Ich bin der letzte Mohikaner

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Ich bin der letzte Mohikaner
KUNSTRÄUME GRAFENEGG
„Ich bin der letzte Mohikaner“
In Grafenegg ist Krzysztof
Penderecki „Composer in
Residence“. Der traditionelle
Avantgardist, Komponist,
Antikommunist und leidenschaftliche Arborist sorgt
sich um den Kulturbetrieb
und seine Heimat Polen.
S T E F A N
B E I G
Auch nach hundert Jahren moderner
Musik scheinen sich Konzertpublikum
und zeitgenössische Komponisten kein
bisschen näher gekommen zu sein: Uraufführungen sind im normalen Konzertprogramm nach wie vor Rarität. Als zu
„esoterisch“, „kompliziert“ oder schlicht
„unhörbar“ gilt vielen Menschen unserer
Zeit das gegenwärtige Musikschaffen.
Dabei konnte dem allgemeinen Trend zum
Trotz ja auch die sogenannte „Ernste
Kunst“ im vergangenen Jahrhundert ihre
„Stars“ hervorbringen – Komponisten, die
Aufnahme in den traditionellen Konzertbetrieb fanden.
Der 1933 in Debica geborene polnische
Altmeister Krzysztof Penderecki – heuer
„Composer in Residence“ beim Festival
Grafenegg – gehört aber zweifelsohne zu
den wenigen Musikschaffenden, die selbst
in konservativen Kreisen Akzeptanz und
Verständnis finden.
So wird ein Wochenende lang Pendereckis Musik Schloss, Park und „Wolkenturm“ von Grafenegg erfüllen. Als echter
Musikallrounder wird Penderecki dabei
auch als Interpret in Erscheinung treten
und sein „Largo“ für Cello und Orchester
sowie die „Serenade“ mit Uraufführung
des eigens für Grafenegg komponierten
dritten Satzes selbst dirigieren. Darüber
hinaus werden neben dem Violinkonzert
„Metamorphosen“ auch noch von Solisten
der politischen Literatur gab es bis zum
Schluss Zensur.“
Der Karriereanfang war freilich für
Komponisten damals ebenso schwierig
wie heute für einen jungen: „Vom Komponieren kann man nicht leben. Das war
immer so.“ Und so sieht er für einen
beginnenden Komponisten nur wenige
Überlebenschancen: „Entweder er ist mit
einem Dirigenten befreundet, der seine
Werke aufführt, oder er schreibt Theater-
ben“, vermutet er. Schlussendlich konnte
den großen Erfolg der Lukas-Passion im
Westen selbst das kommunistische Regime
in Polen nicht ignorieren. Und noch im
gleichen Jahr geschah eine kleine Sensation: „Das staatliche Orchester Polens führte
die Lukas-Passion in einer polnischen Kirche auf. So etwas war Anfang der sechziger Jahre noch undenkbar gewesen …“
Seither schrieb der polnische Maestro
zahlreiche geistliche Werke. So folgte das
FOTOS: STEFAN FUHRER
„Der Krieg und die Herrschaft des Kommunismus haben starke Eindrücke in mir hinterlassen.“
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aus den Reihen der Tonkünstler das
Sextett für Klarinette, Horn, Streichtrio
und Klavier sowie die Solowerke „Cadenza“ für Viola und „Per Slava“ für Violoncello gespielt werden.
„In Wien war ich schon oft, in Niederösterreich bisher nur selten“, gesteht Penderecki dem „morgen“. Und, hoffnungsvoll: „Es ist sehr gut, dass man bei Festivals wie Grafenegg neue Musik spielt.
Man trifft dort auf Menschen, die aufgeschlossen für Neues sind.“ Auch in Polen
sei die Zahl der Festivals stark gestiegen.
„Vor zehn, zwanzig Jahren gab es bei uns
noch an die sechs Festivals, heute sind
es über zweihundert.“ Diese Wandlung
der polnischen Musiklandschaft führt
Penderecki auf die Zunahme an privaten
Sponsoren zurück.
Wenngleich Penderecki in seiner Jugend klar Gegner des kommunistischen
Regimes in seiner Heimat war, glaubt er
heute nicht, dass es Kunst und Kultur seit
dem Ende des Kalten Kriegs besser geht;
unter den schwierigen Umständen des
Kommunismus sei sogar mehr interessantere Kunst entstanden als heute: „Das
betrifft besonders Film und Theater“; für
die Musik habe sich weniger geändert,
„außer, dass wir weniger Geld durch die
Politik bekommen. Denn die Kommunisten haben uns eifrig subventioniert“,
meint Penderecki: „Die erste Hälfte der
fünfziger Jahre war zwar noch eine
schlimme Zeit, aber nach dem Aufstand in
Polen und Ungarn 1956 hat sich die Situation für die Künstler verbessert. Nur bei
und Filmmusik. Ja, vielleicht geht es auch
besser, wenn er bei einem Wettbewerb den
ersten Preis gewinnt.
Nun ging Penderecki selbst den letzteren Weg – und das ziemlich spektakulär.
Denn im Jahr 1959 erhielt Penderecki
beim II. Warschauer Wettbewerb Junger
Polnischer Komponisten des Komponistenverbandes für die drei vom ihm eingesandten Werke alle zu vergebenden Preise
und kann seither auch international über
mangelnde Bekanntheit nicht klagen.
1960 folgte die erfolgreiche Uraufführung von „Anaklasis“ für Streicher und
Schlagwerk, das noch ganz Pendereckis
erste Schaffensperiode widerspiegelt – und
in der er neue Mittel der zeitgenössischen
Musik dramaturgisch wirksam einsetzte,
etwa Schlagzeugwirbel und die intensive
Ausnutzung von Streicher-Clustern: „Anfang der sechziger Jahre dominierte dann
die Avantgarde, die Suche nach Neuem –
wir wollten damals alles vergessen, was
wir in der Schule gelernt hatten.“
Nicht weniger Furore machte Pendereckis 1966 mit der im Dom zu Münster
uraufgeführte Lukas-Passion, in deren
groß-oratorischem Habitus sich bereits
Gegenwartsempfinden und Traditionalität
miteinander mischen. Die expressiv-dramatische Klangsprache der Lukas-Passion
ist bis heute charakteristisch für Penderecki: „Der Krieg und dann die Herrschaft
des Kommunismus haben starke Eindrücke
in mir hinterlassen und meinen Stil geprägt. Wäre ich in Neuseeland groß geworden, würde ich ganz andere Musik schrei-
zweiteilige Osteroratorium „Utrenja“, das
den Zuhörer in die dunkel-mystische Welt
der russischen Orthodoxie versetzt. Penderecki: „Damals schrieb ich geistliche
Musik aus Protest gegen den offiziellen
Stil des sozialistischen Realismus. Mir war
es ein Anliegen, die Kirche, die in Polen
ein Symbol der Freiheit war, zu unterstützen. Ich war damals rebellisch – aber
auch die anderen Künstler Polens waren
durchwegs Antikommunisten. Außerdem
ist für mich die Bibel ein sehr wichtiges
Buch. Ich habe ihre Texte oft studiert und
vertont.“
DIE NÄHE ZUM PAPST. Seit den siebziger
Jahren ist ein gewisses Oratorien-Pathos
im ganzen Werk Pendereckis unverkennbar. 1973 schrieb er ein „Magnificat“ für
die Salzburger Festspiele, zehn Jahre später ein 90-Minuten-Opus, das „Polnische
Requiem“. Zwischen den beiden großen
Werken liegt ein „Te Deum“ anlässlich
der Wahl des Krakauer Erzbischofs Karol
Wojtyla zum Pontifex Maximus.
Penderecki kannte den späteren Papst
Johannes Paul II. bereits seit den fünfziger
Jahren über das Theater: „Wir trafen uns
das erste Mal im Jahr 1952. Ich habe damals für eine Bühne die Musik geschrieben und traf einen Theaterregisseur, mit
dem wiederum Wojtyla befreundet war.“
Penderecki verhehlt nicht seine Bewunderung für Karol Wojtyla: „Er war in dieser dunklen Ära eine sehr wichtige Persönlichkeit, die auch die Kunst unterstützt
hat. Er hatte großes Charisma und stellte
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in seinem Wirken stets die Freiheit in
den Vordergrund. In einer für uns Polen
wichtigen Zeit gab er uns den Mut zum
Kämpfen. Und das Ende des Kommunismus wäre ohne ihn nicht Wirklichkeit
geworden.“
Pendereckis Wertschätzung dürfte freilich auch nicht ganz frei von Patriotismus
sein: Denn Wojtyla war für ihn der erste
polnische Papst – „aber auch der letzte.“
So komponierte Penderecki gleich nach
dem Tod des Papstes auch einen weiteren
Satz für sein „Polnisches Requiem“.
Seit den siebziger Jahren löste sich
Penderecki allerdings zusehends von seiner avantgardistischen Phase. Er begann
als einer der ganz wenigen modernen
Komponisten, Symphonien zu schreiben.
Neoromantische Tendenzen mit Bezug zu
Bruckner, Wagner, Sibelius und Tschaikowsky wurden unüberhörbar: „Die Zeit
der Avantgarde war die beste und fruchtbarste Zeit, aber sie ist schon längst vorbei“, meint Penderecki heute. „Manche
sind zwar Avantgardisten geblieben, aber
für mich wäre das langweilig gewesen.
Manche Elemente der Avantgarde habe
ich weiterentwickelt, aber ich kann heute
nicht mehr die Sprache der sechziger Jahre
verwenden. Wir leben in einer anderen
Zeit.“ Nachsatz: „Auch heute ist meine
Musik neu, aber sie ist für andere Menschen geschrieben.“
Penderecki fällt es schwer, seine eigene
Musik einzuordnen. Auf die Frage des
„morgen“, wie er seinen persönlichen Stil
bezeichnen würde, wird er verlegen: „Ich
habe nie versucht, meine Musik verbal zu
beschreiben. Da fällt es mir leichter, eine
Symphonie zu komponieren. Und ich habe
meinen eigenen Stil entwickelt, den man
mit keinem anderen vergleichen kann.“
Jedenfalls fühlt er sich in der Tradition
verankert, weil er Formen verwendet, die
auch vor 200 Jahren existierten: „Ich bin
der letzte Mohikaner. Abgesehen von ein
paar ganz jungen Komponisten schreibt
kaum jemand heute noch Symphonien.
Aber ich bleibe der Komponist der großen
Form.“
Im Gegensatz zu seinen Kollegen Karlheinz Stockhausen, Luigi Nono oder auch
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„Wir Polen sind in den
Händen von gänzlich
unprofessionellen Politikern“
Iannis Xenakis konnte sich Penderecki
dank seiner zugänglichen Musiksprache
im gängigen internationalen Konzertbetrieb behaupten. Die bedeutendsten Konzerthäuser der Welt führten seine Werke
auf, für Isaac Stern komponierte Penderecki sein erstes Violinkonzert, für AnneSophie Mutter sein zweites. Dem großen
Cellisten Mstislaw Leopoldowitsch Rostropowitsch widmete er gleich mehrere Werke.
So spielte Rostropowitsch auch bei seinem
letzten Auftreten vor seinem Tod im April
dieses Jahres ein Penderecki-Opus – nämlich das Largo für Violoncello und Orchester. Seither wurde es kaum gespielt – in
Grafenegg allerdings wird die dritte Aufführung zu erleben sein.
Natürlich hat auch Penderecki selbst
als Interpret an der Verbreitung seiner
Musik aktiv mitgewirkt: „Ich habe vor 40
Jahren mit dem Dirigieren angefangen.
Auch wenn ich ständig als Dirigent auftrete, ist das für mich nicht wichtiger als
das Komponieren. Und ich bleibe Komponist.“
Allerdings – die postmoderne Belie–
bigkeit gefällt Penderecki nicht: „Heute
herrscht eine gefährliche Freiheit. Wir haben Chaos. Die jungen Leute wissen nicht,
welche Richtung sie einschlagen sollen,
weil alles vorhanden ist. Ich kenne keinen
jungen Komponisten, dem es seit der
Avantgarde gelungen ist, etwas Neues zu
schaffen.“
SORGE UM DIE UMWELT. In Grafenegg
wird für Penderecki ein eigener Baum gepflanzt werden. Denn gerade in Parks unter alten Bäumen fühlt sich der polnische
Maestro sehr wohl. Seit dreißig Jahren
gilt seine Leidenschaft dem Pflanzen von
Bäumen. Im heimischen Luslawice hat er
in einem der größten Arboreten Europas
1500 Bäume auf dreißig Hektar gepflanzt:
„Meine Sammlung ist sehr vielfältig. Ich
suche nach neuen Arten. Hunderte vom
Bäumen habe ich selbst gepflanzt. Ich bin
viel gereist und habe verschiedenste
Pflanzen aus Japan, China, Nordamerika
und vielen europäischen Ländern nach
Polen gebracht. Sie zu pflegen ist eine
Beschäftigung für mein gesamtes Leben,
denn Bäume leben. Jeden Monat sieht der
Park anders aus.“
Eine direkte Inspiration für das Komponieren seien die Bäume allerdings nicht,
aber das Gestalten des Parks habe Ähnlichkeiten mit dem Schreiben einer Partitur: „Man braucht für beides Phantasie
und Wissen. Bei einer Partitur muss man
wissen, wie ein Akkord in einer Symphonie wirkt. Genauso ist es bei der Gestaltung meines Parks: Ich muss wissen, wie
er in 50, 100 Jahren aussehen wird. Man
braucht in beiden Fällen einen architektonischen Sinn.“ Trotzdem: Der Klimawandel und der Zustand der Umwelt bereitet
Penderecki Kopfzerbrechen. Wegen der
zunehmenden Trockenheit hat er Sorge
um seine Bäume. Fazit: „Vielleicht brauche ich künftig andere Baumarten.“
Nur über ein einziges Thema spricht
Penderecki gegenwärtig nicht gerne – die
Politik in Polen: „Was jetzt in Polen
geschieht, kann ich absolut nicht akzeptieren. Wenn ich die Zeitung lese, bin ich
den ganzen Tag lang schlecht gelaunt.
Wir sind in den Händen von gänzlich
unprofessionellen Politikern, die keine
Ahnung von Ethik haben. Es sind ursprünglich kleine Parteien, die gegen den
Beitritt zur EU waren und jetzt viel zu
sagen haben. Und das ärgert mich … vielleicht aber ist auch die Demokratie zu
schnell nach Polen gekommen; wir waren
nach fünfzig Jahren Unterdrückung offenbar zu wenig vorbereitet.“
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