Im Blumenladen fehlt der Duft frischer Blüten - Vogtland

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Im Blumenladen fehlt der Duft frischer Blüten - Vogtland
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Im Blumenladen fehlt der Duft frischer Blüten
Sebnitz – Auf den ersten Blick wähnt sich der Besucher in einem Blumenladen, der
Gewächse aus allen Jahreszeiten gleichzeitig führt. Nur der Duft nach Blüten und
frischem Grün fehlt in der Manufaktur Deutsche Kunstblume Sebnitz. Ansonsten aber
sehen die Weidenkätzchen, Stiefmütterchen oder Lilien aus gefärbtem Stoff ihren
natürlichen Vorbildern zum Verwechseln ähnlich. Im April beginnen mit den 13.
Sebnitzer Blumentagen die Feierlichkeiten für das Jubiläum 175 Jahre Kunstblume in
Deutschland.
„Aus dem Böhmischen kam das Handwerk 1834 nach Sebnitz“, sagt Erik Beckert,
Marketingchef der Fremdenverkehrsbetriebe Sebnitz-Hinterhermsdorf im Landkreis Sächsische
Schweiz-Osterzgebirge. Als Folge der deutschen Zollunion siedelten tschechische
Kunstblumenhersteller ihre Betriebe gleich hinter der Grenze in der Region Sebnitz an, um
hohe Einfuhrzölle zu umgehen. Da die bisher verbreitete Weberei im Niedergang begriffen war,
standen Arbeitskräfte in großer Zahl bereit.
Mit mehr als 200 Fabriken und bis zu 15 000 Beschäftigten, darunter in der Mehrzahl
Heimarbeiter, entwickelte sich Sebnitz zur Seidenblumenstadt Deutschlands mit weltweit
gutem Ruf. Exportiert wurde in alle Welt. Drei Viertel des Weltmarktbedarfs sollen zeitweise mit
Sebnitzer Erzeugnissen gedeckt worden sein, erklärt Beckert. Im Heimatmuseum der Stadt gibt
es neben damaligen Handwerksstuben auch über 100 Jahre alte Sebnitzer
Kunstblumenkreationen zu bestaunen.
Seit der Wende kann von der Herstellung der Kunstblumen allein niemand mehr leben, das
Handwerk ist dem Preisdruck fernöstlicher Massenware nicht gewachsen. Einige örtliche
Betriebe haben sich auf Dekorationsartikel spezialisiert und beschäftigen ehemalige
Kunstblumenhersteller. In der Bundesrepublik gibt es keinen Ausbildungsberuf für die
Kunstblumenherstellung, Floristen und Dekorateure erlernen deshalb die Fertigkeiten. „Die
Sebnitzer Seidenblumen haben inzwischen insbesondere touristische Bedeutung“, sagt
Marketingleiter Beckert. Durchschnittlich 35 000 bis 40 000 Gäste besuchten pro Jahr die
Deutsche Kunstblume Sebnitz, sagt deren Leiter Günter Hartig. „Jeder Schritt ist ausschließlich
Handarbeit“, sagt Hartig. Wurde früher für die Kunstblumen auch Papier verwendet, kommen
inzwischen nur Samt-, Seide-, Baumwolle-, Taft- und Atlasstoffe sowie getrocknete
Naturpflanzenteile zum Einsatz.
Tausende Stanzeisen für verschiedenste Formen gehören zum Fundus der Deutschen
Kunstblume. Mit diesen werden Blätter und Blütenblätter aus dem Stoff gestanzt, dann geprägt.
Jährlich entstehen neue Blüten. „Der Klassiker ist und bleibt aber die Rose“, sagt der
Manufakturleiter. Auf Rosenschauen in Wildenfels bei Zwickau und Kiel halten die Sebnitzer
regelmäßig Ausschau nach Neuzüchtungen oder wieder entdeckten alten Sorten. Die Farbe der
Kunstblumen wird ebenfalls von Hand aufgetragen. Danach entstehen aus all dem einzelnen
Laub und den losen Blütenblättern mit geschickten Handgriffen die Kunstblumen. Blümeln
heißt dieser Arbeitsgang.
Die gesamte Ware aus der Manufaktur wird im Museumsladen verkauft. Beliebtes Mitbringsel
ist eine kleine Kopie der größten Seidenrose der Welt, die es im Jahr 1997 mit 3,70 Meter Höhe
ins Guinnessbuch der Rekorde schaffte und in der Stadt zu sehen ist. dpa