Die große Sehnsucht
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Die große Sehnsucht
www.focus.de Nr. 02/15 03. Januar 2015 € 3,70 TELEFON-FALLE SO WERDEN MILLIONEN DEUTSCHE BETROGEN WELT-THEMEN 2015 Terror, Ebola, Klima – und kehrt die EuroKrise zurück? Die große Sehnsucht Kreuzfahrt Preise ♦ Routen ♦ Insider-Tipps Welche Reise passt zu mir? LEBEN & GENIESSEN Romantik unter Segeln Auf der „Sea Cloud“ finden nur 64 Gäste Platz – die von 60 Mitarbeitern betreut werden Der Traum vom Schiff: Jeder Fünfte wünscht sich einen Urlaub auf dem Wasser. Allein 2014 schipperten zwei Millionen Deutsche in den Urlaub. FOCUS erforscht den Megatrend auf dem kleinsten und auf dem größten Luxusliner der Welt: „Sea Cloud“ gegen „Oasis of the Seas“ 96 Die Sehnsucht FOCUS 2/2015 Fotos: M. Bortoli/Bildagentur Huber (1) Stimmung auf 16 Decks Die „Oasis of the Seas“ ist ein schwimmendes Ferien-Resort für bis zu 6296 Passagiere nach Meer FOCUS 2/2015 AUDIO Seite scannen mit FOCUS ACTIVE APP Lassen Sie sich die Titelgeschichte vorlesen 97 TITEL „Sea Cloud“ 83 Jahre ist die „Lady“ unter den Windjammern alt. Die Eignerkabine ist mit Antiquitäten und elektrischem Kaminfeuer ausgestattet. Rechts die Liegefläche „Blaue Lagune“ 98 H errlich ruhig hier: Gerade einmal acht Urlauber rekeln sich auf Sonnendeck 14 über der Schiffsbrücke. Ein hellblauer Spätsommerhimmel mit wattigen Wölkchen gewährt Blicke über Milliarden von silbern glänzenden Wasserzipfeln, die in den weiten Horizont tanzen. Unser Schiff, wie von unsichtbaren Tauen gezogen, folgt ihnen lautlos. Manchmal blickt ein Kreuzfahrer durch eines der beiden Fernrohre, die an den Seitenauslegern des einsamen Decks stehen. „Nichts zu sehen!“, verkündet sein triumphierender Gesichtsausdruck dann den umliegenden Sonnenanbetern, „nichts, außer Meer und Weite!“ Erstaunliche Momente, wenn man bedenkt, wo sie spielen: An Bord des größten Kreuzfahrtschiffs der Welt, der „Oasis of the Seas“, mit rund 5000 Passagieren auf ihrer ersten Transatlantikreise von Fort Lauderdale in Florida nach Barcelona im September. Nur: Wo sind diese Tausende? Einfache Antwort: gut verteilt. Das beginnt nachmittags beim Einchecken am Hafen mit leeren Schaltern. „Alle schon an Bord“, sagt ein Mitarbeiter der Reederei Royal Caribbean. An vier Pools und zehn Whirlpools auf den Außendecks 15 und 16 sind Hunderte Liegen frei. Es geht zum Dinner weiter: zwei Sitzungen im Hauptrestaurant über drei Ebenen mit Bedienung und festen FOCUS 2/2015 Fotos: Dirk Weyer (1); Frank-Michael Arndt (1) Essen unterm Zeltdach Auf dem Lido-Deck werden – wann immer möglich – die Büfetts serviert. An der Rückwand: die Bar Fotos: mauritius images (1) Plätzen sowie acht weitere Restaurants verteilen die Hungrigen verblüffend staufrei. Abends sortieren vor allem zwei Showzeiten im „Opal Theater“ (1400 Plätze, Broadway-Niveau im Musical „Hairspray“ sowie in der Akrobatikshow „Come fly with me“) die Kreuzfahrer. Dazu locken das „Aqua Theater“ (600 Plätze) unter freiem Himmel am Heck mit atemberaubenden Turmspringern oder Eisshows auf der Schlittschuhbahn „Studio B“ im Bauch des Ozeanriesen die Besucher an. Aus insgesamt 136 Veranstaltungen gilt es auszuwählen – an einem Tag: vom eindrucksvollen Morgen-Yoga auf dem Helikopter-Landeplatz am Schiffsbug, Flashmob-Tanzen, Singen im Schiffschor, Paraden mit Figuren aus den DreamworksStudios (Shrek, Gestiefelter Kater), Kochseminare. Es gibt Backstage-Führungen hinter die Showkulissen, Weinverkostungen, Kurse in Spanisch, BollywoodDance, Bridge, DJ-Scratching sowie Aromamassage. Da kann es fast schwerfallen, vom Privatbalkon vor der Kabine einfach mal in aller Ruhe stundenlang sechs Delfine im Wasser zu beobachten, die uns südlich von Madeira begleiten. Der 82-jährige Schiffspfarrer Castaneda hält in der restlos überfüllten Kapelle auf Deck 17 eine derart berührende überkonfessionelle Predigt, zu der ein paar BapFOCUS 2/2015 tisten die Kreuzfahrtgemeinde zu gehört die Badezone dann mehr oder weniger anderen Nationen. hymnischem Gesang mitreißen, Rund 5000 Passagiere sind an dass man sich ein zweites Mal tauBord, etwa 1300 mehr könnten fen lassen möchte. noch Platz finden. Trotzdem entDrei Abende schmeckt das Essen im Hauptrestaurant wie fetfallen wegen der großen Zahl tige Marshmallows ohne Zucker einige Kreuzfahrtstandards: Hän– nach nichts. Dafür gibt es als deschütteln und Fotos mit dem Entschädigung ein indisches Kapitän, das Captain’s Dinner Wunsch-Curry und endlos „Butoder auch das Mitternachts-Galater Pecan Ice Cream“. Büfett am Pool-Deck. Köstlich: New York Cheesecake „Oasis“-Kapitän Trym Selvag, ein Norweger, erklärt wie ein und Panini-Häppchen, die Panaltgedienter Showdee, ein netter Balimaster erwartungsnese, im „Park Café“ gemäß trotzdem zwischen 12 000 echalles für „fantastic“: ten Pflanzen und faldas Schiff, die neuen schem VogelgezwitGäste, die Stammscher zum Tee serviert. gäste, die Crew, die Oder die Weltklasse-Rinderlende im Route, das Essen und das Wetter. „Giovanni’s Table“. Sergey KomaWeniger gelungen: kin, Kapitän des Das Spa wirkt dunkel Windjammers „Sea und ungemütlich, die Cloud“, verkörpert Joggingbahn auf Deck fünf ebenso. Und das das Gegenteil eines zu Überfüllung neiShow-Man: Bescheigende Büfettrestauden begrüßt der Trym Selvag rant verwandelt sich Ukrainer seine 56 Kapitän der „Oasis of zu Frühstück und MitGäste (bei 59 Crewthe Seas“ Mitgliedern) an Bord tagessen in eine Lärmhölle. auf dem Karibik-Törn Da Kreuzfahrer aus Übersee im Dezember von Barbados nach Curaçao. Der 40-Jährige ist ganz Wasserkontakt aus Duschen vor Seemann, redet wenig und nennt Besteigen der Pools eher meiden, entwickelt sich eine geteilte in seiner kurzen Ansprache die Badeordnung: Europäer treffen 1931 gebaute „Sea Cloud“ liebesich duschnass zum Sonnenaufvoll ein „schwimmendes Musegang an den Becken, sobald diese um“. Aber will man wirklich in gereinigt und mit frischem Atlaneinem Museum seinen Urlaub tikwasser gefüllt sind. Tagsüber verbringen? „Oasis of the Seas“ Seit Ende 2009 befährt der Megaliner die Karibik. Im September kam er erstmals nach Europa. Beeindruckend ist die Akrobatikshow mit Turmspringern am Heck des Schiffes im „Aqua Theater“ Alles ist so fantastisch hier an Bord: das Schiff, die Gäste, die Crew, die Route, das Wetter“ 99 TITEL 100 Für viele Gäste stellt sich die Frage nicht, sie kennen den vor drei Jahren renovierten 4-MastGroßsegler längst. Das „echte Segelgefühl“ ist ihnen wichtig, wenn „der Wind das Tuch ausbeult“ und sich „das Schiff in die Wellen legt“. Einige konsultieren vor dem Auslaufen deshalb auch Schiffsarzt Doktor Wolfgang Spithaler und seine Pillenvorräte. Tatsächlich markieren „Oasis“ und „Sea Cloud“ die Extreme eines boomenden Ferienmarkts mit mehr als 340 Schiffen auf dem Wasser: „Oasis“ als Idee einer schwimmenden Kleinstadt, die für breite Einkommensschichten den Pauschalreise-Tourismus in Massen auf die Wellen bringt (pro Person und Nacht ab circa 60 Euro). Die „Sea Cloud“ dagegen gilt als generationenerprobter Sehnsuchtsort für Weltenbummler, der exklusive Romantik zwischen viel Holz und echten Segeln verheißt (ab 260 Euro). An Tag zwei beginnt auch die Segelshow: Der Erste Offizier Vukota Stojanovic aus Montenegro erklärt, in welcher Reihenfolge die überwiegend asiatische Crew in die Wanten steigt und viele der 30 Segel („Mars, Bram, Großsegel, Fock . . .“) setzt. „Jetzt segeln wir“, verkündet er, doch man spürt nichts. Kein Schaukeln, Ruckeln, Krängen. Was an der ruhigen Karibik liegen mag oder auch daran, dass der Dieselmotor weiter sehr vernehmlich nagelt und stinkt – selbst ohne arbeitende Schiffs- Prada-Täschchen-Träger eignet, schrauben pumpt er unablässig Luxus (Strom und kühle Luft) in bleibt die Atmosphäre locker. Ein die Kabinen. einziger 17-Jähriger drückt den Die sind eine Wucht: Im UnterAltersdurchschnitt auf geschätzte deck im Stil der 30er-Jahre mit 60 Lenze. „Hab’s mir schlimmer heller und dunkler Holzvertäfevorgestellt“, kommentiert er seine lung, Marmorbädern mit Wanne, Alleinstellung. Himmelbetten, Kaminen mit elekHäufig läutet die Glocke zu trisch beleuchteten Glassteinen, Büfetts unter der Zeltplane des Bullaugen. „Kabinenschlüssel Lido-Decks (top: frische Steaks brauchen wir nicht“, sagt Hotelvom Gelbflossenthunfisch). Die manager Szymon Kwinta. Portionen im Restaurant dagegen Offenbar wird erwartet, dass muten überschaubar an, nicht sich Gäste länger immer gibt es Nachim Bad aufhalten: schlag. Jeden Tag gibt es Abends bestreiten zwei Duschhauben, der Nachthimmel, die zwei Nagelfeilen, drei unendlichen Geschichten des philippinischen feuchte Abschminktücher sowie große PorBarkeepers Bebot (32 tionen an Bodylotion, Jahre an Bord) und die Melodien des SchiffsShampoo, Bade-Elixier und Conditioner pianisten Kilian die des Herstellers GalvaUnterhaltung. gni Schönheit GmbH. Besonders lässig lauTagsüber ist die fen die Anlandungen: „Blaue Lagune“ beDie „Sea Cloud“ ankert liebt: eine halbrunde vor einem Traumstrand Sergey Komakin Liegefläche am Heck, wie der Chatham Bay Kapitän der „Sea die herrliche Ausbliauf den Grenadinen Cloud“ über sein Schiff und shuttelt die Gäscke in Himmel und Segel eröffnet. Allerte gleich in Badekleidings bietet sie nur acht Mitreidung binnen fünf Minuten mit senden bequem Platz, sodass die Zodiac-Schlauchbooten zu den anderen 48 mit Deck-Chairs vorPalmen. Koch und Essen folgen. liebnehmen müssen. Ankerlichten ist um vier Uhr geplant. „Wenn es uns gefällt, Die Mitsegler geben sich als bleiben wir auch länger“, sagt unprätentiöse Genießer – überwiegend Europäer und AmeKapitän Komakin und geht erst rikaner, die Hälfte raucht. Weil mal schnorcheln. ■ sich der sanft wiegende Windjammer kaum als Laufsteg für MATTHIAS KOWALSKI Die 83 Jahre alte ,Lady der Meere‘ ist wie ein schwimmendes Museum“ FOCUS 2/2015 Fotos: action press (1) Flanieren oder zugucken Im Bauch der „Oasis“ kann man entlang der „Royal Promenade“ shoppen, Pizza essen oder Kaffee trinken. Hier finden auch bunte Paraden und Disco-Partys statt. An Bord der „Sea Cloud“ (rechts) ist das Hissen und Reffen der Segel in Handarbeit die eigentliche Show Mal schn ell an alog geschrieben: Bei uns finden Sie alle wichtigen digitalen Programme. WIR ZEIGEN´S EUCH. .de Jetz t im Han del oder best ellen unte r w w w.tv spie lfilm -abo TITEL Entdeckerboot, Partyschiff, Luxusjacht oder doch ein Ozeanriese? Größe und Route bestimmen die Kreuzfahrt. Dabei hat jede Schiffsklasse ihre eigenen Besonderheiten Die Wow-Klasse Die große Klasse Die spezielle Mitte Die Megaschiffe mit mehr als 3000 Passagieren bestechen durch eine schier unfassbare Vielfalt an Unterhaltung, Sport und Kulinarik. Dabei punktet die Oasis-Schwester „Allure of the Seas“ mit Sport und Entertainment, die „Getaway“ mit 28 Restaurants sowie die „Queen Mary 2“ und auch die „Celebrity Reflection“ mit besonderem Design und Stil. Diese Schiffsklasse mit 2000 bis 2999 Passagieren ist der neue Branchenstandard. Sie haben alles an Bord, was man braucht, unterscheiden sich aber deutlich: Die „Aida“ kommt als Clubschiff daher, das die Gäste überall zum Mitmachen verführt. Auf der „Mein Schiff 3“ von TUI geht es ruhiger zu – mit mehr Rückzugsorten. Die „Eurodam“ pflegt beste amerikanische CruiseTraditionen, und die „MSC Poesia“ bietet viel Abwechslung für Familien. Bei der Mittelklasse von 1000 bis 2000 Passagieren setzt die Spezialisierung ein: Die Schiffe sind oft älteren Datums, gut renoviert und punkten mit Service und Routen. Während die „Disney Wonder“ sowohl Enkel wie Großeltern mit Mickey Mouse & Co. perfekt bespaßt, setzt die „Crystal Serenity“ auf das reifere Publikum, die „Artania“ beschippert deutschsprachig die Weltmeere, und die „neoRomantica“ setzt auf Entschleunigung für Erwachsene, z. B. mit längeren Hafenaufenthalten. Schiffsempfehlungen „Allure of the Seas“; „Celebrity Reflection“ (Foto); „Norwegian Getaway“; „Queen Mary 2“ Vorteile/Nachteile + viele Kabinentypen; günstige Preise; große Restaurantauswahl; Mischung aller Generationen; Entertainment in Broadway-Qualität; breite Auswahl an Bars, Cafés, Musik; große Wellnessbereiche, Sportstudios, viele Pools; umfangreiche Kinderbetreuung. – enge Standardkabinen; lange Wege, unübersichtlich; Büfetts überlaufen; Service unpersönlich; laufen oft nur Großhäfen an; Ein-/ Ausschiffung kann länger dauern. TI S Barcelona Malaga CH ER OZ E AN Routentipp Transatlantik mit der „Allure of the Seas“ vom 19. April bis 1. Mai. Das Schiff ist das Ziel. Ein Stopp genügt, dann vergisst man auf See Raum und Zeit. Ab 634 Euro pro Person*. 102 Vorteile/Nachteile + viele erschwingliche Kabinentypen; große Auswahl an Restaurants; gute Kinderbetreuung; viele Pools, Rutschen, Wasserparks; große Wellnessbereiche; gemischte Generationen als Gäste; Vielzahl an Aktivitäten, Sport. – unübersichtlich; Wartezeiten an Aufzügen; enge Standardkabinen; Stau an Büfetts; Aufpreis für Ruhezonen oder ruhige Restaurants. Oslo Reykjavik Qaqortoq N ATLA Fort Lauderdale Schiffsempfehlungen „Mein Schiff 3“ (Foto); „Aida Mar“; „Eurodam“; „MSC Poesia“ St. John’s EA N Das beste Schiff für mich OZ Halifax R E H New York IS C ATLANT Warnemünde Routentipp Nordländer mit der „Aida Mar“ vom 17. Oktober bis 4. November von Kiel nach New York. Fjorde, Gletscher, Eisberge und Meerblicksauna inklusive. Ab 2395 Euro pro Person*. Schiffsempfehlungen „Crystal Serenity“ (Foto); „Artania“; „Costa neoRomantica“; „Disney Wonder“ Vorteile/Nachteile + oft günstiger als Kleinschiffe oder neue Megaschiffe; etwas Restaurantauswahl; weniger Anstehen; gutes Enterainment; häufig Vorlesungen/ Weiterbildung an Bord; exotischere Ziele; persönlicher als große Schiffe. – ältere Bauart/Einrichtung; oft älteres Publikum (Ausnahme: „Disney“); weniger Balkonkabinen; oft feste Essenszeit/fester Sitzplatz. Genua Dubai Osaka Manila Genua San Juan Singapur Sydney Nuku Hiva Panamakanal Routentipp Rund um den Erdball mit der „Artania“ vom 22. Dezember 2015 bis 10. Mai 2016.In 140 Tagen rund um die Welt, davon allein 26 Tage durch die Südsee. 68 Häfen, 35 Länder, fünf Kontinente. Start Richtung Karibik, dann ab durch den Panamakanal. Ab 14 999 Euro pro Person**. FOCUS 2/2015 Die Jachtklasse Unter Segeln Für Abenteurer Sind es noch Kreuzfahrtschiffe oder schon private Jachten? Die Klasse unter 1000 Passagieren erlebt derzeit eine Renaissance. Dabei zählen nicht allein der pure Luxus, wie das Beispiel der gemütlichen „MS Berlin“ zeigt, sondern auch Route und Design. Auf der spacigen „Le Soléal“ wird Französisch gesprochen, und das anspruchsvolle Publikum ist oft erstaunlich jung. Auf der „Europa 2“ (Owner-Suite mit 100 qm) und der „Seabourn Quest“ dominieren eher gesetztere Paare und Genießer. Die Segler unter den Kreuzfahrtschiffen sind eine Klasse für sich: Vom Wind getragen über die Wellen zu gleiten, fasziniert Selber-Segler und Zuschauer gleichermaßen. Es warten gepflegte Abenteuer nah am Wasser mit engem Crew-Kontakt. Da die Windjammer überschaubar klein sind, können sie auch kleinste Inselchen und Buchten ansteuern, bieten im Vergleich zu privaten Segeltörns doch erstaunlich viel an Organisation, Kulinarik und Komfort. Einmal im Leben: Die atomgetriebene „50 Years of Victory“ kann 2,5 Meter dicke Eispanzer aufbrechen und ist für die Polregionen bestens gerüstet. Jedes Schiff dieser Klasse verheißt ein anderes Abenteuer: Die „Hanseatic“ (oberer Amazonas), die „Xpedition“ (Galapagos-Inseln) oder die „Fram“ der Hurtigruten (Fahrt zu den Eisbären auf Spitzbergen). Fotos: Michel Verdure (2), Carolin Otersen, Karin Rollett-Vlcek/Corbis, Bjorn Eriksson/Bulls Schiffsempfehlungen „Seabourn Quest“ (Foto); „MS Berlin“; „Europa 2“; „Le Soléal“ Vorteile/Nachteile + große Kabinen, oft nur Suiten; außergewöhnliche Routen und Häfen; persönlicher Service; häufig Luxus (außer „MS Berlin“); Getränke, Weine oft inklusive; oft Lesungen/ Experten an Bord; kein Anstehen. – teuer (bis auf „MS Berlin“); zum Teil Mindestalter gefordert; kleine öffentl. Räume; weniger Sport, Wellness, Kinderbetreuung, Unterhaltung. Nome Nordpol enze msgr Datu Beaufort- Pond Ilulissat See HerschelInsel Inlet KangerGjoa lussuaq Haven Routentipp Legendäre Nordwestpassage mit der „Le Soléal“ vom 24. August bis 15. September. Die Luxus-Expedition durch berstende Eisschollen und größte weiß-blaue Einsamkeit führt von Grönland bis nach Alaska. Ab 13 070 Euro p. P. inkl. Flug*. FOCUS 2/2015 Schiffsempfehlungen „Sea Cloud“; „Royal Clipper“ (Foto); „Wind Star“; „Star Clipper“ Vorteile/Nachteile + echtes Seglergefühl; mitsegeln/ mitmachen möglich; laufen Kleinsthäfen an; Routen teils mitzubestimmen; sehr familiärer Service; engagierte Crews; viele Gleichgesinnte und Stammgäste segeln mit. – limitierte Bordeinrichtungen; oft Besserwisser an Bord; eingeschränkte Unterhaltung; Seegang/ stark spürbar; sehr wetterabhängiger Zeitplan; wenige Rückzugsorte. Civitavecchia Pontinische Inseln Sorrento Amalfi Stromboli Liparische Inseln Taormina Routentipp Unbekanntes Italien mit dem Fünfmaster „Royal Clipper“ vom 30. Mai bis 6. Juni zu den Inseln Palmarola, Ponza, Lipari, Sizilien und Stromboli. Ab 2250 Euro pro Person*. Schiffsempfehlungen „50 Years of Victory“ (Foto); „Hanseatic“; „Xpedition“; „Fram“ Vorteile/Nachteile + entlegenste Ziele und Routen; Abenteuer garantiert; viele Experten und Fachleute an Bord; gleichgesinnte Gäste; kleine Teams; sehr gutes Info-Material; jede Reise gleicht einer Expedition. – sehr hoher Preis; oft hohe gesundheitliche Anforderungen; enge; sehr beschränkte Unterhaltung; geringe Essensauswahl; oft reisen nur Fachleute unter sich; Rettung/Bergung oft problematisch; Mitreisende in Krisensituationen unkalkulierbar. Routentipp 90 Grad Nord vom 26. Juni bis 9. Juli mit der „50 Years“ zum Franz- Nordpol: SportJosef- studio, Saunas, land kleiner Pool, Helikopter. Champagner am Pol Murmansk und dann mit N ördl. Polark reis dem Heißluftballon aufsteigen. Ab 21 226 Euro Helsinki pro Person*. Nordpol Weltweit 347 aktive Kreuzfahrtschiffe zählte das Branchen-Fachblatt „Cruise Business Review“ noch im Sommer. Inzwischen gingen noch ein paar Neubestellungen ein: Die TUI reservierte Termine bei der Meyer-Werft für zwei weitere „Mein Schiff“, und Norwegian Cruise Line orderte ebenso zwei größere Neubauten. Prominentester Marktaustritt ist die „MS Deutschland“, bekannt als das „Traumschiff“ aus der gleichnamigen TV-Serie im ZDF: Die Reederei ging pleite und sagte alle Reisen ab. Neues TV„Traumschiff“ könnte die „MS Amadea“ der Reederei Phoenix aus Bonn werden. *bei Doppelbelegung pro Person in der Kabine **in der 3er-Kabine 103 TITEL Wenn Sie auf größeren Schiffen mehr Ruhe suchen, so buchen Sie 4 das „Schiff im Schiff“: Eigene Bereiche von Restaurants bis hin zu Wellness oder Sonnendecks gibt es z. B. für Gäste in der Aqua-Class (Celebrity) oder im Yacht Club (MSC). Allerdings können Sie oft für denselben Preis auch gleich auf einem exklusiveren, kleineren Schiff reisen. 5 Nutzen Sie den Koffertransport von der Haustür in die Kabine – viele Reedereien bieten diesen Service längst an. Bewährt hat sich als Handgepäck ein kleiner Rollkoffer mit der Grundausstattung für den ersten Abend, falls sich die Verteilung des großen Gepäcks verzögert. Kultivierter Reisen Eine Kreuzfahrt ist immer auch ein Stück gelebte Nostalgie 1 Buchen Sie Ihre erste Kreuzfahrt im spezialisierten Reisebüro. Klären Sie dort die Fragen: Welches Schiff, welche Route, wer reist mit Ihnen? Dazu: beste Reisezeit, Häfen, Essen, empfehlenswerte Landgänge. 15 InsiderTipps Von Kabinenwahl bis Landgang: Für ein optimales Kreuzfahrterlebnis sollte man einige typische Spielregeln beachten Wellness an Bord ist überteuert: 120 Euro pro Stunde Massage sind 9 keine Seltenheit. Aber: Sie können im Lauf der Kreuzfahrt auf Angebote mit hohen Abschlägen zählen. Dasselbe gilt auch für viele Angebotsaktionen der Bord-Shops: Sie kommen so sicher wie das Ausschiffen. Raucher finden auf Kreuzfahrten immer ein Plätzchen: Ozeanriesen 10 haben für sie häufig auf der Backbord- seite ein oder mehrere Außendecks (Nummer zwei, drei oder vier) reserviert. Spezielle Raucher-Bars oder ZigarrenLounges (zum Teil auch unter freiem Himmel) sind verbreitet. Klären Sie vor dem Auslaufen, an welchen Tagen die Gala11 Abende („Formal Nights“) stattfinden werden. Diese sollten Sie allein schon wegen der besonderen Speisen im Hauptrestaurant nicht verpassen. Dann können Sie weitere kulinarische Entdeckungsreisen in Spezialitätenrestaurants an anderen Tagen sinnvoll dazureservieren. Leisten Sie sich, wann immer es geht, Klären Sie vorab Ihre bevozugten eine Balkonkabine. Vor allem beim Essenszeiten: Auf größeren Ozean2 6 ersten Mal genießen Sie so die beste riesen sind meist zwei feste Essenszeiten Seien Sie sehr kritisch bei der Kabinenauswahl: Anders als bei 3 Hotels an Land können Sie ihre genaue Kabinennummer vorab bestimmen. Meiden Sie auf größeren Schiffen Kabinen am Heck – dort kann es sehr laut sein (Motor) und nach Ruß stinken (Rauchfahne). Das gilt auch für teure Suiten! Klären Sie anhand der Deckpläne, was über und unter ihrer Kabine liegt (z. B. Disco, Restaurant, Wäscherei). Die Kabinenwände sind selbst auf Luxus-Linern eher dünn. Also auch auf Verbindungstüren verzichten. 104 um 18.30 und 20.30 Uhr üblich. Wählen Sie die spätere Zeit, so haben Sie für Landgänge und Bordeinrichtungen (Sportstudio, Sauna) vor dem Abendessen mehr Ruhe. Ordern Sie zu Hause vorab Getränkepakete z. B. für Wein, Bier, Softdrinks. 7 Dies ist oft billiger als an Bord, und es spart Zeit auf dem Schiff. Verzichten Sie an Bord auf Internetund Telefonpakete – sie sind zu 8 teuer, zu langsam und zu instabil. Kehren Sie bei Landgängen lieber in ein Café mit kostenlosem Wifi-Hotspot ein. Zeit für die feine Garderobe Gala-Abend im großen Atrium auf der „Royal Princess“ FOCUS 2/2015 Fotos: mauritius images; Steve Dunlop/Picture Press private Aussicht und eine frische Brise. Vom Schiff organisierte Landausflüge sind teuer, aber 12 praktisch: Der Kapitän wartet auch auf Die gewählte Route bestimmt Meiden Sie Häfen mit auch, wie viel Sonne Sie auf Ihrem erschwerter An- und Abreise: 13 14 Privatbalkon vor der Kabine sehen Savona, Civitavecchia (Rom), die letzten Busse. Gut: Leihräder, mit denen man gleich ab Schiff (z. B. an Bord der „Europa“, „Aida“) losradeln kann. Wenige Häfen bieten Mietwagen direkt ab Kai (z. B. Lanzarote, St. Maarten). werden: Auf einer Kreuzfahrt von Europa in die Karibik beispielsweise genießen Sie auf der Steuerbordseite (in Fahrtrichtung rechts) weniger Licht – es ist die Nordseite. Southampton, Barcelona, Kiel, Bremerhaven. Schneller geht es in Hamburg, Miami, St. Maarten, Palma/ Mallorca, Venedig, Genua, Málaga, Kopenhagen, Oslo, Barbados, Singapur. 15 Der Preis-Größen-Kompass führt zur Wunsch-Kreuzfahrt: Er kombiniert die maximale Passagierzahl sowie den durchschnittlichen Preis pro Nacht je Schiff. Die besten Preise offerieren Reedereien sechs bis drei Monate vor dem Ablegen. Kenner checken sie zuerst im Internet auf vacationstogo. com , kreuzfahrtberater.de oder kreuzfahrten.de. Die deutschen Seiten bieten Bordguthaben und eine Alarmfunktion, sobald der Preis sich ändert. Allerdings kennen die Berater oft nur wenige Schiffe aus eigener Erfahrung. Quellen: Kreuzfahrtguide 2015; e-hoi; FOCUS Passagierzahl 56 10 5000 21 46 53 4000 59 54 28 51 17 23 65 34 50 3000 22 18 19 20 55 7 47 49 2000 77 3 6 5 2 30 8 60 42 41 29 48 1 24 Illustration: Tim Lund/Image Source IN FOGRA FIK 1000 62 63 40 12 4 45 9 58 Preis pro Nacht 100 Euro 61 44 43 11 13 15 200 Euro 26 14 25 71 52 37 35 300 Euro 27 68 64 76 74 75 78 400 Euro 500 Euro 600 Euro 73 31 39 38 36 16 66 700 Euro 32 33 69 67 800 Euro 70 57 72 79 900 Euro Aidaaura & Aidavita; 2 Aidabella; 3 Aidablu & Aidasol; 4 Aidacara; 5 Aidaluna & Aidadiva; 6 Aidamar; 7 Aidaprima; 8 Aidastella; 9 Albatros; 10 Allure of the Seas; Amadea; 12 Artania; 13 Astor; 14 Azamara Journey & Quest; 15 Berlin; 16 Bremen; 17 Carnival Sunshine; 18 Celebrity Reflection; 19 Celebrity Silhouette, Solstice, Eclipse & Equinox; 20 Color Fantasy & Magic; 21 Costa Diadema; 22 Costa Fascinosa 23 Costa Favolosa; 24 Costa neoRiviera und neoRomantica; 25 Crystal Serenity; 26 Crystal Symphony; 27 Deutschland; 28 Disney Dream & Fantasy; 29 Disney Wonder; 30 Eurodam; 31 Europa; 32 Europa 2; 33 Fram; 34 Freedom of the Seas; 35 Hamburg; 36 Hanseatic; 37 Insignia; 38 L’Austral & Le Boréal; 39 Le Soléal; 40 Marina; 41 Mein Schiff 1; 42 Mein Schiff 2; 43 Mein Schiff 3; 44 Mein Schiff 4; 45 Midnatsol; 46 MSC Divina & Preziosa; 47 MSC Fantasia; 48 MSC Lirica & Armonia; 49 MSC Magnifica & Poesia; 50 MSC Preziosa; 51 MSC Splendida; 52 Nautica & Regatta; 53 Norwegian Epic; 54 Norwegian Getaway & Breakaway; 55 Norwegian Jade; 56 Oasis of the Seas; 57 Ocean Diamond; 58 Ocean Majesty; 59 Quantum of the Seas; 60 Queen Elizabeth; 61 Queen Mary 2; 62 Queen Victoria; 63 Riviera; 64 Royal Clipper; 65 Regal Princess & Royal Princess; 66 Sea Cloud; 67 Sea Cloud II; 68 Seabourn Quest; 69 SeaDream I; 70 SeaDream II; 71 Seven Seas Mariner & Voyager; 72 Silver Explorer; 73 Silver Spirit; 74 Star Clipper; 75 Wind Star; 76 Star Flyer; 77 Westerdam; 78 Xpedition; 79 50 Years of Victory. 1 11 FOCUS 2/2015 105 TITEL „Sterne taugen nichts“ Der Schiffskenner und Kritiker Pascal Wepner über die Suche nach dem idealen Platz auf dem Meer und über den Unsinn klassischer Bewertungen Pascal Wepner, 30, startete 2011 den inzwischen reichweitenstärksten deutschen Kreuzfahrtblog Schiffeund-Kreuzfahrten.de. Er ist bekannt für seine schonungslosen Berichte über große und kleine Pannen auf dem Wasser und testete selber etliche Schiffe und Routen – im Bild mit der „MS Delphin“ in der Antarktis Es kommt auf den Menschen und die Erwartungen an den Urlaub an. Suche ich Erholung und Ruhe, bin ich auf einem Klassiker wie der „MS Berlin“, der „MS Astor“ oder den Phoenix-Schiffen besser aufgehoben, auf denen noch klassische Kreuzfahrten durchgeführt werden. Familien oder Leute, die Abwechslung suchen, werden wohl auf größeren Schiffen, wie „Aida“, „Mein Schiff“, „MSC“ oder „Costa“ eher auf ihre Kosten kommen. Was ist anders auf den großen? Sie bieten mehr Abwechslung, angefangen bei mehr Animation bis hin zu Eislaufbahnen, Autoscootern oder Surfsimulatoren. Die großen Schiffe kann man teils mit eigenen kleinen Städten vergleichen, wo es nahezu alles an Bord gibt. Sollte man auf die Meinung anderer Gäste zu den Schiffen etwa in Blogs hören? Es kommt auf den Verfasser an! Sicher bekommt man einen guten Überblick über die Möglichkeiten an Bord eines Schiffes, allerdings würde ich auf Empfehlungen von Leuten, die keinen Vergleich haben, nichts geben. Eine objektive Darstellung ist mehr wert als persönlicher Geschmack. Die bekommt man nur, wenn man den Markt kennt und vergleicht. wie Getränke, Landausflüge oder Wellness checken. Landausflüge kann man oft selber günstiger organisieren. Nur muss man dabei aufpassen, das Schiff noch rechtzeitig vor dem Auslaufen wieder zu erreichen – es wartet nämlich nur auf die Landausflügler, die auch an Bord gebucht haben. Der Trend geht klar zum Schiff. Die neue „Aidaprima“ und andere große Schiffe sind selbst die Destination, oft wird auf Grund des Schiffes über die Reise entschieden. Mehr Routenvielfalt bieten die Klassiker, die leider mehr in den Hintergrund rücken. Absolut gar nichts. Man kann aus guten Gründen anzweifeln, ob die Autoren wirklich unabhängig von den Reedereien sind. Sternebewertungen, wie man sie an Land kennt, sind auf Kreuzfahrtschiffe nicht übertragbar. Da erhält eine „MS Berlin“ genauso viele Sterne wie eine „Oasis of the Seas“ – die Kunden glauben, die Schiffe seien vergleichbar, buchen eins und sind enttäuscht, weil die „Berlin“ eben ein kleiner Klassiker und weniger eine riesige Unterhaltungsstadt ist. Was ist dann bei der Auswahl wichtiger: Schiff oder Route? Was sagt der Kabinenpreis über die Qualität eines Schiffes aus? Nichts. Dumpingpreise und hohe Rabatte sagen etwas über Angebot und Nachfrage aus. Die Reedereien steuern nach, um ihre Schiffe zu füllen. Keine Angst muss man haben, dass wegen der Rabatte das Essen schlechter wird oder nicht alle Häfen angefahren werden. Solche Rabatte gehören zur Gesamtkalkulation, das ist vollkommen normal. Meist bekommt man die Kabine aber zugeteilt, ohne Wahlmöglichkeit. Muss man sich als Normalzahler also ärgern? Rabatte sind in einzelnen Fällen grenzwertig. Ich habe einmal 2000 Euro bezahlt, dann traf ich eine Menge Leute, die kurzfristig nur 300 Euro für dieselbe Kreuzfahrt gezahlt hatten. Da sind Ärger und Unmut unter den Passagieren schon programmiert. Neulinge fürchten sich vor Kostenfallen an Bord. Wo lauern die? Die gibt es nicht mehr. Im Reisepreis ist grundsätzlich Vollpension enthalten, übers Internet kann man vorher gut die Nebenkosten 106 Was ist von Schiffsbewertungen mit Sternen oder Punkten zu halten? Das größte Risiko einer Kreuzfahrt seien die Mitreisenden, lautet eine Weisheit. Zu Recht? Und wie! Ich habe auf echt tollen Schiffen schon Horror-Trips erlebt mit Gästen in Badekleidung beim Abendessen oder Prügeleien um Liegen. Andererseits gab es auf einem rostigen Kahn mal eine so tolle Stimmung unter allen Mitreisenden, dass keiner mehr von Bord wollte. Verraten Sie uns Ihr Lieblingsschiff? Das ist schwierig, aber die Klassiker finde ich schon toll: Man kennt die Crew, und es ist ein bisschen wie nach Hause kommen. Andererseits hat im Massenmarkt die „Mein Schiff 3“ definitiv Maßstäbe gesetzt. Mit Kindern sind „Costa“ und „MSC“ super, die haben die beste Hardware dafür. ■ INTERVIEW: MATTHIAS KOWALSKI FOCUS 2/2015 Foto: privat; Cartoon: Jörg Saupe Herr Wepner, wie finden KreuzfahrtNeulinge die passende Schiffsreise? Schwimmender Rasen „Celebrity Eclipse“ An Bord gedeihen auf Deck 15 tatsächlich 2000 Quadratmeter echter Rasen. Der sogenannte „Lawn Club“ bietet sich an für Picknicks und Barfuß-Spaziergänge Kuriositäten auf und unter Deck Fotos: Michel Verdure/Celebrity Cruises (1) Reedereien lassen sich viel einfallen, um Kreuzfahrer zum Staunen zu bringen. Superlative von der ersten Brauerei bis hin zur längsten Wasserrutsche beflügeln die Entertainment-Branche auf dem Meer An Bord braut sich was zusammen „Aidablu“ Andreas Hegny war der erste Braumeister auf hoher See: 2010 zapfte der damals 27-Jährige sein Meeres-Bier erstmals auf der „Aidablu“. Das kühle Rotblonde unterliegt selbstverständlich dem deutschen Reinheitsgebot – nur Wasser, Hopfen, Malz und Hefe. Letztere züchtet er an Bord selber, und das „schön weiche Wasser“ sprudelt frisch aus der Meerwasserentsalzungsanlage. Bis zu 600 Liter kann er täglich in seinem schwimmenden Brauhaus herstellen, darunter ein „Aida Zwickel“ und ein Aktionsbier. Passagiere können ein Braudiplom erwerben FOCUS 2/2015 Hund und Katz auf See „Queen Mary 2“ Tiere verboten? – nicht auf der „Queen Mary 2“: Mehr als 500 Hunde hat sie seit 2004 über den Atlantik geschippert 107 TITEL Ums ganze Schiff herum rutschen „Disney Dream“, „Disney Fantasy“ Durchsichtige Wasserrutschen namens „Aqua Duck“ sind der Hit auf den „Disney“-Schiffen: 233 Meter lang gleitet man durch Kreisel und Tunnelstrecken auf Doppelsitzer-Matratzen um das Schiff. Am lautesten quieken die Erwachsenen, die ihre Kinder in den Kurven festhalten Wellenreiten Fotos: Simon Dawson/Getty Images; shutterstock; Blaine Harrington III/Corbis; Martin Moxter/ ALIMDI.NET; Michel Verdure/Seabourn; Michel Verdure/AP Photo; Vignetten: Jörg Saupe „Quantum of the Seas“ Der Flow-Rider lässt Surf-Feeling aufkommen: Egal, ob stehend oder liegend, jeder wird hier richtig nass. Im Hintergrund die Flugröhre iFly, in der man über einer Windturbine schwebend die Schwerelosigkeit testen kann Private Paradiese Duschbalkon „Celebrity Reflection“ Meer Aussicht geht kaum: Die Dusche der „Reflection“Suite hängt weit ausladend über dem Wasser. Bleibt nur die Frage, ob der Ausblick von innen oder der Einblick von außen besser ist 108 Einige Reedereien besitzen private Inseln oder Strände für Kreuzfahrer, z. B. auf den Bahamas (Royal Caribbean, Carnival, Disney, Princess, Norwegian) oder Catalina Island/ DomRep (Costa; Foto) Pool im Schlepptau „Seabourn Odyssey“ Heckklappe auf, und ab ins Wasser: Der schnellste Weg ins Meer führt über die eigene Schwimmplattform kleinerer Kreuzfahrtschiffe. An Land wird mit Booten gerudert, getreten oder auch gesegelt FOCUS 2/2015 Das Langweiligste an einer Kreuzfahrt sind die fremden Länder. Alles wie zu Hause, nur voller und mit besserem Wetter Erholung auf See Jetzt die tte lflo Wohlfüh en. buch von Harald Schmidt Fotos: Michael Tinnefeld/ Agency People Image W er wirklich Ergen. Da hat man bei holung sucht, der Buchung nicht sollte das Schiff aufgepasst, und nicht verlassen. Es schon verkümmert sei denn, er möchman in einer Kabine auf der falschen te gleichzeitig mit den fünfzehntauSeite, ohne „beim send Passagieren Aufwachen auf die von sechs ameri- Kreuzfahrt ahoi Oper zu gucken“. kanischen Schif- Harald Schmidt Wir empfehlen fen, die ebenfalls ist Kolumnist, einen Prozess gein Nassau (Baha- TV-Entertainer gen den Reisevermas) vor Anker lie- und Schiffsanstalter. Oder den gen, Kaffee trinken reisenkenner Architekten. Ganz schlimm erwischt gehen. Oder er hat Lust auf es allerdings Globetrotter, eine Inselrundfahrt über die erst an Bord merken, Bali inklusive vierstündidass zwischen Southampger Tanzdarbietung mit ton und New York fünf anschließendem SchmuckTage durchgebrettert wird. verkauf. Von der KreuzKeine romantische Bucht, fahrtdirektion an Bord kein authentisches Hafenrestaurant, nix. Wäre nicht angeboten unter „Landausab und zu mal Windstärke flüge“. Nein, der wahre Luxus neun oder drei Tage Dauerbeginnt, wenn nur noch nebel, man hätte gar keine Abwechslung. vier Passagiere an Bord sind und der Rest sich Jamaika Wer Kreuzfahrten liebt, anguckt. Oder in Chile eine aber das Meer als störend Busfahrt unternimmt. empfindet, dem empfehlen wir das Mittelmeer. Das Rote Kreuz weiß, warum es dem Bus mit Fünf Tage, das Schiff fährt zwei Wagen hinterherfährt. überwiegend nachts, und tagsüber kann man Rom, Viele Kreuzfahrer werden unruhig, wenn das Schiff Florenz oder Portofino beetwa drei Tage am Stück sichtigen. Außer es ist Stau. von Darwin nach DenpaUnd nicht wundern: In der sar fährt. Immer nur Wasser! letzten Nacht zwischen Monte Carlo und Nizza Dabei ist es eine Traumfährt das Schiff in Zeitlupassage, mehr Sonnenaufgang geht nicht. Aber selbst pe auf der Stelle vor und auf der vielleicht schönsten zurück, um noch eine ÜberReise, von Tahiti nach Sydnachtung rauszuschinden. ney, drohen EnttäuschunAll inclusive! FOCUS 2/2015 „Ich träum’ jetzt schon vom Mittelmeer.“ Sichern Sie sich Ihre Lieblingsroute zum Wunschtermin. Sommer 2015: noch mehr Mittelmeer-Routen warten auf Sie! Jetzt unter www.tuicruises.com oder in Ihrem Reisebüro. MITTELMEER MIT IBIZA Mein Schiff 2 Mai bis Oktober 2015 10 Nächte ab 995 €** *Im Reisepreis enthalten sind ganztägig in den meisten Bars und Restaurants ein vielfältiges kulinarisches Angebot und Markengetränke in Premium-Qualität sowie Zutritt zum SPA & Sport-Bereich, Kinderbetreuung, Entertainment und Trinkgelder. | ** Flex-Preis (limitiertes Kontingent) p. P. bei 2er-Belegung in einer Innennkabine ab/bis Mallorca. TUI Cruises GmbH · Anckelmannsplatz 1 · 20537 Hamburg NahostKost Die neue israelische Küche ist ein crosskulturelles, kulinarisches Fest. Dank Szene-Stars wie Yotam Ottolenghi gilt sie auch in deutschen Restaurants und Küchen als heißester Food-Trend Lässiger Genießer In seinen Gerichten vermischt Ottolenghi jüdische und palästinensische Traditionen zu ganz neuen Geschmackserlebnissen 110 LEBEN & GENIESSEN Fotos: Jay Brooks/The Guardian; Jonathan Lovekin/Dorling Kindersley Verlag W ann genau aus dem Geheimtipp ein Trend wurde, lässt sich am besten an den Kochbuch-Bestseller-Listen ablesen. Jahrelang stand dort auf den Plätzen eins bis drei vor allem ein Name: Jamie Oliver. Dann pirschte sich von unten ein anderer Koch mit seinen Rezepten an – Gerichte, die so ganz anders klangen als die Wohlfühl-Pasta-Menüs des britischen Stars: Baba Ganusch mit Ziegenjoghurt und Chili. Panierte Oliven mit scharfer Joghurtsoße. Mujadara aus Reis und Linsen. Als dann auch noch kurze Zeit später jeder Buchhändler den Namen Yotam Ottolenghi unfallfrei aussprechen konnte, war klar: Israelisch kochen ist in – und die Food-Szene hat einen neuen Star. Der sitzt im coolen Hotel „The Flushing Meadows“ im Münchner Gärtnerplatzviertel, schwärmt ausgiebig von der bayerischen Küche, die er am Vortag in Form von Knödeln und Schweinebraten genossen hat, und versucht dann wortreich, das neuerdings so große Interesse an Tahinisoße und Kichererbsenmus zu erklären: „In den letzten Jahren kochten die Hobbyköche in Europa und Amerika italienisch, spanisch, griechisch und afrikanisch, aber der Geschmack der arabischen Welt ist noch neu und unentdeckt“, sagt er. „Und nun bringen israelische Köche den Nahen Osten schmackhafter und westlicher auf die Teller Europas, als die meisten es aus den KebabShops rund um die Hauptbahnhöfe kennen.“ Ottolenghi kombiniert die Kochtradition der Juden aus aller Welt mit Zutaten und Garmethoden der Palästinenser: aus Osteuropa den Babka-Kuchen, ein köstliches Hefegebäck mit einer Menge Schokolade, von den Juden aus Libyen wunderbare Fischgerichte mit vielen Gewürzen und Tomaten, aus palästinensischen Küchen Kichererbsen und Sesam – fertig ist das köstliche crosskulturelle FOCUS 2/2015 Panierte Oliven mit scharfer Joghurtsoße Typisch Ottolenghi: Für dieses Rezept aus seinem neuen Kochbuch (siehe unten) hat er sich von der jüdischen Gastro-Szene in New York inspirieren lassen Kulinarik-Experiment namens New Israeli Cuisine. Die Herkunft des 46-jährigen Starkochs ist eine ähnlich wilde Mixtur wie die Zutaten vieler seiner Gerichte: Ottolenghis Mutter ist eine deutschstämmige Jüdin, sein Vater Italiener, geboren und aufgewachsen ist er in Jerusalem, dieser Stadt, „die immer zurückschaut, nie nach vorn“. Nichts für junge Leute: Über Tel Aviv ging Ottolenghi nach London und begann seine kulinarische Karriere bescheiden mit einem Imbiss im Londoner Stadtteil Notting Hill. Mittlerweile regiert er ein Gastro-Imperium mit drei edlen Bistros, dem Restaurant „Nopi“, einem Catering-Service, eigenen Feinkostprodukten, er schreibt eine Food-Kolumne für den „Guardian“ und jährlich einen Kochbuch-Bestseller. Mit dem „Jerusalem-Kochbuch“ setzte er seiner alten Heimat vor zwei Jahren ein Denkmal – und stieß eine Debatte über die Peacekeeper-Qualitäten von Humus an. Denn Ottolenghi hat das Buch gemeinsam mit seinem palästinensischen Geschäftspartner Sami Tamimi geschrieben: „Im Nahen Osten ist eben jeder Bissen politisch“, sagt er und zuckt fast entschuldigend mit den Schultern. Sicher macht auch diese politische Komponente die neue israelische Küche gerade für viele weltoffene Großstädter so interessant – und vielleicht ist Ottolenghis Philosophie, aus allen Kulturen das Beste zu einem großartigen Ganzen zu vermischen, auch kein ganz schlechtes Rezept für die Krisenregion Naher Osten. Die „New York Times“ jedenfalls rief, nachdem im Big Apple binnen kürzester Zeit ein Dutzend neuer jüdischer Delis im Ottolenghi-Stil eröffnet hatten, das „goldene Zeitalter für die morgenländische Küche im Abendland“ aus. Und auch in den Szenevierteln vieler europäischer Großstädte lässt es sich tafeln wie in einem osteuropäischen Schtetl oder in den engen Gassen der Jerusalemer Altstadt. Im Restaurant „Maxie Eisen“ im Frankfurter Bahnhofsviertel zum Beispiel – der Namensgeber war ein Mitglied der „Kosher Nostra“, der jüdischen Mafia im Amerika der 30er-Jahre: Hier gehören Pastrami-Sandwiches und Matzeballsuppe zu den beliebtesten Gerichten. Oder hoch über dem revitalisierten Berliner Westen, im Designhotel „25hours“: Genau wie das nebenan gelegene Lifestyle-Kaufhaus Bikini spricht das Restaurant „Neni“ eine Kundschaft an, die das Neueste vom Neuen will. Haya Molcho, 111 LEBEN & GENIESSEN 112 Haya Molcho Seit einem Jahr betreibt die Köchin aus Tel Aviv das Restaurant „Neni“ im hippen Berliner Hotel „25hours“: israelisch, jung, urban, unprätentiös und ständig ausgebucht Ofir Graizer Der israelische Koch und Filmemacher will die Gerüche und Genüsse seiner Heimat nach Deutschland bringen. Mit großem Erfolg: Die Warteliste für seine Kochkurse in Prenzlauer Berg ist lang „Maxie Eisen“ Cool und köstlich: Das Frankfurter Restaurant lädt zu Pastrami-Sandwich und Matzeballsuppe wie man Falafelbällchen rollt. Der Kurs „Jerusalem Street Food“ im Goldhahn und Sampson in Berlin-Prenzlauer Berg ist ständig ausgebucht. Koch Ofir Graizer, der eigentlich Filmemacher ist, glaubt, dass das zum Teil an Ottolenghis Büchern liegt, aber auch an der Raffinesse der vielfältigen Gemüserezepte, die Jerusalems Straßenküche ausmacht. Beim Schnippeln und Brutzeln geht es in Graizers Schulküche immer sehr lebendig zu:. „Essen ist eine sehr persönliche Erfahrung, wir reden viel über unsere Herkunft, unsere Familien“, sagt der 33-Jährige. Kochen und Essen verbindet – das ist ja auch Ottolenghis Nahost-Credo. Bis vor Kurzem jedenfalls glaubte Graizer, die Lust an der Küche aus dem Nahen Osten sei nur eine kurzlebige Kochmode. Seit er bei einem LebensmittelDiscounter aber die Sesampaste Tahini direkt neben Spreewaldgurken gesichtet hat, ist er sich sicher: Dieser Trend bleibt. ■ ELKE HARTMANN-WOLFF / BARBARA JUNG FOCUS 2/2015 Fotos: Peter Rigaud/laif; Peter M. Mayr; Picasa; Steve Herud 59, geboren in Tel Aviv, hatte den richtigen Instinkt, als sie vor zehn Jahren in ihrer Wahlheimat Wien begann, israelisches Catering anzubieten. Auch wenn es damals eher die Sehnsucht nach einem Stück Heimat in der Fremde war, die die Psychologin dazu motivierte. Heute betreibt sie gemeinsam mit ihren vier Söhnen drei Restaurants mit dem Namen „Neni“ in Wien, Zürich und Berlin. „Authentisch“ nennt Molcho den Mix in ihren Läden: „Wir sind urban, aber nicht stylish.“ Ihr Berliner Restaurant lädt im 10. Stockwerk mit grandiosem Blick über Zoo und City West in einem Ambiente zwischen Loft und arabischem Souk zum lässigen Genuss: Aus der Küche duftet es nach exotischen Gewürzen, der Gast sitzt gemütlich auf seinem Kelim-Kissen und futtert sich durch Auberginen-Püree, aromatisches Lamm oder Tel Aviver Sabich, eine Art GemüseDurcheinander. Fine Dining ist das nicht: Alle Töpfe werden unprätentiös auf den Tisch gestellt, jeder probiert von allem. Trotzdem muss, wer im „Neni“ essen möchte, gut planen: Ein Jahr nach der Eröffnung sind die Tische immer noch Wochen im Voraus reserviert. Selbst eher konservative Gourmet-Restaurants wie „Feinkost Käfer“ im teuren MünchenBogenhausen laden neuerdings zur israelischen Food-Night. Tom Franz, ein Deutscher, der es in seiner Wahlheimat Israel durch den Sieg in einer TVKochshow zu einiger Berühmtheit gebracht hat, kredenzt dort unter anderem Traditionsgerichte wie Fisch-Kebab – zu koscherem Wein, versteht sich. Mit den religiösen jüdischen Speisevorschriften nehmen es die Foodies nicht so genau. Sie diskutieren lieber darüber, wo es die frischesten Zutaten für die Rezepte des neuen OttolenghiBestsellers „Vegetarische Köstlichkeiten“ zu kaufen gibt. Auch in vielen Kochschulen wird mittlerweile unterrichtet, Buch & Bar „SUV zum Anziehen“ Dani Reiss produziert in Kanada polartaugliche Jacken. Nun tragen hippe Großstädter sein Label Canada Goose durch die Szeneviertel. Ein kurzes Gespräch über Freiheit und Abenteuer Mr Reiss, warum tragen neuerdings so viele Städter polartaugliche Kleidung? Diese Jacken sind wie ein Land Rover zum Anziehen. Die wenigsten Menschen, die mit ihrem SUV durch die Stadt fahren, kurven damit jemals im Gelände. Allein der Gedanke an die Möglichkeit gibt ihnen das Gefühl von Freiheit. So ist es wohl auch mit den Jacken. Das Abenteuer findet im Kopf statt. Fotos: Carmen Cheung; Wolf Heider-Sawall für FOCUS-Magazin Illustration: KAFI für FOCUS-Magazin Seit einigen Jahren wächst Ihr Unternehmen sehr schnell. Wie erklären Sie sich diesen Erfolg? Die Leute wollen echte Dinge kaufen: Schweizer Uhren, deutsche Autos, kanadische Winterjacken. Diese Produkte versprechen eine Qualität, die sich auch mit dem besten Marketingteam nicht nachahmen lässt. Das Bedürfnis nach Kleidung, die nicht in fünf verschiedenen Fabriken in China zusammengenäht wird, ist groß. Ihr Großvater stammt aus Polen. Wie kam er darauf, in Kanada eine Firma für Winterjacken zu gründen? Meine Oma hat ihn 1957 dazu überredet. Mein Opa arbeitete zunächst als Zuschneider für andere Firmen. Sein eigenes Unternehmen nannte er Metro Sportswear. Mein Vater hat die Firma dann in Canada Goose umbenannt und sich die Sache mit der Daunenfüllung ausgedacht. Tierschützer kritisieren, dass Sie für die Kapuzen echtes Kojotenfell verwenden. Ich weiß, aber das gehört zu unserer Tradition. Unsere Felle kommen aus dem Norden Kanadas, wo sich die Einwohner schon seit Jahrtausenden mit Kojotenfell gegen die Kälte schützen. So wie die meisten von uns seit eh und je Schuhe aus Leder tragen. Das ist der Kreislauf des Lebens. Was soll daran plötzlich falsch sein? FOCUS 2/2015 Vielleicht, dass man in BerlinMitte oder Düsseldorf eben kein Kojotenfell braucht? Wir produzieren Funktionsjacken, egal, wer sie später wo trägt. Künstliches Fell funktioniert nicht, es friert ein, wenn es nass wird. Bei uns gibt es so viele Kojoten, dass der Bestand kontrolliert werden muss – wie der Wildschweinbestand in deutschen Wäldern. Seit vorigem Jahr sponsern Sie die Berlinale. Wie passen OutdoorJacken und roter Teppich zusammen? Canada Goose hat eine lange Tradition in der Filmbranche: An jedem Filmset, an dem es kalt ist, tragen die Leute unsere Jacken. Mittlerweile haben es einige Exemplare auch vor die Kamera geschafft. Wir fühlen uns der Filmindustrie verbunden. Deswegen die Zusammenarbeit mit der Berlinale – dem Filmfest, bei dem es am kältesten ist. Cannes im Mai wäre ein bisschen albern gewesen. Kühler Kopf, warme Ohren Canada-GooseChef Dani Reiss, 41, führt das kanadische Familienunternehmen seit 2001 in dritter Generation. Er machte aus dem OutdoorSpezialisten – Markenzeichen Kojotenfell – ein erfolgreiches LifestyleLabel. FOCUS-Literatur-Redakteur Uwe Wittstock über zart melancholisches Lesen und Trinken Also, Balzac ist nicht nur ein Coffee-Shop! Kürzlich traf ich einen Kollegen beim Wein. Er machte einen seelisch leicht zerzausten Eindruck. Gerade hatte er gehört, wie brutal der Ex-Abgeordnete Edathy den befreundeten NochAbgeordneten Hartmann bloßstellte. „Ihr habt’s gut, ihr aus der Kultur“, sagte er, „diese Politik, dieses Berlin . . .“, schüttelte den Kopf und murmelte was von „Schlangengrube“. „Du solltest“, empfahl ich ihm, „mal Balzacs ‚Verlorene Illusionen‘ lesen.“ Okay, der Roman ist rund 180 Jahre alt, wurde aber jetzt glänzend neu übersetzt von Melanie Walz (Hanser, 39,90 Euro): Lucien, ein junger Poet, kommt aus dem kleinen Angoulême ins große Paris. Der Kulturbetrieb dort dreht ihn durch den Wolf, bis er vom Idealisten zum Zyniker mutiert. „Verglichen damit ist Berlin ein Kloster und Edathy Moraltheologe“, sagte ich. „Und das Beste an dem Buch: Nichts von dem, was Balzac beschreibt, hat sich geändert. Der Roman ist wie ein Live-Bericht aus dem Kulturzirkus von heute.“ Der Kollege schaute skeptisch. Aber dann suchte er uns einen wunderbar geschmeidigen Rotwein aus, um seine Melancholie zu ertränken: eine Flasche Domaine du Grollet (www.valmour. de/pflege-produkte/rotwein-infine,566). Denn der kommt aus der Charente bei Angoulême, der Heimat Luciens, wo es sonst eigentlich nur Weißwein, Pineau oder Cognac gibt. INTERVIEW: BARBARA JUNG 113 LEBEN & GENIESSEN 3 4 5 2 1 Künstliche Wolke 1 Wasser wird unten durch Düsen in den drei Meter hohen Ballon eingeleitet und zu einem 2 feinen Nebel zerstäubt. 3 Winzige Eisplättchen dienen als Keime, an denen sich die Tröpfchen anlagern. So entstehen wie in einer echten Wolke natürliche Eiskristalle. 4 Die Kristalle vereinigen sich zu Schneeflocken, die wegen ihres höheren Gewichts 5 nach unten aus der Wolkenkammer fallen. So entstehen bis zu 15 Kubikmeter Schnee pro Stunde. 114 FOCUS 2/2015 TECHNIK Let it snow! Mit gigantischen Kunstschnee-Anlagen wollen Skigebiete in den Alpen dem Klimawandel trotzen. Der Schneemangel gefährdet ihre Existenz. Doch jetzt erproben Entwickler Technologien, aus denen es viel umweltschonender schneit Innovation Entwickler Michael Bacher (r.) erzeugt echten Pulverschnee in einer ballonartigen Konstruktion Fotos: pro.media; Siepmann/ALIMDI.NET W FOCUS 2/2015 ie ein weiß-grünes Raumschiff steht Michael Bachers Freiluftlabor auf drei dünnen Metallbeinen neben der Liftstation im Edel-Skigebiet Obergurgl, Österreich. Die Skifahrer rasen daran vorbei, ohne die Konstruktion zu beachten. Dabei könnte die Erfindung des Ingenieurs dazu beitragen, dass die Touristen ihrer Leidenschaft auch noch in Zukunft frönen können. Selbst Mitte Dezember ist vom Wintereinbruch noch nicht viel zu spüren. Statt weißer Weihnacht herrscht im Flachland Frühlingsstimmung, und sogar auf knapp 2000 Metern am hinteren Ende des Tiroler Ötztals ist der Schnee rar. Die Skipisten ziehen sich wie dünne weiße Bahnen ins Tal, links und rechts sind nur schmutzig-braune Wiesen zu sehen. Die deutschen Seilbahnbetreiber nehmen pro Saison im Schnitt mehr als 380 Millionen Euro ein. In Österreich betrug der Umsatz an den Liftkassen im vergangenen Winter rund 1,2 Milliarden Euro. Doch ohne Schnee bleibt das Geld der Touristen weg. VIDEO Seite scannen mit FOCUS ACTIVE APP Wie in der Natur erzeugt die Wolkenkammer Schneekristalle. Sonst besteht Kunstschnee aus Klumpen Deshalb werden immer aufwendigere Kunstschnee-Anlagen installiert. Kilometerlange Leitungssysteme durchziehen Almwiesen. Für die riesigen Reservoirseen, die bis zu 100 Millionen Liter Wasser fassen, werden Hänge abgetragen, betoniert und wieder überdeckt. Seit 2008 haben Österreichs Seilbahnen mehr als 800 Millionen Euro in die Schneegarantie investiert. Doch laut einer Studie der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung könnte der Klimawandel all diese Anstrengungen zunichtemachen. Bei einer angenommenen Erwärmung um zwei Grad würde von den etwa 40 Skigebieten in Süddeutschland nur noch ein knappes Drittel als schneesicher gelten. Bei einem vier Grad wärmeren Klima wäre lediglich der Gletscher auf der Zugspitze befahrbar. In Österreich und der Schweiz würden bis zu 70 Prozent der Skigebiete verschwinden. Die Liftbetreiber greifen deshalb zu verzweifelt anmutenden Mitteln. Für Großereignisse wird Schnee 115 schon mal per Lkw-Kolonne angeliefert, mancherorts lagert er den Sommer über unter Plastikplanen. Höchste Zeit für ein bisschen Innovation. Über eine wacklige Metallplanke geht es ins Innere der „Wolke“, wie die Menschen im Dorf zu Michael Bachers Gebilde sagen. Und wenn man es nicht allzu genau nimmt, stimmt der Spitzname auch. Es handelt sich in Wahrheit um einen etwa dreieinhalb Meter großen giftgrünen Ballon, in dem Schnee nach natürlichem Vorbild erzeugt wird. Bacher, Ingenieur an der Universität für Bodenkultur in Wien, spricht von einer „Wolkenkammer“, in die mittels einer Düse Wassertropfen eingestäubt werden. Das Wasser trifft auf feine Eispartikel. Daraus wachsen dann die typischen symmetrischen Schneekristalle, sogenannte Dendriten. Haben sie eine gewisse Größe erreicht, fällt der Schnee aus dem Ballon herab. Wie eben in einer Wolke. Nachteil: Das funktioniert nur bei Temperaturen von maximal minus drei Grad. Diese Methode ist wesentlich eleganter als die herkömmliche Schneeproduktion. Die Kanonen und Schneelanzen, die an so gut wie jeder Piste stehen, „machen halt etwas, was auch weiß ist“, wie Michael Bacher ein bisschen abschätzig sagt. Der Unterschied zwischen den beiden Erzeugnissen lässt sich auf der Piste fühlen. Auf Knopfdruck erzeugt die Wolke den begehrten Pulverschnee, so fein und leicht, wie er sonst nur an wenigen Tagen im Jahr fällt. Aus den konventionellen Schneekanonen rieseln eher klein gestoßene Eisbröckchen. In den bayerischen Alpen können auf diese Weise 23 Prozent der Skipisten beschneit werden, in der Schweiz sind es 39 Prozent, und in Österreich liegt die Quote bei 60 Prozent. In der Summe sind das fast 250 Quadratkilometer – eine Fläche, etwa halb so groß wie der Bodensee. Dementsprechend hoch sind die Energiekosten. So benötigt eine Schneeanlage allein für eine 116 Schneelanzen machen diese Piste im bayerischen Lenggries befahrbar. Sie spucken eher klein gestoßene Eisklumpen als Kristalle aus Schmal und dünn Die KunstschneePiste Draxlhang bei Lenggries. Dem niedrig gelegenen Skigebiet fehlt oft Schnee Fläche von 20 Hektar im Durchschnitt 250 000 Kilowattstunden pro Jahr. Die dafür nötigen Investitionen zahlen die Skifahrer an der Liftkasse. Etwa zehn Prozent des Kartenpreises, so schätzt Michael Bacher, decken allein die Kosten für die Beschneiung. Bacher geht es deshalb auch um Effizienz. Denn mit den herkömmlichen Verfahren lassen sich aus einem Kubikmeter Wasser selbst bei idealen Bedingungen nur etwa zwei Kubikmeter Schnee produzieren. Bachers Wolke verspricht dagegen ein Verhältnis von 1 zu 15. Auch der Stromverbrauch der Wolke ist niedriger. „Pro Jahr werden in Österreich 120 Millionen Kubikmeter Schnee produziert“, so Bacher. „Wenn nur 20 Prozent davon aus unserem System kämen, könnte man 50 bis 60 Millionen Euro einsparen.“ Noch betreibt Bacher mit seiner Kunstwolke Grundlagenforschung, im nächsten Jahr will er mit seiner Firma Neuschnee einen serienreifen Prototyp entwickeln. Ein Tal weiter, Luftlinie gut zehn Kilometer entfernt, aber durch mächtige Gipfel von Obergurgl abgeschottet, arbeitet man auch am Pitztaler Gletscher daran, die Zukunft des Schnees zu sichern. Aber mit einer vollkommen anderen Philosophie. Schnee um jeden Preis, heißt es hier. Die dafür nötige Technik stammt ausgerechnet aus Israel. Dort entwickelte ein Unternehmen namens IDE Technologies Gerätschaften, die Bergwerke mit Schnee kühlen. Die dafür nötige Maschine ist ein riesiges Gewirr aus Pumpen, Rohren und Kühlkammern, 30 Tonnen schwer, mehr als elf Meter hoch ragt sie empor. Das passt nicht in die heimelige Alpenatmosphäre, deshalb hat man die siloartige Konstruktion in einer – auch nicht gerade ansehnlichen – Lagerhalle neben der Liftstation versteckt. Die Schneefabrik pumpt Wasser durch eine Vakuumkammer, dort entsteht ein eisiger Brei, der in einem Silo aufgefangen wird. Die Schneekristalle werden separiert, zum Schluss trägt sie ein Förderband ins Freie. Pistenraupen verteilen den Schnee dann auf dem gesamten Berg. 560 Tonnen erzeugt das Ungetüm pro Tag. Eine ähnliche Technik kam bereits in den Olympischen Winterspielen 2014 in Sotschi zum Einsatz. Bei Plusgraden. Wenn nötig, prahlt der Hersteller, könne er Schnee auch in der Sauna machen. ■ MICHAEL MOORSTEDT FOCUS 2/2015 Fotos: Regina Müller/ddp images; Falk Heller/argum TECHNIK LEBEN & GENIESSEN