Familie und Familienpolitik in Großbritannien
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Familie und Familienpolitik in Großbritannien
Familie und Familienpolitik in Großbritannien Großbritannien 1 1 Institutionen und historische Entwicklung 2 Struktur der Familien 3 Familien und Arbeit 4 Einkommen der Familien 5 Erziehung und Gesundheit 6 Fazit Großbritannien 2 Institutionen und historische Entwicklung „Britain does not have, and has never had, an explicitly formulated policy with regard to families and children.“ Dennoch wurden seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts Gesetze erlassen, die sich an den unterschiedlichen Bedürfnissen von Familien orientierten. Direkt (über Gesetze) und indirekt (Wohlfahrt) nimmt der Staat Einfluss auf die Lebensverhältnisse von Müttern, Vätern und Kindern. Großbritannien 3 Institutionen und historische Entwicklung • Kein Familienministerium • Mehrere Minister zeigen sich für einzelne Bereiche der Familienpolitik verantwortlich: Æ John Reid, Health (special responsibility for family matters) Æ Charles Clarke, Education and Skills Æ Andrew David Smith, Work and Pensions Æ Patricia Hewitt, Minister for Women Adresse: www.number-10.gov.uk Großbritannien 4 Institutionen und historische Entwicklung 1834 Poor Law Familienmitglieder sind finanziell füreinander verantwortlich 1876 allgemeine Schulpflicht sog. „school attendance officers“ sorgen für deren Einhalt 1919 Maternity and Child Welfare Act weitreichende Hilfen für Mütter 1942 Beveridge Report umfassender Bericht zur Sozialpolitik von Sir William Beveridge Großbritannien 5 Weitere Informationen zu „Institutionen und historische Entwicklung“: Großbritannien hat sowohl die Sozialcharta der EU (1988) als auch das Kapitel zum Sozialstaat in den Maastrichtverträgen (1991) nicht unterschrieben. Großbritannien 6 Institutionen und historische Entwicklung Drei wichtige Entwicklungsschritte seit den 1930ern: 1930er Weltwirtschaftkrise, hohe Arbeitslosigkeit, niedrige Geburtenrate 1940er umfangreicher Ausbau des Wohlfahrtsstaates: weitgehende Hilfe für Familien 1979 Regierung Thatcher: Reduzierung der Staatsausgaben, damit auch der Ausgaben für Familien „There is no such thing as society, there are only families and individuals.“ – Margaret Thatcher Großbritannien 7 Struktur der Familien Heirat: Bis Mitte des 20. Jahrhunderts: Æ Späte Heirat Æ Große Zahl unverheirateter Männer und Frauen Seit den 1930ern umgekehrter Trend: Æ Frühe und häufigere Heirat Æ Weniger unverheiratete Männer und Frauen Seit den 1970ern erneute Trendwende: Æ Immer spätere Heirat Æ Stark sinkende Zahl Verheirateter, mehr unverheiratete Paare Großbritannien 8 Struktur der Familien Scheidung: Im Verlauf des 20. Jahrhunderts stiegen die Scheidungszahlen auf ein historisches Hoch. Die Scheidungsrate in Großbritannien ist die höchste in Europa (1961 2,1; 1987 12,7 pro 1000 Ehen) Die 1930er und 1950er könnten als das „goldene Zeitalter“ der Familienstabilität bezeichnet werden. Zu diesem Zeitpunkt war die Scheidungsrate am geringsten. (mögliche Gründe: wirtschaftliche Not, viele im Krieg gefallene Männer) „No natural limit to the increase in divorce is yet in sight, except that determined by ability to afford the costs.“ Großbritannien 9 Struktur der Familien Geburten: Historisches Tief 1933: 1,72 Kinder pro Frau im Alter von 15 bis 45 Jahren, keine „pronatale“ Politik Nach dem so genannten „Baby Boom“ in den 1950ern (Rate 1964 bei 2,94) hat sich die Geburtenrate heute bei 1,8 eingependelt und liegt damit im europäischen Mittel. Großbritannien hat mit Abstand die höchste Rate so genannter „teenage mums“. Im Vergleich zum europäischen Festland sind in Großbritannien vier Mal mehr Frauen unter 18 Jahren schwanger. Möglicher Grund: schlechter Sexualkundeunterricht Großbritannien 10 Struktur der Familien Struktur der Familien: „Contrary to popular myth, there never was any time in recorded history when „extended families“ were very common in Britain.“ Über Jahrhunderte lag die Zahl der Personen in einem Haushalt konstant bei 4 bis 5. 1961 war sie bereits auf 3,0 abgesunken, 1991 auf 2,5. Æ mehr alleine lebende alte Menschen Æ mehr Alleinerziehende Großbritannien 11 Struktur der Familien Familienplanung: Bereits 1930 sprach sich die Anglikanische Kirche für die Familienplanung aus. Seit 1967 (Family Planning Act) wird die Pille vom NHS weitgehend kostenlos ausgegeben. Abortion Act (1967): medizinische und soziale Gründe; legale Abtreibungen 1992: 160 000 „Public involvement in providing family planning is exclusively orientated towards health and welfare of mothers, children, and families, with no goals either to increase or to reduce fertility.“ Großbritannien 12 Struktur der Familien Familienrecht: 1969 Divorce Reform Act: Von nun gilt der „unumkehrbare Bruch der Partnerschaft“ als Scheidungsgrund, nicht mehr die Untreue einer der beiden Partner. 1971 Vermögen kann von Gerichten auch auf die Frau übertragen werden. Vorher war dies nur umgekehrt möglich 1991 Child Support Agency: Diese Behörde trägt Sorge, dass bei einer Trennung das Wohl des Kindes im Vordergrund steht. Sie treibt gegebenenfalls Unterhaltsgeld ein. Großbritannien 13 Weitere Informationen zu „Struktur der Familien“: Die Einwohnerzahl des Vereinigten Königreichs liegt derzeit bei etwa 59,9 Millionen. Davon sind 82 % Engländer, 10 % Schotten und jeweils 2 % Waliser und Iren. 1990 lag die Einwohnerzahl noch bei 57,4 Millionen. Trotz einer extrem niedrigen Geburtenrate im Jahr 1933 wurde in Großbritannien nie eine „geburtenfördernde“ Politik verfolgt. Großbritannien 14 Familien und Arbeit Frauen auf dem Arbeitsmarkt: Frauen leisten den größten Teil der unbezahlten Arbeit (Erziehung, Hausarbeit, Einkaufen, etc.), Männer den größten Teil der bezahlten Arbeit. Seit den 1970ern verändert sich diese Aufteilung: Frauen arbeiten etwas weniger im Haushalt und mehr in der freien Wirtschaft, Männer arbeiten etwas weniger in der freien Wirtschaft und ein wenig mehr im Haushalt. Dennoch leisten Frauen weiterhin doppelt so viel unbezahlte Arbeit wie die Männer. Großbritannien 15 Familien und Arbeit Frauen auf dem Arbeitsmarkt: Der Anteil arbeitender Frauen ist seit den 1970ern deutlich gestiegen. 1991 waren 71 % aller Frauen in der Wirtschaft aktiv, 1961 lag dieser Anteil noch bei 38 %. Sowohl in Teilzeit als auch in Vollzeit arbeiten Frauen mehr als früher. Vor allem Mütter arbeiten heute mehr als früher. 1961 arbeitete eine von vier Müttern mit jungen Kindern, 1991 waren es bereits drei von vier Müttern. Großbritannien 16 Familien und Arbeit Beschäftigung und Erziehung: Der Mutterschutz (im weiteren Sinne) ist für Frauen in Großbritannien im europäischen Vergleich sehr gering. Vier Rechte werden seit 1994 (Pregnant Workers Directive) garantiert: Æ Æ Æ Æ Großbritannien Statutory Maternity Pay (Mutterschutz) vom Arbeitgeber Recht auf Auszeiten unmittelbar nach der Geburt des Kindes Schutz vor Entlassung aufgrund von Schwangerschaft Recht zur Rückkehr an den Arbeitsplatz bis zu 29 Wochen nach der Entbindung 17 Familien und Arbeit Beschäftigung und Erziehung: In Großbritannien gibt es keine Gesetze, die Arbeitgebern vorschreiben, ihren Angestellten und Arbeitern Erziehungsurlaub zu gewähren. Vielmehr vertraut die Regierung darauf, dass solche Vereinbarungen ohne Einflussnahme des Staates getroffen werden. Ergebnis: Vor im öffentlich Sektor und in Großunternehmen werden Arbeitnehmern weitgehende Rechte gewährt. Frauen (und Männer) in so genannte „blue collar“-Tätigkeiten haben hingegen weitaus seltener die Möglichkeit, in Erziehungsurlaub zu gehen. Großbritannien 18 Einkommen der Familien Einkommen der Familien Die beiden wichtigsten Einkommen für Familien sind Einkommen aus Arbeit und staatliche Transfers. Dabei werden die Transfers immer wichtiger (1991 16 % aller Familieneinkommen). Familien mit Kindern haben einen geringeren Lebensstandard als der Durchschnitt. Dieser Unterschied hat seit Ende der 1970er beträchtlich zugenommen. 1986 lebten 11,2 % aller Kinder und 7,1 % aller Eltern in Armut (gemessen an einem bestimmten Einkommen). Großbritannien 19 Einkommen der Familien Steuernachlässe für Familien Married Couple‘s Allowance (MCA) und Additional Personal Allowance (APA) als Freibetrag für Verheiratete und Alleinerziehende. Aufgrund verschiedener Modelle waren verheiratete Paare lange Zeit gegenüber nicht verheirateten Paaren mit Kindern steuerlich im Nachteil. Derzeit wird überlegt, sowohl die MCA als auch die APA zu Gunsten steuerlicher Unterstützung von Kinderbetreuung und Pflege abzuschaffen. Großbritannien 20 Einkommen der Familien Family Allowance: „Kindergeld“ Monatlicher Festbetrag pro Kind, eingeführt nach dem 2. Weltkrieg. Income Support: „Sozialhilfe“ Seit 1948 gibt es in Großbritannien ein umfassendes System staatlicher Hilfe für Bedürftige (kein Partner arbeitet mehr als 16 Stunden in der Woche). Seit den 1970ern wurde dieses System verschärft. Die Beantragung ist schwieriger und komplizierter als früher. Darunter leiden vor allem Familien mit Kindern. Großbritannien 21 Weitere Informationen zu „Einkommen der Familien“: Vor 1990 hieß die MCA noch „Married Man‘s Allowance“, galt also nur für den Ehemann. Die MCA wird in dem Text von Kamerman und Kahn (Hrg.) folgendermaßen definiert: „The MCA is an income tax exemption available only to married couples on top of the single person‘s income tax exemption“ (60). Folgendes zum Steuersystem war unter http://www.careercontact.de/laenderinfos/grossbritannien/versicherung_steuern.php?print=true zu finden: Es gibt einen jährlichen Steuerfreibetrag von 4615 Pfund. Bei bestimmten Bevölkerungsgruppen (z.B. Verheiratete) kann er höher liegen. Es gibt nur drei Steuertarife (Finanzjahr 2002/2003): - bei einem Einkommen von bis zu 1920 Pfund über dem Freibetrag: 10% - bei einem Einkommen von bis zu 29900 Pfund über dem Freibetrag: 22% - bei einem Einkommen von mehr als 29900 Pfund über dem Freibetrag: 40% britisches Finanzamt: http://www.inlandrevenue.gov.uk Married couple’s allowance: 5565 bis 5635 Pfund Freibetrag im Jahr Großbritannien 22 Weitere Informationen zu „Einkommen der Familien“: Das Kindergeld beträgt in Großbritannien 107 Euro monatlich für das erste Kind und 72 Euro für jedes weitere Kind. Es wird in der Regel bis zum 16. Lebensjahr gezahlt, bei Studenten und Auszubildenden bis zum 19. (Quelle: Nachhaltige Familienpolitik, Bundesministerium für Familie) Großbritannien 23 Erziehung und Gesundheit Schule: Schuleintritt mit fünf Jahren. Ganztagsschulen mit größtenteils kostenlosem Mittagessen (seit 1906). Großer privater Sektor („public schools“). Viele Kinder werden bereits mit vier Jahren eingeschult. Kinderbetreuung im Vorschulalter: Die Frühbetreuung übernimmt in Großbritannien eine Vielzahl privater und staatlicher Träger. Das System ist extrem kleinteilig. Außerdem sind nächste Familienangehörige und Freunde für die Betreuung sehr wichtig. Großbritannien 24 Erziehung und Gesundheit 1940 bis 1945 umfangreiche Frühbetreuung 1945 bis 1979 starker Abbau des Angebots Æ Ideal der Hausfrau und Mutter Æ psychologische Argumente 1979 erneut langsamer Aufbau Æ mehr arbeitende Mütter Æ pädagogische Argumente Die Regierungen Thatcher und Major sprachen sich äußerlich gegen eine Ausdehnung der Betreuung und für die „alten“ Familienwerte aus. In Wirklichkeit verfolgten sie jedoch eine mäßige Stärkung des Sektors. Großbritannien 25 Erziehung und Gesundheit 1994 versprach John Major Kindergartenplätze für alle Vierjährigen, deren Eltern dies wünschen. Ein Gutscheinsystem unterstützt Eltern mit bis zu 1100 Pfund im Jahr. Für die Ganztags-Betreuung dürfen diese Gutscheine jedoch nicht verwendet werden. „We have always made it clear that it is not for the government to encourage or discourage women with children to go out to work.“ - John Major Großbritannien 26 Weitere Informationen zu „Erziehung und Gesundheit“: Das Bildungssystem übernimmt in Großbritannien in vielen Fällen die Aufgabe der Früherziehung, also der Betreuung vor dem eigentlich Schuleintritt. Die Zahl der Kinder im Alter von drei bis vier Jahren in Schulen stieg von 15 % im Jahr 1965 auf 53 % in den Jahren 1991/92. Großbritannien 27 Erziehung und Gesundheit Der National Health Service (NHS) Æ gegründet 1946 Æ aus Steuern finanziert Æ kaum private Gesundheitsangebote, Dominanz des NHS Æ starke Stellung der Allgemeinärzte Æ gleiche Qualität und gleiches Angebot für alle Großbritannien 28