lesen - MKW Blog - Universität Freiburg

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Albert-Ludwigs-Universität Freiburg
Institut für
Medienkulturwissenschaft
GET A LIFE! HABEN INTERNET-MEMES EINEN
KULTURELLEN MEHRWERT?
EINE KULTURWISSENSCHAFTLICHE BETRACHTUNG AM BEISPIEL VON HARRYPOTTER-MEMES.
Hausarbeit im Rahmen des Seminars
„Das Wissen der Medien“
Eingereicht bei:
Dr. Harald Hillgärtner
Eingereicht von:
Sarah Ziegler
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung………………………………………………………………......1
2. Participatory Culture online………………………………………………..2
2.1. Was ist Fandom-Aneignung?................................................................2
2.2. Internet-Phänomen Meme…………………………………………….4
2.3. Frühe Internet-Memes………………………………………………...5
2.4. Harry Potter und Memes……………………………………………...6
3. Haben Memes einen kulturellen Mehrwert?.................................................9
3.1. Get a life!...............................................................................................9
3.2. Appropriation Art bei Harry-Potter-Memes?......................................10
3.3. Media Literacy………………………………………………………12
4. Fazit………………………………………………………………………13
5. Literaturverzeichnis………………………………………………………15
5.1. Abbildungsverzeichnis……………………………………………...16
1. Einleitung
„Get a life, will you people?“1 schreit William Shatner, seinerseits Star der Serie ‚Star Trek‘,
seinen Fans entgegen. Man schreibt das Jahr 1986. In einer Saturday Night Live Show im
amerikanischen Fernsehen wird Shatner mit Fragen bombadiert. Von Fans, die mehr über die
Serie zu wissen scheinen, als er selbst.
Get a life! Der Satz, wenn auch in satirischer Absicht von Shatner verwendet, blieb bis heute
im kollektiven Gedächtnis. Und das nicht nur im Bezug auf ‚Star Trek‘. Angesichts von über
37000 selbstgeschriebenen Geschichten allein auf der Seite fanfiction.net, Abermillionen von
Memes2 über Snape, Dumbledore und Co auf Tumblr, sowie 163.031.090 Klicks3 auf
YouTube für das Video „Potter Puppet Pals-The mysterious ticking noise“ kann man auch bei
Harry Potter von einer wahren Fan-Hysterie sprechen. „Participatory Culture“ nennt sich die
Gruppe, die nicht nur Fan ist, sondern auch in Eigeninitiative aktiv an dem Hyphe teilnimmt,
selbst Geschichten schreibt oder Bilderwitze, die sogenannten Memes entwirft. Participatory
Culture hat vor allem durch das Internet in den letzten Jahren erheblichen Aufwind erlebt. Das
Netz wird überschwemmt von Memes. Nicht allein deshalb steht die Participatory Culture in
der Kritik. Stereotyp eines Fans ist ein hirnloser Konsument, der alles kauft, was mit seinem
Programm oder seiner Serie assoziiert wird4 (meine Übersetzung) oder auch Menschen, die
ihr Leben der Kultivierung von unnötigem, wertlosem Wissen widmen und dadurch
emotional und intellektuell zurück geblieben sind5.
In dieser Arbeit möchte ich mich auf die Internet-Memes als Produkt der Participatory Culture
konzentrieren. Ziel ist eine Analyse der Frage nach dem kulturellen Mehrwert von InternetMemes im Kontext von Harry Potter. Handelt es sich hierbei um reine Zeitverschwendung
und wertloses Kulturgut oder etwa um eine Form von Kunst?
Hierfür werden zunächst die Begriffe „Participatory Culture online“ und „Internet-Memes“
genauer erläutert, dann in historischen, sowie in den Kontext von Harry Potter gestellt. Im
nachfolgenden Kapitel wird betrachtet, inwiefern man Harry-Potter-Memes mit der
Appropriation Art der Kunstgeschichte vergleichen könnte oder ob man den Fans eher ein
„Get a life!“ zurufen sollte.
1
Jenkins, 1992, S. 10.
In dieser Arbeit wird der Englische Ausdruck „Meme“ bzw. „Memes“ verwendet.
3
Stand: 30.09.15, zu sehen auf: https://www.youtube.com/watch?v=Tx1XIm6q4r4.
Im Vergleich dazu: „I have a dream. Martin L. King Speech“ hat 1.643.692 Klicks auf Youtube.
4
Jenkins, 1992, S. 10.
5
Vgl., Jenkins, S. 10.
2
1
2. Participatory Culture online
2.1. Was ist Fandom-Aneignung?
Um sich dem Thema Participatory Culture und Fandom-Aneignung zu nähern, ist es zunächst
wichtig den Begriff „Fan“ näher zu erläutern. Fan ist eine Ableitung des Wortes „fanatic“, zu
Deutsch „fanatisch“ und wurde erstmals im 19. Jahrhundert als Bezeichnung für Anhänger
von professionellen Sportmannschaften gebraucht6. Bald wurden dem Begriff auch negative
Konnotationen zugeschrieben wie zum Beispiel Wahnsinn, Obsession oder auch
Psychopathie7. Obwohl sich dieses Bild in den letzten Jahren eher zum Positiven hin geändert
hat, meint Jenkins zu Recht: “The fan still constitutes a scandalous category in contemporary
culture“8.
Unter „Participatory Culture“ versteht man eine Kultur, in welcher es nur eine geringe
Hemmschwelle für das Verfassen eigener Texte und Kreationen gibt. Außerdem herrscht
allgemein ein Klima der gegenseitigen Unterstützung im Bezug auf genanntes kreatives
Schaffen. Zugehörige dieser Kultur fühlen sich in ihrem Tun unterstützt und haben so auch
das
Gefühl,
dass
ihre
Beiträge
wertgeschätzt
werden.
Dies
führt
zu
einem
Gemeinschaftsgefühl, einem sozialen Umfeld. Dabei ist es nicht wichtig, dass jeder Einzelne
kreativ zum Erschaffen neuer Texte und Werke beiträgt, sondern vor allem, dass er das
Gefühl hat, dass sein Beitrag entsprechend honoriert werden würde9. Diese Art von Kultur,
die Participatory Culture, existiert vor allem online und wuchs durch den Aufschwung des
Internets zunehmend. „Online fan communities might well [be] […] expansive selforganizing groups focused around the collective production, debate, and circulation of
meanings, interpretations, and fantasies in response to various artifacts of contemporary
popular culture.”10. Dabei ist auffällig, dass vor allem Anhänger der Genres wie Fantasie
(Harry Potter, Twilight, Herr der Ringe), Horror und Mystery Teil der Participatory Culture
sind und sich Fanfiction, Fan Art und Online-Diskussionen widmen11. Besonders wichtig für
die Gemeinschaftsbildung sind hierbei Webseiten, auf denen Fans kommunizieren, Memes
hochladen und diskutieren können.
6
Vgl. ebd., S. 12.
Vgl. ebd., S. 12 ff.
8
Ebd., S. 15.
9
Vgl. Jenkins, 2006b.
10
Jenkins, 2006a, S. 137.
11
Kienzl, 2014, S. 67.
7
2
The webpages enable fans to contribute, publish and be part of a greater participatory culture. These
communities intensify the relationship with the fan object […]. While being part of a participatory
culture, many fans show a high engagement and commitment to their fan community by publishing
their ideas in blogs, discussions, as well as fan fictions.12
Voraussetzung für solch eine Fandom-Aneignung sind die digitalen Medien13. Zwar schrieben
Fans auch vor Zeiten des Internets eigene Geschichten, doch kamen diese meist nur einem
kleinen Kreis an Bekannten zu Gesicht. Gerade die Harry-Potter-Fanszene tauscht sich im
Netz aus, Fanconventions machen einen kleinen Teil der Fankommunikation aus. Neue
Techniken und Technologien ermöglichen den Fans, mediale Inhalte zu archivieren, zu
rezipieren und neu zu schreiben. Do-It-Yourself-Initiativen sind im Trend und fördern das
kreative Schaffen14. Die neuen Medien erleichtern den „flow of images, ideas, and narratives
across multiple media channels and demand more active modes of spectatorship“15.
Doch
was
genau
versteht
man
jetzt
unter
Fandom-Aneignung?
Die
intensive
Auseinandersetzung mit der Materie, z.B. von Harry Potter Lektüre verführt viele Fans dazu,
eigene Geschichten zu verfassen16. „Fan fiction can be accessed in astonishing quantities and
diversities by anyone who knows how to Google.“17. Zudem kann jeder, der Zugang zu einem
Word-Processor hat, seine eigene Geschichte verfassen. Die Barrieren zum Zugang zur
Fanfiction sind niedrig18. Jenkins bezeichnet diesen Prozess der Aneignung auch als „cultural
appropriation“19.
Ein weiterer wichtiger Aspekt von Participatory Culture ist die Gemeinschaft. „Fan reception
cannot and does not exist in isolation“20. Fans diskutieren oft zunächst online untereinander
über ihre Ideen, bevor sie sie in eigene Geschichten verpacken. Zur Aufnahme in die „FanGemeinde“ gehört oft auch auf die richtige Art und Weise zu lesen21 (meine Übersetzung) und
sich an der Gemeinschaft zu beteiligen und einzubringen. Die Community gibt außerdem
Feedback und hilft den Verfassern so, ihre Texte mehr dem Geschmack der anderen Fans
anzupassen22.
12
Ebd., S. 72.
Jenkins, 2006a, S. 138.
14
Vgl. ebd., S. 135 ff.
15
Ebd., S. 135.
16
Jenkins, 1992, S. 52.
17
Jenkins, 2006a, S. 2.
18
Jenkins, 1992, S. 158.
19
Ebd., S. 75.
20
Ebd., S. 76.
21
Ebd., S. 89.
22
Ebd., S. 161.
13
3
Den Fans entgegen stehen Akademiker wie Bernard Sharratt, die dieses „Expertenwissen“ der
Fans als „pseudoknowledge“23 bezeichnen, das keinen kulturellen Mehrwert inne hat.
2.2. Internet-Phänomen Meme
Den Begriff „Meme“ bringt der britische Evolutionsbiologe Richard Dawkins 1979 in seiner
Veröffentlichung „The Selfish Gene“ zum ersten Mal auf. In seiner Analyse der Evolution auf
Ebene der Gene benennt er so den hypothetischen Gegenspieler des Gens. Seine Hauptthese
postuliert, dass das Verhalten des Menschen hauptsächlich durch seine Gene bestimmt wird,
jedes nicht-genetisch bedingte Verhalten jedoch, wird als Meme bezeichnet. Memes können
durch Erfahrungen erlernt oder durch andere Organismen beigebracht werden24. Sie basieren
auf Beobachtung und Lernprozessen, wie zum Beispiel die schmerzhafte Erfahrung eines
Griffs in die Steckdose25. Mode, Sprache, Religion. All dies, jedes kulturelle Verhalten, ist
nach Dawkins ein Meme. Diese „Offline memes“26 entwickeln und verändern sich im
Vergleich zu ihren genetischen Gegenspielern extrem schnell. Sprache beispielsweise
verändert sich im Laufe von Jahren, genetische Kodes sehr viel langsamer über viele
Generationen hinweg. Einer der grundlegenden Unterschiede zwischen Meme und Gene ist
also die „fidelity of form“27.
Heutzutage hat der Begriff eine neue, umgangssprachliche Bedeutung und wird im Kontext
des Internets verwendet. Bilder werden nach stilistischen Regeln mit kurzen Sätzen, oft
ironischer Art, versehen und online publiziert. „An Internet meme is a piece of culture,
typically a joke, which gains influence through online transmission.“28. Internet-Memes
zeichnen sich durch die Schnelligkeit ihrer Verbreitung aus, zum Beispiel durch die “Copy
and paste”-Funktion29 und auch durch die Anonymität des Urhebers. Bei kaum einem Meme
ist bekannt, von wem und woher genau es stammt. Plattformen wie knowyourmeme.com,
23
Ebd., S. 86.
Vgl. Davison, 2012, S. 121.
25
Vgl. ebd.
26
Ebd., S. 122.
27
Ebd.
28
Ebd.
29
Vgl. ebd., S. 123.
24
4
memedump.com oder memebase.com sehen Memes als eine Form von Kunst und bieten
jedermann Zugang30.
Doch wie erkennt man, ob man ein Meme oder doch nur ein lustiges Bild mit Unterschrift vor
sich hat? Die Identifikation gründet im Erkennen von Replikationen31. Oft werden bekannte
Abbildungen durch ironische Beschriftung, meist in weißer, fetter Schriftart, in einen anderen
Kontext gesetzt. Dabei ist es für Laien oft schwierig, die Zusammenhänge und Witze zu
verstehen, da „Dialekte, Slang [und] Jargon“32 (meine Übersetzung) sowie Insider-Witze
verwendet werden. Oft wird auch eine Reihe von Memes nach dem gleichen Schema
geschaffen.
Voraussetzung für die Existenz von Memes ist laut Davison ein „generatives Netzwerk“33
(meine Übersetzung), welches die kreative Schaffung von Bilderwitzen dadurch ermöglicht
und erleichtert, dass es als System Zugangsmöglichkeit für Jeden bietet. Das Fehlen von
Kontrolle (z.B. im Bezug auf Autorschaft) verhindert aber auch Sicherheit im Netz. Davison
sieht das als Vorteil: „it is this wilderness that is the native habitat of Internet memes“34.
Kreative Freiheit vor Sicherheit.
2.3. Frühe Internet-Memes
Das Smiley oder “[E]moticon [M]eme”35 tauchte erstmals 1982 auf und wurde genutzt um die
Kommunikation via Internet zu erleichtern. Scott E. Fahlman schlug die Nutzung von
Emoticons als Lösung für zahlreiche Missverständnisse im Netz vor: mit ihnen kann
emotionale Bedeutung vermittelt werden, ein Witz als Witz verstanden werden36. Emoticons
sind einfach zu verstehen und anzuwenden. Auf jedem Gerät sind die notwendigen Tasten um
die Gesichtsausdrücken ähnelnden Zeichen zu erstellen: :-). Davison ergänzt: „More than just
re-creating face-to-face meaning in textual communication, emoticons also add the posibility
30
Vgl. Bauckhage, 2011, S. 42.
Davison, 2012, S. 129.
32
Ebd., S. 127.
33
Ebd., S. 120.
34
Ebd.
35
Ebd., S. 124.
36
Vgl. ebd.
31
5
of a new level of meaning – a level impossible without them.”37. Ihre Funktion liegt im
Vermitteln von zusätzlichen Informationen im virtuellen Gespräch.
Ein weiteres Beispiel für frühe Internet-Memes bietet die Website “Hamster Dance”38 der
kanadischen Kunststudentin Deidre LaCarte, die sie 1998 erstellte. Darauf zu sehen ist eine
Reihe von animierten, tanzenden Hamstern in 9-sekündigem Loop39. Der alleinige Sinn dieser
Seite: Unterhaltung. Und tatsächlich erfreute sich die Seite ab 1999 großer Beliebtheit und
erreichte bis zu 15.000 Klicks pro Tag.
Die wesentlichen Unterschiede dieser beiden Memes sind folgendermaßen zu bestimmen:
For the emoticon meme the behavior is to construct any number of emotional glyphs in any number of
settings, while for the Hamster Dance meme the behavior is only a single thing: have people
(themselves or others) view the Hamster Dance web page. […] Just as Hamster Dance is characterized
by many-in-one-location, and emoticons are characterized by individuals-in-many-locations, the two
also differ in the nature of the behavior they replicate.40
Sowohl Emoticons als auch Animationen wie Hamster Dance sind aus der heutigen Welt des
Internets nicht mehr wegzudenken. Es gibt zahllose Zeichen, die Gespräche ausschmücken
und verkürzen. Der Anbieter von WhatsApp hat kürzlich ein neues Update rausgebracht, das
es ermöglicht, alle Hautfarben der Emoticon individuell anzupassen. Emoticons sind jetzt
sogar politisch korrekt.
2.4. Harry Potter und Memes
Harry Potter ist Kult. Die Geschichte des Zauberlehrlings von J.K. Rowling hat längst ein
Eigenleben fernab der Bücher entwickelt. Besonders auf der Seite tumblr.com ist die Zahl der
Memes in den vergangenen Jahren exponentiell gestiegen. Für Internet-Laien sind die Witze
oft kaum verständlich, beziehen sich diese auf andere Memes oder auch andere Serien und
Filme wie Herr der Ringe oder auch Twilight. Doch was genau macht Harry Potter aus, dass
es Fans zu einer solchen Produktivität anregt? Die Frage nach dem besonderen Etwas stellt
sich auch Umberto Eco:
37
Ebd.
Zu sehen auf: http://www.hampsterdance.com/classics/originaldance.htm.
39
Davison, 2012, S. 125.
40
Ebd., S. 125 ff.
38
6
What are the requirements for transforming a book or a movie into a cult object? The work must be
loved, obviously, but this is not enough. It must provide a completely furnished world so that its fans
can quote characters and episodes as if they were aspects of the fan’s private sectarian world. I think
that in order to transform a work into a cult object one must be able to break, dislocate, unhinge it so
that one can remember only parts of it, irrespective of their original relationship with the whole.41
Die Komplexität der Fantasy-Welt lässt viel Spielraum für Interpretationen und eigene
Ergänzungen. So kommt es, dass die Memes oft auf den ersten Blick völlig absurde Texte und
Ideen tragen. Auch Verweise auf populäre Musik und Filmzitate sind üblich.
Die
dominierenden
Charakteristika,
nach
denen
Fan-Communities
ihre
eigenen
Interpretationen, Rekonstruktionen und neuen Kreationen schaffen, sind auf die Harry Potter
Memes ebenfalls anwendbar. Einer dieser Aspekte ist die Fokussierung auf im Buch eher
nebenständigen Charaktere42 wie Neville Longbottom, deren Geschichte nicht so detailreich
ausgeschmückt ist. Neville-Longbottom-Memes tragen oft auch schelmische Bemerkungen
hinsichtlich der optischen Wandlung des Schauspielers. Indem sich Fans auf die
Nebencharaktere konzentrieren, rückt deren Entwicklung in den Fokus und ihre Geschichte
und ihr Hintergrund werden nach Belieben ausgeschmückt. Ziel ist das volle Potenzial des
betreffenden Charakters auszuschöpfen43.
Abb.1: Longbottom-Meme, Quelle: weknowmemes.com
Eine weitere Machart sind sogenannte Cross-Over Memes. Hier werden Bilder mit denen
anderer Filme, TV-Serien o.ä. kombiniert. Meistens handelt es sich dabei um ein ähnliches
Genre oder um denselben Darsteller44. Ausnahmen sind jedoch die Regel. Manche Memes
leben gerade davon, dass man völlig zufällig Zusammenhänge erschließt. „Cross-over[s] […]
break down not only the boundaries between texts but also those between genres, suggesting
41
Eco, 1986, S.197 ff.
Vgl. Jenkins, 1992, S. 165.
43
Vgl. ebd., S. 167 ff.
44
Vgl. ebd., S. 170.
42
7
how familiar characters from different stories might function in radically different
environments. Cross-overs also allow fans to consider how characters from different series
might interact”45.
Abb. 2: Twilight/HP Meme, Quelle: memecenter.com
Bei einem Großteil der Harry Potter Memes handelt es sich um Sexualisierungen. Erotische
Abenteuer der Charaktere werden erfunden und Bilder durch einen pikanten Spruch in einen
völlig neuen Kontext gestellt46. Gerade homosexuelle Beziehungen zwischen Draco Malfoy
und Harry sind oft Thema. Das Schreiben über homosexuelle Beziehungen ist in Fankulturen
allgemein sehr beliebt und hat deshalb bereits eine eigene Bezeichnung: „Slash“ fiction47.
Manchmal handelt es sich um die Absicht, die in dem Film oder dem Buch festgelegte
Ideologie zu kritisieren oder es geht einfach darum, völlig neue Figurenkonstellationen zu
erschaffen, deren Zukunft dann neu erzählt werden kann.
Natürlich sind die oben vorgestellten Konzepte theoretische Konstrukte und werden in der
Realität weitaus unreiner ausgeführt. Regeln zum Erstellen von Memes gibt es keine und der
Fantasie sind keine Grenzen gesetzt.
45
Ebd., S. 171.
Vgl. ebd., S. 175.
47
Vgl. ebd.
46
8
3. Haben Memes einen kulturellen Mehrwert?
3.1. Get a life!
„Ich frage mich, wie viel Bandbreite und Speicherkapazität all diese sinnlosen Meme wohl
belegen, vergeuden und wie viele dumme Gedanken so von Kopf zu Kopf reisen.“48 Beiträge
wie diesen von Felix Nicklas findet man häufig in gängigen Internetforen und auf Facebook.
Memes seien unnötig, unlustig und oft wenig geistreich. Memes eine Kunstform? Von wegen,
so die User. Nicklas geht sogar noch weiter, als er auf die Zeit zurückblickt, in der Dawkins
den Begriff zum ersten Mal aufbrachte: „Die Meme-Pest, mit der wir uns heute konfrontiert
sehen und die uns mit einer immer gleichen und endlosen Flut dumpfer Sprüche, KatzenBelanglosigkeiten und der Fresse von Willy Wonka das Lachen bereits im Hals abwürgt, war
damals noch eine ferne Dystopie.“49 Mit sogenannten „Meme-Generatoren“ kann heutzutage
jeder Internetuser die Netzwelt mit eigenen Kreationen bereichern. Auf Seiten wie
memegenerator.net kann man zwischen bereits bekannten Meme Charakteren wie z.B. der
Crumpy Cat oder dem Advice Dog wählen und diese mit eigenen Sprüchen versehen oder
aber sein ganz eigenes Meme erstellen. Doch wo liegt dabei der Sinn?
„The word [...] means a short-lived asinine idea passed between a small fraction of the Earth’s
population who have leisure and access to a computer.”50, fasst User Briggs zusammen. Es
muss einem sehr gut gehen, wenn man Zeit hat, sich mit so etwas wie dem Erstellen von
Snape und Dumbledore-Witzen zu beschäftigen. Briggs schließt sich damit den Vorurteilen
an, mit denen viele Fans zu kämpfen haben. Fans vergeudeten ihre Zeit mit der Anhäufung
von nutzlosem Wissen, gelten als „kooks“, die besessen sind von Belanglosigkeiten und die
„kein Leben“ haben außerhalb ihrer Begeisterung51. „Get a life!“ Beschäftigt euch mit den
Problemen der Menschheit und verschwendet eure Energie nicht auf scheinbar sinnlose
Bildwitze! Der Fan stellt immer noch eine skandalöse Kategorie in der zeitgenössischen
Kultur dar52.
Desweiteren ist die Veränderung der Kommunikation im Netz durch Memes ein kontroverses
Thema. Bildsprache ersetzt sprachliche Zeichen. Memes sind universal und weltweit
48
Nicklas, 2014.
Ebd.
50
Briggs, 2011.
51
Vgl. Jenkins, 1992, S. 11.
52
Vgl. ebd., S. 15.
49
9
verständlich53. Ben Zimmer, Produzent von vocabulary.com, erläutert den Wandel von Textzu Bildkommunikation: „Humans have gone from ancient cave paintings to complex language
development, and now we’re returning to pictorial symbols again. Texting has been
bemoaned as the downfall of the written word, yet it’s innovating its own grammar and
conventions.”54 Ein Rückschritt von komplexem Sprachsystem auf bunte Bildchen mit
Spruch, die Filmausschnitte zitieren? Was bedeutet das für unsere Kultur? Handelt es sich
wirklich um rückwärtsgewandte Entwicklung oder haben Memes doch einen kulturellen
Mehrwert inne?
3.2. Appropriation Art bei Harry-Potter-Memes?
„Die Kopie ist das Original.“55 Ist dieses Prinzip der Appropriation Art auf die „Werke“
Harry-Potter-Memes anwendbar? Webseiten wie knowyourmeme.com und Anhänger der
Netzkultur sind der Meinung, bei Memes handle es sich um moderne Internet-Kunst56. Damit
stehen sie Kritikern gegenüber, die wie bereits behandelt, Memes als wertloses Kulturgut
sehen.
Tatsächlich bedeutet „Meme“, kurz von „Mimeme“, Imitation oder Kopie. Es geht um
Wiedererkennbarkeit
und
Variation
des
gleichen,
wiederkehrenden
Elements57.
Beispielsweise der Witz „Why so sirius?“, der auf verschiedene Szenebilder von Sirius Black,
dem Patenonkel Potters geschnitten wird.
Auch bei der Appropriation Art (von lat. appropriare =zu eigen machen), die in den 1970er
und 1980er Jahren entstanden ist, handelt es sich um eine Form von Aneignung58. Die Kunst
eignet sich dabei fremde Bildlichkeiten an, „indem sie bereits existierende Kunstwerke
kopiert, also in Format, Technik, Motiv und Stil so exakt wie möglich wiederholt – und dies
nicht, um Plagiate herzustellen, sondern eigenständige, originale Kunstwerke“59. Es ist also
durchaus möglich die Entstehungsarten von Memes und Appropriation Art- Kunstwerken zu
53
Vgl. Reißmann, 2014.
http://schedule.sxsw.com/2014/events/event_IAP25550.
55
Sturtevant, 1999, S. 155.
56
Vgl. Bauckhage, 2011, S. 42.
57
Vgl. Denson, 2012.
58
Vgl. Zuschlag, S. 127.
59
Ebd.
54
10
vergleichen. Das Prinzip der Herstellung ähnelt einander60.
Memes sind ein Ausdrucksmittel, es geht darum, eine gute Idee zu haben, und diese nach
bestehenden Prinzipien umzusetzen. Nur Memes, die wirklich spontan und lustig sind,
schaffen es sich im Netz zu verbreiten und oft geteilt zu werden. Fans hinterfragen auch die
Geschichte und deren Ideologie. Dabei reflektieren sie auch über die Gegenwartskultur.
Adaption von kulturellem Gut ist die Folge. Ein Beispiel hierfür ist das Jungendwort „Swag“,
das in verschiedenste Memes eingebaut wurde und dabei stets mit einem ironischen Unterton
gebraucht wird. „Swag“, ein unter Jugendlichen oft gebrauchtes Slangwort, bedeutet so viel
wie extrem hip sein wollen, indem man zum Beispiel eine Baseballcap seitlich gedreht trägt,
mit Baggy Pants rumläuft und dabei sehr gewollt cool und stets für Außenstehende etwas
lächerlich wirkt61. Bei dem Potter-Meme „#swagrid“ wird die Figur des Wildhüters Hagrid so
modelliert, dass er „Swag“ hat. Auch der Spruch wird durch Zusammenfügen des
Jugendwortes und seines Namens Hagrid neu gestaltet. Desweiteren ist auch der Hashtag vor
dem eh schon hippen Neologismus ein weiterer Verweis auf einen Trend der Netzkultur.
Abb. 3: #swagrid, Quelle: 9gag.com
Obwohl die Filmfigur Hagrid noch eindeutig zu erkennen ist, ist der Kontext ein völlig
anderer. Kleidung, Pose und Haltung sind an den „Swag“ angepasst. Der Gürtel mit der
„THUG LIFE“-Schnalle ist die Pointe. „Thug life“ bedeutet so viel wie „ein hartes Leben
haben“, was wiederum auch auf den Charakter Hagrids in Harry Potter beziehen lässt, der mit
Harry zusammen gefährliche Situationen durchstehen muss.
60
Um den Umfang dieser Arbeit einzuhalten, werde ich an dieser Stelle nicht auf die Frage „Was ist Kunst?“
eingehen. Dazu mehr bei: Schmücker, Reinhold, „Was ist Kunst? Eine Grundlegung“, Klostermann RoteReihe,
2014.
61
Vgl. urbandictiorary.com.
11
Auch andere Fancommunities bedienen sich des „Swag“-Witzes beim Erfinden neuer Memes.
„Brodo Swagins and the Fellowship of the Bling“ zeigt Frodo Beutlin und weitere Herr der
Ringe Figuren, alle verändert und neu modelliert als coole Gang62.
Der moderne Internetkult Memes bedient sich Elemente aktueller Jugendkultur. Bereits
bestehende Bildlichkeiten werden neu interpretiert. Auch Andy Warhol hat das Bildnis der
Tomatensuppen-Dose entfremdet, vielfach dupliziert und ein völlig neues Kunstwerk
erschaffen. Aus diesen Gründen kann man Parallelen zu der Appropriation Art der modernen
Kunst ziehen.
Memes. Kunst, die für Jungendliche zugänglich ist.
3.3. Media Literacy
Klickt man sich als Laie durch die Memes auf Tumblr.com wird man bald feststellen, dass
viele Sprüche nicht wirklich lustig oder sogar völlig unverständlich sind. Das liegt dann
zumeist daran, dass man die Memes nicht versteht. Zum einen werden oft wie bereits erwähnt
Wörter aus der Jugendsprache verwendet, sowie Insider-Witze oder Bezugnahmen auf bereits
existierende Memes.
Es bedarf einer gewissen Kompetenz diese kulturellen Kontexte lesen und deuten zu können.
Unter dem Begriff „Media Literacy“ versteht man allgemein die Fähigkeit mediale Inhalte
verstehen zu können. Media literacy ist „the ability to access, analyze, evaluate and create
media in a variety of forms”63. Darin inbegriffen ist die Tatsache, dass jeder Einzelne
aufgrund seines kulturellen Hintergrunds mediale Inhalte anders liest. Medial vermittelte
Botschaften in Memes tragen ideele Konnotationen, manche explizit, andere eher implizit64.
Es ist offensichtlich, dass nicht jeder User alle Botschaften der Memes lesen kann, andere
Dinge vielleicht sogar überinterpretieren, die vom Urheber zunächst gar nicht so gedacht
waren.
Diese Medienkompetenz bedarf es auch bei der Analyse von Harry-Potter-Memes. Zunächst
ist Voraussetzung die Filminhalte zu kennen. Das alleinige Lesen der Bücherreihe reicht meist
nicht aus um die gezeigten Charaktere zu identifizieren. Auch die Figurenkonstellationen
müssen bekannt sein, sodass ungewöhnliche, neu konstruierte Beziehungen erkannt werden.
62
Siehe: http://i.imgur.com/es19tXV.jpg%3Ffb.
Center for Media Literacy.
64
Vgl. Dr. Lemke, Dozentin für Cultural Studies, Universität Freiburg.
63
12
Bei näherer Betrachtung des zweiteiligen Meme „yo momma is so fat her patronus is A
CAKE.“ (siehe Abbildung 4) sieht man im ersten Abschnitt den Schulleiter von Hogwarts
Dumbledore. Er schaut ernst, der Hintergrund lässt zunächst keinen Rückschluss auf die
tatsächliche Szene zu. Die allgemein dunklen Farbschattierungen ermöglichen, dass man die
Szene als zusammenhängend wahrnimmt, obwohl es sich in Wirklichkeit um Ausschnitte aus
zwei völlig unterschiedlichen Filmszenen handelt. In starkem Kontrast zu der Ernsthaftigkeit
Dumbledores steht der Spruch: „Yo momma is so fat her patronus is a cake.“ Deine Mutter ist
so fett, dass ihr Patronus ein Kuchen ist. Daraufhin folgt ein Bild von Lord Voldemort, bleich
und böse, der antwortet: „…bitch.“.
Bei diesem Meme handelt es sich um eine Kombination der „Yo momma“-Witze mit Inhalten
der Harry Potter Filme. Das Ziel dessen ist einzig und allein die Unterhaltung des Betrachters.
„Deine Mutter“-Witze zeichnen sich dadurch aus, dass sie so schlecht sind, dass man schon
wieder drüber lachen muss. Dies wird mit dem Filmwissen verbunden, dass die Zauberer
einen sogenannten Patronus haben, einen Schutzzauber, der bei jedem individuell aussieht
und sich an die Persönlichkeit dessen anpasst. Harry Potter hat zum Beispiel einen goldenen
Hirsch als Patronus. Die Beleidigung Dumbledores besteht in dem Witz über den Patronus der
Mutter Lord Voldemorts. Die Erwiderung Voldemorts wirkt unbedarft und hilflos, als wüsste
er, dass es so ist und ihm fällt nichts anderes ein, als ebenfalls mit einer Beleidigung zu
antworten.
Abb.4: Yo momma- Meme, Quelle: smosh.com
4. Fazit
Internetkultur ist unablösbarer Teil unserer heutigen Kultur. Die Frage nach dem Nutzen und
kulturellen Mehrwert von Internet-Memes lässt sich nach obiger Betrachtung dieses
13
Phänomens eindeutig beantworten. Ein Mehrwert besteht laut wirtschaftlicher Definition in
Merkmalen, die ein Produkt von einem anderen unterscheiden und dadurch einen Wert für
den Verbraucher schaffen65. Memes regen - in Maßen eingesetzt - den Internetuser zum
Nachdenken an. Es geht darum, Zusammenhänge zu erkennen. Dadurch wird oftmals eine
kritische Betrachtung initiiert. Beim Erstellen von Memes ist Kreativität und Einfallsreichtum
gefragt. Memes sind also mehr wert als dumpfe Unterhaltung, als Berieselung des Gehirns mit
bunten Bildchen.
Betrachtet man den Kunstcharakter dieser Bilderwitze ist an dem Vorwurf der Schaffung
wertloser Kopien ohne neue Inhalte nichts dran. „Every art work reflects many influences,
some from its past, some from its present cultural context, some from its creator’s personality,
and even some from its future […]”66. So auch bei Memes.
Memes sind moderne Internetkunst, sie sind Fan Art. Wie bei aller Kunst gibt es auch bei
Memes gelungene Werke und weniger gelungene. Auf jeden Fall sind die „bunten Bildchen“,
wie sie umgangssprachlich genannt werden, ein Beitrag zur Fankultur, zur Internetkultur und
mittlerweile auch Teil unseres täglichen Lebens. Die Werbeindustrie hat den Trend aufgefasst
und versucht diesen Draht zur trendsetzenden Community zu kommerziellen Zwecken zu
nutzen und auch dazu, um stets auf der Höhe der Zeit zu sein.
Durch Memes lernt man auch, nicht alles zu ernst zu nehmen und auch mal über eine
künstlich geschaffene Situationskomik zu lachen. Es gibt Probleme, die nur schwer lösbar
sind, andere übergeht man mit einem Lächeln. In diesem Sinne:
Abb. 5: HP-Snitch, Quelle: quickmeme.com
65
66
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http://schedule.sxsw.com/2014/events/event_IAP25550, Stand: 29.09.15
5.1. Abbildungsverzeichnis
Abb. 1: Longbottom-Meme, http://weknowmemes.com/wp-content/uploads/2013/06/there-ishope-for-everyone-neville-longbottom-240x180.jpg, Stand: 27.09.15
Abb. 2: Twilight/HP-Meme, http://img.memecdn.com/sparkels_o_138862.jpg, Stand:
27.09.15
Abb. 3: #swagrid, http://images-cdn.9gag.com/photo/1007863_700b.jpg, Stand: 03.10.15
Abb. 4: Yo momma Meme, http://cdn.smosh.com/sites/default/files/legacy.images/smoshpit/042011/potter-cake.jpg, Stand: 27.09.15
Abb. 5: HP-Snitch, http://t.qkme.me/3xm9.jpg, 03.10.15
16
Antiplagiatserklärung
Hiermit versichere ich, Sarah Ziegler, dass ich die vorliegende Hausarbeit selbstständig
angefertigt habe und keine anderen als die im Literaturverzeichnis angegebenen gedruckten
und elektronischen Quellen benutzt habe. Alle Stellen, die dem Wortlaut oder dem Sinn nach
diesen Quellen entnommen sind, habe ich in jedem einzelnen Falle unter genauer Angabe der
Quelle deutlich als Entlehnung kenntlich gemacht.
Freiburg, 05.10.15