Harnwegsinfektionen im frühen Kindesalter
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Harnwegsinfektionen im frühen Kindesalter
CME cm e. mg o -f ac h v erl a ge e .d Harnwegsinfektionen im frühen Kindesalter E. Kuwertz-Bröking Pädiatrische Nephrologie, Klinik für Kinderund Jugendmedizin, Universitätsklinikum Münster Einleitung Mehrere in den letzten Jahren erschienene Empfehlungen und Leitlinien nationaler Fachgesellschaften zur Diagnostik und Therapie von Harnwegsinfektionen (HWI) haben zu intensiven Diskussionen und zu e iner Veränderung langjährig verwendeter Behandlungsstrategien geführt. Im Jahr 2007 erschienen britische Empfehlungen für die Betreuung von Kindern mit HWI im Alter zwischen 3 Monaten und 3 Jahren (NICE: National Institute for Health and Clinical Excellence) [1]. Die American Academy of Pediatrics (AAP) veröffentlichte 2011 Richtlinien zur Diagnostik und Therapie von fieberhaften HWI bei Kindern im Alter von 2 Monaten bis 2 Jahren [2]. 2012 erschienen Leitlinien der Italienischen Gesellschaft für Pädiatrische Nephrologie (ISPN) für Kinder im Alter von 2 Monaten bis zu 3 Jahren mit der ersten fieberhaften HWI [3]. Deutsche Konsensus-Empfehlungen stammen aus dem Jahr 2007 [4]. Wesentliche Inhalte dieser aktuellen Leitlinien, die sich ausschließlich mit HWI im Säuglings- und Kleinkindalter beschäftigen, werden dargestellt. Pyelonephritis im Säuglingsalter 1,7 % der Mädchen und 1,5 % der Jungen entwickeln in den ersten beiden Lebensjahren eine Harnwegsinfektion – vesikoureteraler Reflux – Nierennarben – antibakterielle Prophylaxe pädiatrische praxis 86, 69–81 (2016) Mediengruppe Oberfranken – Fachverlage GmbH & Co. KG pädiatrische praxis 2016 Band 86 / 1 B-Bild zweidimensionales Schnittbild AAPAmerican Academy of Pediatrics DMSAdimercaptosuccinic acid (Dimercaptobernsteinsäure) ESBLExtended-Spectrum-β-Laktamase HWIHarnwegsinfektion MCUMiktionszystourethrographie MRGNmultiresistente gramnegative Erreger NICENational Institute for Health and Clinical Excellence UTIurinary tract infection VURvesikoureteraler Reflux 69 symptomatische HWI [5]. In der hier zitierten großen epidemiologischen Studie in Schweden lag das HWI-Risiko bei Jungen für das erste Lebensjahr bei 1,3 % und sank im zweiten Lebensjahr auf 0,2 %. 1,2 % der Mädchen entwickelten im ersten Lebensjahr ihre erste HWI, 0,5 % im zweiten Lebensjahr. 77 % der Kinder erkrankten Unkomplizierte Harnwegsinfektion Normalbefund für • Nieren und Harntrakt • Nierenfunktion • Blasenfunktion • Immunologische Kompetenz Komplizierte Harnwegsinfektion • Neonatale HWI • Fehlbildung von Harnwegen (und Nieren) – Nierenhypo-/-dysplasie: Assoziation mit kongenitalem, hochgradigem vesikoureteralem Reflux (kongenitale Refluxnephropathie) – Ureteranomalien (idiopathischer, nicht refluxiver Megaureter) – Vesikoureteraler Reflux (dilatierend, Grad 3–5) – Subpelvine Stenose (mit uro dynamischer Relevanz) – Doppelniere mit Harnabflussstörung – Urethralklappenerkrankung • Neurogene Blasenfunktionsstörung • Niereninsuffizienz • HWI nach Nierentransplantation • Konkremente in den Harnwegen • Erkrankungen mit Beeinträchtigung des Immunsystems • Diabetes mellitus Tab. 1 | Charakteristika von unkomplizierter und komplizierter Harnwegsinfektion 70 an einer Pyelonephritis. Die Jungen waren bei der ersten HWI deutlich jünger als die betroffenen Mädchen. Bei 36 % der Mädchen und bei 24 % der Jungen fand sich ein vesikoureteraler Reflux (VUR), überwiegend Grad 2 und 3 [5, 6]. Das Risiko für ein Rezidiv einer HWI nach Erstinfektion im ersten Lebensjahr ist in den ersten 6 Monaten nach Infektion besonders hoch. Bis zum dritten Lebensjahr erleiden etwa ein Drittel der Kinder ein Rezidiv. Häufig rezidivierende HWI finden sich bei Kindern mit VUR Grad 3–5; bei Kindern mit VUR Grad 1 und 2 ist das Rezidivrisiko im Vergleich zu Patienten ohne VUR nicht erhöht [7]. Diagnostisch und therapeutisch bedeutsam ist die Unterscheidung in unkomplizierte und komplizierte Pyelonephritiden (Tab. 1). Eine HWI gilt als unkompliziert, wenn sich Nieren und Harntrakt, Blasenfunktion und Immunkompetenz normal darstellen. Bei Nachweis von Fehlbildungen der Harnwege (nicht selten mit Fehlbildungen der Nieren (Nierenhypo-/dysplasie) assoziiert), vor allem bei urodynamisch relevanter subpelviner Stenose (Ureterabgangsstenose), idiopathischem (nicht refluxivem) Megaureter, Urethralklappenerkrankung beim Jungen, dilatierendem vesiko-ureteralem Reflux (VUR Grad 3–5), Doppelnierenbildung mit Harnabflussstörung, neurogener Blasendysfunktion und weiteren seltenen Erkrankungen, liegt eine komplizierte HWI vor. Säuglinge mit dilatierendem VUR, ausgeprägter Hydronephrose oder mit einem idiopathischen Megaureter (ohne Nachweis eines VUR) haben ein erhöhtes HWI-Risiko, abhängig vom Ausmaß der Harnabflussstörung [8–13]. Spätfolgen nach Pyelonephritis Eine Pyelonephritis kann zu segmentalen, ungünstigenfalls zu globalen Vernarbungen des Nierenparenchyms führen. Postpyelonephritische Narben werden mit der DMSA-Szintigrafie erfasst. Parenchymdefekte, die mindestens 6–12 Monate 2016 Band 86 / 1 pädiatrische praxis nach einer Pyelonephritis nachgewiesen werden, sind als irreversible Parenchymschäden zu bewerten. Bekannte Risikofaktoren für post entzünd liche Vernarbungen sind der dilatierende VUR (Grad 3–5), rezidivierende Pyelonephritiden, verzögerte Diagnose und Therapie einer Pyelonephritis und das Ausmaß der Entzündungsreaktion. Mädchen entwickeln häufiger postentzündliche Parenchymschäden als Jungen [14–16]. Kinder mit höhergradigem VUR (Grad 3–5) können Veränderungen im Sinne einer »kongenitalen Refluxnephropathie« (Nierenhypo-/-dysplasie) aufweisen, die in der DMSA-Szintigrafie nicht sicher von erworbenen infektionsbedingten Parenchymschäden zu unterscheiden sind. Jungen mit angeborenem ein seitigem/beidseitigem dilatierendem Reflux sind von diesem Phänomen besonders häufig betroffen [16, 17]. Zahlreiche Veröffentlichungen beschäftigen sich mit dem Problem der Parenchymschädigung nach Pyelonephritis. Wir wissen nicht genau, wie häufig bleibende postpyelonephritische Narben wirklich sind, welche narbigen Parenchymveränderungen Ausdruck einer kongenitalen Nierenhypo-/-dysplasie sind und welche Vernarbungen ein langfristiges Risiko für den Patienten darstellen [18]. Nierenparenchymnarben nach Pyelonephritis finden sich bei Kindern mit und ohne Nachweis eines VUR. Betrachtet man alle betroffen Patienten, so liegt das Schädigungsrisiko nach heutigem Kenntnisstand bei etwa 15 % [14], bei Kindern mit höhergradigem Reflux bei bis zu 50 % [19], in der im Jahr 2010 veröffentlichten schwedischen Refluxstudie bei Kindern mit VUR Grad 3 und 4 sogar bei über 60 %! [20]. Klinisch relevante Spätfolgen nach Pyelonephritis treten nur extrem selten im Kindesalter auf, und der Kinderarzt wird damit normalerweise nicht konfrontiert. Eine bedeutsame Langzeitkomplikation ist die arterielle Hypertonie, deren Inzidenz mit zunehmendem Alter steigt. Langzeitbeobachtungen (bei heterogenen Patientenkollektiven) zeigen eine Hypertoniehäufigkeit bei Patienten mit Parenchymnarben von 1,2–35 %, vor allem abhängig von der Dauer pädiatrische praxis 2016 Band 86 / 1 der Langzeitbeobachtung. Besonders gefährdet sind Patienten mit beidseitigem VUR [21]. Frauen mit postpyelonephritischen Narben tragen in der Schwangerschaft ein erhöhtes Risiko für Pyelonephritiden, Hypertonie und Präeklampsie (bis 12 %) [21]. Auch hier sind vor allem beidseitige Parenchymschäden bei VUR als Risikofaktor zu betrachten. Eine Niereninsuffizienz findet sich im Langzeitverlauf nur bei Patienten mit beidseitiger angeborener Refluxnephropathie, vor allem bei Jungen mit kongenitalem hochgradigem Reflux. Kinder nach überstandener Pyelonephritis, bei denen keine strukturellen Nierenveränderungen nachweisbar sind, tragen hingegen kein erhöhtes Risiko für die Entwicklung einer chronischen Nierenerkrankung [22]. Harndiagnostik Aktuelle Leitlinien betonen, dass (wie schon lange bekannt) die Symptome eines fieberhaften HWI bei kleinen Kindern sehr unspezifisch sind. Bei Säuglingen mit unklarem Fieber lässt sich in 4–7 % eine HWI nachweisen [23]. Bei Fieber unklarer Genese und deutlicher Krankheitssymp tomatik wird in diesem Lebensalter daher eine adäquate Harndiagnostik empfohlen. Die Gewinnung eines »Beutelharns« bei vorher mit Wasser gereinigtem Genitale ist für die Anfertigung eines Harnstatus ausreichend. Der gewonnene Harn sollte möglichst frisch verarbeitet werden. Bei Nachweis einer Leukozyturie aus Beutelharn mithilfe der Granulozyten-Esterase-Reaktion sollte eine lichtmikroskopische Harnuntersuchung veranlasst werden, um Sensitivität und Spezifität der Diagnostik zu erhöhen [23]. Eine Leukozyturie ist nicht unbedingt beweisend für eine HWI, da auch bei anderen fieberhaften Infektionen eine Leukozyturie auftreten kann. Ein Nitritnachweis im Harn erfordert eine längere Verweilzeit des Harns in der Blase und ist im Säuglingsalter häufig negativ. Die Mehrzahl aktueller Leitlinien betont, dass bei Leukozyturie eine mikrobiologische Diagnostik mit Resistenzprüfung notwendig ist, vor allem bei Kindern mit ausgeprägten Krankheits- 71 symptomen und Verdacht auf Pyelonephritis. Der Harn hierfür sollte vor Beginn einer antibakteriellen Therapie durch transurethrale Katheterisierung oder Blasenpunktion gewonnen werden, da die Kontaminationsrate und somit falsch-positive Befunde bei e inem »Beutelharn« eindeutig zu hoch ist. Während bei Mädchen der Harn durch Katheterisierung gewonnen werden kann, ist bei Jungen eine Blasenpunktion anzustreben. Alternativ hält die italienische Leitlinie [3] die Gewinnung eines »Clean-catch-Harns« bei Kindern mit mäßigen Krankheitssymptomen für ausreichend. Hierbei sitzt das Kind auf dem Schoß der Eltern, und der Harn wird bei Miktion direkt in einem sterilen Gefäß aufgefangen. Die in den letzten Jahrzehnten akzeptierte »signifikante Keimzahl« für die Diagnose einer HWI von 100.000 Keimen/ml wird von der amerikani- schen Leitlinie infrage gestellt: »Zum Nachweis einer HWI sind sowohl der positive Befund in der Harnanalyse (Leukozyturie und/oder Bakteriurie), als auch eine Zahl von mindestens 50.000 CFUs/ ml (colony-forming units) eines uropathogenen Erregers in einer durch Katheter oder Blasenpunktion gewonnenen Harnprobe erforderlich« [2]. Die möglichst sichere Diagnose »Pyelonephritis« ist für die weitere Diagnostik und Therapie eines betroffenen Kleinkindes von großer Bedeutung. Eine eindeutige Abgrenzung zwischen Pyelone phritis und einer Infektion der unteren Harnwege kann schwierig sein, da die Bestimmung von CRP und Leukozytenzahlen im Differen zialblutbild nicht immer eine sichere Aussage zulassen. Die Bestimmung von Procalcitonin weist eine höhere Spezifität und Sensitivität auf und erscheint bei unsicherer Diagnose sinnvoll Fieber 38,5 °C (39 °C, laut AAP) CRP 2 mg/dl Procalcitonin 0,5 ng/ml Leukozytose/ Linksverschiebung Vorhanden Leukozyturie 20/μl Bakteriurie Keimzahl 50.000/ml (laut AAP). Bei Verdacht auf Pyelonephritis: Harngewinnung durch Katheterismus oder Blasenpunktion! Leukozytenzylinder (Harnmikroskopie) Beweisend für eine Pyelonephritis Ultraschalluntersuchung Mögliche Befunde: Nierenvolumen vergrößert (2 SD), Parenchymechogenität angehoben DMSA-Szintigrafie Perfusionsausfälle im Nieren parenchym (in Deutschland nicht Teil der Primärdiagnostik) Differenzialdiagnose: kongenitale Nierenhypo-/-dysplasie 72 Tab. 2 | Befunde bei Pyelonephritis SD: Standardabweichung 2016 Band 86 / 1 pädiatrische praxis Risiko: Kongenitale Refluxnephropathie Grad 1 Grad 2 Grad 3 Grad 4 Grad 5 Dilatierender Reflux Abb. 1 | Vesiko-uretero-renaler Reflux: Gradeinteilung (International Reflux Study Group) (Tab. 2) [24], ist allerdings mit relativ hohen Kosten verbunden. Ultraschalldiagnostik Sonografische Veränderungen bei Pyelonephritis können sehr diskret sein. Beschrieben sind Echogenitätsveränderungen, Schwellung des Nierenparenchyms und farbdopplersonografisch eingeschränkte Perfusion des Parenchyms. Die Volumenzunahme um mehr als 2 Standardabweichungen wird immer wieder als charakteristisches Zeichen für eine Pyelonephritis bewertet, setzt aber (streng genommen) die Kenntnis des pädiatrische praxis 2016 Band 86 / 1 Nierenultraschallbefundes vor Erkrankung voraus. Die Sonografie ermöglicht keine ausreichende Aussage über »Parenchymnarben«. Sie ist vor allem bedeutsam, um anatomische Veränderungen von Nieren und Harnwegen, Harntransportstörungen (Erweiterung des Nierenbeckens, Megaureter), Anlagevarianten der Nieren (Nierenhypodysplasie, Doppelnieren, ektope Nieren), Blasenwandveränderungen und Konkremente in den Harnwegen zu erkennen. Der Vorhersagewert einer Ultraschalluntersuchung für einen VUR ist begrenzt [25]. Indirekte 73 sonografische Zeichen für einen hochgradigen VUR können sein: eine Nierenbecken(kelch-) dilatation, eine verdickte Pyelonwand (positives Urothelzeichen), ein retrovesikal erweiterter Ureter und eine passagere Erweiterung von Harnleiter und/oder Nierenbecken bei Miktion. Die AAP empfiehlt bei allen Kindern unter zwei Jahren eine Ultraschalluntersuchung von Nieren und Blase bei einer ersten Pyelonephritis innerhalb von wenigen Tagen [2]. Die britische Leitlinie (NICE) schließt sich dieser Empfehlung nur bei Säuglingen jünger als sechs Monate an. Bei älteren Kindern ist die Untersuchung notwendig, wenn ein schweres (septisches) Krankheitsbild vorliegt, eine Niereninsuffizienz besteht, Alter des Kindes • Neugeborene • Säuglinge bis zum 3. Lebensmonat Komplizierte Pyelonephritis • siehe Tab. 1 • Vor allem bei hochgradiger subpelviner Stenose, idiopathischem Megaureter und dilatierendem VUR Grad 3–5 Klinische Besonderheiten • (Verdacht auf) Urosepsis • Kritisch krankes Kind • Dehydration • Erbrechen, Durchfall • Verweigerung von Flüssigkeits- und Nahrungsaufnahme Sonstiges • Orale antibakterielle Therapie nicht sicher gewährleistet • Compliance fraglich Tab. 3 | Indikationen für eine parenterale Therapie bei Harnwegsinfektionen 74 wenn das Kind nicht innerhalb von 48 Stunden entfiebert oder ein uropathogener Non-E.-coliKeim nachgewiesen wird [1]. Die italienische Leitlinie empfiehlt die Sonografie bei unkompliziertem Verlauf der Pyelonephritis innerhalb von 1–2 Monaten nach der Infektion, bei Kindern, die nicht innerhalb von drei Tagen entfiebern, sofort [3]. Diese Leitlinie fordert auch die Standardisierung der Ultraschalldiagnostik mit Messung des longitudinalen und transversalen Durchmessers, die Beschreibung der kortiko-medullären Differenzierung und der Echogenität, die Messung des anterio-posterioren Durchmessers des Nierenbeckens bei voller und bei leerer Blase, die Bestimmung der Blasenwanddicke und die Restharnbestimmung [3, 26]. Somit erlangt die Ultraschalldiagnostik eine zentrale Rolle in der bildgebenden Diagnostik! Bildgebende Diagnostik nach Harnwegsinfektion Der lange Zeit postulierte kausale Zusammenhang zwischen dem Risiko von Nierenparenchymnarben, HWI und VUR führte in den letzten Jahrzehnten dazu, dass nach der ersten Pyelonephritis eine Refluxprüfung (meist als radiologische MCU) und eine antibakterielle Prophylaxe bei jedem Reflux, unabhängig vom Refluxgrad, empfohlen wurde. Inzwischen ist erwiesen, dass ein bedeutender Teil der Parenchymdefekte, die früher als post pye lo ne phritische Narben betrachtet wurden, Veränderungen im Sinne einer »konnatalen Refluxnephropathie« darstellen. Das Risiko für eine konnatale Refluxnephropathie steigt mit dem Grad des VUR (Abb. 1) [16, 17]. Außerdem ist nachgewiesen, dass das Risiko für postpyelonephritische Narben bei normal entwickelten Nieren und Harnwegen und bei geringfügigem, nicht dilatierendem VUR, sehr gering ist, zumal die spontane Maturationsrate bei geringfügigem VUR hervorragend ist [22]. Neue Leitlinien schränken daher die Indikation für eine MCU ein, machen die MCU jedoch nicht 2016 Band 86 / 1 pädiatrische praxis Erkrankung Arzneimittel Therapiedauer und Anmerkungen zur Therapie Symptomatische Harnweginfektion in den ersten 3 Lebensmonaten Ceftazidim i.v. + Ampicillin i.v. • Mindestens 3 Tage lang parenteral, bis mindestens 2 Tage nach Entfieberung! • Fortführung der Therapie oral gemäß Ergebnis der Resistenzprüfung • Therapiedauer 10(–14) Tage Urosepsis, komplizierte Pyelonephritis Ceftazidim i.v. + Ampicillin i.v. Aminoglykosid i.v. + Ampicillin i.v. Aminoglykosid i.v. + Ampicillin i.v. Unkomplizierte Pyelonephritis bei Kindern älter als 3 Monate Cephalosporine Gruppe 3 (oral) • 7 Tage parenteral • Fortführung der Therapie oral gemäß Ergebnis der Resistenzprüfung • Therapiedauer 10–14 Tage, abhängig vom klinischen Verlauf • (7–)10 Tage • Orale Therapie nur sinnvoll, wenn eine komplizierte Harnwegsinfektion ausge schlossen ist (Ultraschall) Tab. 4 | Parenterale und orale Therapie der symptomatischen Harnwegsinfektion überflüssig! Die AAP empfiehlt eine MCU daher erst bei Rezidiven einer Pyelonephritis und nach der ersten Pyelonephritis nur dann, wenn in der Ultraschalluntersuchung eine Fehlbildung von Harnwegen und/oder Nieren erkannt wird oder sich Hinweise für einen höhergradigen VUR finden [2]. NICE schränkt die Indikation noch weiter ein und empfiehlt die MCU nur bei Säuglingen jünger als 6 Monate mit Veränderungen in der Ultraschalluntersuchung, bei älteren Kindern nur bei Vorliegen weiterer Risikofaktoren [1]. In Italien wird die MCU bei pathologischem Ultraschallbefund und anderen klinischen Risikofaktoren empfohlen [3]. Somit gehört die MCU in mehreren Ländern nicht mehr zur Routineuntersuchung nach der ersten Pyelonephritis, und die Indikation zur MCU ist neben klinischen Kriterien vor allem von einer sorgfältigen Ultraschalluntersuchung abhängig. Unabhängig davon ist die radiologische MCU in der primären Refluxdiagnostik weiterhin das diagnostische Verfahren erster Wahl, vor allem pädiatrische praxis 2016 Band 86 / 1 beim Jungen (Darstellung einer urethralen Obstruktion) [4]. Die DMSA-Szintigrafie, ein statisches nuklearmedizinisches Verfahren, ermöglicht den Nachweis von angeborenen wie auch erworbenen (entzündlichen) Nierenparenchymveränderungen. Der verwendete Tracer wird im gesamten Nierenparenchym gespeichert und ermöglicht so die v isuelle Darstellung von Parenchymregionen, in die der Tracer nicht aufgenommen wird. Verglichen mit der Ultraschalluntersuchung ist die Sensitivität der DMSA-Szintigrafie für den Nachweis einer Parenchymläsion bei akuter Pyelonephritis außerordentlich hoch. Persistierende Nierennarben lassen sich mit der DMSA-Szintigrafie frühestens 6 Monate nach akuter Infektion darstellen. Mindestens die Hälfte aller entzündlichen Veränderungen sind nur vorübergehend nachweisbar, unabhängig davon, ob ein VUR vorliegt oder nicht. Zu bedenken ist die Strahlenexposition bei diesem Verfahren: 75 die effektive Dosis beträgt etwa 1 mSv/Untersuchung, unabhängig vom Alter des Kindes, unter der Voraussetzung, dass die Aktivitätsmenge körperoberflächenabhängig dosiert wurde [27]. In Schweden ist es gängige Praxis, bei einer Pyelonephritis eine DMSA-Szitingrafie durchzuführen und nur bei pathologischem Befund eine MCU zu veranlassen (»Top-down-Strategie«) Arzneimittel (parenteral) Tagesdosis [28]. Studien zeigen einen eindeutigen Zusammenhang zwischen pathologischen szintigrafischen Befunden, Nachweis eines VUR und dem Risiko persistierender postpyelonephritischer Narben [29]. Diese Strategie hat sich jedoch in anderen Ländern, so auch in Deutschland, nicht durchgesetzt. Während in Schweden bei primär pathologischem DMSA-Befund eine späte Kontrolle zum Nachweis bleibender Parenchym- Einzeldosen Anmerkungen Cephalosporine Gruppe 3 Cefotaxim 100–200 mg/kg KG 3 ED Ceftazidim 100–150 mg/kg KG 3 ED Ceftriaxon 50 mg/kg KG 1 ED Gentamicin 5 mg/kg KG 1 ED Tobramycin 5 mg/kg KG 1 ED Ampicillin 100–200 mg/kg KG 3 ED Ampicillin: Behandlung der »Enterokokkenlücke Ampicillin + Sulbactam 60–100 mg/kg KG 3 ED Dosisempfehlung für Ampicillin/Sulbactam, orientiert sich am Ampicillinanteil des Präparates Meropenem (30–)60 mg/kg KG 3 ED Bei Nachweis von multiresistenten uropathogenen Keimen (MRGN/ESBL) 3 ED Zugelassen ab dem zweiten Lebensjahr bei komplizierter Harnwegsinfektion oder Pyelonephritis (wenn eine andere Behandlung nicht möglich ist) Aminoglykoside Drugmonitoring erfoderlich! Penicilline Ciprofloxazin 18–30 mg/kg KG Tab. 5 | Arzneimittel zur parenteralen Therapie bei symptomatischen Harnwegsinfektionen; nach [23, 28] 76 2016 Band 86 / 1 pädiatrische praxis Arzneimittel (parenteral) Tagesdosis Einzeldosen Anmerkungen Cephalosporine Gruppe 3 Cefpodoximproxetil Ceftibuten Cefixim 8–10 mg/kg KG 2 ED 9 mg/kg KG 1–2 ED 8–12 mg/kg KG 1–2 ED Cephalosporine Gruppe 2 Cefuroximaxetil 20–30 mg/kg KG 3 ED Amoxicillin 50–90 mg/kg KG 3 ED Ampicillin: Behandlung der »Enterokokkenlücke Amoxicillin + Clavulansäure 40–60 mg/kg KG 3 ED Zunehmende Resistenzen von E. coli gegen Amoxicillin/Clavulansäure 2 ED Zugelassen ab dem zweiten Lebensjahr bei komplizierter Harnwegsinfektion oder Pyelonephritis (Zweit- oder Drittlinien therapie) Penicilline Ciprofloxazin 20(–40) mg/kg KG Tab. 6 | Arzneimittel zur oralen Therapie bei symptomatischen Harnwegsinfektionen; nach [23, 28] schäden empfohlen wird, sieht NICE dies nur in besonderen Situationen (nach »atypischer HWI«) vor [1]. In Deutschland spielt die DMSA-Szintigrafie in der Routinediagnostik bei und nach Pyelonephritis keine Rolle. Therapie Die frühzeitige und adäquate Diagnostik bei Verdacht auf HWI und der rasche Beginn einer antibakteriellen Therapie, die sich an der Erregerwahrscheinlichkeit und der lokalen Resistenzsituation orientiert (»kalkulierte« The- pädiatrische praxis 2016 Band 86 / 1 rapie), sind die wichtigsten Voraussetzungen, um eine bleibende Nierenparenchymschädigung zu verhindern [30]. Eine stationäre Behandlung und i. v. Therapie ist notwendig bei einer symptomatischen HWI bei Neugeborenen und in den ersten 2–3 Lebensmonaten, bei schwer krankem Kind, bei bekannter angeborener Uropathie, dilatierendem VUR (komplizierte Pyelonephritis) sowie bei klinischen Begleitphänomenen, z. B. Erbrechen und Durchfall (Tab. 3) [31]. Vor Therapiebeginn sollte unbedingt eine sachgerechte Harndiagnostik mit Erregernachweis und Resistenzprüfung veranlasst werden. Eine 77 i. v. Kombinationstherapie (Ceftazidim + Ampicillin oder Aminoglykosid + Ampicillin) wird zumindest für die Dauer von 3 Tagen, bei komplizierter Pyelonephritis auch für 7 Tage empfohlen. Ist eine komplizierte Pyelonephritis ausgeschlossen, kann die i. v. Therapie nach 3–4 Tagen beendet und die Therapie oral fortgeführt werden [32]. Aus klinischer Sicht empfehlenswert ist die i. v. Therapie bis zum Erhalt des Resistogramms, dann folgt die resistogrammorientierte orale Therapie für insgesamt 10–14 Tage. Jenseits des dritten Lebensmonats ist bei unkomplizierter HWI eine orale Monotherapie mit einem Cephalosporin der dritten Generation (Tab. 4) unbedenklich [32]. Diese Empfehlung gilt nicht für Kinder mit einem dilatierenden VUR. Befunde, die auf eine komplizierte HWI hinweisen, sollen ausgeschlossen sein (Tab. 4–6). Die von verschiedenen Gesellschaften empfohlene Gesamttherapiedauer ist uneinheitlich; bei unkomplizierter HWI ist eine 7–10-tägige Therapie ausreichend, bei komplizierter Pyelonephritis werden 14 Tage empfohlen, je nach klinischer Problematik gegebenenfalls auch länger. Ciprofloxacin ist bei besonderen Verläufen (Infektion mit Pseudomonas aeruginosa, multiresistente gramnegative Keime) ab dem zweiten Lebensjahr für die Therapie einer komplizierten Pyelonephritis zugelassen, wenn eine andere Behandlung nicht infrage kommt und das Ergebnis einer mikrobiologischen Testung vorliegt (deutsche Fachinformation). Das Risiko für eine Arthropathie oder eine Tendopathie ist gering. Erreger von Harnwegsinfektionen Uropathogene E.-coli-Keime sind die häufigsten Erreger bei einer HWI. Weltweit nimmt die Resistenzrate von E. coli gegenüber Ampicillin, Trimethoprim oder Trimethoprim-Sulfamethoxazol und auch älteren Cephalosporinen (Gruppe 1 und 2, z. B. Cefaclor) zu. Daher sind sie zur Monotherapie bei Pyelonephritis nicht geeignet. Ampicillin 78 in der Kombinationstherapie bei komplizierten HWI ist sinnvoll, um die »Enterokokkenlücke« (natürliche Resistenz gegen Enterokokken bei Cephalosporinen) zu überwinden [23]. Das Erregerspektrum bei HWI im frühen Kindesalter umfasst, häufiger als bei älteren Kindern, neben uropathogenen E.-coli-Keimen Enterokokken, Proteus, Klebsiellen und Pseudomonasstämme. Das Risiko von Extended-Spectrum-βLaktamase-(ESBL)-produzierenden Keimen als Verursacher von HWI nimmt zu. Harntraktanomalien, vorangegangene HWI, antibakterielle Therapie oder Prophylaxe (vor allem mit Cephalosporinen) begünstigen HWI mit Non-E.-colioder mit multiresistenten Keimen [33, 34]. Daher ist die bakteriologische Dia gnos tik bei Verdacht auf HWI notwendig! Antibakterielle Prophylaxe Die Bedeutung der antibakteriellen Langzeitprophylaxe ist seit längerem sehr umstritten [35]; NICE und AAP empfehlen, sie auch bei Kindern mit nachgewiesenem VUR nicht mehr routinemäßig zu veranlassen [1, 2]. Die schwedische Refluxstudie, in der das Risiko für HWI-Rezidive und Parenchymnarbenbildung untersucht wurde, konnte jedoch zeigen, dass Mädchen im Alter von 1–2 Lebensjahren mit VUR Grad 3 und 4 in einer 2-jährigen Beobachtungsphase von der prophylaktischen Therapie profitierten, vor allem im Vergleich zu Mädchen, bei denen HWI-Rezidive ohne Prophylaxe jeweils akut behandelt wurden [20]. Die Prophylaxe zur Vermeidung von Parenchym schäden ist nach heutigem Kenntnisstand weiterhin empfehlenswert für Säuglinge und Kleinkinder mit rezidivierenden Pyelonephritiden und bei Kindern mit höhergradigem VUR, besonders bei Mädchen, für die im Gegensatz zu Jungen nach dem ersten bzw. zweiten Lebensjahr ein hohes HWI-Rezidivrisiko besteht. Die italienische Leitlinie empfiehlt die Prophylaxe für die Dauer von 1–2 Jahren für Kinder mit Reflux Grad 3 und Kindern mit 3 Pyelonephri- 2016 Band 86 / 1 pädiatrische praxis tiden/Jahr (auch bei Kindern ohne Nachweis eines VUR) [3]. Die Leitlinien der American Urology Association empfehlen nach der ersten HWI bei Säuglingen 1 Jahr eine antibakterielle Prophylaxe, unabhängig vom Nachweis eines VUR [36]. Zur Prophylaxe eignen sich in besonderer Weise Trimethoprim und Nitrofurantoin. Trimethoprim (möglichst ohne Kombination mit Sulfamethoxazol) in einer Dosis von 1(–2) mg/kg KG/d in einer abendlichen Einmaldosis ist ein sehr gut verträgliches Arzneimittel und hat eine relativ lange Eliminationshalbwertszeit. In den ersten 6 Lebenswochen darf Trimethoprim nicht verabreicht werden. Die Resistenzrate von E. coli gegen Trimethoprim nimmt weltweit deutlich zu. Daher sollte Trimethoprim nur gegeben werden, wenn der nachgewiesene Keim in der Resistenzsprüfung sensibel ist. Nitrofurantoin (Dosis: 1 mg/kg KG/d) hat in der Prophylaxe weiterhin einen besonderen Stellenwert, da das Risiko einer Resistenzentwicklung gering ist. Ernsthafte Nebenwirkungen im Kindesalter sind sehr selten. In den ersten 3 Lebensmonaten darf Nitrofurantoin nicht gegeben werden. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) erwägt eine Begrenzung der Anwendungsdauer auf 6 Monate. Zu beachten ist die natürliche Resistenz gegen Proteus mirabilis. Cephalosporine sollten nur in besonderen Situationen zur Prophylaxe eingesetzt werden, da sie ein wachsendes Risiko für die Selektion von ESBL-produzierenden Keimen darstellen. ESBL-Keime, vor allem E. coli und Klebsiellen, sind resistent besonders gegenüber Cephalosporinen aller Generationen. In den ersten 6 Lebens wochen ist Cefaclor in einer Dosis von 10 mg/kg KG allerdings das einzige Chemotherapeutikum, das zur Prophylaxe von HWI zugelassen ist. den Patienten, dar. Daten über die optimale Dauer der Prophylaxe fehlen zwar, aber sie ist sicher solange sinnvoll, wie ein hohes Risiko für post entzündliche Nierenparenchymschäden besteht. Zusammenfassung Die akute Pyelonephritis ist eine häufige und oft mit schweren Symptomen einhergehende, fieberhafte Erkrankung in der frühen Kindheit. 1,7 % der Mädchen und 1,5 % der Jungen entwickeln eine symptomatische Harnwegsinfektion (HWI) in den ersten beiden Lebensjahren. Ein vesikoureteraler Reflux (VUR) ist häufig mit einer Pyelonephritis assoziiert, nachweisbar bei 36 % der Mädchen und 24 % der Jungen. Ziele der Therapie sind die Verhinderung von Nierenparenchymnarben und damit die Vermeidung von Langzeitfolgen wie arterielle Hypertonie, Schwangerschaftskomplikationen und chronische Nierenerkrankung. Die Diskussion um notwendige diagnostische Maßnahmen und Strategien zur Vermeidung von HWI-Rezidiven ist kontrovers. Die Assoziation zwischen HWI, VUR und Nierenparenchymschäden, die Harndiagnostik bei Verdacht auf HWI, die bildgebende Diagnostik bei und nach Pyelonephritis und die antibakterielle Prophylaxe sind Gegenstand der Diskussion. Mehrere, in den letzten Jahren veröffentlichte Empfehlungen und Leitlinien empfehlen eine deutliche Restriktion der strahlenbelastenden Diagnostik nach Pyelonephritis und eine Beschränkung der antibakteriellen Langzeitinfek tionsprophylaxe auf wenige Risikogruppen. In der vorliegenden Arbeit werden aktuelle Aspekte in der Betreuung von Säuglingen und Kleinstkindern mit HWI vorgestellt und diskutiert. Die Indikation zu einer antibakteriellen Langzeitprophylaxe beschränkt sich auf besonders gefährdete kleine Patienten und stellt somit eine individuelle Entscheidung, bezogen auf pädiatrische praxis 2016 Band 86 / 1 79 Literatur 1. Mori R, Lakhanpaul M, Verrier-Jones K. On behalf of the Abstract guideline development group. 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Kuwertz-Bröking pädiatrische praxis 86/1, 69–81 (2016) cme.mgo-fachverlage.de Diese Fortbildungseinheit wird von der Bayerischen Landesärztekammer für die zertifizierte Fortbildung in der Kategorie I (Tutoriell unterstützte Online-Fortbildungsmaßnahme) anerkannt. Bei richtiger Beantwortung von mindestens 70 % der Fragen erhalten Sie bis zu 4 Fortbildungspunkte. CME-Punkte werden im Rahmen von Äquivalenzregelungen auch von den anderen Landesärztekammern und der Österreichischen Ärztekammer anerkannt. CME-Online-Teilnahme Für die Teilnahme an den CME-Fortbildungseinheiten müssen Sie sich einmalig im CME-Online-Portal der Mediengruppe Oberfranken Fachverlage registrieren: cme.mgo-fachverlage.de Nach Freischaltung können Sie auf diese Fortbildungseinheit sowie auf alle anderen im CME-Online-Portal zur Verfügung gestellten Fortbildungsmodule zugreifen und zusätzliche Fortbildungspunkte erwerben. Diese zertifizierte Fortbildung ist 12 Monate auf cme.mgo-fachverlage.de verfügbar. 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