Sonne macht albern

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Sonne macht albern
KULTUR
Schwäbische Zeitung
Dienstag, 14. August 2012
● Peinliche
.
.
Platte
Die
Möglichkeit
einer Insel
Von Sabine Lennartz
Delta Queen
R
Auf einer Donauinsel bei Budapest
kommen Zehntausende Musikfans
zu einem der größten Festivals Europas zusammen. Beim Sziget feiern eine Woche lang mehr Menschen als bei anderen Festivals
über Jahre hinweg. Vergangenes
Jahr ist Sziget als bestes großes
Festival Europas ausgezeichnet
worden. Jetzt ging der Spaß in die
20. Runde. Was sonst noch bemerkenswert war, berichtet SZene.
1
Sziget Eye nennt sich das Riesenrad vor
der Hauptbühne. Von hier
aus ist der
Blick auf die
Bands und bis
nach Budapest gigantisch.
Lesen bei Kerzenschein: Autorin
Gesa Schwarz.
Bloß keine Bräune riskieren: Fans beim
Die Hälfte der Besucher stam3mehrmen
aus Ungarn, der Rest aus
als 60 Ländern. Zahlenmäßig vorne mit dabei sind Niederländer, Deutsche, Italiener, Franzosen
und Briten.
270 Forint erhält man für den
4pfanne,Euro.
Für 400 gibt es Gemüsefür 900 eine Dose Bier und
für 4500 ein TShirt. Praktischerweise muss man
sich auf dem Festival aber nicht
mehr mit unbekannten Münzen und Geldscheinen
herumschlagen, sondern bezahlt
alles mit einer vorher aufgeladenen
Karte. Für diese Möglichkeit interessieren sich auch die dänischen
Roskilde-Macher und haben das
System in Ungarn unter die Lupe
genommen
FOTO S: KLAU S WIESC HEME YER
Sonne macht albern
Auf ihr 24-Stunden-Pro2ßerordentlich
gramm sind die Macher austolz. Wenn auf einer
der vielen Bühnen und Zelte die
Musik ausgeht, geht das Programm
irgendwo anders auf der
Insel weiter.
Und nicht nur
Bands,
DJs
und
Solokünstler sind im Einsatz. Auch
Schauspieler, Artisten und Handwerker kommen zum Zug.
M'era Luna Festival.
Die Schwarze Szene genießt M'era Luna
Von Melanie Heike Schmidt
●
HILDESHEIM - Darf man bei einem
Gothikfestival von Highlights sprechen, oder zerfallen dann die Beteiligten angesichts der Lichtmetaphorik zu Staub? Nun, man darf – oder
muss sogar. Wie sonst sollten die fulminanten Lesungen am Freitagabend
zum Auftakt des diesjährigen M'era
Luna Festivals angemessen gewürdigt werden? Angetreten, um im
Schein schwarzer Kerzen und umschlungen von traumschönen Klängen der Ambient-Formation Lambda
aus ihren Werken zu lesen, waren
drei Großmeister der deutschen Fantasy- und Gothik-Szene: Markus
Heitz („Die Zwerge“), Gesa Schwartz
(„Grim“) und der „Fips Asmussen
der Finsternis“ und selbsternannte
„Über-Goth“ Christian von Aster
(„Der letzte Schattenschnitzer“).
Wie seltsam muss es Außenstehenden erscheinen, dass dieses so
finster auftretende Gothik-Volk so
laut und ausgelassen lacht und kichert? Aber so sind diese schwarzen
Gestalten, morbide und schräg einerseits, andererseits so fröhlich, tolerant und friedlich, dass auch ein
Lese- und Musikfest mit mehr als
20000 Besuchern ohne Grobheiten
über die Bühne geht.
Bühne – gutes Stichwort: Auf
zweien von ihnen gaben sich knapp
40 Bands an zwei Festivaltagen die
Ehre, von Mittelalter (Schandmaul,
Subway to Sally, In Extremo) über
Schlager (Welle:Erdball) und Elektronik-Beats (De/Vision) bis zur sogenannten Neuen Deutschen Härte
(Eisbrecher) war alles dabei. Die
größten Helden, zumindest an der
Band-T-Shirt-Dichte gemessen, waren aber Placebo am Samstagabend.
Echte Rockstars, wortkarg, schön,
laut und düster. Runde Sache, wenn
sie auch ihren größten Hit „Special
K“ ausließen.
Die dritte Bühne stand nirgends
im Programmheft: Sie umfasste das
gesamte Festivalgelände, bevölkert
von meist schwarzgewandeten Fantasiegestalten in Spitze, Samt und
Brokat. Denn die eigentlichen Stars
beim M'era Luna Festival sind doch
immer wieder die Besucher, die bei
durchgehend perfektem Wetter nur
die Sorge hatten, dass die Schminke
vielleicht verlaufen könnte. Aber sie
nahmen den Spruch, der überall auf
Schirmen, Taschen und Shirts
prangte, einfach wörtlich: „Sonne
macht albern“, stand da. Und so lachten sie sich was, die ach so finsteren
Vertreter der Schwarzen Szene.
Im kommenden Sommer steigt
das M'era Luna am 10. und 11.
August 2013. Bereits bestätigt
sind ASP, Front 242 und The
Crüxshadows. Karten sind unter
www.meraluna.de erhältlich.
Geheimnisvoll: eine Schönheit bei der Modenschau.
» [email protected]
●
Wortkarg, schön und laut: die
Band Placebo.
Weitere Teile der Serie gibt’s unter
www.schwäbische.de/
peinlicheplatte zu lesen.
FOTO: PR
Deadmau5 bringt
neues Album raus
Unzählige Minuten Spielzeit
5 haben
die Videos vom Festival.
Andras Berta
und sein Team
haben alles
dran gesetzt,
das SzigetGefühl auch
online erlebbar zu machen. Unter
www.youtube.com/szigetofficial
sind die Highlights des Festivals zu
sehen. Auftritte von Placebo, Caro
Emerald, Anti-Flag sind.
(crw)
icky Shayne, das war der Star
mit der rauchig-sanften Stimme und der lockigen Löwenmähne, der mit seinem Lied „Ich
sprenge alle Ketten“ berühmt wurde.
Der Sänger mit den französisch-libanesischen Wurzeln war mein
Schwarm in Teenie-Zeiten. Da alle
meine Freunde sich strikt weigerten,
ein Konzert von Ricky Shayne mit
mir zu besuchen, und selbst meine
Kollegen später einmal in Singen am
Hohentwiel, als Shayne schon längst
durch die Nachtbars der Republik
tingelte, auf keinen Fall mitwollten,
blieben mir nur meine Single-Platten
zum Dahinschmelzen. Delta Queen,
das Lied von 1972, erzählt die Geschichte der gescheiterten Nachtclubsängerin aus New Orleans, die in
einer fremden, großen Stadt einsam
auf der Bühne steht, bis sie von Ricky
Shayne geholt und mitgenommen
wird, zurück in die alte SüdstaatenHeimat. Ach, wie gerne wäre ich Delta Queen gewesen und vom starken
Ricky Shayne gerettet worden! Aber
aus mir wurde keine Nachtclubsängerin, und Ricky Shayne wurde dann
auch nicht in New Orleans berühmt,
sondern war später Getränke-KioskBesitzer in Düsseldorf-Flingern. Eine tolle Stimme hat er trotzdem.
Lacrimas Profunde
düster.
re mögen's
Kunstvoll inszeniert:
ein Modell bei der
Modenschau.
t es bei
Hart auf hart komm
Eisbrecher.
Michael Rhein von In Ext
rem
rauer, unverkennbarer Sti o begeistert mit
mme.
Joel Zimmermann, besser bekannt
unter dem Namen Deadmau5, war
mal wieder fleißig. Der elektronische Künstler und Produzent hat
fleißig in seinem generalüberholten
Studio in Toronto gefrickelt. Mit
„>album title goes here<“ erscheint
im Herbst seine vierte Platte. Musikfans können das neue Album mit den
13 Songs ab 21. September kaufen. Ab
sofort ist als Vorab-Single schon
„Professional Griefers“, die Kollaboration mit Gerard Way, Sänger von
My Chemical Romance, zu hören.
Auch mit der Crew von Cypress Hill
und Imogen Heap hat Deadmau5 für
die Songs „Failbait“ und „Telemiscommunications“ zusammengearbeitet.
(sz)
Roman
●
Janne Mommsen
„Oma ihr klein
Häuschen“,
erschienen bei
Rowohlt Taschenbuch Verlag,
Reinbek bei Hamburg, 8,99 Euro,
ISBN:
978 3 499 25409 3
20. Folge
Wohl kaum. Vermutlich hat er,
wie in der Zeit üblich, eine Haarbürste in seiner Jeansjacke getragen und
sein Mofa frisiert.
Mehr Achtundsechziger war der
möglicherweise nie.
„Ich muss dann mal“, verabschiede ich mich.
„Wir müssen was beschnacken“,
beharrt Brar Brodersen. „Im Golfclub gibt es einen alten Malt, den ich
selbst aus Schottland mitgebracht
habe. Sensationell. Ich lade dich
ein.“
Wieso duzt der mich eigentlich
die ganze Zeit? Und wieso sieze ich
zurück? Ich bin Mitte dreißig!
„Schottland?“, wiederhole ich
nachdenklich.
„Als Bürgermeister kommt man
viel rum in Zeiten der Globalisierung
…“
Klar, genau wie die Bürgermeisterkollegen aus Shanghai und New
York: Nieblum hat immerhin an die
siebenhundert Einwohner, plus Badegäste.
„… Wattenmeerkonferenz, Nordseetagungen. Da sind die local heroes aus Nordfriesland gefragt. Wenn
der Meeresspiegel steigt, sind wir als
Erste fällig.“
„Meinen Sie, das werden wir bei
einem Malt lösen?“
Er verzieht keine Miene. „Sicher.“
Mir ist jetzt so gar nicht nach
Golfclub mit einem schwer atmenden Bürgermeister. Andererseits habe ich Oma versprochen, mich um
das Erbe zu kümmern, und dazu gehört wohl auch, offizielle Kontakte
zu pflegen. Also setze ich mich in das
geputzte silberne Hybridauto von
Toyota, was so gar nicht zu meinen
Vorurteilen über den Bürgermeister
von Nieblum passen mag. Nachdem
er den Elektromotor angelassen hat
und das Auto lautlos startet, fängt
Brodersen sofort an zu jammern:
„Weißt du, wir Nieblumer müssen
ganz schön hart ums Überleben
kämpfen. Dass wir die größten Opfer
des Mauerfalls geworden sind, ist
den meisten im Land gar nicht bewusst.“
„Wie das?“ Der scheint ja doch
was Bedeutendes zu erzählen zu haben.
„Die Berliner waren jahrzehntelang unsere treusten Gäste. Neben
den Hamburgern natürlich. Aber seit
die Grenze offen ist, fahren die alle
lieber nach Usedom oder Rügen.
Kann ich ja verstehen: Man hat nur
ein paar Stunden Anreise, keine Fähre, das sind zwei Urlaubstage mehr.
Heute kommt kaum noch jemand aus
Berlin.“
Ich schaue ihn so betroffen wie
möglich an: „Hat es denn einen Ausgleich vonseiten der Regierung gegeben? Eine Art Solidaritätszuschlag?“
Brodersen lacht hämisch auf: „De-
nen im Osten haben sie goldene Autobahnen gebaut. Wir hingegen müssen sehen, wo wir bleiben.“
Wir erreichen die Auffahrt zum
Parkplatz, neben dem ein grünes
Schild mit dem Wappen des Golfclubs Föhr steht, darunter die Warnung: Vorsicht! Fliegende Golfbälle!
Sehr lustig.
Oder nicht?
Wir steigen aus und betreten das
rustikale Clubgebäu¬de aus edlem
Holz. Brodersen muss etwas mit dem
Barkeeper klären, währenddessen
schaue ich mich um. Die Namen der
Clubmaster seit 1973 hängen nach
Damen und Herren getrennt auf
Goldschildchen an einer Tafel, am
Schwarzen Brett finden sich hinter
Glas Mitteilungen, die für mich wie
Spionage-Codes klingen: „Zeitweilige Platzregel (Besserlegen) – Ein auf
einer kurzgemähten Fläche der
Spielbahnen blau 2 bis 8 liegender
Ball darf straflos aufgenommen und
gereinigt werden. Der so aufgenommene Ball muss innerhalb einer
Scorekartenlänge von seiner ursprünglichen Lage, jedoch nicht nä-
her zum Loch und nicht in ein Hindernis oder auf ein Grün gesetzt
werden.“
Ah ja.
Ich frage Brodersen nicht nach
dem Sinn des Besserlegens, als der
wiederkommt und mich sanft hinausschiebt. Wir setzen uns auf die Außenterrasse des Golfclub-Restaurants, die von einer hüfthohen, halbrund geschnittenen Hecke umrahmt
ist. Hier verspeisen die Opfer der
Wiedervereinigung frischen Hummer
und trinken dazu ein Gläschen Champagner. Sie sind alle mit karierten Hosen, weißen Schuhen und einschlägigen Käppis verkleidet. Die einzigen
Ausnahmen sind Brodersen und ich.
Auf dem Feld vor uns spielen Golfer auf einem Rasen, der aussieht wie
ein künstlicher Teppich. Ich muss
zugeben, dass ich eine Schwäche für
Golfplätze habe, obwohl ich dem
Sport selbst wenig abgewinnen kann.
Genauso wie Neuwagen und Edelboutiquen haben sie einfach etwas
Makelloses. Um die unzähligen Hügel des Nieblumer Platzes schmiegt
sich eine gleichmäßig geschorene
Rasendecke wie eine Latexmaske,
die Rasenkanten an den Sandlöchern
sind akkurat geschnitten. Jemandem
wie mir imponiert so etwas gewaltig:
In meiner Zweizimmerwohnung
fliegt immer etwas herum, Bücher,
Zettel, Klamotten. Ich bekomme es
einfach nicht in den Griff. Kurz bevor
Besuch kommt, starte ich dann immer eine verzweifelte Aufräumaktion – um schließlich einen Ordnungsstatus zu erreichen, den andere als
Zeichen für einen dringenden Hausputz sehen würden.
Die Abendsonne, die direkt hinter
dem letzten Grün langsam ins Meer
sinkt, taucht den Platz in ein Weichzeichnerlicht, das ihn zusätzlich veredelt. Wie in einem Werbefilm für
Waschmittel leuchtet mein weißes
Hemd hell in der Sonne. Bürgermeister Brodersen nimmt mit Genugtuung wahr, dass es mir hier gefällt.
„Du hast ja selbst gesehen, wie es
um euer Haus steht“, kommt er nun
auf sein eigentliches Anliegen zu
sprechen. „So geht es nicht weiter.“
Die Fortsetzung folgt