Tisa von der Schulenburg Kunst und Engagement
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Tisa von der Schulenburg Kunst und Engagement
Ein Wort zuvor Elisabeth Gräfin von der Schulenburg (1903 – 2001) ist eine einzigartige Zeitzeugin des 20. Jahrhunderts. Ihr langes Leben, ihr faszinierendes künstlerisches Oeuvre, ihr jahrzehntelanges soziales, moralisches und christliches Engagement, ihre höchstpersönlichen, weil familiären Beziehungen zur Widerstandsbewegung gegen die Hitler-Barbarei, ihre Wandlung von einer selbstbewussten preußischen Aristokratin zur Ordensschwester ergeben die Vita einer ungewöhnlichen Frau, die sich wahrlich wie ein Geschichtsbuch eigener Art liest. Indem Leben und Werk Tisa von der Schulenburgs, die sich als katholische Ordensfrau seit 1950 Schwester Paula nannte, das dramatische 20. Jahrhundert nacherzählen, vor allem in seinen für die Deutsche Geschichte so fatalen Brüchen, Katastrophen und Neuanfängen, gewinnen unterschiedlichste Themen und Motive an Bedeutung. Vor allem die Würde des hart arbeitenden, zu Unrecht leidenden, aus tiefer Not hilfesuchenden, ja erlösungsbedürftigen Menschen tritt bei Tisa in den Mittelpunkt – ihr künstlerisches und soziales Engagement für die Bergleute geben ihrem Tun zudem eine handgreiflich regionale, regelrecht heimatverbundene Note. Der Bergmann des Ruhrgebietes, die Kumpel von den Zechen im Kreis Recklinghausen begegnen ihr bis in die späten Jahre; die Mühsal ihrer Lebenswelt und ihrer immer ungewisser werdenden Zukunft galt bis zuletzt die Solidarität der Künstlerin. Nicht von ungefähr sollten sich gleich drei Kulturinstitute der Stadt Recklinghausen zusammentun, um sich der Herausforderung, Tisas Leben zu würdigen, in einem Verbundprojekt unterschiedlicher methodischer, didaktischer und fachwissenschaftlicher Herangehensweisen zu stellen. Mein Dank gilt daher der Städtischen Kunsthalle unter Leitung von Professor Ferdinand Ullrich, Herrn Jürgen Pohl und Frau Kerstin Weber von der Volkshochschule Recklinghausen sowie Herrn Dr. Mat thias Kordes vom Institut für Stadtgeschichte – in allen drei Häusern werden wichtige Aspekte von Tisas Leben und Werk aufgezeigt. Mein besonders herzlicher Dank gilt jedoch dem Ursulinen-Kloster in Dorsten und den dortigen Schwestern. Ohne die Unterstützung, das Entgegenkommen und die Hilfsbereitschaft insbesondere von Schwester Barbara hätte dieses anspruchsvolle Vorhaben nicht verwirklicht werden können. Genia Nölle Beigeordnete der Stadt Recklinghausen Eröffnung am Freitag, dem 28. September 2012 17 Uhr Volkshochschule Recklinghausen Tisa von der Schulenburg und der 20. Juli 1944 18 Uhr Kunsthalle Recklinghausen Tisa von der Schulenburg und die Kunst Vorstellung des Buches „Aus dem Dunkel ins Licht – Tisa von der Schulenburg“ durch den Vorsitzenden des Vorstandes der RAG Aktiengesellschaft Bernd Tönjes 19 Uhr Institut für Stadtgeschichte/Stadt- und Vestisches Archiv Recklinghausen Texte und Bilder aus dem Nachlass Tisa von der Schulenburgs Volkshochschule der Stadt Recklinghausen 29. September bis 22. Dezember 2012 mo – fr 8 – 18, sa 8 – 13 Uhr Willy-Brandt-Haus | Herzogswall 17 | 45657 Recklinghausen Führungen nach Vereinbarung Lesung mit Gabriele Droste: Claire Goll – Ich verzeihe keinem. Eine literarische Chronique scandaleuse unserer Zeit Donnerstag, 15. November um 19.30 Uhr, Entgelt: 10,- Euro Kunsthalle Recklinghausen 29. September bis 9. November 2012 Große-Perdekamp-Str. 25 – 27 | 45657 Recklinghausen di – so, feiert. 11 – 18 Uhr Öffentliche Führungen sonntags um 11 Uhr Institut für Stadtgeschichte Stadt- und Vestisches Archiv Recklinghausen 1. Oktober bis 9. November 2012 Hohenzollernstraße 12 | 45659 Recklinghausen mo – di 8 – 13, mi 8 – 16, do 8 – 18, fr 8 – 13 Uhr Führungen nach Vereinbarung Tisa von der Schulenburg Kunst und Engagement „So war’s“ Texte, Bilder und Bergbauzeichnungen aus dem Nachlass Tisa von der Schulenburgs Tisa von der Schulenburg und die Kunst Tisa von der Schulenburg und der 20. Juli 1944 Tisa von der Schulenburgs Leben liest sich wie ein Geschichtsbuch; ist sie doch Zeitzeugin und Akteurin im kulturellen und politischen Wandel eines Jahrhunderts. Wie bei vielen Künstlerinnen und Künstlern sind Zweifel und Selbstkritik, aber auch Mut, Zuversicht und Selbstvertrauen ihre ständigen Begleiter. Wo stehe ich? Wo will ich hin? Was soll meine Kunst? In ihrem künstlerischen Schaffen ergreift sie Partei. Das Engagement ist nicht nur eine Phase ihres Schaffens, sondern durchgehend wesentlich: Sie will solidarisch sein mit den Unterdrückten, Entrechteten und Notleidenden, den arbeitenden Menschen. Sie will aufrütteln, Kraft geben, erinnern, mahnen und ermahnen. Tisa ist zutiefst geprägt von der Erfahrung des Nationalsozialismus, seiner Verbrechen, des Leides, das er über Deutschland und über ihre eigene Familie gebracht hat und des Kampfes gegen ihn. Ihr geliebter Bruder Fritz-Dietlof, „Fritzi“, wird als einer der wichtigsten Organisatoren des gescheiterten Attentats auf Hitler am 20. Juli 1944 zum Tode verurteilt und in Berlin-Plötzensee gehängt. Tisa hat dieses Ereignis nie verschmerzt, und die Ermordung ihres Bruder hat sicher auch dazu beigetragen, an der Engagiertheit ihrer Kunst niemals einen Zweifel zu hegen. Eben diese Grunderfahrung Tisas mit dem Nationalsozialismus und die Auswirkung auf ihre Kunst stellt die Ausstellung der Volkshochschule Recklinghausen in den Mittelpunkt. Zum Erbe Tisa von der Schulenburgs gehört nicht nur ein umfangreicher künstlerisches Oeuvre. Die facettenreiche Bild ihrer Persönlichkeit erschließt sich vollständig erst durch schriftliche und fotografische Hinterlassenschaften, die zusammengenommen einen hochwertigen und höchstpersönlichen Nachlass bilden. Tisa selbst hat sich immer wieder mit den Zeitläuften beschäftigt und dabei die Dramatik des 20. Jahrhunderts aus persönlicher Sicht reflektiert. Geschichte war für sie alles andere als ein abstrakter Begriff: Die Katastrophenzeit des Zweiten Weltkrieges und seine unmittelbaren Folgejahre finden darin ebenso Berücksichtigung wie ihre Beschäftigung mit der Daseinsbewältigung und den sozialen Belangen der Bergleute. Ihre z.T. handgeschriebenen Aufzeichnungen, Skizzen, Erinnerungen und Darstellungen, die bis zu Betrachtungen ihrer Jugend auf Schloss Tressow in Mecklenburg zurückreichen, zeugen ebenso wie Briefe, Korrespondenzen und gedruckten Berichte davon, dass sich die Künstlerin mit Vergangenheit, Gegenwart und Perspektiven ihrer gesellschaftlichen Umwelt und ihres eigenen Lebens auseinander setzte. Solche – vielfach in markantem handschriftlichem Duktus verfassten – Selbstzeugnisse, die heute im Ursulinen-Koster Dorsten aufbewahrt werden, stehen im Mittelpunkt der Präsentation im Institut für Stadtgeschichte. In einer Vitrinenausstellung soll eine Auswahl aussagekräftiger Schriftstücke eine sinnvolle Ergänzung zu ihrer künstlerischen Auseinandersetzung mit dem Thema Bergbau bieten, das mit einer Auswahl von besonders eindrucksvollen Zeichnungen ebenfalls umfänglich vertreten ist. „Kitsch. Mein ganzes Leben von der Angst vor dem Kitsch geprägt. Genau gesagt vom 16. Jahr an, wo die Neigung zum Süsslichen sichtbar wurde. … Die Kunst ist ja ein Kampf und Ringen mit dem Material, man kann nicht einhalten, … und plötzlich ist durch den letzten Strich eine Versöhnung erfolgt.“ So äußert sich Tisa von der Schulenburg im Jahre 1999. Sie stellt die Frage nach der angemessenen Form für ihr moralisches Anliegen, künstlerisch die „wirklichen Verhältnisse“ zu zeigen, die „Ausrichtung auf das Soziale“. „Mit diesem Willen zum Thema verhalte ich mich abwehrend zum l’art pour l’art …“ sagt sie. Sie wollte heraus aus dem „Elfenbeinturm“, was für sie auch die Ablehnung der modernen Kunst bedeutete, z. B. die Ungegenständlichkeit des Informels der 1950er Jahre. Es geht ihr nicht um ästhetische Vielschichtigkeit, sondern um motivische Eindeutigkeit. Das Leiden des Menschen darzustellen, ohne zu ästhetisieren, das ist ihr Anspruch und zugleich der Grundkonflikt, den Tisa in ihrem künstlerischen Werk ausgetragen hat, indem sie sich auf die Seite des kritischen Inhalts schlägt. Sie steht damit in der Tradition einer Käthe Kollwitz oder eines Ernst Barlachs. Wenn man die Lebensleistung der Tisa Schulenburg nicht lediglich als antimodernen Reflex verstehen will, kann die Schlussfolgerung nur sein, Kunst und Leben, Schicksal und Engagement, Form und Inhalt als ein Ganzes zu sehen. Tisas Kunst erhält ihre Bedeutung durch etwas sehr Allgemeines, das über der Kunst steht. Es ist der Ethos des Mitleids und es ist der Glaube. Daraus entspringt ein eigenes, sehr ehrliches Pathos.