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SONJA MISCHOR IM NEO-PORTRÄT N VON CHRISTOPH LÖHR och einmal lächelt Sonja Mischor, dann verschwin det sie kurz. Den Raum muss sie dazu nicht ein mal verlassen. Alles, was sie für ihre kleine Reise braucht, ist ein Instru ment. In dem Moment, in dem sie die singende Säge mit ihren Beinen spannt, versinkt sie ein Stück weit. Und während der Geigenbogen in ihrer rechten Hand dem Metall sirrende Töne entlockt, ist sie plötz lich ganz bei sich. Ihre linke Hand bestimmt durch Biegen des Blatts die Höhe der Klänge. Ein wenig Vor sicht ist dabei geboten. Das hier ist ein echtes Werkzeug. Die Zähne der Säge hätten in der Tat das Zeug, einen Baum zu fällen. Dass Sonja Mischor derart konzentriert zu Werke geht, liegt jedoch nur zu ei nem geringen Teil an irgendwel chen Sicherheitsgedanken. Haupt sächlich ist es die Musik, von der sie völlig eingesogen wird. Erst als der Bogen steht und das kontinuierli che Flirren aufhört, ist sie wieder da. Und lächelt. EHRGEIZ, ETÜDEN UND EXPERIMENTELLES GRENZENLOS KREATIV »Mach all die Dinge, die Dir liegen oder zufliegen«, sagt Sonja Mischor. Und weil sich die Wahl-Aachenerin beim Verfolgen dieser Idee völlige Freiheit gönnt, spielt sie Musik von Experimentellem bis Jazz und ist Performance-Künstlerin. FOTO: RAPHAEL WENIGER TITEL KLENKES NEO SOMMER 2015 7 \\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\ FOTO: ELKE DORIN WWW.KLENKES-NEO.DE 6 \\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\ Außergewöhnliche Instrumente wie die singende Säge, Kompositio nen jenseits üblicher Liedstrukturen, freie Improvisation statt starrem Korsett: Sonja Mischor ist eine Musikerin, die sich in ihrem Schaf fen nicht von irgendwelchen Gren zen oder Konventionen einzäunen lässt. Zu weit ist ihr musikalischer Horizont, zu groß ihr Drang, sich in immer neuen Formen auszu drücken. Aufgewachsen in einem musikbegeisterten Elternhaus am Niederrhein, war eine Blockflöte ihr Einstieg ins Musizieren. Nachdem sie sich diese fast im Alleingang er schlossen hatte, stand ihr der Sinn schon bald nach einem Umstieg auf die Querflöte. Bis heute sind die Flöten ihr Hauptinstrument. »Schon beim Aufstehen freute ich mich auf die Flöte«, erinnert sie sich. »Jeden Tag habe ich stunden lang gespielt. Ich wollte das Instru ment und alles, was es kann, entde cken. Ist das nicht toll, wenn man als Kind etwas hat, das einem das Herz aufgehen lässt?« Ihre Lehrer »JEDEN TAG HABE ICH STUNDENLANG GESPIELT. ICH WOLLTE DAS INSTRUMENT UND ALLES, WAS ES KANN, ENTDECKEN. IST DAS NICHT TOLL, WENN MAN ALS KIND ETWAS HAT, DAS EINEM DAS HERZ AUFGEHEN LÄSST?« bestärkten sie in diesem natürli chen Ehrgeiz. Zwar schränkte Quer flötenlehrer Francisco Estevéz die Freiheit bisweilen durch qualvolles Etüdenüben ein. Quasi als Wieder gutmachung öffnete er seiner Schülerin aber auch erstmalig die Tür zu der bis dato unbekannten Klang- und Erlebniswelt der Neuen Musik, als sie mit ihm seine Kompo sitionen aufführen durfte. In Anbe tracht der neuen Möglichkeiten, die sich dort boten, war Sonja Mischor tief beeindruckt. Mit gerade einmal 14 Jahren verfasste sie erste eigene experimentelle Kompositionen, die sie gemeinsam mit Estevéz auch schon vor Publikum präsentierte. Im selben Alter gehörte sie auf dem New Jazz Festival Moers zum Ensemble des Globe Unity Orchest ra, spielte unter der Leitung von Ge orge Lewis mit großen Namen wie Gerd Dudek oder Kenny Wheeler. Das war im Jahr 1982. WAS RAUS MUSS Über drei Jahrzehnte später hat das Experimentieren mit Musik für Sonja Mischor nichts von seiner Fas zination verloren. Ganz im Gegen teil: Das Musikmachen gerade im experimentellen Bereich, so sagt sie selbst, verschafft ihr nach wie vor ein wunderbares Gefühl von Frei heit. »Man kann alles an Emotionen und Empfindungen rauslassen, was raus muss, schräg sein, wegrennen, ein Unwetter entfesseln und sich auf die klare Luft nach dem Sturm freuen.« Ihr Instrumentarium für den Weg zu dieser Freiheit hat sich seit den Anfangstagen vervielfacht. Ab 1992 hat sie klassischen Gesang erlernt, das Basiswissen später durch Workshops in den Bereichen Obertongesang und Jazz erweitert. Darüber hinaus sind im Lauf der Jahre von verschiedenen Flöten bis zur Ukulele und dem Synthesizer zahlreiche Instrumente dazuge kommen, mit deren Hilfe sie einen Klangkosmos in allen Farben und Schattierungen aufspannen kann. Mit der Zeit hat Sonja Mischor ein Faible für kleine, außergewöhnliche Instrumente entwickelt. Die ent sprechende Sammlung wächst ste tig. Wieviele sie tatsächlich spielt, ist schwer zu ergründen. Zumal sie selbst lediglich zwei »richtige Inst rumente« auf der Haben-Seite sieht. »Flöten und Gesang. Den Rest spiele ich halt nur so.« Bescheiden heit gehört fraglos zu Sonja Mi schors Eigenschaften. Eine Beschei denheit ohne jede Spur dieses anstrengend kokettierenden Under statements, das vielen Künstlern sonst zu eigen ist. WEITER AUF SEITE 8 Tatsächlich sieht sie sich selbst nicht als eine dieser nach vorne preschenden Rampensäue. »Ich war als Kind sehr schüchtern, aber ich bin trotzdem damals schon gerne auf die Bühne gegangen. Und wenn ich jetzt da oben stehe, schaue ich, dass etwas Gutes dabei herauskommt.« Etwas Gutes ist für sie beispielsweise, wenn sie Musik teilen kann – mit dem Publi kum, aber eben auch mit anderen Musikern. Gemeinsames Musik machen mit Kolleginnen und Kollegen ist für sie ein sinnstiften der Bestandteil ihres Berufs. »Sicher ist es manchmal anstren gend, verschiedene Charaktere un ter einen Hut zu bekommen. Aber wenn es passt und man zueinan der findet, einander stützt, ent steht etwas Großartiges, das man nur im Kollektiv schaffen kann.« FOTO: MALTE PFERDMENGES DIE GANZE FLÄCHE Seit den 90er Jahren war und ist sie darum Teil und treibende Kraft zahlreicher Kooperationen, Kollabo rationen oder Band-Projekte. Mit dem Intermission Orchester aus Köln avancierte sie etwa zum musi kalischen Stammgast im WDR-Fern sehen. Mit Teilen der Nina Hagen Die Neugier ist ihr Motor, die Experimentierfreude das Benzin: Sonja Mischor lässt in ihrem Schaffen Kunstformen miteinander verschmelzen. Etwa durch ihre Klang- und Tanzperformances mit Annalisa Derossi. Oder wenn sie der Ukulele einen Platz in der Neuen Musik einräumt. Band unternahm sie Filmvertonun gen. Mit den Kolleginnen Sascha Ley und Kirsti Alho inszenierte sie einen rasanten Genremix zwischen Schauspiel und Musik. Mit Annalisa Derossi kreiert sie bis in die Gegen wart Klang- und Tanzperforman ce-Kunst. Schon diese Beispiele machen deutlich, dass Sonja Mischor keinerlei Berührungsängste mit an deren Kunstformen kennt. Natür lich nicht. Schließlich ist sie in der Vergan genheit selbst auch in der bilden den Kunst tätig gewesen: Ihre Objekte und Licht-Klanginstallatio nen wurden in Aachen und Maastricht ausgestellt, in Basel, Brüssel, München und Stockholm. Das nötige Rüstzeug für diesen ver meintlich musikfreien Teil ihrer Laufbahn erhielt sie im Rahmen eines Objektdesignstudiums an der FH Aachen, für das sie Mitte der 90er Jahre in die Stadt kam und blieb. Vermeintlich? »Bei Ihnen ist wirklich alles musikalisch«, hat Professorin Christiane Maether ihr einmal versichert. Und wirklich trennen lassen sich Musik, bilden de, aber auch darstellende Kunst für Sonja Mischor tatsächlich nicht. Konsequenterweise hat sie ihrem musikalischen Schaffen schon vor über einem Jahrzehnt eine theatrale Komponente hinzuge fügt, ihre verschiedenen künstleri schen Zweige dabei unter einem Dach vereint: In ihren Performances laufen all die Ausdrucksformen zu sammen, die sie im Lauf der Jahre für sich entdeckt hat. Sie kompo niert und produziert nicht nur die Musik, sie entwirft und schneidert auch die Kostüme, gießt kleine Ge schichten in poetische Texte, er sinnt die Choreographien und übernimmt den Schnitt der Video sequenzen, die ihre jeweilige Dar bietung untermalen. FOTO: ELKE DORIN »ICH VERSUCHE IMMER, DAS GANZE ZU SEHEN. EGAL OB IN DER KUNST ODER BEI DER MUSIK« KLENKES NEO SOMMER 2015 9 \\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\ Sprache wird in diesem Kontext zu einem eigenständigen Instru ment, zum Transportmittel für Gefühle. Hebräisch rückwärts live gesungen über elektronisch ver fremdeten Aufnahmen in Dauer schleife oder zornige Entäußerun gen in Spanisch über stumpfer Rhythmik: Wenn es thematisch passt, ist alles erlaubt. Da ist sie wieder, diese wundervolle Freiheit. Und wenn die anderen Dinge an der richtigen Stelle sitzen, kann auch Stille ein probates Mittel sein. »Gestaltet wird die ganze Fläche«, diesen Anspruch eines früheren Professors hat Sonja Mischor für das eigene Schaffen mitgenom men. »Das habe ich so verinnerlicht, dass ich immer versuche, das Ganze zu sehen. Egal ob in der Kunst oder bei der Musik.« AUGENZWINKERND HERAUSGEFORDERT Das Zusammenspiel mit anderen fasziniert sie seit jeher aber auch in anderen musikalischen Genres. Ihre heimliche Leidenschaft gehört et wa dem Bossa Nova, den sie zusam men mit Heribert Leuchter und seiner Jazz Combo auf die Jazzbüh ne des Grenzlandtheater Aachen brachte. Oder ihre Zusammenar beit mit dem Stefan Michalke Trio: »Ich hatte mich ein Jahr lang hinge setzt und 20 Jazz-Nummern mit dem Ziel komponiert, sie auf die Bühne zu bringen. Als ich die Stücke erstmals mit dem Michalke Trio aufführen durfte, war das ein riesi ges Glücksgefühl. Die eigenen Stü cke live zu spielen und zu erleben, bekommt noch einmal eine ganz andere Dimension.« In diesem Sinne fungiert sie zu sammen mit dem Akkordeonisten He Joe Schenkelberg alle drei Monate als Gastgeberin der »Live Soirée« im Franz. Zu jeder Soirée begrüßen die beiden einen ande ren Gast, um mit diesem den Abend musikalisch zu gestalten – am 2. 9. z.B. Murat Cakmaz an sei ner Sufi-Ney-Flöte. »Diese Abende sind immer eine tolle Gelegenheit, andere Musiker und deren künstlerische Ansätze kennenzulernen.« Sonja Mischor versteht das Ganze als Herausfor derung, die alle Beteiligten profes sionell, aber eben auch nicht allzu bierernst annehmen. In immer neuen Musiker-Konstellationen ent wickeln sich so außergewöhnliche, überraschende, augenzwinkernd improvisierte Versionen der jeweili gen Lieder, wie sie andernorts kaum entstehen könnten. Die Live Soirée im Franz hat sich über die Jahre zu einem festen Anlaufpunkt für Musikfreunde jeden Alters etabliert. Und sie ist ein weiterer Ausdruck der musikalischen Neu gier, die Sonja Mischor aus ihrer Kindheit hinüber ins Erwachsenen alter gerettet hat. \ SHOOTING SONJA MISCHOR Freitagmorgen, kurz nach 10: Tref fen im Atelier von Fotograf Olaf Rohl im Frankenberger Viertel. Für unsere Titel-Heldin Sonja Mischor idealer weise nur einen Katzensprung von der eigenen Bleibe entfernt. Betritt man die heiligen Hallen Rohls, bemerkt man sofort, dass hier ein absoluter Profi am Werk ist: Geschäftiges Treiben, beeindru ckendes Equipment, lockere Atmos phäre. Kurz umreißt der Fotograf seine Ideen für die anstehenden Aufnahmen, holt verschiedene Klei dungsstücke hervor – einfach mal inspirieren lassen. Sonja Mischor befindet sich währenddessen in den routinierten Händen der aus Düsseldorf angereisten Jutta Alver mann: Der riesige Schminkkoffer lässt erahnen, dass die Visagistin jede Menge kreative Ideen mitge bracht hat. Es wird gekämmt, ge föhnt, gewuschelt und ausprobiert. Unser Model beobachtet aufmerk sam, ist nicht um eigene Vorschläge verlegen – die Vorfreude aufs FOTOS: CHRISTINA RINKENS FOTO: RAPHAEL WENIGER FOTO: SONJA MISCHOR WWW.KLENKES-NEO.DE 8 \\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\ 21.6. MUSIK-PERFORMANCE »AMONGST THE CROWD« 15 UHR, ATELIERHAUS AACHEN 12.7. KLANGPERFORMANCE ZUR ROMANVORSTELLUNG VON HOLGER VANICEK’S »DER GEDANKENTAUSCHER« 12 UHR, KUKUK AN DER GRENZE 5.9. LANGE NACHT DER MUSEEN: PERFORMANCE TBA, SUERMONDT LUDWIG MUSEUM » sojami.weebly.com hooting liest man ihr an den S geschminkten Augen ab. Bevor sich die Künstlerin vor dem gold-gelben Hintergrund positio niert, werden dunkle Lederjacke und pompöser Ring übergestreift – großer Dank geht an die Kölner Stylistin Julia Albracht, die uns ext ra mit Kleidung und Schmuck ver sorgt hatte. Olaf Rohl bittet indes um vollen Einsatz: »Schrei mal kurz und kräftig!« Kurz hallt es durchs Studio, dann werden Einstellungen und Mimik variiert. Nach rund 2,5 Stunden, da sind sich Sonja Mischor, Olaf Rohl und Jutta Alvermann einig, ist unser Titel gefunden. Ein echter RT Hingucker! \ AUF DEM TITELFOTO TRÄGT SONJA MISCHOR EINE LEDERJACKE VON »BIANCA« UND EINEN RING VON »KONPLOTT«. Konzentrierte Lockerheit am Set vom NEO-Titelshooting » olaf-rohl.de » alvermann.de » julia-albracht.de