Licht für die Grachten

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Licht für die Grachten
Licht für die Grachten
Grachten zählen zu den bekanntesten Merkmalen niederländischer Städte.
Noch heute sind sie wichtige Verkehrswege. Ein besonderes Lichtkonzept, der Lichtschleier,
ermöglicht es, den Rhythmus der oft denkmalgeschützten Stadtsilhouette zu akzentuieren.
Thomas Pitterle
Norbert Wasserfurth (3)
Die Grachten spielten von Anfang
an eine wichtige Rolle als Transportwege. An ihnen wurden zahlreiche
Kaufmanns- und Lagerhäuser gebaut.
Grachten prägen bis heute viele niederländische Städte (die Bilder zeigen
Utrecht). Als wesentlicher Faktor im
Tourismusmarketing liegt auf ihnen ein
besonderer Augenmerk.
Wie viel Licht braucht der Mensch?
Erfahrungen aus der Natur halfen den
Projektverantwortlichen von Studio
DL, den Lichtschleier zu definieren.
Norbert Wasserfurth
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der Hauptattraktion und dem Identifikationsmerkmal – den Grachten – vorsichtig umgehen. Wie einst Rembrandt Harmenszoon
van Rijn im goldenen Niederländischen Zeitalter mit Hilfe von Farbe und Licht Gemälde
von einzigartiger Stimmung erzeugte, so
hat sich das Bild der warm leuchtenden
Grachten in unsere Vorstellungen gebrannt.
Dies gilt es zu erhalten und nicht durch eine
rein funktionale Beleuchtung zu zerstören.
Identität durch Licht
In Zeiten, in denen Städte für eine wachsende Zahl von Menschen aufgrund neuer Arbeitsanforderungen zu Durchgangsstationen werden, erscheint es umso wichtiger,
Orten eine Identität zu geben oder, wie im
Fall der Grachten, zu erhalten. Da sich die
Freizeit zunehmend in die Nacht verlagert,
fällt dem Kunstlicht eine besondere Bedeutung zu. Es kann neben Helligkeit ästhetische Werte, Sicherheit und Orientierung vermitteln und damit hohe Akzeptanz für eine
Stadt erzeugen.
Darauf basierend entstand für die Beleuchtung der historischen Kaufmannshäuser der
Grachten ein Lichtkonzept, das die Fassaden
der sie flankierenden Häuser hervorhebt
und deren Eigenart erkennen lässt. Die historischen Standorte der Lichtmasten und deren unverwechselbares Design sollten dabei
erhalten bleiben. Keine einfache Aufgabe
angesichts der Tatsache, dass die alten Verkehrswege der Grachten auch heute noch
intensiv von Kraftfahrzeugen und Radfahrern genutzt werden – die Anforderungen
einer öffentlichen Lichtanlage für den Stadtverkehr mussten ebenso wie Energieeffizienz, Umweltschutz, Ästhetik und die
teilweise gegensätzlichen Interessen des
Tourismus und der Einwohner berücksichtigt
werden. Erschwerend ist, dass die Mastabstände bei einer Höhe von 3,5 Meter nicht
selten in einem Abstand von über 20 Meter
stehen. Das Lichtplanungsbüro Bartenbach
konzipierte ein Lichtlenksystem, das mit
seiner präzisen Sekundär-Lichttechnik diese
schwierige Aufgabe meistert. Die Fassaden
können mit einer Zusatzkomponente aufgehellt werden. Das Lichtplanungsbüro Studio
DL aus Hildesheim untersuchte dazu die
Wechselwirkung zwischen Licht und Fassa-
de. Eine der zentralen Fragen war es, herauszufinden, wie viel Licht in welcher Qualität benötigt wird, um Stadträume erlebbar
zu machen. Die typischen Merkmale niederländischer Architektur, die unverwechselbare Farbwelt der Fassaden, der Rhythmus der
Stadtsilhouette sollen dezent akzentuiert
werden.
Konzept: Sanft beleuchten
Als Ergebnis entstand eine Studie zum Lichtschleier, der mit einer zusätzlichen Lichtkomponente im oberen Teil einer Grachtenlaterne realisiert werden kann. Das Konzept
des sogenannten Lichtschleiers sieht vor, die
Fassaden in ein sanftes, gerade noch wahrnehmbares Licht zu tauchen.
Per Definition unseres Büros Studio DL
„hegt der Lichtschleier keinen Anspruch auf
vollständige Aufhellung und Gleichmäßigkeit, sondern lässt die Simse und Dachgiebel
mit dem natürlichen Widerschein des städtisch-nächtlichen Himmels spielen und sie
plastisch hervorbringen“.
Entsprechend wurden fünf Konzepte erarbeitet, die unterschiedliche Ausführungen
Robert Fritzsche
Die Grachten spielten immer eine wesentliche Rolle im städtebaulichen Kontext der
niederländischen Städte. Genutzt als Transportwege, waren und sind sie heute noch
flankiert von unzähligen Kaufmanns- und
Lagerhäusern aus dem sechzehnten, siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert. Die
Grachten bieten heute nicht nur vielen Menschen ein extravagantes Zuhause mit einzigartigem Flair. Sie beherbergen ebenso weltbekannte Museen wie das MeermannoWestreenianum Musseum in der Prinsengracht in den Haag oder das RembrandtHaus in der Prinsengracht in Amsterdam.
Ende des 13. Jahrhunderts entwickelten sich
in Städten wie Amsterdam, Brugge, Gent,
den Haag, Utrecht und Zwolle die Grachten
als wichtigste Lebensader der Städte. Die
Strukturen sind erhalten oder in dem historisch gewachsenen Straßenverlauf der Stadt
auch heute noch deutlich erkennbar.
Die stimmungsvollen Altstädte am Wasser,
die sich nicht nur dank der liberalen Politik
der Niederlande einer großen Beliebtheit
erfreuen und durch den Tourismus eine
wichtige Einnahmequelle sind, müssen mit
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Konzept 1
Zig Zag
Konzept 2
Semicircle
Konzept 3
Permanence
Konzept 4
Down
Konzept 5
Up
Das Lichtplanungsbüro Studio DL entwickelte fünf Lichtszenarien für die
Hausfassaden der Grachten: Zig Zag,
Semicircle, Permanence, Down, Up.
Schemata und Renderings: Studio DL (11)
Um den Lichtbedarf für die Konzepte
zu ermitteln, wurde über die Fassaden im 3-D-Modell ein Gitter mit
einer Maschenweite von 0,5 x 0,5
Meter gelegt.
Das Konzept „Semicircle” (oben) lehnt
sich durch die natürliche kreisförmige
Lichtverteilung an typische Sehgewohnheiten des Menschen an. Betont
werden das Erdgeschoss und die oberen Etagen. Im Konzept „Up” (unten)
verläuft ein nach oben hin zunehmender Lichtschleier über die Fassade.
Die Giebel werden betont.
eines Lichtschleiers zeigen: Zig Zag, Semicircle, Constance, Down, Up. Aufbauend auf
den Anstrahlungsmustern wurden optional
drei Helligkeitsstufen ausgearbeitet.
Da die visuelle Wahrnehmung des Menschen sich in der Nachtzeit in geringen
Helligkeitswerten bewegt, benötigt der
Mensch im Prinzip nicht viel Licht. Wir kennen dieses physiologische Phänomen aus
der Natur und vielen Alltagssituationen. Es
begegnet uns beispielsweise im Theater,
wenn durch niedriges Beleuchtungsniveau
eine besondere Stimmung erzeugt wird und
trotz geringer Lichtverhältnisse alles Wesentliche wahrgenommen wird. Plötzlich
auftretende helle Elemente blenden uns.
Im städtischen Kontext ergibt sich allerdings oft das Problem, dass das Auge durch
helle Reklame, blendende Lichtquellen von
Mastleuchten oder Autoscheinwerfern gehindert wird, in diesem niedrigen Wahrnehmungsintervall aktiv zu sein. Entspre24
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chend wird dort ein höheres Beleuchtungsniveau zur Wahrnehmung benötigt, wo die
Helligkeit der Umgebung höher ist.
Die Nachtlandschaft der Grachten zu gestalten, bedarf einer übergeordneten Betrachtung der Stadt. Robert Wilson, der Bilderneuerer des modernen Theaters, sagte:
„There ist no space without light“, der
Architekt und Lichtplaner Uwe Belzner bildete den Umkehrsatz: „There is no light
without space.“ Licht braucht den umbauten Raum, um sichtbar zu werden, und wie
ein Bühnenbild muss die Fassadenlandschaft der Stadt komponiert und gestaltet
werden. Masterpläne können nur dann als
Werkzeug heterogenen Privatinteressen
(die eine sorgfältige Planung zunichte machen können) entgegenwirken, wenn sie
fest in den bürgerlichen und kommunalen
Gremien verankert sind. Die Werkzeuge der
Politik allein helfen hier nicht, der Dialog
mit den Bürgern und Investoren muss mo-
deriert und visualisiert werden. Ein gemeinsames Ziel, im Bild umgesetzt, verbindet stärker als Paragrafen und Direktiven.
Licht betont den Charakter
Die Konzepte „Semicircle” und „Up” dürften für die Grachten besonders geeignet
sein. „Semicircle“ ruft aus dem visuellen
Gedächtnis das Abbild einer klassischen
Straßenlaterne mit Glasdom hervor – die
Fassaden werden nicht gleichmäßig mit
Licht überzogen, die Rhythmik des Lichtes
lässt Bereiche im Verborgenen. Das Konzept
„Up“ akzentuiert die Giebel und Gesimse,
die den typischen Charakter der Grachtenarchitektur ausmachen. Einzelne Teilabschnitte kommen stärker zum Ausdruck.
Die Methode der Visualisierung hat einen
entscheidenden Beitrag zum Planungsprozess geliefert. Anders als in der Praxis
üblich, kann der Lichtbedarf von der Fassade zur Leuchte zurückgerechnet werden.
Der Vormarsch der LED-Technologie wird
auch hier keinen Halt machen. Die Vorteile
der Lichtquelle liegen nicht nur in der langen Lebensdauer und der kompakten Form,
die es erst möglich macht, einen Lichtaufsatz in den historischen Leuchtkörper zu
integrieren. Der Reiz liegt vielmehr darin,
die Möglichkeiten der Lichtlenkung mittels
optischer Elemente so zu gestalten, dass die
effektive Lichtnutzung und die damit verbundene Begrenzung der Lichtverschmutzung eine effektive Lichtanlage entstehen
lässt, die eine historische Stadtlandschaft
angemessen aufhellt und ihren Charakter
zur Geltung bringt.
Der Lichtbedarf (Lichtstrom) wurde
für jede Variante der Beleuchtung von
der Fassade zu der Leuchte „zurückgerechnet“. So wurde die Lichtstärkeverteilung ermittelt.
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