Probekapitel - Franz Steiner Verlag

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Probekapitel - Franz Steiner Verlag
I. Einleitung
Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) ist seit ihrer Gründung im Jahre
1920 und bis heute die zentrale Selbstverwaltungseinrichtung der Wissenschaft in
Deutschland. Ihre Haupttätigkeit besteht in der finanziellen Unterstützung der
Forschung an Hochschulen und öffentlich finanzierten Forschungsinstitutionen
in der Bundesrepublik. Die Mittel für die Forschungsförderung kommen überwiegend von staatlicher Seite, vom Bund und von den Ländern. Juristisch gesehen ist die DFG ein eingetragener Verein.
In den offiziellen Verlautbarungen der DFG aus den 1950er, 1960er und
1970er Jahren lässt sich nachlesen, dass die DFG der Wissenschaft in allen ihren
Zweigen dient, und zwar, indem sie wissenschaftliche Vorhaben finanziell unterstützt und die Zusammenarbeit unter den Forschern fördert. Weitere Leitbegriffe
jener Jahrzehnte lauteten: Selbstverwaltung und Einheit der Wissenschaft sowie
Freiheit und Autonomie der Forschung. Diesen Ansprüchen wollte die DFG gerecht werden. Genügte sie ihnen? Gab es eine Politik der Forschungsförderung im
Sinne von gezielten, planenden, lenkenden Maßnahmen? Oder zählte allein das
freie Spiel der Kräfte, in dem sich gleichsam automatisch „die Wahrheit“ und
somit das beste Forschungsvorhaben durchsetzte? „Diente“ die DFG der Forschung, und zwar allen Bereichen der Wissenschaft gleichermaßen, und zudem
uneigennützig, ohne eigene Interessen? Oder bestimmte, plante, lenkte die DFG
die Forschung?
Doch wer oder was war überhaupt „die“ DFG? Gespräche im wissenschaftlichen Kollegenkreis über den historischen Gegenstand DFG zeigen, dass diese
Frage offenbar nicht leicht zu beantworten ist. Vielmehr entsteht häufig der Eindruck, „die“ DFG habe aus einer Person oder Personengruppe bestanden, die
nach undurchschaubaren Kriterien selbstherrliche Entscheidungen fällte oder aus
ebenso undurchsichtigen Gründen gerade nicht. Auch in der Forschungsliteratur
ist gelegentlich zu lesen, dass „die“ DFG Anträge bewilligt oder abgelehnt, diese
oder jene Forschungstradition befördert oder abgeschnitten, diese oder jene forschungspolitische Maßnahme ergriffen habe. In solchen pauschalisierenden Aussagen wird „die“ DFG als eine Art Blackbox behandelt, von der niemand genau
weiß, aus welchen Elementen sie bestand, was in ihrem Inneren vorging und wie
sie funktionierte. Ihre Funktionsmechanismen scheinen nur aus den Reaktionen
auf die eingegangenen Signale erschließbar zu sein – wenn überhaupt. Der vorliegenden Studie geht es darum, diese Blackbox DFG in historischer Perspektive
und im Hinblick auf ihre förderpolitischen Maßnahmen zu öffnen und zu untersuchen.
Der Untersuchungszeitraum erstreckt sich vom Ende des Zweiten Weltkriegs
bis in die frühen 1970er Jahre. Im Hinblick auf die Strategien und Instrumente
der Forschungsförderung, die im Zentrum der Studie stehen, vollzog sich in jenen Jahrzehnten ein beachtlicher Wandel, für den die beiden Jahreszahlen 1949,
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I. Einleitung
die Einrichtung des Normalverfahrens im Jahr der Wiedergründung der DFG,
und 1968, das Jahr der Einrichtung der Sonderforschungsbereiche, symbolhaft
stehen. Die im Jahre 1949 in Bonn als „Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft“ wiedergegründete Forschungsgemeinschaft zeichnete sich zunächst durch
eine Politik der dezidierten Ablehnung jedweder regulierender Eingriffe in die
Forschungsförderung aus. Ihren Niederschlag fand diese Überzeugung im Normalverfahren, welches das erste und zunächst einzige förderpolitische Instrument
der Forschungsgemeinschaft darstellte. Ende der 1960er Jahre/Anfang der 1970er
Jahre sah dies ganz anders aus. In zunehmendem Maße versuchte die DFG, nun
planend und lenkend, also strukturbildend in die Forschung einzugreifen. Einen
ersten Höhepunkt erreichten die forschungsplanerischen Aktivitäten Endes des
Jahres 1968 mit der Etablierung der Sonderforschungsbereiche als drittes zentrales Förderverfahren. Die Untersuchung greift jedoch über diese beiden Jahre etwas hinaus, beginnt mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges, da bereits zu diesem
Zeitpunkt erste Überlegungen zur Wiederaufnahme der Forschungsförderung angestellt wurden, und endet zu Beginn der 1970er Jahre. Zu diesem Zeitpunkt
waren die SFB bereits fest etabliert, war die förderpolitische Richtlinienkompetenz innerhalb der DFG an neu geschaffene Gremien übergegangen und die Geschäftsstelle der DFG hatte einen Reorganisationsprozess durchlaufen, der sie zu
der Institution machte, die bis heute bekannt ist. Dominierte in den ersten Jahren
nach der Wiedergründung der Leitbegriff der „Freiheit der Wissenschaft“, so
stand am Ende der 1960er/zu Beginn der 1970er Jahre die „Planungseuphorie“ im
Vordergrund. Der Wandel der Leitbilder sowie der strategischen Konzepte und
Instrumente der Förderpolitik soll im Folgenden beschrieben und analysiert werden.
In diesem Buch wird die DFG als Organisation begriffen.1 Unter Organisation
verstehe ich einen von bestimmten Personengruppen gegründeten, zur Verwirklichung bestimmter Ziele geschaffenen, arbeitsteilig gestalteten und herrschaftlich
verfassten Zusammenschluss. Im Sinne des herrschaftssoziologischen Ansatzes
von Max Weber geht es bei der Analyse einer Organisation um Autoritäts‑ und
Kontrollstrukturen, um Legitimation, das heißt um die Sicherung hierarchischer
Strukturen, und um die Konsequenzen der Hierarchie für Bestand, Erfolg und
Entwicklung dieser Organisation. Angewandt auf das Fallbeispiel DFG ergibt
sich somit der erste zentrale Fragekomplex, der sich als Macht- und Herrschaftsanalyse der Organisation DFG beschreiben lässt. Wer oder was konstituierte die
DFG? Bei welchen Einzelpersonen oder Gruppen lag die Entscheidungsbefugnis
über die förderpolitischen Maßnahmen? Kann man überhaupt von einem einzigen Mittelpunkt sprechen oder handelte es sich nicht vielmehr um mehrere, sich
wandelnde und differenzierende Zentren? Welche Personen oder Gremien be1
Auch andere Deutungsmuster sind möglich und legitim. So kann die DFG mit guten Gründen verstanden werden als Gesamtheit aller Gutachter und Kommissionsmitglieder, denen
im jeweiligen Gebiet Lenkungsfunktionen zukamen, oder als Betätigungsfeld und Instrument einiger profilierter Exponenten der wissenschaftlichen community. Aus der Perspektive
der Studentenbewegung erschien die DFG als das letzte Reservat der Ordinarien.
I. Einleitung
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stimmten in welchem Zeitraum die Forschungsförderung maßgeblich? Wie sind
die gegebenenfalls auffindbaren Wandlungsprozesse zu erklären? Die Analyseebene zielt auf einen Einblick in die Funktionsweise der Organisation, in ihre –
auf die Forschungsförderung bezogenen – Lenkungsverhältnisse. Zentral ist daher die Frage nach den Entscheidungsprozessen, ihren Grundlagen, Methoden
und Ergebnissen.
Der Blick in die Akten zeigte rasch, dass sich die Macht- und Entscheidungsstrukturen innerhalb der Gesamtorganisation DFG recht genau rekonstruieren
und daher auch analysieren lassen, also das Mit- oder Gegeneinander der verschiedenen Personen und Gremien, aus denen sich die DFG zusammensetzte. Zu
nennen sind der Präsident und der Generalsekretär, das Präsidium und der Vorstand (seit 1970 auch das Direktorium) der DFG, ihre Geschäftsstelle, der Senat,
der Hauptausschuss sowie das Kuratorium, die Fachausschüsse sowie die Mitgliederversammlung der DFG.
Kurt Zierold, der langjährige Generalsekretär der DFG, unterteilte die Geschichte der DFG in der Bundesrepublik nach der Amtszeit der Präsidenten,
sprach von der „Ära” eines Karl Geiler (1949–1951), Ludwig Raiser (1951–1955),
Gerhard Hess (1955–1964) oder Julius Speer (1964–1973).2 Die ersten Recherchen
zeigten jedoch, dass die Präsidenten zwar in der Frühphase der bundesdeutschen
DFG Konzeptionen und Instrumente der Forschungsförderung gestalten konnten. Dann aber gingen die strukturbildenden Überlegungen und Maßnahmen
zunehmend von anderen DFG-Gremien und Personengruppen aus. Im Hinblick
auf die Förderpolitik stehen daher vier Organe im Mittelpunkt der Untersuchung:
der Präsident, das Präsidium, die Geschäftsstelle sowie der Senat.
Die prägende Rolle von einzelnen Personen oder Personengruppen für die
Forschungspolitik der Organisation DFG berücksichtigend fragt die zweite zentrale Analyseebene nach Akteurskonstellationen und sozialen Netzwerken. Dies
zielt auf die entscheidenden Protagonisten in den forschungspolitischen Spitzengremien der DFG – auf die Mitglieder des Präsidiums, auf die Referenten in der
Geschäftsstelle sowie auf die Senatoren – und ihre Beziehungen zueinander. Die
Betrachtung der Handlungs- und Entscheidungsspielräume einzelner Protagonisten muss ergänzt werden durch die Analyse des Beziehungsgeflechts, in dem
diese agierten. Bei der Netzwerkanalyse der zentralen Protagonisten stütze ich
mich auf das Netzwerkmodell, das der Techniksoziologe Johannes Weyer in Beschreibung der in der Technikgenese und Techniksteuerung greifenden Prozesse
entwickelt hat. Demnach konstituieren folgende Komponenten ein soziales Netzwerk: Es handelt sich erstens um eine relativ dauerhafte, informelle, zweitens
personengebundene, vertrauensvolle, drittens reziproke, exklusive Interaktionsbeziehung viertens heterogener, autonomer, fünftens strategiefähiger, aber sechstens interdependenter Akteure, die siebtens freiwillig kooperieren, um einen Surpluseffekt zu erzielen, und daher achtens ihre Handlungsprogramme koppeln.3
2
3
Zierold, Forschungsförderung, S. 531. Auf die Bedeutung einer langen Amtszeit für die
Handlungsspielräume des jeweiligen Präsidenten (hier der Max-Planck-Gesellschaft) weist
auch Buchardt, Präsidenten, S. 169, hin.
Vgl. Weyer, Ordnung, S. 64. Zur Herleitung und zur Diskussion älterer Modelle wie etwa der
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Weyer betont als zentrales Charakteristikum eines sozialen Netzwerks zudem
„die Doppelbindung der Akteure an ihr Bezugssystem einerseits, an die Kooperationsbeziehung andererseits“.4 Weyers Modell ist als Idealtypus anzusehen, der
aber gleichwohl als Referenz geeignet ist, um Eigenschaften real vorfindbarer
Netzwerke zu analysieren und zu bewerten.
Im Sinne dieses Modells sind neben den durch die Organisation DFG vorgegebenen Beziehungs- und Kommunikationsstrukturen daher auch die eher informellen Verbindungen und Absprachen der Akteure zu untersuchen, die weit über
das eigene Haus hinausreichten. Die Tatsache, dass man auf derartige Kommunikationskanäle formaler wie informeller Art stößt, war leicht vorauszusehen, und
ihr Nachweis ist insofern kaum überraschend. Er soll vielmehr als Ausgangspunkt
dienen, um die Netzwerkanalyse auf dem zentralen Tätigkeits- und Handlungsfeld der Akteure zur Anwendung zu bringen, dem der Forschungsförderung.
Damit ist der dritte Fragekomplex benannt, der im Zentrum der Untersuchung steht. In diesem geht es um die Offenlegung und Erforschung der von den
Spitzengremien der DFG betriebenen Forschungsförderung, um die entsprechenden strategischen Instrumente und Konzep­te. „Forschungsförderung“ wird hier
als zentraler Bestandteil von Forschungspolitik aufgefasst. Der Begriff „Forschungspolitik“ soll hier im engeren Sinne benutzt und damit abgegrenzt werden
von thematisch ähnlich gelagerten Termini wie Wissenschafts-, Bildungs- und­/
oder Hochschulpolitik. Denn bereits unter den Begriff Wissenschaftspolitik werden beispielsweise – ich folge hier der Definition von Frank R. Pfetsch – alle
Maßnahmen subsumiert, die erstens auf Forschung und technische Entwicklung,
zweitens auf die Lehre und drittens auf alle wissenschaftlich‑technischen Dienste
in den Hochschulen, den außeruniversitären Einrichtungen sowie auf Forschungs‑ und Versuchslaboratorien der Wirtschaft gerichtet sind und von staatlichen Organen, Gruppenorganisationen und privaten Personen getragen werden beziehungsweise getragen worden sind.5 Der Wissenschaftssoziologe Ulrich Schmoch
unterscheidet drei Bedeutungsebenen des Wissenschaftsbegriffs, nämlich erstens
die systematische Genese neuen wissenschaftlichen Wissens, zweitens den systematisch organisierten Bestand wissenschaftlichen Wissens und drittens die soziale Organisation von Wissenschaftlern.6 Unter „Wissenschaft“ in diesem weiten
Sinne ist also die gesamte Breite systematischer Tätigkeit zur Erzeugung, Speicherung und Weitergabe von (neuem) Wissen zu verstehen, und zwar unabhängig
davon, ob diese Tätigkeit direkt zur kreativen Tätigkeit gehört (also zum Bereich
Forschung und Entwicklung) oder nur indirekt zu den Voraussetzungen kreativer
systematischer Arbeit zählt (das wäre der Bereich der technisch‑wissenschaftlichen
Dienste) oder schließlich der Verbreitung beziehungsweise Vorbereitung zur Er-
4
5
6
Theorie der Interorganisationsnetzwerke, der Policy-Netzwerke oder der Aktanden-Netz­
werke vgl. ebd., S. 53–57.
Weyer, Ordnung, S. 67. Hervorhebung im Original. Vgl. auch ders., Konturen, S. 44 f., sowie
– in Anlehnung an Weyer – Schmoch, Hochschulforschung, S. 119.
Vgl. Pfetsch, Wissenschaftsförderung, S. 116. Zum Folgenden ebd., S. 115.
Vgl. Schmoch, Hochschulforschung, S. 26.
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zeugung von Wissen dient (dies wäre der Bereich der Lehre).7 Im Gegensatz zu
diesem breiten Ansatz wird Forschung und Entwicklung (FuE) heutzutage und in
Anlehnung an eine Definition der „Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung“ (OECD) verstanden als systematische, schöpferische
Arbeit zur Erweiterung des Kenntnisstandes einschließlich der Erkenntnisse über
den Menschen, die Kultur und die Gesellschaft (Forschung) sowie deren Verwendung mit dem Ziel, neue Anwendungsmöglichkeiten zu finden (Entwicklung).
Damit ist der Forschungsbegriff wesentlich enger gefasst als der Wissenschaftsbegriff. Denn die wissenschaftliche Lehre zählt ebenso wenig zur Forschung wie die
beispielsweise von Bibliotheken erbrachten wissenschaftlichen Serviceleistungen.
Vor diesem Hintergrund wird in dieser Arbeit Forschungspolitik als ein Teilbereich des umfassenderen Begriffs der Wissenschaftspolitik verstanden, nämlich
dem Teilbereich der Forschung und Entwicklung. Forschungspolitik ist demnach
die Summe der Maßnahmen zur Förderung von FuE im Sinne erwünschter Ziele,
wobei diese wissenschaftlicher, gesellschaftlicher, wirtschaftlicher, sozialer und/
oder kultureller Art sein können.8 Sie kann Maßnahmen zur Aus- und Weiterbildung der Forscher, für die Bereitstellung von Fördermitteln und zur Steigerung
der Effizienz von FuE und zur Anwendung ihrer Ergebnisse in Gesellschaft und
Wirtschaft umfassen. In der Regel handelt es sich dabei um einen Prozess des
Aushandelns, an dem zumeist mehrere Akteure oder Akteursgruppen teilhaben,
um zu allgemein verbindlichen Entscheidungen zu kommen.
Was ist im hier interessierenden Zusammenhang Gegenstand der Forschungspolitik? Primär wird nach der institutionellen und materiellen Seite der Forschungsförderung gefragt, da diese die Kerntätigkeit der DFG darstellten. Unter
Kerntätigkeit der DFG wird die Bearbeitung, Begutachtung, Bewilligung beziehungsweise Ablehnung von Anträgen verstanden, unter Forschungsförderung im
engeren Sinne die Finanzierung und Ermöglich­ung oder Nicht-Finanzierung und
Nicht-Ermöglichung von wissenschaftlichen Untersuchungen. Konkret gefragt:
Welche Gebiete, Fächer, Disziplinen förderte die DFG? Mit welchen finanziellen
Mitteln tat sie dies, und wie verteilten sich diese auf die einzelnen Wissenschaftsbereiche? Damit ist die Frage nach dem Förderprofil der DFG gestellt. Dabei soll
das Hauptaugenmerk auf den großen konzeptionellen, strukturbildenden Maßnahmen der Förderpolitik liegen und nicht auf der eher indirekten Beeinflussung
einer einzelnen Disziplin durch Begutachtung. Welche Verfahren der Forschungsförderung etablierten die Spitzengremien der DFG, um ihre Forschungspolitik
umzusetzen? Veränderte sich das Instrumentarium im Untersuchungszeitraum
und wenn ja, aus welchen Gründen? Wurden beispielsweise neue Verfahrenstypen installiert, andere abgeschafft? Zudem soll nach Aushandlungsprozessen innerhalb der förderpolitischen Spitzengremien der DFG gefragt werden. Welche
Gruppe dominierte die Förderpolitik? Welche Gründe brachten die Protagonisten
7
8
Das Verhältnis der drei Bereiche beschreibt Pfetsch, Wissenschaftsförderung, S. 115, folgendermaßen: Wissenschaftlich‑politische Steuerung wirkt auf Forschung, diese wiederum auf
die Entwicklung, beide auf die Lehre. Der Gesamtkomplex wird von den wissenschaftlich‑technischen Diensten unterstützt.
Vgl. auch Zaruba, Organisation, S. 9.
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I. Einleitung
für ihre Entscheidungen vor und welche Motive lagen diesen zugrunde? Wie sicherten sie ihr Handeln argumentativ ab? Kurz: Welche Antworten strategischer
oder konzeptioneller Art formulierten die förderpolitischen Spitzengremien der
DFG auf die Herausforderungen, mit denen sich die (bundes-)deutsche Wissenschaft im Verlauf der untersuchten Jahrzehnte konfrontiert sah?
Die Diskussion um die „richtige“ Art und Weise, die Forschung zu fördern,
spannte sich zwischen zwei Polen auf, nämlich zwischen dem Begriffspaar „Autonomie” versus „Planung” der Wissenschaft. Die Frage nach Steuerung oder freier
Entfaltung der Wissenschaften ist das vielleicht wichtigste forschungspolitische
Thema jener Jahre und kann zugleich als Selbstvergewisserungsdiskurs der DFGAkteure gelesen werden. Entgegen der Wahrnehmung, welche die DFG gleichsam als Gralshüterin der Autonomie der Wissenschaft sieht und jegliche Planung
der Sphäre der Politik zuordnet, begann der Diskurs um Lenkung und Planung
der Forschung in den Spitzengremien der DFG bereits in den frühen 1950er Jahren. Darüber hinaus ist zu fragen, wie die Leitungsgremien mit den unterschiedlichen Wissenschaftskulturen umgingen. Förderten sie beispielsweise Geistes- und
Naturwissenschaften gleichermaßen? Wen repräsentierte die Organisation und
wessen Interessen vertrat sie? Letzterem soll insbesondere anhand des Verhältnisses von Grundlagenforschung und angewandter Forschung nachgegangen werden.
Die vierte und letzte Untersuchungsebene fragt schließlich nach dem Ort
und Stellenwert der DFG im Gesamtensemble der wissenschaftspolitischen Institutionen und Akteure. Die Phase bis zur Wiedergründung der DFG wurde von
den Auseinandersetzungen mit den regionalen Forschungsräten und insbesondere mit dem „Deutschen Forschungsrat“ geprägt, in den folgenden Jahrzehnten
stand die DFG vor der Herausforderung, sich gegen zentral errichtete und übergreifend agierende Wissenschaftseinrichtungen wie insbesondere Wissenschaftsrat und Bundesforschungsministerium behaupten zu müssen und zu wollen.
Die Geschichte der Notgemeinschaft/DFG kann mittlerweile für den Zeitraum
von 1920 bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs als gut erforscht gelten.9 Die Entwicklung in der Bundesrepublik hingegen ist bislang nicht zum Gegenstand einer
größeren historischen Studie geworden. Zwei Bücher sind gleichwohl zu nennen,
denen die vorliegende Arbeit wichtige Einsichten und Informationen verdankt:
Zum 50-jährigen Jubiläum der DFG im Jahre 1970 legten Thomas Nipperdey und
Ludwig Schmugge eine Überblicksdarstellung zur Geschichte der DFG von 1920
bis 1970 vor, wobei die Zeitspanne von 1949 bis 1970 allerdings lediglich 37 von
insgesamt nur 106 Seiten umfasst.10 Zudem verzichteten die Autoren auf die Angabe von Quellen. Auch die 1968 veröffentlichte Darstellung des langjährigen
Generalsekretärs der DFG, Kurt Zierold, bietet wertvolle Hinweise auf die Tätig9
Vgl. insbesondere Flachowsky, Notgemeinschaft; Hammerstein, Forschungsgemeinschaft;
Kirchhoff, Wissenschaftsförderung; Marsch, Notgemeinschaft; Mertens, NS-Wis­sens­chafts­
politik; ders., „Würdige“; Nipperdey/Schmugge, Jahre, S. 7–67; Zierold, For­schungs­för­de­
rung, S. 3–272.
10 Nipperdey/Schmugge, Jahre, S. 69–106.
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keit und Politik der DFG in der Bundesrepublik. Sie kann in einigen Teilen als
eine Art Nachschlagewerk und Handbuch gelesen werden, in anderen hingegen
ist sie eher als Quelle denn als Forschungsarbeit anzusehen.11
Die vorliegende Studie kann sich zudem auf einige wichtige Untersuchungen
stützen, die Geschichte, Struktur und Politik einiger zentraler Organisationen in
der bundesdeutschen Wissenschaftslandschaft rekonstruieren.12 So ist die Nachkriegs- und Aufbauperiode des Wissenschaftssystems durch die wichtigen Arbeiten von Maria Osietzki und Thomas Stamm breit untersucht.13 Zudem liegen für
die Geschichte und Politik anderer großer Spitzenorganisationen der Wissenschaft Dokumentationen oder einführende Darstellungen vor: Der Forschungsstand über die Geschichte und Struktur der Kaiser-Wilhelm-/Max-Planck-Gesellschaft ist vergleichsweise gut – allerdings nur für die NS- und unmittelbare Nachkriegszeit. Drei ältere Sammelbände informieren über die Geschichte der Institution seit ihrer Gründung, über Existenz oder Mythos des sogenannten HarnackPrinzips, über Entwicklungen, Strukturen und prägende Persönlichkeiten in einzelnen Instituten oder der Generalverwaltung, über die internationalen Wissenschaftsbeziehungen sowie über das Forschungsprogramm im Spannungsfeld von
Wissenschaftsautonomie und staatlicher Politik.14 Nur wenige Aufsätze thematisieren allerdings die Nachkriegszeit, die Phase nach dem Wiederaufbau beziehungsweise der Neugründung 1948.15 Lediglich ein einziger Beitrag beschäftigt
sich mit den späten 1960er und frühen 1970er Jahren (genauer mit der Satzungsreform der Max-Planck-Gesellschaft 1972 und ihrer Vorgeschichte), und sein Autor, Robert Gerwin, weist einleitend darauf hin, dass er die Ereignisse als Zeitzeuge beschreibe, dem zudem kaum eine archivalische Quelle zur Verfügung gestanden habe.16 Die älteren Arbeiten werden nun durch die Ergebnisse der „Präsidentenkommission Geschichte der Kaiser‑Wilhelm‑Gesell­schaft im Nationalsozialismus“ ergänzt, die inzwischen zahlreiche Monografien vorgelegt hat.17 Allerdings beschränken sich auch diese Untersuchungen weitgehend auf die NS-Zeit.
11 Zierold, Forschungsförderung.
12 Auch zur bundesdeutschen Forschungspolitik allgemein liegen einige Studien vor. Die Arbeit von Gerjets, Forschungspolitik, beschäftigt sich auf abstrakter Ebene mit der Forschungspolitik der Bundesregierung in den siebziger Jahren. Bentele, Kartellbildung, untersucht die
sogenannte Rahmenvereinbarung Forschungsförderung vom 28.11.1975, um an diesem Bei­
spiel Ursachen und Folgen zunehmender Politikverflechtung zu diskutieren. Einen knappen
Überblick aus marxistischer Perspektive gibt zudem Rilling, Forschungspolitik.
13 Osietzki, Wissenschaftsorganisation; Stamm, Staat. Zum Wiederaufbau von Bildungs- und
Erziehungseinrichtungen in der unmittelbaren Nachkriegszeit vgl. Heinemann (Hg.), Restau­
ration.
14 Vgl. Vierhaus/Brocke (Hg.), Forschung; Brocke/Laitko (Hg.), Kaiser-Wilhelm-/Max-PlanckGesellschaft; Kaufmann (Hg.), Geschichte. Zu weiteren Veröffentlichungen über die KaiserWilhelm-/Max-Planck-Gesellschaft vgl. Henning/Sandow, Literatur, S. 961–966.
15 Für die Nachkriegsperiode der Jahre 1945–1948/49 vgl. vor allem Heinemann, Wiederaufbau; Burchardt, Präsidenten; Rechenberg, Heisenberg. Zudem spielt der Wiederaufbau der
Max-Planck-Gesellschaft (MPG) natürlich auch bei Stamm, Staat, und Osietzki, Wissen­
schafts­organisation, eine wichtige Rolle.
16 Gerwin, Windschatten, Fn. 1, S. 211.
17 Vgl. http://www.mpiwg‑berlin.mpg.de/KWG/publications.htm#B%FCcher.
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I. Einleitung
Die Geschichte der MPG nach der Wiedergründung bleibt daher noch weitgehend im Dunkeln, auch wenn für die Jahre von 1948 bis 1998 eine sehr hilfreiche
Chronik18 sowie eine soziologische Analyse der wechselnden Finanzierungsmodi
vorliegen.19
Ähnliches gilt auch für die Geschichte der Westdeutschen Rektorenkonferenz. Zwar lässt sich ihre Vorgeschichte aus veröffentlichten Dokumenten gut rekonstruieren: Eine von Manfred Heinemann herausgegebene und von Siegfried
Müller bearbeitete Quellensammlung dokumentiert die Sitzungsprotokolle sowie die Beschlüsse und Empfehlungen der insgesamt 16 Konferenzen der Nordwestdeutschen Hochschulkonferenzen im Zeitraum September 1945 bis November 1948.20 Am Ende dieser Konferenzserie standen die Trennung der akademischen von den staatlichen Vertretern (die bis dahin gemeinsam getagt hatten) und
die Gründung zweier neuartiger Institutionen: Im April 1949 entstanden die
Ständige Konferenz der Kultusminister sowie die Westdeutsche Rektorenkonferenz. Deren Geschichte jedoch ist noch nicht geschrieben.21
Andere zentrale Institutionen der bundesdeutschen Forschungslandschaft,
die zum Teil als Gegenspieler, zum Teil als Kooperationspartner der DFG agierten, sind hingegen recht gut – und zum Teil bis in die späten 1990er Jahre hinein22 – erforscht. So ist der Wissenschaftsrat sowohl unter historischen als auch
juristischen beziehungsweise soziologischen Fragestellungen untersucht worden.23 Für den Bereich der staatlich finanzierten außeruniversitären Forschung24
sowie für die Verbände der Forschungseinrichtungen ist der Kenntnisstand ebenso
weit fortgeschritten – insbesondere durch die großen Arbeiten von Helmuth
Trischler und Rüdiger vom Bruch über die Fraunhofergesellschaft25, von Winfried Schulze über den Stifterverband26, die Studie von Peter Lundgreen und
anderen über die Ressortforschungseinrichtungen27 sowie die umfangreiche Reihe
der Forschergruppe um Gerhard A. Ritter, Margit Szöllösi-Janze und Helmuth
Trischler über die bundesdeutschen Großforschungseinrichtungen.28 Diese sind
18 Diese entstand anlässlich der 50-Jahrfeier der MPG. Die beiden Autoren betonen einleitend
und zu Recht, dass die Chronik eine Gesamtgeschichte nicht ersetzen kann. Henning/
Kazemi, Chronik, Vorwort. Vgl. auch Markl (Hg.), Mitglieder.
19 Hohn/Schimank, Konflikte, S. 79–134.
20 Heinemann (Hg.), Hochschulkonferenzen.
21 Als ersten Überblick, der allerdings nur 30 Seiten umfasst, vgl. Fischer (Hg.), Rektorenkonferenz.
22 Zur Entwicklung des Wissenschafts- und Forschungssystems nach der „Wende” in den neuen
Bundesländern vgl. als kurzen Überblick Brocke/Förtsch, Forschung.
23 Vgl. nun insbesondere Bartz, Wissenschaftsrat; sowie Metzler, Konzeptionen, S. 164–170.
Aus juristischer Sicht Röhl, Wissenschaftsrat; und aus integrationstheoretischer Foemer, Problem.
24 Es liegen zudem zahlreiche (und an dieser Stelle nicht aufgeführte) Studien zur Geschichte
einzelner Hochschulen und zur Entwicklung einzelner Fächer vor. Viele von ihnen enden
allerdings mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs oder in der unmittelbaren Nachkriegszeit.
25 Trischler/vom Bruch, Forschung.
26 Schulze, Stifterverband.
27 Lundgreen u.a., Forschung.
28 Vgl. Boenke, Entstehung; Eberlein (Hg.), Systemanalyse; Fleischmann, Antarktis; Habfast,
I. Einleitung
15
durch einige Sammelbände29 sowie die Überblicksdarstellung von Gerhard A.
Ritter über Großforschung und Staat abgerundet worden.30 Mit dem Buch Forschung
als Geschäft von Jürgen Lieske liegt zudem auch ein erster Überblick über die Entwicklung der industriellen Auftragsforschung in Deutschland vor.31 Andreas Stucke beschäftigte sich aus wissenschaftssoziologischer Perspektive mit dem Bundesforschungsministerium und seinen Vorläuferorganisationen.32 Zudem informiert eine im Jahr 2000 herausgegebene, dreibändige Reihe über Geschichte und
Aufgaben des Deutschen Akademischen Austauschdienstes33 und das Buch von
Joachim Böttger über die Arbeitsgemeinschaft industrieller Forschungsvereinigungen.34 Einige wichtige Schneisen in das weite Feld der bundesdeutschen Forschungspolitik sind mit den genannten Studien bereits geschlagen. Eine umfassende Untersuchung über die DFG, die in diesem eine wichtige Rolle spielt(e),
steht bislang noch aus. Das vorliegende Buch beansprucht nicht, diese Lücke zu
füllen. Es leistet jedoch insofern einen Beitrag zur Behebung des Desiderats, als
sie das zentrale Tätigkeitsfeld der DFG untersucht, nämlich die strategischen
Konzepte und Instrumente der Forschungsförderung.
Die Quellengrundlage der vorliegenden Arbeit bilden Dokumente unterschiedlicher Provenienz. Zu nennen sind zunächst die gedruckten offiziellen Verlautbarungen der DFG wie insbesondere die Jahres-, Rechenschafts- und Haushaltsberichte sowie Denkschriften und Memoranden. Diese Materialien wurden ergänzt
durch Aufsätze, Artikel und Abhandlungen der zentralen Protagonisten zu forschungs-, wissenschafts- und hochschulpolitischen Themen. Um ihre Biografien
und ihre wissenschaftspolitischen Netzwerke zu rekonstruieren, konnten Personalakten, berufsbezogene und private Briefwechsel sowie zum Teil Nachlässe herangezogen und ausgewertet werden. Die Personalakten beziehungsweise weitere
Dokumente zu den untersuchten Personen finden sich in einzelnen Universitätsarchiven sowie im Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde (Bestand ehemaliges Document Center). Wichtige Einblicke in das „Innenleben“ und die Funktionsweise
der Organisation erhielt ich durch Gespräche mit Zeitzeugen, welche die Entwicklung der DFG und/oder der bundesdeutschen Forschungspolitik insgesamt
bis Anfang der 1970er Jahre aktiv mitgestalteten. Sie bieten eine wertvolle Ergänzung und zum Teil auch Korrektur der Materialien, welche die Organe und die
Geschäftsstelle der DFG hinterlassen haben, insbesondere der Protokolle der ver-
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Großforschung; Mutert, Großforschung; Oetzel, Forschungspolitik; Rusinek, Forschungszentrum; Szöllösi-Janze, Geschichte; Trischler, Luft- und Raumfahrtforschung; Wagner/
Mauerberger, Krebsforschung; Weiss, Großforschung; Wiegand, Informatik. Einige der genannten Studien erschienen außerhalb des Projektes.
Ritter u.a. (Hg.), Antworten; Szöllösi-Janze/Trischler (Hg.), Großforschung.
Ritter, Großforschung.
Lieske, Forschung.
Stucke, Institutionalisierung.
Alter (Hg.), DAAD; Heinemann, Fakten; Hellmann (Hg.), DAAD. Aus historischer Perspektive besonders interessant ist der Aufsatz von Alter, Wiedergründung, sowie der Beitrag von
Düwell, DAAD.
Böttger, Forschung.
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I. Einleitung
schiedenen Gremiensitzungen. Diese stellen die überwiegende Mehrzahl der ausgewerteten Dokumente.
Die Masse der herangezogenen Akten besteht aus Unterlagen der DFG-Geschäftsstelle und der DFG-Gremien. Die Archivsituation für die Quellenbestände
der DFG seit 1949 ist durch zwei Merkmale charakterisiert: Zum Ersten lagern die
Akten an zwei Standorten, nämlich im Bundesarchiv in Koblenz sowie im Aktenkeller der Geschäftsstelle der DFG in Bonn. Da die DFG nicht über ein hauseigenes Archiv verfügt, mangelt es dort an einer archivalischen Grunderschließung
und -ausstattung.35 Zum Zweiten handelt es sich um einen immens großen Bestand. Dieser gliedert sich in zwei Teile:
1. Einzelförderakten 1949 bis Anfang der 1970er Jahre: Es handelt sich um
rund 54.000 Akten, die seit Ende der 1960er Jahre auf Mikrofiche (zumindest in
Teilen) verfilmt wurden.36 Die Mikrofiches lagern im Aktenkeller der DFG.37
2. Generalakten seit 1949: Teilbestände befinden sich im Archiv der DFG,
der weitaus größte Teil der Generalakten hingegen wurde an das Bundesarchiv in
Koblenz abgegeben. Es handelt sich erstens um 93 Filme mit etwa 630.000 Blatt
Papier sowie zweitens um circa 220.000 Akteneinheiten oder 2,9 laufende Kilometer (Bestand: B 227), die den Zeitraum 1949 bis 1985 umfassen und zurzeit bis
etwa Mitte der 1970er Jahre zugänglich sind.
Um sich einen Überblick über die von der DFG zwischen 1949 und Anfang
der 1970er Jahre geförderten Einzeluntersuchungen zu verschaffen, hat das Forschungsvorhaben „Geschichte der Deutschen Forschungsgemeinschaft 1920–
1970“ im Sommer 2000 beschlossen, eine entsprechende Datenbank zu erstellen.
Ein erwünschter Nebeneffekt bestand darin, dass auf diese Weise auch der im
Aktenkeller der DFG lagernde Mikrofiche-Bestand erschlossen werden konnte.
Die im Laufe des Jahres 2000/01 geschaffene Datenbank enthält die von der
DFG geförderten Forschungsvorhaben zwischen 1949 und 1969 in den beiden
wichtigsten Förderverfahren, dem Normal- und dem Schwerpunktverfahren.38
Grundlage der Datenbank sind die Jahresberichte der DFG, die seit 1949 und bis
35 Es existieren beispielsweise weder Findmittel noch ein Bestellsystem. Dieser Mangel konnte
jedoch durch die Hilfe zahlreiche Mitarbeiter der Geschäftsstelle mehr als kompensiert werden: Für die immer kompetente und immer freundliche Unterstützung sei allen Mitarbeitern, die unter der Forschergruppe und ihren Fragen zu leiden hatten, sehr herzlich gedankt.
Stellvertretend für viele sei insbesondere Herrn Pietrusziak genannt und gedankt, der mir die
Feinheiten des Aktenplanes und der Registratur nahe brachte und der unermüdlich und stets
freundlich alle gewünschten Dokumente ausfindig machte und besorgte.
36 Die Mikrofilmstelle wurde im Frühjahr 1967 eingerichtet. Die Handakte des Leiters der Mikrofilmstelle befindet sich in der DFG, I 7 – 21235 Mikrofilmarchiv.
37 Verfilmt wurden nicht die kompletten Beihilfeakten, sondern in der Regel lediglich einige
wenige Schriftstücke: Vorlagen für den Hauptausschuss, Berichtsgutachten, Bewilligungsschreiben, gegebenenfalls Leihscheine für Geräte, Schlussabrechnung. Vgl. dazu die Verfügung des Präsidenten der DFG vom 28.4.1967 „Richtlinien für die Aussonderung, Verwahrung und Vernichtung von Schriftgut, Mikrofilm“ sowie „Verfilmungsplan der einzelnen
Beihilfen“ o. D., DFG, I 7 – 21235 Mikrofilmarchiv.
38 Das Ende der Datenaufnahme ergab sich aus einem technischen Grund: Ab 1969 veränderte
sich das Gliederungsschema in der Erfassungsvorlage, sodass eine andere Form der Datenaufnahme notwendig gewesen wäre. Da der Untersuchungszeitraum des Gesamtvorhabens oh-
I. Einleitung
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heute veröffentlicht werden.39 In den Jahresberichten sind alle geförderten Sachbeihilfen, also die Forschungsvorhaben im engeren Sinne, lückenlos aufgelistet.
Diese Listen wurden erfasst und in eine Datenbank eingespeist.40 Sie enthält folgende Informationen: Name, Vorname, Geschlecht und akademischer Titel des
Antragstellers, den Titel der Untersuchung sowie das Fach beziehungsweise den
Fachausschuss, in dem das Vorhaben bei der DFG gefördert wurde. Zudem ist der
Beginn der Förderung sowie die Art des Förderverfahrens, also Normal- oder
Schwerpunktverfahren (sowie gegebenenfalls der Name des Schwerpunktprogramms) eingetragen und nicht zuletzt der Ort, an dem der Antragsteller lebte.41
Nicht aufgelistet – und damit nicht zu erfassen – sind diejenigen Anträge, die
abgelehnt wurden. Doch deren Zahl ist – gemessen an den heutigen Quoten –
vergleichsweise gering. Weiter unten wird darauf zurückzukommen sein. Die Datenbank wurde an der einen oder anderen Stelle durch Informationen aus der
handbuchartigen Darstellung Zierolds ergänzt, in der zahlreiche DFG-interne
Materialien – darunter zahlreiche hilfreiche Überblicke und Statistiken – präsentiert werden. Auch die erwähnten Jahresberichte der DFG enthalten, etwa zur
Verteilung des Finanzvolumens, ausführliche Übersichten, die zum Teil herangezogen und ausgewertet wurden. Aufgrund der genannten Materialien konnte ein
zuverlässiges statistisches Bild des Förderprofils der DFG zwischen 1949 und
1969 erstellt werden, das unten ausführlich darzustellen und zu bewerten sein
wird.
Eine systematische oder punktuelle inhaltliche Auswertung der Einzelfallakten erfolgte für diese Untersuchung nicht. Für die Gesamtheit der Akten – es
handelt sich um rund 54.000 Fördervorgänge – ist dies schon aufgrund der großen Zahl nicht zu bewältigen. Darüber hinaus dürfte niemand in der Lage sein,
alle hier behandelten Wissenschaftsgebiete zu überschauen, um somit eine seriöse fachliche Einschätzung über Antragstellung, Begutachtung und Bewilligung
beziehungsweise Ablehnung geben zu können. Auch auf eine stichprobenartige
Analyse (beispielsweise anhand eines Fachausschusses) wurde verzichtet, da die
vorliegende Untersuchung auf die strukturelle und konzeptionelle Ebene der Forschungspolitik zielt und nicht auf eine zwangsläufig kleinteilig angelegte Rekonstruktion der Formierung einer bestimmten Disziplin durch Begutachtung.
Um die übergreifende Ebene der Forschungsförderung zu untersuchen, erwiesen sich die Generalakten der DFG, die überwiegend im Bundesarchiv Koblenz lagern, als einschlägig. Sie bilden den wichtigsten und umfangreichsten Teil
nehin zu Anfang der siebziger Jahre endet, haben wir uns entschlossen, die Datenaufnahme
mit Ende des Jahres 1968 zu beenden.
39 Berichte der Deutschen Forschungsgemeinschaft über ihre Tätigkeit, Bonn 1949ff.
40 Erfasst wurden ausschließlich die Sachbeihilfen, nicht jedoch Druckkostenzuschüsse, Reisebeihilfen und Stipendien.
41 Nicht aufgenommen wurden im Normalverfahren die Unterabteilungen der Fachausschüsse
(also zum Beispiel Fachausschuss Theologie: a. Katholische, b. Evangelische oder Fachausschuss Medizin: a. Praktische, b. Theoretische) und im Schwerpunktverfahren die Unterabteilungen der Schwerpunktprogramme (zum Beispiel Schwerpunktprogramm Wasserforschung a. Allgemein, b. Bodenseeprojekt).
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I. Einleitung
der eingesehenen Archivalien, da sie einen Einblick in Politik, Handeln und
Selbstverständnis der Spitzengremien der DFG seit 1949 vermitteln. Den Grundstock der ausgewerteten Akten bilden die Sitzungsprotokolle der forschungspolitischen Leitungsgremien der DFG: des Präsidiums, des Senats sowie der Geschäftsstelle.
Diese Niederschriften geben die Realität allerdings nicht ungebrochen wieder. Sie sind vielmehr – ich folge hier den quellenkritischen Bemerkungen Bernd
A. Rusineks42 – das schriftlich formulierte Resultat der Interaktion zwischen dem
Sitzungsleiter, den Sitzungsteilnehmern und dem Protokollanten, wobei sich Interaktion und Kommunikation auf den Zeitraum vor, während und nach der
Zusammenkunft erstrecken. Wichtige und/oder konfliktträchtige Entscheidungen wurden beispielsweise meist bereits im Vorfeld im informellen Gespräch geklärt oder zumindest angesprochen. Dabei galt: Je bedeutsamer und/oder konfliktreicher die Angelegenheit war, desto intensiver waren in der Regel die Vorbesprechungen, desto weitreichender gegebenenfalls die Absprachen. Für den Historiker, der sich ausschließlich auf die archivierten Sitzungsprotokolle stützt, ist
es schwierig bis unmöglich, diesem Phänomen auf die Spur zu kommen. Denn
naturgemäß findet sich in den Sitzungsniederschriften selbst nur äußerst selten
ein Hinweis auf im Vorfeld getroffene Absprachen. Gelegentlich tauchen diese
hingegen in der Korrespondenz zu den Sitzungen auf oder in Briefen oder Notizen der Beteiligten.
Die hier ausgewerteten Protokolle, die stets von den Referenten der Geschäftsstelle angefertigt wurden, gaben die Erörterungen während der Sitzungen und
gegebenenfalls die Beschlussfassung vergleichsweise ausführlich wieder.43 Die relativ ausführliche Version des Protokolls trug der Tatsache Rechnung, dass viele
Gremienmitglieder – insbesondere im Senat der DFG war dies auffällig – nicht an
allen anberaumten Sitzungen teilnehmen konnten oder wollten. Das Protokoll
sollte daher gewährleisten, den Wissens- und Informationsstand der abwesenden
Gremienmitglieder im Hinblick auf die diskutierten Themen möglichst auszugleichen. Die Niederschrift konnte auch als durchaus erwünschte Gedächtnisstütze benutzt werden, fanden die Sitzungen beispielsweise des Senats doch im
großen Abstand von meist mehreren Monaten statt, und sie dienten als Arbeitsrichtlinie für die ausführenden Organe oder Personen (wie beispielsweise die Mitarbeiter der Geschäftsstelle), die Beschlüsse des Leitungsgremiums (beispiels­weise
des Senats) umzusetzen hatten. Schließlich kam ihnen die Funktion der internen
und auch der externen Beweissicherung zu, indem Entscheidungen und gegebenenfalls Kommunikationsprozesse fixiert wurden.
Trotz vorbereitender Maßnahmen konnte nicht immer vermieden werden,
dass Konflikte während der Sitzungen offen ausgetragen wurden. Dies musste
dann auch im Protokoll seinen Niederschlag finden, gleichwohl häufig bis zur
Unkenntlichkeit abgemildert. Vieles, was in den Sitzungen scharf und pointiert
42 Rusinek, Gremienprotokolle, S. 185–197.
43 Andere Leitungsgremien handhab(t)en dies anders. Häufig wurden und werden lediglich resümierende Verhandlungs-, Beschluss- oder Kurzprotokolle geschrieben.
I. Einleitung
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zur Sprache kam, findet sich nicht im Protokoll, da der Sitzungsleiter in der Regel
einer „,Harmonisierungsverpflichtung‘“44 unterlag oder sich doch darum bemühte, die Sitzung zu einem harmonischen, wenn nicht konsensualen Ergebnis
zu führen. Dabei halfen Kaffeepausen und gemeinsam eingenommene Mahlzeiten, um den einen oder anderen Streitpunkt im informellen Gespräch zu entschärfen. Auch nach der Sitzung endete die Interaktion der Beteiligten nicht. Bis
das endgültige Protokoll vorlag, waren mehrere Etappen von Entwurf, Korrektur,
Überarbeitung und letztendlicher Bestätigung durch die Gremienmitglieder zu
bewältigen.45
In Anbetracht dieser Überlegungen müssen Protokolle, die Argumentationslinien und Beschlüsse von Leitungsgremien festhalten, als Informationsreservoir
für die (abwesenden) Mitglieder, als Arbeitsanweisung für die ausführenden Instanzen, insbesondere aber als Abbild des dominanten Diskurses innerhalb jenes
Gremiums gelesen und interpretiert werden. In manchen Fällen handelt es sich
um diplomatische Meisterwerke, die häufig mehr verbergen als preisgeben. Zu
Recht wurde das Protokollschreiben als „,Drahtseilkunst‘“ charakterisiert, als Akt
der „,Formulierungspolitik‘“. Durch den kritischen Blick auf das Material offenbart sich zugleich auch sein Wert: Denn die Niederschriften geben die Mehrheitsmeinung und zentrale Argumentationsfiguren wieder.
Die Analyse der DFG-Akten wurde ergänzt durch die Auswertung gedruckter
Materialien oder archivierter Dokumente anderer Organisationen des bundesdeutschen Wissenschaftssystems. Zu nennen sind hier insbesondere Unterlagen
des Wissenschaftsrats, die in großer Zahl publiziert vorliegen, ebenso wie die gut
erschlossenen Akten des Bundesforschungsministeriums und seiner Vorläufer
(1955 Bundesministerium für Atomfragen, 1957 Bundesministerium für Atomkernenergie und Wasserwirtschaft, 1962 Bundesministerium für wissenschaftliche
Forschung, 1969 Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft, seit 1972 zudem Bundesministerium für Forschung und Technologie), die im Bundesarchiv
Koblenz oder in den Bibliotheken zugänglich sind.46 Schließlich wurden Tagesund Wochenzeitungen (zum Teil systematisch) im Hinblick auf das Thema Forschungspolitik ausgewertet.
44 Zit. nach Rusinek, Gremienprotokolle, S. 195. Die folgenden beiden Zitate zit. nach ebd., S.
187.
45 Der Protokollant legte einen ersten Entwurf vor, den der Generalsekretär oder Präsident der
DFG las und gegebenenfalls kommentierte beziehungsweise korrigierte. Im Wechselspiel
zwischen diesen Instanzen entstand so letztendlich eine Version der Niederschrift, die der
Präsident an die Sitzungsteilnehmer verschickte. In der nächsten Sitzung hatten alle Gremienmitglieder die Möglichkeit zu dieser Fassung des Protokolls Stellung zu nehmen, um gegebenenfalls Korrekturen und Kommentare vorzubringen. Erst wenn diese eingearbeitet
waren, und alle Sitzungsteilnehmer ihr Einverständnis dokumentiert hatten, war das endgültige Protokoll entstanden und damit das Dokument, das der Historiker Jahrzehnte später in
den Händen hält und interpretiert.
46 Zu erwähnen sind insbesondere die „Bundesberichte Forschung“ sowie Verlautbarungen, Artikel und Mitteilungen aus dem Bundesforschungsministerium.
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I. Einleitung
Die Arbeit gliedert sich in drei chronologisch angelegte Kapitel. Im ersten
Kapitel wird die Geschichte der DFG während der Wiederaufbauphase, die unmittelbar nach Ende des Zweiten Weltkriegs einsetzte und Mitte der 1950er Jahre
endete, untersucht. Zunächst ist hier die lange Gründungsgeschichte der DFG zu
rekonstruieren, die von 1945 bis zum Sommer 1951 reichte. Nicht gezielte Förderpolitik dominierte jene Jahre, sondern die langwierigen Auseinandersetzungen der Bonner Notgemeinschaft mit zahlreichen konkurrierenden Institutionen
um den zentralen Platz im Feld der Forschungsförderung. Von einer lenkenden
Förderpolitik kann zunächst kaum gesprochen werden. Vielmehr stand die Förderung der „freien Forscherpersönlichkeit“ im Mittelpunkt der förderpolitischen
Maßnahmen. Demgegenüber zeichnete sich die Phase von der Mitte der 1950er
bis Mitte der 1960er Jahre, die im zweiten Kapitel beschrieben wird, durch
Schwerpunktsetzung in der Forschungsförderung aus. Das dritte Kapitel schließlich thematisiert die späten sechziger und frühen 1970er Jahre, in denen die DFG
die Sonderforschungsbereiche etablierte und eine gezielte und systematische
„Planung“ der Forschungsförderung anstrebte.