Schwarzes Land – weißes Land
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Schwarzes Land – weißes Land
ALLIANZ GROUP Journal 15 Deutsche Ausgabe 2 | 2015 20 Weitab von allem Medizinische Versorgung am Ende der Welt Das Ende des Autos Rollende Computer auf dem Vormarsch Schwarzes Land – weißes Land Ibrahim Die Allianz in Südafrika Allianz Journal 2/2015 Reuters | picture alliance/dpa | Children’s Hospital Trust | Shutterstock Inhalt I MP RE SSUM Allianz Journal 2/2015 (Juni) Zeitschrift für Mitarbeiter der Allianz Gesellschaften Herausgeber Allianz SE Verantwortlich für den Herausgeber Emilio Galli-Zugaro Chefredaktion Frank Stern Layout volk:art51 Produktion repromüller Anschrift der Redaktion Allianz SE Redaktion Allianz Journal Königinstraße 28 80802 München Tel. 089 3800 3804 [email protected] Das für die Herstellung des Allianz Journals verwendete Papier wird aus Holz aus nachhaltiger Waldbewirtschaftung hergestellt. 15 20 48 In manchen Gegenden der Welt ist die medizinische Versorgung auch heute noch so rudimentär wie zu Zeiten Albert Schweitzers Sehnsucht nach Entmündigung? Das Google Car hat die Ära der rollenden Computer eingeläutet KURZ BERICHTET 4 Neues aus der Allianz Welt G LO B A L 10 Erbe und Erneuerung Die Allianz vor dem Neuanfang 13 Unbekannte Gewässer Neue Gefahren für die Seeschifffahrt 15 Weitab von allem Medizinische Versorgung am Ende der Welt 18 Unter Wasser Wenn die Flut durch die Bilanz rauscht S Ü DA F R I K A S PE Z I A L 32 »Tu was« Delphine Maidou und die Geister der Vergangenheit 38 Schwarzes Land, weißes Land Jan Hofmeyr vom Institut für Gerechtigkeit und Versöhnung über eine geteilte Gesellschaft 41 Kap der Tränen Das Kinderkrankenhaus in Kapstadt DEUTSCHLAND 20 Das Ende des Autos Rollende Computer auf dem Vormarsch 24 Steinbock überm Gebirge Slyrs: Whisky aus Bayern 28 Kein Platz für Hasardeure Das Buch zur Allianz 30 Kratzer im Selbstbild Unbequeme Fragen beim Public Dialog ASIEN 44 Spiele, Punkte und Rabatte Asien arbeitet an der digitalen Erfolgsformel 48 Zwischen Scharia und Moderne Die Allianz in Brunei MEINUNGEN 6 Leserbriefe 7 Die Welt aus den Fugen Wolfgang Ischinger über globale Konflikte und die Rolle des Westens 2 41 Fluch der Armut: Von Verbrühungen und Verbrennungen sind in Südafrika vor allem schwarze Kinder betroffen Bislang erschien Brunei wie eine Mischung aus »Tausendundeiner Nacht« und »Dallas«. Jetzt zieht der Sultan die Zügel an GESELLSCHAFT 52 Bis zur nächsten Katastrophe Der Alarmismus in der Umweltdebatte früherer Tage ist Gleichgültigkeit gewichen 55 Dilbert 3 Allianz Journal 2/2015 K U RZ B ERI C H T E T / Droits réservés. Document à caractère Allianz IARD - Entreprise régie par le Code des assurances. Société anonyme au capital de 991 967 200 euros. Siège social : 87, rue de Richelieu - 75002 Paris. 542 110 291 RCS Paris. publicitaire Vogelperspektive: Die Allianz Frankreich hat seit Februar fliegende Gutachter im Einsatz Als erster Versicherer in Frankreich schickt die Allianz Drohnen zur Schadenaufnahme in den Einsatz. Seit Februar nutzt der Firmenbereich der Allianz France die fliegenden Gutachter und ist nunmehr in der Lage, Schäden in unzugänglichen oder gefährlichen Gebieten, etwa nach Überschwemmungen oder Erdrutschen, schnell in Augenschein zu nehmen. Mit den Geräten können auch Gebäude, die nach einem Feuer vom Einsturz bedroht sind oder Dächer nach einem Hagelschlag auf Schäden untersucht werden, ohne dass die Gutachter dafür irgendwelche Risiken eingehen müssen. Auf gefährliche Kletterpartien oder schweres Gerät wie Hebebühnen, die bislang zum Einsatz kamen, kann damit künftig verzichtet werden. Club Marine auf Rettungsmission Noch während im April einer der schwersten Wirbelstürme des letzten Jahrzehnts an Australiens Ostküste tobte, begann das Katastropheneinsatzteam von Club Marine mit Sicherungsmaßnahmen und der Schadenaufnahme. Sofort, nachdem die ersten Meldungen über das Unwetter eintrafen, waren Einsatzkräfte von Australiens größtem Boots- und Yachtversicherer in den am schwersten betroffenen Regionen nördlich von Sydney unterwegs, um beschädigte Boote zu registrieren und Bergungsmaßnahmen einzuleiten. Eine Woche nach dem verheerenden Unwetter, bei dem vier Menschen ums Leben kamen, hatten die Mitarbeiter der Allianz Tochter bereits 240 Schadenmeldungen bearbeitet und 55 Bergungsaktionen abgeschlossen. Allianz Connect vor dem Start In wenigen Wochen geht das neue Intranet der Allianz Gruppe online, das nicht nur als passive Informationsquelle dienen, sondern auch Zusammenarbeit und Austausch innerhalb der Gruppe erleichtern soll. Der Zugang zu Informationen und Arbeitsgruppen, wie auch die Verbindung zu sozialen Netzwerken innerhalb der Allianz soll über die neue Plattform deutlich verbessert werden. Bei einer Befragung zum Namen des Intranets hatte sich zuvor eine deutliche Mehrheit für die Bezeichnung »Allianz Connect« ausgesprochen. Die Allianz Frankreich ist bei den Gold Argus Awards des Branchenmagazins Argus mit drei Goldmedaillen ausgezeichnet worden. Zwei davon gingen an die Schadenabteilung der französischen Allianz Tochter, unter anderem für den innovativen Service für gehörlose Kunden (siehe den Beitrag auf S. 5). Ebenfalls Gold erhielt der Bereich Marktmanagement für die Einführung eines Online-Tarifrechners für Kfz- und Haushaltversicherungen. Ludovic Pellegrini gewann mit seinem Allianz Symbol den Wettbewerb W W W.YO U T U B E .C O M/ WATC H ? v = a I u Fs7j P L f g H T T P S :// W W W.YO U T U B E .C O M/ WAT C H ? v = A r71h S p d z w M Die Allianz Bulgarien gehört zu den stärksten Marken in Bulgarien. Einer Umfrage der Marktforschungsagentur Superbrands zufolge ist die Allianz Bulgarien im Versicherungssegment die Nummer eins. 4 vu du ciel - Imp 02/15 - Réalisation Alloscan (Groupe Amalthéa) Pour en savoir plus, flashez-moi ! COM18777 - V02/15 Assurance Allianz Solution Votre expert symbolisiert das Allianz Logo mit Kreis und stilisiertem Adler. PERSONALIEN Witold Jaworski, Chef der Allianz in Polen, hat die Allianz im Februar aus persönlichen Gründen verlassen. Ron Buchan, Chef von Allianz Worldwide Care ist zum 31. März in den Ruhestand getreten. Seine Nachfolge trat Ida Luka-Lognoné an, zuvor im Exekutivkommittee von Allianz Worldwide Partners für Strategie, Innovation and Marktmanagement zuständig. Todor Todorov, zuvor Finanzchef der Allianz in der Slowakei, hat die Nachfolge von Marek Jankovic als Vorstandschef angetreten. Jankovic hat die Allianz aus persönlichen Gründen verlassen. Manfred Knof ist im April an die Spitze der Allianz Deutschland gerückt. Er folgte Markus Rieß nach, der das Unternehmen verlassen hat. W W W.C LU B M A R I N E .C O M . AU Petros Papanikolaou, zuvor Chef der Allianz Griechenland, ist neuer Chef der Region Mittelund Osteuropa. Die Funktion des Aufsichtsratsvorsitzenden der Allianz Griechenland behält er bei. Nachfolgerin wird Philippa Michali, die bislang im Vorstand der Allianz Griechenland für Marktmanagement und das Direktgeschäft zuständig war. Club Marine Außerdem ist die Allianz Italien vom Magazin Milano Finanza für ihre digitale Strategie und die Entwicklung einer modularen Produktpalette als innovativste Versicherungsgesellschaft des Landes ausgezeichnet worden. Allianz ItalienChef Klaus Peter Roehler erhielt den Titel »Elite-Versicherer des Jahres«. Die Allianz Frankreich hat im Dezember letzten Jahres einen Schadenservice für gehörlose Kunden gestartet. Er ermöglicht ihnen, über einen Videokanal direkt mit ebenfalls gehörlosen Sachbearbeitern der Allianz in Kontakt zu treten und per Zeichensprache Schäden zu melden oder den Stand einer Schadenbearbeitung abzufragen. Aktuell umfasst das Pariser Gehörlosenteam vier Mitarbeiter. Parallel zur Einführung des neuen Schadenservice hatte die Allianz Frankreich in sozialen Medien dazu aufgerufen, ein Zeichen für »Allianz« in Gebärdensprache zu entwickeln. Der Pariser Bibliothekar Ludovic Pellegrini ging aus dem Wettbewerb als Sieger hervor. Das von ihm kreierte Zeichen - Crédit photo : Fotolia Die Allianz Island zählt zu den finanzstärksten Unternehmen des Landes. Nach einer Untersuchung des Branchendienstes Creditinfo gehört die Allianz Tochter zu den knapp zwei Prozent, die die Liste der rund 34 000 in Island registrierten Firmen anführen. Die Allianz Italien ist zur besten Kfz-Versicherung unter zehn Versicherungsgesellschaften mit traditionellem Vertreternetzwerk gekürt worden. Laut einer Umfrage im Auftrag von Corriere Economia schnitt die italienische Gruppengesellschaft bei der Kundenzufriedenheit in allen fünf Kategorien – Produktangebot, Assistance, Kommunikation, Preis-Leistungsverhältnis und Schadenmanagement – am besten ab. drone C’est l’expertise de vos dommages. Allianz France Die Überflieger Allianz France AU S G E ZEI C HN E T Schadenservice für Gehörlose Ceci n’est pas I N T R A N E T@A L L I A N Z .C O M 5 K U RZ B ERI C H T E T Meinungen Tapan Singhel nahm den Preis für Erfolge im Mitarbeitergeschäft entgegen picture alliance / dpa Bei den diesjährigen Global Innovation Awards, die im März auf dem Allianz International in München vergeben wurden, ging Allianz Worldwide Care (AWC) in der Kategorie Digitalisierung mit ihrer My Health Mobile App als Sieger hervor. AWC setzte sich mit ihrer Anwendung gegen 17 andere Allianz Gesellschaften durch. Für die herausragende Zusammenarbeit zwischen lokalen und globalen Einheiten bei der Entwicklung eines länderübergreifenden Versicherungsprogramms für Fahrzeugflotten wurde die Allianz Großbritannien ausgezeichnet. Hier hatte es neun Bewerbungen aus sieben Ländern sowie von den globalen Einheiten Euler Hermes und Allianz Global Investors gegeben. Und beim erstmals vergebenen Preis für besonders erfolgreiche Initiativen im Mitarbeitergeschäft ging die indische Sachversicherungsgesellschaft Bajaj Allianz aus einem Feld von zwölf Anwärtern als Sieger hervor. Allianz Global Innovation Awards 2015 ALLIANZ GROUP Journal International Edition 1 | 2015 12 46 Leserbriefe “I’ve become more cautious” Allianz boss Michael Diekmann takes stock Europe’s soul A continent in crisis mode »Wohin, wohin soll ich mich wenden?« Eine Lanze für Juristen Mani Pillai von der Allianz UK in London zum Titelbild des letzten Allianz Journals: Es passiert nicht alle Tage, dass mich ein Versicherungsmagazin an den viktorianischen Poeten Robert Browning erinnert. Aber als ich die letzte Ausgabe des Allianz Journals auf meinen Schreibtisch bekam, murmelte ich unwillkürlich die Zeilen: »Wohin, wohin soll ich mich wenden?« Robert Browning lebte und starb in Italien, also ist es wahrscheinlich ganz passend, dass er mir in den Sinn kam, als ich die letzte Ausgabe vor mir liegen hatte. Hans-Peter Martin von der Allianz Deutschland in München geht auf den Artikel im letzten Journal zum Wechsel von Axel Theis in den Allianz Vorstand ein und bricht eine Lanze für Juristen: Wie darf ich denn Ihre Aussage im aktuellen Allianz Journal auf Seite 16 verstehen, dass es »ausgerechnet« (?!) ein Jurist war, der das Industriegeschäft in die Gewinnzone brachte? Trauen Sie das einem Juristen nicht zu? Gestatten Sie mir die Bemerkung, dass es der Allianz, solange sie überwiegend von Juristen geführt wurde, so gut ging, dass immerhin der heutige Konzern aufgebaut werden konnte. Journal_1_15_e_0302.indd 1 03.02.2015 15:09:24 Zu anstößig 6 Russland auf Konfrontationskurs, Terror im Nahen und Mittleren Osten, Klimawandel und die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich – gerät die Welt gerade aus den Fugen? Für den Chef der Münchner Sicherheitskonferenz und früheren deutschen Botschafter in den USA, Wolfgang Ischinger, ist die Lage ernst aber nicht aussichtlos – vorausgesetzt der Westen lernt aus seinen Fehlern. M ICHA EL G RIM M Herr Ischinger, in dem Politmagazin Foreign Affairs haben Sie kürzlich geschrieben, dass sich die Welt nach nichts mehr sehne, als nach Ordnung. Trauern Sie der Stabilität des Kalten Krieges nach? Im Augenblick müssen wir die Sorge haben, dass bestehende Ordnungen zerfallen, neue Ordnungen nicht oder noch nicht sichtbar werden und Ordnungsmächte ihre bisherigen Aufgaben nicht mehr in dem früheren Umfang wahrnehmen. Das ist die Diagnose. Sollte man deshalb aber der Stabilität des Kalten Krieges nachtrauern? Die Antwort lautet klar: nein. Die Stabilität des Kalten Krieges war eine Scheinstabilität, die weder moralisch, noch militärisch, noch politisch wirkliche Stabilität geboten hat. Wie wir inzwischen aus der Geschichtsschreibung wissen, haben wir den Kalten Krieg nur mit viel Glück überlebt. Nur aufgrund der Verkettung glücklicher Umstände ist es nicht zur großen Katastrophe gekommen. Diese Stabilität wünsche ich mir in der Tat nicht zurück. Auf der Münchner Sicherheitskonferenz 2015 stand im zweiten Jahr in Folge die Shutterstock Auch Joannica Dass von der Allianz Malaysia in Kuala Lumpur beschäftigte besonders das Titelbild: Ich schreibe wegen des Titelfotos im letzten Journal. Viele Kollegen hier freuen sich immer darauf, das Journal zu lesen. Das war diesmal nicht anders. Allerdings sorgte das Titelfoto hier in Malaysia doch für einiges Stirnrunzeln. Auch wenn die Statue ein Kunstwerk ist, ist es vor unserem asiatischen und malaysischen Hintergrund doch etwas anstößig. Wir schätzen Kunst auf andere Art. Die Welt aus den Fugen Ukraine im Mittelpunkt. Ist die UkraineKrise als Menetekel für die Weltordnung zu verstehen? Die Lehre aus der Ukraine-Krise ist, dass Weltordnung regionale Ordnung voraussetzt. In unserem Beispiel geht es um eine europäische Sicherheitsarchitektur, die nicht nur das Gebiet der NATO umfassen darf, sondern die natürlich auch Russland und andere frühere Mitgliedstaaten des Warschauer Pakts einschließen muss. Diese regionale Ordnung zu schaffen, ist die zentrale Aufgabe in Europa. Im Nahen und Mittleren Osten muss die überhaupt erst 7 M EI NUN G E N »Die Zweifel am westlichen System sind gewachsen.« Wolfgang Ischinger Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion musste sich Russland auf der weltpolitischen Bühne neu definieren. Hat der Westen Russlands Frust über den eigenen Bedeutungsverlust unterschätzt? Jein. Der Zerfall der Sowjetunion ist nun wirklich nicht vom Westen verschuldet worden. Dieses System ist aus sich heraus kollabiert. Die Vorgänge hat der Westen damals eher mit Sorge verfolgt. Heute propagieren in Russland manche die These, der Westen sei an allem schuld, nicht nur an Einkreisungsversuchen in der neueren Zeit, sondern auch am Zerfall der Sowjetunion. Das ist falsch. Ich glaube, dass wir den Phantomschmerz, der in Moskau nach dem Verlust des Imperiums empfunden wurde, nicht in all seinen Auswirkungen verstanden haben. Dazu gehört auch das Bedürfnis, sich mit Pufferstaaten zu umgeben, um sich sicher zu fühlen. Das ist ein Konzept aus dem 19. Jahrhundert, dem Russland aber heute wieder mehr denn je zu vertrauen scheint. Ja, das haben wir nicht ernst genug genommen. Kürzlich hat der US-Außenminister Moskau besucht. Auch das Rote Telefon ist wieder in Betrieb. Wie deuten Sie diese Annäherungsversuche? Das Grundproblem ist ein eklatanter Vertrauensverlust auf beiden Seiten. Vertrauen wieder aufzubauen, ist ein langwieriger Prozess. Das lässt sich nicht durch ein, zwei 8 Sonntagsreden herbeizaubern, sondern das muss praktiziert werden. Es ist wichtig, dass der Westen jede Gelegenheit nutzt, um Moskau zu signalisieren, dass unsere Tür geöffnet bleibt; dass wir uns nicht einlassen wollen auf eine dauerhaft feindselige Atmosphäre; dass wir bereit sind, über die Grundprinzipien eines – um es mit den Worten Gorbatschows zu sagen – Zusammenlebens in einem gemeinsamen Haus Europa weiter gemeinsam nachzudenken. ein Konflikt zwischen Staaten oder Staatengruppen. Im 21. Jahrhundert geht die Zahl von Opfern klassischer Kriege immer weiter zurück. Soweit die gute Nachricht. Die schlechte ist, dass die Zahl andersartiger Konflikte zunimmt. Damit meine ich Konflikte innerhalb eines Staatsgebiets, in dem sich ethnische, politische oder religiöse Gruppen bekriegen. Denken Sie an Afghanistan, Jemen, Syrien, Irak, Sudan, Somalia. Sie können die Liste beliebig verlängern. Aber das setzt voraus, dass sich alle an eine gewisse Hausordnung halten. Richtig. Dennoch habe ich persönlich es für einen Fehler gehalten, Russland aus dem G-8-Kreis auszuschließen. Ich würde mich wohler fühlen, wenn Putin trotz aller Probleme auf dem Gipfeltreffen auf Schloss Elmau dabei wäre, damit die anderen G-8-Mitglieder ihm sagen könnten, welche Erwartungen sie an ihn haben, und wie man gemeinsam an einer regionalen und globalen Ordnung arbeiten könnte. Ihn auszuschließen, habe ich vor einem Jahr schon nicht für sinnvoll gehalten, und ich halte es jetzt für noch weniger sinnvoll. Insofern sind solche bilateralen Gesprächsangebote und Wiederanknüpfungsversuche, wie sie jetzt von amerikanischer und deutscher Seite unternommen werden, genau das Richtige und Notwendige. Wie können solchen Konflikte verhindert oder beendet werden? Nicht mit Panzern. Wir erleben eine Entwicklung hin zu hybriden Formen des Krieges mit stärkerer Betonung von Propaganda und dem Einsatz modernster Kommunikationsmittel. Unser klassisches Instrumentarium, auch das Instrumentarium der Vereinten Nationen, war eigentlich dafür gedacht, Kriege zwischen Nationen zu verhindern oder einzudämmen. Diese neue Form von Konflikten innerhalb von Staaten besser in den Griff zu kriegen, ist bisher nicht gelungen. Neben der Ukraine gibt es derzeit eine Vielzahl weitere Krisenherde. Versinkt die Welt in Gewalt und Chaos, oder täuscht die digitale Medienschwemme darüber hinweg, dass die Welt seit Ende des 2. Weltkriegs eigentlich friedlicher geworden ist? Wir erleben einen Paradigmenwechsel, was die Natur der Konflikte angeht. Der klassische Konflikt, der im 19. und 20. Jahrhundert viele Millionen Menschenleben gekostet hat, war Angesichts von islamistischem Terror und von Bürgerkriegen – ist die Interventionspolitik des Westens gescheitert? Zunächst einmal ist es wichtig, dass wir uns nicht überheben. Es liegt leider nicht in der Macht des Westens, Konflikte wie derzeit im Irak oder in Syrien oder auch in anderen Staaten dieser Region mit einer klassischen Therapie der Prävention oder der Konfliktbeendigung zu bewältigen. Die zentrale Lehre aus den Interventionen der vergangenen 15 Jahre, und insbesondere jener der Ära Bush, lässt sich als Frage formulieren: Haben wir jenseits eines militärischen Eingreifens ein politisches Konzept, das zu einem dauerhaften friedlichen Zustand in dem betreffenden Land führt? Oder kann unsere Intervention, Beispiel Libyen, das Land in ein nicht beherrschbares Chaos stürzen? Das Urteil über die Interventionspolitik des Westens ist kein sehr positives. Ich persönlich ziehe daraus den Schluss, dass man sich noch viel stärker als in der Vergangenheit gründlich überlegen muss, bevor man auf den Knopf drückt. Ich will damit nicht dem Pazifismus das Wort reden. Interventionen können notwendig sein, aber dann müssen sie auch in ein Konzept eingebettet werden, das politische, ökonomische und soziale Elemente enthält. Wenn wir ein solches Konzept für Libyen gehabt hätten, wäre es jetzt möglicherweise ein stabiles Ölförderland und nicht in einem grauenhaften Chaos gefangen. Gibt es ein Beispiel, in der eine Intervention des Westens derart durchdacht und damit erfolgreich war? In Tunesien wurde der langjährige Diktator vertrieben. Es kam auch zu einem bürgerkriegsähnlichen Aufstand, doch heute gilt das Land als eines der ganz wenigen Pilotprojekte für die Etablierung demokratischer Strukturen. Hier muss die Lehre lauten: Wenn es solche einzelnen Erfolgsbeispiele gibt, dann muss doch der Westen, insbesondere die EU, alles tun, damit sie von dauerhaftem Erfolg getragen werden. Wenn man der muslimischarabischen Welt vor Augen führen könnte, wie erfolgreich das tunesische Modell ist, das wäre ja schon mal was. Solche Modelle zu unterstützen, ist wahrscheinlich erfolgversprechender, als überall dort, wo es im Augenblick zu knarren scheint, zu intervenieren. Im Rahmen des diesjährigen G-7-Treffens wurde auch über den Klimawandel als möglichem Krisenfaktor diskutiert. Welche Folgen für Sicherheit und Frieden könnten von ihm ausgehen? privat einmal konzipiert, und im Fernen Osten auf eine neue Grundlage gestellt werden. Durch den rasanten Aufstieg Chinas zur Weltmacht haben sich dort die regionalen Gewichte verschoben. Oberste Priorität ist es, regionale Ordnungsstrukturen zu schaffen und zu stabilisieren. Daraus lässt sich dann hoffentlich eine neue globale Gesamtordnung ableiten. Wolfgang Ischinger Der Klimawandel führt zu erheblichen Veränderungen der Lebensbedingungen in vielen Teilen der Welt. Häufig wird nur an die Gefahr des Meeresspiegelanstiegs gedacht. Es geht aber auch um Versteppung und die Ausbreitung von Wüstengebieten einerseits und um durch Unwetter verwüstete Landschaften andererseits. Diese Ereignisse werden Migrationsströme auslösen. Der Klimawandel ist eine genauso große strategische Herausforderung für regionale und globale Sicherheit wie etwa der demographische Wandel. Das Bevölkerungswachstum auf dem afrikanischen Nachbarkontinent birgt für Europa nicht nur große Chancen, sondern auch große Herausforderungen. Nach den heute vorliegenden Berechnungen wird die Bevölkerung Afrikas demnächst diejenige von China und Indien zusammengenommen übertreffen. Wir rechnen mit drei Milliarden Afrikanern. Die Flüchtlingsströme, die derzeit aus Libyen übers Mittelmeer kommen, sind nur der Anfang. Sind wir darauf vorbereitet? Haben wir eine schlüssige EU-Afrikapolitik? Die Zweifel am westlichen liberalen System und unserer Werteordnung sind in den letzten Jahren und Jahrzehnten gewachsen, weil wir nicht mehr die früheren Wachstumsrekorde erreicht haben. Wachstum wird heute in autoritären Regimen wie in China in eindrucksvollerer Weise erzielt als bei uns. Es ist die größte Herausforderung für Europa und den Westen, die Idee der Menschenrechte hochzuhalten. In dem Maße, in dem Hunderte von Millionen Menschen in China, Indien und anderen Teilen der Dritten Welt in den Mittelstand aufsteigen, wird auch der Freiheitsanspruch der Menschen in diesen Ländern wachsen. Darum wird sich die westliche Sichtweise auf die Rechte und Würde jedes Einzelnen langfristig durchsetzen, vorausgesetzt wir verteidigen diese Werte so, dass sie von anderen nicht als Angriff, sondern als Angebot betrachtet werden. Ich bin zuversichtlich, dass man diese Herausforderung bewältigen kann, wenn wir unseren Werten, wenn wir der Idee des Westens treu bleiben. Wo sehen Sie im Moment die größte Herausforderung für den Westen und seine Werte? 9 Global Es war die vorweggenommene Staffelübergabe: Ende März trat Michael Diekmann das letzte Mal in seiner Funktion als Vorstandschef beim Allianz International auf, um dann das Podium für seinen Nachfolger Oliver Bäte freizumachen. Der führte der Allianz Führungsriege die dramatischen Veränderungen im aktuellen Geschäftsumfeld vor Augen – und die Chancen, die sich daraus ergeben. Erbe und Erneuerung Als Oliver Bäte seinen Vortrag über »Erbe und Erneuerung« im Münchner Allianz Auditorium beendet hatte, war jeder der über 200 Allianz Manager ziemlich genau darüber im Bilde, welche Herausforderungen in den nächsten Jahren auf die Gruppe zukommen werden. Mit dem Wechsel an der Spitze des Unternehmens eröffne sich für die Allianz die Gelegenheit zu einem Neuanfang, hatte der scheidende Vorstandschef Michael Diekmann die Linie zuvor bereits angedeutet: »So etwas gibt es nur alle zehn Jahre.« 10 In einem solchen Umfeld müsse man schnell auf Veränderungen reagieren und Lösungen umsetzen – ohne Angst davor zu haben, Fehler zu machen. »Wir müssen unternehmerischer denken und bereit sein, auch Risiken einzugehen«, sagte Bäte. In den Wochen und Monaten zuvor hatte sich der gebürtige Rheinländer die Zeit zum Zuhören genommen, um aus erster Hand zu erfahren, wie Mitarbeiter und Kunden, Investoren und Vertreter von Politik, Medien, Verbänden und Aufsichtsbehörden die Allianz einschätzen und was sie in Zukunft von ihr erwarten. »Wir sind eine herausragende Gesellschaft«, fasste Bäte das Meinungsbild zusammen. Wie kaum ein anderer Finanzdienstleister habe die Allianz die Krisen der letzten Jahre bewältigt, verfüge über eine starke Kapitalbasis, über engagierte Mitarbeiter und eine der zugkräftigsten Marken in der Branche. Allerdings befinde sich die Welt aktuell in einem tiefgreifenden Wandlungsprozess, der Risiken beinhalte aber auch Chancen mit sich bringe. Hauptaufgabe werde es sein, die sich daraus ergebenden Chancen zu nutzen. Und da geht es nicht nur um Digitalisierung, wenngleich das Thema die traditionellen Geschäftsmodelle von Grund auf verändern wird. Digitalisierung ohne Kulturwandel innerhalb des Unternehmens wird nach Bätes Überzeugung nicht ausreichen. Über Erfolg oder Misserfolg entscheide künftig nicht zuletzt die Frage, ob die Sicht des Kunden zum obersten Handlungsmaßstab gemacht wird; ob er sich umfassend und kostengünstig betreut fühlt, und ob er rund um die Uhr mobil auf die Angebote zugreifen kann. Das traditionelle Versicherungsmuster verschiebt sich gerade massiv, wie der Chef der Allianz Großbritannien, Jon Dye, vor den AZI-Teilnehmern deutlich machte. »In der Vergangenheit begann eine Kundenbeziehung in der Regel mit einer Kfz-Police, und von da aus baute man sie weiter aus. Vielleicht müssen wir in der neuen Welt mit der Versicherung des Smartphones anfangen.« Ein Trend, auf den auch Oliver Bäte hinwies: »Wachstum findet künftig außerhalb unserer bisherigen Schwerpunktfelder statt.« Wer daran teilhaben wolle, dürfe sich nicht mit durchschnittlichen Leistungen begnügen. Bäte: »Gut Allianz Sein Nachfolger erläuterte anschließend, warum ein Neuanfang für die Allianz zwingend notwendig ist. Wer in der Welt von heute mit ihren immer kürzeren Erneuerungszyklen bestehen wolle, habe keine andere Wahl, als sich im gleichen Tempo mit ihr zu verändern, erklärte Oliver Bäte und machte das an einem Beispiel deutlich: Es habe 110 Jahre gedauert, bis eine Milliarde Menschen auf der Erde ein Telefon hatten. Es dauerte 22 Jahre, bis eine Milliarde über Handys verfügten; und es vergingen gerade mal acht Jahre, bis die gleiche Zahl an FacebookNutzern erreicht war. 11 GLOBAL Unbekannte Gewässer »Wir müssen bereit sein, Risiken einzugehen.« Oliver Bäte ist nicht gut genug.« Die Kunden müssten in den angebotenen Dienstleistungen einen deutlichen Mehrwert für sich erkennen. Nur jene Unternehmen, die dies gewährleisten, würden in der Zukunft eine Rolle spielen. Dass sich bei der Allianz in dieser Hinsicht bereits einiges tut, zeigten die Präsentationen zahlreicher AZI-Teilnehmer in München. Ob Allianz Global Investors oder Allianz Worldwide Care, ob die Ländergesellschaften in Großbritannien, Italien oder Australien – überall laufen derzeit Programme, mit denen sich die Gruppe für die digitale Welt fit machen will. Doch die insgesamt gute Ausgangsposition dürfe nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch die Allianz in dem sich schnell und fundamental ändernden Umfeld mit ernsthaften Herausforderungen konfrontiert sei, sagte Bäte. beide Fotos: Allianz So werden derzeit noch 95 Prozent der Einnahmen über klassische Vertriebskanäle erwirtschaftet; 70 Prozent der Lebensversicherungsprämien hängen an traditionellen Produkten; 60 Prozent des operativen Gewinns stammen aus Kapitalinvestments – in einem Niedrigzinsumfeld wie momentan durchaus ein Grund zur Sorge. Genauso wie die teilweise noch mangelnde Kooperation zwischen den Allianz Gesellschaften untereinander sowie mit den global operierenden Einheiten – ein Umstand, auf den sowohl Michael Diekmann als auch Personalchef Christian Finckh hinwiesen. Neben der engeren Zusammenarbeit sieht Bäte einen Wandel in der Unternehmenskultur für den künftigen Erfolg als ausschlaggebend an. Sie müsse auf erbrachter Leistung aufbauen statt auf Titeln und Besitzständen, sagte der neue Vorstandschef. Davon hänge auch das Engagement der Mitarbeiter ab. Vor allem in den großen Gruppengesellschaften sieht er auf diesem Gebiet noch einigen Nachholbedarf. Im September will Oliver Bäte die Führungsriege der Allianz Gruppe zu einem zweiten AZI in München versammeln. Bis dahin sollen Maßnahmen entwickelt werden, mit denen sich die jeweiligen Ländergesellschaften wie auch die Gruppe als Ganzes auf die Herausforderungen der nächsten Jahre einstellen. »Es ist ein Prozess, in dessen Verlauf wir gemeinsam einen Fahrplan entwickeln, Handlungsschwerpunkte definieren und ab Ende des Jahres in die Praxis umsetzen werden«, wandte sich Bäte an seine Kollegen. »Ich trage dabei Verantwortung, aber ein großer Teil entfällt auch auf Sie. Nur gemeinsam können wir die Chancen der Zukunft ergreifen.« Michael Diekmann 12 Oliver Bäte Shutterstock 2014 meldete die Seefahrtsbranche den Totalverlust von 75 großen Schiffen – die geringste Zahl seit zehn Jahren. Doch der jüngste Report von Allianz Global Corporate & Specialty zur Sicherheit auf den Weltmeeren warnt vor neuen Gefahren. F RA N K ST ERN Auf einem Schiff kann einiges schiefgehen. Keiner dürfte das besser wissen als der Kapitän eines Frachters, der seit vielen Jahren auf den Großen Seen Nordamerikas unterwegs ist und in der Vergangenheit in 19 Havarien verwickelt war – allein sechs davon im Jahr 2013. Und es war so gut wie alles dabei: vom Feuer an Bord bis zum Maschinenausfall, vom Bruch der Ruderanlage bis zur Kollision mit einem Baumstamm. Mehr Pech geht nicht. Insgesamt aber – das zeigt der jüngste »Safety and Shipping Review 2015« von Allianz Global Corporate & Specialty (AGCS) – ist die Sicherheit auf den Seewegen gestiegen. Von den rund 100 000 größeren Schiffen, die heute die Weltflotte ausmachen, gingen im vergangenen Jahr nur 75 verloren, mehr als die Hälfte davon Frachtschiffe und Fischereifahrzeuge. 2013 hatte die Branche weltweit noch 110 Totalverluste gemeldet. Ungeachtet dieser Entwicklung macht der Bericht deutlich, dass längst nicht alle Gefahrenherde unter Kontrolle sind – und am Horizont bereits neue auftauchen: kleinere Mannschaften auf immer größeren 13 Allianz Journal 2/2015 GLOBAL Es gibt Gegenden in der Welt, wo man bei Unfall oder Krankheit auch heute noch ziemlich schlechte Karten hat. Seit diesem Jahr bietet die Allianz Unternehmen die Möglichkeit, ihre Mitarbeiter auch in den entlegensten Regionen medizinisch professionell zu versorgen. Regionen mit den meisten Totalverlusten Schiffen, der Ausbau elektronischer Steuerungshilfen, die das Navigieren sicherer machen sollen, aber auch als Einfallstor für Hackerangriffe dienen können, und das Vordringen in arktische Gewässer. 2 96 6 56 35 3 Alle anderen Regionen 2 158 163 7 12 82 3 3 Kam es 2005 zu lediglich drei Schiffsunglücken in der Arktis, waren es 2014 schon 55. 14 Schiffe liefen auf Grund, zwei gingen unter. Der im vergangenen November von der Internationalen Maritimen Organisation (IMO) beschlossene Polar Kodex soll ab 2017 für alle Reedereien, die in arktischen und antarktischen Gewässern operieren, verbindliche Sicherheitsstandards festschreiben. 17 41 59 F RA N K ST ERN 253 35 3 293 Zwischen 1. Januar 2005 und 31. Dezember 2014 Zwischen 1. Januar und 31. Dezember 2014 17 Zehn-Jahres-Tief 200 149 154 Ist dies derzeit lediglich für einen relativ exklusiven Club von Reedereien von Belang, so ist der zunehmend vernetzte Schifffahrtssektor von der Gefahr durch Cyberangriffe insgesamt betroffen. Wenn man bedenkt, dass rund 90 Prozent des globalen Warenverkehrs über See abgewickelt werden, so lassen sich die Schadendimensionen erahnen, die ein ferngesteuerter Sabotageakt haben könnte. Die AGCS-Studie beschreibt mögliche Szenarien, bei der Hacker automatisierte Abläufe in Hafenterminals manipulieren oder in die Steuerung von Schiffen eingreifen. 170 149 128 150 124 121 91 100 110 75 50 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 Ursachen für Totalverluste Anzahl der Verluste 1 Sonstiges 2 Kollision Sorge bereitet den Experten der AGCS auch der Trend zu immer größeren Schiffen. Aktueller Rekordhalter ist die im Januar in Dienst gestellte MSC Oscar der schweizerischitalienischen Reederei MSC. Rund 400 Meter lang und 58 Meter breit kann sie 19 224 Standard-Container transportieren. Experten rechnen damit, dass 2018 bereits Megaschiffe mit bis zu 22 000 Containern die Weltmeere befahren werden. Sollte so ein Riese auf Grund laufen und sinken, könnten die Verluste leicht die MilliardenDollar-Grenze überschreiten, warnt der AGCS-Report. 3 Maschinenschaden 3 Schaden am Schiffsrumpf 4 Brand/Explosion 49 Gesunken 13 Aufgelaufen/gestrandet picture alliance / dpa Quelle: Lloyd’s Intellligence Casualty Statistics. Analysis: AGCS Übertrieben? Bei der Costa Concordia, einem Passagierschiff, das 2012 vor der italienischen Küste auf Grund lief, summierten sich Schäden und Bergungskosten am Ende auf rund zwei Milliarden Dollar. 14 Weitab von allem Die Welt ist bis in den letzten Winkel vermessen, kein Ort, an dem der Mensch seinen Fuß noch nicht hingesetzt hätte. Und doch gibt es Gegenden, wo sich der Stand der medizinischen Versorgung kaum von dem unterschiedet, den Albert Schweitzer vorfand, als er vor über 100 Jahren in Afrika sein Urwaldhospital eröffnete. Das schreckt Wirtschaftsunternehmen allerdings nicht davon ab, auch in den unwirtlichsten Regionen der Erde ihre Pflöcke einzuschlagen. Für die medizinische Ver- sorgung ihrer Mannschaften heuern sie oftmals Spezialfirmen an. Seit diesem Jahr zählt auch die Allianz dazu. Wurde früher bei der Erschließung neuen Terrains eher auf Verschleiß gefahren – beim Bau des Panamakanals etwa starben über 25 000 Arbeiter –, so nehmen Unternehmen ihre Sorgfaltspflichten zur medizinischen Versorgung ihrer Mitarbeiter heute weitaus ernster. Was sich in schwer zugänglichen oder unterentwickelten 15 Stern GLOBAL Gebieten zuweilen allerdings recht schwierig gestalten kann, wie Doug Stevens aus eigener Erfahrung weiß. Stevens ist Arzt und war im Auftrag eines führenden Anbieters für medizinische Dienstleistungen jahrelang in Afrika und Asien unterwegs. Seit letztem Jahr gehört der gebürtige Südafrikaner zum Allianz Team, das von München aus das neue Geschäftsfeld Corporate Assistance steuert. Vom Zelt bis zum Container Zu den Angeboten, die Stevens und seine Kollegen derzeit für Unternehmen und Organisationen entwickeln, zählen die so genannten Remote Site Clinics; kleine, flexible Einheiten, die an abgelegenen Orten die medizinische Versorgung der dort eingesetzten Kräfte übernehmen. Sie können kleinere Erkrankungen und Verletzungen behandeln, einen Patienten im Notfall aber auch so lange stabilisieren, bis er in ein gut ausgestattetes Krankenhaus transportiert werden kann. Der Markt boomt. Laut McKinsey lag das Umsatzvolumen im Bereich Corporate Assistance für Mitarbeiter im Auslandseinsatz im vergangenen Jahr bei 3,4 Milliarden Euro. 2018 könnte es bereits die Marke von fünf Milliarden erreichen. Als ein besonderes Wachstumsfeld hat das Allianz Team den Öl- und Gassektor ausgemacht. »Vor den Küsten Westafrikas und Brasiliens werden gerade etliche neue Lagerstätten erschlossen«, sagt Christian SchmidEickhoff, der für das Markt- und Produktmanagement des neuen Geschäftsbereichs zuständig ist. »Mit einigen großen Förderfirmen sind wir bereits im Gespräch.« Aber auch die Ausbeutung von Kupfervorkommen, von Gold und Uran durch westliche Unternehmen im Kongo oder der Zentralafrikanischen Republik eröffnen Möglichkeiten. Jeder Einsatzort – ob im Urwald, in der Stadt oder auf der Bohrinsel auf hoher See – hat seine ganz eigenen Anforderungen. Was genau gebraucht wird, um eine angemessene Versorgung der Mannschaften sicherzustellen, wird zuvor akribisch untersucht: Wie sieht die Infrastruktur in der Gegend aus; gibt es Zufahrtsstraßen zum nächst gelegenen Krankenhaus; braucht man im Notfall die Flugrettung; wie lange muss ein Patient im schlimmsten Fall warten, bevor er ausgeflogen werden kann? »Sind diese Fragen geklärt, wird das nötige medizinische Gerät beschafft und das Personal eingestellt«, erläutert Stevens das Vorgehen. Christian Schmid-Eickhoff und Doug Stevens entwickeln das neue Geschäftsfeld Corporate Assistance für den Einsatz einer Hilfsorganisation im afrikanischen Hinterland über die Container-Station mit einfacher Ausstattung auf dem Gelände einer Goldmine bis hin zur Mini-Klinik mit Krankenzimmer, Röntgengerät und Labor für Blut- und Urintests auf einer Ölplattform. Den Anforderungen entsprechend wird auch das Personal ausgewählt: Medizintechniker, Sanitäter, Schwestern, Ärzte. Der Umfang der technischen Ausrüstung reicht – je nach erforderlichem Versorgungsgrad – vom Rot-Kreuz-Zelt Shutterstock Im ewigen Eis Auf Ölplattformen sind Mannschaften und medizinisches Personal oft wochenlang im Einsatz, bevor sie abgelöst werden Die Allianz steht mit ihrem Angebot noch ganz am Anfang und konzentriert sich derzeit auf westeuropäische und US-amerikanische Unternehmen, die für ihre Mitarbeiter im Auslandseinsatz die medizinische Versorgung sicherstellen wollen. Bis Ende des Jahres sollen fünf Remote Site Clinics eingerichtet werden. Eine hat bereits in der Fabrik eines deutschen Autoherstellers in Fuzhou ihre Arbeit aufgenommen. »Selbst in Chinas Städten ist die Krankenversorgung noch immer ein Problem«, erklärt Schmid-Eickhoff. »Um ihren Expats einen vergleichbaren medizinischen Standard wie in der Heimat zu garantieren, lassen Unternehmen deshalb eigene Kliniken auf ihrem Firmengelände im Ausland einrichten.« Doug Stevens hat im Laufe seiner Karriere allerdings schon schwierigere Fälle zu lösen gehabt. Als besonders anspruchsvolles Terrain hat er die Mongolei in Erinnerung. Die Versorgung einer Goldmine mitten in der Wüste Gobi, weitab von allem, sei ungemein aufwändig 16 Allianz Journal 2/2015 gewesen, sagt der Notfallmediziner: »Man kam nur mit dem Hubschrauber dorthin, alles musste per Luftweg transportiert werden.« Ähnlich kompliziert, wenn auch aus anderen Gründen, war sein Einsatz im westafrikanischen Sierra Leone kurz nach dem Bürgerkrieg. »Keine Infrastruktur, das Land bettelarm, die Straßen noch immer unsicher«, fasst er seine damaligen Eindrücke zusammen. Doch die Minengesellschaft bekam wie vereinbart ihre Dschungelklinik. Auch für das Münchner Allianz Team gibt es nur wenige Regionen, wo es wegen unabsehbarer Risiken zurückzuckt. Libyen, wo alle staatlichen Strukturen zusammengebrochen sind, wäre im Moment so ein Fall. Ansonsten aber gebe es kaum ein Gebiet, wo man nicht etwas auf die Beine stellen könnte, versichern Schmid-Eickhoff und Stevens unisono. Ob Telemedizin zur Ferndiagnose von Erkrankungen auf hoher See, ob Rettungsflüge von einem abgelegenen Bergwerk im Kongo – nichts, was nicht zu organisieren wäre. Selbst für wissenschaftliche Expeditionen ins ewig Eis ließe sich die ärztliche Versorgung sicherstellen, sagt Stevens. »Noch hat uns keiner gefragt – aber ja, auch das würden wir hinkriegen.« W W W. A L L I A N Z W O R L D W I D E C A R E .C O M 17 Allianz Journal 2/2015 Roth GLOBAL Es gibt Jahre, da geht es relativ glimpflich ab. Und es gibt Jahre, da schwemmt eine Flutwelle alle Kalkulationen der Versicherungsbranche den Bach runter. Bei der Allianz tüftelt man seit geraumer Zeit an einem Rezept gegen die vorhersehbaren Überraschungen. F RAN K ST E R N Shutterstock Markus Aichinger und Edzard Romaneessen 18 Wasser ist eine der Naturgewalten, die die Assekuranz immer wieder aufs Neue auf dem falschen Fuß erwischt. 2011 traf es Thailand und Australien, 2013 tauchte Deutschland ab, 2014 war es England. Die Verluste für die Versicherungswirtschaft waren immens, allein bei der Allianz Deutschland lagen die Überschwemmungsschäden 2013 bei über 600 Millionen Euro. »Bislang ist unsere Antwort nach so einem Desaster häufig die Kündigung des Versicherungsvertrags«, sagt Markus dann oft. Meist reift diese Erkenntnis, dass sich die Investition bezahlt machen könnte, erst dann, wenn ein paar Jahrhundertfluten durch die Bilanzen gerauscht sind. Aichinger vom Bereich Globale Schaden- und Unfallversicherung (Global P&C). »Dabei könnten wir uns gerade in solch kritischen Situationen als Partner beweisen. Die Instrumente dafür haben wir.« ja, zu welchen Bedingungen. »Es fehlen häufig genaue Informationen für eine exakte Prämienkalkulation«, sagt Aichinger. »Wenn aber die Datenqualität schon am Anfang unzureichend ist, sind böse Überraschungen vorprogrammiert.« Theoretisch zumindest. So gibt es auf dem Markt inzwischen ausgefeilte, geographische Informationssysteme, die die Auswirkungen unterschiedlicher Überschwemmungsszenarien detailliert anzeigen. Gleicht man diese Informationen mit den Daten von versicherten Objekten ab, werden die Risiken und ihre eventuelle Häufung in einer bestimmten Zone am Bildschirm sofort sichtbar, und man kann rechtzeitig gegensteuern. »So ein System kostet natürlich«, sagt Aichinger. Und daran scheitert es Woran es nach Ansicht des studierten Meteorologen derzeit vielerorts mangelt, sind Instrumente, die den Risikoprüfern vor Ort automatisch anzeigen, ob ein zu versicherndes Objekt in einer Gefahrenzone liegt oder nicht, ob man es versichern kann oder nicht, und wenn Bei einem Treffen von Allianz Experten aus aller Welt im Februar in München wurde deutlich, wie unterschiedlich das Niveau beim Underwriting in den Tochtergesellschaften derzeit noch ist. Die Allianz in Australien etwa hat nach den Erfahrungen im Jahr 2011 massiv in den Aufbau eines geographischen Informationssystems investiert, das ihr heute erlaubt, Risiken bis auf die Ebene von einzelnen Grundstücken zu analysieren und Kunden auf den jeweiligen Gefährdungsgrad abgestimmte Prämienangebote zu unterbreiten. Die Allianz UK, die bisher vor allem die Gefahren entlang der Küste und an Flussläufen auf dem Radar hatte, bezieht inzwischen Starkregen und Untergrundwasser in ganz Großbritannien in ihre Kalkulation mit ein. Auch Allianz Töchter wie die in Irland, Polen, Tschechien oder Deutschland stützen sich bei der Zeichnung von Risiken bereits auf Geo-Analyse-Systeme. Viele andere Gesellschaften aber können beim Underwriting bislang auf keinerlei Entscheidungshilfen zurückgreifen. »Entweder zeichnen sie, was kommt, oder aber sie schließen ganze Regionen pauschal vom Versicherungsschutz aus, weil sie in einer möglichen Überschwemmungszone liegen«, so Aichinger. Wer aber über aussagekräftige Informationen verfügt, kann selbst in Gegenden Versicherungsschutz anbieten, die bislang als unversicherbar galten. »Wenn klar ist, dass der Keller alle paar Jahre vollläuft, dann nehme ich den halt aus der Deckung heraus«, sagt der Risikoexperte. »Den Rest des Hauses kann ich dann zu vernünftigen Bedingungen versichern.« Und mehr als das. Mit entsprechendem Hintergrundwissen könnten Allianz Underwriter für ihre Kunden zu echten Risikoberatern werden, die ihnen sinnvolle Maßnahmen zur Gefahrenabwehr empfehlen: statt des Öltanks im Keller zum Beispiel die Gastherme im ersten Stock, wo auch eine Jahrhundertflut meist nicht hinreicht. Mit einem geographischen Informationssystem käme man einen großen Schritt weiter, sagt auch Edzard Romaneessen, bei Global P&C für den Bereich Naturkatastrophen zuständig, doch die Ansammlung von gefährdeten Objekten quer über die verschiedenen Versicherungsbereiche hinweg hätte man damit noch nicht im Blick. »Die Daten aus den einzelnen Sparten müssten in einem Gesamtsystem zusammengeführt und für den Underwriter zur Basis seiner Risikobewertung gemacht werden, denn dort wird darüber entschieden, ob das Geschäft am Ende profitabel ist oder nicht«, so der Spezialist für Naturereignisse. »Wenn die Risiken schon am Anfang nicht richtig durchkalkuliert sind, lässt sich das später nicht mehr korrigieren.« Erst die automatisierte Einbeziehung von Kumulrisiken aller Sparten vor Ort wie auch der global operierenden Einheiten, die in der Region unter Umständen Objekte versichern, würde die aktive Steuerung des Versicherungsbestands der Gruppe erlauben. Underwriter bekämen damit ein einfaches Instrument an die Hand, das ihnen bei Eingabe einer Adresse unmittelbar zurückspielt, ob sie das Objekt versichern können, und wenn ja, zu welchen Bedingungen. »Das wäre der Königsweg«, sagt Aichinger. »Doch bis wir so weit sind, wird wohl noch einiges Wasser die Isar hinabfließen.« 19 Allianz Journal 2/2015 Deutschland Die Babyboomer kennen sie noch, die Geschichten vom Käfer, in dem man sein eigenes Wort nicht verstand, der einen aber tapfer bis an die Atlantikküste trug; in den bei Regen Wasser durch das verrostete Bodenblech drang und bei dem im Winter die Windschutzscheibe zufror; der einem aber auch das Gefühl von Unabhängigkeit und Freiheit gab. Das Ende des Autos Was werden künftige Generationen zu erzählen haben, wenn sie ihren Kindern dereinst von ihrem ersten Auto berichten? Wie sie per Car Sharing-App einen Wagen geordert und dann Grand Theft Auto gespielt haben, bis das führerlose Gefährt sie ans Ziel gebracht hatte? »Sehnsucht nach Entmündigung« hat die Süddeutsche Zeitung den aktuellen Hype um das »Smartphone auf Rädern« genannt. picture alliance / dpa Man kann der Zeit der Asphalt Cowboys, die noch selbst am Steuer saßen, natürlich nachtrauern wie die Alten einst der Ära von Pferd und Kutsche. Am Siegeszug der rollenden Computer wird das aber kaum etwas ändern. Nicht zuletzt, weil das neue Zeitalter weniger Unfälle, weniger Schäden und weniger Verkehrstote verheißt. Die Frage ist nicht mehr, ob sich das selbstfahrende Auto in den fließenden Verkehr einfädelt, die Frage ist nur noch, wann. Es sieht nicht sehr beeindruckend aus, doch das Google Car hat das Ende des Autos eingeläutet, wie wir es kannten Seit Google im vergangenen Jahr eine selbst fahrende Plastikkugel auf Testfahrt geschickt hat, ist die Automobilindustrie in Aufruhr. Durchaus verständlich, schließlich läutete das Google Car das Ende des Autos ein, wie wir es bisher kannten. Auch bei der Allianz stellt man sich auf eine neue Ära ein. F R A N K STE R N 20 Reparaturkosten bei beschädigten Komponenten? Welche Produkthaftungsrisiken kommen auf die Hersteller zu? Welche Kompetenzen braucht eine Versicherung in Zukunft, um Risiken adäquat abzuschätzen? Und welche neuen Geschäftsmodelle könnten sich daraus für die Assekuranz ergeben? Alles offen. Genauso wie die Frage, wie man die Steuerung der Hightech-Autos vor Hackern schützen könnte. Oder wie sich die Flotte einer Car Sharing-Firma oder eines Taxikonkurrenten wie Uber versichern lässt. »Noch steht die Versicherungsindustrie bei vielen Themen am Anfang«, sagt Jacob Fuest, Leiter des AIC. »Aber wir sind dabei, Lösungen für die Mobilität von morgen zu entwickeln.« Dazu hat sich der Diplomkaufmann, der zuvor bereits bei BMW, Daimler und Bosch Erfahrungen gesammelt hat, ausgewiesene Experten aus der Automobilbranche ins Boot geholt. Während ein Team mit den Herstellern »hart am Blech« (Fuest) zusammenarbeitet, um bereits lange vor dem Marktstart eines neuen Fahrzeugs passende Versicherungslösungen zu entwickeln, taucht ein anderes in die Welt des vernetzten Fahrens ein. Rabatt für Sonntagsfahrer Fast zeitgleich mit Googles Jungfernfahrt gab Allianz Global Automotive (AGA) die Gründung eines Intelligence Centers (AIC) bekannt, mit dem sich die Allianz für die automobile Neuzeit fit machen will. »Unser Ziel ist es, uns stärker in die Wertschöpfungskette der Automobilindustrie zu integrieren und für Kunden und Hersteller innovative Produkte und Dienstleistungen zu entwickeln«, sagt AGA-Vorstand Matthias Wünsche. »Gleichzeitig wollen wir für die Allianz zukunftsträchtige Geschäftsmodelle etablieren.« Nach Einschätzung des Marktforschungsinstituts Gartner werden 2020 weltweit bereits 250 Millionen vernetzte Pkw auf den Straßen unterwegs sein, das wäre dann jeder 5. Wagen. Schon heute ist die Technik in der Lage, bei Unfall oder Panne automatisch Hilfe anzufordern und Schadeninformationen an die Zentrale zu funken; auch können Daten zur Fahrleistung und zur Fahrweise aufgezeichnet werden. In Zukunft wird es zudem möglich sein, mit anderen Fahrzeugen, mit Ampelanlagen und Verkehrsleitsystemen Informationen auszutauschen. Automobilhersteller weltweit sehen sich gerade mit einem massiven Wandel ihres Geschäftsmodells konfrontiert und investieren Milliarden in die Zukunft: in neue Materialien und Antriebskonzepte, in selbststeuernde und vernetzte Fahrzeuge, in neue Sicherheitssysteme, und nicht zuletzt in neue Vertriebs- und Mobilitätskonzepte. Kein Unternehmen, das derzeit nicht digital aufrüstet. Doch was bedeuten die Neuerungen zum Beispiel für die Voraussetzung dafür ist freilich, dass die Fahrer bereit sind, ihre Daten mit Autoherstellern und Versicherern zu teilen. Dann wären Modelle wie Pay-as-you-drive, bei dem sich die Kfz-Haftpflichtprämie nach Dauer und Art der Fahrzeugnutzung richtet, oder Pay-how-you-drive, das die Umsichtigen belohnt, flächendeckend möglich. In Italien und Großbritannien ist die personalisierte Police bereits auf dem Markt. Die Autoindustrie sieht es gern: 21 Allianz Journal 2/2015 © Steve Lagreca / Shutterstock.com D EU T S C H L A ND Volvo hat angekündigt, seine neuen Modelle bis 2020 technisch so auszustatten, dass sie unfallfrei durch den Verkehr navigieren. Fünf Jahre noch. Die Assekuranz wird reagieren müssen – mit neuen Versicherungsmodellen zum Beispiel, die den Einbau von unfallvermeidenden Assistenzsystemen honorieren, oder mit TelematikTarifen, die die Fahrweise in die Prämienkalkulation einfließen lassen. Wer regelmäßig eine Stuntbremsung hinlegt, Kurven auf zwei Rädern nimmt oder mit 80 durch die Stadt brettert, müsste für die Haftpflichtprämie tiefer in die Tasche greifen. Verkehrsexperten erhoffen sich davon auch einen erzieherischen Effekt – insbesondere auf junge Verkehrsteilnehmer. Das Automotive Intelligence Center (AIC) Das Automotive Intelligence Center wurde 2014 ins Leben gerufen und soll als zentrale Denkfabrik der Allianz für die Mobilitätskonzepte der Zukunft fungieren. Derzeit besteht das AIC-Team aus neun Mitarbeitern, darunter Ingenieure, Fachleute für vernetztes Fahren und Experten für Mobilitätskonzepte. Die Einheit ist in drei Bereiche gegliedert: • Telematics soll die Rolle der Allianz als Partner im Bereich des vernetzten Fahrzeugs stärken, um gemeinsam mit der Automobilindustrie innovative Versicherungslösungen und neue Servicedienste weltweit auf den Markt zu bringen • Engineering ist für den Ausbau und die Internationalisierung der technischen Zusammenarbeit und Geschäftsentwicklung mit Automobilherstellern, z.B. im Bereich des automatisierten Fahrens, zuständig Car Sharing im Trend Auto der Zukunft: Im Januar stellte Mercedes auf der Internationalen Automobilmesse in Detroit sein futuristisches Forschungsfahrzeug F 015 vor • Insights & Innovations soll Expertise rund ums Automobil aufbauen und für die Allianz Gruppe bereitstellen und Innovationsthemen bündeln Attraktive Finanzierungs-, Leasing- und Versicherungspakete sind im hart umkämpften Kfz-Markt ein zusätzliches Verkaufsargument. Nebenbei lässt sich darüber auch die Auslastung von Vertragswerkstätten steuern. Auch neue Sicherheitssysteme sind für Fuest und seine Mannschaft ein Thema. Fahrassistenten fürs Bremsen, Spurhalten oder Einparken, Navigationssysteme und Tempomaten sind schon heute im Einsatz. Selbst Müdigkeitswarner, die zuweilen schon anschlagen, kaum dass man losgefahren ist, gibt es bereits. In nicht allzu ferner Zukunft wird man auf manchen Autobahnteilstrecken bereits die Hände vom Lenkrad nehmen können, weil das Fahrzeug die selber bewältigen kann. Und irgendwann nimmt der Computer einem das Steuer dann ganz aus der Hand. »Bis wir das komplett fahrerlose Auto auf den Straßen haben, werden aber mit Sicherheit noch 15 bis 20 Jahre ins Land gehen«, sagt Fuest. »Minimum.« Bis dahin müssen auch noch einige rechtliche Fragen geklärt werden. Wer haftet zum Beispiel, wenn der Autopilot in der Garage ein Kind übersieht? Der Fahrzeughalter? Der Hersteller? Der Software-Programmierer? Würde die 22 Versicherung zahlen und anschließend den Autobauer in Regress nehmen, und der dann den Zulieferer? »Diese Fragen treiben derzeit alle um«, sagt Fuest. gebenen Algorithmen. »Wie immer diese Entscheidung auch ausfällt, sie wird zu heftigen Diskussionen führen«, so Fuest. Ethische Fragen Derzeit ist das Gesetz noch eindeutig: Nach dem Wiener Übereinkommen über den Straßenverkehr von 1968 muss jeder Führer sein Fahrzeug jederzeit unter Kontrolle haben. Auch wenn das Abkommen mittlerweile überarbeitet wurde, gilt weiterhin: Baut der Computer einen Unfall, wäre der Fahrer schuld, auch wenn er das Fahrzeug nicht selbst gesteuert hat. Doch die Rechtsprechung wird sich den neuen technischen Möglichkeiten anpassen. Bis dahin müssen Autoindustrie und Versicherungswirtschaft eine tragfähige Strategie entwickelt haben. Inzwischen beschäftigen sich Versicherer und KfzProduzenten nicht mehr nur mit technischen und rechtlichen Fragen, sondern auch mit ethischen. Was, wenn ein Computer in einer Gefahrensituation nur die Wahl zwischen zwei Übeln hat? Soll er so programmiert werden, dass er dem plötzlich die Straße überquerenden Radfahrer ausweicht, dadurch aber den Fußgänger auf dem Bürgersteig gefährdet? Soll er in den Gegenverkehr steuern, um beide zu verschonen, dafür aber Verletzungen der eigenen Insassen und anderer Verkehrsteilnehmer in Kauf nehmen? Oder noch drastischer: Soll er eher das Kind schützen, das unvermittelt auf die Straße springt, oder den Rentner, der die einzige Ausweichschneise blockiert? Welches Leben zählt mehr? Ein Mensch entscheidet in so einer Situation instinktiv, der Computer entscheidet anhand von vorge- »Um solche Lösungen anzubieten, müssen wir allerdings genau verstehen, wie die technischen Systeme funktionieren, welche Materialien verwendet und welche Sensoren verbaut wurden«, sagt Jacob Fuest. Zwar dürften sich die Unfallzahlen durch verbesserte Sicherheitstechnik verringern, doch wenn dann doch mal ein Crash passiert, lägen die Kosten womöglich um ein Vielfaches höher als bei einem unverkabelten Auto. Wobei nicht alle überhaupt noch ein eigenes Auto wollen. Car Sharing gewinnt immer mehr an Bedeutung. 2014 wurde in Deutschland erstmals die Millionen-NutzerGrenze geknackt, Tendenz steigend. Für die Automobilbranche stellt das veränderte Mobilitätsverhalten eine nicht zu unterschätzende Herausforderung dar. »Hersteller, die darauf nicht schon heute reagieren, gefährden ihre Kunden von morgen«, sagt Jacob Fuest. Aber auch die Assekuranz muss sich auf diese Dynamik einstellen, denn die Versicherungskosten machen heute noch einen signifikanten Teil der Gesamtkosten beim Car Sharing aus. »Wir wollen Lösungen entwickeln, die die Kosten für die Kunden reduzieren«, sagt der AIC-Manager. Und Car Sharing ist erst der Anfang – Daimler macht mit der App »Moovel« vor, wie sich verschiedene Mobilitätsangebote von der Bahn übers Auto bis hin zum Flugzeug sinnvoll verknüpfen lassen. Ein Thema, an dem das AIC bereits mit großen Automobilherstellern und kleinen Start-Ups arbeitet. »Wir haben mit Autoherstellern und Zulieferfirmen in verschiedenen Ländern bereits konkrete Projekte gestartet«, sagt Fuest. Mit wem, will der 30jährige Rheinländer nicht verraten; man habe Verschwiegenheit vereinbart. Nur so viel: »Es sind etliche große Markenhersteller darunter.« Ein greifbares Ergebnis der industrieübergreifenden Kooperation wird man schon bald in Augenschein nehmen können: Noch in diesem Jahr will die Allianz zusammen mit einem großen Autoproduzenten eine Telematik-Versicherung auf den Markt bringen. Weitere sollen folgen. 23 D EU T S C H L A ND beide Fotos: Roth Steinbock überm Gebirge Von der Schnaps- zur Geschäftsidee: Anton Stetter und Brennmeister Hans Kemenater Früher galt Whisky als simples Getränk für simple Männer. Mittlerweile gehört der rauchige Gerstensaft vielerorts zum gehobenen Lebensstil. Einer der besten Brände kommt aus – Bayern. Es ist schon geraume Zeit her, da zogen fünf Mönche durch die oberbayerische Bergwildnis, stießen auf einen idyllischen See und gründeten dortselbst ein Kloster, das sie nach dem grün schimmernden Mergel der Gegend Slyrs (Schliers) nannten. Gut 1200 Jahre später erfuhr die Gegend um den Schliersee den nächsten Schub: die Eröffnung der Slyrs Single Malt Whisky Destillerie. F R A NK S TERN So jedenfalls geht der Gründungsmythos von Slyrs, der mit einem Schuss Selbstironie an Geschichte und Tradition des bayerischen Oberlands anknüpft. Heute ist der Bayern-Whisky über die Landesgrenzen hinaus ein Begriff: Bei den World Wiskies Awards im vergangenen Jahr in London wurde Slyrs für seine Sherry Edition mit der Goldmedaille ausgezeichnet. Vor Schotten und Iren. Dabei sahen die Anfänge für die bayerischen Newcomer keineswegs nach einer Erfolgsgeschichte aus. Im Oberland trinkt man traditionell Enzianschnaps, an den Häusern in Schliersee prangen Lüftl-Malereien mit Schutzheiligen und drallen Bauernmägden, Krippenschnitzerei steht hoch im Kurs, und auf dem Friedhof kündet das Grab vom Jennerwein Girgl, ein Wilderer, der 1877 mit 29 Jahren hinterrücks erschossen und umgehend zur Legende wurde, vom kargen Leben im Schatten des Wendelsteins: »Es war ein Schütz in seinen besten Jahren, er wurde weggeputzt von dieser Erd« – und so weiter und so weiter. Kein Mensch käme auf die Idee, hier eine Whisky-Destillerie für den gehobenen Bedarf hinzustellen. Außer der Stetter Florian. 25 Allianz Journal 2/2015 D EU T S C H L A ND Mitte: Slyrs | alle anderen Fotos: Roth Mit dem Sessellift traten Anfang des Jahres die ersten 225-Liter-Fässer der geplanten HochlandEdition die Reise ins Skigebiet Spitzingsee an ihm nach einigen Probegläsern schottischen Whiskys dem Bayerischen nicht unähnlich zu sein. Am Ende hielt er den Kilt für eine interessante Abwandlung der Lederhose – die Idee zur Gründung einer bayerischen WhiskyBrennerei war geboren. »Das komplette Programm«: Über die Agentur von Martina Eck und Mario Hänsch in Schliersee sind sämtliche Unternehmungen der Stetter-Familie versichert Martina Eck, Chefin der Allianz Agentur am Ort, kennt den Slyrs-Gründer und seinen Bruder Anton, der das Unternehmen heute leitet, von Kindesbeinen an. Seit Ecks Vater vor 55 Jahren die Agentur ins Leben rief, sind die Unternehmungen der Stetter-Familie – die Obstbrennerei Lantenhammer und die Whisky-Destillerie – bei der Allianz versichert. »Maschinen und Anlagen, die Fässer samt Inhalt, die Fahrzeuge, die betriebliche Altersvorsorge für die 70 Mitarbeiter – das komplette Programm«, sagt Eck. Im Mutterland des Whiskys Sie hat die Anfänge von Slyrs miterlebt – und die waren, wie gesagt, nicht unbedingt vielversprechend. Alles begann damit, dass Lantenhammer-Erbe Florian Stetter in den 90er Jahren auf Studienreise nach Schottland ging. Man kann sich vorstellen, was passiert, wenn sich der Chef einer Obst-Destille ins Mutterland des Whiskys aufmacht. Stetter fand Gefallen an der Landschaft und auch an den Eigenheiten der Schotten. Beides schien 26 Zurück am Schliersee fragte er bei etlichen Banken wegen einer Anschubfinanzierung nach, doch wo er auch anklopfte – alle winkten ab. »Da haben wir nicht mal einen Kaffee gekriegt«, sagt Stetters Bruder Anton. Die Banker formulierten es wahrscheinlich etwas höflicher – Marktvolatilität, Nachfragehemmnisse, und was einem sonst so einfällt, wenn man kein Geld rausrücken will. Doch im Grunde machten sie unmissverständlich klar, dass sie die Whisky-Idee für groben Unfug hielten. Jahre Zeit, mehr braucht es nicht«, sagt Brennmeister Hans Kemenater, der Stetters »Schnapsidee« mit zum Durchbruch verholfen hat. Doch welche Geschmacksnote einen Whisky später auszeichnet, hängt entscheidend davon ab, wie die Mischung aus getrockneter und gerösteter Gerste zur Maischeherstellung zusammengesetzt ist – Betriebsgeheimnis, sagt Kemenater –, und in welchen Fässern das Destillat anschließend heranreift. Und das ist dann schon eine Kunst für sich. Ausdruck von Lebensart Anton Stetter war mit ihnen auf einer Linie. »Auch ich habe das für einen absoluten Schmarrn gehalten«, sagt er. Aber da hatte Florian Stetter schon alles klargemacht, hatte in Kupferkessel und Maischekocher investiert und zur Finanzierung auch seinem Bruder in die Tasche gegriffen. »Da kam ich dann nicht mehr aus«, sagt Anton Stetter. Mit eigenen Mitteln und Hypotheken auf Haus und Hof stemmten die Brüder schließlich die Anlaufphase. Die natürlich auch ihre ganz eigene Szene von Kunstkennern hervorgebracht hat. Waren es vor zehn Jahren noch fast ausschließlich Männer, die sich auf WhiskyMessen durch die Jahrgänge kämpften, sind mittlerweile ein Drittel der Besucher Frauen, schätzt Hans Kemenater. Und es gibt immer mehr junge Leute, die sich für hochwertigen Whisky interessieren. Der Trend zu Qualität kommt den Machern von Slyrs entgegen. »Wir sehen unsere Produkte als Ausdruck von Lebensart«, sagt Anton Stetter. »Uns findet man nicht im Supermarktregal.« Die erste Edition des dreijährigen Single Malt von 1999 wird derzeit zwischen 1500 bis 1800 Euro pro Flasche gehandelt. Nun ist die Whisky-Herstellung im Vergleich mit der Obstbranddestillation keine große Wissenschaft. »Gerstenmalz, ein Holzfass, ein gutes Wasser und drei Und die Bayern sorgen dafür, dass sie im Gespräch bleiben. 2007 brachten sie ihren ersten, mit Honig verfeinerten Whisky-Likör auf den Markt – eigentlich, um die weibliche Käuferschicht anzusprechen, wie Hans Kemenater erklärt. Inzwischen aber kommen auch immer mehr Männer auf den Geschmack. Zudem ist eine bayerische Highland-Edition von Slyrs in Arbeit. Anfang dieses Jahres traten die ersten 225 Liter-Fässer aus amerikanischer Weißeiche mit dem Sessellift die Reise ins Höhenlager im Skigebiet Spitzingsee an. Auf 1500 Meter Höhe soll der Gerstensaft dort mindestens drei Jahre lang lagern. Master Destillateur Kemenater ist sich sicher, dass er aufgrund des rauen Bergklimas eine kernigere Note entwickelt als die Tal-Version. Und wenn nicht, war es zumindest eine geniale Marketing-Idee. Im Sommer werden Slyrs-Fässer auch in Richtung Schliersee rollen, wo auf der Insel Wörth in einem eigens errichteten Turm die Insel-Edition heranreifen soll. Martina Eck wird wohl auch den Whisky-Turm versichern. Auch wenn Stetter nicht die Dimensionen von irischen oder schottischen Großbrennereien anstrebt, die zum Teil über eine Million Fässer und mehr verfügen, etwas ließe sich die Produktion am Schliersee schon noch hochfahren. Die Nachfrage jedenfalls ist groß, und das nicht nur in Deutschland; auch im Ausland wächst die Zahl der Slyrs-Liebhaber: Seit einigen Monaten ist der Bayern-Whisky in China auf dem Markt. Dort läuft er unter dem Label »Steinbock überm Gebirge«. W W W. S LY R S . D E 27 Meilensteine: Mit dem Slogan »Hoffentlich Allianz versichert« wuchsen ganze Generationen auf; im Jahr 2000 wurde die Allianz an der New Yorker Börse gelistet; der Wirtschaftshistoriker Gerald Feldman (rechts, zusammen mit dem damaligen Allianz Chef Henning Schulte-Noelle (Mitte) und Peter Haas, dem Enkel eines HolocaustOpfers) untersuchte die Verstrickungen der Allianz mit dem Naziregime Kein Platz für Hasardeure Zum Jubiläumsjahr der Allianz hat das firmenhistorische Archiv ein imposantes Werk über die Geschichte des Unternehmens herausgebracht. Drei Jahre spürte Archiv-Leiterin Barbara Eggenkämper mit ihren beiden Historiker-Kollegen dem Erfolgsgeheimnis der Allianz nach. Nun haben sie die Formel zu Papier gebracht. München im März 2015: Ein unaufgeregter Himmel hängt über dem Englischen Garten. Aus den Ästen der altehrwürdigen Bäume drücken die ersten Triebe. Zuverlässig dreht sich das Rad der Jahreszeiten um die Hauptverwaltung der Allianz. Vor 125 Jahren gründeten Wilhelm von Finck und Carl von Thieme die Allianz. Mit urwüchsiger Beharrlichkeit hat sich aus dieser Saat bis heute eines der erfolgreichsten Versicherungs- und Finanzunternehmen der Welt entwickelt. Eine Person, die die Jahresringe der Allianz bis ins Detail studiert hat, ist Barbara Eggenkämper. Die 53-jährige Historikerin ist Leiterin des firmenhistorischen Archivs der Allianz in München. Zusammen mit ihren beiden Kollegen Gerd Modert und Stefan Pretzlik erforscht sie die Seele eines einzigartigen Organismus, der mittlerweile aus fast 150 000 Mitarbeitern weltweit besteht. Drei Jahre Arbeit stecken in dem Jubiläumsband »Die Allianz – Geschichte des Unternehmens 1890-2015« und in seinem immer noch knapp hundert Seiten starken Beiheft »Eine Allianz fürs Leben«, das am Beispiel von MI C HA E L GR I M M 28 Foto links: Roth | alle anderen Abbildungen: Allianz Barbara Eggenkämper und ihre Co-Autoren Stefan Pretzlik und Gerd Modert sechs Personen die Menschen im Unternehmen in den Vordergrund stellt. So nüchtern die Titel, so leidenschaftlich erzählt Eggenkämper von den Meilensteinen in der 125-jährigen Geschichte des Unternehmens. »Uns ist wichtig, dass dieses Buch nicht einfach auf den Schreibtischen der Mitarbeiter landet, ohne dass wir es ihnen näher gebracht haben.« Darum ist sie mit ihrem Team im Frühjahr immer wieder auf Lesereise durch Deutschland gegangen. Auch in der Schweiz und in Frankreich machten sie Station. Die Buch-Präsentation an ausgewählten Allianz Standorten ist eine multimediale History-Show. Textauszüge werden untermalt mit historischen Filmaufnahmen und WerbeSpots, die das Bild der Allianz in der Öffentlichkeit über Jahrzehnte geformt und sich Generationen eingeprägt haben: »Hoffentlich Allianz versichert«. Das Büro der Historikerin an der Königinstraße in München gleicht einer Schatzkammer. Auf dem Schreibtisch türmen sich Dokumente und Ordner. Aus den Büchern, aus jedem vergilbten Papierstapel flüstern die Ereignisse der Vergangenheit. Anfang der 90er Jahre überzeugte Eggenkämper erst den Leiter der Unternehmenskommunikation, Emilio Galli-Zugaro, den sie bis heute ihren Mentor nennt, und dann den damals erst frisch gebackenen Allianz Chef Henning Schulte-Noelle, ein Firmenarchiv einzurichten. Seitdem hat sich das Gedächtnis des Unternehmens auch mit den dunkelsten Kapiteln seines Werdegangs beschäftigt. Von 1997 bis 2001 arbeitete Eggenkämpers Team zusammen mit dem US-amerikanischen Wirtschaftshistoriker Gerald Feldman die Beziehung zwischen der Allianz und dem NS-Regime auf. »Henning Schulte-Noelle hat das Archiv 1993 gegründet, weil er erkannt hat, wie wichtig das Bewusstsein der eigenen Vergangenheit für die Identität des Unternehmens ist«, sagt Eggenkämper. Für sie markiert die Amtszeit von Schulte-Noelle einen Wendepunkt im Selbstverständnis der Allianz. »Das Unternehmen hat sich mehr geöffnet, war bereit, sich gesellschaftlich einzumischen«, erzählt die Historikerin. Früher hat höchstens die Fachpresse von den Vorgängen in der Allianz Wind bekommen. Heute zeigt das Unternehmen einer breiten Öffentlichkeit, wofür es einsteht, was es ausmacht. »Seriös, integer, wertkonservativ im positiven Sinne, aber immer ein Gespür für Innovation«, so beschreibt Eggenkämper das Erfolgsrezept der Allianz. Der Versicherungskonzern hat sich über die Jahrzehnte eine gewisse Coolness angeeignet, die nicht jeder auf den ersten Blick zu erkennen vermag. »Als die Zinsen vor zehn Jahren auf elf Prozent stiegen, waren die rund vier Prozent der Allianz auf Lebensversicherungen langweilig. Heute ist man heilfroh, wenn man eine langfristige Anlage dieser Art hat.« Kein Zweifel: Die Allianz ist kein Platz für Hasardeure. Was nicht heißt, dass es nicht auch in der Allianz Welt im Laufe der Geschichte starke Umbrüche gegeben hat. So erlebte die Allianz in Deutschland im Jahr 2006 eine tiefgreifende Umgestaltung. Tausende Stellen standen damals auf dem Spiel. »Das löste bei vielen Mitarbeitern Existenzängste aus, viele erlebten den Umgang des Unternehmens mit den Mitarbeitern als Kulturbruch«, heißt es im Jubiläumsband. Auch wenn die Veränderungen im Nachhinein Leistung und Profitabilität nachweislich steigerten, das Vertrauen der Mitarbeiter erholte sich nur sehr langsam davon. Trotz der zuweilen rasanten Umwälzungen auf dem globalisierten Markt macht sich Eggenkämper keine Sorgen um die weitere Entwicklung: »Ich bin überzeugt, dass die Mischung aus Konservativität und Innovation auch in Zukunft Erfolg sichern wird.« 29 Allianz Journal 2/2015 D EU T S C H L A ND Kratzer im Selbstbild Die Allianz sieht sich gern als Vorreiter im Kampf gegen den Klimawandel. Beim Public Dialog im April in München bekam das Selbstbild ein paar Kratzer. an: Die Allianz müsse ihre Zurückhaltung ablegen und sich stärker in den Kampf gegen den Klimawandel einschalten, so die Forderung. M I C H A E L GR I M M Anlässlich ihres 125-jährigen Bestehens hatte die Allianz im April zum Public Dialog nach München geladen. Dabei ging es um nichts Geringeres als die Rettung der Welt. Prominenteste Gastrednerin des Abends war Christiana Figueres, Generalsekretärin der UN-Klimakonferenz. Und die fand klare Worte. »Die Allianz hat zwei Milliarden in erneuerbare Energien investiert«, meinte Figueres anerkennend, um die auf den ersten Blick beeindruckende Zahl umgehend ins Verhältnis zu setzen: »Das sind 0,1 Prozent des gesamten Anlageportfolios. Geht da nicht mehr?« Und da sieht die Politikerin aus Costa Rica, die bei den Klimaverhandlungen Ende des Jahres in Paris 194 Staaten zu einer Einigung bewegen will, noch einigen Spielraum. Nachdem sie die unternehmerischen und gesellschaftlichen Leistungen der Allianz in den vergangen 125 Jahren gewürdigt hatte, mahnte sie unmissverständlich ein stärkeres Engagement für den Kampf gegen den Klimawandel Natürlich müssten Versicherer profitabel arbeiten, räumte sie ein, aber gleichzeitig hätten sie auch die Aufgabe, den gesellschaftlichen Wohlstand zu sichern – auch im eignen Interesse. Ihr Wunsch sei es, dass die Allianz mehr Führung übernehme, sagte Figueres, sowohl in der Versicherungsbranche als auch im Dialog mit der Politik. Allein in den nächsten 15 Jahren müssen nach Expertenschätzungen weltweit 90 Billionen US-Dollar in den Erhalt und den Ausbau von Infrastruktur gesteckt werden. »Je mehr dieser Investitionen bereits heute in nachhaltige Infrastruktur fließen, desto besser«, betonte Diekmann. »Denn die Kosten eines Weiter-wie-bisher steigen ständig.« Christiana Figueres hat aufmerksam zugehört. Shutterstock Die UN-Beauftragte war auf Einladung der Allianz von New York an die Isar gereist, um über den Klimawandel und seine Auswirkungen zu sprechen. Als sie den Anruf von Michael Diekmann erhielt, habe sie zunächst nicht recht gewusst, was sie zur Debatte in diesem Umfeld beitragen könne, beschrieb sie ihre anfänglichen Bedenken. Schließlich wüssten die »Risiko-Gurus« am besten, was der Klimawandel für die Gesellschaft bedeute. »Am Ende habe ich die Einladung als Frage interpretiert – als Frage, wie die Versicherungsindustrie mehr zum Kampf gegen den Klimawandel und seine Auswirkungen beitragen könnte.« Der Klimawandel bringe eine völlig neue Art von Risiken hervor, erklärte Figueres weiter. Konventionelle Bauordnungen reichten nicht mehr aus, um gegen die Naturgewalten zu bestehen. Fluten, Dürren, Stürme – das gesamte Spektrum der Wetterextreme verursache nicht nur immense Sachschäden. Für viele Menschen gehe es längst um die nackte Existenz. Vor allem die Bevölkerung in Entwicklungsländern sei den wachsenden Naturgefahren fast schutzlos ausgeliefert, erläuterte Figueres und machte das an einem Beispiel deutlich. »Zwischen 1980 und 2004 waren lediglich 30 Prozent der wetterbedingten Schäden in den Industrienationen von einer Versicherung gedeckt. In den Entwicklungsländern war es im selben Zeitraum sogar nur ein Prozent.« »Wir haben die Botschaft verstanden«, nahm Michael Diekmann den Faden auf. Zuvor hatte der Allianz Vorstandsvorsitzende, der seinen Posten nach zwölfjähriger Amtszeit inzwischen an seinen Nachfolger Oliver Bäte abgegeben hat, selbst gemahnt, dass »ein Weiter-so keine Lösung ist«. Die Sorge, dass die erforderlichen Veränderungen nur auf Kosten von Wohlstand und Wachstum erreicht werden könnten, hält Diekmann für unbegründet. Und sieht sich damit nicht allein: Auch die Wissenschaft habe erkannt, dass Klimaschutz Wachstum erzeugen und Arbeitsplätze schaffen könne, sagte der Allianz Chef. 30 31 Allianz Journal 2/2015 Südafrika Spezial »Tu was!« Krug Natio er nalp a B O T S WA N A NAMIBIA Delphine Maidou rk Pretoria Johannesburg SWAZIL AND links unten: Stern | alle anderen Fotos: Ibrahim Am Kap der guten Hoffnung: trotz erheblicher Fortschritte – die Spaltung der südafrikanischen Gesellschaft ist längst nicht überwunden Als die Allianz ihr den Job in Südafrika anbot, hat Delphine Maidou zunächst gezögert. Sie hatte gerade die kanadische Staatsbürgerschaft erhalten, die Kinder hatten sich eingelebt, das Leben in Toronto gefiel ihr. Dann rief sie ihren Vater an. LESOTHO S Ü DA F R I K A E TISCH AT L A N A E OZ Durban F RA N K ST ERN R Kapstadt Kap der Guten Hoffnung INDI SCHE EA R OZ Viele Unternehmen haben das Geschäftszentrum von Johannesburg verlassen und sind in die sichereren Vorstädte Rosebank und Sandton gezogen 32 N Es ist nur eine kleine Episode, aber sie sagt etwas aus über Südafrika heute, und sie sagt etwas aus über Delphine Maidou, die dort seit 2012 die Geschäfte von Allianz Global Corporate & Specialty (AGCS) führt. Kurz nachdem sie ihren Job in Johannesburg angetreten hatte, wurde sie auf einem Branchentreffen einem weißen Makler als neue AGCS-Chefin vorgestellt. Der musterte sie kurz, drehte sich wortlos um und ging. Rassismus gibt es auch in Amerika, wo sie studiert hat. Es gibt ihn auch in Kanada. Sie kann damit umgehen. Aber so unverhüllt, so rein, und das in einem Umfeld, in dem Vorurteile normalerweise hinter Smalltalk und einem Lächeln verborgen werden, das war neu. »Willkommen in Südafrika, Schwester«, meinte einer ihrer Kollegen. Die 41-Jährige sagt nicht, wie sehr sie die Zurückweisung verletzt hat, aber so etwas prallt an einem nicht einfach 33 beide Fotos: Stern S Ü D A F R I KA S P EZI A L In dieser Villa in Houghton, einem Vorort von Johannesburg, verbrachte Nelson Mandela seine letzten Jahre ab. Als Gesprächspartner fühlt man sich plötzlich unwohl in seiner weißen Haut. Sie hätte sich dem nicht aussetzen müssen. Sie hatte eine Bilderbuchkarriere hingelegt, hatte in den USA Mathematik und Rechnungswesen studiert, ihren MBA gemacht und führte seit zwei Jahren in Toronto das Marktmanagement von AGCS in Kanada. »Ich hatte schon vor, wieder nach Afrika zurückzukehren«, erzählt Maidou, die aus Burkina Faso stammt und einen Großteil ihrer Kindheit auf einem Internat in der Elfenbeinküste verbrachte. »Irgendwann wollte ich zurück. Wenn auch nicht so bald.« Man weiß, wie solche Pläne üblicherweise enden. Die Cape Winelands: Das berühmte Weinanbaugebiet erstreckt sich rund um Stellenbosch, östlich von Kapstadt Skepsis in der Branche Und dann kam das Angebot, für die Allianz das Industrieversicherungsgeschäft in Südafrika zu reanimieren. Einer der interessantesten Jobs, den der damalige AGCS-Chef Axel Theis zu jener Zeit zu vergeben hatte. Und Maidou zögert. Dass sie zum Schrecken ihrer Kinder – der Sohn in den USA geboren, die Tochter in Kanada – am Ende doch zusagt, ist einem Telefonat mit ihrem Vater zu verdanken. »Ich habe mein Leben lang gearbeitet, um dich und deine Geschwister auf die besten Schulen schicken zu können«, hielt der ihr vor, »und jetzt, wo du etwas für Afrika tun kannst, überlegst du?« Mehr war nicht nötig. Südafrika ist ein schwieriger Markt. Die Allianz hatte sich dort schon einmal verkalkuliert und das verlustreiche Geschäft 2001 auf Eis gelegt. Als sie sich 2012 im Markt zurückmeldete, reagierte die Branche skeptisch. »Ihr seid schon einmal ausgestiegen«, bekam Delphine Maidou von Firmenvertretern und Maklern zu hören. »Wie lange bleibt ihr diesmal?« 34 Auch der Aufbau eines Teams von Underwritern gestaltete sich alles andere als einfach. Dass AGCS in Südafrika heute dennoch über eine erfolgreiche Mannschaft verfügt, hat viel damit zu tun, dass es der Newcomerin aus Kanada gelang, ihre Wunschkandidaten von der Ernsthaftigkeit des Neuanfangs zu überzeugen. »Das war keine Frage des Geldes«, sagt Maidou. »Das wäre einfacher gewesen. Es ging um Vertrauen.« Und es ging um eine Vision, die sich bislang kein anderer Versicherer auf die Fahnen geschrieben hat: AGCS hat nicht nur den südafrikanischen Markt im Visier; das Spielfeld des Industrieversicherers ist die gesamte Region südlich der Sahara. »Afrika ist eine riesige Baustelle«, sagt Maidou. Die Wachstumsraten sind trotz zahlreicher Krisen und Konfliktherde enorm. Nigeria hat Südafrika im vergangenen Jahr als stärkste Wirtschaftsmacht in Afrika abgelöst. »Wer auf dem Kontinent wachsen will, kann ein Land wie Nigeria nicht ignorieren«, sagt Maidou. Inzwischen versichert das Johannesburger AGCS-Büro Projekte in 15 Ländern Schwarzafrikas. Wobei sich das Büro eigentlich nicht direkt in Johannesburg befindet, sondern in Rosebank, einem wohlhabenden Vorort mit von Bäumen gesäumten Straßen und gepflegten Hochsicherheitsvillen. Aus dem einstigen Geschäftsviertel im Zentrum von Johannesburg haben sich viele Unternehmen längst zurückgezogen. Zahllose Gebäude stehen leer; Weiße sieht man in den Straßen kaum. Südafrika gehört zu den Ländern der Welt mit dem größten Ungleichgewicht in der Einkommensverteilung. Geister der Vergangenheit »Es wird noch lange dauern, bis die Schwarzen in Südafrika mit ihren weißen Landsleuten gleichgezogen haben«, sagt Delphine Maidou. »Das enorme Bildungsdefizit ver- hindert, dass mehr von ihnen in wichtige Positionen in der Wirtschaft aufrücken.« Zwar gibt es staatliche Förderprogramme, doch eine durchschlagende Wirkung hatten sie bislang nicht. Bis heute hat sich an dem Bildungsrückstand fast nichts geändert. Die Zusammensetzung von Maidous Team ist für südafrikanische Verhältnisse denn auch eher ungewöhnlich. »Es ist ein Spiegel des Landes, in dem wir uns bewegen«, sagt sie. Weiße, Schwarze, Inder, Männer, Frauen – eine Vielfalt, die kaum ein anderes Finanzinstitut aufzuweisen hat und die es Maidou ermöglicht, für jeden Kunden den passenden Gesprächspartner ins Rennen zu schicken. »Manch einer redet lieber mit Leuten, die so aussehen wie er selbst«, umschreibt sie die Praxis und lacht – ein ziemlich souveräner Umgang mit den Geistern der Vergangenheit. Der pragmatische Ansatz hat Türen geöffnet: Einige der größten Unternehmen Afrikas aus den Bereichen Energie, 35 alle Fotos: Stern S Ü D A F R I KA S P EZI A L Rosebank/Johannesburg Kruger Nationalpark Johannesburg AGCSSüdafrika Südafrika AGCS Muslimisches Viertel Bo-Kaap in Kapstadt Öl und Gas, Telekommunikation, Infrastruktur und Seeschifffahrt sind mittlerweile AGCS-Kunden. Auch die eine oder andere Goldmine gehört zum Portfolio. Dass der Erfolg nicht nur der Flexibilität und dem einnehmenden Wesens ihrer bunten Truppe zu verdanken ist, darüber macht sich Maidou freilich keine Illusionen: »An der Allianz kommt in der Branche keiner vorbei. Das hat uns natürlich geholfen.« Auch wenn man den Eindruck gewinnen könnte, die Frau hätte keine Rückendeckung nötig – es macht schon einen Unterschied, ob jemand mit der Allianz an der Seite in Geschäftsverhandlungen geht. Maidou weiß sich zu behaupten und lässt sich auch nicht irritieren, wenn der Ton am Verhandlungstisch rauer wird. Irritiert sind gelegentlich ihre Gesprächspartner: Es passiert noch nicht allzu häufig, dass in Südafrikas Geschäftswelt eine Frau mit der Männerriege in den Clinch geht. Eine schwarze Frau zumal. Von ihr wird einiges erwartet – auch außerhalb der Allianz. Im vergangenen Jahr platzierte sie das französische Wirtschaftsinstituts Choiseul unter den »100 afrikanischen Wirtschaftsführern von morgen« auf Rang 22. Dass sie ihre beiden Kinder allein aufzieht, war der Erfolgsmeldung nicht zu entnehmen. »Egal, wie gut ein Mann in seinem Job klarkommt«, sagt Maidou, »wenn seine Frau erfolgreicher ist, gibt es in der Beziehung ein Problem.« 36 Den Druck von allen Seiten merkt man ihr selten an. Nur gelegentlich braucht auch sie ein Ventil, und das sind dann jene Momente, in denen sie unvermittelt in die Sprache ihrer Kindheit wechselt. »Wütend bin ich besser auf Französisch«, sagt sie und lacht. Sie lacht oft. Kanada ging, einem Land mit absurd kalten Wintern, um Landwirtschaft zu studieren; und der seinen Kindern später als Agraringenieur in Diensten der Welternährungsorganisation einimpfte, dass Bildung jede Anstrengung wert ist. Vor einiger Zeit hat sie gemeinsam mit ihren Kindern, neun und zwölf, das Apartheid-Museum in Johannesburg besucht. Sie sollen wissen, was das Land und Menschen ihrer Hautfarbe in der Vergangenheit durchgemacht, welchen Weg sie zurückgelegt haben und was noch vor ihnen liegt. »Es war für sie ein Schock«, beschreibt Maidou die Wirkung auf Sohn und Tochter. »Sie wachsen in behüteter Umgebung auf, auf der internationalen Schule, die sie besuchen, spielt die Hautfarbe keine Rolle. Doch nicht jeder in Südafrika ist farbenblind.« Dass die allein nicht immer ausreicht, erlebt Delphine Maidou allerdings tagtäglich. Jeder zweite Schwarze in Südafrika zwischen 15 und 24 Jahren ist arbeitslos. Daran kann sie mit ihren 50 Mitarbeitern nichts ändern, aber ihr Team gibt ein Beispiel. Immerhin. »Klar geht es für uns darum, Gewinn zu machen und das Geschäft auszubauen«, sagt die AGCS-Chefin. Stolz aber macht sie vor allem, wie ihre Mitarbeiter ihre Fähigkeiten entwickeln, wie sie wachsen – unabhängig von Hautfarbe und Herkunft. »Geh zurück und tu was«, hatte ihr Vater gesagt. Die Mühen der Ebene »Ich mag dieses Land«, sagt Maidou über ihre neue Heimat. »Ich mag seine Geschichte und die Hoffnung, die ganz Afrika mit ihm verbindet.« Und auch wenn sie einen Mangel an Führern vom Format eines Nelson Mandela beklagt, Südafrika hat in ihren Augen das Potenzial, um die Mühen der Ebene zu meistern. Vor kurzem hat sie für sich und ihre Kinder in einem Johannesburger Vorort ein Haus gekauft. »So schnell wollen wir hier nicht wieder weg«, sagt sie. »Aber bei der Allianz weiß man nie, was kommt.« Sie glaubt dennoch an das große Versprechen, mit dem Nelson Mandela vor über 20 Jahren angetreten war – trotz all der Probleme, mit denen das Land aktuell zu kämpfen hat: Gewalt, Fremdenfeindlichkeit, Korruption, Missmanagement. Ein Zukunftsglaube, der auch ihren Vater antrieb, als er als Kind auf den Feldern der Nachbarn schuftete, um sich das Geld für den Schulbesuch zusammenzusparen; der mit einem Stipendium nach In Afrika werden in den nächsten Jahrzehnten MilliIn Afrika werden in den nächsten Jahrzehnten Milliarden arden in Energie, Transport und Logistik investiert. in Energie, Transport und Logistik investiert. Und die Und die Allianz Global Corporate & Specialty (AGCS) Allianz Global Corporate & Specialty (AGCS) hat alles, hat alles, um die damit verbundenen Risiken zu um die damit verbundenen Risiken zu beherrschen: beherrschen: von der Kreditversicherung bis zur von der Sach- bis zur Transportversicherung, von der Transportversicherung, von der Bauleistungspolice bis Bauleistungspolice bis zur Managerhaftpflicht. »Das zur Managerhaftpflicht. »Das kann kaum ein anderer kann kaum ein anderer Versicherer in Afrika bieten«, Versicherer in Afrika bieten«, sagt Delphine Maidou, sagt Delphine Maidou, 2012 Chefin einem von AGCS seit 2012 Chefin von seit AGCS Südafrika, Team von Südafrika. Mitarbeitern. Industrieversicherer Allianz nicht DerDer Industrieversicherer derder Allianz hathat nicht nurnur denden südafrikanischen Markt Visier. Er ist in ganz Afrika südafrikanischen Markt im im Visier. Er ist in ganz Afrika südlich Sahara aktivEin und kannder sichim dabei auch auf südlich derde Sahara aktiv. Viertel vergangenen Allianz Töchtern stützen – allen Euler Jahrandere erwirtschafteten Prämien in Höhe vonvoran 150 Millionen Hermes. Im Januar hat der Kreditversicherer Quartier Euro stammte bereits aus Versicherungsgeschäft außerim AGCS-Gebäude in Rosebank, einem Vorort von halb Südafrikas. Insgesamt lag das Prämienvolumen Johannesburg, bezogen. Ein Viertel der im vergander Allianz Gruppe auf dem Kontinent im vergangenen genen Jahr erwirtschafteten Prämien in Höhe von Jahr bei 500 Millionen Euro. »Damit liegen wir klar unter 150 Millionen Euro stammte bereits aus Versicheunseren Möglichkeiten«, sagt Südafrikas, Maidou. wobei bereits rungs-geschäft außerhalb DasUnternehmen soll sich ändern: Mit Unterstützung von AGCS haben ab einem Umsatzvolumen von 25 Milneben Kreditversicherer Euler Hermes, der im Januar lionen Euro als Kunden in Betracht kommen. AußerQuartier im AGCS-Gebäude in Rosebankfür bezogen hat, halb Afrikas liegt die Umsatzschwelle die AGCS auch Allianz Global beibereits 500 Millionen Euro. Assistance und Allianz Re ihre Geschäfte nach Südafrika ausgeweitet. W W W. AG C S . A L L I A N Z .C O M W W W. AG C S . A L L I A N Z .C O M 37 S Ü D A F R I KA S P EZI A L Schwarzes Land, weißes Land INT ERVI E W : F R A N K S T E R N Jan Hofmeyr beschäftigt sich beruflich mit der Teilung Südafrikas und mit Wegen zu ihrer Überwindung. Seit zehn Jahren arbeitet der 43jährige Sozialwissenschaftler am Institut für Gerechtigkeit und Versöhnung (IJR) in Kapstadt und leitet dort den Bereich Politik und Analyse. Herr Hofmeyr, in einer Ihrer jüngsten Studien heißt es, dass die Zersplitterung der südafrikanischen Gesellschaft in den letzten Jahren gewachsen ist. War Nelson Mandela der einzige, der die Teile zusammenhalten konnte? Wir hatten Glück, dass wir in der Zeit des Übergangs zur Demokratie Politiker hatten, die ihre jeweilige Gefolgschaft für den Kurs- 38 wechsel gewinnen konnten. Das war Nelson Mandela auf der einen Seite, aber das war auch Frederik Willem de Klerk, der die weiße Wählerschaft hinter sich versammelte. Das größte Vermächtnis, das uns Mandela hinterlassen hat, ist der Wunsch, das es keinen weiteren Mandela braucht. Er war auch der Erste, der immer darauf hingewiesen hat, dass er Teil eines Kollektivs war, das das Land zusammengehalten hat. Dennoch kann man heute den Eindruck gewinnen, als sei der Traum von der Regenbogennation mit ihm begraben worden. Immer weniger Weiße sind der Ansicht, dass die Rassentrennung Unrecht und menschenfeindlich war. Im Rückblick betrachtet war die Regenbogenmetapher wahrscheinlich nicht besonders glücklich gewählt. Sicher war dies das Ideal, aber mit dem Übergang zur Demokratie 1994 sind nicht über Nacht alle Unterschiede eingeebnet worden. Wir sind nicht plötzlich eine Nation geworden, in der sich alle bei den Händen halten und die Hautfarbe keine Rolle mehr spielt. Jeder kann heute wählen, aber was den wirtschaftlichen Status angeht, ist die Gesellschaft weiterhin gespalten. Und daraus ergeben sich zunehmend Spannungen. Insbesondere die junge schwarze Generation hat das Gefühl, dass sie nicht dieselben Möglichkeiten zu gesellschaftlichem Aufstieg hat wie Kinder weißer Hautfarbe. Bislang ist es der südafrikanischen Gesellschaft nicht gelungen, die Frage der wirtschaftlichen Gerechtigkeit zu lösen. Was sind die Gründe dafür? Der Zugang zu Bildung ist das Hauptproblem. Auch heute haben Schwarze nicht die gleichen Bildungschancen wie ihre weißen Altersgenossen, die allein schon dadurch privilegiert sind, dass ihre Eltern eine gute Schulbildung hatten und auch ihre Kinder auf gute Schulen schicken können. Für viele Schwarze ist der Weg zu höherer Bildung ein Hürdenlauf, bei dem viele auf der Strecke bleiben. Wer es doch an die Universität schafft, für den stellt sich die Frage, wie er sich während des Studiums finanziell über Wasser halten soll. Gelingt ihm dennoch ein Abschluss, trifft er auf einen Arbeitsmarkt, der von Weißen dominiert wird und in dem Rassenvorurteile nach wie vor eine große Rolle spielen. Das Bildungssystem schreibt die Chancenungleichheit praktisch fort? Es reproduziert sie. Ja. Die Regierung schreibt sich auf die Fahne, dass sie Bildung für alle ermöglicht hat. Doch jeder zweite schwarze Schüler verlässt die Schule ohne Abschluss. Es fehlt an Förderung, es fehlt an guten Ausbildungseinrichtungen. Oft kommen die Kinder aus armen Verhältnissen und müssen früh mit anpacken, um die Familien mit zu versorgen. Es ist ein zäher Kampf, und oft scheint es, als ob sich nichts bewegt. Daher der ganze Frust, den man derzeit unter vielen schwarzen Jugendlichen beobachten kann. links: Stern | beide Fotos oben: Ibrahim Es gibt Momente in der Geschichte, da meint man, das Wachsen einer Nation zu beobachten. Momente, in denen alles Trennende vergessen scheint. Momente der Hoffnung auf eine gemeinsame Zukunft. Südafrika hat in den letzten zwei Jahrzehnten einige solcher Momente erlebt. Doch sie waren flüchtig. Das Land bleibt gespalten – in Schwarz und Weiß, in Arm und Reich. Kapstadt ist die Perle Südafrikas. Meer, und Strände, Tafelberg und Waterfront – und rings um die Stadt die Cape Flats. Hier hausen die Ärmsten der Armen. Im März starteten Studenten an der Universität von Kapstadt die Kampagne »Rhodes Must Fall« (Rhodes muss fallen), die verlangte, die Statue des weißen Kolonialpolitikers Cecil Rhodes vom Universitätsgelände zu entfernen. Daraus entwickelte sich eine breite Protestbewegung, die sich die »Dekolonialisierung« des Bildungssystems in Südafrika auf die Fahnen schrieb. Am 9. April wurde die Rhodes-Statue demontiert. Der aktuelle Protest der schwarzen Jugend richtet sich aber nicht nur gegen Statuen von weißen Kolonial- und Apartheidpolitikern, sondern auch gegen den regierenden ANC. Wieso das? Während der Proteste im April wurden zahlreiche Denkmäler für weiße Politiker, darunter die Statue des ehemaligen Premierministers Louis Botha vor dem Parlamentsgebäude in Kapstadt, mit Farbe attackiert 39 Allianz Journal 2/2015 Ibrahim S Ü D A F R I KA S P EZI A L I N S T I T U T F Ü R G E R E C H T I G K E I T U N D V E R S Ö H N U N G (I J R) Das Institut für Gerechtigkeit und Versöhnung (Institute for Justice and Reconciliation/IJR) wurde im Jahr 2000 ins Leben gerufen, nachdem die Wahrheits- und Versöhnungskommission zur Untersuchung der Verbrechen der Apartheidzeit ihre Arbeit beendet hatte. Ziel des Instituts ist es, den Übergang zur Demokratie zu begleiten, die Versöhnung zwischen den verschiedenen Bevölkerungsgruppen zu fördern und anhand von Pilotprojekten aufzuzeigen, wie zuvor benachteiligte gesellschaftliche Schichten in die Entwicklung des Landes einbezogen werden können. Das Institut gibt Jan Hofmeyr zusammen mit Carolin Gomulia, Kommunikationschefin des Instituts regelmäßig Studien zur Entwicklung der Beziehungen zwischen schwarzen und weißen Südafrikanern heraus und unterstützt auch Transitionsprozesse in Uganda, Ruanda, Süd-Sudan, Kongo, Burundi, Zimbabwe, Kenia und Äthiopien. W W W. I J R .O RG . Z A South WieHow viele many Südafrikaner Africans agree that stimmen der Aussage zu, dass apartheid was a crime Apartheid ein Verbrechen against humanity? gegen die Menschlichkeit war? …against humanity Wie viele Südafrikaner leben heute unterhalb der Armutsgrenze? Die Lage hat sich in den letzten Jahren erheblich verbessert, doch noch immer ist es etwa jeder Vierte im Land. Dass es heute nicht mehr 50 Prozent sind wie früher, hat vor allem mit den staatlichen Wohlfahrtsprogrammen zu tun. Kindergeld, Altenhilfe und Ähnliches. Etwa 16 Millionen der 52 Millionen Südafrikaner erhalten heute staatliche Zuwendungen. 22003 003 2003 86.5% 86,5 % 86.5% AGREE zu stimmten AGREE VS VS 22013 013 2013 76.4% 76,4 % 76.4% AGREE zu stimmten AGREE Nach Bevölkerungsgruppen …against humanity by race: 2013 Weiße Asiatisch/Indisch 70,3 % 88,6 % ASIAN/ INDIAN WHITE 52,8 % 52.8% 77,077.0% % AGREE Farbige 70.4% 70,4AGREE % 2003 40 AGREE Schwarze COLOURED 92,2 % 2013 Sie kritisieren sogar Mandela. Aus ihrer Sicht ist er gegenüber den Weißen zu nachgiebig gewesen. Doch zu jener Zeit war es der einzige Weg, den Übergang von der Apartheid zur Demokratie friedlich zu gestalten. BLACK 88,9 % 80.9% AGREE 80,9 % Quelle: IJR In Ihren Reports kritisieren Sie offen die Regierungspartei. Hat das schon mal etwas bewirkt? Wir versuchen, keine einseitige Kritik zu üben, aber der ANC stellt nun mal die Regierung; er ist seit über 20 Jahren an der Macht. Irgendwann haben sie nicht mehr richtig hingehört, welche Themen in der Gesellschaft diskutiert werden und was die Menschen auf der Straße zu sagen haben. Aber ich glaube, das ändert sich gerade. Derzeit erlebt man, wie eine neue Generation ihre Rechte einfordert und dabei auch bislang unangefochtene Autoritäten ins Visier nimmt. Sie sind wütend darüber, dass das weiße Establishment weiter die wirtschaftlichen Fäden in Händen hält. Und das lasten sie nicht zuletzt dem ANC an. Dieser Frust hat zum Aufstieg der Economic Freedom Fighters geführt, die bei der letzten Parlamentswahl zur drittstärksten Kraft aufgestiegen sind. Sie werfen dem ANC Versagen vor. Und der wehrt sich mit Verweis auf die erbrachten Opfer im Freiheitskampf. Es ist ein Generationenkonflikt. Ist der Versuch gescheitert, eine gerechtere Gesellschaft zu schaffen? Es gibt immer mehr Schwarze, die in die Mittelschicht aufsteigen, doch insgesamt ist die Ungleichheit in der Gesellschaft gewachsen. Aber es wäre nicht fair einfach zu sagen, der Versuch sei gescheitert. Man darf nicht vergessen, wo Südafrika herkommt und was wir erreicht haben. Einige hundert Jahre Unrecht lassen sich nicht in 20 Jahren überwinden. Children’s Hospital Trust Kap der Tränen Das Gesicht eine Grimasse, die Haut in grotesken Mustern über den Körper gespannt – im Kinderkrankenhaus von Kapstadt begegnen einem die jüngsten Opfer von Feuer und Armut. Beides gehört in Südafrika untrennbar zusammen. F RA N K ST ERN Die Geschichten ähneln sich: der Wasserkessel auf offenem Feuer, die Pfanne mit heißem Öl, der Kerosinofen Marke Eigenbau – Kinder in den Schwarzensiedlungen Südafrikas leben gefährlich: Keine andere Unfallart fordert bei Kleinkindern unter vier Jahren mehr Todesopfer als Verbrennungen und Verbrühungen. Diejenigen, die mit dem Leben davonkommen, sind oft für immer gezeichnet. So wie dieser Junge, der auf dem Flur der Brandwundenabteilung des Kinderkrankenhauses von Kapstadt gerade einen Ball vor sich hertreibt. Er ist vielleicht sechs oder sieben. Die Haut auf seinem Oberkörper erinnert an geschmolzene Plastikfolie. Der Anblick ist kaum zu ertragen – und man kann nicht wegsehen. Heinz Rode hat im Laufe seines langen Berufslebens Tausende solcher 41 Allianz Journal 2/2015 beide Fotos: Children’s Hospital Trust Pro Jahr werden am Children’s Hospital 260 000 Kinder behandelt, 3500 davon in der Brandwundenabteilung dass dem Krankenhaus nicht das Geld ausgeht. Clem Booth, bis Dezember letzten Jahres Mitglied im Allianz Vorstand, gehört zu den Förderern der Einrichtung. »Er ist eine ungemein große Hilfe«, sagt die Stiftungs-Chefin über ihren Landsmann. Medizingeschichte geschrieben Kinder behandelt, hat sie gerettet und dann in ein Leben entlassen, das für viele von ihnen zu einer Abfolge von Zurückweisungen und Niederlagen wurde. »Oft ist der medizinische Triumph nur das Vorspiel für eine menschliche Tragödie«, sagt er. 42 Rode ist eine Ikone der südafrikanischen Brandmedizin. Wer ihn treffen will, braucht etwas Glück, denn der 73-Jährige, der eigentlich schon seit acht Jahren im Ruhestand ist, steht weiter jeden Tag im Operationssaal. Bislang ist niemand in Sicht, der ihn ersetzen könnte. »Also mache ich weiter, bis sie jemanden mit dem nötigen Enthusiasmus und dem erforderlichen Fachwissen finden, der die Abteilung nach vorn bringen kann«, erklärt Südafrikas führender Brandwundenspezialist. Das dürfte schwer werden. Das Red Cross War Memorial Children’s Hospital wurde 1956 auf Initiative von südafrikanischen Weltkriegsveteranen ins Leben gerufen und ist heute das größte Kinderkrankenhaus in Afrika südlich der Sahara. Über 260 000 Patienten werden dort jährlich ambulant und stationär versorgt. Mit 22 Betten verfügt es zudem über die größte Kinderintensivpflegestation auf dem Kontinent. »Was längst nicht ausreicht«, sagt der Leiter der Station, Professor Andrew Argent. »Heute müssen Patienten fast zwei Tage warten, bevor wir sie zu uns verlegen können.« Mit einem zusätzlichen Trakt soll die Kapazität bis nächstes Jahr auf 39 Betten erweitert und die Wartezeit drastisch reduziert werden. Die Regierung der Western Cape-Provinz steuert einen Teil der Kosten bei, den Rest deckt der Trust mit Spendengeldern. »Der Mann ist eine Inspiration«, sagt Louise Driver, und wie bei allen, die auf den Professor mit den deutschen Vorfahren zu sprechen kommen, ist auch in ihren Worten uneingeschränkte Bewunderung zu spüren. »Die jungen Ärzte hier sind begeistert, dass sie mit ihm zusammenarbeiten können«, erzählt Driver, die als Geschäftsführerin des Children’s Hospital Trust maßgeblich mit dafür sorgt, Das Kinderkrankenhaus hat Medizingeschichte geschrieben. Hier wurden 1964 erstmals in Südafrika erfolgreich siamesische Zwillinge getrennt; hier wurde 1990 zum ersten Mal einem Kind in Südafrika ein Herz eingepflanzt; hier erfolgte 1997 die erste kombinierte Leber- und Nierentransplantation bei einem Kind. Und hier wurde 1956 die bis heute einzige Spezialabteilung in Afrika zur Behandlung von Brandopfern bis 13 Jahren eingerichtet. Pro Jahr werden in der Burns Unit rund 3500 Patienten versorgt, 85 Prozent davon sind jünger als sechs Jahre, fast alle sind schwarz. unerträglichen Qual wird. Rode treibt diese Frage seit Jahren um. »Ein moralisches Dilemma«, sagt er. Heinz Rode sieht erschöpft aus. Gerade hat er ein kleines Mädchen untersucht, das zwei Tage zuvor bei einem Brand schwere Verbrennungen erlitten hatte. Irgendwie hatte es die Dreijährige durch ein Fenster nach draußen geschafft, als ihre Hütte in Mfuleni, einem Township 40 Kilometer von Kapstadt entfernt, in Flammen aufging. Ein Onkel, als Händler weniger erfolgreich als ihre Mutter, hatte in der Nacht einen Molotow-Cocktail geworfen. Die Mutter und eine Schwester kamen in den Flammen um. Jetzt liegt das Mädchen, von Kopf bis Fuß bandagiert, auf der Intensivstation. Fast die Hälfte seiner Hautoberfläche ist verbrannt. Eine Verwandte ist bei ihm. Ein Dilemma, das in Südafrika vor allem die schwarze Unterschicht in den wilden Siedlungen betrifft, die rund um die großen Metropolen aus dem Boden schießen. »Verbrennungen und Verbrühungen sind ein Fluch der Armut«, bringt es Louise Driver auf den Punkt. »Die Menschen leben in beengten Verhältnissen mit Feuerstellen auf dem Boden, mit Petroleumkochern in der Ecke und herumhängenden Stromkabeln. Unfälle sind da fast vorprogrammiert. Vor allem Kleinkinder sind gefährdet.« Heinz Rode wird die Kleine retten. Er ist mit seiner chirurgischen Kunst inzwischen in Bereiche vorgestoßen, in denen selbst Patienten mit über 90 Prozent verbrannter Haut Überlebenschancen haben. Bereiche, in denen die Frage auftaucht, wie weit man die Möglichkeiten der modernen Medizin ausreizen soll, wenn das Ergebnis des handwerklichen Erfolgs ein behinderter, entstellter, deformierter Mensch ist, dem das gerettete Leben zu einer links: Ibrahim | Mitte: Stern | rechts: Children’s Hospital Trust S Ü D A F R I KA S P EZI A L Fluch der Armut Wie überall, wo es um Leben und Tod geht, ist auch die Brandwundenabteilung des Kapstadter Kinderkrankenhauses ein Ort der Hoffnung und der Verzweiflung. Ein Ort, an dem Mütter und Väter um ihre Kinder bangen, an dem sie beten, an dem sie trauern. Das War Memorial Children’s Hospital aber ist zugleich der Spiegel einer gesellschaftlichen Katastrophe, deren Spuren unübersehbar sind – eingegraben in die Haut ihrer Opfer. Für immer. Man kann nicht wegsehen. W W W.C H I L D R E N S H O S P I TA LT R U S T.O RG . Z A Sie versuchen die Folgen einer gesellschaftlichen Katastrophe zu mildern: Heinz Rode, Louise Driver, Andrew Argent (v.l.) 43 AS I EN Asien Bislang zählt die Allianz im Bereich neue Medien nicht unbedingt zu den Trendsettern. Doch das könnte sich bald ändern: In Singapur betreibt die Allianz ein Digitallabor, in dem Experten derzeit an einer Erfolgsformel für die Zukunft tüfteln. FR AN K ST E R N Shutterstock Spiele, Punkte und Rabatte »Wir haben den Kontakt zu unseren Kunden in vielen Bereichen aus der Hand gegeben und ihn weitgehend Dritten überlassen«, sagt Joos Louwerier, »Den Banken zum Beispiel oder Maklern und Vertretern. Nun aber haben wir die Chance, uns wieder selbst ins Spiel zu bringen.« Mit einem Team von gut 20 Mitarbeitern entwickelt der Niederländer, als Chief Operating Officer für das Tagesgeschäft bei Allianz Life in Korea zuständig, gerade die Lebensversicherung von morgen. Sein Kollege James Chen versucht derweil in Shanghai, die Kfz-Versicherung für die Digital Natives aufzuladen, jener Generation, die in der Welt von Alibaba, Baidu, und WeChat zu Hause ist und vorzugsweise über diese Kanäle erreicht werden kann. Der Direktkanal, den Chen und sein Team in den vergangenen Monaten entwickelt haben, ist Smartphone-kompatibel, bietet einen Tarifschnellrechner, modulare Angebote, Onlinezahlung, Kundenbewertungen und Verbindung zu sozialen Netzwerken. Anfangs können Kfz-, Unfall-, Reise- und Krankenversicherungen abgeschlossen werden, später sollen weitere Angebote hinzukommen. Geplant ist zudem eine Mobilitäts-App, die Kunden eine ganz neue Welt eröffnen wird. Die Allianz App wird in der Lage sein, die Fahrweise von Kunden zu analysieren und besonnenes Verhalten mit Rabatten auf die nächste Versicherungsprämie zu honorieren. Auch die Pannenhilfe per Tastendruck gehört zum Paket. Mit ihren Angeboten will die Allianz zum ständigen Begleiter ihrer Kunden werden und ein Defizit der Vergangenheit beheben: »Für Versicherer war es in 44 der Vergangenheit recht schwierig, regelmäßig mit ihren Kunden in Kontakt zu kommen«, sagt Chen. »Mobile Plattformen und soziale Netzwerke aber bieten uns heute eine Vielzahl von Interaktionsmöglichkeiten.« Die sind allerdings auch das Einfallstor für »artfremde« Konkurrenz. »Wir stehen inzwischen nicht mehr nur im Wettbewerb mit anderen Versicherungsunternehmen«, beschreibt Chen, der früher bei Chinas zweitgrößter Versicherung Ping An für Innovationsprojekte zuständig war, die Lage. »Heute haben wir es mit ganz neuen Mitspielern zu tun. Und die sind sehr aggressiv, sehr schnell und kennen sich mit neuen Technologien bestens aus.« Chinas Technologieriesen Alibaba und Tencent haben zusammen mit Ping An bereits einen Online-Versicherer aus der Taufe gehoben. Da kommt auf die traditionellen Versicherer einiges zu. Digitale Aufholjagd »Noch hinkt die Allianz der Entwicklung hinterher«, räumt Philipp Wolfensberger ein. »Doch wir sind dabei, die Lücken zu schließen.« Der Schweizer weiß, dass dafür nicht viel Zeit bleibt. Bei ihm laufen die Fäden aller Digitalisierungsprogramme zusammen, die Ende letzten Jahres unter dem Titel Digital@Allianz in der Region Asien-Pazifik gestartet wurden. Eine Kernmannschaft, besetzt mit Experten für Lebens- und Sachversicherung sowie den Bankvertrieb, hatte in Singapur zunächst die Strategie für die digitale Aufholjagd entworfen. Anschließend begann die Feinarbeit: Für den Lebensversicherungspart hat man sich mit Allianz Life in Korea zusammengetan; neue Kfz- 45 James Chen Philipp Wolfensberger alle Fotos: Stern (wenn nicht anders angegeben) AS I EN Allianz Life Korea den Verkauf von Policen. Es geht darum, verschiedene Mobilitätsaspekte miteinander zu verknüpfen – und das auf möglichst spielerische Art. Joos Louwerier entwickelt mit seinem Team in Korea die Lebensversicherung von morgen Versicherungsangebote werden bei der Allianz China in Shanghai getestet; und in Indonesien beschäftigt sich ein Team unter Leitung von Philipp Wolfensberger mit dem Digitalangebot für den Bankenkanal. Doch was davon nimmt der Kunde an? Was funktioniert? Was nicht? Noch gibt es kaum Erfahrungswerte, an denen sich die Allianz Teams orientieren könnten. Es ist wie eine Entdeckungsreise in unerforschtes Gebiet – Ausgang ungewiss. »Trial and Error, Versuch und Irrtum«, sagt Wolfensberger. »Ein solches Projekt erfordert unkonventionelles Denken und den Mut, Fehler zuzulassen.« Was sich schnell mal so dahinsagt, in der Praxis aber für viele eine mächtige Hürde darstellt. »Kulturell bedingt in Asien noch mehr als in Europa«, unterstreicht Joos Louwerier. »Doch um erfolgreich zu sein, müssen wir die Furcht, Fehler zu begehen, ablegen.« Und das möglichst schnell, denn das Ziel ist nicht gerade bescheiden: »Wir wollen nicht nur zu den anderen aufschließen«, sagt Louwerier. »In zwei Jahren wollen wir an der Spitze stehen.« Die Bedingungen dafür sind so schlecht nicht, schließlich können die Entwicklerteams aus dem umfangreichen Arsenal der Allianz schöpfen und daraus neue, digitale 46 Angebotspakete zusammenstellen. Voraussetzung dafür sei allerdings eine größere Kooperationsbereitschaft zwischen den verschiedenen Tochtergesellschaften und Sparten, als das in der Vergangenheit der Fall war, sagt Philipp Wolfensberger. »Wir müssen lernen, dass wir eine Familie sind.« Neben größerem Familiensinn zählt eine ausgefeilte Marktforschung zu den wichtigsten Säulen des Digitalprogramms. »Die intelligente Analyse von Daten gibt uns Auskunft über Kundenverhalten und -wünsche«, beschreibt James Chen den Ansatz. Daher werden Neuentwicklungen vor der Markteinführung auch ausgiebig an Referenzgruppen auf ihre Wirkung getestet. »Der Prozess ist ganz auf die Kundensicht ausgerichtet«, setzt Wolfensberger hinzu. »Wir zeichnen den Tagesablauf von realen Personen nach und erfahren, welche Daten sie bereit sind, mit uns zu teilen, und in welchem zeitlichen Rhythmus.« Auf diese Weise lässt sich auch herausfiltern, wie sich vom eher uninspirierenden Thema Versicherung die Brücke zur bunten Digitalwelt schlagen lässt. Für den KfzBereich haben James Chen und sein Team in Shanghai bereits eine ganze Palette an Interaktionsmöglichkeiten mit dem Kunden entwickelt. Dabei geht es nicht nur um Auch auf der Bankenseite tut sich einiges. Dabei nutzen Philipp Wolfensberger und sein Team die Vorteile, die der Kooperationsvertrag der Allianz mit HSBC in Taiwan, China, Indonesien und Malaysia bietet. Ab Juli gibt es für wohlhabende HSBC-Kunden in Indonesien umfassende digitale Angebote, weitere Segmente, wie Kreditkartenkunden, sollen folgen. »Wir holen auf«, sagt Wolfensberger. »Derzeit analysieren wir gerade, wie wir unsere Neuentwicklungen auch in anderen Märkten wie Taiwan oder Malaysia einsetzen können.« In ihrem Digitallabor in Singapur tüfteln Allianz Experten an einer Erfolgsformel für die Zukunft Der Countdown läuft Währenddessen läuft bei der Allianz in Korea der Countdown für eine neue Form der Lebensversicherung – ein Bereich, in dem der Kundenkontakt in der Regel noch seltener vorkommt als in der Autosparte. Geht es nach Joos Louwerier, wird sich das bei Allianz Life in Korea in absehbarer Zeit ändern. Neue Angebote von Allianz Global Assistance und von BNoom, einer Firma, die GesundheitsApps entwickelt, sollen dabei helfen. Über Internet-Blogs zu Gesundheits- und Ernährungsthemen und in Zusammenarbeit mit Internetanbietern werden zahlreiche Anfragen zu Versicherungsthemen direkt auf die neu entwickelte Allianz Webseite »AllRight« geleitet. Über einen Schnellrechner können sich Interessenten dort Preise für einfache Lebens- und Krankenversicherungen anzeigen lassen, einen kurzen Gesundheitscheck durchlaufen und schließlich ein Versicherungspaket wählen, das ihren speziellen Vorsorgewünschen entspricht. Als Entscheidungshilfen zeigen Grafiken an, wie viele Kunden mit ähnlichem Anforderungsprofil welche Art von Police abgeschlossen haben. Wer »AllRight« weiterempfiehlt, kann sich eine Belohnung wie etwa einen Gutschein von Starbucks sichern. Doch das ist erst der Anfang. Louweriers Team will die Kontaktmöglichkeiten noch weit stärker ausbauen. »Eine spezielle Fitness-App soll Kunden helfen, etwas für ihre Gesundheit zu tun«, erläutert der Betriebswirt das Modell. »Davon haben beide Seiten etwas, und wir erhalten Zugriff auf Daten, die wir bisher nicht hatten.« Spiele, Punkte und Rabatte – die Versicherung der Zukunft wird mit neuen Anwendungen und Dienstleistungen angereichert, die das Leben der Kunden erleichtern sollen und den Anbietern Zugriff auf bislang schwer zugängliche Informationen gewähren. »Wir werden gerade Zeugen einer faszinierenden Entwicklung«, sagt Philipp Wolfensberger. »Es ist, als wären wir Teil eines Startup-Unternehmens.« 47 Allianz Journal 2/2015 AS I EN Zwischen Scharia und Moderne Brunei – aus der Ferne mutet der Zwergstaat im Norden Borneos wie eine Mischung aus »Tausendundeiner Nacht« und »Dallas« an, ein Fleckchen Erde, dem das Öl aus allen Poren quillt und das von einem märchenhaft reichen Sultan regiert wird. Kolja Klawunn kennt das Land aus eigener Anschauung. Seit 2009 steht der Allianz Mann an der Spitze der National Insurance von Brunei. F RA N K ST ERN Als Kolja Klawunn vor sechs Jahren seine Stelle als Chef der National Insurance antrat, hatte er von dem, was ihn in Brunei erwarten würde, nur eine vage Vorstellung. Zwar hatte er zuvor schon fünf Jahre lang in Singapur gelebt und gearbeitet, doch Singapur gilt gemeinhin als Asien light – und das nicht ohne Grund. Schon bald sollte der Diplom-Kaufmann erfahren, dass Brunei Darussalam, der Hort des Friedens, von Singapur nicht nur durch das Südchinesische Meer getrennt ist. Von einer ziemlich weltoffenen, weitgehend säkularen Millionenmetropole machte sich Klawunn im Jahr 2009 mit Frau und zwei kleinen Kindern in das malayischislamische Königreich auf. »Der Job klang interessant«, erzählt der 44-Jährige. »Wann wird man schon mal an die Spitze eines Unternehmens berufen?« Eines Unternehmens zudem, das mit Abstand die Nummer 1 im Sachversicherungsmarkt ist – wenn man die beiden islamkonformen Takafulversicherungen des Landes mal 48 Mit 38 Landeschef einer Versicherung – auch wenn man in einem Staat mit weniger Einwohnern als Duisburg kaum viel falsch machen kann, für Allianz Verhältnisse dennoch bemerkenswert. Und so ganz ohne war die Aufgabe dann auch wieder nicht. Zum einen wegen der zum Teil recht anspruchsvollen Kundschaft, zu der auch Mitglieder der Herrscherfamilie zählen, zum anderen wegen der 40 Mitarbeiter, die von ihrem neuen Chef auf allen Gebieten klare Ansagen erwarteten. »Da gab es keine Frage, die ich nicht aus dem Eff-Eff hätte beantworten sollen«, erinnert sich Klawunn an die Anfänge. »Von Underwriting bis Schadenmanagement, von Finanzen bis Personalangelegenheiten – der Mann aus der Zentrale hatte alles zu wissen und alles zu entscheiden. Alles!« Es dauerte seine Zeit, bis er seine Vorstellung von Stern Die Omar Ali Saifuddien-Moschee in Bruneis Hauptstadt Bandar Seri Begawan außen vor lässt – und das zuverlässig Gewinne abwirft: 2014 war das erfolgreichste Jahr in der Firmengeschichte. 49 Allianz Journal 2/2015 beide Fotos: Stern AS I EN National Insurance Arbeitsteilung, Eigeninitiative und Selbstverantwortung vermittelt hatte. »Inzwischen läuft es ganz gut«, sagt er, »aber anfangs war es nicht einfach, die Leute zu bewegen, selbst Entscheidungen zu treffen. Hätten ja falsch sein können.« Marmor und Gold Die National Insurance deckt rund 40 Prozent des konventionellen Sachversicherungsmarktes Bruneis ab. Wichtigster Kunde ist die Brunei Investment Authority (BIA), eine Behörde des Finanzministeriums, die die Einnahmen aus den Öl- und Gasexporten in aller Welt gewinnbringend anlegen soll. In Infrastrukturprojekte ebenso wie in die Luxus-Hotelkette Dorchester Collection oder das Beverly Hills Hotel in Los Angeles. Auch das von der National Insurance versicherte Empire Hotel vor den Toren von Bruneis Hauptstadt Bandar Seri Begawan, ein Milliardenobjekt aus Gold und Marmor, zählt dazu. Im Jahr 2000 eröffnet, ist das Empire dank seiner kathedralenhaften Opulenz heute eine Touristenattraktion – eine der wenigen, die das Land zu bieten hat. Abwechslungen sind im Reich von Sultan Haji Hassanal Bolkiah, in dem es der Presse längere Artikel wert ist, wenn bei McDonald’s das Menü wechselt, eher rar gesät. Zumindest für die Untertanen. »Es geht hier schon sehr beschaulich zu«, beschreibt Kolja Klawunn den Alltag im Land. Seit 1991 besteht Alkoholverbot, ein Nachtleben gibt es ebenso wenig, wie kulturelle Angebote, wenn man S IS C H E H IN E S S Ü D - C M E E R Bandar Seri Begawan Limbang mal das Royal Regalia-Museum, in dem der Krönungswagen des Sultans und eine Kopie seines Throns zu sehen sind, ausnimmt – oder auch das Brunei-Museum, das, wenn es nicht seit anderthalb Jahren geschlossen wäre, die Geschichte des Landes beleuchten würde. Außer ein paar Kinos, einigen Cafés und Restaurants bleibt Einheimischen und Touristen der Ausflug in die Natur. Die bei Joggern beliebten Freizeitparks der Hauptstadt machen allerdings um 18 Uhr dicht. Quasi als Ausgleich für die Reizarmut im Land müssen die Untertanen keine Einkommenssteuer zahlen, Bildung und ärztliche Versorgung sind frei, und Benzin kostet um die 50 Brunei-Cents (35 Euro-Cents) pro Liter. Kein Wunder, dass das Volk seinem Sultan den Palast mit den über 1700 Zimmern und den Fuhrpark, in dem 5000 Luxuskarossen stehen sollen, gönnt. Die im vergangenen Jahr verkündete Einführung der Scharia im Strafrecht, die in der Endstufe unter anderem Auspeitschen für Alkoholvergehen, Handamputation für Diebe und die Steinigung von Homosexuellen und Ehebrechern vorsieht, hat allerdings auch bei Sultanfans für Verunsicherung gesorgt. Mit der zunehmend konservativen Ausrichtung will sich das Sultanat nicht zuletzt als erste Adresse für den muslimischen Reisemarkt empfehlen. Im Jahr 2013 machte der mit rund 140 Milliarden US-Dollar etwa 13 Prozent am globalen Tourismusgeschäft aus. Bis 2018 dürfte der Umsatz weltweit auf über 180 Milliarden Dollar steigen. Brunei will sich einen Anteil daran sichern. Kampong Ayer ist das größte Wasserdorf der Welt und wurde schon vor 1000 Jahren in Reiseberichten erwähnt. Anfang der 90er Jahre lebten in den Pfahlbauten noch 25 000 Menschen, inzwischen sind es weniger als die Hälfte BRUNEI M A L AY S I A PHILIPPINEN BRUNEI M A L AY S I A Borneo INDONESIEN 50 Kolja Klawunn ist seit 2009 Chef der National Insurance in Brunei Der Ausbau des Tourismus, so die Hoffnung, soll dem Land helfen, sich unabhängiger von Öl und Gas zu machen. Deren Anteil am Export betrug 2013 knapp 96 Prozent. Die königliche Fluggesellschaft Royal Brunei ist schon seit langem auf die muslimische Klientel eingestellt: Es ist die einzige Airline in Südostasien, die auf ihren Flügen keinen Alkohol serviert. Seit vergangenem Jahr bietet Allianz Global Assistance auf der Website der Royal Brunei unter dem Label der National Insurance Reiseversicherungen an. Das Geschäft läuft gut. Islamkonformer Tourismus Ob aber Halal Travel, der islamkonforme Tourismus, den Rückgang der Einnahmen aus dem Ölgeschäft wettmachen kann, ist fraglich, zumal keine halbe Flugstunde entfernt das malaysische Kota Kinabalu mit weitaus mehr Attraktionen aufwarten kann und auch westliche Reisende nicht abschreckt. Schätzungen gehen davon aus, dass das Sultanat bei den aktuellen Ölfördermengen noch gut 20 Jahre »flüssig« ist, sollten in der Zwischenzeit keine neuen Lagerstätten erschlossen werden. Nicht viel Zeit, um Alternativen zu entwickeln. Erschwerend kommt hinzu, dass es laut Weltbank in kaum einem Land so schwierig ist, neue Geschäftsideen umzusetzen, wie in Brunei. Imad und Anne Aljandali haben es trotz aller Widrigkeiten geschafft. Nach einer holprigen Anlaufphase ist es dem syrisch-deutschen Paar gelungen, ihren kleinen Laden in einem Vorort der Hauptstadt, in dem sie Lebensmittel aus Deutschland verkaufen, in Schwung zu bringen. Kolja Klawunn ist Stammkunde im German Shop: Es ist der einzige Ort, wo er Backmischungen für die Herstellung von Brot bekommt, wie er es aus der Heimat kennt. Doch der Laden hat sich auch bei Einheimischen zu einer kleinen Attraktion entwickelt. Und das, ohne groß die Reklametrommel zu rühren. CHINA Die National Insurance wurde 1969 gegründet. 1998 übernahm die Allianz 25 Prozent an der Gesellschaft. Heute ist das Unternehmen unter den fünf konventionellen Anbietern mit 40 Prozent Marktanteil die mit Abstand größte Versicherungsgesellschaft des Landes. Hauptgeschäftsfelder sind Immobilien, Berufsunfall- und Kfz-Versicherungen. Die Gesellschaft hat 40 Angestellte und arbeitet mit 165 Vertretern zusammen. Sie betreuen rund 20 000 Kunden und erwirtschaften gut 80 Prozent der Prämieneinnahmen. Im vergangenen Jahr lag die Schaden-Kosten-Quote unter 75 Prozent. Mit einem Nettoergebnis von vier Millionen Brunei-Dollar (rund 2,5 Millionen Euro) war es das erfolgreichste Geschäftsjahr in der 46-jährigen Firmengeschichte. W W W. N AT I O N A L .C O M . B N Auch die National Insurance kommt ohne aufwändige Werbekampagnen aus. »Uns kennt jeder hier«, sagt Klawunn. Seinen Werbeetat setzt er lieber zur Unterstützung von sozial schwachen Familien ein, was ohne weiteres Zutun jedes Mal für große Publicity sorgt. »Die Zeitungen sind immer voll davon«, sagt der gebürtige Münchner. Zwar verfügt Brunei dank seiner sprudelnden Ölquellen über eines der höchsten Pro-Kopf-Einkommen der Welt, doch nicht jeder im Lande profitiert von dem Reichtum. Im Schatten der vergoldeten Kuppeln des Märchenpalastes von Sultan Haji Hassanal Bolkiah stößt man durchaus auch auf Armut. Jedes Jahr organisiert die National Insurance ein Golfturnier für Vertreter und ihre Kunden, dessen Einnahmen für wohltätige Zwecke gespendet werden: für die Ausstattung von Schulen zum Beispiel, für bedürftige Familien oder die Förderung von Schülern – gerecht verteilt auf staatliche und private Schulen in allen vier Distrikten Bruneis. Daneben veranstalten die Mitarbeiter regelmäßig Flohmärkte, deren Erlöse für Sozialprojekte eingesetzt werden; oder sie unterstützen Organisationen wie Pusat Ehsan, die lernbehinderte und autistische Kinder fördert. »Das ist die beste Werbung, die man sich denken kann«, sagt Klawunn. In seinem Büro steht ein Schild, das die Entfernung zur Allianz Arena in München anzeigt. Es sind mehr als die 10 575 Kilometer, die ihn von seiner Heimatstadt trennen. 51 Allianz Journal 2/2015 Gesellschaft Bis zur nächsten Katastrophe Roth Der Mensch lernt nur durch Katastrophen. Zu süß schmeckt der schnelle Gewinn, als dass nachhaltiges Handeln eine Chance hätte. Das zumindest war die Bilanz, die die Teilnehmer der diesjährigen Benediktbeurer Gespräche zogen. Am Beispiel der deutschen Umweltpolitik machten sie deutlich, dass einzig die eigene Betroffenheit Veränderung bewirkt. »Es geht um die Zukunft«: In Benediktbeuern diskutierten Matthias Freude, Alois Glück, Lutz Spandau, Volker Angres und Eberhard Brandes (v.l.) über Panikmache und Dogmatismus in der Umweltdebatte 25 Jahre sind eine lange Zeit. Im vergangenen Vierteljahrhundert gab es unglaubliche Entwicklungen, die die Gesellschaft grundlegend verändert haben. Man denke nur an das Internet. Für den Umweltschutz jedoch bedeutet die Zeitspanne nur einen Wimpernschlag. Wie zäh sich der Kampf für eine bessere Welt mit weniger Artensterben, sauberer Energiegewinnung und sozialer Gerechtigkeit gestaltet, wurde bei den diesjährigen Benediktbeurer Gesprächen deutlich vor Augen geführt. M I C HA E L GR I M M »Die Vergangenheit ist nicht mehr gestaltbar – es geht um die Zukunft. Umweltpolitik in Deutschland 1990-2015: Bilanz und Ausblick« – es war ein ziemlich sperriger Titel, unter den die Allianz Umweltstiftung das Symposium im 25. Jahr ihres Bestehens gestellt hatte. Und er schmeckte etwas nach Ratlosigkeit. Was tun gegen eine alles erdrückende Stagnation, gegen Umweltverdruss und Wohlstandsphlegma? Gastgeber Lutz Spandau mag diese Frage durch den Kopf gegangen sein, als er über seinem Vortrag brütete. 52 Ähnliche Gedanken hatte sich der Stiftungsvorstand schon 1999 gemacht, als er an selber Stelle die Benediktbeurer Gespräche eröffnet hatte. Seine damaligen Worte: »Seit gut einem viertel Jahrhundert ist uns die Umweltkrise bewusst, deshalb wurde der Umweltschutz erfunden, wurde getagt und angeklagt. Umweltparteien gruppierten sich und gerieten in die Regierungsverantwortung. Doch gerade jetzt, wo der Einstieg in eine ökologische Politik sich vom Wunschbild zur Wirklichkeit wandeln könnte, macht sich massiv ein gegenläufiger Trend bemerkbar. Umwelt sei mega-out, unkten die Medien, und kein Thema mehr.« Hastige Korrekturen Heute, 16 Jahre später, hielten sich die Deutschen für die Musterschüler der Umweltpolitik, legte Spandau nach. So als habe man mit der Ausrufung der Energiewende sämtliche ökologischen Probleme gelöst. »Welch ein Irrtum«, so der Stiftungschef. Auf teils dramatische Ereignisse folgten hastige Kurskorrekturen mit minimaler oder gar gegenläufiger Wirkung – siehe den Atomausstieg und das nachfolgende Braunkohle-Revival. Auch der Raubbau an der Natur setzt sich unvermindert fort, dennoch scheinen Waldsterben, Gletscherschmelze und Überflutungen in der öffentlichen Debatte abgehakt. Der Alarmismus früherer Tage ist einer Art Gleichgültigkeit gewichen. »Sind es der Pessimismus, der Dogmatismus, der Fundamentalismus, der der Umweltbewegung ihre Dynamik genommen hat?« lautete Spandaus provokante Frage. Und damit überließ er die Bühne den Gästen aus Politik, Medien und Verbänden. Auch wenn die ganz großen Kontroversen ausblieben – dafür fehlte einfach ein Gegner aus der Umweltsünderriege der Industrie –, so ließ sich aus dem Destillat der besten Thesen am Ende doch erkennen, an was die Umweltbewegung krankt. Alois Glück, Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken und Mitglied der Ethikkommission für eine sichere Energieversorgung, appellierte an die Bundesregierung, im Bereich der Umweltpolitik international 53 Allianz Journal 2/2015 © 2013, Scott Adams, Inc./Distr. Universal Uclick/Distr. Bulls GESELLSCHAFT Roth ZDF-Moderator Volker Angres beklagte das Fehlen einer Gesamtsicht auf Umweltprobleme mehr Verantwortung zu übernehmen. Gleichzeitig forderte er die Gesellschaft zu einer nachhaltigeren Lebensweise auf. wandel; die größte Bedrohung für die Artenvielfalt sei vielmehr der hohe Düngemitteleinsatz in der Landwirtschaft. »Wir fürchten uns vor dem Falschen«, so Freude. Für den früheren Landtagsfraktionschef der bayerischen CSU wird die »Zukunft der Welt im Spannungsfeld zwischen der Fähigkeit zu Innovation und der Bereitschaft zur Veränderung einerseits und der Bereitschaft zur Selbstbegrenzung andererseits entschieden«. Dafür aber müsse sich die Ausrichtung der Umweltdebatte wandeln, weg von Panikmache und Untergangsszenarien. »Wir brauchen eine Positivstrategie«, sagte Glück. »Systemische Unwucht« Eberhard Brandes, Chef von WWF Deutschland, räumte ein, dass der Hype um den Klimawandel nicht besonders förderlich gewesen sei: »Vieles ist ideologisiert worden. Das war der Sache nicht dienlich.« Die wesentliche Herausforderung für die Gesellschaft sieht der Umweltaktivist allerdings schon lange nicht mehr in einer ethischen Debatte über die Zukunft. »Wir haben weniger ein Konzeptproblem, als vielmehr ein Implementierungsproblem. Wir überlegen uns sehr viele Dinge, aber am Ende klappt es nicht mit der Ausführung.« Als Beispiel nannte Brandes die nationale Biodiversitätsstrategie der Bundesregierung. Wie könne ein solches Konzept erfolgreich umgesetzt werden, wenn die Bundesländer gar nicht verpflichtend integriert würden? Ein wirkungsvolleres und vor allem interdisziplinäres Handeln forderte auch Matthias Freude, Präsident des Landesumweltamtes in Brandenburg. »Wir haben eine Menge Flächen unter Schutz gestellt. Aber was bringt das?« fragte er in die Runde. Zwar würden Seeadler und Kraniche wieder öfter gesichtet, das ändere aber nichts daran, dass in Europa in den vergangenen 20 Jahren etwa 300 Millionen Vögel aus der Kulturlandschaft verschwunden seien. »Mittlerweile sind die Friedhöfe in den Städten unsere artenreichsten Biotope.« Der Grund für die Verschiebung sei nicht in erster Linie der Klima- 54 Nach Ansicht von Volker Angres, Ressortleiter Umwelt des ZDF, fehlt in der Umweltpolitik nach wie vor systemisches Denken, die Überlegung, wie alles mit allem zusammenhängt, und die sich daraus ergebenden politischen Konzepte. Wenn es darauf ankommt, ist sich eben jeder immer noch selbst der Nächste. Als Beispiel dafür nannte der Journalist die schleppende Einführung der Elektroautos. Seine Prognose: »Die Autoindustrie wartet so lange, bis eine Regierung bereit ist, die E-Mobilität massiv zu subventionieren.« Die Umwelt spiele bei diesen Überlegungen kaum eine Rolle. Umweltschädigende Rohstoffproduktion und unmenschliche Arbeitsbedingungen in der Dritten Welt zeigten das ganze Ausmaß der systemischen Unwucht. Selbstbeschränkung, Innovation, nachhaltiges und vor allem Denken in größeren Zusammenhängen – die Schritte hin zu einer besseren Zukunft wurden auf den Benediktbeurer Gesprächen klar herausgearbeitet. Allein der Mensch scheint nicht stark genug, sie umzusetzen, jedenfalls so lange nicht, bis er durch eine Katastrophe dazu gezwungen wird. Oder wie es Volker Angres formulierte: »Nicht die Vernunft, nicht das Verständnis von umweltsystemischen Notwendigkeiten liefert Impulse für politisches Handeln, sondern einzig und allein die eigene Betroffenheit.« Dem gegenüber stehen positive Beispiele von Einzelpersonen, Stiftungen und Verbänden. Doch ohne die Verbindung zum globalen System aus Gesellschaft, Wirtschaft und Politik bleiben sie ein Tropfen auf den heißen Stein. Leser-Forum Hat Ihnen das Journal gefallen? Oder ging Ihnen etwas gegen den Strich? Wenn Sie Anregungen, Hinweise oder Kritik haben – hier können Sie sie loswerden: [email protected] Redaktion Allianz Journal Königinstr. 28, 80802 München Group Intranet (GIN) → Allianz key information → Journal www.allianz.com/journal Redaktionsschluss für das Allianz Journal 3/2015 ist der 21. August 2015. Das Journal zieht um Das Allianz Journal erhält demnächst unter dem Dach der Allianz Webseite allianz.com einen neuen Platz. Sobald die technischen Arbeiten abgeschlossen sind, wird die Online-Version des Magazins unter folgender Adresse zu finden sein: W W W. A L L I A N Z .C O M/J O U R N A L 55