Exkursionsbericht 2004 - Alvar Aalto Gesellschaft
Transcription
Exkursionsbericht 2004 - Alvar Aalto Gesellschaft
Italienexkursion vom 19. – 23. 05.2004 nach Ivrea - Torino - Genova Nachdem die Italienexkursion im Jahr 2002 bereits auf großes Echo gestoßen war und die ausgezeichnete Vorbereitung die Reise zu einem vollen Erfolg werden ließ, war bei der Jahresversammlung 2003 in Bremen angeregt worden, erneut eine Italienreise zu veranstalten. Die Schweizer Sektion erklärte sich großzügig bereit, die Organisation ín die Hand zu nehmen. Auch dieses Mal war das Interesse groß und alle Plätze innerhalb kurzer Zeit ausgebucht. So trafen sich am Mittwoch, den 19. Mai 2004 nach individueller Anreise die 29 Teilnehmer aus der Schweiz, Deutschland/Finnland, Österreich und Italien in der Schalterhalle des Hauptbahnhofs von Mailand, um Architekturschätze und -geschichte auf einer Rundreise über Ivrea – Torino – Genova zu erkunden. Nach einer herzlichen Begrüßung verließen wir Mailand im Reisebus in Richtung Ivrea. Auch dieses Mal sollte uns ein dichtes, abwechslungsreiches und äußerst interessantes Programm erwarten. Bereits auf unserer ersten Etappe fuhren wir an vielen aktuellen Baustellen vorbei. Große Ereignisse werfen ihre Schatten voraus – im Vorfeld zur Winterolympiade 2006 entstehen hier inmitten der traditionellen Reisfelder unter anderem die erste Bahn-Hochgeschwindigkeitsstrecke Italiens von Turin nach Mailand, mit neuen Bahnhöfen, sowie eine zweite Autobahnstrecke. Auch Turin selbst erhält einen neuen Bahnhof, der alte Kopfbahnhof wird aufgelöst. Die Hochgeschwindigkeitsstrecke ist Teil eines internationalen Verkehrsverbunds mit Frankreich. Ferner kann so eine Anbindung zum internationalen Flughafen Malpensa geschaffen werden. Dieser Bauboom hat in der Region einen großen, wirtschaftlichen Aufschwung gefördert, und die Verbesserungen sind vielerorts, wie wir später bemerken sollten, auch im Stadtbild Turins spürbar. Ivrea Am Nachmittag in Ivrea angekommen, trafen wir uns mit dem Architekten Enrico Giacopelli und seiner Kollegin Tania Marzi (beide ehemalige Mitarbeiter Leonardo Mossos) vor den ehemaligen Olivetti-Werken, über deren Zustand und heutige Nutzung Michela Mina im selben Bulletin berichtet. Der Architekt Giacopelli war mit der Restaurierung einiger Gebäudekomplexe beauftragt worden, und wir fanden in ihm und der Architektin Marzi kundige Führer. Während unserer Weiterfahrt nach Turin am frühen Abend fuhren wir an einer ehemaligen Olivetti-Wohnsiedlung mit gepflegten Reihenhäusern, Schule und Kirche vorbei. Diese Siedlung spiegelt die hochgesteckten Idealvorstellungen Olivettis wieder: Nicht nur alle Produkte und die Architektur der Firmengebäude sondern auch die Anforderungen an sich selbst als sozial Verantwortlicher gegenüber seinen (Mit-)Arbeitern im Sinne sozialer Fürsorge mussten hohen Ansprüchen genügen. 1 Turin Nach einstündiger Fahrt trafen wir in unserem Hotel ein und fuhren nach einer kurzen Pause zum Antico Ristorante Porto di Savona, ein alteingesessenes, typisches Turiner Restaurant, um uns dort mit den Architekten Laura und Leonardo Mosso zu treffen. Leonardo Mosso hatte in den Jahren 1953 – 1956 im Büro Alvar Aaltos in Finnland mitgearbeitet. Beide, Laura und Leonardo Mosso, haben in den letzten Jahren das Feld der Architektur verlassen und arbeiten als bildende Künstler. Während sich Leonardo Mosso auf den Entwurf und den Bau von Mobiles spezialisiert hat, wirkt Laura Mosso als Malerin. Leonardo Mosso hat u.a. auch die Ausstattung des Museo di Resorgimento mitgestaltet. Am Donnerstagmorgen führte uns Laura Mosso durch die Turiner Altstadt. Gleich zwei Familien beeinflußten Gefüge und Stadtbild der piemontesischen Hauptstadt in hohem Maße: Die adligen Savoyer und die bürgerlichen Agnellis. So war auch unsere Tour am Vormittag untergliedert in den Besuch des „alten“ und des „neuzeitlichen“ Turins. Turin hören und an Fiat denken: So ging es denjenigen unter uns, die die piemontesische Metropole nicht kannten. Der erste Besuch belehrte uns sofort eines Besseren. Statt einer grauen Autobauerstadt trifft man auf eine europäische Barockkapitale mit eleganten Straßenzügen, eindrucksvollen Palästen und Kirchen. Gleichzeitig gelingt eine charmante Symbiose aus Alt und Neu: Zeitgenössische Kunst in alten Gemäuern, wie im Castello di Rivoli, und moderne Einkaufsmeilen unter barocken Arkaden auf einer Länge von insgesamt 18 Kilometern. Für die barocke Prägung zeichnen die Savoyer verantwortlich, die seit 1563 in Turin ansässig waren und diese Stadt für eine kurze Periode auch zur Hauptstadt Italiens machten. Auf dem oktogonalen Grundriß eines römischen Militärlagers am Po entstanden, wuchs Turin zunächst im Schachbrettmuster. Im Mittelalter machte die geordnete, antike Geometrie größtenteils dem typischen mittelalterlichen, engen und gewundenen Städtebau Platz. Unter den Savoyern wurden beträchtliche Mittel aufgebracht, um aus der Stadt das typische Abbild einer absolutistischen Hauptstadt zu machen. Dies führte zu rigorosen „Straßenbegradigungen“, der etliche Wohnhäuser zum Opfer fielen - wie im Falle der Via Garibaldi - um urbanistische Achsen wiederherzustellen zu können. Seit dieser Zeit wurden mindestens zwei Jahrhunderte lang die größten Architekten nach Turin gerufen, um die Stadt auf edle und elegante Weise neu zu gestalten. Eine herausragende Rolle nahm hier sicherlich der Architekt Guarino Guarini ein, der sich dem Prinzip der absolutistischen Autorität widersetzte. Er konzipierte hierzu im Gegensatz „Architektur als etwas Lebendiges und als Ergebnis eines zerreißenden inneren Prozesses.“ Unser Rundgang führte uns unter anderem zur Piazza Castello, ein riesiger, rechteckiger Platz mit 40.000 m², der im 17. Jh. der Mittelpunkt der Stadt war. Er wird auch der Platz der vier Kulturen genannt: Fundamente und ein Turm aus der Römerzeit, um den im 18. Jh. der Palazzo Madama gebaut wurde, nebenan ein Schloß aus dem 15. Jh. sowie der um 200 Jahre jüngere Königspalast. Neben all dieser Pracht thront über allem ein quadratisches, rotes Hochhaus aus der Zeit Mussolinis, das vermutlich der königlichen Macht symbolisch etwas entgegensetzen wollte. Wir bekamen Einlaß in die königliche Bibliothek (Biblioteca Reale), deren Besuch uns Laura Mosso ermöglichte. Die Bibliothek wurde nach den Entwürfen Palagis realisiert und umfaßt fast 200.000 Bände und über 4.000 Manuskripte. Zu den wichtigsten Exponaten zählen die Zeichnungen über den Vogelflug, das vermutliche Alterselbstporträt und die Studie des Engels der Felsgrottenmadonna von Leonardo da Vinci. 2 Danach besichtigten wir die Chiesa Di San Lorenzo. Die von Guarino Guarini erbaute Kirche gehört zu den eindrucksvollsten barocken Bauwerken. Den Palazzo Reale streiften wir nur im Vorbeigehen. Schulklassen drängelten sich auf dem Vorplatz, um hier italienische Geschichte zu erleben. Immerhin stellten die Savoyer bis 1946 die Könige Italiens und in unmittelbarer Nachbarschaft zum Königspalast tagte im Palazzo Carignano das erste italienische Parlament. Anschließend ging es zum Dom San Giovanni Battista, der unter städtebaulichen Aspekten betrachtet ein etwas merkwürdiges „Hinterhof-Dasein“ fristet. Er ist umgeben von Gebäuden neuzeitlicher Provenienz, Parkplatz und Brachflächen, was in eigentlichem Widerspruch zu dem ansonsten Gesehenen steht. Hier kann auch eine der bedeutendsten Sehenswürdigkeiten der Stadt betrachtet werden: Die Sacra Sindone, das angebliche Grabtuch Christi. Zu sehen ist es allerdings nur alle 25 Jahre. Die bislang letzte öffentliche Ausstellung im Jahr 2000 zog in zwei Monaten rund 900.000 Pilger und Neugierige an. Moderne Forschungen haben ergeben, daß die Entstehung der Reliquie voraussichtlich auf das Mittelalter datiert werden muß, was die Anziehungskraft anscheinend jedoch kaum schmälert. Weiter ging es mit dem Bus zu den Ausstellungspavillons zur Winterolympiade 2006, in denen man sich mit Hilfe modernster Technologie über die Stadt Turin und die dort laufenden Baumaßnahmen ausführlich informieren konnte. Anschließend verließen wir die Altstadt in Richtung Lingotto, dem ehemaligen Fiatwerk, zur Zeit seiner Gründung vor den Toren der Stadt gelegen. Auf unserer Hinfahrt kamen wir am Gelände der „Italia 1961“ vorbei. Anläßlich der hundertjährigen Einheit Italiens entstanden hier unter Mitwirkung der besten Architekten und Stadtplaner – darunter Albini, Quaroni, Scarpa, Zanuso die Gebäude der Esposizione Italia ´61. Unter den noch erhaltenen Gebäude befinden sich unter anderem der von Annibale und Giorgio Rigotti entworfene Palazzo delle Mostre, besser bekannt unter dem Namen Palazzo Vela, mit seiner ungewöhnlichen hexagonalen Überdachung, die an ein aufgeblasenes Segel erinnert. Er soll zur Olympiade 2006 in eine Eishalle umgebaut werden. Der geplante Besuch des von Pierluigi Nervi entworfenen Palazzo del Lavoro war leider mißglückt. Er besticht durch seine kühne Konstruktion aus Stahlbeton, Glas und Stahlträgern ohne tragende Mauern. Das Dach wird von 16 hohen, pilzförmigen Säulen getragen. Nach Beendigung der Weltausstellung noch als Ausstellungsort genutzt, unter anderem für den Automobilsalon Turin, steht er heute völlig leer und blickt einer ungewissen Zukunft entgegen. Erste Spuren des Verfalls sind nicht zu übersehen. Turin - Lingotto In Lingotto angekommen präsentierte sich das alte Fabrikgebäude in neuem Glanz. Bei einem Wettbewerb mit geladenen, renommierten Architekten aus aller Welt konnte Renzo Piano die Ausschreibung mit seinem Konzept und seinen Ideen für sich entscheiden. Das einstige, für seine Zeit hochmoderne Fiatwerk beherbergt heute Kultur-, Kongress- und Shoppingcenter mit Geschäften, Cafes, Restaurants (wo wir auch einen kleinen Imbiss zu uns nahmen), ein Hotel, eine Automobilausstellung und die Agnelli-Pinakothek. Nachdem wir berühmte Kunstwerke von Matisse, Picasso, Canalotti, Tiepolo, um nur einige wenige zu nennen, besichtigt hatten, verließen wir das obere Geschoß und betraten die alte Fiat-Teststrecke, die einerseits sehr beeindruckte und andrerseits einen guten Ausblick auf das gesamte Gelände bot. Besonders zu erwähnen ist auch die phantastische Architekturausstellung mit Plänen und (Schnitt-)Modellen zum Umbau des Fiatwerks von Renzo Piano. Insgesamt ist die Umnutzung des alten Fabrikgebäudes aufgrund des stimmigen und schlüssigen Konzeptes in jeder Hinsicht hervorragend gelungen und bestens besucht. 3 Turin – Castello di Rivoli Am frühen Nachmittag fuhren wir zurück ins Hotel, um wenig später die Innenstadt für einen Besuch des Castello di Rivoli zu verlassen. Das Castello di Rivoli existierte bereits im Mittelalter. Sein eigentlicher Ausbau, der so beeindruckt, erfolgte jedoch erst nach dem Erwerb durch Herzog Emanuele Filiberto von Savoyen, der Turin zur Hauptstadt seines Reiches machte. Nach verschiedenen Um- und Ausbauten ging der Auftrag an den Architekten Filippo Juverra, der das Castello zum königlichen Sommersitz in barocker Bauweise erweitern sollte. Der Bau blieb jedoch unvollendet. Er umschließt phantastische, große Räume, die nie vollständig ausgebaut wurden. Heute beherbergt das Gebäude ein Museum für zeitgenössische Kunst. Die Renovierungsarbeiten, die den heutigen Bau entstehen ließen, erfolgten unter der Leitung von Andrea Bruno. Er restaurierte und ergänzte originell die vorhandene und historisch wertvolle Bausubstanz durch den Einsatz avantgardistischer Bauelemente und Materialien, wie z.B. der „Ausguck“ oder die „Hängetreppe“. Die Restaurierung gilt in Italien als Wendepunkt in der Denkmalpflege. Alt und Neu fügen sich hier zu einem spannenden Dialog und bieten den passenden Rahmen für die gezeigten Dauerund Wechselausstellungen. Leider drängte bereits schon wieder die Zeit. Das Museum schließt um 17.00 Uhr. Der Abend stand zur freien Verfügung, aber diejenigen, die wollten konnten in Lingotto ein Konzert des Orchestre Sinfonica Nazionale della RAI besuchen. Bernhard Klee dirigierte und Solist am Piano war Stephen Hough. Gespielt wurde Ravel (Valses nobles et sentimentales), Saint-Saens (Concerto n.4 in do minore op. 44 für Piano und Orchester) und Strawinskij (Petruska, burleske Szenen, erste Version von 1911). Am Morgen des dritten Tages verließen wir Turin in Richtung Süden. Die Frühaufsteher hatten noch die Möglichkeit, den Turiner Wochenmarkt zu besuchen. Dort herrschte schon in den frühen Morgenstunden hektisches, lautes Treiben und bedrängende Enge in den schmalen Gassen zwischen den Buden. Deutsche Sicherheitsbeauftragte und Vertreter der Branddirektionen sollten sich eine Visite besser nicht antun........ Zu sehen und zu kaufen gab es neben Gemüse und Früchten allerlei lebendes Getier, u.a. Schnecken aller Arten, die ständig bestrebt waren, die Pappkartons, in die sie in großen Mengen gefangen gehalten wurden, zu verlassen. Mondovì - Vicoforte Auf unserer Fahrt nach Genua legten wir einen Zwischenstopp in Mondovì/Piemont ein. Zuvor besichtigten wir in der Nähe die Wallfahrtskirche von Vicoforte. Sie liegt im Kreuzungspunkt zweier Pilgerwege. Sie gilt als eine der bedeutendsten Monumentalkirchen des Piemont und wurde im Jahr 1596 nach einer Planung von Ascanio Vittozzi auf einem elliptischen Grundriß erbaut, aber nicht vollendet. Im 18. Jh. wurde der Bau von Francesco Gallo fortgesetzt. Die reichen Ausschmückungen mit Fresken und Stuckarbeiten im Inneren der Kirche gehen auf das 18. und 19. Jh. zurück. 4 Bemerkenswert ist die elliptische Kuppel (längste Achse 37,15 m). Palazzata, ein niedriger Gebäudekomplex auf dem Grundriß eines halben Achtecks, von Ascanio Vittozzi Anfang im 17. Jh. entworfen, bildet den Abschluß des vor der Wallfahrtskirche befindlichen Platzes. Früher Herberge für müde Pilger befinden sich dort heute Hotel, Wohnungen, Restaurants und kleine Geschäfte. Im mittelalterlich pittoresken Mondovì ließen wir es uns bei einem leckeren Mittagessen und einem Glas Wein gut gehen, obgleich die Zeit schon wieder drängte. Genua Auf dem letzten Abschnitt unserer Fahrt nach Genua mußten wir hören, daß der für den Nachmittag avisierte Besuch des Ateliers von Renzo Piano nun doch nicht klappt. Nachdem sich die erste Enttäuschung gelegt hatte, disponierte Theo Senn das Programm neu. Anstatt zuerst das „alte“ Genua zu erkunden, besuchten wir gleich das aktuell größte Sanierungsgebiet Genuas: „den alten Hafen“ – alt und neu zugleich. Der „alte“ Hafen wuchs sich mit den Kreuzzügen zu einer der wichtigsten europäischen Handelsstädte aus. Zwischen Hängen, Bahngleisen, der Hochstraße und dem Mittelmeer eingeklemmt, war es dem ligurischen Hafen im letzten Jahrhundert zu eng geworden. Dauerstreiks, Mißwirtschaft und das für einen modernen Hafen so wichtige fehlende Hinterland trieben ihn Anfang der achtziger Jahre in den Ruin und er zerfiel zusehends. Seit 1992, anläßlich der Kolumbus-Feierlichkeiten zum fünfhundertjährigen Jubiläum der Entdeckung Amerikas zogen die Genuesen mit der Expo 1900, dem Weltwirtschaftsgipfel 2001 und nun 2004 dem Titel von Europas Kulturhauptstadt ein Großereignis nach dem anderen an sich, um die Gelder für den radikalen Umbau ihrer Stadt einzusetzen. Der alte Hafen, noch vor gut zehn Jahre von hohen Kriminalitätsraten geprägt, eine gefährliche Dunkelzone, in die sich kaum jemand hineinwagte, ist zum Kerngebiet der Öffnung geworden. Alte Sperrzäune und schmuddelige Ruinen wurden abgerissen. Renzo Piano, der sich in einer langen Folge Genueser Baumeister als ihr Erbe erweist, hat den „Porto Antico“ seit 1992 radikal umgestaltet. Die Umgestaltung war ein großer, urbanistischer Erfolg. Mit ihr hat die wirtschaftlich angeschlagene Stadt nicht nur eine Touristenattraktion erhalten, sondern zugleich ihren seit Menschengedenken unzugänglichen Mittelpunkt zurückgewonnen. Als erstes Ziel steuerten wir die phantastische Werkschau über Renzo Piano an. Sie wird im Museo Luzzati ausgerichtet, das sich in dem von Renzo Piano restaurierten Porta Siberia, ein zum Ausstellungsgebäude umgewidmetes prachtvolles Stadttor, befindet. Im Zentrum der Haupthalle steht ein riesiger Tisch, an dem man sich wohl fast wie in Pianos hoch über der Steilküste der Punta Nave gelegenem Building Workshop fühlen darf. 5 Faksimilierte Skizzenbücher, Entwürfe, Fotos und Modelle in jeder Größe lassen Pianos gesamtes Schaffen Revue passieren. Viele der im „alten“ Hafen errichteten oder restaurierten Bauten Renzo Pianos, an denen wir vorübergingen, sind administrativer Natur, jedoch plante er auch das Kulturzentrum „Magazzini del Cotone“, ein Kongress- und ein Jugendzentrum, Europas größtes Aquarium, das die Massen anzieht, die Glaskugel „Bolla“, ein „Schmetterlingshaus“, den „Bigo“, ein Aussichtskran, und das inzwischen eingeweihte Museo del Mare, bei dessen Errichtung ein Arbeiter durch eine einstürzende Mauer getötet worden war, weshalb sich der Zeitpunkt der Einweihung um fast ein Jahr verzögert hatte. Im Frühjahr 2004 hat Renzo Piano für die Stadt einen neuen Strukturplan entwickelt, einen Masterplan zur Weiterentwicklung von Hafen und Verkehr für das neue Jahrhundert. Während er den Containerhafen mit riesigen, weit ins Meer hinausragenden Kais in der Fläche verdoppeln will, soll der Flughafen sechshundert Meter draußen vor der Küste auf einer künstlichen Insel „schwimmen“. Weiterhin beinhaltet Pianos Konzept die Postierung der Öl- und Chemieladung weit hinaus ins Meer, die Verlagerung der Werftanlagen, die Schaffung eines neuen Fischereihafens samt Fischmarkt im westlichen Vorort Voltri, das damit zum zweiten urbanen Zentrum der Stadt werden könnte. Die häßliche, stinkende, immens störend laute Hafenhochstraße, die auf Stelzen die Altstadt vom Meer abtrennt, soll abgerissen und in einen Tunnel verlegt werden. Des weiteren sind neue S-Bahnverbindungen und Umgehungsstraßen geplant. Es sollen Parks und eine Uferpromenade, für deren Gestaltung in naher Zukunft wiederum ein Wettbewerb ausgelobt werden soll, angelegt werden. Das nächste anstehende Projekt im Bereich des „Porto Antico“ wird das Pier Ponte Parodi sein, dem im Jahr 2002 ein weltweiter Wettbewerb, bei dem 30 Büros eingeladen worden waren, vorausgegangen war. Diesen Wettbewerb konnten seinerseits Van Berkel und Bos für sich entscheiden. Das Projekt umschließt ein ehemaliges Industriegelände in strategischer Lage an der Wasserfont der Stadt. Es stellt eine Bruchstelle zwischen zwei sehr lebendigen Stadtteilen dar, nämlich dem Fährenterminal und dem „Porto Antico“. Es soll ein „dreidimensionaler Platz auf dem Mittelmeer geschaffen werden, der als Angelpunkt für das ganze System des alten Hafens dienen soll“. Er ist aus der Untersuchung der Dynamik der potentiellen Nutzer des Komplexes entstanden, die auf drei zeitliche und klimatische Parameter geeicht ist: Morgen, Nachmittag und Abend. Später soll er beide Bereiche, die bislang getrennt voneinander liegen, verbinden. Nach diesem kompakten Nachmittagsprogramm bezogen wir unser neues Hotel, um dort eine kurze Pause einzulegen. Anschließend brachte uns der Bus nach Boccadasse, ehemals ein kleines Fischerdorf, heute inmitten der Stadt gelegene Uferpromenade. 6 Der vierte Tag unserer Reise führte uns durch die Innenstadt Genuas. Der Städtebau Genuas war zu allen Zeiten durch die beengte Lage zwischen Steilhängen und Brandung geprägt. Da eine flächige Stadterweiterung nicht möglich war, erfanden die Genuesen sozusagen die frühesten Hochhäuser – jene gewaltigen Wohnblöcke der mittelalterlichen Kaufmannssippen, die noch heute die „Carruggi“, die engen Gassen der Altstadt, bis auf winzige Himmelsstreifen dicht an dicht zustellen. Als selbst diese gewaltige Seefestung im sechzehnten Jahrhundert zu eng wurde und vor allem das Bedürfnis der sehr reichen Handelsfamilien nach höfischer Repräsentation nicht mehr genügen konnte, beschlagnahmte man in einem gewagten, urbanistischen Projekt die oberen Stadtviertel der ärmeren Bevölkerungsschichten und baute die „Rolli“ – mit stuckierten Prachtfassaden und terrassierten Parks. Am frühen Morgen auf unserem Weg zur Piazza de Ferrari streiften wir durch die Markthallen, die mit einem phantastisches Angebot an optischen und kulinarischen Köstlichkeiten aufwarten. Über die Via XX. Settembre unter den reich verzierten Arkaden der Jugendstilpaläste hindurch und über lebhaft strukturierte Mosaikböden flanierend, erreichten wir die Piazza de Ferrari. Auffällig ist übrigens die 1893 errichtete Monumentalbrücke, die die Via XX. Settembre mittig überquert und deren unterschiedlichen Ebenen mit einem Aufzug, den wir später ebenfalls benutzten, verbunden sind. Der Platz zählt zum „modernen Zentrum“ Genuas, das in der zweiten Hälfte des 19. Jh. geschaffen worden war. Er ist kultureller und kommerzieller Mittelpunkt von Genua. In der Mitte des Platzes erhebt sich ein von Cesare Crosa di Vergagni geschaffener Bronzebrunnen. Am Platz befindet sich auch das Theater Carlo Felice. Es wurde nach einem Entwurf von Carlo Barabino auf den Ruinen des romanischen Klosters San Domenico errichtet und 1828 eingeweiht. Im zweiten Weltkrieg stark zerstört, wurde das Opernhaus erst 1991 nach Entwürfen von Aldo Rossi, Ignazio Gardella, Angelo Sibilla und Fabio Reinhardt, als Ergebnis eines Wettbewerbs, wieder neuerbaut und der Öffentlichkeit übergeben (Bauzeit 1987 bis 1990). Der ürsprüngliche Entwurf Carlo Scarpas konnte nicht realisiert werden, weil der Architekt vor Baubeginn verstorben war. Die offene Eingangshalle wird von einer Querachse durchkreuzt. Dies ermöglicht unabhängig vom Opernbetrieb eine geschützte Fußgängerverbindung von der Galerie Mazzini bis zur Via XX. Settembre. Ziel der Architekten war es außerdem, durch diesen Durchgang eine Atmosphäre der Offenheit und der Selbstverständlichkeit zu schaffen. Die Oper soll somit Teil des alltäglichen Stadtlebens werden. Im Foyer hängen großflächige Werke des Künstlers Aurelio Caminati. Durch einen 30 m hohen Lichtkonus, durch den das Tageslicht einfließt, soll eine Verbindung zur Außenwelt entstehen. Der Theatersaal, den wir unter fachkundiger Führung besichtigen konnten, reproduziert (fragwürdiger Weise?) eine genuesische Piazza und bietet Platz für 2000 Besucher. Er verfügt über eine – selbst getestet - sehr gute Akustik. Auch konnten wir bei dieser Gelegenheit einen Blick hinter die Kulissen werfen und die hochtechnisierte Bühnentechnik im „Theaterturm“ bewundern. Dieser 40 x 40 m breite und 63 m hohe Turm entstand aus der Not des begrenzten Platzangebots und wurde, völlig neu geplant, im Südosten angefügt. Ihn umgibt eine riesige Scheinrustika, die zwei Drittel der Turmfassade einnimmt. 7 Im Südwesten des Platzes grenzt der Dogenpalast an. Er besitzt einen großartigen, mit Arkaden ausgestatteten Innenhof. Der Palazzo Ducale ist heute ein Kulturzentrum und beherbergt u.a. große Ausstellungen und Events. Weiter ging es Richtung Altstadt zum Duomo di San Lorenzo. Dort besichtigten wir die Krypta der Kirche, die von Albini restauriert wurde und in der heute wertvolle Schätze der sakralen Kunst ausgestellt werden. An der Piazza San Matteo angelangt, erreichten wir das ehemalige Machtzentrum der Familie Doria. Quadratisch angelegt, leicht abschüssig, beherbergt der Platz die Palazzi Lamba, Branca, Doenicaccio, Giorgio und Andrea Doria, Paläste der Frührenaissance. Die typisch schwarz-weißen Fassaden reihen sich um die Kirche San Matteo, die im 16. Jh. errichtet worden war. Die Altstadt, die über die Jahre stark heruntergekommen war, erstrahlt heute vielerorts wieder in neuem Glanz. In den Erdgeschossen gibt es viele kleine und schmucke Geschäfte und Restaurants zu entdecken, und in dem verwinkelten Straßennetz läuft man dabei durchaus Gefahr, sich beim Bummeln zu verirren. Nach Durchquerung der Altstadt stießen wir auf die Via Garibaldi, auf der sich alsbald Raffaella von uns verabschiedete. 1558 beauftragten sechs mächtige genuesische Familien die berühmtesten Architekten jener Zeit mit dem Bau der vierzehn Palazzi in der damaligen Strada Nuova, der heutigen Via Garibaldi. Das Projekt wurde, wie bereits schon erwähnt, auf den beschlagnahmten Flächen der ärmlichen Bevölkerungsschichten umgesetzt. Der Bau dieser großartigen Straße stieß in ganz Europa auf große Resonanz, sowohl hinsichtlich der damit beabsichtigten politischen und wirtschaftlichen Machtbestätigung als auch in Bezug auf Modernität und Eleganz der Gebäude. Pieter Paul Rubens riet seinen Antwerpenern Mitbürgern, ihre Patrizierhäuser nach Genueser Vorbild zu errichten. Nachdem die Palazzi über die Jahre mehr oder weniger vernachlässigt worden waren, werden heute große Anstrengungen zu ihrer Restaurierung und sinnvollen Umnutzung unternommen. Heute ist die Via Garibaldi mit ihren Palästen das am vollständigsten in seiner Einheit erhaltene Ensemble der Spätrenaissance, das bekannt ist. So finden sich in den Palazzi Bianco und Rosso Kunstmuseen, die unterirdisch über einen Tunnel miteinander verbunden sind. Im Palazzo Tursi, in dessen Innenhof entlang der Attika die Wappen der verschiedenen Genueser Stadtbezirke dargestellt sind, ist heute das Rathaus Genuas untergebracht. Im Palazzo Carrega Cataldi befindet sich seit 1922 die Genueser Industrie- und Handelskammer, in den anderen zumeist Banken, wie z.B. die Deutsche Bank im Palazzo Angelo Spinola. Auf unserem Rückweg besichtigten wir noch das sogenannte Kolumbushaus, von dem behauptet wird, das Kolumbus dort geboren sei und seine Jugendjahre verbracht hätte. In unmittelbarer Nachbarschaft konnten wir das Soprana-Tor sehen, das höchste der fünf mittelalterlichen Stadttore. Mit dem Bus setzten wir unsere Besichtigungstour fort, vorbei an einem Verwaltungsbau von Kenzo Tange, zu Wohnquartieren im faschistischen Stil und im internationalen Stil der Moderne (Luigi Carlo Daneri). Die Quartiere befinden sich in Meeresnähe und sind heute exklusive Wohnanlagen. Von den Hängen Genuas konnten wir dann von verschiedenen Aussichtspunkten aus die Stadt von oben betrachten und nach einem sehr anstrengenden und sonnig-warmen Tag ein Eis (auf die Hand) genießen. 8 Bevor wir jedoch ins Hotel zurückkehrten, führte uns ein Abstecher noch zum Museum Sant’ Agostino, das seinen Sitz in einem ehemaligen Kloster hat. Es wird außerdem als Auditorium für Veranstaltungen genutzt. Nicht weit davon entfernt, strebten wir unser letztes Tagesziel an – die Architekturfakultät. Sie ist im ehemaligen Kloster San Salvatore, San Silvestro, einer Kirche und dem alten Bischofssitz untergebracht. Die Gebäude wurden im Jahr 1989 nach einem Entwurf von Ignazio Gardella restauriert und umgenutzt und bieten heute einen würdigen und spannungsvollen Rahmen für die Architekturfakultät. Leider kamen wir zu spät, denn ihre Tore waren bereits geschlossen, und wir konnten den sehr interessant erscheinenden Komplex nur von außen durch die Gitter der Eingangstore betrachten. Der Abend stand zur freien Verfügung. Die naheliegende Altstadt bot dazu viele kulinarische Möglichkeiten. Nervi – Camogli – San Fruttuoso - Portofino Am nächsten Morgen ging es in aller Frühe, allerdings nicht so früh wie gedacht, weiter. Defekte Aufzüge im Hotel hinderten manches Mitglied aus unserer Gruppe, das in den oberen Stockwerken des Hotels genächtigt hatte, am rechtzeitigen „Herunterkommen“. Nachdem alle am Treffpunkt eingetroffen waren, brachen wir mit Bus nach Osten auf. Die Fahrt führte uns über Nervi bis Camogli. Unterwegs bewunderten wir bei strahlendem Sonnenschein die ehemaligen Villen und Gärten reicher Genueser Familien (Nervi), traumhafte Ausblicke auf das Meer und pittoreske, kleine Orte, die wir auf schmalsten Sträßchen durchquerten. An dieser Stelle sollten auch einmal die Fahrkünste unseres Busfahrers anerkennend erwähnt werden, der uns stets souverän durch engste Gassen gebracht und komplizierteste Wendemanöver gekonnt gemeistert hatte. Bei all dem blieb er immer ruhig und freundlich. In Camogli angekommen, marschierten wir - bereits sehr in Eile - und angefeuert von Theo Senn in Richtung Hafen, wo uns die stark farbig restaurierten, alten Wohngebäude am Hafen bezauberten. Bald darauf legte unsere kleine Fähre nach San Fruttuoso ab. Für uns eröffnete sich nochmals ein traumhafter Blick auf die Küstenlinie bis Genua, bevor wir im kleinen Hafen von San Fruttuoso anlegten. Diese kleine Bucht ist nur mit dem Boot oder von Portofino aus zu Fuß erreichbar. Der winzige Ort wird von einem Kloster und dem Doria-Turm beherrscht. Der Ursprung von San Fruttuoso ist nicht genau bekannt. Hierzu gibt es verschiedene Interpretationen. Die Abtei ist, wie an der Kuppel zu erkennen ist, wahrscheinlich orthodoxen Ursprungs, erbaut im X. Jh., durch griechische Mönche. Im Laufe der Jahrhunderte wurden einige Veränderungen vorgenommen. Ihr heutiges Aussehen verliehen ihr im 12. Jh. Benediktinermönche, die sich hier niedergelassen hatten. Die Familie Doria, in deren Besitz die Abtei übergegangen war, nahm weitere Veränderungen vor (Doria-Turm). Dann geriet die Kirche in Verfall. Im Jahr 1915 führte eine Überschwemmung zum Einsturz eines Teiles der Kirche. Der italienische Staat restaurierte den Komplex im Jahr 1933. Einige Jahre später wurde die Abtei dem F.A.I. (italienischer Umweltfonds) übergeben, der noch heute für die Verwaltung zuständig ist. Ein schlauer Schachzug verhinderte, daß der bezaubernde Ort nicht dem totalen Tourismus mit Familienhotel und dem üblich neuzeitigen Freizeitangebot anheim fiel: Man stellte alles unter Denkmalschutz – einschließlich die Bewohner. Diese Vereinbarung gilt bis zum Ableben des letzten, nativen Einwohners von San Fruttuoso. 9 Wir waren einige der ersten, die an diesem Tag das Örtchen erreichten – und das war gut so. Wir genossen (noch) die Beschaulichkeit des Ortes und konnten uns in aller Ruhe einen Espresso genehmigen. Als wir um die Mittagszeit in Richtung Bootsanlegestelle schlenderten, strömten uns bereits Menschenmassen entgegen. Wir setzten unsere Bootsfahrt an der Küste fort, die uns immer neue Aus- und Anblicke gewährte, bis wir um eine Landzunge biegend, in einer wunderschönen Bucht gelegen, die pastellfarbenen Häuser und Villen Portofinos erblicken konnten, dem Lieblingsyachthafen der Reichen und Schönen aus aller Welt. Die einen nahmen sich die Zeit zum Lunchen und Flanieren, es gab auch welche, die eine kleine Espresso-Pause an der Bar des Hotels Splendid einlegten..... Am frühen Nachmittag versammelten wir uns wieder an der Anlegestelle, um unseren Ausflug nach St. Margherita fortzusetzen. Dort nahm uns unser Busfahrer wieder in Empfang zur Rückfahrt nach Mailand. Nach vier erlebnisreichen und von Theo Senn und Margot Schrödel bestens vorbereiteten Tagen, voller wunderbarer Eindrücke, nahmen wir am Bahnhof Centrale in Mailand voneinander Abschied. Susanne Schmidt-Hergarten 10