VII. Die Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis
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VII. Die Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis
1 VII. Die Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche und ihre Gedächtnishalle (Eine Chronologie) Der Verfasser dieser Zeilen war von 1968 bis 1987 als Rendant der Kaiser-WilhelmGedächtnis-Kirchengemeinde und als Schatzmeister der Stiftung „Kaiser-WilhelmGedächtniskirche“ tätig. Anfang der siebziger Jahre fand er auf dem Dachboden des Gemeindehauses in einer Ecke zwischen Schutt und Schmutz alte Akten der Gemeinde, beginnend im Jahre 1896. Ebenso lagen in einem dort befindlichen Schrank, völlig eingestaubt, ähnliche Aktenstücke. Offensichtlich wurden bis zum Zweiten Weltkrieg Akten auf dem Dachboden aufbewahrt. Die hier aufgefundenen waren wohl nach der Zerstörung des Obergeschosses des Hauses die noch übrig gebliebenen Stücke. Sie sind - wenn auch völlig unzureichend - ein wichtiges und interessantes Zeitdokument und sollen in Auszügen in dieser Chronologie ihren Platz finden. 01.09.1895 Einweihung der Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche. Weder die Inneneinrichtung des Kirchenschiffes noch die Gedächtnishalle sind fertig. Die Gedächtnishalle als Vorraum zum Kirchenschiff sollte dem Gedächtnis Kaiser Wilhelm I. gewidmet sein und besonders künstlerisch gestaltet werden. Für ihre Fertigstellung sind zu diesem Zeitpunkt noch zu viele Überlegungen, Planungen, Versuche und Vorarbeiten erforderlich. Bei der Einweihung der Kirche schätzt man die Kosten für die noch fällige Innenausstattung des Kirchenschiffes auf 800.000 Mark und die der Gedächtnishalle auf etwa 400.000. Mark. Es sollte noch viel teurer werden! „Dem Langschiff ist, ähnlich der berühmten Vorhalle von St. Marco in Venedig, die Gedächtnishalle mit zwei Apsiden vorgelagert.... Durch die Broncetüren tritt man in dieselbe ein. Dieser imposante Raum, welcher sich mit seinem gewaltigen Tonnengewölbe vor die innere Kirche legt, ist dazu bestimmt, dermaleinst auf seinen Wandflächen allegorische Darstellungen aufzunehmen aus dem Leben des alten Kaisers....Um die Halle zieht sich ein Sockel von etwa einem Meter Höhe aus dunkel leuchtendem schwedischen Labrador; an den sechs Portalen und den Seitenbögen stehen Säulen aus rotem schwedischen Granit, welche künstlerisch gemeißelte Kapitäle tragen....Die Decke ist jetzt mit Cartons aus Pappe überspannt, auf welchen Figuren und Ornamente entworfen sind. Später wird die Decke in dieser Weise Stiftmosaik erhalten. Die dabei zur Darstellung gelangenden Figuren werden voraussichtlich große patriotische, kirchliche und geschichtliche Erinnerungen versinnbildlichen. Die Kapitäle der Säulen in der Gedächtnishalle waren die ersten fertigen Bildhauerarbeiten. Mit der Zeit hatten sich die Bildhauer in solchem Maße vervollkommnet, daß man ihre ersten Arbeiten durch schönere ersetzte. So wurden auch die ersten Kapitäle aus der Gedächtnishalle entfernt. Eines derselben bildet mit einer ebenfalls aus der Kirche entnommenen Labradorsäule nun den schönsten Schmuck der Pfingstkapelle in Potsdam.“ (Mirbach 1897) 1901/1902 Endgültiger Beschluß der Bau- und Kunstkommission des Ev. KirchenBauvereins über die Ausschmückung der Gedächtnishalle. 2 3 22.02.1906 Nachdem die sechs Marmorreliefs für die Wände, Szenen aus dem Leben Kaiser Wilhelm I. darstellend, sowie die Mosaikgewölbe fertig gestellt sind, wird die Gedächtnishalle zur Vorfeier der Silbernen Hochzeit des Kaiserpaares eingeweiht. Beim rechten Treppenaufgang wird in Mosaik folgende Schrift angebracht: „Vom Ev. Kirchenbau-Verein Berlin erbaut 22. März 1891 bis 1. September 1895. Ausgeschmückt 1901 bis 27. Februar 1906“. „Die drei Mittelportale nach dem Vorbild der Portale der Marcus-Kirche in Venedig haben schwere Bronzetüren mit Ornamenten. Sie führen in die Gedächtnishalle. An der am nördlichen Chorturm befindlichen Bronzetür zur kaiserlichen Loge, dem so genannten Kaiserportal, sind in zwölf Rahmenfüllungen die Köpfe der zwölf Apostel sowie große Löwenköpfe angebracht. Die imposante Gedächtnishalle ist zur Erinnerung an das reiche und wechselreiche Leben Kaiser Wilhelm I.....bestimmt. Der farbige Mosaikfußboden zeigt in der Mitte den Erzengel Michael und an den Seiten Ornamente mit breitem Fries An der rechten und linken Seite führt durch je drei von Granitsäulen getragene Bögen hindurch eine breite Granittreppe zur Orgelempore hinauf....Von der Gedächtnishalle führen drei schwere Eichenholztüren, mit vergoldetem Leder bezogen und mit kunstvollen Bronzebeschlägen, großen Bronzenägeln und altdeutschen Löwenköpfen besetzt, in das Innere der Kirche“ (Mirbach 1906). Die Chronik berichtet, daß die drei Tore des Haupteinganges erst am 31. August 1895, am Vorabend der Einweihung, fertig gestellt und eingehängt worden sind. Eine Reihe anderer Türen war noch nicht hergestellt und mußte vorerst durch Provisorien ersetzt werden. Die Kosten für die drei Türen des Hauptportals betrugen 26.700 Goldmark. Im Jahre 1923 plant das Kuratorium offenbar, eine würdige Ehrung für die Gefallenen des 1. Weltkrieges in der Gedächtnishalle vorzunehmen. Allerdings ist das nur aus dem Protokoll des Gemeindekirchenrates zu erfahren: 24.08.1923 „Der GKR bittet einstimmig den 1. Vorsitzenden, beim Kuratorium in der Frage der Gefallenenehrung den Standpunkt zu vertreten, daß der GKR als einzig würdigen Platz für die Gedenktafeln die rechts und links in der Vorhalle mit allegorischen Reliefs geschmückten Wandflächen ansieht, alle anderen vorgeschlagenen Plätze erscheinen dem GKR völlig ungeeignet; zum anderen wünscht der GKR, daß die Gedenktafeln in der Hohenzollerngedächtnishalle angebracht werden.“ Dem Verfasser ist nicht bekannt, ob es zur Ausführung dieses Planes gekommen ist. Vermutlich nicht, denn später erfährt man aus dem Protokollbuch, daß vor der Kirche, gegenüber der Rankestraße, ein steinernes Gedenkkreuz aufgestellt wird: 21.09.1926 „3. Gefallenendenkmal: a) die Verzierung auf dem Kreuz fällt fort b) die Figur soll in der vom Künstler vorgeschlagenen Form ausgeführt werden c) Als Inschrift wird auf das Kreuz gesetzt: ‚Eure Leiber den Feinden! Eure Seelen Gott Christus ist erstanden Er macht zum Sieg den Tod‘.“ 4 29.11.1927 „7. Denkmal: GKR beschließt, daß auf der Rückseite des Denkmals folgende Inschrift angebracht werden soll: ‚Im Jahre des Herrn 1928 in dankbarer Erinnerung ihrer 449 im Weltkrieg gefallenen Söhne errichtet durch die Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirchengemeinde‘.“ 17.01.1928 „2. Aufstellungsort Denkmal: GKR beschließt, das Denkmal soll am Eingang Rankestraße aufgestellt werden.“ 19.06.1928 „6. Denkmalsweihe: Die Denkmalsweihe soll am 23.9. vollzogen werden. Im Abendgottesdienst, der besonders musikalisch ausgestattet werden soll, wird eine 2. Feier stattfinden. Die Predigt im Vormittagsgottesdienst hält Herr Pfr. Weber, am Denkmal soll Herr Pfr. Dr. Mauff sprechen.“ Das gleiche Thema beschäftigt den Gemeindekirchenrat kurz vor der Zerstörung der Kirche erneut, nunmehr für die Gefallenen des 2. Weltkrieges: 02.02.1943 „2. Gefallenen-Denkmal in der Kirche: Der Vorsitzende berichtet über die Kuratoriumssitzung am 25.1.1943. In dieser wurde angeregt, die Reliefs der Ruhmeshalle herauszunehmen und an ihre Stelle die Gedenktafeln für die Gefallenen der beiden Weltkriege einzusetzen. Dieser Vorschlag ist durch den leitenden Baumeister des Kuratoriums, Ministerialdirektor Reck auf 30.000 RM veranschlagt worden. Der GKR ist der Auffassung, daß diese Summe sich nicht aufbringen lässt und bittet das Kuratorium, die kapellenartig ausgebauten Notausgänge als Stätte für die Gefallenenehrung einzurichten. 22.11.1943 In der Nacht zum 23. November 1943 wird bei einem Großangriff der britischen Luftwaffe auf die Innenstadt die Kirche schwer getroffen und weithin zerstört. Durch den Luftdruck wird das Gewölbe über der Gedächtnishalle hochgehoben, fällt wieder zurück, stürzt aber nicht ein. Dieses Geschehen ist an einem Gewölbe etwa über dem heutigen Verkaufsstand (verschobener Schlussstein) noch zu erkennen. Das einst so prächtige und künstlerisch vielseitig gestaltete Gotteshaus ist in wenigen Augenblicken zu einer Ruine geworden, in der keine Gottesdienste mehr gehalten werden können. Aus den beiden letzten Kriegsjahren sollen hier einige Auszüge aus dem Protokollbuch des Gemeindekirchenrates zur Kenntnis gebracht werden, damit man sich eine Vorstellung von den Schwierigkeiten dieser Zeit machen kann. 16.1.1944 Erste Sitzung nach der Kirchenzerstörung: „2. Lage der Gemeinde nach den Bombenangriffen: Durch den Angriff vom 22. Nov. 1943 ist unsere Kirche zerstört und unbenutzbar geworden. Im Pfarrhaus (Anmerkung: gemeint ist hier die rechte Seite des Gemeindehauses) ist das 4. Stockwerk (Wohng. Schütz), Dach und Boden vollständig ausgebrannt, im Gemeindehaus (Anmerkung: gemeint ist hier die linke Seite des Gemeindehauses) auch das 3. Stockwerk (Konfirmandensäle, Wohnung der Diakonissen, Orgelmotor). Unter vieler Mühe ist der Gemeindesaal soweit hergerichtet, daß die Gottesdienste am Heiligen Abend 1943 dort stattfinden konnten. Der Gemeinde ist eine Fülle von Anteilnahme anlässlich der Zerstörung der Kirche ausgesprochen u. a. vom Kronprinzen und von Pfarrer Krummacher. Der Gau 5 Berlin der N.S.D.A.P. hat dem Konsistorialpräsidenten ausgesprochen, daß nach dem siegreichen Ende des Krieges neue, schönere und gewaltigere Kirchen erstehen werden‘.(!) Schätzungsweise ist über die Hälfte der Gemeindeglieder infolge des Verlustes der Wohnung aus dem Gemeindebezirk verzogen. Der Gottesdienstbesuch im Saal ist gering. Für das Pfarrhaus erhebt sich die Hauptfrage: wie zu einem Notdach kommen?“ 16.01.1944 „Dem Personal des Kindergartens, der Leiterin Frl. Ziegler, der Helferin Fr. Ahrends und dem Pflichtjahrmädchen ist zum 31. Dez. 1943 gekündigt worden, da der Betrieb des Kindergartens eingestellt ist. Der Schlafraum des Kindergartens ist ausgebrannt und der Tagesraum stark beschädigt und Kinder aus der Gemeinde finden sich nicht mehr ein. Frau Luther (Anmerkung: Ehefrau des vermissten Kirchhofverwalters Luther) hat Berlin verlassen. Sie ist mit den Nerven zusammengebrochen und kann ihren Dienst auf dem Kirchhof nicht mehr versehen. 29.10.1944 „3. Weitere Zerstörung der Kirche: Am 11.8.1944 ist unsere Kirche durch einen Volltreffer von neuem schwer zerstört worden. Das Eisengerüst des Daches, das noch stand, und die Seitenwände sind herausgeschleudert. Es stehen jetzt im wesentlichen noch die Türme und die Ruhmeshalle. Wegen der Sicherstellung der Mosaiken sind Verhandlungen im Gange. 4. Kirchenkeller: Der Keller unserer Kirche ist vom Planungsamt des Bezirksamtes Charlottenburg beschlagnahmt und der Wein-Großhandlung Stöckler zugewiesen. Stöckler zahlt an das Kuratorium 2.000 RM Miete im Jahr. Herr Stöckler hat sich verpflichtet, sofort beim Beginn des Neuaufbaues der Kirche den Keller zu räumen. 5. Orgel Gemeindehaus: Die Zinn- und Zinkpfeifen aus der Orgel des Gemeindehauses werden zum Zwecke der Metallablieferung herausgenommen. Es verbleiben 10 Stimmen, so daß die Orgel spielbar bleibt. 7. Bericht über Gemeindeleben: Der Vorsitzende erstattet einen Bericht ab Januar. Am 29.1.1944 ist das der Gemeinde gehörende Haus Schaperstraße 4 - 5, in dem sich ein Altersheim befand, durch Bombentreffer bis in den Keller abgebrannt.“ 6 7 Vom Kirchenschiff stehen bei Kriegsende also nur noch Teile der Außenmauern und vom vorher 113 Meter hohen Hauptturm jetzt nur noch ein beschädigter Stumpf von 68 Meter Höhe. Die Gedächtnishalle ist der einzig verbliebene Raum, wenn auch schwer beschädigt. 19.06.1945 Erste Sitzung nach Kriegsende: „Der Vorsitzende verliest einen Tätigkeitsbericht von Frau Vikarin Grosch über das Jahr 1944. Sie hat die kirchl. Unterweisung der 9-11jährigen. Es kommen 45 Kinder. Sie leitet zwei Bibelkreise, außerdem die weibliche Jugendarbeit. Ihr Jugendkreis von konfirmierten Mädchen im Alter von 16 - 23 Jahren umfasst 50 Teilnehmerinnen. Sie veranstaltet von Zeit zu Zeit 2-3tägige Freizeiten. Bereits am 8. Mai 1945 fanden sich wieder 16 Mädchen im Kreis zusammen. Der Vorsitzende erstattet einen Bericht über das Gemeindeleben seit Oktober 1944. Trotz der ständigen Bedrohungen durch Luftangriffe brauchten nur 2-3 Gottesdienste auszufallen. Die Konfirmationen verliefen ungestört. Obwohl die Lebensbedrohung ständig stieg, blieb die Zahl der Gottesdienstbesucher die gleiche. Immerhin hatte die Gemeinde 1944 die höchste Abendmahlsziffer im ganzen Kirchenkreis. Seit dem 1. Mai ist der Besuch der Gottesdienste mit einem Schlag erheblich gestiegen. Den 1. Gottesdienst nach dem Zusammenbruch des ‚Dritten Reiches‘ hielten wir bereits am 6. Mai, von da an regelmäßig. Erhebliche Kollekten! Was von den Pfarrern an Kleidungsstücken und Wäsche für die Ausgebombten in den Gottesdiensten erbeten wurde, stiftete die Gemeinde stets. Insbesondere muss die Gemeinde dafür dankbar sein, daß uns der Gemeindesaal erhalten geblieben ist und damit der Mittelpunkt für das Gemeindeleben. In den Kämpfen der letzten Tage vor dem 2. Mai erhielt das Pfarr- und Gemeindehaus 10 Granaten- und Fliegerbombentreffer. Im Luftschutzkeller hielten die Pfarrer Jacobi und Schmidt täglich um 18 Uhr Andacht. Auch eine Nottaufe fand statt. Trotz allem, was wir im Luftschutzkeller erleben mussten, sind wir dankbar, daß keiner getötet ist. Bemerkenswert war die Höflichkeit der Russen gegenüber den Pfarrern. Nach dem 2. Mai wurden durch die Pfarrer möglichst viele Gemeindeglieder besucht; viele Beerdigungen, auch auf den Höfen. Neue Aufgaben: Errichtung des Kindergartens, Bildung eines Helferkreises, durch den jedes Haus erfasst wird, Religionsunterricht an den Schulen, Wiederherstellung des Gemeindehauses.“ 04.09.1945 „Am 2. September fand der 50jährige Erinnerungstag der Einweihung der Kirche statt. Die Predigt, die in diesem Gottesdienst von Pfr. Schmidt gehalten und der Bericht, den Pfr. Jacobi im Gottesdienst verlesen, werden im Archiv niedergelegt und aufbewahrt. Die Kollekte betrug an diesem Tag 1.238 RM. Einige Zeitungen brachten zu dem Tage einen Artikel. Unser Organist Drwenski stiftete zu dem Gottesdienst ein Posaunen- und Streichquartett. Der Kindergarten blüht! Zur Zeit 55 Kinder angemeldet. Das neue Personal arbeitet vorzüglich. Sehr schwierig ist, das Essen für die Kinder zu beschaffen. Friedhofsbaracke: Der Vorsitzende hat sich schnell entschlossen, eine Baracke für den Friedhof anzuschaffen, welche in die Mauerreste der Kapelle hineingestellt werden und die Friedhofskapelle ersetzen soll. Außerdem sind Barackenteile für das Dach des Pfarr- und Gemeindehauses angeschafft.“ 18.12.1945 „Der Vorsitzende (Anmerkung: in den vergangenen Jahren Pfarrer Jacobi) stellt anlässlich der letzten Sitzung des alten Gemeindekirchenrates fest, daß seit 1938 im Gemeindekirchenrat ein einmütiges Zusammenarbeiten gewesen 8 ist und fast alle Beschlüsse einstimmig gefasst sind. Er dankt den Mitgliedern für ihre treue Mitarbeit und für alle wertvollen Anregungen. Anschließend dankt der Kirchenälteste Oberstleutnant a. D. Scheibel dem Vorsitzenden und spricht ihm in warmen Worten die Glückwünsche zum Superintendenten aus.“ Die Glocken Was geschah mit den Glocken? Während es im 1. Weltkrieg dem Kuratorium der Stiftung „Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche“ gelang, die 5 Glocken vor der Abgabe im Rahmen der Metallablieferungen für Kriegszwecke zu bewahren, ist dies im 2. Weltkrieg nicht mehr möglich. Trotz vielseitiger Bemühungen bis hin zum Reichsmarschall Göring müssen im Jahre 1942 vier Glocken abgeliefert werden. Die ReichsRundfunk GmbH lehnt die Hergabe einer von ihr aufgenommenen Schallplatte vom Geläut ab. Auf eine Eingabe des Kuratoriums teilt der Reichswirtschaftsminister mit, daß Platten mit der Aufnahme des Geläuts im Bedarfsfall leihweise zur Verfügung gestellt werden können. Trotz dieses Erlasses lehnt die Reichs-Rundfunk GmbH den erneuten Antrag des Kuratoriums ab, der Gemeinde sonntags eine Schallplatte mit dem Geläut zur Verfügung zu stellen. Das Kuratorium wendet sich darauf nunmehr an den Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda, auf dessen Anordnung jetzt eine Schallplatte herausgegeben wird. Nur die kleinste Glocke darf behalten werden. Sie zersprang bei der Zerstörung und wird im März 1949 nach Apolda/Thüringen zur Glockengießerei Schilling gebracht, wo sie einmal gegossen worden war. In dieser Zeit ist der Gemeindekirchenrat bemüht, über das Evangelische Hilfswerk eine Notkirche zu erhalten. Für sie sollen aus diesem Torso zwei neue Glocken gegossen werden. Es sei hier schon gesagt, daß es dazu nicht gekommen ist. Die Glocke soll zwar eingeschmolzen worden sein, dann aber für den Guss eines neuen Geläuts (3 Glocken) für die Basilika-Kirche in Steinach/Thüringen Verwendung gefunden haben. Bemerkenswert: Diese Kirche, im Jahre 1899 eingeweiht, wurde, wie die Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche, vom Baurat Schwechten entworfen. Die Notkirche „In Pforzheim entsteht unter freiwilliger Mitarbeit der Gemeindeglieder der erste massive Neubau einer Kirche in Deutschland. Sie ist als ev. Notkirche der Modellbau für eine Serie solcher Kirchen, die vom Wiederaufbauausschuss des Weltrats der Kirchen in Genf gestiftet und in deutschen Städten errichtet werden. Der leitende Gedanke bei dem Bau dieser Notkirche ist die Verbindung von Selbsthilfe und Auslandshilfe. Denn die Umfassungsmauern sollen von der Gemeinde selbst aus dem in Deutschland vorhandenen Material hergestellt werden, während die hölzernen Hauptteile der Konstruktion, sowie Fenster, Türen etc. serienmäßig hergestellt und aus dem Ausland geliefert werden. Im Mai 1947 fand in der Weiherberger-Pfarrei in Pforzheim das Richtfest der ersten, auf deutschem Boden nach dem Entwurf von Professor Otto Bartning erbauten Notkirche statt.“ (Aus „Mitteilungen aus dem Hilfswerk der EKiD, Nr. 8, 13.11.1947). Um eine solche Notkirche bemüht sich die Gemeinde und erhält auch eine Zusage vom Hilfswerk. Die Spender sind die Lutherischen Kirchen Nordamerikas. Es ist die Zeit der Blockade Berlins durch die Russen 9 und man will unbedingt eine Notkirche in West-Berlin bauen. Für den Vorsitzenden des Gemeindekirchenrats, Pfarrer Schmidt, beginnt eine unvorhersehbare arbeitsaufwendige Zeit. Zunächst muss ein geeigneter Bauplatz gefunden werden. 13.02.1948 Antrag an den Magistrat, das Gelände der bisherigen Villa Beck im Zoologischen Garten pachtweise zur Verfügung zu stellen. 25.08.1948 Mitteilungen an das Hilfswerk: 1. Die britische Militärregierung hat die Baulizenz erteilt, 2. freiwillige Arbeitskräfte haben das auf dem Grundstück an der Schaperstraße gelegene, durch Bomben zerstörte, Altersheim enttrümmert und über 20.000 ganze und über 10.000 halbe Mauersteine geborgen für die Grundmauern der Notkirche. Dabei ist ein großer Spielplatz für den Kindergarten entstanden, 3. Anfrage, ob angesichts der Blockade die Russen überhaupt eine Genehmigung für den Transport der Notkirchen-Materialien erteilen würden (Anmerkung des Verfassers: später ist vom Hilfswerk sogar der Transport per Luftbrücke ins Gespräch gebracht worden). Für die Probleme dieser Zeit soll hier der Text eines Berichts über eine Besprechung beim Hilfswerk wiedergegeben werden (Namen gestrichen): „.....Das Hilfswerk gibt für die Mauerung der Fundamente usw. einen Zuschuß von 20. 000 DM West unter der Bedingung, dass im Frühjahr mit dem Bau begonnen wird. Die Holzkonstruktion wird nicht in der Schweiz hergestellt, sondern in Westdeutschland, sie soll auch in Ostdeutschland gemacht werden. Für eine Kirche in Westberlin wird es jedoch leichter sein, die Holzteile aus Amerika als aus Ostdeutschland zu bekommen. Es wäre das beste, sie in Westberlin selbst fertigen zu lassen. Wie weit das möglich ist, bliebe festzustellen 1. ob das benötigte Material überhaupt vorhanden oder zu beschaffen ist, 2. ob die Verteuerung durch die Blockade nicht gar zu groß werden würde. Bei der angeblichen Kirchenfreundlichkeit der Russen erscheint es den Herren für durchaus möglich, daß man die in Westdeutschland hergestellte Konstruktion als aus der Schweiz kommend deklariert, nach Westberlin zur Einfuhr genehmigt erhält. Herr Pfarrer N.N. sprach auch von der Möglichkeit, die russische und deutsche Grenzpolizei durch Geldzahlung geneigt zu machen, den Transport durchgehen zu lassen. Pfarrer N.N. rät persönlich, auch ohne große Mittel unsererseits mit den Arbeiten zu beginnen, es wird Wert darauf gelegt eine Holzkirche in Westberlin zu errichten, sodaß man damit rechnen kann; daß weitere Unterstützung seitens des Hilfswerks wird, wenn wir es durchaus allein nicht schaffen können. Wir müßten versuchen, es möglichst vorteilhaft mit der Bauerei anzufangen, nannte das Beispiel Rummelsburg, wo durch die günstige Wahl der Ruinenstelle, die die gleichen Grundmaße wie die Kirche hat, für die Fundamentierung wenig Mittel erforderlich wurden. Nächster Tage kommt Architekt N.N. aus Erfurt nach Rummelsburg als Beauftragter Prof. N.N. Pfarrer N.N. will mit ihm auch zu uns kommen, wir sollen diesem unsern vorgesehenen Baugrund zeigen. Der Erfurter wird natürlich Interesse haben, die Kirche in Ostdeutschland bauen zu lassen, N.N. glaubt jedoch nicht, daß wir sie durch die Blockade kriegen, sollen diesem Plan also möglichst nicht zu betont zustimmen. 10 Daß bis heute noch keine Kirche fertig ist, auch in Magdeburg bisher nur die Fundamente stehen, ist Schuld N. Ns., da dieser keinen Mut hat und glaubt die Holzteile nicht durch die Blockade zu kriegen, die Berliner Herren sind aber der Ansicht, daß der Russe da der ‘Kirche’ wenig Schwierigkeiten machen würde aus Propagandagründen, den Engländern oder Amerikanern würde er natürlich den Durchtransport verwehren.” Bis zum Dezember 1949 ziehen sich die Bemühungen um die Findung eines Bauplatzes hin. Nachdem man dem Zoo eine Absage wegen zu hoher Pachtforderungen geben muß, werden Anträge an die Bezirksämter Charlottenburg, Wilmersdorf und Schöneberg gestellt. Mehrere Ruinengrundstücke in der Rankestraße und der Schaperstraße, sowie der Wittenbergplatz, der Steinplatz und der Savignyplatz sind im Gespräch. Im Zusammenhang mit einem Ruinengrundstück in der Rankestraße gibt es einen bemerkenswerten Briefwechsel, aus dem menschliches Leid, hervorgerufen durch einen unseligen und sinnlosen Krieg, deutlich wird. Und das war kein Einzelschicksal! Der Grundstücksbesitzer antwortet auf die Anfrage der Gemeinde: N.N. H., den 4. April 1949 “Hochehrwürdiger Herr Pfarrer! Ihren werten Brief vom 7.3.49, den ich gestern von meiner Frau erhalten habe, möchte ich sofort beantworten. Ich bedauere sehr, daß ich heute erst von Ihrem Vorhaben unterrichtet wurde, auf meinem Grundstück in der Rankestraße eine Notkirche aufzustellen. Sie fragen an, ob ich im Prinzip damit einverstanden wäre. Ich halte das für eine Selbstverständlichkeit und ich will meinerseits dazu alles tun, was in meinen Kräften steht, Sie in Ihrem Vorhaben zu unterstützen. Als Verhandlungsgrundlage möchte ich mich von dem Gedanken leiten lassen, daß ich bei dieser Gelegenheit dem Allmächtigen und Ihrer Gemeinde einen kleinen Dienst erweisen will. Ich bitte Sie um baldige Stellungnahme und nähere Einzelheiten über das Vorhaben überhaupt. Was mein Innerstes zur Zeit sehr bewegt, geht aus meinem Antrag auf Einweisung (siehe Anlage) hervor. Ich möchte endlich nach Hause, in mein Heim, um auch nach dem Rechten zu sehen und mein Geschäft zu ordnen. Ich halte es daher für zweckmäßig, Ihren Wunsch mit dem meinigen zu verbinden. Wie aus Ihrem werten Schreiben hervorgeht, besteht die Möglichkeit, daß die Holzteile über die Luftbrücke nach Berlin gebracht werden können. In Verbindung dessen, daß dieser Transport einer besonderen Genehmigung der Militärregierung bedarf, könnte auch meinem Wunsche entsprochen werden. Ich wäre Ihnen zu tiefster Dankbarkeit verpflichtet, wenn Sie mit der werten Unterstützung des Herrn Bürgermeisters von Charlottenburg meine Einreise herbeiführen könnten. Wegen der Verhandlungen und dem Vertragsabschluß ist meine Anwesenheit in Berlin auch erforderlich. Indem ich auf baldiges Gelingen unserer Vorhaben rechne, zeichne ich mit vorzüglicher Hochachtung und Ergebenheit N.N.” Dies der Text der Anlage zu diesem Brief: “An den Herrn Bezirksbürgermeister von Berlin-Zehlendorf-Mitte 11 Ich muß es als ein persönliches Unglück betrachten, daß mir bis heute noch nicht gestattet wurde, in mein Heim zurückzukehren. ln der Zeit vom 15.1.46 bis 23.11.47 habe ich 8 Anträge um Einreise bei Ihnen vorgelegt, die postwendend abgelehnt wurden. Auf meinen Antrag vom 24.1.48 erhielt ich am 24.5.48 vom Wohnungsamt Zehlendorf den Einweisungsschein-.Nr.........Nach diesem Schein war es mir gestattet worden, bei meinen Familienangehörigen in meinem Hause, Bismarckstr..... zu wohnen. Die übrigen Unterlagen für die Reise von hier nach Berlin wollte man mir in Kürze zuleiten. Die Einreisegenehmigung mit den erforderlichen Unterlagen ist aber bis heute ausgeblieben und die gehegte Hoffnung, mit meinen Lieben bald zusammen zu sein, wurde durch die Blockade zerschlagen. Es wäre doch ein Werk höchster Menschlichkeit, wenn man mir gestatten würde, in mein Haus zurückkehren zu dürfen. Nach Hause möchte ich, das ist mein größter Wunsch! Die Blockade kann doch kein Dauerzustand sein? Ich bitte Sie, mir jetzt schon die erforderlichen Unterlagen zuleiten zu wollen, damit, wenn mir die Gelegenheit gegeben ist, ich die Heimreise sofort antreten kann. Erforderlich ist auch die Genehmigung für eine Reisebegleitung. Es erscheint mir zweckmäßig, Ihnen nochmals Näheres über meine Person mitzuteilen: Meine Wohnung befindet sich in Berlin-Zehlendorf, Bismarckstr.....und wird von meiner Familie bewohnt. Ich bin am 24.2.1872 geboren und bin seit 1923 Berliner Bürger. Als Berlin 1944 schweren Bombenangriffen ausgesetzt war, habe ich auf dringendes Raten meiner Ärzte die Stadt verlassen, außerdem war es auch der Wunsch der damaligen Stadtverwaltung, daß Kranke u.ältere Einwohner die Stadt verlassen sollen. Es gab damals für mich auch keine bessere Lösung, denn ich hatte den grünen Star und habe 85% von meinem Augenlicht verloren. Ich bin infolgedessen ganz auf fremde Hilfe angewiesen. Auch muß ich täglich Schulden machen, denn ich habe doch hier kein Geld und von Berlin kann mir kein Geld zugestellt werden. Ich bin arm, alt und blind, und warum läßt man mich nicht nach Hause? Warum muß ich noch als Evakuierter in H. im Saarland bleiben und mein Geschäftsbetrieb in Berlin ist in großer Unordnung? Warum werde ich täglich noch bestraft und geschädigt als Folge einen Systems, das ich immer gehaßt habe? lch versichere an Eides Statt, daß ich nicht Mitglied der Partei war und keiner Gliederung angehört habe. Diesen Einrichtungen war ich ein großer Gegner. Ich bin Eigentümer folgender Grundstücke, die teilweise von Bomben zerstört oder beschädigt wurden. Einige dieser Grundstücke habe ich meinen Kindern übereignet, die ich aber noch zu verwalten habe, denn mein Sohn ist noch in russischer Gefangenschaft. (Es folgt die Aufzählung von 12 Grundstücken.) Ich wohne hier in H. in 2 Dachzimmern, ohne Geld bin ganz auf fremde Hilfe angewiesen. Ich bitte daher erneut um Genehmigung meines schon so oft gestellten Antrages und zeichne mit...” Bis auf eine Ausnahme kann von keinem Angebot Gebrauch gemacht werden, da überall eine Pachtzeit von nur fünf Jahren möglich ist. Der Gemeinde aber ist klar, daß bis zur Einweihung einer neuen Kirche wenigstens zehn Jahre vergehen werden. Die eine Ausnahme ist der Savignyplatz. Glücklich sind die Gemeindevertreter darüber nicht, denn diese Stelle liegt an der äußersten Gemeindegrenze, unmittelbar neben der Trinitatis-Kirchengemeinde. Da die amerikanischen Spender aber mit Nachdruck zum Bau drängen und um nicht deren Zusage zu verlieren, erklärt man sich mit diesem Ort einverstanden und erhält vom Magistrat auch die Baugenehmigung. Jetzt aber tritt die Trinitatis- 12 Kirchengemeinde auf den Plan! Sie erhebt Einspruch gegen den Bau einer Notkirche an dieser Stelle. Nicht zu Unrecht argumentiert sie mit dem Hinweis darauf, daß ihre zerstörte Kirche als erste wegen ihrer zentralen Lage in Charlottenburg wieder aufgebaut werden soll und dann die Notkirche in unmittelbarer Nähe liegen würde. Dies würde sich negativ auf die dort wohnenden Gemeindeglieder und die Gemeindearbeit auswirken. Es gibt lange Debatten im Kreiskirchenrat und schließlich schaltet sich der Berliner Stadtsynodalverband ein. Er akzeptiert die Argumente der Trinitatis-Kirchengemeinde und rät der Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirchengemeinde, gänzlich auf den Bau einer Notkirche zu verzichten. Die Erfahrungen mit diesen Gebäuden hätten gezeigt, daß nach der Fertigstellung weitere hohe Kosten aufgetreten seien, die weder von ihm noch von der Gemeinde aufzubringen möglich sind. Außerdem verfüge die Gemeinde mit dem Gemeindesaal in der Lietzenburger Straße über eine ausreichende Gottesdienststätte und die Mittel bei einer Notkirche gingen einem späteren Kirchenneubau verloren. 24.03.1950 Der Gemeindekirchenrat dankt dem Ev. Hilfswerk für seine Bemühungen und lehnt nun unter Schilderung aller Schwierigkeiten das Geschenk einer Notkirche ab. Jahrelanger Arbeit bleibt so der Erfolg versagt. Neben den Gottesdiensten im Gemeindesaal finden zu besonderen Tagen, zum Beispiel am Erntedankfest und am Reformationstag, auch solche in der Kirchenruine statt, ebenso einige Konzerte. Wegen der Einsturzgefahr verbietet die Baupolizei 1953 diese Gottesdienste und Veranstaltungen. Am Karfreitag 1952, 1953 und 1954, sowie an den Totensonntagen 1951 bis 1954 und am Bußtag 1953 werden auch Gottesdienste in der städtischen Oper in der Kantstraße abgehalten. Für die Gottesdienste in der Ruine kann der damalige Superintendent von Charlottenburg, Pfarrer Sudrow, 100 Holzbänke, die zuvor beim Ev. Kirchentag in Berlin genutzt worden waren, kostenlos beschaffen. 1951 stellt man auch Überlegungen an, die Gedächtnishalle zu einer gottesdienstlichen Kapelle herzurichten, läßt diesen Plan aber 1952 aus Kostengründen fallen. Ab 1953 wird das gesamte Ruinengrundstück für die Öffentlichkeit von Amtswegen abgesperrt. Zurück zur Gedächtnishalle Die Bronzetüren “Nach dem Zusammenbruch 1945 wurde eines Tages gemeldet, die Bronzetüren der Portale der Kirche wären auf einen Wagen aufgeladen worden. Die sofort angestellten Ermittlungen ergaben, daß dies auf Veranlassung des Kommerzienrat Löwenstein, Inhaber der Trautenau-Klinik, geschehen sei. Nach Aufforderung erschien Kommerzienrat Löwenstein und berichtete: Das Bezirksamt habe ihm erklärt, laut eines erlassenen Gesetzes seien Trümmergebäude Eigentum der Stadt, infolgedessen auch die Kaiser-WilhelmGedächtnis-Kirche. Es wurde ihm deshalb gestattet, die Türen für seine Zwecke zu verwenden. Verhandlungen des Kuratoriums mit Herrn Löwenstein 13 führten dahin, daß er die Türen in unversehrtem Zustand zurückzuliefern hat, sobald die Kirche wieder aufgebaut würde.” (Akten des Kuratoriums) Bei diesen Türen handelte es sich um vier bronzene Torflügel vom Eingang zur Gedächtnishalle sowie zwei bronzene Torflügel des Kaiserportals (äußere Eingangstür zur Kaiserloge). Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges hingen bzw. lagen die beschädigten bronzenen Torflügel in den Trümmern der Kirche. 25.03.1947 Die Tore werden durch vertragliche Regelung Herrn Löwenstein zur Lagerung und Benutzung überlassen. Die Rückgabe hat an den wieder hergestellten Eingängen eines Kirchenneubaus oder an einem anderen Ort in Berlin zu erfolgen. 1947 Die Bronzetür des Kaiserportals wird - wieder instandgesetzt - in den Eingang der Trautenau-Klinik eingebaut. Die anderen Torflügel werden durch Herrn Löwenstein bei der Firma Puls & Co.eingelagert. Juni 1950 Der Vertrag mit Herrn Löwenstein wird gekündigt, weil der Gemeindekirchenrat beabsichtigt, das Kaiserportal in den Eingang des Gemeindehauses einzubauen. Herr Löwenstein widerspricht jedoch dieser Kündigung mit dem Hinweis, daß die Rückgabe seinerzeit erst zur Fertigstellung des Kirchbaus vereinbart war und hat damit Erfolg. Mai 1959 Nachdem entschieden ist, daß die alten Kirchentüren für den Neubau der Kirche nicht zum Einsatz kommen sollen, entscheidet sich das Kuratorium nach Rücksprache mit dem Architekten Professor Eiermann, die bei der Firma Puls & Co. lagernden vier Torflügel des 14 Hauptportals an die Firma Brandt & Sohn zum Preise von 2.800 DM zu verkaufen. Dieses Unternehmen beginnt dann mit dem Einschmelzen der Türen und bemerkt dabei, daß es sich hierbei um solide und wertvolle Arbeit des Kunsthandwerks handelt. Darum beendet sie das Einschmelzen und bietet die verbliebenen zwei Torflügel in der “London Times” zum Verkauf an, woraus sich eine mehr als kuriose Situation ergibt, die West und Ost beschäftigte. Dazu der Aktenvermerk von Pfarrer Pohl: “Aktenvermerk Am 30.12.59 rief mich Nachrichtenagentur Reuter an und stellte folgende Frage: In der Times-Ausgabe vom 30.12.59 sei eine Anzeige enthalten, in der die berühmten Türen der berühmten Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche angeboten würden, besonders geeignet für Schlösser. Als Anbieter unterzeichnete ein Brandt. Reuter London fragte darauf Reuter Berlin, ob das der Regierende Bürgermeister sei und vermutete einen Silvesterscherz und fragte weiter, ob der Regierende Bürgermeister auch noch beabsichtige, die U-Bahn zu verkaufen. Daraufhin bekam die ganze Anzeige eine erhebliche Auswirkung. Der östliche Nachrichtendienst ADN brachte sie dann einen Tag später, und dann schalteten sich alle anderen Nachrichtendienste ebenfalls ein. Tatbestand ist folgender: Wir haben laut Quittung im Mai 1959 Gitterschrott und beschädigte Türenteile an die Schrotthandlung Brandt & Sohn zum Preise von 2.800,-DM verkauft. Bei dem Verkauf war immer nur davon die Rede, daß dieser Schrott eingeschmolzen werden sollte. Eine andere Verwendung hat uns der Käufer nicht wissen lassen. Es besteht aber meines Erachtens keine Möglichkeit, gegen Brandt vorzugehen, da es sein rechtmäßiges Eigentum ist, und er sicherlich erhebliche Mittel benötigt hat, um Gitter und Türen von den Spuren der Beschädigungen zu befreien. 4.1.1960” April 1960 Der Chef des Hauses Hohenzollern und Mitglied des Kuratoriums kauft die beiden Torflügel, um sie in Deutschland zu erhalten. Dazu schreibt der “Evangelische Pressedienst”: “Prinz Louis Ferdinand hat inzwischen die alten bronzenen Hauptsportale der Ruine der Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche erworben. Sie sollen demnächst auf die Burg Hohenzollern bei Hechingen gebracht werden und am Eingang zur Michaels-Bastei in eine Natursteinmauer eingelassen werden. Wie weiter verlautet, hat Bischof D. Dr. Otto Dibelius in seiner Eigenschaft als Vorsitzender des Kuratoriums der Stiftung ‘Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche’ Prinz Louis Ferdinand mitgeteilt, daß dem Haus Hohenzollern noch zwei vollmassive Bronzetore des Gotteshauses geschenkt würden. Die Tore, die Reliefs der zwölf Apostel tragen, sind gegenwärtig noch als Leihgabe in das Hauptportal der Trautenau-Klinik in Berlin eingebaut. Sie sollen ebenfalls im Laufe des Jahres auf die Burg Hohenzollern abtransportiert und dort in den gotischen Eingangsrundbogen der evangelischen Christus-Kapelle eingebaut werden, in der sich die Sarkophage der Preußenkönige Friedrich Wilhelm I. und Friedrich der Große befinden.” 08.06.1960 Mit einem Telegramm teilt Prinz Louis Ferdinand dem Kuratorium mit: 15 “Heute wurde das Hauptportal der alten Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche auf der Michaels-Bastei der Burg Hohenzollern seiner neuen Bestimmung übergeben und St. Michaelstor genannt. In herzlicher Verbundenheit grüßt alle Freunde innigst - Louis Ferdinand Prinz von Preußen.” 01.01.1961 Zum 1. Januar 1961 wird dann der Vertrag mit der Trautenau-Klinik über das Kaiserportal gekündigt und dieses der Burg Hohenzollern geschenkt. Das Kaiserportal 16 22.10.1961 Bischof D. Dr. Dibelius weiht die inzwischen eingebaute Bronzetür des Kaiserportals als Aposteltor der evangelischen Burgkapelle. Prinz Louis Ferdinand bedankt sich dafür mit einer Spende von 3.000 DM für den Kirchenneubau. Die Turmuhr Ende 1954 Die Firma Kosmetik-Riz in Köln spendet 12.800 DM für eine Turmuhr, die Ende 1954 eingebaut wird und etliche Nachfolgekosten verursacht, bis sie später durch ein besseres Werk ersetzt wird. Das Glockenspiel Dezember 1959 Eine Spende der Allianzversicherung in Höhe von 18.000 DM, bestimmt für den Einbau eines Glockenspiels in der Turmruine, wird vom Kuratorium nach längerer Diskussion angenommen. Es schreibt einen Wettbewerb für die Melodie aus. Unter sechs Eingaben wird in geheimer Abstimmung die Komposition von Prinz Louis Ferdinand gewählt, die auch heute noch erklingt. Es sind die ersten Takte eines von ihm komponierten Chorals. Die Glocken werden in der Glockengießerei der Gebrüder Rincker in Sinn/Dillkreis gegossen, wo auch später die Glocken für die neue Kirche gefertigt werden. Gern hätte man die Glockengießerei Schilling in Apolda, die die Glocken für die alte Kirche gegossen hatte, beauftragt, doch wählt man wegen der unsicheren politischen Lage eine Gießerei in Westdeutschland. Bauliche Erhaltung der Turmruine und Gedächtnishalle 1949 Bei den ersten und weiteren Verhandlungen mit dem Magistrat und anderen Dienststellen wird deutlich, daß es für den Wiederaufbau der Kirche in alter Architektur und Form keine Baugenehmigung geben wird. Man drängt das Kuratorium zum Abriß der Ruine und Wiederaufbau der Kirche an anderer Stelle. Doch sehr bald findet die Meinung, wenigstens die Turmruine und mit ihr die Gedächtnishalle zu erhalten, eine Mehrheit bei den Beratungen im Kuratoriums. Die Vorschläge des Magistrats werden insofern abgelehnt. Man wäre lediglich dazu bereit, eine neue Kirche weiter westlich versetzt, jedoch auf dem Breitscheidplatz, zu errichten (wie es ja dann auch später geschehen ist). So werden denn baldmöglichst die ersten Arbeiten zur Sicherung des Turms getroffen. Juli 1951 Es wird der Auftrag erteilt, 400 Tonnen Bauschutt und Teile von Eisenträgern, die unmittelbar auf dem Gewölbe der Gedächtnishalle lagern, schnellstens zu beseitigen, da die Halle einzustürzen droht und die darunter befindliche U-Bahnlinie gefährdet ist. 10.03.1953 Bischof Jacobi (Pfarrer Jacobi war ab 1.10.45 Superintendent von Charlottenburg, ab 1.12.45 Generalsuperintendent von Berlin (West) und wurde am 3.3.54 zum Bischof in Oldenburg gewählt. Er blieb aber Mitglied des Kuratoriums der Stiftung “Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche” und war einige Jahre dessen 1. Vorsitzender) stellt in seiner Wohnung ein von Professor March geschaffenes Modell des Neubaus einer 17 Kirche unter Verwendung der vorhandenen Türme und des Chormauerwerks vor. Bei diesem Modell wäre die Gedächtnishalle wieder der Eingang zum Kirchenschiff geworden. Der Entwurf von March findet jedoch keine allgemeine Zustimmung und wird aufgegeben. Professor March ist dann aber damit einverstanden, daß 1955 ein beschränkter Wettbewerb unter deutschen Architekten auszuschreiben sei und ist selbst Mitglied der Jury dieses Wettbewerbs. 11.08.1955 In der Sitzung des Kuratoriums wird berichtet, dass endlich Einigung mit dem Senat über den Erhalt der Turmruine und dem Standort für eine neue Kirche erzielt worden sei. Februar 1956 Gemeinsam mit dem Senator für Bau- und Wohnungswesen schreibt das Kuratorium einen engeren Wettbewerb aus und fordert neun deutsche Architekten zur Teilnahme auf. Professor Egon Eiermann geht als Sieger hervor. März 1957 Als der Entwurf Eiermanns publik wird, geht ein Sturm des Protestes durch die Bevölkerung Berlins, denn seine Planung sieht einen Neubau der Kirche, aber Abriss der Turmruine vor. Dazu schreibt der “Telegraf”: “So wollten es die Berliner nicht. Der Turm verschwindet....Die Entscheidung des Preisgerichtes - wenn sie auch so nicht gemeint ist - wirkt wie Hohn auf den Wunsch der Berliner nach Erhaltung eines alten Stückes Berlin, das immer mehr verschwindet.” Und der “Kurier” meint: Berlins ‘schönste Ruine’ muß nun doch verschwinden....Damit verschwindet ein Wahrzeichen unserer Stadt, das den Berlinern in den vergangenen Jahren wie kein anderes ans Herz gewachsen ist.” Drei Berliner Zeitungen veranstalten eine Umfrage unter ihren Lesern zum Schicksal der Turmruine und damit auch der Gedächtnishalle. Das Ergebnis lautet: “Der Tagesspiegel”: “Berliner Morgenpost”: “BZ”: 2.075 Stimmen (gleich 90 %) für Erhalt 13.000 Stimmen, davon 11.000 für Erhalt 29.618 Stimmen, davon 29.036 für Erhalt Und Bischof Dibelius sagt in einer Kuratoriumssitzung: “Ich möchte ungern in eine Linie mit den Machthabern im Osten gerückt werden, die Kirchen abreißen.” August 1957 Nach langem Ringen mit dem Kuratorium und anderen Institutionen, vor allem nach einem ausführlichen Gespräch mit Professor Bartning, legt Eiermann einen neuen Entwurf unter Erhaltung der Turmruine vor. Er schreibt allerdings dazu: “Ich kann dem Ruinenturm keinen Sinn geben; ich kann ihn daher auch nicht zu dem Bestandteil einer neuen Kirche machen....Ich lasse den alten Turm stehen, wie er ist; ich tue nichts an ihm. Ich erwecke ihn nicht zu neuem Leben. Er ist tot....” 08.02.1958 Das Kuratorium ist mit dem neuen Entwurf Eiermanns einverstanden. 08.07.1958 Noch einmal steht das Schicksal der Turmruine auf der Kippe! Er ist im Zustand der jetzigen Bauerhaltung erneut eine große Gefahrenquelle geworden. Die erforderlichen Baumaßnahmen werden mit mindestens 18 300.000 DM beziffert. In der Sitzung des Kuratoriums entbrennt eine heftige Debatte in der Frage Turmerhaltung ja oder Abriß. Die Abstimmung fällt mit 8:4:2 Stimmen knapp für die Erhaltung und Instandsetzung der Turmruine aus. Eiermann äußert sich auch dazu: “Ich bleibe bei dem Entschluß. Der alte Turm ist jetzt für mich ein Bestandteil der ganzen Anlage”. So ändert sich die Meinung des Architekten und er kann später einmal sagen: “Ohne den alten Turm könnten die neuen Bauten meiner Konzeption in Brasilia oder Caracas oder überall dort sein, wo Städte aus dem Nichts entstanden sind. Mit dem alten Turm können sie nur in Berlin stehen.” Oktober 1959 Nun macht man sich auch wieder Gedanken um die spätere Verwendung der Gedächtnishalle. Eiermann denkt an eine Nutzung als Sakristei, Chorraum oder Gedächtnisstätte. Das Kuratorium erwägt ebenfalls eine Nutzung als Gedächtnishalle für die Toten der Weltkriege und als eine Stelle für Kranzniederlegungen. Auf jeden Fall soll die Halle im jetzigen Zustand - nur Ausbesserung der größten Schäden - und unvergittert bleiben, frei zugänglich für die Öffentlichkeit. So schreibt Pfarrer Pohl: “....Unsere Pläne sehen keinen Ausbau und keine Umgestaltung der Gedächtnishalle im alten Turm vor. Der Turm soll bewußt Ruinengestalt behalten und weder er noch die sogenannte Gedächtnishalle haben eine be- stimmte Funktion. Der Turm unten ist als Durchgangsmöglichkeit gedacht. Wo früher die Türen waren, werden jetzt die provisorisch zugemauerten Öffnungen wieder ausgebrochen. Die Halle unten ist inzwischen gesichert und von allen Gefahrenstellen befreit. Dabei war es notwendig, die vorhandenen Risse in den Mosaiken zu verbreitern und sie mit einer Spezialmasse wieder zu füllen. Eine Wiederherstellung der beschädigten Mosaiken würde nach unseren Schätzungen bei weitem unsere für den alten Turm bestimmten Mittel überschreiten.” 19 Die von Schaper geschaffene Christusfigur vom Altar der alten Kirche, soll geringfügig ausgebessert, jedoch mit den bei der Zerstörung entstandenen Schäden in der Halle aufgestellt werden. März 1960 Der Senat will Reste des großen Kranzes aus dem Ehrenmal Unter den Linden, auf die der Magistrat in Ost-Berlin keinen Wert legt, bis zur Wiedervereinigung in treuhänderische Obhut für die Gedächtnishalle 20 zur Verfügung stellen. Da sie für die Halle jedoch zu groß sind, lehnt das Kuratorium ab. 05.04.1960 Pfarrer Pohl berichtet dem Kuratorium, daß der Prälat Hermann Kunst zusammen mit einem westdeutschen Freundeskreis die gesamten Kosten der Instandsetzung der Turmruine und der Gedächtnishalle in Höhe von 430.000 DM übernehmen wird. Von der Gedächtnishalle zur Gedenkhalle Das Schicksal einer Ruhmeshalle 17.12.1961 Die von Professor Eiermann entwickelte neue Kaiser-WilhelmGedächtnis-Kirche wird feierlich eingeweiht. Damit ist das Kirchengelände, abgesehen von den Baustellen des Foyers und der Kapelle für die Öffentlichkeit wieder zugänglich, also auch der Zugang in die Gedächtnishalle. Aber was empfinden und denken die Besucher, wenn sie vor den beschädigten Marmorreliefs mit Darstellungen aus dem Leben Kaiser Wilhelm I. stehen oder die noch erhaltenen Mosaikdarstellungen der Mitglieder des preußischen Königshauses betrachten? Haben die Betrachter überhaupt noch eine Ahnung, zu wessen Gedächtnis diese Bilder geschaffen wurden, zumal von der Kirche nichts mehr außer der Turmruine steht? Offensichtlich gibt es wohl wenig Beziehung zu dieser vergangen Zeit, zumal ja die Siegermächte nachdrücklich darauf hinweisen, wie schlecht und verbrecherisch deutsche Geschichte seit Jahrhunderten war! Welches Bild bietet die Gedächtnishalle zu dieser Zeit? Professor Eiermann hat den Trümmerschutt aus der Halle entfernen und den Fußboden mit kleinen weißen Kieselsteinen auslegen lassen, zwischen denen sich Trittplatten zum Begehen der Gedächtnishalle befinden. Aber was wird schon in kurzer Zeit aus diesem Raum, der einst, zum ehrenden Andenken an Kaiser Wilhelm I., als Ruhmeshalle kunstvoll für mehr als 100.000 Goldmark in fleißiger Arbeit von Künstlern und Kunsthandwerkern geschaffen wurde! Mit einer der Gründe, daß der Ev. Kirchenbau-Verein Berlin im Jahre 1903 beschloß, eine selbständige Stiftung zu gründen, die Stiftung “Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche”, und ihr die 1895 eingeweihte Kirche als Eigentum zu überschreiben, war die Befürchtung, daß die dem Andenken an Kaiser Wilhelm I. gewidmete Kirche künftig durch mögliche politische oder mancherlei liberale Strömungen in ihrem Ansehen und ihrer Bedeutung geschmälert werden könnte, wenn sie sich im Besitz der Kirchengemeinde befinde. So liegt nach wie vor die Verantwortung für das Kirchengrundstück mit allen Gebäuden beim Kuratorium dieser Stiftung. Wie nimmt sie diese Verantwortung wahr? 22.03.1963 Das Kuratorium beschäftigt sich mit der Frage, was mit der Christusfigur vom Altar der alten Kirche geschehen soll. Sie ist mit roter Farbe beschmiert worden. Von 1953 bis zur Enttrümmerung der Ruine war 21 diese baupolizeilich durch Drähte abgesperrt, die von mit roter Farbe markierten Pfählen gehalten wurden. Anscheinend gab es in der Ruine noch Reste dieser Farbe, die für die Beschmierung dienten. Doch mehrheitlich lehnen die Mitglieder des Kuratoriums eine Reinigung ab. 06.02.1964 Nach vielen Protesten aus der Bevölkerung beschließt das Kuratorium mit knapper Mehrheit nun doch die Reinigung der Christusfigur. In zunehmenden Maße verkommt die Gedächtnishalle. Sie wird zur Übernachtungsstätte für Obdachlose und Aufenthaltsraum für Demonstranten, sie dient nicht nur der sich ausbreitenden Klientel auf dem Breitscheidplatz als Abort, sondern auch den Touristen, Liebespärchen bevölkern sie zur vorgerückten Stunde und die Wandreliefs werden mit dummen Sprüchen beschmiert. 30.12.1968 Das Kuratorium muß zur Kenntnis nehmen, daß die Christusstatue von einem Studenten umgestürzt und dabei beschädigt worden ist. Es wird jedoch beschlossen, sie in diesem Zustand liegen zu lassen. 16.09.1969 Obwohl die Verschmutzung und der Mißbrauch der Gedächtnishalle weiter zunehmen, wird in einer Sitzung des Kuratoriums die Frage nach einer Vergitterung der Zugänge mehrheitlich abgelehnt. 03.06.1970 Das Kuratorium beschließt, die nördliche Apsis der Gedächtnishalle zu vergittern, um den Zugang zu den noch vorhandenen Treppen, die früher zur Orgelempore führten, zu sperren und damit ihr Beklettern zu verhindern. 14.04.1971 Trotz heftiger Klagen aus der Bevölkerung über die Verhältnisse in der Gedächtnishalle, lehnen die Kuratoriumsmitglieder die Vergitterung der Zugänge ab. 13.09.1973 Erneut werden heftige Diskussionen in der Sitzung des Kuratoriums über den Zustand in der Gedächtnishalle geführt. Nun wird endlich wirksam gehandelt: Es wird beschlossen, die Christusfigur reinigen, an den kleinen Schäden ausbessern und wieder aufstellen zu lassen. Und zwar soll sie nun ihren Platz hinter dem Gitter in der nördlichen Apsis finden. Die beschmierten Reliefs sollen durch Sandstrahl gesäubert werden und der Fußboden statt der Kiesel nun Platten erhalten. Die Kiesel dienten als Wurfgeschosse, mit denen auf die Christusfigur geworfen wurde. Zum Wiederaufstellen der Christusfigur gibt Eiermann eine ihn in seinen Ansichten kennzeichnende Stellungnahme ab: “Noch ein Wort zu dem umgeworfenen Christus: Ich habe ja immer gesagt, daß die Säuberung an der sowieso schon im Ausdruck sterilen Figur sie wieder zu der Wertlosigkeit herunterstempelt, die sie vom künstlerischen Standpunkt her gesehen immer hatte. Nur durch die rote Farbe, ganz egal von welcher Hand - schließlich ist es gleichgültig, ob es Russen oder Einheimische waren -, wurde sie legitimiert. Aber niemand hat das begreifen und einsehen wollen. Es muß ja alles immer schön sein wie bei Mütterchen zart und bei kleinen Kindern. Seien Sie sicher, den verschmutzten Christus hätte niemand 22 umgeworfen. Jetzt könnte der zweite Fehler passieren, daß Sie die Figur nun wieder aufrichten, vielleicht sogar noch reparieren und so tun, als ob nichts gewesen wäre. Das geht nicht. Lassen Sie ihn liegen, wie er liegt; aber machen wir eine Grabplatte darunter wie für die begrabenen Könige in den Kirchen, aus vergoldetem Beton von mir aus, und darauf legen wir die umgestürzte Figur so, wie sie jetzt liegt. Wer glaubt, daß er die gottlosen Handlungen in dieser Zeit damit aus der Welt schafft, daß er alles wieder schön sauber hinstellt wie es vorher war, der irrt sich.” 1974 Endlich werden alle Eingänge zur Gedächtnishalle vergittert, der Fußboden ist frei von Belägen, so daß die schönen Mosaikarbeiten sichtbar bleiben und man kann nur noch von außen hineinschauen. Endlich hat das Kuratorium seine ihm übertragene Verantwortung wahrgenommen. Was die Zerstörungen überlebt hat, ist nun zunächst vor mutwilliger Beschädigung gesichert. Doch was soll weiter mit diesem Raum geschehen? Die Gedenkhalle 1981 - 1985 Dringend notwendig wird die Sanierung und Konservierung aller Kirchengebäude und des Podestes. Dank einer bundesweiten Spendenaktion durch Axel Springer, der Schirmherrschaft des Bundespräsidenten Carstens, mühseliger Einzelaktionen und natürlich endloser Verhandlungen und Kontaktaufnahmen können die erforderlichen Mittel dafür aufgebracht werden. Insgesamt entstehen Kosten in Höhe von 7.284.927 DM, die wie folgt gedeckt werden: 1. Bauabschnitt (März 1981 bis Januar 1982) Sanierung und Konservierung der Betonwaben an den Kirchengebäuden 2. Bauabschnitt (September 1981 bis Mai 1982) Erneuerung des Podestes und der Treppe zur Turmruine 3. Bauabschnitt (März 1983 bis Januar 1985) Sanierung und Konservierung der Turmruine Summe Deckung der Baukosten: Land Berlin Bezirksamt Charlottenburg Bundesrepublik Deutschland Lottomittel Landeskirche (einschl. Darlehen) Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirchengemeinde Spenden, Kollekten, Aktionen Summe 1.824.227 DM 1.021.665 DM 4.284.927 DM 7.284.927 DM 2.400.000 DM 50.000 DM 15.000 DM 1.700.000 DM 404.363 DM 700.305 DM 2.015.259 DM 7.284.927 DM Unter anderem gelingt es dem Schatzmeister des Kuratoriums nach längeren Verhandlungen 1981 vom Bezirksamt Charlottenburg einen Zuschuß von 50.000 DM zu den Baukosten zu erhalten. Allerdings sind damit zwei Auflagen verbunden: 1. Der Zuschuß muß für die Treppenanlage der Turmruine verwendet werden und 2. Es ist ein gesicherter Durchgang für das Publikum durch die Gedächtnishalle zu 23 schaffen. Letzteres zu ermöglichen scheint zwar kaum vorstellbar, führt aber zwangsläufig zum Nachdenken, denn der Zuschuß wird unbedingt gebraucht. 04.05.1984 Kurz bevor die Sanierung der Turmruine abgeschlossen ist, erfährt der Schatzmeister, daß im Blick auf die 750-Jahrfeier Berlins eine Liste von mit Zuschüssen zu fördernde Bauaufgaben an Stadtbaudenkmälern existiert. Umgehend legt er dem Senat Pläne zur Einrichtung einer Gedenkhalle vor und bittet um finanzielle Hilfe. 12.09.1984 In Herrn Ehmann wird in der Dienststelle des Senators Bau/Wohn ein interessierter Ansprechpartner gefunden, an ihn ergeht der nochmalige Antrag: Kuratorium der Stiftung „Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche" D - 1000 Berlin 30, den 4.5.1984 Lietzenburger Straße 39 Geschäftsführung: Pfarrer Horst Gunter Telefon: 21154 44 Li/Ha Herrn Senator Elmar Pieroth Citybeauftragter Martin-Luther-Str. 205 1000 Berlin 62 Herrn Dr. Ulrich Eckhardt Berliner Festspiele GmbH Budapester Str. 48/50 1000 Berlin 30 Betreff: Vorschlag zur verstärkten Sinngebung des Wahrzeichens von Westberlin (alter Turm der Gedächtniskirche) im Rahmen der 750-Jahrfeier und als Beitrag zur Attraktivitätsgestaltung der City Die Sanierungsarbeiten an einem der bekanntesten Wahrzeichen Berlins, dem Turm der ersten Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche, schreiten gut voran; der zweite Bauabschnitt steht kurz vor seinem Abschluß. Wir hoffen, im Herbst 1984 die Arbeiten beenden zu können. Für die Sanierung dieses Wahrzeichens und Mahnmals sind Kosten in Höhe von über 4 Mio. DM entstanden. Wir sind der Meinung, daß ein so hoher Betrag nur zu rechtfertigen ist, wenn der alte Turm künftig in weitaus größerem Maße als bisher publikumsintensiver genutzt werden kann. Voraussetzung dafür ist eine ausgeprägtere Sinngebung der Ruine als Mahnmal. Zur 750-Jahrfeier Berlins sind schon mancherlei Projekte vorgesehen. Wir meinen, daß nach der gelungenen Umgestaltung des Breitscheidplatzes die Einrichtung des alten Turmes zu einem auch für kommende Generationen wirksamen Mahnmal an diesem hervorragenden Platz unserer Stadt im Vordergrund aller Planung stehen sollte. Das Kuratorium hat sich mit diesem Problem beschäftigt und erlaubt sich, folgende Vorschläge zu unterbreiten: 24 1. Die Stiftung hat sich verpflichtet, nach Beendigung der Sanierungsarbeiten einen vergitterten Durchgang durch die frühere Ehrenhalle (Vorraum der alten Kirche) zu schaffen; Mittel dafür sind in den veranschlagten Baukosten enthalten. Einen Durchgang dieser Art halten wir angesichts eines so bedeutenden Wahrzeichens für unwürdig und auch für wenig sinnvoll. Dagegen könnte hier nach Durchführung geeigneter Schutzmaßnahmen ein in seiner Gesamtheit zu betretender Raum geschaffen werden, in dem a) in einer ständigen Fotoausstellung das Aussehen des jetzigen Breitscheidplatzes und seiner Umgebung um 1900, nach den Zerstörungen 1945 und nach seinem späteren Wiederaufbau gezeigt wird, b) in aufzustellenden Vitrinen wechselnde Ausstellungen zu den verschiedensten Themen gestaltet werden können, c) ein noch würdig zu gestaltender Platz für Kranzniederlegungen (z. B. durch ausländische Gäste oder Delegationen) eingerichtet wird, d) durch Installation einer geeigneten Beleuchtungsanlage die Schönheit der noch vorhandenen Mosaiken und Reliefs den Besuchern vorgeführt werden kann. 2. Einen wenig erfreulichen Anblick bietet die Turmruine dem Betrachter der dem neuen Brunnen zugewandten Seite. Hier ist durch Kriegseinwirkungen das ordinäre Ziegelsteinmauerwerk freigelegt worden. Neben dem an dieser Stelle gelegenen früheren Haupteingang zur Kirche befanden sich rechts und links sehr schöne, von Professor Seliger gestaltete Mosaiken, von denen das Kuratorium noch deutliche Fotos, allerdings in schwarz-weiß, besitzt. Wir schlagen vor, durch Neuschaffung der Mosaiken den Turm erheblich interessanter zu gestalten und an dieser Stelle zu verschönen. 3. Um den Breitscheidplatz für auswärtige Besucher noch interessanter zu machen, schlagen wir vor, an der Stelle zwischen neuen Glockenturm und der Kapelle oder an anderer Stelle einen größeren Schaukasten aufzustellen, in dem auf drei Etagen das Modell des Platzes und seiner Umgebung etwa um 1905, 1945 und 1985 ausgestellt werden könnte. 4. So gut die Anstrahlung des alten Turmes nach dem Umbau gelungen ist, so wenig befriedigend ist die Beleuchtung des Breitscheidplatzes im Bereich des Kirchenpodestes geworden. Nach wie vor ist hier an der Nahtstelle zwischen Kurfürstendamm und Tauentzienstraße in den Abend- und Nachtstunden ein sehr dunkler Platz geblieben, der das Promenieren unterbricht und das Herumlungern begünstigt. Wir wären dankbar, wenn durch Aufstellen geeigneter Leuchten diesem Mißstand abgeholfen werden könnte. Wenngleich wir die Realisierung unserer Vorschläge für außerordentlich wichtig halten, so müssen wir doch zugleich in aller Deutlichkeit feststellen, daß weder die Stiftung noch die Kirchengemeinde Mittel dafür zur Verfügung haben, vielmehr mit ihren finanziellen Möglichkeiten am Ende sind. Daß sich die Kirchengemeinde mit 600.000 DM für die Sanierung eines von ihr in keiner Weise genutzten, andererseits als Wahrzeichen für die Stadt Berlin so wichtigen Bauwerks belastet hat, rief großen Unmut und herbe Kritik bei vielen Gemeindegliedern hervor, da nun der von der Kirchengemeinde u.a. erwartete Dienst an hilflosen, kranken, alten und sozial schwachen Menschen stark beeinträchtigt wird (jährliche Schuldenlast 50.000 DM). Wenn wir trotzdem unseren Architekten gebeten haben, eine vorläufige Kostenzusammenstellung zu fertigen, dann in der Hoffnung, daß unsere Vorschläge zur Aufwertung eines so markanten Platzes, die wir aus einer uns wohl bewußten Verantwortung für unsere Stadt und ihre Besucher uns vorzutragen erlauben, auch das wohlwollende Verständnis bei den Dienststellen des Landes Berlin finden werden. Wir bitten, dieses Projekt in die Liste der zur fördernden Maßnahmen zur 750Jahrfeier aufzunehmen. Selbstverständlich sind wir jederzeit zu weiteren In- 25 formationen oder örtlichen Besichtigungen bereit und erbitten dann Ihren Anruf unter 211 54 44. Eine Zusammenstellung der zu erwartenden Kosten und verschiedene Angebote fügen wir als Anlage bei. Mit freundlichen Grüßen” Darauf findet eine Begehung der Gedächtnishalle mit Herrn Ehmann statt, bei der ihm die geplanten Maßnahmen vor Ort erläutert werden. Gleichzeitig wird die Bitte vorgetragen, ein schon beim Senat vorhandenes Modell des Breitscheidplatzes um 1985 für die Gedenkhalle - so soll die Gedächtnishalle künftig heißen - kostenlos zu überlassen und ein Modell des Auguste-Viktoria-Platzes um 1900 in den Werkstätten des Senats anzufertigen und es für den selben Zweck dem Kuratorium zu schenken. Die vorgesehenen Maßnahmen werden zunächst auf rd. 400.000 DM veranschlagt. Mit den Kostenanschlägen wird Herrn Ehmann der Antrag auf Zuschuß in Höhe von 300.000 DM aus Landesmitteln übergeben. 15.04.1985 In einer Kuratoriumssitzung erläutern Pfarrer Gunter, Pfarrer Soppa und Schatzmeister Limpach die erarbeitete und geplante Gestaltung der Gedächtnishalle und den Stand der Vorbereitungen. Darauf beschließt das Kuratorium die mit dem Senat abgesprochenen Maßnahmen zur Umwandlung der Gedächtnishalle in eine Gedenk- und Mahnstätte. 23.05.1985 Der Senator Bau/Wohn schickt den Bewilligungsbescheid über 300.000 DM. September 1985 Beginn der Vorarbeiten und Gespräche mit Herrn Dehne beim Senator Bau/Wohn zur Anfertigung des Modells Auguste-Viktoria-Platz 1910. Der Modellbauwerkstatt liegt sehr viel daran, ein maßstabgerechtes Modell nicht nur der Kirche, sondern auch der umliegenden damaligen Gebäude herzustellen. Die Beschaffung der nötigen Unterlagen über die frühere Bebauung zieht sich über Monate hin, ehe mit der Arbeit begonnen werden kann. Man möchte genau arbeiten, um Monita aus der Bevölkerung zu vermeiden. Einige Zeit später wird Gemeindevertretern die Möglichkeit zur Besichtigung der Arbeiten gegeben. 22.04.1986 Der Schatzmeister richtet an den Senat die Bitte (wobei die Unterschrift des 1. Vorsitzenden des Kuratoriums, Louis Ferdinand Prinz von Preußen außerordentlich hilfreich ist), die entstehenden Wirtschaftskosten der Gedenkhalle mit finanzieren zu helfen. Es war schon abzusehen, daß die veranschlagten Kosten in Höhe von 400.000 DM nicht ausreichen werden. So fehlen zu der Zeit 185.000 DM. 28.04.1986 Das Land Berlin wird um die Gewährung eines weiteren Zuschusses in Höhe von 185.000 DM gebeten. Auch die Landeskirche wird um finanzielle Hilfe gebeten. 26 Inzwischen gehen die Arbeiten gut voran. Das Amt für Denkmalspflege hat darauf gedrungen, die Kriegsschäden an den Mosaiken, den Reliefs und dem Mauerwerk sichtbar zu erhalten und nur Sanierungsarbeiten durchzuführen. Die Öffnungen der Gedenkhalle sind endlich verglast worden, eine Heizungs- und Beleuchtungsanlage installiert. 24.10.1986 Der Bausenator teilt mit, daß weitere 100.000 DM zusätzlich bewilligt worden sind, mehr sei nicht möglich. 4/5.11.1986 Bei einem Besuch auf der Burg Hohenzollern (Hechingen) werden von Prinz Louis Ferdinand einige Stücke aus seinem Besitz ausgesucht, die ihren Platz als Dauerleihgabe in der Gedenkhalle finden sollen: Büste Wilhelm I. schwarzer Adlerorden roter Adlerorden Jubiläumsabzeichen zur Silberhochzeit des Kaiserpaares 1906 Eine Büste der Kaiserin Auguste Viktoria schenkt der Prinz dem Kuratorium. Die Sorgen um die Finanzierung der Mehrkosten von 85.000 DM werden schneller und besser behoben, als zu erwarten war. Nachdem der Schatzmeister erneut Herrn Ehmann um Übernahme dieses Betrages gebeten hatte, gehen um die Jahreswende 1986/1987 nicht nur diese Zuwendung des Bausenators ein, sondern weitere 50.000 DM von der Landeskirche. Weiter kommt von Herrn von Pufendorf die Nachricht, daß das Land Berlin bereit sei, sich mit jährlich 20.000 DM an den Wirtschaftskosten der Gedenkhalle zu beteiligen. Das gibt alles ein wenig Sicherheit, denn nun stehen ja noch die Kosten der geplanten Ausstellung an, einschließlich der Vitrinen und eines Verkaufstisches für die Souvenirs. Auch die Ausgaben für den Einbau der Gitter, die aus den zu verglasenden Öffnungen entfernt waren und nun vor den Eingang vorgesetzt werden sollen. Insgesamt entstehen folgende Kosten: 1. Bauliche Instandsetzung und Umgestaltung 2. Kosten der Ausstellung Summe 657.907 DM 80.000 DM 737.907 DM Gedeckt werden diese Kosten wie folgt: 1. Land Berlin 2. Landeskirche 3. Kuratorium und Kirchengemeinde 4. Spenden Summe 485.000 DM 50.000 DM 130.000 DM 72.907 DM 737.907 DM Der Wert der beiden vom Bausenator geschenkten Modelle beträgt 180.000 DM. 27 Dank der großzügigen Hilfe des Landes Berlin kann so statt des seinerzeit geforderten Durchgangs nun eine der Würde der ursprünglichen Gedächtnishalle entsprechende Gedenkhalle als Erinnerungs-, Mahnund Versöhnungsstätte hergerichtet werden, für jedermann zugänglich, um die wiederhergestellte Schönheit betrachten zu können. 07.01.1987 Nach einem Gottesdienst um 19 Uhr und der Übergabe des Friedenskreuzes von Coventry (England) durch den Canon (Domkapitular) Paul Oestreicher an Bischof Dr. Kruse wird die Gedenkhalle feierlich eröffnet. Anschließend findet ein festlicher Empfang für geladene Gäste im Gemeindehaus statt. Die Ausstellung Bei der Schaffung einer den Ansprüchen gerecht werdenden Gedenkhalle stellt sich Professor Ernst Wendorff von der Hochschule der Künste hilfreich zur Verfügung. Er erstellt die Konzeption, besorgt mit Hilfe des Schatzmeisters Schriften, Fotos, Bilder aus den Archiven und gestaltet den Inhalt der Vitrinen. Einige wertvolle Abendmahlsgeräte aus der alten Kirche (die offenbar seinerzeit in der Küsterei aufbewahrt und dort vor der Vernichtung bewahrt blieben) und andere interessante Stücke aus dem Gemeindearchiv können nun gezeigt werden. Hinzu kommen die schon erwähnten Leihgaben des Prinzen Louis Ferdinand sowie als Leihgabe der Deutschen Bank 6 Münzen aus der Kaiserzeit und von der Staatlichen Porzellanmanufaktur (KPM) ein gerahmtes Porzellanmedaillon der Königin Luise. Das Land Berlin übergibt im Januar 1987 aus einem Fundus Stücke aus der Ruine der alten Kirche, u. a. Fragmente von Bronzeleuchtern und -lampen, auch von Türbeschlägen. Die beiden geschenkten Modelle des Kirchplatzes können nun zur Schau gestellt werden. Das Modell des Auguste-ViktoriaPlatzes wird in einem kleinen Festakt am 2. November 1987 der Öffentlichkeit übergeben. Zu den geladenen Gästen zählen auch die Mitarbeiter des Bausenators, die mit der Planung und Ausführung des Modells beschäftigt waren. Nach diesen Stücken der Erinnerung an die alte Kirche seien nun die aufgezählt, die für den Gedanken der Versöhnung und des Friedens stehen. Das Nagelkreuz In besonderer Weise setzt sich Pfarrer Soppa für die Aufnahme der Verbindung zur Friedensbewegung in Coventry ein und bemüht sich mit Erfolg um das dortige “Nagelkreuz”. Nach der Zerstörung der Kathedrale von Coventry durch deutsche Bomber im November 1940 läßt der damalige Dompropst Richard Howard an der Ruine eine Tafel anbringen, auf der sinngemäß steht, diese Kathedrale sei zur Ehre Gottes zerstört. Den verblüfften Zeitgenossen erklärt er dazu, diese Zerstörung zeige, wohin die Gottlosigkeit führe. Als Symbol der Kreuzigung des Menschen errichtet er an der 28 Stelle, wo der Altar gestanden hatte, ein Kreuz aus verkohlten Dachsparren des Gotteshauses. Dazu verfaßt er ein Gebet, das sogenannte Versöhnungsgebet von Coventry. Noch während des Krieges läßt er drei von den einst durch Mönche geschmiedeten großen Nägeln aus dem verkohlten Dachgebälk herausziehen, zu einem Kreuz zusammenschweißen und galvanisch versilbern. Eine Nachbildung dieses Kreuzes gibt er in verschiedene Gemeinden seiner Diözese mit der Bemerkung: “Christen wüßten nicht nur von der Kreuzigung, sondern auch von der Auferstehung.” Heute steht das Originalkreuz auf dem Altar des Neubaus der Kathedrale. Später werden Nachbildungen dieses Kreuzes als Symbol der Versöhnung und des Friedens an andere Brennpunkte des Weltgeschehens verliehen, so auch der KaiserWilhelm-Gedächtnis-Kirchengemeinde als 26. Empfängerin. Und so, wie an jedem Freitag vor dem Original des Nagelkreuzes das Friedensgebet gesprochen wird, geschieht dasselbe an all den Stätten, die dieses Kreuz erhalten haben, um 13 Uhr auch in der Gedenkhalle. Ehe am 7. Januar 1987 das Nagelkreuz nach dem Gottesdienst zur Eröffnung der Gedenkhalle von Paul Oestreicher an Bischof Dr. Kruse übergeben wird, gibt es noch einige Aufregung: Als Paul Oestreicher vom Flughafen her in seinem Hotel ankommt und seinen Koffer öffnet, um das Kreuz zu entnehmen, stellt er zu seinem Schrecken fest, daß er auf dem Flughafen offensichtlich seinen Koffer vertauscht hat, denn er findet nur Damenwäsche vor! In einer Blitzaktion gelingt es Pfarrer Soppa, den richtigen Koffer ausfindig zu machen und so die Übergabe des Kreuzes im Abendgottesdienst zu ermöglichen. Das russisch-orthodoxe Ikonenkreuz Ein Ikonenkreuz steht als Zeichen der Versöhnung mit dem russischen Volk. In der Osternachtfeier 1988 wird es von Erzbischof German an Bischof Dr. Kruse überreicht. Es trägt die Inschrift: “Dieses Gedenkkreuz wird an Herrn Bischof Dr. Martin Kruse.....zur Erinnerung an die von unseren Kirchen und Völkern während des Zweiten Weltkrieges getragene Opfer des Nazismus und als Zeichen des Friedens auf Erden bei den Menschen des Wohlgefallens übergeben.” Die Christusfigur Die von Professor Schaper einst für die den Altar der alten Kirche geschaffene Christusfigur steht nun als Symbol für den Frieden mitten zwischen dem russischen und dem englischen Kreuz. Der Prunkschlüssel Bei dem in der Gedenkhalle als Leihgabe ausgestellten Prunkschlüssel handelt es sich um den Schlüssel, der am 1. September 1895 Kaiser Wilhelm II. bei der Einweihung der Kirche übergeben wurde und von dessen Existenz nichts bekannt war. Der Schatzmeister entdeckt ihn 29 plötzlich bei einer Ausstellung in Berlin als Leihgabe aus Doorn, wo der Kaiser im Exil lebte. Sofort sieht er es als seine dringende Aufgabe an, diesen Schlüssel an den Ort seines Ursprungs zurück zu holen. Mit folgendem Brief wendet er sich an die Königin der Niederlande: Ihrer Majestät der Königin B e a t r i x NL - 's-Gravenhage Kon. Paleis Majestät, erlauben Sie mir, Ihnen in meiner Eigenschaft als Rendant (Schatzmeister) der Stiftung "Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche", die Eigentümerin der weltbekannten Kirche ist, das Folgende vortragen zu dürfen: In der Akademie der Künste in Berlin wurde im Jahre 1984 eine Ausstellung "Berlin um 1900" gezeigt. Auf dieser Ausstellung entdeckte ich in einer Vitrine als Leihgabe aus dem Huis Doorn den Prunkschlüssel, der Kaiser Wilhelm II. am 1. September 1895 bei der Einweihung der Kaiser-Wilhelm-GedächtnisKirche überreicht wurde. Den uns nur aus den Akten her bekannten Schlüssel glaubten wir längst verloren. Während meines Urlaubs im vergangenen Jahr nutzte ich die Gelegenheit zu einem Besuch im Huis Doorn und bat, mir den Schlüssel zu zeigen, um ihn fotografieren zu können. Dabei wurde deutlich, daß er sich nicht unter den Ausstellungsstücken befindet, sondern in einem Schrank aufbewahrt wird. Das Kuratorium der Stiftung, dessen Mitglied ich bin, baut zur Zeit die in der Ruine des alten Glockenturmes (die Kirche wurde im Jahre 1943 durch Bomben zerstört) noch erhaltene und mit sehenswerten Mosaiken geschmückte frühere Vorhalle der Kirche zu einer Mahn-, Versöhnungs- und Erinnerungsstätte aus. Näheres dazu bitte ich, aus der beigefügten Konzeption zu entnehmen. Als ich dem Kuratorium von der Existenz des Prunkschlüssels berichten konnte, wurde allgemein der Wunsch laut, ihn in die geplante Ausstellungskonzeption einzubeziehen. Die Herausgabe des Schlüssels aus dem Besitz des niederländischen Staates für diesen Zweck könnte deutlich als ein sichtbarer Ausdruck des Versöhnungswillens des niederländischen Volkes mit dem deutschen Volke dargestellt werden. Das Kuratorium hat mich beauftragt, Ihnen, Majestät, dieses Anliegen zu schildern und Sie zu bitten, den Schlüssel - eines der wenigen noch vorhandenen Stücke der zerstörten Kirche - als Dauerleihgabe oder als Geschenk für den genannten Zweck nach Berlin zu geben. Es wäre denkbar, die Übergabe des Schlüssels in einem feierlichen Akt öffentlich vorzunehmen. In Huis Doorn ist der Prunkschlüssel meines Erachtens nur von geringer Bedeutung. Hier, an dieser Stätte in Berlin (West), die - wie auch unsere Kirche jährlich von weit mehr als einer Million Menschen besucht werden wird, käme ihm eine außergewöhnliche Beachtung zu. Wir würden uns glücklich schätzen - und ich schreibe das im Namen aller Kuratoriumsmitglieder und der Mitglieder des Gemeindekirchenrates - wenn Sie, Majestät, eine für uns positive Entscheidung fällen könnten. Mit dem Ausdruck meiner Ehrerbietung und mit freundlichen Grüßen 30 Dieses Schreiben wird wohlwollend zur Kenntnis genommen und an die Stiftung “Huis Doorn” weitergeleitet. Von dort kommt zunächst ein ablehnender Bescheid. Doch nach zähem Bemühen gibt die Verwaltung der Stiftung nach und im April 1987 trifft der Schlüssel in Berlin ein.Vorgesehen ist der Leihvertrag nur für ein Jahr, aber nachdem der Schatzmeister einer Vertreterin der Stiftung während ihres Besuches in Berlin die Bedeutung und Wirkung der Leihgabe vor Ort demonstrieren kann, wird der Vertrag um ein weiteres Jahr verlängert und seitdem ist er Teil der Ausstellung geworden. Die Skulpturen an der Außenwand der Gedenkhalle An der Außenwand der Gedenkhalle stehen vier Sandsteinskulpturen, die 1988 von Stefan Kaehne als Sieger eines vom Land Berlin ausgeschriebenen Wettbewerbs „Kunst im Stadtraum“ geschaffen wurden. Sie symbolisieren einerseits Streit, Aggression und Gewalt, andererseits sichtbare Gesten der Versöhnung. Seit der Einweihung der Gedenkhalle finden dort auch neben der Dauerausstellung andere Ausstellungen, Kammerkonzerte, weitere musikalische Darbietungen und Vorträge statt. Zur Zeit wird mit Hilfe des Graphikers und Designers Dieter Wendland die Ausstellung ausgebessert, überarbeitet und teilweise neugestaltet. Daß jährlich wohl eine Million Menschen diese einstige Stätte der Würdigung eines Kaisers und nun den Raum einer Mahn- und Versöhnungsstätte betreten würden, hätten die Erbauer damals und die Restaurateure später wohl kaum erwartet. Ihnen und allen Geldgebern gebührt der Dank dafür, daß wir diesen Ort besitzen und nutzen können. Zusammengestellt von Gerhard Limpach, Juli 2006 (Quellen: Protokollbuch des Gemeindekirchenrates, Protokollbuch des Kuratoriums der Stiftung Akten der Kirchengemeinde Akten des Kuratoriums Fotoarchiv der Kirchengemeinde Freiherr Ernst von Mirbach: „Die Kaiser-Wilhelm-GedächtnisKirche“, 1897)