibstoffverbrauch von den Mitarbeitern bei der Bodenbearbeitung auch durch eine
geringere Bearbeitungstiefe reduziert werden kann (10) liegt hier eine potenzielle Quelle
für Fehlanreize vor. Die Bearbeitungstiefe müsste vom Betriebsleiter ggf. zumindest stichprobenartig kontrolliert werden.
Die Ausführungen zu den in Tabelle 5 aufgeführten Leistungsindikatoren verdeutlichen, dass die Akkordfähigkeit der Produktionsverfahren im Ackerbau im Allgemeinen
nicht gegeben ist. Dies erklärt auch die geringe Bedeutung von Leistungslöhnen in den
untersuchten Betrieben. Die Transaktionskosten für die Kontrolle der Leistungsindikatoren durch den Betriebsleiter sind zum Teil erheblich, sodass in den meisten Fällen der
Einsatz eines leistungsabhängigen Lohnsystems nicht wirtschaftlich sein wird. Der Einsatz des Precision Farming macht die Anwendung der beschriebenen Leistungsindikatoren
überhaupt erst möglich. Ohne moderne Datenerfassungen müsste der Betriebsleiter die für
die Beurteilung der Arbeitsleistung notwendigen Parameter, wie z. B. die Fahrgeschwindigkeit, selbst erfassen. Aber auch mit dem Einsatz modernster Technik, ist es nicht möglich, alle entscheidenden Arbeitsschritte zu überprüfen. Wenn es in der Zukunft denkbar
ist, dass von technischer Seite alle für das Leistungslohnsystem notwendigen Kontrollen
und Maschineneinstellungen im Ackerbau durchgeführt werden könnten, dann würden
die Transaktionskosten der Betriebsleitung sinken. Hingegen wäre das Vergütungssystem
dann durch hohe Investitionskosten belastet. Darüber hinaus steht dann die Frage, wodurch
sich Leistungsunterschiede bei den Mitarbeitern überhaupt noch ausdrücken könnten, da
die Arbeitsleistung weitgehend durch die Maschine bestimmt wäre. Außerdem kann die
Verwendung der beschriebenen Leistungsindikatoren zu zahlreichen Fehlanreizen führen,
die sich in allen Produktionsschritten in einer schlechten Arbeitsqualität und einem hohen
Maschinenverschleiß ausdrücken.
Die in Tabelle 6 dargestellten Parameter für Leistungslöhne, die sich an Kosten- und
Leistungspositionen orientieren, sind zum Teil mit geringeren Transaktionskosten verbunden und implizieren weniger Fehlanreize.
Im Hinblick auf die theoretischen Vorüberlegungen lässt sich festhalten, dass die Verwendung besonders störanfälliger Leistungsindikatoren (z. B. die Entwicklung der Hektarerträge) dazu führen kann, dass die Bemessungsgrundlage des Leistungslohnsystems
von den Mitarbeitern als ungerecht angesehen wird.
Aus den Ausführungen zu den möglichen Leistungsindikatoren im Ackerbau wird
außerdem deutlich, dass diese zahlreiche Fehlanreize induzieren können. Es liegt daher
nahe, eine Kombination verschiedener Indikatoren als Bemessungsgrundlage zu wählen
und je nach ihrer ökonomischen Bedeutung zu gewichten. Diese Vorgehensweise führt
aber unmittelbar zu komplexeren Abrechnungsmodalitäten, die für die Mitarbeiter weniger transparent als einfache Systeme sind.
Betriebliches Wachstum im Ackerbau führt dazu, dass mehrere Mitarbeiter in den Produktionsprozess eingreifen. Es hängt von der Betriebsorganisation und der Anzahl der
Mitarbeiter ab, welche Bedeutung leistungsorientierte Entlohnung im Ackerbau bei wach-
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senden Betriebsgrößen zukünftig haben wird. In Betrieben mit einer sehr großen Anzahl
von Beschäftigten im Ackerbau, die so organisiert sind, dass jedem Mitarbeiter eine eigene
Maschine zugeordnet ist, ist die Anwendung einiger aufgeführter Leistungsindikatoren
(z. B. die Unterschreitung der mehrjährigen Maschinenunterhaltungskosten) leichter als
in Betrieben mit wenigen Mitarbeitern, die verschiedene Maschinen benutzen. In Lohnarbeitsbetrieben mit nur einem Mitarbeiter ist die Kontrolle der Bemessungsgrundlage
hingegen mit geringeren Transaktionskosten verbunden als in größeren Betrieben, sodass
hier keine allgemeingültige Aussage zur zukünftigen Bedeutung von Leistungslöhnen im
Ackerbau getroffen werden kann. Es ist aber zu erwarten, dass selbst bei Einsatz des
modernsten technischen Fortschritts die Störanfälligkeit der beschriebenen Leistungsindikatoren im Ackerbau nicht eliminiert werden kann, sodass der Zeitlohn in diesem
Betriebszweig weiterhin die wichtigste Rolle spielen wird.
4.2
Leistungsindikatoren für die Milchproduktion
Im Folgenden werden mögliche Leistungsindikatoren in der Milchproduktion anhand der
verschiedenen Verfahrensschritte aufgezeigt. Die Leistungsindikatoren werden entlang
des Lebens einer Milchkuh erläutert. Es sind nur solche Indikatoren aufgeführt, die kardinal messbar sind. Im Vergleich zu den Indikatoren im Ackerbau sind in der Tabelle 7
die notwendigen Kontrollmaßnahmen nicht aufgeführt, da die verwendeten Indikatoren
mithilfe der üblichen Herdenmanagementprogramme, Aufzeichnungen und Auswertungen
des Landeskontrollverbandes leicht berechnet werden können oder automatisch geliefert
werden. Einzig die exakte Zuordnung des Grundfutters zu den Bereichen Kälber- und
Jungviehaufzucht, Milchproduktion und Trockensteller und damit die Ermittlung der
Grundfutterleistung ist in Betrieben schwieriger, die (noch) nicht mit dem Futtermischwagen füttern.
Vollkostenkalkulationen in der Milchproduktion zeigen, dass aus der Perspektive der
Kostenrelevanz die Grund- und Kraftfutterkosten, die Personalkosten und die Remontierungskosten von besonderer Bedeutung sind (17). Die Personalkosten kann der einzelne
Mitarbeiter nur indirekt beeinflussen. Sie resultieren aus dem vereinbarten Lohn inklusive
eventueller Leistungszuschläge und der dazugehörigen Sozialabgaben. Beeinflussbar sind
nur die benötigten Arbeitskraftstunden pro Kuh, die aber vor allem durch die Betriebsorganisation und die Verfahrenstechnik bestimmt werden.
In der folgenden Tabelle 7 sind mögliche Leistungsindikatoren in der Milchproduktion dargestellt, die einen bedeutenden Einfluss auf die Wirtschaftlichkeit dieses Betriebszweigs haben und unter den Restriktionen und Besonderheiten des landwirtschaftlichen
Produktionsprozesses als weitgehend objektiv messbar gelten können.
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→
↑
↓
↓
↓
Zu hoher Kraftfuttereinsatz,
kürzere Nutzungsdauer
Verkürzung der Laktation
Erfassung der Indikatoren durch Milchkontrolle, Herdenmanagementprogramme,
Buchführung
Mitarbeiter hat Verantwortung für Herdenmanagement Eigenbestandsbesamung
Milchleistung in kg ECM,
Zellzahlen, Milchgüteklasse
Zwischenkalbezeit in
Tagen,
Besamungsindex
Remontierungsrate in %
Abstand
zwischen Kalbungen
Remontierung
Quelle: Eigene Darstellung
↑
↓
Milchproduktion
→
→
Der Milchleistung nicht angepasster Kraftfuttereinsatz
Zuordnung der verbrauchten Futtermengen
zu den Tiergruppen,
Mitarbeiter in der Milchproduktion müssen auch
für den Futterbau zuständig sein
Kraftfuttereinsatz in kg/
kg Milch,
Grundfutterleistung in kg
Fütterung
Remontierungsrate wird
Mitarbeiter hat Verantwortung für Herdenmanage- künstlich zu niedrig gehalten,
optimale Nutzungsdauer der
ment
Kuh wird überschritten
↑
↑
↓
Zu frühe Besamung
Kein unverschuldeter
Krankheitseinbruch im
Bestand
↑
Störanfälligkeit
des Leistungsin­
dikators
Bewertung von
Höhe der
Transaktions­
kosten
Kontrolle des notwendigen Lebendgewichts bei
Erstbesamung
Erstkalbealter in Monaten
Aufzucht
Mögliche Fehlanreize
↓
Kälberverluste in %
Kalbung
Betriebliche Vorausset­
zungen
Unnötige prophylaktische
tierärztliche Behandlungen
Indikator
Verfahrens­
schritt
Tabelle. 7. Mögliche Leistungsindikatoren in der Milchproduktion
5
4
1
2
6
3
Vorzüg­
lichkeit
Leistungsorientierte Entlohnung in der Landwirtschaft: Formen, Indikatoren, Perspektiven
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Die „Kälberverluste in %“ können als ein Parameter zur Bemessung von Leistungslöhnen
dienen. Mitarbeiter, die eine Prämie für geringe Kälberverluste im Vergleich zu einem
Normwert, der auf betrieblichen Erfahrungen oder Betriebszweigabrechnungen basiert,
erhalten, sollen dadurch motiviert werden, die Betreuung der Kälber zu verbessern. Der
Parameter ist störanfällig gegenüber Krankheitseinbrüchen im Bestand. Im Hinblick auf
das Erfolgskriterium Zielkompatibilität können unter Umständen Zielkonflikte mit dem
Oberziel Gewinnmaximierung auftreten, wenn die Tierarzt- bzw. Medikamentenkosten
durch die Anwendung des Parameters steigen. Dieses Problem kann dann auftreten, wenn
die Mitarbeiter die Verantwortung für den Betriebszweig Milchproduktion haben und
damit auch die Befugnis haben, den Tierarzt zu bestellen.
Als Erfolgskennziffer für den Bereich Aufzucht ist das „Erstkalbealter in Monaten“
von Bedeutung. Betriebswirtschaftliche Auswertungen zeigen, dass pro Monat spätere
Kalbung durchschnittlich zwischen 30 und 50 € Aufzuchtkosten einzukalkulieren sind (17;
34; 27). Wird aus dem eigenen Bestand remontiert, so könnte das Erstkalbealter in Monaten als Leistungskriterium herangezogen werden. Es eignet sich jedoch nur für verantwortliche Leitungskräfte und nicht für Arbeiter in der Produktion ohne Verantwortungsbereich,
da es unter anderem von der Intensität der Kälberaufzucht bestimmt wird und deshalb nur
von Mitarbeitern maßgeblich beeinflusst werden kann, die Verantwortung für das Herdenmanagement tragen. Außerdem ist darauf zu achten, dass das frühere Erstkalbealter
mit einer Intensivierung der Aufzucht einhergeht. Erreichen die Färsen zum Zeitpunkt
der Erstbesamung nicht das notwendige Lebendgewicht, dann wäre eine Reduzierung des
Erstkalbealters kontraproduktiv für die Wirtschaftlichkeit des Betriebszweigs.
Für die Wirtschaftlichkeit der Milchviehhaltung sind aber auch die Effizienz des Kraftfuttereinsatzes und die Grundfutterleistung von entscheidender Bedeutung. Die „Kraftfuttereffizienz“ kann in der Menge Kraftfutter (in g oder kg) gemessen werden, die notwendig
ist, um ein kg Milch zu erzeugen. Auswertungen der Milchviehspezialberatung RheinlandPfalz zeigen, dass die 25 % besseren Betriebe weniger Kraftfutter pro Kuh, dafür aber
etwas teureres Kraftfutter einsetzen (34). Der Kontrollaufwand und die Störanfälligkeit
dieses Parameters sind als mittelhoch einzuschätzen. Eine mögliche Schwachstelle dieses Indikators ist der Fehlanreiz, Kraftfutter zu sparen und gleichzeitig weniger Milch
zu produzieren. Es muss folglich sichergestellt werden, dass von den Mitarbeitern auch
eine Steigerung der Milchleistung angestrebt wird. Horizontale und vertikale Betriebsvergleiche können zur sachgerechten Interpretation der erreichten Kennzahl beitragen.
Ein effizienter Kraftfuttereinsatz in der Milchviehhaltung steht in enger Verbindung zur
Grundfutterleistung.
Die „Grundfutterleistung“ ist die Menge Milch, die aus dem Grundfutter ermolken
wird. Sie wird durch das genetische Potenzial der Kuh (Großrahmigkeit, Grundfutteraufnahmevermögen), das Fütterungsmanagement und die Grundfutterqualität (Energiedichte,
Trockenmassegehalt, Schmackhaftigkeit) wesentlich beeinflusst. Die Grundfutterleistung
kann leicht gemessen werden. Sie ist jedoch aufgrund der Vielzahl der sie beeinflussenden Faktoren störanfällig. Dieser Parameter kann nicht eingesetzt werden, wenn die für
die Milchproduktion verantwortlichen Mitarbeiter nicht für die Futterwerbung zuständig
sind. In landwirtschaftlichen Betrieben, in denen die für den Ackerbau verantwortlichen
Mitarbeiter ebenfalls für den Futterbau zuständig sind, ist der Einsatz dieses Leistungskriteriums deshalb nicht sinnvoll. Diese Einschränkung verdeutlicht, warum die Grundfutterleistung als Leistungskriterium in den befragten Betrieben nur eine geringe Rolle spielt.
Das genetische Potenzial zur Milchleistungssteigerung liegt nach gottensträter
(17) bei ca. 1000 kg pro Kuh. Um einen Anreiz zum Ausschöpfen dieser Reserven zu
geben, kann die „Milchleistung“ als Entlohnungsparameter herangezogen werden. Die
empirische Analyse zeigt, dass die Milchleistung in den analysierten Betrieben häufig als
Bemessungsgrundlage für Leistungslöhne herangezogen wird. Qualitätsindikatoren wie
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Leistungsorientierte Entlohnung in der Landwirtschaft: Formen, Indikatoren, Perspektiven
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die „erreichte Milchgüteklasse“ oder die „Zellzahlen“ sollten mit berücksichtigt werden,
denn sie haben einen hohen Informationsgehalt über die Arbeitsqualität der Mitarbeiter
in Bezug auf die Eutersauberkeit. Zwar sind Qualitätsparameter nicht unbeeinflusst von
Krankheitseinbrüchen in der Herde; sie können aber dazu beitragen, dass das Bewusstsein
der Mitarbeiter für die Bedeutung der Milchqualität geschärft wird und Eutererkrankungen frühzeitig erkannt werden. Der Kontrollaufwand für diese Parameter ist gering, da
die notwendigen Daten durch die Milchkontrolle und Milchgeldabrechnung automatisch
zur Verfügung stehen. Die Zuordnung der Leistung zu den einzelnen Mitarbeitern ist dann
schwierig, wenn verschiedene Mitarbeiter für die gleichen Aufgaben zuständig sind, zum
Beispiel wenn im Schichtsystem gearbeitet wird. Aus diesem Grund wenden Betriebe, die
ihre Mitarbeiter in der Milchproduktion leistungsorientiert entlohnen, häufig eine Gruppenvergütung an, wie die empirischen Ergebnisse zeigen.
Eine weitere wichtige Determinante für die Wirtschaftlichkeit der Milchproduktion ist
die „Zwischenkalbezeit“. Sie gibt Hinweise auf die Qualität der Brunstbeobachtung. Zwar
sinken die Fruchtbarkeitsleistungen bei Hochleistungsherden insgesamt ab, trotzdem zeigen Betriebsvergleiche auch bei ähnlichen Milchleistungen deutliche Unterschiede zwischen den Betrieben. Nach Ergebnissen der Milchviehspezialberatung Rheinland-Pfalz
erzielten ein Viertel der besseren Betriebe im Wirtschaftsjahr 2004/2005 eine Zwischenkalbezeit von 402 Tagen, während ein Viertel der schlechteren Betriebe im gleichen
Zeitraum eine Zwischenkalbezeit von 414 Tagen erreichten (34). Als weiteres Kriterium
kann der „Besamungsindex“ dienen. Er bietet sich vor allem für Besamungstechniker und
Eigenbestandsbesamer an. Der Kontrollaufwand von beiden Parametern ist gering und
die Störanfälligkeit als durchschnittlich einzuschätzen. Die Störanfälligkeit wird nicht als
niedrig eingeschätzt, da die Fruchtbarkeitsleistung von verschiedenen Faktoren beeinflusst
wird.
Die „Remontierungsrate in %“ gibt Auskunft über die Nutzungsdauer der Milchkuh.
Betriebsvergleiche zeigen, dass viele Milchkühe eine zu kurze Lebensleistung erreichen
und kaum die Kosten für die Ersatzfärse erwirtschaften (27). Die Nutzungsdauer der Milchkuh wird durch die Faktoren Fütterung, Haltung (Kuhkomfort) und Herdenmanagement
bestimmt (ebenda; 25). Wird die Remontierungsrate als Leistungsindikator herangezogen,
so ist darauf zu achten, dass der betreffende Mitarbeiter diese Faktoren auch beeinflussen
kann. Dies ist vorrangig bei Herdenmanagern der Fall.
Die Erörterung der Vor- und Nachteile der Leistungsindikatoren in der Milchproduktion verdeutlicht, dass die einzelnen Verfahrensschritte und ihre produktionstechnischen
und wirtschaftlichen Kennzahlen starken Wechselwirkungen unterliegen. Im Ackerbau
konnte jeder Arbeitschritt als eigenständiger Arbeitsgang angesehen werden, obwohl auch
hier Interdependenzen bestehen. Für die leistungsorientierte Entlohnung in der Milchproduktion lässt sich daraus schlussfolgern, dass diese als eine Einheit gesehen werden muss
und sich folglich die Vergütung nach Leistung entweder an einem aggregierten Parameter
wie der Milchleistung und -qualität orientieren, oder mehrere Indikatoren als Bemessungsgrundlage zusammengefasst werden sollten. Die Verwendung mehrerer Indikatoren führt
jedoch zu höheren Transaktionskosten und negativen Wirkungen auf die Transparenz des
Entlohnungssystems aus Perspektive der Mitarbeiter.
Betriebliches Wachstum und Precision Agriculture werden auch in der Milchproduktion die Rahmenbedingungen für leistungsabhängige Vergütungsformen verändern. Mit
zunehmender Anzahl von Mitarbeitern wird die Messung der individuellen Arbeitsleistung
komplexer. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Betriebsleiter leistungsabhängig entlohnt,
um Bummeln zu verhindern, steigt folglich. Da der Arbeitseinsatz des Einzelnen in großen
Milchviehanlagen schwer messbar ist oder durch den Einsatz der Kollegen überlagert werden kann, ist es wahrscheinlich, dass bei steigender Betriebsgröße die Gruppenvergütung
eine größere Bedeutung erlangt. Die Vor- und Nachteile von Teamvergütungen wurden
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im dritten Kapitel dieses Beitrags dargestellt. Praktisch hat diese Vergütungsform bereits
Relevanz, wie die Ergebnisse der Betriebsleiterbefragung zeigen.
Der Einsatz moderner Melk- und Fütterungstechnik trägt schon heute zur automatischen Erfassung wichtiger produktionstechnischer Kennzahlen bei. Technische Unterstützung in den Melkständen, hier ist z. B. die automatische Abnahme der Melkzeuge
zum Ende des Melkvorgangs zu nennen, entlastet die melkende Person und erleichtert
den Arbeitsprozess. Trotz des technischen Fortschritts während des Melkens verbleiben
wichtige Vorbereitungs- (z. B. Euterreinigung) und Kontrollarbeiten (Eutergesundheit) in
der Hand des Personals, sodass die Leistung der Beschäftigten nach wie vor einen großen Einfluss auf die Milchleistung und -qualität hat. Melkroboter entbinden Betriebsleiter und Lohnarbeitskräfte von zeitlich festgelegten Melkzeiten und schaffen damit mehr
Flexibilität im Arbeitsprozess. Mit dem Einsatz automatischer Melksysteme ändert sich
das Aufgaben- und Anforderungsprofil für die Beschäftigten in der Milchproduktion
erheblich. Für die Überwachung des erfolgreichen Melkvorgangs sind mehr technische
und kontrollierende Fähigkeiten notwendig. Die bisherige Verbreitung von Melkrobotern
zeigt, dass diese vorrangig in Ländern mit Familienarbeitsverfassung eingesetzt werden
(19). Mit zunehmender Betriebsgröße ist folglich nicht zu erwarten, dass automatische
Melksysteme eine große Bedeutung erlangen. Dies zeigt auch eine Untersuchung zu den
Wachstumsoptionen landwirtschaftlicher Familienbetriebe im Kontext technologischen
Fortschritts. Der überwiegende Teil der in dieser Untersuchung befragten wachstumswilligen Landwirte lehnte den Einsatz von Melkrobotern ab (38; 9).
4.3
Leistungsindikatoren für die Sauenhaltung und Schweinemast
In diesem Abschnitt sollen Leistungsindikatoren für die Schweineproduktion ausgewiesen
werden, die als Bemessungsgrundlage für eine leistungsorientierte Entlohnung herangezogen werden können.
4.3.1
Leistungsindikatoren für die Sauenhaltung
Zunächst werden verschiedene Parameter für die Sauenhaltung aufgezeigt. Im Anschluss
daran wird auf mögliche Parameter für die Schweinemast eingegangen.
Entscheidend für den Erfolg des Betriebszweigs Sauenhaltung ist die Kennzahl „aufgezogene Ferkel pro Sau und Jahr“. Sie ist Ausdruck für die Qualität der Produktionstechnik
und die Leistungsfähigkeit des Tierbestandes (27) und kann als aggregierter Parameter für
eine leistungsorientierte Entlohnung dienen. Sie wird von verschiedenen Faktoren beeinflusst, die sich zum Teil auch als Kennzahlen für eine variable Entlohnung eignen und
in Abhängigkeit von den betrieblichen Schwachstellen als Indikator ausgewählt werden
können (vgl. Tab 7).
Zunächst einmal ist die Kennzahl „Anzahl der lebendig geborenen Ferkel je Wurf“ entscheidend. Dieser Parameter ist leicht kontrollierbar, jedoch verhältnismäßig störanfällig,
da er bestimmt wird von der Anzahl der Ferkel, die geboren werden und von der Anzahl
der Ferkel, die bei der Geburt sterben. Das Alter der Sau, das genetische Potenzial des
Tierbestandes und die Fütterung beeinflussen die Anzahl der Ferkel pro Trächtigkeit. Die
Anzahl der Ferkel, die perinatal sterben, wird von der Betreuungsintensität während des
Ferkelns beeinflusst (27). Nach Ergebnissen der Landwirtschaftskammer Schleswig-Holstein wird die Anzahl aufgezogener Ferkel pro Sau und Jahr von der Wurfgröße weniger
stark als von den Ferkelverlusten in % bis zum Absetzen beeinflusst (27).
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Quelle: Eigene Darstellung
Remontierung
Wurffrequenz
Fütterung
Ferkelverluste in %
Kein unverschuldeter
aufgezogene Ferkel pro Krankheitseinbruch im
Sau und Jahr
Bestand
Ferkelfutter in kg/
Betriebliche AufzeichFerkel Sauenfutter in nungen der verbrauchten
kg/Sau
Mengen
Zwischenwurfzeit in Betriebliche Auswertung
Tagen
der Zwischenwurfzeit
durch Herdenmanagementprogramme (Sauenplaner)
Remontierungsrate
Mitarbeiter hat VerantRemontierungsrate wird künstin %
wortung für Herdenlich zu niedrig gehalten, optimale
management EigenbeNutzungsdauer der Sau wird
standsbesamung
überschritten
Zu hohe Remontierung, da die
Wurfgrößen von Jungsauen größer sind als bei Altsauen
Unnötige prophylaktische
tierärztliche Behandlungen,
zu hohe Remontierungsrate
Futtermenge an den Bedarf
von Ferkeln und Sauen nicht
angepasst
Zu kurze Zwischenwurfzeit,
Verkürzung der Laktation
Aufzucht
keine
lebend geborene Ferkel
pro Sau
Mögliche Fehlanreize
Abferkeln
Betriebliche Vorausset­
zungen
Indikator
Verfahrens­
schritt
Tabelle 8. Leistungsindikatoren für die Sauenhaltung
↓
↓
→
↓
↓
↓
↑
→
→
↑
↑
↑
Bewertung von
Höhe der
Störanfällig­
Transakti­
keit des
onskosten Leistungsindi­
kators
↓
↑
4
3
5
1
2
Vorzüg­
lichkeit
Leistungsorientierte Entlohnung in der Landwirtschaft: Formen, Indikatoren, Perspektiven
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Den größten Einfluss auf die oben genannte Kennziffer hat jedoch die Wurffrequenz.
Hier zeigen sich noch deutliche Unterschiede zwischen den Sauen haltenden Betrieben
(ebenda; 62). Durch eine Verkürzung der Zwischenwurfzeit kann in den weniger erfolgreichen Betrieben die Anzahl der abgesetzten Ferkel pro Sau entscheidend erhöht werden,
sodass dieser Parameter ebenfalls eine geeignete Einflussgröße für eine leistungsorientierte Entlohnung sein kann. Die Vielzahl der Faktoren, die die Erfolgskennzahl der aufgezogenen Ferkel pro Jahr beeinflusst, verdeutlicht die Störanfälligkeit dieses Leistungsindikators. eine Praxisempfehlung lautet daher für den Einsatz von Leistungslöhnen in
der Schweineproduktion, Leistungszulagen und Prämien bei Krankheitseinbrüchen auf
einen Zeitraum von drei bis vier Monaten vor dem Krankheitseinbruch zu beziehen (18).
Auf der Kostenseite beeinflussen die Futterkosten die Produktionskosten stark. Mit
dem Produktivitätsanstieg in den Betrieben nimmt auch der Futterverbrauch in kg pro
Ferkel und Sau tendenziell zu. Die erfolgreicheren Betriebe verbrauchen jedoch nicht
unbedingt mehr Futter für Ferkel und Sauen, sodass die Futtereffizienz ebenfalls ein Kriterium für die Qualität des Managements und der Produktionstechnik ist (27).
Die Bestandsergänzung ist, wie auch in der Milchproduktion, eine weitere wichtige
Kennzahl für die Leistung des Betriebszweigs Sauenhaltung. Die erfolgreichen Betriebe
der Betriebszweigauswertung der Landwirtschaftskammer Schleswig-Holstein wiesen im
WJ 2003/2004 eine um durchschnittlich drei Prozentpunkte geringere Remontierungsrate
als die weniger erfolgreichen Betriebe auf (ebenda). Eine Erhöhung der aufgezogenen
Ferkel pro Sau und Jahr führt folglich nicht zwangsläufig zu einem Anstieg der Remontierungsrate. griesel (18) empfiehlt, die Remotierungsrate in ein leistungsabhängiges
Vergütungsschema einzubeziehen, wenn deutlich wird, dass ein Mitarbeiter versucht, die
Anzahl der aufgezogenen Ferkel pro Sau und Jahr mithilfe einer überhöhten Remontierung zu erreichen.
4.3.2
Leistungsindikatoren für die Schweinemast
Die direktkostenfreie Leistung in der Schweinemast als Kennziffer für die Wirtschaftlichkeit des Betriebszweigs Schweinemast unterliegt zwischen den Jahren starken Schwankungen. Sie wird besonders stark von der Höhe der Mastschweine- und Ferkelpreise
beeinflusst. Eine Beteiligung der Mitarbeiter an der direktkostenfreien Leistung unterwirft
auch die Einkommen der Mitarbeiter starken, zum großen Teil marktgegebenen Einflüssen. Zwischen den Betrieben zeigen sich deutliche Unterschiede in den biologischen und
ökonomischen Leistungen, die auf produktionstechnische und unternehmerische Einflüsse
zurückzuführen sind (27).
In der folgenden Tabelle 9 sind die Parameter aufgeführt, die im Laufe des Produktionsprozesses die direktkostenfreie Leistung stark beeinflussen und die als Indikator für
eine leistungsorientierte Entlohnung herangezogen werden können.
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Leistungsorientierte Entlohnung in der Landwirtschaft: Formen, Indikatoren, Perspektiven
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Tabelle 9. Leistungsindikatoren für die Schweinemast
Verfahrensschritt
Indikator
Bewertung von
Höhe der Trans­
Störan­
aktionskosten
fälligkeit des
Leistungs­
indikators
Fütterung
Tägliche Zunahmen in g
↓
→
Verkaufte Schweine/ Mastschweineverluste in %
↓
↑
Betrieb
SchlachtkörperMagerfleischanteil in %
↓
↓
qualität
Quelle: Eigene Darstellung
Als Indikator für die Qualität der Produktionstechnik und des Herdenmanagements können die täglichen Zunahmen dienen. Nach Berechnungen der Landwirtschaftskammer
Schleswig-Holstein drücken sich hohe tägliche Zunahmen in einer guten Futterverwertung und einem geringeren Futterverbrauch je kg Zuwachs aus. Die erfolgreichen Betriebe
unterscheiden sich von den weniger erfolgreichen Betrieben durch bis zu 5 €ct pro kg
Zuwachs niedrigere Futterkosten (27). Der Kontrollaufwand zur Bemessung des Parameters ist gering. Die Störanfälligkeit ist mittelhoch, da die täglichen Zunahmen von mehreren Faktoren abhängen und beispielsweise technische Probleme mit der Temperatur und
Lüftung im Stall, die nicht durch den Mitarbeiter verursacht sein müssen, sich direkt in der
Leistung widerspiegeln. Für die Anzahl der verkauften Schweine pro Betrieb sind bei einer
gegebenen Ausstattung an Mastschweineplätzen neben den täglichen Zunahmen, die die
Mastdauer beeinflussen, die Mastschweineverluste von Bedeutung. Die Mastschweineverluste sind ein einfach zu messender Leistungsindikator, der jedoch störanfällig gegenüber
Krankheitseinbrüchen und der Ferkelherkunft ist. Im Sinne der Zielkompatibilität können
bei alleiniger Verwendung dieses Parameters Zielkonflikte mit der Gewinnmaximierung
eintreten, wenn hierdurch ein Fehlanreiz zu überhöhten Tierarzt- und Medikamentenkosten gegeben wird.
Die erfolgreichen und weniger erfolgreichen Betriebe unterscheiden sich im erzielten
Verkaufspreis. Die Preisdifferenz wird hier vor allem durch die Absatzmenge und einen
unterschiedlich hohen Magerfleischanteil begründet (27). Auf die Absatzmenge hat der
Mitarbeiter nur einen geringen Einfluss, da sie im Betrieb vorgegeben ist. Den Magerfleischanteil als Leistungsindikator für die Vergütung zugrunde zu legen, ist problematisch, da die genetische Herkunft der Tiere einen großen Einfluss auf den Magerfleischanteil hat.
4.3.3
Zusammenfassende Beurteilung der Leistungsindikatoren
für die Schweinehaltung
Aus den Ausführungen zu den möglichen Leistungsindikatoren in der Sauenhaltung und
in der Schweinemast wird deutlich, dass ein Leistungslohnsystem nur für Mitarbeiter mit
Verantwortung für das Herdenmanagement und die Produktionstechnik geeignet ist.
Steigende Tierbestände in der Sauenhaltung und Schweinemast werden dazu führen,
dass in den Großbetrieben mehrere Mitarbeiter für die Betreuung der Tiere zuständig
sein müssen, um den Arbeitsbedarf zu bewältigen. Dies führt zu ähnlichen Herausforderungen an die Lohngestaltung wie in der Milchproduktion, d. h. Gruppenvergütungen
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werden eine zunehmende Bedeutung erlangen. Größere betriebliche Einheiten können
aber auch eine stärkere Arbeitsteilung nach sich ziehen. Wenn mehr Leitungskräfte in der
Tierproduktion eingesetzt werden, steigen die Chancen für leistungs- und erfolgsorientierte Entlohnungssysteme, da Mitarbeiter mit Verantwortung für das Herdenmanagement
die oben beschriebenen Kennziffern stärker beeinflussen können als Mitarbeiter mit rein
ausführenden Aufgabenfeldern.
Die aktuelle Auswertung der DLG-Spitzenbetriebe der Sauenhaltung zeigt einen deutlichen Trend zur Wachstumsbereitschaft, vor allem in den alten Bundesländern. In den
nächsten fünf Jahren möchten die Betriebsleiter aus den südwestdeutschen Bundesländern eine Stallkapazität von durchschnittlich 312 Sauenplätzen erreicht haben. Die nordwestdeutschen Landwirte wollen zum gleichen Zeitpunkt im Mittel über 404 Sauenplätze
verfügen und die ostdeutschen Mitglieder des DLG-Forums Spitzenbetriebe streben eine
Konsolidierung ihres Sauenbestandes bei Verbesserung der biologischen Leistungen an
(45).
In Bezug auf den Einsatz des technischen Fortschritts kann festgehalten werden, dass
die Automatisierung der Fütterung in der Schweinehaltung mit wachsenden Tierbeständen
einhergeht. Der züchterische Fortschritt gemeinsam mit automatisierter Fütterung senkt
den Einflussbereich der Mitarbeiter in der Schweinehaltung und hier insbesondere in der
Schweinemast. Betreuungsaufgaben, wie z. B. die Geburtenüberwachung, der Wurfausgleich in der Ferkelproduktion und Maßnahmen zur Sicherung der Tiergesundheit werden aber auch in Zukunft nicht durch Maschinen ersetzt werden können. Sie bieten auch
zukünftig den Ansatzpunkt für Leistungslohnsysteme.
5
Perspektiven der leistungsorientierten Entlohnung
in der Landwirtschaft
Die sich für die leistungsorientierte Entlohnung in der Landwirtschaft ergebenden Perspektiven müssen sich an den zuvor genannten Rahmenbedingungen messen lassen. Die
Befragung hat gezeigt, dass Leistungslöhne in der Landwirtschaft derzeit vor allem von
Betrieben mit mehreren Lohnarbeitskräften und bevorzugt in der Tierproduktion eingesetzt werden. Mit dem fortschreitenden Strukturwandel wird die Bedeutung des Personalmanagements weiter zunehmen und Betriebsleiter werden sich vermehrt der Frage einer
optimalen Gestaltung von Anreizsystemen widmen.
Die Motivationswirkung von Leistungslöhnen beruht auf der Einhaltung verschiedener
Erfolgbedingungen. Einige dieser Erfolgsbedingungen liegen heute und auch zukünftig
in der Hand des Betriebsleiters. Dies betrifft insbesondere die Festlegung und Kommunikation erreichbarer Zielgrößen als Bemessungsgrundlage. Ein steigendes Angebot an
Unternehmerschulungen im Bereich der sogenannten „soft skills“ lässt auf eine weiter
steigende Kompetenz der Betriebsleiter hoffen.
Cross Compliance-Auflagen und ein steigendes technisches Niveau der landwirtschaftlichen Maschinen machen es zukünftig immer notwendiger, dass die eingesetzten Arbeitskräfte über eine gute Fachausbildung verfügen. Es ist davon auszugehen, dass gerade diese
Fachkräfte einen hohen Anspruch an die Führungsqualität ihres Vorgesetzten haben und
eine entsprechende Motivation für ihre Tätigkeit mitbringen, da sie sonst alternativ einen
Arbeitsplatz außerhalb der Landwirtschaft gewählt hätten.
Die in Kapitel 2 skizzierten theoretischen Ansätze unterschieden sich hinsichtlich des
Menschenbildes und den Empfehlungen zur optimalen Gestaltung von Anreizsystemen.
Eines ist ihnen jedoch gemeinsam: Leistungslöhne müssen auf einer kardinal messbaren,
von den Beteiligten beobachtbaren Bemessungsgrundlage fußen, damit sie die gewünschte
Leistungssteigerung bewirken. In diesem Punkt bietet die Landwirtschaft mit ihren Beson-
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Leistungsorientierte Entlohnung in der Landwirtschaft: Formen, Indikatoren, Perspektiven
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derheiten keine ideale Voraussetzung für Leistungslohnsysteme. Vor allem in der Pflanzenproduktion ist es schwierig, eine Bemessungsgrundlage zu finden, die den genannten
Bedingungen entspricht.
Es ist unzweifelhaft, dass die Kontrollmöglichkeiten durch die zunehmende Bedeutung
des Precision Farming erweitert werden und der Kontrollaufwand für die unterschiedlichen Produktionsschritte sinken wird. Dies würde die Verbreitung leistungsorientierter
Entlohnungssysteme begünstigen.
Als Alternativen zu leistungsabhängigen Vergütungsregelungen, die den Besonderheiten der Landwirtschaft möglicherweise besser gerecht werden und mit geringen Transaktionskosten behaftet sind, bieten sich Effizienzlohnsysteme und Turnierentlohnungen an.
Die Gewährung einer im Vergleich zu anderen landwirtschaftlichen Betrieben überdurchschnittlichen Belohnung ist ein einfaches Mittel, um fähige Mitarbeiter anzuziehen
und zu halten. Zwar besteht kein unmittelbarer Zusammenhang zwischen Leistung und
Lohn, durch die steigenden Kosten eines möglichen Arbeitsplatzverlusts ist aber vor allem
im Niedriglohnsektor Landwirtschaft mit einer positiven Motivations- und Selektionswirkung zu rechnen. Zwar sind die befragten Mitarbeiter intrinsisch motiviert, sie verwiesen
jedoch in den Diskussionen immer wieder auf die nach ihrer Meinung unadäquate Lohnhöhe.
Turnierentlohnungen als eine Form der relativen Leistungsbewertungen könnten in der
Landwirtschaft sowohl auf Produktions- als auch auf Führungsebene eingesetzt werden.
Sie eignen sich besonders dann, wenn die kardinale Leistungsbemessung an ihre Grenzen
gerät. Da sie negative Auswirkungen auf das Teamverhalten hat und in der Landwirtschaft verschiedene Mitarbeiter in den Produktionsprozess eingreifen, ist es nicht empfehlenswert, die Mitarbeiter eines Betriebes gegeneinander in den Wettbewerb zu bringen. Es wäre aber denkbar, Zusatzprämien für eine relative Mehrleistung im Vergleich zu
ähnlichen Betrieben zu gewähren. Betriebsvergleiche legen die Stärken und Schwächen
von Betrieben mit unterschiedlicher Betriebsstruktur offen und können als Grundlage
zur Leistungsbemessung dienen. Werden die Leistungslöhne anhand der Entwicklung
des Leistungsparameters (z. B. der Hektarerträge) im Vergleich zu ähnlichen Betrieben
bemessen, so hat dies den Vorteil, dass der Einfluss stochastischer Größen, wie der Witterung, gemindert wird. Das Entlohnungsschema wird dadurch gerechter und die Mitarbeiter
können leichter den Zusammenhang zwischen Anstrengung und Leistung herstellen, da
es z. B. um schlechte Niederschläge im Erntejahr bereinigt wird. Wichtig ist es aber, den
Mitarbeitern die Betriebsvergleiche zu zeigen, damit deutlich wird, auf welchen erzielten
Parametern die Leistungsentlohnung beruht.
Zusammenfassung
Durch die zunehmende Bedeutung von Lohnarbeitskräften in der deutschen Landwirtschaft gewinnen personalwirtschaftliche Fragestellungen für Betriebsleiter und andere Interessenten, wie z. B.
landwirtschaftliche Berater, an Relevanz. Die optimale Gestaltung von Anreizsystemen und die Einsatzmöglichkeiten leistungsorientierter Entlohnungssysteme werden in der ökonomischen Literatur
zum Teil sehr kontrovers diskutiert.
Die empirischen Ergebnisse stützen sich auf eine Befragung von 260 Betriebsleitern landwirtschaftlicher Lohnarbeitsbetriebe aus den alten und neuen Bundesländern. Die Analyse der verwendeten Entlohnungssysteme zeigt, dass leistungsorientierte Entlohnungssysteme in der Landwirtschaft
insgesamt eine geringe Rolle spielen, da es schwierig ist, einfach messbare Leistungsindikatoren zu
finden, die die Leistung der Mitarbeiter objektiv widerspiegeln. So setzt der Einsatz der im vierten
Abschnitt dieses Beitrags vorgestellten Leistungsparameter eine Fülle betrieblicher Rahmenbedingungen voraus, die notwendig sind, um Fehlanreize oder hohe Transaktionskosten des Entlohnungssystems zu vermeiden. Diese verdeutlichen die Problematik der leistungsabhängigen Vergütung in
landwirtschaftlichen Betrieben.
Precision Agriculture wird in der Zukunft den Kontrollaufwand für die Bemessung von Leistungsindikatoren senken. Die Bedeutung stochastischer Einflüsse für den landwirtschaftlichen Pro-
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duktionsprozess wird jedoch nicht gemindert werden, sodass auch zukünftig Leistungslöhne in der
Landwirtschaft in Ermangelung sinnvoller Leistungsindikatoren eine geringe Rolle spielen werden.
Summary
Pay for performance in agriculture: types, indicators and perspectives
With a growing percentage of employees in German agriculture, human resource management has
an increasing relevance for farmers and other interest groups. In economic literature, the question of
optimal incentives and the effects of performance pay are discussed controversially. The empirical
results of this article are based on a written survey of 260 agricultural employers. The analysis of
financial incentives shows that pay for performance is of minor importance in agriculture, as it is
complicated to find simple, measurable performance indicators that reflect the employees’ individual
effort in an objective way. In part 4 of this article, possible performance indicators for different farm
enterprises are shown and framework conditions for their use are discussed. In the long-term perspective, precision agriculture will lower the transaction costs for measuring performance indicators.
As the influence of stochastic determinants on agricultural production will not decrease in the future,
pay for performance in agriculture will continue to play a minor role.
Résumé
Salaires liés à la performance dans le secteur agricole : méthodes, indicateurs et perspectives
Vu l’augmentation du nombre de salariés travaillant dans les exploitations agricoles allemandes, la
gestion des ressources humaines devient toujours plus importante pour les exploitants et autres personnes concernées telles que les conseillers agricoles. Le choix optimal des outils d’incitation ainsi
que l’utilisation de systèmes de salaires liés à la performance sont discutés quelque fois de façon
contradictoire dans la littérature spécifique.
Les résultats empiriques se basent sur un sondage réalisé auprès de 260 exploitants agricoles
allemands. L’analyse des systèmes de rémunération utilisés dans ces exploitations montre que dans
le secteur agricole, les salaires liés à la performance ne jouent pas un rôle important car il est
difficile de trouver des indicateurs de performance facilement mesurables reflétant la contribution
individuelle des employés de manière objective. Ainsi, l’application des indicateurs de performance
décrits dans la quatrième partie de ce rapport exige la réalisation de certaines conditions au niveau
de l’exploitation nécessaires pour éviter des contre-incitations ou des coûts de transaction élevés du
système de rémunération.
Dans l’avenir, la mise en œuvre de l’outil nommé « agriculture de précision » diminuera les frais
pour mesurer les critères de performance. Par contre, l’influence des éléments stochastiques dans
la production agricole ne se réduira pas de sorte que les salaires liés à la performance resteront de
moindre importance dans le secteur agricole en l’absence d’indicateurs de performance utiles.
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Zazie von Davier, Enno Bahrs
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dlg.org/pdf/wita2007/PR_Ziron.pdf.
Autorenanschrift: Dr. zazie von davier, Department für Agrarökonomie und Rurale Entwicklung, Georg-August-Universität Göttingen, Platz der Göttinger Sieben 5, 37073
Göttingen, Deutschland
[email protected]
Prof. Dr. enno bahrs, Institut für landwirtschaftliche Betriebslehre, Universität Hohenheim, Schloß, Osthof-Süd, 70599 Stuttgart, Deutschland
[email protected]
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Was regionale Bioproduktketten erfolgreich macht
– Stärken, Schwächen, Chancen und Risiken
regionaler Biobrotgetreide­Produktketten in Niederösterreich (AT)
Von ruth bartel-kratochvil, heidrun leitner und Paul axmann, Wien
1
Problemstellung und Zielsetzung
Regionale Produktketten – Produktketten, in denen zwischen den Akteuren (Landwirte,
Verarbeiter, Vermarkter, Konsumenten) räumliche Nähe besteht – werden mit besonderen Beiträgen zur nachhaltigen Entwicklung in Verbindung gebracht: Mehr Wertschöpfung und Arbeitsplätze in der Region, häufig niedrigerer Transportaufwand, Erhalt der
Kulturlandschaft, Stärkung regionaler Identität und Tradition, Erzeugung von Produkten
besonderer Qualität und Identifikationsmöglichkeit für die Konsumenten (vgl. 31). Darüber hinaus werden regionale Produktketten und Initiativen in jüngerer Zeit auch von der
Politik „entdeckt“ und erfahren nun in Form diverser Förderkulissen (wie z. B. Leader,
Interreg, „Regionen aktiv“ in Deutschland) vermehrte finanzielle Unterstützung der öffentlichen Hand. Die Art und Weise des Zusammenspiels der beteiligten Akteure, die „Funktionsfähigkeit“ regionaler Produktketten, deren Stärken und Schwächen geraten damit
auch zunehmend ins gesellschaftliche, politische und auch wissenschaftliche Blickfeld.
Besondere Synergien gibt es zwischen der biologischen Landwirtschaft – synonym
auch als ökologischer oder organischer Landbau bezeichnet und durch die VO (EWG)
Nr. 2092/91 i. g. F. sowie darauf aufbauenden privatrechtlichen Regelungen definiert – und
der Region: Die positiven ökologischen und sozioökonomischen Wirkungen und Ziele
des Biolandbaus können auf regionaler Ebene besser umgesetzt und verstärkt werden;
die Konsumenten setzen bei Bioprodukten oft voraus, dass sie aus der Region stammen
(vgl. 39). Die konkreten Interdependenzen zwischen biologischer Landwirtschaft und
regionalen Produktketten bzw. deren Akteure sind daher von besonderem Interesse.
Der vorliegende Beitrag schließt hier an und geht der Frage nach, was regionale
Produktketten und deren beteiligte Akteure erfolgreich macht bzw. was ihren Erfolg
beschränkt; wo ihre Stärken, Schwächen, Chancen und Risiken liegen. Aus der näheren
Beleuchtung dieser Frage sollen Unterstützungsmaßnahmen für regionale Produktketten
abgeleitet werden. Der Forschungsfrage wird im österreichischen Bundesland Niederösterreich anhand einer Befragung von Akteuren regionaler Produktketten nachgegangen,
die nach den Richtlinien der biologischen Landwirtschaft wirtschaften und Brotgetreide
erzeugen, verarbeiten bzw. vermarkten.
2 Theoretischer Hintergrund
Den theoretischen Hintergrund für den vorliegenden Beitrag bilden die SWOT-Analyse
(Abschn. 2.1) und die Erfolgsfaktorenforschung (Abschn. 2.2). Aktuelle Forschungsergebnisse aus diesen beiden Bereichen werden im Folgenden kurz dargestellt.
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2.1
SWOT­Analyse
Die SWOT-Analyse dient der Identifikation von wesentlichen Stärken (Strengths), Schwächen (Weaknesses), Chancen (Opportunities) und Risiken (Threats), die ein System – z. B.
ein Unternehmen, Projekt, eine Kooperation – beeinflussen. Stärken und Schwächen
beschreiben dabei die internen Qualitäten eines Systems und können vom System selbst
beeinflusst werden. Diesen stehen externe Chancen und Risiken gegenüber, die von außen
auf das System einwirken und auf die das System selbst nur sehr eingeschränkt oder gar
nicht Einfluss nehmen kann.
Die Ursprünge der SWOT-Analyse sind in der akademischen Auseinandersetzung mit
der strategischen Unternehmensplanung der 1960er-Jahren zu finden (29, S. 47): Eine gute
Unternehmensstrategie stellt die Passfähigkeit zwischen der externen Situation, mit der
ein Unternehmen konfrontiert ist (Chancen, Risiken) und den unternehmenseigenen Qualitäten (Stärken, Schwächen) her. Die SWOT-Analyse ist „anwenderfreundlich“, weil sie
einfach strukturiert ist und weder eine komplexe Informationsgrundlage noch Datenverarbeitung braucht (3, S. 77).
Während houben et al. (30) und bernroider (5, S. 564) die SWOT-Analyse zu den
prominentesten Techniken der strategischen Analyse in Unternehmen zählen, üben hill
und westbrook (29) sowie beeho und prentice (3, S. 77 f.) an ihr Kritik: Charakteristisch
für die SWOT-Analyse seien lange Listen an subjektiven Faktoren, die zu undifferenziert
im Hinblick auf einzelne Unternehmensbereiche, Märkte oder Produkte seien und keiner weiteren Bearbeitung – wie Verifizierung, nähere Beschreibung, Prioritätensetzung –
unterzogen würden. In der Folge würden die Ergebnisse von SWOT-Analysen kaum weitere, unternehmensinterne Verwendung finden. Zur Behebung der Defizite der SWOTAnalyse könnten demnach folgende Maßnahmen beitragen: Größere Sorgfalt seitens der
Anwender (adressiert v. a. an Unternehmensberater und Manager), nähere Beschreibung
der Bedingungen, unter denen die aufgezählten Faktoren Gültigkeit haben (29, S. 51) bzw.
Fokussierung auf ausgewählte Unternehmensbereiche, Produkte sowie Einbeziehung der
Kunden (3, S. 78).
Abseits der strategischen Unternehmensplanung fand die SWOT-Analyse Einsatz für
die Bewertung der Ist-Situation und die Entwicklung von Zukunftsoptionen für ganze
Wirtschaftssektoren, z. B. für das dänische Gesundheitssystem (15; 16) oder den indischen Energiesektor (42). Neben der nationalen Ebene wurde die SWOT-Analyse auch
auf regionaler Ebene eingesetzt, teilweise in Kombination mit partizipativen Methoden,
wie z. B. für die regionale Tourismus- (3; 41) und Energieplanung (53) oder das regionale
Siedlungsabfallmanagement (48). Im Bereich der biologischen Landwirtschaft wurden
SWOT-Analysen bisher für den österreichischen Biofachhandel (55), den Einsatz von
Bioprodukten regionaler Herkunft in der Gastronomie (11) sowie im Rahmen größerer
Forschungsprojekte zur EU-weiten Entwicklung von Politikmaßnahmen für den Biolandbau (27) angestellt.
Generell überwiegt sowohl bei den hier analysierten praktischen (15; 16; 42; 43; 53)
als auch bei einem Großteil der empirisch-wissenschaftlichen Studien eine qualitative
methodische Vorgehensweise (z. B. 3; 29; 41).
2.2
Erfolgsfaktoren
bernroider (5) sowie hensche und schleyer (28) stellen eine Verbindung zwischen
SWOT-Analyse und Erfolgsfaktoren her: bernroider (5, S. 564) definiert die SWOTAnalyse als die Analyse von „Schlüssel-“ oder „kritischen Erfolgsfaktoren“, für hensche
und schleyer (28) bilden Erfolgsfaktoren zusammen mit der Stärken-Schwächen-Analyse des Unternehmens die Basis für die Beurteilung von Wettbewerbsvorteilen. Auch
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die häufig vorgenommene Systematisierung von Erfolgsfaktoren spiegelt eine ähnliche
Logik wider wie jene, der die SWOT-Analyse folgt. gleirscher (22), götschmaier (24),
schmid und sanders (46) sowie sylvander und kristensen (51) differenzieren die in
ihren empirischen Arbeiten gefundenen Erfolgsfaktoren in interne bzw. endogene, solche
innerhalb des Unternehmens begründete, und externe bzw. exogene Erfolgsfaktoren, die
in der Unternehmensumwelt zu suchen sind.
In der hier analysierten Literatur zu Erfolgsfaktoren – wir beschränken uns aufgrund
der Fülle an wissenschaftlichen Arbeiten zu diesem Thema auf Literatur mit Bezug zu
Regionalität, Lebensmittelerzeugung, -verarbeitung und -handel sowie zur biologischen
Landwirtschaft – wird „Erfolg“ häufig als die Erreichung von Unternehmenszielen
definiert (24; 28; 51). „Erfolgsfaktoren“, synonym auch als erfolgsrelevante Faktoren,
Erfolgskomponenten, Einflussfaktoren oder Schlüsselfaktoren bezeichnet, sind demnach
Voraussetzungen, Eigenschaften oder Aktivitäten eines Unternehmens, Projektes oder seiner Akteure, die für dessen Erfolg unabdingbar sind (37). Dabei begrenzt für kullmann
(37), in Anlehnung an das Minimum-Gesetz nach Liebig in Bezug auf essenzielle Pflanzennährstoffe, der jeweils am wenigsten realisierte Faktor den Erfolg eines Projektes.
Ähnlich argumentieren hensche und schleyer (28): Für die Stärke eines Unternehmens
sei nicht so sehr das Vorhandensein und die Ausprägung einzelner Faktoren, sondern deren
wechselseitige Abstimmung untereinander ausschlaggebend.
Die Erfolgsfaktorenforschung nahm in den 1970er-Jahren als eigene Forschungsrichtung innerhalb der Managementlehre ihren Anfang (44). Demnach orientieren sich sehr
viele der hier analysierten Arbeiten an betriebswirtschaftlichen Theorien und Modellen
oder greifen in ihrer Empirie stark betriebswirtschaftlich orientierte Fragestellungen auf
(z. B. Erfolgsfaktoren für Produktentwicklungsprozesse, vgl. 8; 9; 33; 50). Daneben existiert mittlerweile auch eine Vielzahl von Arbeiten zum Erfolg regionaler (Kooperations-)
Projekte (13; 19; 25; 32; 34; 35; 36; 37; 38; 43; 54) und regionaler Vermarktungskonzepte
(6; 18; 26). Auch zu Erfolgsfaktoren im Bereich der biologischen Landwirtschaft wurde
in den letzten Jahren geforscht:
● götschmaier (24) zu direkt vermarktenden Biolandwirten,
● fromm et al. (19), gleirscher (22), sanders und schmid (45), schmid und sanders
(46), schmid et al. (47), sylvander und kristensen (51) zu regionalen Biovermarktungsinitiativen,
● hensche und schleyer (28) zu Biovermarktungsinitiativen im Allgemeinen,
● gothe und schöne (23) zu regionalen Biolebensmitteln im Handel,
● dienel et al. (17) zur Umstellung Lebensmittel verarbeitender Betriebe auf ökologische Erzeugnisse.
Die methodische Herangehensweise der Arbeiten ist breit gefächert und umfasst neben
ausschließlich quantitativen bzw. qualitativen Methoden auch Kombinationen der beiden Zugänge. Gemeinsam ist den Arbeiten eine Schwerpunktsetzung auf die Empirie,
wobei im Zentrum des Interesses einzelne Unternehmen, unternehmensübergreifende bzw.
regionale Projekte und Kooperationen oder Branchen stehen. Die Ergebnisse der Arbeiten
verbindet, dass sie häufig die Wichtigkeit interner Erfolgsfaktoren hervorheben und dabei
teilweise einen Schwerpunkt auf das Marketing setzen (14; 17; 21; 23; 24; 25; 28; 37; 45;
47). sanders und schmid (45) gehen sogar so weit, interne Faktoren als weit wichtiger
für den Erfolg als externe Faktoren zu bewerten. Letztere könnten v. a. dazu beitragen,
Potenziale zu verbessern. Andere Autoren (22) halten die Interpretation von Erfolgsfaktoren nur im regionalen Kontext für möglich und werten damit implizit die Bedeutung
externer Faktoren auf.
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3
Forschungsregionen
Das Bundesland Niederösterreich liegt im Osten Österreichs und ist mit 19 178 km² Katasterfläche das größte österreichische Bundesland (56). Große Teile des Bundeslandes liegen
in agrarischen Gunstlagen, wie der Vergleich mit der gesamtösterreichischen Situation
zeigt (vgl. Tab 1).
Tabelle 1. (Biologische) Landwirtschaft in Niederösterreich
im Vergleich zu Österreich
Einheit
Betriebe
LF
davon Acker
davon Getreide
(exkl. Mais)
davon
Brotgetreide
Anzahl
in % der Betriebe in Ö2)
in % der Biobetriebe in Ö
in ha
in % der Betriebe in Ö
in % der Biobetriebe in Ö
in ha
in % der Betriebe in Ö
in % der Biobetriebe in Ö
in ha
in % der Erntemenge in Ö
in % der Biofläche in Ö
in ha
in % der Erntemenge in Ö
in % der Biofläche in Ö
1)
NÖ = Niederösterreich
2)
Ö = Österreich
Österreich NÖ1) gesamt Bioland­
gesamt
bau in
NÖ
189 591
46 087
4 211
100
24
21
3 267 833
941 230
112 459
100
29
31
1 405 235
706 131
71 166
100
22
50
365 750
34 105
55
53
218 471
18 201
60
55
Quellen: (12; 49)
In Niederösterreich befinden sich derzeit 40 gewerbliche und 11 industrielle Mühlen sowie
414 gewerbliche Bäcker und ein industrieller Bäckereibetrieb (56). 11 Biomühlen (7)
bzw. 17 Biobäcker (8), zum Teil mit mehreren Filialen und zum Teil mit gemischtem
Sortiment (biologische und konventionelle Produkte) werden in Niederösterreich gezählt.
Auf 82 biologisch wirtschaftenden landwirtschaftlichen Betrieben werden „ab Hof“ oder
in einem Hofladen Brot und Backwaren, auf 207 Betrieben Getreide und Getreideprodukte
verkauft (8).
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Was regionale Bioproduktketten erfolgreich macht
4
4.1
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Methode
Interviewpartner
Im Zeitraum Dezember 2005 bis Jänner 2006 wurden 9 mit einem Leitfaden gestützte
Interviews mit Akteuren regionaler Biobrotgetreide-Produktketten in Niederösterreich
durchgeführt. Zur Auswahl der Gesprächspartner wurden österreichweit regionale Produktketten recherchiert, die Brotgetreide erzeugen, verarbeiten und vermarkten. Davon
wurden die Initiatoren jener Produktketten für Interviews ausgewählt, die zum einen nach
den Richtlinien des biologischen Landbaus zertifiziert sind und zum anderen einen Niederösterreichbezug aufweisen (d. h. dass mindestens einer der Geschäftspartner in der Produktkette seinen Geschäftssitz in Niederösterreich hat). Auf Empfehlung der interviewten
Initiatoren wurden mit einzelnen ihrer Geschäftspartner weitere Gespräche geführt. Alle
interviewten Personen sind in ihren Unternehmen in leitender Funktion (Betriebsleiter,
Unternehmer) tätig. In der Summe wurden zwei Getreide erzeugende Bäuerinnen bzw.
Bauern (die sich z. T. auch in der Verarbeitung und Vermarktung engagieren), vier Bäcker,
zwei Müller und ein kleiner, regional orientierter Biogroßhändler befragt.
Die Ergebnisse aus den Interviews wurden in zwei Workshops, die im März und Juni
2006 stattfanden, diskutiert und vertieft. Neben den Interviewpartnern (IP) nahmen an
den Workshops sieben weitere Personen teil, die Biobrotgetreide erzeugen, verarbeiten
oder vermarkten. Der vorliegende Beitrag stützt sich v. a. auf die Ergebnisse aus den
Interviews; peripher fließen auch Resultate aus dem ersten Workshop ein, der thematisch
näher an den Inhalten des vorliegenden Beitrags liegt.
4.2
Datenerhebung, ­auswertung und ­speicherung
Die Interviews erfolgten in qualitativer, halbstandardisierter Form und auf der Basis eines
Gesprächsleitfadens. Dieser Leitfaden enthält eine Reihe von vorbereiteten Fragen und
stellt so die Vergleichbarkeit der einzelnen Interviews sicher (10, S. 238 und S. 315). Die
Reihenfolge und genaue Formulierung der Fragen ist nicht festgelegt, was dem Interviewer bzw. der Interviewerin den nötigen Spielraum gibt, um auf die Befragten einzugehen
(10, S. 308 f.). Es werden offene Fragen gestellt, d. h. es gibt keine vorgegebenen Antwortalternativen; erst bei der Auswertung der Interviews werden die Aussagen der einzelnen
Befragten Kategorien zugeordnet (1, S. 180). Die Inhalte der Interviews erstreckten sich
neben einer Kurzbeschreibung des Betriebes über Fragen zu Motiven und Visionen der
Interviewten sowie Stärken, Schwächen, Chancen, Risiken und notwendige Unterstützungsmaßnahmen für regionale Produktketten aus Sicht der Interviewten.
Die Interviews wurden mit einem Digitalaufnahmegerät aufgezeichnet, zusätzlich wurden Stichworte handschriftlich notiert. Die Diskussionen im Rahmen der Workshops wurden handschriftlich protokolliert. Die Aufzeichnungen wurden transkribiert und anschließend mithilfe der qualitativen Inhaltsanalyse (10, S. 329 f.) sowie der Globalauswertung
von qualitativen Daten und der Inhaltsanalyse nach bernard (4, S. 505) ausgewertet. Für
die inhaltliche Gliederung und Strukturierung der Transkripte wurden die Interviewtexte
im Programm ATLAS.ti codiert.
Die Interviews fanden an den Arbeitsplätzen bzw. am Wohnort der Befragten statt und
dauerten zwischen 45 und 150 Minuten, durchschnittlich ca. zwei Stunden.
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Ruth Bartel-Kratochvil, Heidrun Leitner und Paul Axmann
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Ergebnisse
In den folgenden Abschnitten 5.1 bis 5.5 werden die Ergebnisse der Interviews interviewübergreifend dargestellt, um Ergebnisse aus den Workshops ergänzt und die getroffenen
Aussagen durch Zitate versinnbildlicht. Zitate werden kursiv hervorgehoben und mit der
anonymisierten Nummer der Interviewpartner (abgekürzt mit „IP“) bzw. der Seitenangabe
des Workshop-Protokolls (abgekürzt mit „WS“) versehen.
5.1
Stärken
Motive und Visionen der Akteure
Die starke regionale Orientierung in den Motiven und Visionen der Interviewten stellt eine
wesentliche Stärke der Unternehmer und somit der regionalen Produktketten dar. Diese
regionale Orientierung geht häufig einher mit einem hohen Ausmaß an Identifikation mit
der biologischen Wirtschaftsweise, einer Begeisterung für die handwerkliche Produktion,
einer besonderen Wertschätzung für Mensch und Natur und einer Ablehnung des globalen,
konventionellen bzw. industriellen Lebensmittelsystems. In den Worten eines Interviewpartners:
„Wir wollten ganz einfach zur ursprünglichen Landwirtschaft zurück. Für
mich – also mir hat das Unabhängigkeit gegeben. Ich will mich unabhängig
machen vom bestehenden Markt. Das ist mir ganz eine wichtige G’schicht
(IP6).“
Die starke Identifikation der Akteure mit oben genannten Wertvorstellungen und Idealen
bildet die Grundfesten ihrer Arbeit und schafft oft die nötige Ausdauer und das nötige
Durchhaltevermögen, um „weiter zu machen“.
Innovationsgeist
Eine weitere Stärke der Befragten besteht in einem ausgeprägten Innovationsgeist und in
einem starken Veränderungswillen. Die Bereitschaft, laufend neues Wissen zu erwerben
sowie die Motivation, mit diesem Wissen neue Marktnischen und neue Vermarktungswege aufzuspüren und in Form neuer Produkte umzusetzen, ist bei allen Interviewpartnern
festzustellen. Die Akteure erwerben nicht nur Wissen für den eigenen Betrieb, sondern
verbreiten es auch unter ihren Geschäftspartnern.
Produktqualität
Als grundlegende Voraussetzung für den Erfolg von regionalen Produkten wird eine hohe
Produktqualität angesehen und von allen Akteuren im Gespräch besonders hervorgehoben.
Vor allem die Bäcker betonen die große Bedeutung der Verwendung von hochwertigen
Ausgangsprodukten. Bei der Teigherstellung wird von allen befragten Bäckern das ganze,
aus biologischer Landwirtschaft stammende Korn tagesfrisch am Betrieb vermahlen; es
werden keine Fertigbackmischungen und keine Produktsubstitute (z. B. Margarine statt
Butter) verwendet. Auf die daraus resultierende Tagesfrische und den Gesundheitswert
der Produkte sind die Befragten besonders stolz. Um hohe Produktqualität zu erreichen,
werden vor allem traditionelle Produktionsverfahren gepaart mit handwerklichem Wissen
angewandt. So wird in einem Bäckerbetrieb die Ware ausschließlich im Holzofen gebacken, in einem anderen werden Brote ausschließlich aus Sauerteig gefertigt. Besonders
hervorzuheben ist bei vielen Betrieben ein hoher Anteil an Handarbeit.
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„Wir machen alles mit der Hand. Wir machen natürlich nur Natursauerteig, das ist eh klar. Bei uns wird alles händisch gemacht, wir haben so gut
wie keine Maschinen und machen nach wie vor alles mit dem Holzofen.
Und ich glaube, dass das ganz gut passt (IP2).“
Die erwähnten Verarbeitungsmethoden resultieren in einen unverwechselbaren Produktcharakter und verleihen den Produkten regionale Identität. Die Befragten sind sich einig,
dass sich ihre Produkte geschmacklich von der Supermarktware deutlich abheben und
dadurch einen „regionalen Geschmack“ hervorbringen. Bei vielen Interviewpartnern ist
dieses hohe Selbstbewusstsein nicht nur in Bezug auf die Produktqualität, sondern auch
in Bezug auf den Zusatznutzen, den sie damit verkaufen, festzustellen:
„Das Kosten- bzw. Preisargument blocke ich ab, auf das steig ich nicht ein.
Weil, ich verkaufe neben dem Produkt auch Gespräch und Flair, der Preisorientierte kommt gar nicht zu mir. Der Preis ist für die Kunden auch kein
Thema; der Vergleich mit Supermarktbrot geht gar nicht, weil bei mir kostet
teilweise die Verpackung mehr als das Supermarktbrot (WS I, S. 42).“
Das Spektrum innovativer Produkte weitet sich im Laufe der Produktkette und mit steigendem Veredelungsgrad. So können im landwirtschaftlichen Bereich (einzelne) spezielle
Getreidearten oder -sorten erzeugt werden. Von Mühlen wird zum Teil eine beachtliche
Anzahl an diversen Spezialmehlen oder Mehlmischungen angeboten. Für die Bäckereibetriebe ist das Betätigungsfeld noch größer: Hier kann der Kundenservice von Sondergebäckanfertigungen mit verschiedenen Saaten und Gewürzmischungen, über Spezialbrote und Konditorwaren für Allergiker oder vegane Produkte bis zum Party-Cracker oder
Schokokekse für Kalorienbewusste gehen.
Arbeitsqualität durch handwerkliche Produktion
Neben der Produktqualität sind die handwerkliche und traditionelle Produktion für die
Befragten vor allem auch für ihre persönliche Arbeitsqualität von zentraler Bedeutung. In
der handwerklichen Ausübung ist es möglich, den Lebensweg des Produktes vom Rohstoff
bis zum Endprodukt zu verfolgen und dadurch eine große Nähe zum Rohstoff, dessen
besondere Eigenschaften und dem daraus gefertigten Produkt zu erfahren. Dieses Wissen
bezieht sich nicht nur auf Rohstoffe und Zutaten, sondern auch auf die beteiligten Personen, was zur Entstehung eines umfassenden Know-hows über den gesamten Produktionsprozess führt. Der Umgang mit dem Rohstoff in der Verarbeitung wird von den Akteuren
als große Herausforderung gesehen, der sie sich mit Liebe und Begeisterung stellen.
„Diese Art von Arbeit, ich hab ja eine ganz andere Art als Lehrling kennen
gelernt, ist einfach erfüllender für einen Bäcker. Wenn man von Grund
auf das alles selber machen kann, also das Getreide ins Haus kriegt und
sehen kann, was für Unterschiede sind. Mit dem Bauern dann sprechen,
wieso ist das Getreide so und nächstes Jahr anders [::] Das weiß ja sonst
niemand, außer dem Bauern selber. Sonst hat niemand diese Informationen
und Erlebnisse, die sich dann in der Backstube ja widerspiegeln. Ich krieg
dann das Getreide und plötzlich kann ich mit dem nicht arbeiten und dann
versuche ich aber mit dem zu arbeiten. Durch diese Versuche tut man sich
praktisch im Bäckerwissen weiterbilden [::] Und jetzt kann ich sagen: Ich
kann mit einem jeden Getreide umgehen. Und das ist einfach umwerfend,
das bereichert derartig! Das kann man sich gar nicht vorstellen, das ist
dann so ein Glücksgefühl (IP1).“
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Qualität der sozialen Beziehungen zu den Geschäftspartnern
Sowohl der persönliche Kontakt der Geschäftspartner untereinander als auch zu den
Kunden wird von den Interviewpartnern einhellig als eine große Stärke bewertet, die die
regionalen Produktketten von der überregionalen unterscheiden.
Die Beziehung zu den Geschäftspartnern ist geprägt vom Wissen über das berufliche
und persönliche Umfeld des Gegenübers und dem Teilen ähnlicher Werte und Einstellungen. Die Interviewten bringen einander ein hohes Maß an gegenseitiger Wertschätzung
entgegen, woraus Solidarität, Loyalität, Kooperationsbereitschaft, Vertrauen, Transparenz
und ein Gefühl der Verbundenheit entstehen. Aus den Äußerungen der Befragten wird
deutlich, dass sie aus ihren geschäftlichen Beziehungen, dem Umgang mit „sympathischen, lieben und herzlichen“ Menschen, eine wesentliche Bereicherung erfahren. Für
die Unternehmer stellt die Anerkennung der Leistungen ihrer Kollegen häufig auch ein
positives Feedback für ihre eigene Arbeit und damit eine Bestätigung und Ermutigung zur
Verfolgung des eigenen Weges dar.
“Und wenn du siehst, wie wir mit den Biobauern alle in Kontakt sind und
was da für eine Herzlichkeit und für eine Menschlichkeit herrscht – das
ist unbezahlbar. Und wenn ich das Mehl von irgendeiner Mühle bekomme,
wo der das Getreide herein trägt – dem ist das wurscht. Und wenn wir uns
sehen – die Biobauern und ich – das ist so etwas Liebes. Und um das geht es
ja heutzutage. Um die Kommunikation. Das fehlt eh einem jeden (IP1).“
Die Interviewpartner unterscheiden deutlich zwischen ihren Geschäftspartnern in regionalen Produktketten und denen in der überregionalen Vermarktung z. B. via Supermarktketten:
„Vertrauen das funktioniert bei den Bauern. Mit denen geht das, aber bei
den größeren funktioniert das nicht mehr [::]. Mit großen Verarbeitern und
in großen Ketten spürt man eine andere Härte, da geht man den rationalen
Weg des Preises, um den man liefern muss. Ab einem gewissen Niveau steht
das Kapital an erster Stelle (WS I, S. 45 f.).“
Die genannten Charakteristika regionaler Produktketten münden auf einer praktischen
Ebene in eine größere Dauerhaftigkeit der Geschäftsbeziehungen sowie in eine einfachere,
flexiblere und unkonventionellere Abwicklung der Geschäfte. Diese zeichnet sich oft aus
durch häufige mündliche Absprachen, Naturalientausch, höhere Preise, die man zu zahlen
bereit ist, sowie einer persönlichen Qualitätskontrolle, die über standardisierte Verfahren
hinausgeht.
Qualität der sozialen Beziehungen zu den Kunden
Im Kontakt zu ihren Kunden sehen sich die Interviewpartner vor allem als Träger und
Vermittler von Informationen und Wertvorstellungen über gesunde vollwertige Ernährung,
die Philosophie, mit der sie regional und handwerklich arbeiten, sowie als Bindeglieder
zwischen Kunden und Produkt. Diese Aufklärungsarbeit ist den meisten der Befragten ein
großes Anliegen, in das sie Zeit und Energie zu stecken bereit sind.
Die eigenen Kunden werden von den Befragten als sehr kritische Menschen wahrgenommen, die wissen wollen, wer bzw. was hinter dem Produkt steht. Die Interviewpartner
betonen die Wichtigkeit der direkten positiven bzw. negativen Rückmeldungen seitens der
Kunden. Bei Zufriedenheit erfahren sie Anerkennung und Bestätigung für ihre Arbeit, bei
Kritik können sie flexibel und schnell reagieren.
Der persönliche Kontakt zwischen Unternehmern und Kunden schafft ein Vertrauensverhältnis, die Produkte erhalten eine Geschichte und Identität, Produktionsprozesse können transparent und authentisch dargestellt werden. Durch den persönlichen Kontakt können nicht nur die Unterschiede zu konventionellen bzw. industriell gefertigten Produkten
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kommuniziert, sondern neue Produkte auch einfach und kostengünstig beworben werden.
In manchen Fällen werden sogar neue Produkte mithilfe der Kunden entwickelt.
„In der Flexibilität, im persönlichen Kontakt zu meinen Kunden und in der
Schnelligkeit sehe ich die Stärken. Wir sind unter anderem darauf spezialisiert, für Allergiker zu arbeiten. Die Leute muss ich persönlich kennen,
sehen, hören. Die kommen von der Bioresonanz zu mir mit einer Liste, und
da steht drauf, was sie nicht essen dürfen und dann schauen wir, was wir im
Sortiment haben oder machen etwas speziell für den Kunden. Das ist eine
Maßanfertigung. Dieses Service kann ich nur regional anbieten (IP5).“
5.2
Schwächen
Mangelnder Rückhalt und fehlende Anerkennung
Zweifel und mangelnder Rückhalt in der Familie bei Neugründung, Übernahme oder
Umstellung des Betriebes erleben nahezu alle befragten Personen. Eltern raten von der
Betriebsübernahme ab und verweisen auf Jobs im öffentlichen Dienst. Betriebsleitende
Väter verkraften die Umstellung auf biologische Landwirtschaft oder andere strategischbetriebliche Veränderungen wie z. B. die Umstellung auf die ausschließliche Herstellung
von Vollkornprodukten in Bäckereien nicht.
„Sie haben nur gesagt, wenn du dich selbständig machst, dann bist du
verrückt. Mein Schwiegervater hatte ein Gewerbe, und er hat gesagt, alle,
die selbständig sind, sind Verrückte (IP2).“
Dazu kommt, so man erfolgreich ist, Neid und Missgunst in der jeweiligen Branche selbst.
Viele der Interviewten sprechen von anfangs fehlender Anerkennung ihrer Produkte in
ihrem unmittelbaren Umfeld und erlebten ihre erste Bestätigung durch Markterfolge
außerhalb der Region.
Probleme in Betriebswirtschaft und Unternehmensplanung
Die Betriebsleiter kleiner Betriebe sind in den meisten Fällen für alle Produktions- und
Geschäftsbereiche verantwortlich und müssen mit ihrem Fachwissen nicht nur die handwerklichen, sondern auch die kaufmännisch-organisatorischen Bereiche abdecken. Hier
ist ein großes Defizit festzustellen, das in der derzeitigen landwirtschaftlichen und handwerklichen Ausbildung nicht abgedeckt wird. Einige Betriebsleiter räumen ein, sowohl
zeitlich als auch fachlich überlastet zu sein.
„Und da liegen halt die Schwächen der Kleinen. Ich bin für alles zuständig.
Ich muss der Austria Bio-Garantie etwas schicken, das habe ich mir freiwillig auferlegt. Ich muss dem Finanzamt etwas erzählen können, ich muss von
den Personalgeschichten etwas erzählen können. Ich sollte EDV-Spezialist
sein, das sind ja alles Themen, wo man in den großen Firmen eigene Abteilungen hat. Das kommt halt bei einem Kleinen alles zusammen (IP5).“
Schwächen in der Unternehmensplanung werden zwar von den Interviewpartnern selbst
nicht dezidiert genannt, aber im Laufe der Gespräche deutlich. In einigen Unternehmen
wird keine Kostenrechnung geführt oder fehlt ein Businessplan. Dies hat zur Konsequenz,
dass Preise für Produkte eher auf Schätzungen denn auf konkreten Kalkulationen basieren
und unternehmerische Betätigungsfelder ausufern, anstatt fokussiert zu werden. Dies verschärft oftmals noch die Nachteile, denen kleine Unternehmen durch die aufgrund kleiner
Produktionsmengen nicht nutzbaren Skaleneffekte ausgesetzt sind. Die Stückkosten sind
im Vergleich zu großen Betrieben höher. Gleichzeitig ist der zwangsweise höhere Verkaufspreis der Produkte durch die Konkurrenz des großen Lebensmitteleinzelhandels und
die beschränkte Mehrpreisbereitschaft der Konsumenten nach oben hin begrenzt.
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Probleme in Marketing und Produktentwicklung
Im Marketing wird von den Betrieben oftmals vergleichsweise wenig auf die Unternehmensphilosophie, die als selbstverständlich und als Standard erachtet wird, hingewiesen.
Die Verwendung nachhaltiger Energieformen, die freiwillige Einhaltung höherer Produktionsstandards oder das Bemühen, regionale Produkte zu verwenden, werden häufig
kaum an die Öffentlichkeit bzw. die Kunden kommuniziert. Darüber hinaus beklagen die
Befragten einen zu kleinen Werbeetat und einen Mangel an Know-how im Bereich des
Marketing. Mangelnde finanzielle Ressourcen seien neben fehlender Zeit im Betriebsalltag
häufig der Grund, warum Ideen nicht weiter entwickelt werden könnten und Innovationen
im Bereich der Produktentwicklung somit oft auf der Strecke blieben.
Personal- und Fachkräftemangel
In den Interviews zeigt sich, dass zahlreiche Betriebsleiter unzufrieden mit der momentanen Personalsituation in der Branche sind. Vor allem im Bäckerhandwerk stehen – aufgrund der zunehmenden Industrialisierung der Branche – zu wenige Fachkräfte zur Verfügung. Neben dem Mangel an Fachkräften stellt oft deren unzureichende handwerkliche
Ausbildung ein Problem dar. Zudem scheint die Bäckerlehre für viele Jugendliche durch
die Nachtarbeitszeiten sehr unattraktiv zu sein. Manche Betriebsleiter bemängeln bei ihren
Mitarbeitern mangelnden handwerklichen Stolz und fehlendes Bewusstsein für die Qualität der von ihnen geleisteten Arbeit.
Hohe Lohnnebenkosten machten es kleineren Betrieben oft unmöglich, Personal einzustellen, obwohl es aufgrund des anfallenden Arbeitspensums durchaus notwendig wäre.
Dies führt neben der erwähnten hohen fachlichen Beanspruchung häufig zu einer extrem
hohen zeitlichen Arbeitsbelastung der Betriebsleiter.
„Was viel schwieriger war, als ich es mir je träumen hätte lassen, war, dass
man einen Mitarbeiterstock aufbaut. Es ist unvorstellbar, wie schwierig das
ist. Ich habe teilweise Geschäfte abgelehnt, weil ich keine Leute dazu hatte.
Also wirklich – Fachkräfte oder geschultes Personal in unserer Branche zu
finden ist fast unmöglich (IP5).“
Probleme in der Logistik
Als Schwachpunkt in regionalen Produktketten bezeichnen die Interviewpartner die
Logistik – sowohl beim Rohstoff- bzw. Zutatenbezug als auch bei der Distribution der
Endprodukte.
Vor allem der Bezug von regionalen Zutaten abseits der Hauptrohstoffe gestaltet sich
schwierig. Die Interviewpartner sind – abgesehen von Zutaten, die aufgrund klimatischer
Gegebenheiten regional nicht produziert werden können – grundsätzlich bemüht, so weit
wie möglich regionale Zutaten zu verarbeiten. Das Bemühen scheitert oft an der Tatsache,
dass die Zutaten nicht in ausreichender und gleich bleibender Qualität über das ganze Jahr
regional zur Verfügung gestellt werden können. Die Befragten attestieren dem österreichischen Biogroßhandel ein nur mangelhaftes Eingehen auf die Bedürfnisse kleinerer und
mittlerer Verarbeitungsbetriebe. So greifen die Betriebe häufig auf den deutschen Biogroßhandel zurück, der ein vollständiges Sortiment an Biorohstoffen und -zutaten anbietet.
„Für die Biobäcker gibt es in Österreich keinen Großhandel, weil der
Markt zu klein ist. Ich brauche Bioschokolade, 10 kg im Monat, da macht
keiner was, das legt sich auch keiner auf Lager. Leider muss ich vor allem
schwer zu bekommende Zutaten über den deutschen Großhandel beziehen
(IP5).“
Nicht nur beim Bezug von Rohstoffen und Zutaten, sondern auch bei der Distribution
der Endprodukte lässt sich das Prinzip der Regionalität nicht zur Gänze einhalten. Der
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Kundenstock für regionale Produkte ist im ländlichen Raum sehr klein, sodass sich die
Betriebe häufig dazu gezwungen sehen, ihre Produkte überregional abzusetzen, was ihrer
Einstellung zur Regionalität oft widerspricht. Insbesondere bei tagesfrischer Ware wie
Brot, Gebäck und Konditorware müssen die Verkaufsstellen jeden Tag mit oft verhältnismäßig kleinen Absatzmengen pro Verkaufsstelle angefahren werden, wodurch die räumliche Ausdehnung der Absatzregion v. a. aufgrund der entstehenden Kosten und dem großen
zeitlichen Aufwand begrenzt ist.
5.3
Chancen
Steigende Wertschätzung durch die Konsumenten
Die Interviewpartner orten eine zukünftig steigende Wertschätzung ihrer Produkte bei
den Konsumenten. Gründe dafür sehen sie in der höheren Produktqualität, der handwerklichen Verarbeitung, der Verwendung biologisch produzierter Zutaten sowie in der
Regionalität der Produkte. Die Hinwendung zu regionalen und saisonalen Produkten wird
nach Einschätzung der Befragten durch die gegenwärtig intensive mediale Diskussion zur
Klimaerwärmung und zur Reduzierung von Transportwegen unterstützt. Als Zielgruppen
für ihre Produkte sehen die Befragten gesundheitsbewusste Konsumenten, Eltern, junge,
ideell motivierte sowie kranke Menschen, die gezwungen sind, mehr auf ihre Ernährung
achten.
„Man hört ja überall, in den ganzen Gesundheitsberichten der Zeitungen
und durch die Reporter im Radio, es führt kein Weg vorbei an der gesunden
Ernährung. Das Brot ist einmal einer der Hauptfaktoren davon (IP9).“
Neue Vermarktungswege
Im städtischen Raum wird eine besondere Dichte der erwähnten Zielgruppen vermutet,
weshalb die Interviewpartner besondere Chancen in der überregionalen Vermarktung in
Ballungsräumen sehen.
Als weiter ausbaufähig wird die Vermarktung über den Biofachhandel gesehen. Dem
Biofachhandel wird zugetraut, Position und Image der verschwindenden Delikatessenund Feinkostläden einzunehmen und damit ein neues Zielpublikum anzuziehen. Unter
der Bedingung einer fairen Partnerschaft wird von manchen Akteuren auch der Weg in
den konventionellen Lebensmitteleinzelhandel als Möglichkeit zur Diversifizierung der
Absatzwege erwogen. Alternativen in der Vermarktung sehen einige Befragte in gemeinschaftlichen Vermarktungsorganisationen bzw. -kooperationen, die selbst für Verkaufsstandorte sorgen (z. B. als „Regio-Hüttl“ an wichtigen Straßen), oder aber auch im konventionellen Lebensmitteleinzelhandel (z. B. als „Regio-Regal“) Platz finden. Vorraussetzung
wäre, dass die einzelnen Partnerbetriebe der Kooperationen für die Konsumenten klar
erkenntlich bleiben, um den Erzeugnissen eine Persönlichkeit und Identität zu geben.
„Ich meine, Feinkostläden gibt es auch nicht mehr – und der Bioladen ist
unter Anführungszeichen der Feinkostladen von heute (IP2).“
5.4
Risiken
Mangelnde Innovationsbereitschaft in der Branche
Im Hinblick auf die Entwicklung regionaler Produktketten üben die Akteure Kritik an
ihren Branchenkollegen in der Region: Diese würden nicht über ihre momentane Situation
reflektieren und zeigten fehlendes Interesse sowie mangelnden Veränderungswillen für
regionale Innovationen zur zukünftigen Betriebsstandortsicherung. Darüber hinaus wür-
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den Konkurrenz statt Gemeinschaftsgedanken und mangelnde Kommunikationskultur die
Nutzung gemeinschaftlicher Innovationspotenziale verhindern. Anstelle von Innovationen
würden häufig bereits etablierte Ideen nachgeahmt werden und es würde mehr auf Masse
denn auf Qualität gesetzt. Ein Überangebot am Markt, uniforme Ware und sinkende Preise
seien das Ergebnis.
„Die Bäcker haben noch nicht kapiert, dass es nicht auf das Volumen
ankommt und auf das Aussehen, sondern dass es auf den Geschmack
ankommt (IP4).“
„Die Bauern sollen sich zumindest einmal die Frage stellen, wer braucht
denn das was ich anbaue? Ja, Beispiel: Biobauern – ein jeder baut Dinkel
an, obwohl wir eh schon keinen mehr brauchen (IP6).“
Konventionalisierter Biomarkt
Eines der größten Probleme für die Akteure in regionalen Bioproduktketten stellt ein
immer stärkerer „konventionalisierter“ Biomarkt dar (vgl. 40). Angesprochen wird von
den Befragten in diesem Zusammenhang der Preisdruck durch billige osteuropäische Biorohstoffe, der, so erwartet man, mittelfristig faire Preise für österreichische Erzeugnisse
erschweren wird. Was die beschriebenen Schwächen im Bereich der Logistik, sowohl
beim Rohstoff- bzw. Zutatenbezug als auch bei der Distribution der Endprodukte betrifft
(vgl. Abschn. 5.2), sind die Befragten zugleich Rädchen im Getriebe und Kritiker der
überregional funktionierenden Strukturen eines „konventionalisierten“ Biomarkts.
Die Rolle des konventionellen Lebensmitteleinzelhandels wird von den Interviewpartnern in zweierlei Hinsicht kritisch gesehen: Die Eigenschaften regionaler Produkte
werden von diesen Unternehmen oft in der Bewerbung ihrer eigenen, nicht-regionalen
Produkte verwendet. Dies führt zu einer Verunsicherung bzw. Blendung der Konsumenten und erschwert regionalen Unternehmern die Abgrenzung der eigenen Produkte zur
„Massenware“, das Unterstreichen ihrer besonderen Qualität sowie die Kommunikation
der damit verbundenen höheren Preise.
„In Wien gibt es ein paar Platzhirsche, die Wien zuplakatieren. Einer sagt,
er ist der größte Biobäcker Österreichs. Ist er ja auch. In seiner Dimension braucht er ja auch nur ein Weckerl, und er ist schon der größte. Das
von seinen 500 Artikeln 490 konventionell sind, das steht ja nicht auf dem
Plakat drauf (IP5).“
Die Kooperation mit dem Lebensmitteleinzelhandel als Absatzpartner kann nach Erfahrung der Interviewten schnell zu einer einseitigen Abhängigkeit führen. Ein besonderes
Gefahrenmoment dafür wird in einer geringen Diversität der Vermarktungswege seitens
des regionalen Kooperationspartners und damit einem hohen Ausmaß an Spezialisierung
auf die Bedürfnisse des großen Partners gesehen. Die für den Lebensmitteleinzelhandel
hergestellten Produkte sind meist uniform und daher leicht austauschbar, was Preisverhandlungen Tür und Tor öffnet. Dennoch sympathisieren die Befragten immer wieder mit
der Idee des Absatzes über den konventionellen Lebensmitteleinzelhandel bzw. schließen
ihn unter bestimmten Bedingungen nicht aus.
Bewusstsein der Konsumenten
Zwar vermuten die Befragten eine steigende Wertschätzung für regionale Produkte bei
einigen, v. a. städtischen Käuferschichten (vgl. Abschn. 5.3). Gleichzeitig wird fehlendes Bewusstsein für hochwertige Lebensmittel bei den Endverbrauchern v. a. in ländlichen Räumen festgestellt. Die Interviewpartner vermuten, dass weite Teile der ländlichen
Bevölkerung durch ihr Leben in einer „naturnahen“ Umwelt dem Trugschluss unterlägen,
dass die von ihnen konsumierten Güter ebenfalls „naturnahe“ und gesund wären. Weiter
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gehen die Befragten von einer fehlenden Akzeptanz für höhere Preise von regionalen
Produkten aus. Die mangelnde Bereitschaft, für mehr Qualität auch einen höheren Preis zu
bezahlen, kritisieren beinahe alle Interviewpartner nicht nur an den (ländlichen) Endverbrauchern, sondern auch am konventionellen Lebensmitteleinzelhandel, der öffentlichen
Gemeinschaftsverpflegung oder der Gastronomie und Hotellerie.
Als Kern allen Übels wird die mangelnde Aufklärung der Konsumenten über die tatsächlichen Kosten des Lebensmittelsystems (Kostenwahrheit), die Bedeutung des Verbleibs
der Wertschöpfung in der Region und die Wichtigkeit einer nachhaltigen Landwirtschaft
angesehen. Ferner sei die Wahrnehmung von Geschmacks- und Verarbeitungsqualität bei
den Konsumenten durch die Industrialisierung des Lebensmittelsystems nivelliert worden
bzw. die Wertschätzung dafür verloren gegangen.
„Es ist halt keine Kostenwahrheit da. Das Korn darf nichts kosten. Nichts
darf etwas kosten. Es darf die Semmel auch nichts kosten. Und dem Endverbraucher kann ich nicht einmal Schuld daran geben. Der weiß ja nicht
mehr, was etwas kosten kann oder kosten muss (IP2).“
Gesetzgebung und Politik
Die befragten Akteure sehen sich durch die Gesetzgebung teilweise benachteiligt und
durch die Politik in ihrem Handeln unzureichend unterstützt. Einige Befragte meinen, dass
strenge und komplizierte Vorschriften und Auflagen im Bereich der Lebensmittelverarbeitung die Erzeugung regionaler Produkte erschweren. Das wird besonders von den bäuerlichen Verarbeitern als Hemmschwelle gesehen, aber auch die handwerklichen Betriebe
fühlen sich mit ungerechtfertigt hohen Auflagen belastet.
„Mich nervt unheimlich, dass ich als Kleinstbetrieb mit denselben Maßstäben gemessen werde wie irgendein Konzern (IP1).“
Die gewährten Förderungen bei Unternehmensneugründungen werden von den Akteuren begrüßt, der Mangel an fehlenden Programmen zur fortlaufenden Unterstützung von
regionalen Betrieben jedoch beanstandet. Schlussendlich wird beobachtet, dass Kommunal-, Regional- und Landespolitik offiziell und nach außen hin Regionalität als Trend
unterstützen, in vielen Fällen allerdings Taten gesetzt werden, die dem entgegenstehen.
Dieses fehlende Bekenntnis zur Regionalität äußert sich nach Meinung der Befragten in
einem nur wenig regional orientierten bzw. mangelhaft umgesetzten regionalen Beschaffungswesen in öffentlichen Einrichtungen, wie Schulen, Krankenhäusern, etc. und im Fehlen entsprechender Projekte und Kampagnen.
5.5
Maßnahmen zur Unterstützung regionaler Betriebe und Produktketten
Die Interviewten nennen eine breite Palette an Forderungen zur Unterstützung regionaler
Betriebe und Produktketten, die häufig eher als Wünsche und Zielzustände denn als konkrete Maßnahmen formuliert worden. Diese sind auf betrieblicher und überbetrieblicher
Ebene angesiedelt und richten sich darüber hinaus an Politik und Verwaltung. Um weiterhin konkurrenzfähig zu bleiben, sehen die Befragten folgende Maßnahmen auf betrieblicher Ebene als viel versprechend an:
● Die stärkere Markt- und Kundenorientierung sowie Professionalisierung aufseiten der
landwirtschaftlichen Erzeuger,
● die weitere Spezialisierung und fortlaufende Steigerung der Produktqualität, um sich
von industriell gefertigter Ware abgrenzen zu können,
● die Steigerung der Effizienz und Wirtschaftlichkeit betrieblicher Abläufe in Produktion, Vermarktung, Logistik, Unternehmensplanung, etc.,
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● die weitere Verbesserung des Kundenservice (z. B. für Großkunden bzw. Wiederverkäufer: Ausdehnung der Bestellzeiten, keine Mindestabnahmemengen, verstärktes Eingehen auf Sonderwünsche),
● das Angebot von Betriebsbesichtigungen und Produktverkostungen sowohl für
Geschäftspartner als auch für Konsumenten.
Auf überbetrieblicher Ebene werden folgende Maßnahmen als wünschenswert erachtet:
● Die Bildung von Einkaufsgemeinschaften zur Kompensation fehlender Biogroßhandelsstrukturen, die auch die rasche Versorgung kleinerer Betriebe mit geringen Mengen
ermöglichen,
● die bessere Vernetzung und die Gründung von Kooperationen sowohl auf horizontaler
Ebene (d. h. innerhalb der Produktkette wie z. B. beim Rohstoffbezug, in der Vermarktung oder in Form von gemeinsamen Werbeauftritten) sowie auf vertikaler Ebene mit
anderen wirtschaftlichen Akteuren in der Region (z. B. mit Tourismus, Gastronomie),
● „öfter gmiatlich zsammen sitzen“ als Maßnahme zur Verbesserung des Kontakts zu
den Geschäftspartnern.
Von Standesvertretung, Verwaltung und Politik wünschen sich die Befragten:
● Ein breites Angebot an Beratung und Information zur Weiterbildung in den Bereichen
Öffentlichkeitsarbeit, Werbung, EDV, Unternehmensplanung und -führung sowie zur
Förderung von Kooperationen. Aus Sicht der Befragten fehlt es hier vor allem an
Unterstützung über die Phase der Betriebsgründung hinaus,
● die Förderung der regionalen Wirtschaft durch regionale Wirtschaftsplattformen,
regionale Entwicklungsprogramme sowie das Setzen von Anreizen durch Ausschreibungen,
● die verbesserte Aufbereitung und Zugänglichkeit von Informationen zu bereits bestehenden regionalen Initiativen, Beratungsangeboten und Fördermöglichkeiten,
● die Beauftragung von Marktforschungsstudien durch die öffentliche Hand oder die
Interessensvertretungen, die auf die Bedürfnisse von kleinen, handwerklich und
regional arbeitenden Betrieben zugeschnitten sind,
● Informations- und Aufklärungskampagnen für Konsumenten,
● steuerliche Begünstigungen für kleine, handwerklich und regional arbeitende
Betriebe,
● Initiativen durch die Standesvertretung (z. B. Fortbildungsangebote, Lobbying, Imagekampagnen),
● die Unterstützung durch andere regionale Wirtschaftstreibende – wie z. B. Gastronomie und Tourismus – durch den Kauf regionaler Produkte („Unterstützung durch
Gegenseitigkeit“),
● das eindeutige Bekenntnis zur Regionalität vonseiten der politischen Entscheidungsträger untermauert durch die Verwendung von regionalen Produkten in öffentlichen
Einrichtungen.
6
Diskussion
Die Ergebnisse dieser Arbeit decken sich über weite Strecken mit jenen Faktoren, die in
der Literatur für den Erfolg regional orientierter bzw. biologisch wirtschaftender Betriebe
entlang der Produktkette als maßgeblich erachtet werden. Dies gilt sowohl für die von
den Interviewpartnern genannten Stärken, die deren Erfolg begründen, als auch für die
erwähnten Schwächen, die deren Erfolg beschränken. Als größte Plusposition sind wohl
die Interviewpartner selbst anzuführen, die in ihren Betrieben und Produktketten Visionäre, Innovatoren, Schlüsselpersonen und Zugpferde sind. Sie verfügen über zahlreiche
Charakteristika, die solchen Akteuren in der Literatur zugeschrieben werden: Sie initi-
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ieren, motivieren und treiben Prozesse voran, sind engagiert, kreativ, ausdauernd, risikobereit, kommunikations- und teamfähig, haben Durchsetzungsvermögen und Überzeugungskraft (6; 13; 28; 37; 43). Besonders auffallend ist ihr, in der Literatur weniger oft
betontes, hohes Ausmaß an Eigenmotivation, das sie aus ihrer Liebe und Überzeugung
zu den Werten biologische Landwirtschaft, Regionalität und handwerkliche Produktion
ziehen. Auffallend ist auch die Vielzahl an positiven Beziehungen, die die interviewten
Akteure pflegen, sei es zu ihren Geschäftspartern oder Kunden. Es gelingt ihnen so, zum
einen die für ihren Erfolg mitverantwortlichen Win-Win-Situationen mit ihren Geschäftspartnern zu schaffen und zum anderen, soziale Netzwerke und strategische Allianzen zu
schließen (6; 13; 37; 38; 43; 45; 47; 54).
Eine weitere Stärke, die auch in der Literatur – als Erfolgsfaktor insbesondere im
Bereich des Marketings – hervorgehoben wird, sind die Produkte, die die Interviewpartner herstellen: Diese zeichnen sich durch hohe Qualität und Einzigartigkeit aus, sind mit
Zusatznutzen (biologisch, regional, handwerklich) ausgestattet und werden flexibel und
an den Wünschen der Kunden orientiert weiterentwickelt (24; 25; 28; 37; 38; 45; 47).
Dadurch gelingt es den Unternehmern, sich vom Massenmarkt abzuheben und entsprechende Premiumpreise zu erzielen (22; 23).
Während also Produkt- und Preispolitik beim überwiegenden Teil der interviewten
Betriebsleiter zu den Stärken zählen, sind in den beiden anderen Bereichen des MarketingMix, Kommunikation und Distribution, häufiger Schwächen anzutreffen. Dabei dürfte es
sich um „systemische“ Schwächen kleiner Unternehmen bzw. biologisch wirtschaftender
Verarbeitungsbetriebe handeln: Das aufgrund der kleinen Unternehmensgröße sehr eingeschränkte Werbeetat macht es für die Betriebe einerseits notwendig, auf andere kommunikationspolitische Maßnahmen mit vorwiegend persönlichem Kundenkontakt zurückzugreifen, andererseits müssen sie dadurch auf die Erschließung überregionaler Märkte bzw.
Kundenschichten verzichten (20; 23; 45; 47). Darüber hinaus haben kleine Unternehmen
generell mit unzureichenden Ressourcen – neben finanziellen Mitteln ist hier v. a. die fachliche und zeitliche Beanspruchung der Betriebsleiter ins Treffen zu führen – zu kämpfen.
Dass fachlich gut qualifizierte und motivierte Mitarbeiter schwer zu finden sind, kann
diese Situation zusätzlich noch verschärfen (20; 28; 37; 55).
Über Probleme in der sowohl beschaffungs- als auch absatzseitigen Logistik klagen
nicht nur die Interviewpartner, sondern auch andere kleine und mittlere Unternehmer der
österreichischen Bioszene (z. B. im Biofachhandel, 55; oder in der Gastronomie, 11).
Der Vergleich der Ergebnisse dieser Arbeit mit der Literatur zeigt, dass die internen
Stärken und Schwächen einen für kleine, regional orientierte Betriebe bzw. Produktketten
tendenziell verallgemeinerbaren Charakter zu haben scheinen. Dies mag zum einen damit
zusammenhängen, dass in der analysierten Literatur wie in Kapitel 2 erwähnt Konzentration, auf interne Erfolgsfaktoren vorzufinden ist. Zum anderen ist aber der von gleirscher
(22) genannte Umstand ins Treffen zu führen, dass die Umfeldbedingungen der einzelnen
Akteure sehr spezifisch und unterschiedlich sein können. Die von den Interviewpartnern
genannten externen Chancen und Risiken sind daher in geringerem Ausmaß verallgemeinerbar und finden sich v. a. in den spezifischeren SWOT-Analysen zum regionalen
Biomarkt wieder: Zu den zukünftig zu erwartenden Chancen zählen hier v. a. die Erschließung neuer Käuferschichten und das vermehrte Eingehen von Kooperationen (vgl. 11; 55).
Was die Risiken für eine zukünftige positive Entwicklung betrifft, so stimmen Interviewpartner und Literatur in folgenden Punkten überein: Der mangelnde Kooperationswille
potenzieller Verbundpartner, das mangelnde Interesse der Konsumenten, Konzentration,
Globalisierung und drohende Konventionalisierung des Biosektors und die fehlende positive Einstellung politischer Entscheidungsträger werden als beschränkend eingeschätzt
(vgl. 6; 11; 17; 55).
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Was die Maßnahmen zur Unterstützung regionaler Betriebe und Produktketten betrifft,
so werden, ebenso wie von den Interviewpartnern, auch von gothe und schöne (23),
schmid und sanders (45), synergie (52) sowie wimmer (55) eine Weiterentwicklung und
Professionalisierung in den Bereichen Produktqualität, Kommunikationspolitik (Werbung,
Öffentlichkeitsarbeit) und Kooperation hervorgehoben. Interessant ist auch, dass sich die
Erwartungen, die in der Literatur an Interessensvertretung und Politik genannt werden,
über weite Strecken mit den Forderungen der Befragten decken.
Die Rolle, die die biologische Landwirtschaft für den Erfolg der Interviewpartner spielt,
ist zweischneidig: Zum einen spiegelt sich der Faktor „Bio“ recht dominant in den Stärken (Motive, Visionen, Produktqualität) und Chancen (Erschließung neuer Käuferschichten, neue Vermarktungswege), die die Befragten wahrnehmen, wider. Dem stehen aber
auch einige zukünftige Risiken gegenüber, die ihre Wurzeln ebenfalls in der biologischen
Wirtschaftsweise haben, wie z. B. die Kritik der Akteure am heimischen Biogroßhandel, am „konventionalisierten“ Biomarkt und am mangelnden Konsumentenbewusstsein.
Vor diesem Hintergrund fällt auf, dass die Befragten keinerlei Handlungsaufforderungen
formulieren, die an die Bioverbände adressiert sind, wie das z. B. bartel-kratochvil,
schermer (2), gothe, schöne (23) oder kullmann (35) tun. Dies mag unter Umständen
daran liegen, dass viele der befragten Akteure nicht Landwirte sind und sich deshalb durch
die Bioverbände gar nicht erst vertreten fühlen. Tatsächlich ist hier auch ein Defizit in der
österreichischen Bioverbands-Landschaft festzustellen, in der zwar Ansprechpartner für
große Verarbeitungsbetriebe zu finden sind, das Lobbying für kleine, regional orientierte,
handwerkliche Betriebe aber weitgehend fehlt. Dies kann als Indikator dafür interpretiert
werden, dass die Anbauverbände wenig offensiv und konsequent für regionale (Vermarktungs-)Lösungen eintreten (vgl. 23). Auch wäre ein strategischer Schulterschluss zwischen
den bisher weitgehend unabhängig voneinander funktionierenden Netzwerken der biologischen Landwirtschaft und Regionalentwicklung wünschenswert (vgl. 2; 35).
7
Schlussfolgerungen
Die hier untersuchten regionalen Produktketten zeichnen sich durch eine Vielzahl von
Stärken aus, wobei die größten davon die Unternehmer selbst, ihre Motive und Visionen,
sowie die von ihnen hergestellten Produkte und die von ihnen unterhaltenen Beziehungen
zu ihren Geschäftspartnern und Kunden sind. Den positiven Seiten stehen Schwächen
gegenüber, die – wie die Stärken auch – typisch für kleine, handwerklich und regional
orientierte Betriebe zu sein scheinen. Die damit oft prekäre innerbetriebliche Situation
trifft mit einem nicht immer einfachen Umfeld zusammen. Zwar werden in der steigenden Wertschätzung durch die Konsumenten und in neuen Vermarktungswegen zukünftige
Chancen ausgemacht, denen aber auch zahlreiche Risiken entgegenstehen. Dem in der
Literatur häufig betonten, dominanten Stellenwert der internen Stärken und Schwächen
für den Erfolg kann hier nicht Folge geleistet werden. Mindestens ebenso bestimmend
für den Erfolg der Befragten scheinen die externen, von den Akteuren nicht beeinflussbaren Umfeldbedingungen zu sein. Daraus resultieren viele Handlungsempfehlungen und
-aufforderungen mit dem Ziel einer positiven Beeinflussung und Gestaltung der Rahmenbedingungen, denen kleine, regional orientierte, handwerkliche Betriebe unterworfen
sind. Zwar sind die regionalen Akteure auf betrieblicher Ebene und entlang der Produktkette aufgerufen, durch das Setzen entsprechender Maßnahmen selbst einen Beitrag zum
Ausbau ihrer Stärken und Behebung ihrer Schwächen zu leisten. Die Gestaltung des sie
maßgeblich beeinflussenden Umfelds ist allerdings v. a. Aufgabe der Politik, will sie regionale Produktketten nicht nur ein Nischendasein fristen lassen, sondern zu entsprechender
Breitenwirksamkeit auf dem Weg zu einer nachhaltigen Entwicklung verhelfen.
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Zusammenfassung
Der vorliegende Beitrag geht der Frage nach, was regionale Produktketten – Produktketten, in denen
zwischen den Akteuren (Landwirte, Verarbeiter, Vermarkter, Konsumenten) räumliche Nähe besteht
– und die beteiligten regionalen Akteure erfolgreich macht bzw. was ihren Erfolg beschränkt; wo ihre
Stärken, Schwächen, Chancen und Risiken liegen und durch welche Maßnahmen sie unterstützt
werden könnten. Zur Beantwortung der Forschungsfrage werden im österreichischen Bundesland
Niederösterreich Interviews und Workshops mit Akteuren regionaler Produktketten durchgeführt, die
nach den Richtlinien der biologischen Landwirtschaft wirtschaften und Brotgetreide erzeugen, verarbeiten bzw. vermarkten. Die Ergebnisse zeigen, dass zu den größten Stärken der untersuchten
regionalen Produktketten die interviewten Unternehmer selbst, deren Motive und Visionen, die von
ihnen hergestellten Produkte und die von ihnen unterhaltenen Beziehungen zu ihren Geschäftspartnern und Kunden zählen. Den positiven Seiten stehen Schwächen in Betriebswirtschaft, Unternehmensplanung, Marketing und Produktentwicklung, Personal- und Fachkräftemangel sowie Logistik
gegenüber. Der Vergleich mit der Literatur zeigt, dass sowohl die von den Interviewpartnern
genannten Stärken als auch die Schwächen typisch für kleine, handwerklich und regional orientierte
Betriebe zu sein scheinen. Die von den Interviewpartnern genannten externen Chancen (steigende
Wertschätzung durch städtische Konsumenten, Erschließung neuer Vermarktungswege) und Risiken
(mangelnde Innovationsbereitschaft, konventionalisierter Biomarkt, mangelndes Konsumentenbewusstsein in ländlichen Gebieten, mangelnde Unterstützung durch Gesetzgebung und Politik) sind
hingegen in geringerem Ausmaß verallgemeinerbar; sie betreffen v. a. den regionalen Biomarkt.
Neben Maßnahmen, die die Befragten auf betrieblicher und überbetrieblicher Ebene selbst zu setzen
haben, um weiterhin erfolgreich zu sein, liegt es daher v. a. an Verwaltung und Politik, durch die
Gestaltung der Rahmenbedingungen regionalen Produktketten zu einer entsprechenden Breitenwirksamkeit zu verhelfen.
Summary
Success in local supply chains for organic products
– strengths, weaknesses, opportunities and risks for local supply chains for
organic cereals and bread
The aim of this paper is to explore the success as well as the strengths, weaknesses, opportunities
and risks for local food supply chains. A study from the province of Lower Austria in Austria, where
organically certified cereals and bread are produced, processed and marketed locally serves to illuminate these issues. The interviewees themselves, their motives and visions, their products and their
social relationships with their business partners and customers are the biggest strengths of the local
food supply chains studied. These strengths are contrasted by weaknesses in the realm of business
management, planning, marketing, product development, logistics and a shortage of skilled staff.
The internal strengths and weaknesses found in this study seem to be typical for small, artisan and
regionally operating enterprises, whereas the external opportunities and threats appear to be of a less
general nature. Opportunities (being held in increasing esteem by urban consumers, exploitation of
new distribution channels) as well as threats (a lack of willingness to innovate, a lack of appreciation
by rural consumers, a conventionalised organic market, a lack of support by legislation and politics)
are strongly related to the local organic market. Measures to support local food supply chains have
to be taken by the actors in local food supply chains themselves but particularly by politics and
administration.
Résumé
Les facteurs de succès des chaînes régionales de produits biologiques
– les forces, les points faibles, les chances et les risques des chaînes régionales de céréales
panifiables biologiques en Basse-Autriche (AT)
Cette étude examine les facteurs assurant le succès des chaînes de produits régionales et des acteurs
régionaux concernés ainsi que leurs forces et points faibles, leurs chances et risques. Dans ce but, en
Autriche, dans le Land de Basse-Autriche, des sondages sont réalisées et des ateliers sont organisés
pour les acteurs de chaînes de produits régionales qui produisent, transforment et commercialisent
des céréales panifiables conformément aux règles de l’agriculture biologique. Il en résulte que ce sont
les personnes interrogées elles-mêmes, leurs motivation et visions, les produits élaborés par elles,
leurs contacts étroits avec les partenaires commerciaux et les clients qui représentent les plus grandes
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forces de ces chaînes de produits régionales. À ces éléments positifs s’opposent des insuffisances sur
le plan de l’économie d’entreprise, de la planification, du marketing et du développement de produits ainsi qu’un manque de personnel et de main-d’oeuvre qualifiée et une logistique insuffisante.
La comparaison avec la documentation scientifique pertinente montre que les forces et les points
faibles énumérés par les personnes interrogées semblent être typiques pour les petites entreprises
artisanales et régionales. Les chances (renommée croissante auprès des consommateurs urbaines,
mise en exploitation de nouveaux circuits de commercialisation) et les risques externes (trop peu de
sens d’innovation, conventionnalisme du marché biologique, sensibilisation insuffisante des consommateurs dans les régions rurales, manque de soutien par la législation et la politique) dont ont parlé
les personnes interrogées, par contre, ne peuvent pas être tout simplement généralisés; ils concernent
avant tout le marché biologique régional. En plus des mesures devant être réalisées par les personnes
concernées elles-mêmes au niveau de leur entreprise individuelle afin de poursuivre leurs activités
avec succès, c’est notamment à l’administration publique et aux hommes politiques de soutenir les
chaînes de produits régionales en créant les conditions de base adéquates.
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Dank
Wir danken allen Beteiligten für Ihr Engagement sowie den Ländern Niederösterreich und Tirol
für die finanzielle Unterstützung der Forschungsvorhaben! Weiterhin danken wir Ao. Univ. Prof.
christian r. vogl und Dipl.-Ing. Julia kaliwoda für wertvolle Anregungen zu älteren Versionen
dieses Manuskripts.
Autorenanschrift: Dipl.-Ing. Dr. ruth bartel-kratochvil und Mag. paul axmann, Universität für
Bodenkultur, Department für Nachhaltige Agrarsysteme, Institut für Ökologischen
Landbau, Gregor Mendelstr. 33, 1180 Wien, Österreich
[email protected]
[email protected]
Dipl.-Ing. heidrun leitner, Ökosoziales Forum Österreich, Franz Josefs-Kai 13,
A 1010 Wien, Österreich
[email protected]
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Auswirkung der Internationalisierung des Lebensmittel­
einzelhandels auf die Agrar­ und Ernährungswirtschaft
Von Jon h. hanf, kathrin krückemeier, Halle (Saale) und c-hennig hanf, Kiel
1
Einleitung
Betrachtet man die Entwicklung der letzen Jahre im deutschen Lebensmitteleinzelhandel
ist ein deutlicher Strukturwandel erkennbar. Dieser Strukturwandel äußert sich in Konzentrationsprozessen, das heißt eine sinkende Anzahl an Unternehmen bei gleichzeitig
wachsender Betriebsgröße, und einem Betriebsformenwandel, d. h. es findet zunehmende
Ausdifferenzierung von Betriebsformen statt (14). Diese Veränderungen haben auch Auswirkungen auf die Wachstumsstrategien der Handelsunternehmen. War es vor 25 Jahren
noch üblich im Lebensmitteleinzelhandel (LEH) nur national tätig zu sein, lässt heute
bereits der Name vieler Unternehmungen, z. B. METRO Group, eine gewisse Internationalität vermuten. Waren Einzelhandelsunternehmen stets national handelnd sind nun
multinationale Gruppen daraus geworden. Betrachtet man diese Veränderungen, so muss
man annehmen, dass der globale Konzentrationsprozess des Einzelhandels erhebliche
Auswirkungen auf die Ernährungsindustrie heute oder in naher Zukunft haben wird.
Das Ziel dieses Artikels lässt sich aus der Problemstellung herleiten. In diesem Artikel
möchten wir die Internationalisierung des Lebensmitteleinzelhandels skizzieren. Des Weiteren wollen wir hierauf aufbauend mögliche Auswirkungen für die Beteiligten der Agrarund Ernährungswirtschaft aufzeigen. Um diese Fragen zu beantworten werden wir wie
folgt vorgehen. In Kapitel 2 wird kurz der Globalisierungsprozess des LEH dargestellt. Es
werden Gründe für die verstärkte Internationalisierung des Lebensmittelhandels innerhalb
der letzen 15 Jahre genannt. Außerdem werden wir auf die Marktentwicklung in Deutschland kurz eingehen, insbesondere den Konzentrationsprozess. Des Weiteren weisen wir
im Kapitel 2 auf die wichtigsten Entwicklungstendenzen in den Handelsunternehmen hin,
wie der Einsatz von Handelsmarken oder der Ausbau kooperativer Managementsysteme,
die sich als Folge der Konzentration und Internationalisierung wesentlich verstärken. Die
Konsequenzen, die sich daraus für die Landwirtschaft, die Ernährungsindustrie und die
Verbraucher ergeben, diskutieren wir dann im 3. Kapitel. Abschließend wird in Kapitel 4
ein Fazit gezogen.
2
2.1
Die Internationalisierung des LEH
Ursachen und Anstöße zur globalen Expansion
Noch nicht einmal vor 20 Jahren betrachtete man den Lebensmitteleinzelhandel als
ein rein nationales Geschäft. Doch seit dieser Zeit hat sich einiges gewandelt, sodass
heute die Händler signifikante Erlöse im Ausland erzielen. Wal Mart hat 1991 sein erstes
Geschäft außerhalb der Vereinigten Staaten eröffnet, Carrefour hat 1989 sein internationales Geschäft in Taiwan gestartet. Die METRO hat die im Ausland erzielten Umsätze
kontinuierlich von 5 % im Jahre 1987 auf über 37 % im Jahre 1999 und im Jahr 2007 auf
bis zu 59,1 % gesteigert. REWE machte 1990 erste Auslandserfahrungen in Italien und
U.S. Copyright Clearance Center Code Statement:
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Jon H. Hanf, Kathrin Krückemeier und C-Hennig Hanf
ist seit 1996 durch die Übernahme der Billa Märkte in Österreich am Markt aktiv und
dort die Nummer 1 im österreichischen LEH, mit einem Umsatz von 5,58 Mrd. € (16).
Betrachtet man die derzeit 200 größten Lebensmitteleinzelhändler wird ersichtlich, dass
heute fast alle Händler als multinational angesehen werden können (2). Als Einschränkung
muss angemerkt werden, dass die Majorität der Auslandsgeschäfte in Ländern etabliert
wurden, welche dem Heimatland angrenzen oder in der geografischen Nähe liegen. Dies
soll nicht ausschließen, dass die Händler auch in Ländern aktiv sind, welche eine große
Distanz zum Heimatmarkt aufweisen. Als Beispiele sind die Handelskette Tengelmann,
die seit 1979 oder die ALDI Gruppe, die bereits seit 1976 in den USA operieren, zu nennen. Die METRO Gruppe ist aktuell in sechs Ländern außerhalb Europa tätig und plant
bereits den Einstieg in zwei weitere Länder, Ägypten und Kasachstan (8). Betrachtet man
die Tabelle 1, so wird ersichtlich, dass diese Beobachtungen vor allem auf den deutschen
LEH zutreffen. Eine Ausnahme bildet hierbei die Genossenschaft EDEKA, welche zwar
zeitweise in bis zu 6 Ländern außerhalb Deutschlands aktiv war, sich aber aufgrund von
Schwierigkeiten bei der Implementierbarkeit des Format EDEKA auf die anderen Märkte
bereits aus diesen Ländern wieder zurückgezogen hat, lediglich an EDEKA Dänemark
ist die Gruppe noch zu 33 % beteiligt. Im Geschäftsbericht 2006 kündigte die EDEKA
Gruppe, die Konzentration auf das Kerngeschäft in Deutschland an, da sie sich aufgrund
ihrer genossenschaftlichen Satzung primär den inländischen Mitgliedern verpflichtet
fühlt.
Betrachtet man nun diesen Wandel, der sich seit knapp 20 Jahren vollzogen hat, so
fragt man sich welche Gründe es hierfür gegeben hat. Als ersten Grund sehen wir die
hohe Wettbewerbskonzentration auf den Heimatmärkten. Während noch 1975 die Monopolkommission die Ansicht vertrat, dass der damalig erreichte Konzentrationsgrad zu
keinerlei Bedenken Anlass gebe, beschleunigte sich der Konzentrationsprozess in den
1980er-Jahren in der Art, dass sich schon 1990 ein Marktanteil der zehn größten Lebensmittelhändler von etwa 65 % ergab. Mittlerweile liegt der Marktanteil bei ca. 86,68 % (1).
Der hohe Marktanteil bedingt, dass ein weiteres Wachstum der Unternehmen im eigenen
Land erschwert wurde oder ließ zumindest die Wachstumsgrenzen erkennen. Das jüngste
Beispiel eines in den Fokus der Kartellbehörden geratenen Wachstums, war die geplante
Schaffung eines neuen Discount-Riesen aus den konkurrierenden Ketten NETTO und
Plus, durch EDEKA, den Marktführer, im deutschen LEH und Tengelmann der Nummer 5. Das Bundeskartellamt genehmigte diese Fusion nur unter zusätzlichen Bedingungen, da mittlerweile rund 70 % des inländischen Marktvolumens auf die Top 5 im LEH
entfallen. Eine geplante Beschaffungsallianz wurde vom Kartellamt gleich abgelehnt,
da diese sonst eine marktbeherrschende Stellung auf der Nachfragerseite eingenommen
hätte (10). Einen Ausweg aus den im Inland gesetzten Wachstumsgrenzen stellt die Auslandsinvestition dar. Diese Investitionen boten den großen Unternehmen der Branche die
Möglichkeit zu wachsen, ohne mit den Monopolbestimmungen in Konflikt zu geraten
(4, S. 185). Die A. C. Nielsen verweist darauf, dass in fast allen europäischen Ländern
die drei größten Handelsorganisationen über 50 % Marktanteil am LEH verfügen. Wenn
man dagegen Westeuropa als einheitliches Wirtschaftsgebiet betrachtet, dann ergibt sich
ein Konzentrationsgrad von weniger als 15 %, sodass es noch einige Jahre dauern wird
bis ein Marktanteil von 50 % erreicht wird. george (5, S. 139) kommt in einer empirischen Untersuchung zur Internationalisierung des Einzelhandels zu dem Ergebnis, dass
die Hauptantriebskräfte für die Internationalisierung „hoher Wettbewerbsdruck, stagnierende Heimatmärkte und rechtliche Restriktionen im Heimatmarkt“ sind. Des Weiteren
haben auch unternehmensinterne Motive bei der Internationalisierung Relevanz, wie die
Risikostreuung durch ein agieren auf unterschiedlichen Märkten, meist mit dem gleichen
Handelskonzept, aber oftmals unter anderem Namen. Als Beispiele sind die REWE Group
anzuführen, welche im Osteuropäischen Ausland unter dem Namen Billa tätig ist, oder
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Tabelle 1. Das deutsche Lebensmitteleinzelhandelsgeschäft
Handels­
gruppe
METRO
Gruppe
Umsätze in
Mrd. € 2007
64,3
ALDI
40,0
REWE
45,10
EDEKA
SchwarzGruppe
37,83
50,0
Tengelmann
25,46
Anteil der Aus­ Länder
landserlöse
59,1
Belgien, Bulgarien, Dänemark,
Italien, Frankreich, Griechenland,
Großbritannien,, Österreich, Polen,
Portugal, Rumänien, Schweden, Slowakei, Indien, Spanien, Tschechien,
Ungarn, Moldawien, Japan, Russland, Schweiz, Serbien, Ukraine,
Türkei, China, Marokko, Pakistan,
Vietnam, Niederlande, Kroatien
39,3
Großbritannien, Irland, Österreich,
Polen, Ungarn, Slowenien, Belgien,
Niederlande, Dänemark, Spanien,
Frankreich, Portugal, Luxemburg,
USA, Schweiz, Australien,
37,4
Österreich, Frankreich, Bulgarien,
Italien, Polen, Tschechien, Ungarn,
Rumänien, Slowakei, Lettland,
Litauen, Schweiz, Ukraine, Kroatien,
Russland
5,7
Dänemark
48,8
Belgien, Finnland, Großbritannien,
Irland, Polen, Spanien, Zypern,
Bulgarien, Dänemark, Kroatien,
Frankreich, Niederlande, Portugal,
Slowakei, Malta, Tschechien, Ungarn, Italien, Schweden, Slowenien,
Griechenland, Österreich, Rumänien,
Schweiz
43,6
Polen, Rumänien, Österreich, Italien,
Ungarn, Slowenien, Tschechien,
Kroatien, Schweiz, Bosnien-Herzegowina, Russland, USA
Quelle: eigene Darstellung (nach 2)
Tengelmann, der seit seinem Markteintritt in den USA dort unter dem Namen A&P operiert. Als einen weiteren wichtigen unternehmensinternen Grund wären die im Ausland
signifikant höheren Wachstumsraten zu nennen. Während fast alle großen Handelskonzerne in Deutschland stagnierende Umsätze aufweisen, kann das Auslandsgeschäft mit
Wachstumsraten von nicht selten über 10 % aufwarten. So kann die METRO Group einen
jährlichen Zuwachs in Höhe von durchschnittlich circa 11 % ab dem Jahr 2000 verbuchen.
pütz (14, S. 27) sieht als weiteren Grund für die Internationalisierung auch die Erzielung
von economies of scale, welche zu einer Erhöhung der Verhandlungsmacht gegenüber
den Herstellern führen. Weiterhin kann als Grund für die Internationalisierung angesehen
werden, dass sich durch den Zusammenbruch der zentralen Planwirtschaft in den Ländern
Mittel- und Osteuropa und dem damit verbundenen Übergang zur Marktwirtschaft dem
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LEH zahlreiche Möglichkeiten boten zu investieren und sich in diesen Märkten, denen
man gemeinhin ein hohes Entwicklungspotenzial zutraute, zu etablieren. Der nun mögliche freie Verkehr von Waren, Dienstleistungen und Kapital erleichterte den Markteintritt
zusätzlich (14, S. 26). Bei einer Befragung von 27 Schweizer LEH gaben 23 an, dass der
Auslöser ihres Engagements die Attraktivität des Ziellandes war (15, S. 151).
Als einen weiteren Grund führen wir an, dass durch die Finanzkrise in Südostasien es
europäischen und amerikanischen Konzernen erleichtert wurde, dort Fuß zu fassen. Dies
war auch deswegen attraktiv, weil man sich bei einer Öffnung Chinas Vorteile von einer
Präsenz in dem Kulturraum versprach (11, S. 40).
Zusammengefasst kann gesagt werden, dass trotz der vielfältigen und starken Anreize
zur Internationalisierung dies noch ein sehr junges Phänomen ist, und sich für viele Handelsunternehmen noch im Versuchsstadium befindet. Ein Blick auf die größten Handelskonzerne bestätigt diese Einschätzung, zeigt aber gleichzeitig mit welcher Dynamik die
Internationalisierung fortschreitet. Betrachtet man diese Entwicklung bei der METRO
Group, sieht man eine verstärkte Expansion in ausländische Märkte ab dem Jahr 1990. Bis
zum jetzigen Zeitpunkt erfolgte die Erschließung von mindestens einem neuen Land pro
Jahr, oftmals sogar von zwei Ländern im Jahr. Diese Expansionsstrategie ließ die Anzahl
der Länderaktivitäten außerhalb Deutschlands, von 9 im Jahr 1990 auf 30 im Jahr 2008
anwachsen. Wenn man sich diese Entwicklung vor Augen führt, wird es überdeutlich klar,
warum die Manager der Ernährungsindustrie die Globalisierung des LEH als die derzeit
spannendste Frage einordnen.
2.2 Veränderungen im LEH im Zuge der Globalisierung
Die Internationalisierung des Lebensmitteleinzelhandels hat nicht nur Einfluss auf die
Größe und den Umsatz der betreffenden Handelskonzerne, sondern auch deren Organisation, Verhalten und Stellung im Markt. Die mit der Globalisierung einhergehenden
Veränderungen betreffen dabei sowohl die Beschaffungs- als auch die Angebotsseite. Man
kann mindestens vier Trends in den Unternehmensstrategien erkennen, die durch globales
Wachstum intensiviert wurden:
● „Global sourcing“: zunehmende Internationalisierung des Wareneinkaufs
● „Multifarious supply“: vielfältigeres Angebot
● „Supply chain management“: Ausbau kooperativer Managementsysteme
● „Retail branding“: vermehrter Einsatz von Handelsmarken.
Erhebliche Fortschritte in den WTO Verhandlungen insbesondere bezüglich der Qualitätsund Sicherheitsstandards bei Lebensmitteln erleichtern die internationale Beschaffung von
Halbfertig- und Fertigprodukten (3, S. 28), sodass heutzutage eine weltweite Beschaffung
der notwendigen Betriebsmittel und Handelsgüter erfolgt. Dieses versteht man gemeinhin als „global sourcing“. Obwohl der LEH schon immer einen Teil seiner im Inland
angebotenen Waren vom Ausland bezogen hat, spielte er traditionell dabei eine überwiegend passive Rolle. Spezialisierte Importeure bzw. Exporteure boten die Waren dem
LEH an, der diese dann in sein Produktangebot übernahm. Der Begriff „global sourcing“
beinhaltet aber eine größere, aktive Rolle. lingenfelder (11, S. 174) betont, dass „global
sourcing“ ein strategischer Begriff ist und nicht nur das einfache Einkaufen auf internationalen Märkten bezeichnet. Wenn „global sourcing“ als strategische Option aufgefasst
wird, vermag es einen Beitrag zur betrieblichen Wertschöpfung zu leisten, der über das
Kostensenkungspotenzial hinausgeht. „Global sourcing“ kann dazu beitragen, dass Konsumtrends, Qualitätsdifferenzierungen und sich abzeichnende Verbrauchsnischen früher
erkannt und schneller besetzt werden.
Ein vielfältiges und abwechslungsreiches Warenangebot („multifarious supply“) ist
eine strategische Voraussetzung für jedes LEH, das sich außerhalb des Discountbereiches
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etablieren will. Handelsbetriebe mit globaler Beschaffung verstärken ihre Variationsmöglichkeiten in der Zusammensetzung ihres Sortiments. Eine gewisse regionale Differenzierung der Sortimente ist aus kulturellen, traditionellen und soziologischen Gründen
zwingend notwendig (18). Mit diesen regionalen Warenkörben verfügen international
agierende Unternehmen gleichzeitig über das Potenzial zur Schließung von Angebotsnischen. Produkte, die in einem Land einen verhältnismäßig großen Absatz haben, können
in einem anderen Land zur Abrundung des Sortiments dienen, ohne dass hohe Einstandspreise wegen der geringen Absatzmenge zu zahlen sind.
Das „supply chain management“ wird durch die Globalisierung der Beschaffung
erheblich intensiviert. Wesentliches Ziel der verschiedenen Koordinierungskonzepte des
„supply chain managements“ ist die Verringerung der Distributions- und Transaktionskosten durch überbetrieblichen Informationsaustausch. Allerdings ist zur Einführung dieser
Systeme und deren effektive Nutzung ein personeller und finanzieller Aufwand erforderlich, den kleine und mittlere Betriebe nicht tragen wollen und können. Zudem setzt eine
vollständige Nutzung dieser Systeme ein gegenseitiges Vertrauen voraus, das am ehesten
unter gleichartigen Partnern entsteht. Durch Vergrößerung des Beschaffungsmarktes kann
der LEH die Zahl der großen Zulieferunternehmen absolut erhöhen, ohne dass er in eine
oligopolistische Abhängigkeit gerät. Damit wird auch der Anteil der Waren am Sortiment
und am Gesamtabsatz erhöht, für die ein effizientes und kostensparendes Warenmanagementsystem implementiert werden kann.
Eine der auffallenden Veränderungen im Angebotsverhalten globalisierender Handelsunternehmen ist das „retail branding“, also die Zunahme der Handelsmarken und deren
qualitative Verbesserung. Empirische Untersuchungen zeigen, dass eine Erhöhung des
Anteils der Eigenmarken zu einer Erhöhung der Gewinne der betreffenden Handelsunternehmen führt (13). Dies gilt für Unternehmen auf nationaler und internationaler Ebene
gleichermaßen. Jedoch schaffen ein globales Beschaffungsmanagement und vor allem
die Vertrautheit mit ausländischen Märkten durch die Anwesenheit als Marktpartner die
Voraussetzungen, um geeignete Hersteller für anspruchsvolle Eigenmarken im Ausland zu
identifizieren, vertraglich zu binden und zu kontrollieren.
3
Konsequenzen der Globalisierung für den Ernährungssektor
3.1 Auswirkungen auf die Ernährungsindustrie
Der Wandel des Lebensmitteleinzelhandels von stark national zu international orientierten
Unternehmen hat als eine Konsequenz, einen verstärkten internationalen Bezug von Handelsware. Eine solche Veränderung hat selbstverständlich auch Konsequenzen für die nationale Ernährungsindustrie. Bei der nun nachfolgenden Diskussion wollen wir explizit auf
die unterschiedlichen Größen und Spezialisierungen der Ernährungsbranche eingehen.
Hersteller, die über einen global agierenden Einzelhändler Waren anbieten, haben die
Chance, erheblich mehr verkaufen und produzieren zu können. Allerdings ergibt sich ein
wesentlicher Unterschied, ob es sich um einen Markenartikler oder um einen Hersteller
von Handelsmarken handelt. Bei den Handelsmarkenproduzenten werden sich die Skalenvorteile direkt in Kosteneinsparungen niederschlagen, die allerdings zu einem wesentlichen Teil durch Preissenkungen an den LEH weitergegeben werden müssen. Des Weiteren muss bedacht werden, dass Handelsmarkenhersteller nun im Wettbewerb stehen mit
anderen internationalen Handelsmarkenherstellern. Dies führt zu einer Verschärfung des
Wettbewerbes, da in diesem Fall nationale Kostenführer miteinander im Wettbewerb stehen. Für Hersteller von Markenprodukten sind die Vorteile einer international weiteren
Verbreitung seiner Waren nicht so eindeutig. Mit der Vergrößerung des Absatzvolumens
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sind zunehmende Werbungs- und Distributionskosten verbunden. Hinzu kommt, dass der
Hersteller nicht mehr unabhängig über seine eigene Globalisierungsstrategie entscheiden
kann. Das Risiko, dass die Ausdehnung des Distributionsbereichs eines Markenartikels in
einem finanziell oder strategisch ungünstigen Zeitraum stattfindet, ist nicht unerheblich.
Bei kleineren, auf ein vergleichsweise enges Sortiment spezialisierten Markenartiklern
kann eine so verursachte internationale Ausdehnung zu einer personellen und finanziellen
Überbeanspruchung führen und dadurch zu einem Verlust des Markenimages und Markenprofils.
Eine weitere Auswirkung auf die Wettbewerbsverhältnisse in der Ernährungsindustrie ist von der zunehmenden Produktvielfalt internationaler Vollsortimenter zu erwarten.
Diese stärkere Produktvielfalt ergibt sich als Konsequenz der regional differenzierten
Geschmacks- und Verzehrgewohnheiten und aus dem Trend zu „ethnic food“. Wenn im
Zuge der regionalen Ausdehnung eines Einzelhandelsunternehmens Käufer mit unterschiedlichen Geschmacksvorstellungen bedient werden sollen, so wird der Hersteller einen
Wettbewerbsvorteil erzielen, der eine adäquate Produktvariation anzubieten im Stande
ist. morris tabaksblat (17, S. 40) führte dazu aus: „Ice cream is probably Unilever’s
most global food business, although its actual flavour varies considerably because of local
taste.“ Und er fügt hinzu: „Internationalisation of demand . . .. poses large challenges for
the management of our respective products“. Multinationale Hersteller wie Unilever und
Nestlé, die schon lange mit solchen Geschmacksdifferenzen vertraut sind, können sicher
von ihrer Flexibilität profitieren. Neben den großen multinationalen Unternehmen bietet
der Bedarf nach Produktvariationen auch mittleren und kleineren Unternehmen eine gute
Chance, die sich auf ein enges Produktsegment spezialisiert haben und dieses weltweit
vertreiben. Diese Unternehmen können neben der Erzielung von Skalenvorteilen in der
Produktion unter Umständen noch Einsparungen in der Distribution realisieren. Der Trend
zu „ethnic food” kommt vor allem kleineren und mittleren, regional vermarktenden Unternehmen zugute. Sie können ihre für den regionalen Verbrauch hergestellten Produkte,
sofern diese als für die Region spezifisch sind und als „ethnic food“ nachgefragt werden,
über den sich globalisierenden Einzelhandel exportieren, ohne eigene Exportaktivitäten
entfalten zu müssen.
Die zunehmende Einführung von Koordinierungskonzepten des „supply chain managements“ wird die Wettbewerbsstellung großer Hersteller von Ernährungsgütern weiter
steigern, insbesondere wenn sie bereits heute multinational tätig sind. Diese Konzepte wie
ECR und CPFR verlangen einen so hohen organisatorischen und finanziellen Aufwand
bei der betrieblichen Implementierung und bei der effektiven Nutzung, dass nur große
Lieferanten (sowohl Marken- als auch Handelsmarkenherstellern) bereit und in der Lage
sind, die entsprechenden Instrumente zu implementieren (7, S. 43). Indirekt profitieren die
am „supply chain management“ beteiligten Unternehmen zusätzlich davon, das das ECRKonzept impliziert, dass enge Beziehungen zwischen Hersteller und Handel bestehen und
damit auch die „Notwendigkeit einer gezielten Auswahl von Kooperationspartnern“ (12,
S. 423). Der Einsatz von ECR verlangt „…auf beiden Seiten eine höhere Bereitschaft zur
Kooperation“ und bietet den beteiligten Herstellern ein Instrument zur Erringung von
Wettbewerbsvorteilen.
Die bisher geschilderten Veränderungen der Wettbewerbspositionen in der Industriestruktur sind langfristig angelegt und ursächlich mit den globalen Ausdehnungstendenzen
vieler Unternehmen des Einzelhandels verbunden. Einen direkten, kurzfristigen Wettbewerbsvorteil können Lebensmittelhersteller dann erzielen, wenn ein inländisches LEHUnternehmen, das beliefert wird, einen Wachstumssprung durch die Akquisition eines
ausländischen Einzelhändlers macht. Erfahrungsgemäß nimmt der inländische Händler
unter diesen Bedingungen seine eigenen Lieferanten mit. So hat ALDI ca. 80 % seiner
angestammten Zulieferer mit nach Frankreich genommen. Ein solcher Wettbewerbsvor-
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teil ist natürlich nur kurzfristig gegeben, bis der Lebensmittelhändler seine neue Umwelt
hinreichend kennt, um die Leistungsfähigkeit, Zuverlässigkeit und die Qualitätstreue der
möglichen Lieferanten beurteilen zu können. Dieser Vorteil kommt insbesondere dann
zum Tragen und ist auch längerfristig wirksam, wenn ein LEH-Konzern in aufstrebende,
aber wirtschaftlich und politisch instabile Weltregionen investiert (6, S. 61). Der Grund ist
nicht nur, dass es in diesen Gebieten häufig schwer ist zuverlässige und qualitätsbewusste
Lieferanten zu finden, sondern auch weil solche innovativen Handelsinvestitionen häufig
auf eine kleine, aber zahlungskräftige Klientel abgestellt sind.
Neben diesem kurzfristigen Wettbewerbsvorteil kann aber auch ein langfristiger Wettbewerbsvorteil entstehen, wenn es dem Hersteller gelingt, das Handelsunternehmen zu
überzeugen, es auch langfristig als Lieferanten in diesem neuen Markt zu behalten. Dies
kann beispielsweise dadurch geschehen, dass die Prozesseffizienz gesteigert wird, in dem
das Handelshaus keine weiteren Mitarbeiter einstellen muss. Es bedingt aber, dass der
Hersteller auch langfristig genügend Kapazität aufbaut, um den gesteigerten Bedarf zu
decken. Voraussetzung dafür ist, der Hersteller ist bereit einen Teil seiner Entscheidungsautonomie in fremde Hände abzugeben.
3.2 Auswirkungen auf die Landwirtschaft
Die landwirtschaftliche Produktion ist nicht direkt von der Entwicklung des LEH beeinflusst. Veränderungen in der Struktur der regionalen Nachfrage der Ernährungsindustrie
berühren dagegen die Landwirtschaft. Dies kommt vor allem bei Obst und Gemüse infrage,
wo sich durch die globale Beschaffung die Nachfrage stärker um die Verarbeitungszentren
konzentrieren wird. Indirekt wird die Landwirtschaft durch steigende Qualitätsansprüche
tangiert. Allerdings betrifft das in erster Linie die Landwirtschaft in Südeuropa und auf
dem Balkan.
3.3 Auswirkungen auf die Verbraucher
Abschließend soll versucht werden die Internationalisierung des LEH aus der Sicht der
Verbraucher zu beleuchten. Dabei gehen wir davon aus, dass neben Preis und Qualität
der Güter die Angebotsvielfalt und der Service für die Konsumenten ausschlaggebende
Kriterien sind.
Etwas vereinfacht wird der Preis langfristig von den Kosten in der gesamten Angebotskette und von der Wettbewerbsintensität auf allen Stufen determiniert. Wie in Kapitel 3
ausgeführt, wird die Globalisierung des Einzelhandels zu einer Verschärfung des Wettbewerbs und einer Verstärkung der Selektion auf den vorgelagerten Stufen führen. Dies
wird mit einer Kostensenkung verbunden sein. Durch zunehmende Kooperation in der
Warenwirtschaft werden darüber hinaus die Distributionskosten verringert. Inwieweit und
wie schnell diese Kostenersparnisse zum Verbraucher weitergegeben werden, hängt von
der Entwicklung der Wettbewerbsintensität ab. Als ein Hauptmotiv zur Internationalisierung des LEH wurde die Absicht identifiziert, sich dem zunehmenden Wettbewerbsdruck
der Heimatmärkte zu entziehen, sodass nicht unbedingt mit einer zügigen Weitergabe der
Kostenvorteile gerechnet werden kann.
Bezüglich der Qualität der Lebensmittel ist hier zwischen Erfahrungsqualitäten wie
Geschmack, technische und physiologische Eigenschaften und Sicherheitsattributen zu
unterscheiden. Die erste Gruppe von Eigenschaften wird höchstwahrscheinlich durch die
Globalisierung des Einkaufs im Durchschnitt verbessert, zumindest werden die Standards
angehoben. Die angesprochenen gesundheitsrelevanten Vertrauenseigenschaften sind bei
globalem Einkauf viel schwieriger zu kontrollieren und zu garantieren. Allerdings schafft
sich der LEH durch seine Präsenz in potenziellen Herstellungsländern eine verbesserte
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Kontroll- und Durchsetzungsposition. Bei Herstellern, die international gehandelte Marken vertreten, wird ohnehin aus Eigeninteresse die Selbstkontrolle funktionieren. Bei Handelsmarken muss der LEH die Verantwortung und damit die Kontrolle selbst übernehmen.
Ob dies immer im gleichen Maße gelingt wie bei nationaler Beschaffung, ist zweifelhaft
– insbesondere bei Handelsmarken der untersten Preisklasse, die keinen großen Umsatzanteil bei dem betreffenden Handelsunternehmen haben.
Von einer gewissen Erhöhung der Angebotsvielfalt bei international operierenden Handelsunternehmen ist auszugehen. Dies lässt sich auch heute schon bei den im globalen
Durchdringungsprozess führenden Handelsunternehmen wie Ahold und Carrefour nachweisen. Da die meisten LEH bei Investitionen im Ausland ihre erprobten, strategischen
Konzepte beibehalten, bereichert die Internationalisierung die Kauflandschaft. Der Kunde
hat dann die Freiheit sich den Service auszuwählen, den er wünscht und braucht und den
er zu zahlen bereit ist.
Die Globalisierung des LEH kann aus der Sicht des Verbrauchers also eher gelassen
zur Kenntnis genommen werden. In den nächsten 10 bis 15 Jahren wird sich in Europa
und auch weltweit keine Konstellation des Einzelhandels ergeben, die durch Erringung
von Handelsmacht den Konsumenten ungebührlich ausnutzen kann. Im Gegenteil, der
LEH wird durch seinen Wettbewerb dafür sorgen, dass die Erzeugung von Lebensmitteln
kontinuierlich verbessert und verbilligt wird.
4
Fazit
In diesem Beitrag haben wir aufgezeigt, dass sich innerhalb der letzten 20 Jahre ein signifikanter Wandel im Lebensmitteleinzelhandel ereignet hat.
Die vormals national orientierten Handelsunternehmen haben sich zu Handelshäusern
gewandelt, welche global tätig sind und mit anderen internationalen Lebensmitteleinzelhändlern weltweit konkurrieren. Die Studie „Global Powers of Retailing 2008“ zeigt, dass
der deutsche LEH durchaus konkurrenzfähig ist, unter den 100 umsatzstärksten Lebensmitteleinzelhändlern sind METRO und die Schwarz Gruppe unter den Top 10 und wenn
man die besten 20 betrachtet, sind 5 deutsche Unternehmen vertreten. Diese Entwicklung
hat zur Folge, dass auch der internationale Wettbewerbsdruck in der Ernährungsindustrie
erhöht wird.
Entsprechend sind von diesem Wandel auch die landwirtschaftlichen Erzeuger und die
Endkonsumenten betroffen.
Dieser Anstieg der Wettbewerbsintensität wird auf die verschiedenen Unternehmen der
Ernährungsindustrie einen sehr differenzierten Einfluss haben, sodass es Gewinner und
Verlierer dieser Internationalisierung gibt.
Verlierer sind die Lebensmittelhersteller welche organisationsschwach sind und kostenungünstig produzieren, sodass diese Unternehmen Marktanteile verlieren und eventuell ganz aus dem Markt ausscheiden. Als Sieger können jene Unternehmen bezeichnet
werden, die von diesem Verdrängungswettbewerb profitieren. Dies sind vor allem die
multinationalen Konzerne, welche zu günstigen Preisen produzieren können und oftmals
ihre Produktionsstandorte außerhalb Deutschlands haben. Diese Kooperationen zwischen
Handel und Hersteller, sowie Lieferanten führen zu einer Verbesserung der Wertschöpfungsketten. Aber auch kleinere, spezialisierte, international agierende Markenartikler
können von der Internationalisierung profitieren. Für kleinere und mittlere Unternehmen
bietet die Globalisierung des LEH eine gute Chance Handelsmarken im großen Stil zu produzieren, vorausgesetzt sie können die Kosten günstig gestalten und gelten als qualitativ
zuverlässig. Kleine regionale Produzenten können durch Zusammenarbeit mit dem LEH
internationale Nischen für ihre Spezialprodukte finden. Des Weiteren sinkt die Bedeutung
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der Transportkosten, bei der Kooperation mit lokalen Herstellern. Die Landwirtschaft als
Rohstoffproduzent wird nur indirekt tangiert, allerdings kommt es bereits jetzt zu regionalen Verlagerungen bei Obst und Gemüse. So setzt Wal Mart, in den USA, im Zuge
veränderter Präferenzen auf regional erzeugtes Obst und Gemüse. Unter regional, versteht
Wal Mart, Obst und Gemüse, dass im gleichen Bundesstaat angebaut wurde, in dem die
zu beliefernden Supermärkte gelegen sind. In den letzten zwei Jahren ist dieser Anteil um
rund 50 % gestiegen (9).
Verbraucher können der Globalisierung des LEH überwiegend positiv entgegensehen.
Die Globalisierung bringt für sie eine Tendenz zu sinkenden Preisen bei verbesserter Qualität der Standardprodukte. Für höhere Qualitätsansprüche und für Produkte mit speziellen
Eigenschaften wird das Angebot vielfältiger und innovativer.
Zusammenfassung
Betrachtet man die Entwicklung der letzen Jahre im deutschen Lebensmitteleinzelhandel ist ein deutlicher Strukturwandel erkennbar. Der Strukturwandel äußert sich in Konzentrationsprozessen, das
heißt eine sinkende Anzahl an Unternehmen bei gleichzeitig wachsender Betriebsgröße, und einem
Betriebsformenwandel, d. h. es findet zunehmende Ausdifferenzierung von Betriebsformen statt (14).
Diese Veränderungen haben auch Auswirkungen auf die Wachstumsstrategien der Handelsunternehmen. War es vor 25 Jahren noch üblich im Lebensmitteleinzelhandel nur national tätig zu sein, lässt
heute bereits der Name vieler Unternehmungen, z. B. METRO Group, eine gewisse Internationalität
vermuten. Waren Einzelhandelsunternehmen stets national handelnd sind nun mulinationale Gruppen daraus geworden. Betrachtet man diese Veränderungen, so muss man annehmen, dass der globale Konzentrationsprozess des Einzelhandels erhebliche Auswirkungen auf die Ernährungsindustrie
heute oder in naher Zukunft haben wird.
Schlüsselwörter: Lebensmitteleinzelhandel, Internationalisierung, Konsequenzen für die Agrarund Ernährungswirtschaft
Summary
Internationalisation of the food retailing industry and its impact on the agricultural and food
industries
An analysis of the German food retailing industry and its development over recent years shows clear
structural change. The structural change is expressed in concentration processes i. e. a decrease in
the number of enterprises and a concurrent increase in company size, and a change in enterprises’
organisational forms, i. e. there is increasing differentiation in the forms that enterprises are taking.
(14). These changes also affect the trading companies’ growth strategies. Whereas, 25 years ago, it
was common for companies in the food retailing industry to operate only at national level, today
the name of many enterprises, e. g., METRO Group, already indicates a certain internationality. The
retail companies that traded at national level have now been transformed into multinational groups.
Based on these changes, it must be accepted that the global concentration process in the retailing
industry has had, or will have in the near future, considerable consequences for the food industry.
Keywords: food retailing industry, internationalisation, consequences fort he agricultural and
food industries
Résumé
Effets de la mondialisation du commerce de détail de produits alimentaires sur l’industrie
agro-alimentaire
Ces dernières années, on constate un important changement structurel dans le développement du
commerce de détail allemand de produits alimentaires. Cette restructuration se manifeste, d’une part,
par un processus de concentration, c’est-à-dire que le nombre d’entreprises décroît tandis que leur
taille moyenne augmente et, d’autre part, par une plus grande différenciation en ce qui concerne leurs
formes légales (14). Les changements ont aussi un impact sur les stratégies d’expansion des entreprises. Il y a 25 ans, il était encore courant de n’opérer qu’au niveau national, désormais, beaucoup
de noms d’entreprises comme METRO Group par exemple indiquent une certaine internationalité.
Autrefois limitant leurs activités au territoire national, les entreprises commerciales de détail sont
devenues des groupes multinationaux. Considérant ces changements, il est très probable que le pro-
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cessus global de concentration des entreprises de détail a déjà ou aura dans un avenir proche des
conséquences importantes pour l’industrie agro-alimentaire.
Mots-clé: Commerce de détail de produits alimentaires, mondialisation, effets sur l’industrie
agro-alimentaire
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Autorenanschrift: Dr. Jon h. hanf und kathrin krückemeier Leibniz-Institut für Agrarentwicklung in Mittel- und Osteuropa (IAMO), Theodor-Lieser-Straße 2, 06120 Halle,
Deutschland
[email protected]
Prof. Dr. claus-h. hanf (†), Christian-Albrechts-Universität Kiel, Deutschland
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