Rechtsreform und Zukunft des Finanzplatzes Liechtenstein
Transcription
Rechtsreform und Zukunft des Finanzplatzes Liechtenstein
Schriften des Zentrums für liechtensteinisches Recht (ZLR) an der Universität Zürich Herausgegeben von Helmut Heiss, Andreas Kellerhals, Anton K. Schnyder, Francesco Schurr Band 1 Helmut Heiss (Hrsg.) Rechtsreform und Zukunft des Finanzplatzes Liechtenstein Tagung aus Anlass der Eröffnung des Zentrums für liechtensteinisches Recht an der Universität Zürich Nomos ISBN 978-3-03751-514-3 (Dike Verlag Zürich/St. Gallen) ISBN 978-3-8329-xxxx-x (Nomos Verlag, Baden-Baden) ISBN 978-3-7089-xxxx-x (facultas.wuv Verlag, Wien) Bibliografische Information der ‹Deutschen Bibliothek›. Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über ‹http://dnb.ddb.de› abrufbar. Alle Rechte, auch des Nachdrucks von Auszügen, vorbehalten. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronische Systeme. © Dike Verlag AG, Zürich/St. Gallen 2013 Vorwort Am 4. November 2011 konnte an der Universität Zürich die Eröffnung des «Zentrums für liechtensteinisches Recht» im Rahmen der Fachtagung «Rechtsreform und Zukunft des Finanzplatzes Liechtenstein» feierlich verkündet werden. Der vorliegende Band enthält die Schriftfassung der wichtigsten Referate wie auch des Festvortrags von Herrn Regierungschef Dr. Klaus Tschütscher, LL.M., und wird der Öffentlichkeit hiermit als Band 1 der neu gegründeten Reihe «Schriften des Zentrums für liechtensteinisches Recht» präsentiert. Ich danke allen Referenten sowie Herrn Regierungschef Tschütscher für ihre herausragende Mitwirkung an der Eröffnungstagung des Zentrums und die grosse Mühe der schriftlichen Abfassung der Referate. Durch ihre ausgezeichnete Arbeit liegt heute Band 1 einer Schriftenreihe vor, die in Zukunft hoffentlich zahlreichen weiteren Publikationen zum liechtensteinischen Recht einen angemessenen Rahmen bieten wird. Mein Dank gilt ebenso herzlich dem Verlag Dike, der es übernommen hat, die Schriftenreihe verlegerisch zu betreuen. Die Herausgeber der Schriftenreihe freuen sich auf diese von nun an laufend stattfindende Zusammenarbeit. Zürich, Dezember 2012 Helmut Heiss III Inhaltsverzeichnis Referentenverzeichnis VII Solvency II und die Auswirkungen auf den Versicherungsstandort Liechtenstein Alexander Imhof / Clemens Höfler 1 Das UCITSG und seine Folgen Dirk Zetzsche 9 Die Liechtensteinische Steuerpolitik Martin Wenz 41 Schiedsstandort Liechtenstein Johannes Gasser 61 Zur Rechtsfähigkeit der liechtensteinischen Treuhänderschaft Bernhard Lorenz 149 Der Finanzplatz Liechtenstein im Jahr 2020 Klaus Tschütscher 183 V Referentenverzeichnis Dr. Johannes Gasser, Rechtsanwalt, LL.M., Advokaturbüro Dr. Dr. Batliner & Dr. Gasser, Vaduz Dr. Clemens Höfler ist Mitarbeiter der Rechtsabteilung des Bereichs Versicherungen und Vorsorgeeinrichtungen bei der Finanzmarktaufsicht (FMA), Vaduz Dr. Alexander Imhof, Leiter Versicherungs- und Vorsorgeeinrichtungen, Mitglied der Geschäftsleitung der Finanzmarktaufsicht (FMA) Liechtenstein, Vaduz Dr. Bernhard Lorenz, Rechtsanwalt, LL.M., LNR Rechtsanwälte, Vaduz Prof. Dr. Martin Wenz, Lehrstuhl für Betriebswirtschaftliche Steuerlehre, Internationales und Liechtensteinisches Steuerrecht, Leiter des Instituts für Finanzdienstleistungen an der Universität Liechtenstein, Vaduz Dr. Dirk Zetzsche, LL.M., Vertretungsprofessor für Bank- und Finanzmarktrecht, Institut für Finanzdienstleistungen an der Universität Liechtenstein, Vaduz Gastreferent: Dr. Klaus Tschütscher, Regierungschef des Fürstentums Liechtenstein VII Solvency II und die Auswirkungen auf den Versicherungsstandort Liechtenstein Alexander Imhof / Clemens Höfler Am 24. Mai 2011 läutete die liechtensteinische Finanzmarktaufsicht (FMA) im Rahmen ihrer Auftaktveranstaltung zu Solvency II1 in Anwesenheit des Referatsleiters für Versicherungen und Altersvorsorge der Europäischen Kommission in Brüssel, Herrn Professor Karel van Hulle, eine «neue Epoche» der Versicherungsaufsicht im Fürstentum Liechtenstein ein. Mit der Präsentation des Vorvernehmlassungsentwurfes eines neuen, total revidierten2 Versicherungsaufsichtsgesetzes (VersAG) gelang es dem Kleinstaat als ersten EWRVertragsstaat seine diesbezüglichen Bemühungen für eine entsprechende Umsetzung der sogenannten Solvency II-Richtlinie3 zu veröffentlichen. Der nachfolgende Beitrag stellt eine kurze Zusammenfassung eines am 4. November 2011 an der Universität Zürich gehaltenen Vortrags4 dar, welcher sich mit den Auswirkungen und Neuerungen von Solvency II auf den Versicherungsstandort Liechtenstein befasste. 1 2 3 4 Auftakt zu Solvency II, Das neue Aufsichtssystem für die europäische Versicherungswirtschaft. Die Ausarbeitung des Entwurfes erfolgte in über 50 Workshops seit Sommer 2009. Richtlinie 2009/138/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 2009 betreffend die Aufnahme und Ausübung der Versicherungs- und Rückversicherungstätigkeit (Solvabilität II). Vortrag von Dr. Alexander Imhof, (Leiter Bereich Versicherungen und Vorsorgeeinrichtungen) im Rahmen der Gründungsveranstaltung des Zentrums für liechtensteinischen Rechts des Europa Instituts an der Universität Zürich. 1 Alexander Imhof / Clemens Höfler Seit dem Beitritt Liechtensteins zum europäischen Wirtschaftsraum im Jahr 1995 basiert die Versicherungsaufsicht im weitesten Sinn auf dem mit diesem Zeitpunkt übernommenen Rechtsbestand der Europäischen Union (EU) zur Versicherungstätigkeit,5 sowie auf dem ebenfalls im gleichen Jahr verabschiedeten Versicherungsaufsichtsgesetz (VersAG)6 und der Versicherungsaufsichtsverordnung (VersAV)7 von 1996. Auf der Grundlage des bereits seit 1999 laufenden Gesetzgebungsprojekts der EU8 zur Neufassung des Versicherungsaufsichtsrechts wurde schliesslich am 25. November 2009 die Rahmenrichtlinie (RRL) 2009/138/EG veröffentlicht (Solvency II). Diese Richtlinie umfasst zum einen neue Regelungsteile im Bereich der quantitativen Erfassung der Risikolage eines Versicherungsunternehmens, neue Anforderungen an ein Governance System sowie neue Regelungen im Hinblick auf eine Steigerung der Markttransparenz. Sie bildet damit die Grundlage einer neuen Aufsichtskultur in Europa. Zum anderen fasst die Richtlinie die bereits bisher bestehenden Richtlinienbestimmungen zum Versicherungsbetrieb, wie zum Beispiel das Single License Principle, das Prinzip der Sitzlandkontrolle oder das Verbot der präventiven Produktkontrolle zusammen und führt damit ein bereits bewährtes System weiter fort. Trotz der umfassenden Kodifizierung bleiben die Bereiche der Versicherungsvermittlung,9 der Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung10 sowie der Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung11 ausserhalb des Anwendungsbereichs der RRL. Plakativ dargestellt gründet die Solvency II-Richtlinie auf einem sogenannten Drei-Säulen-Ansatz, der in seiner ersten Säule eine verstärkte Risikoorientie5 6 7 8 9 10 11 2 Vgl. zum Überblick, Erwägungsgrund 1 der RL 2009/138/EG. Vgl. Bericht und Antrag zum Versicherungsaufsichtsgesetz (VersAG) vom 6. Dezember 1995. Vgl. Bericht und Antrag zur Versicherungsaufsichtsverordnung (VersAV) vom 17. Dezember 1996. Mit der Teilnahme an europäischen Arbeitsgruppen könnte sich auch Liechtenstein als EWR-Vertragsstaat bei der Schaffung der Solvency II – Richtlinie und den Durchführungsmassnahmen einbringen. Richtlinie 2002/92/EG des europäischen Parlaments und des Rates vom 9. Dezember 2002 über Versicherungsvermittlung. Richtlinie 2009/103/EG des europäischen Parlaments und des Rates vom 16. September 2009 über die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung und die Kontrolle der entsprechenden Versicherungspflicht. Richtlinie 2005/60/EG des europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Oktober 2005 zur Verhinderung der Nutzung des Finanzsystems zum Zwecke der Geldwäsche und der Terrorismusfinanzierung. Solvency II und die Auswirkungen auf den Versicherungsstandort Liechtenstein rung für die Bereiche des Markt-, Kredit- und des operationellen Risikos (quantitative Anforderungen) verfolgt. In Ergänzung dazu enthält die zweite Säule neben qualitativen Anforderungen an das Risikomanagement auch Vorschriften über die Methoden und Grundsätze des behördlichen Aufsichtsverfahrens, um so die Aufsichtskonvergenz in Europa weiter zu vertiefen. Die dritte Säule schliesslich enthält einerseits Vorschriften zum verbesserten Schutz der Versicherungsnehmer und anderseits umfangreiche Offenlegungsund Berichtspflichten, die zu einer gewissen Selbstdiszipliniernung der Versicherungsunternehmen führen soll. Vervollständigt werden diese Regelungen durch ausgedehnte Normen der Gruppenaufsicht, welche insbesondere der sektoriellen Konvergenz dienen und damit zur Wahrung der Stabilität des Finanzplatzes beitragen. In Vorbereitung auf die Implementierung des neuen Solvency II-Regelwerks nahmen zum ersten Mal auch 13 liechtensteinische Versicherungsunternehmen12 an der fünften quantitativen Auswirkungsstudie zu Solvency II (5th Quantitative Impact Study, QIS 5) teil. Sie wurde von der Europäischen Kommission in Zusammenarbeit mit CEIOPS,13 der Vorgängerorganisation zu EIOPA in der zweiten Hälfte 2010 auf der Basis der Datenlage zum 31. Dezember 2009 durchgeführt. Der EIOPA-Report zu QIS 5 wurde am 14. März 2011 veröffentlicht.14 Die Durchführung dieser QIS 5 erfolgte in Zusammenarbeit von FMA und des Instituts für Finanz- und Aktuarswissenschaften (ifa) und ergab, dass sowohl das Eigenkapital als auch die Solvenzkapitalanforderungen höher als unter Solvency I sind; die teilnehmenden Versicherungsunternehmen verfügten aber zum Zeitpunkt der Studie nach Massgabe der eingereichten Unterlagen über ausreichendes Eigenkapital. Die Ergebnisse der fünften quantitativen Auswirkungsstudie zu Solvency II wurden in einem speziellen Länderbericht15 für Liechtenstein festgehalten. Die teilnehmenden Versicherungsunternehmen repräsentierten einen Marktanteil von rund 58 % der Prämieneinnahmen. 13 Committee of European Insurance and Occupational Pensions Supervisors (dt. Ausschuss [Komitee] der Europäischen Aufsichten für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersversorgung. 14 EIOPA-TFQIS5-11/001: .EIOPA Report on the Fifth Quantitative Impact Study (QIS5) for Solvency II., https://eiopa.europa.eu/fileadmin/tx_dam/files/publications/reports/ QIS5_report_final.pdf. (Abfragedatum: 29.11.2011). 15 http://www.fma-li.li/file/110608_L=e4nderbericht.pdf (Abfragedatum: 29.11.2011). 12 3 Alexander Imhof / Clemens Höfler Durch die oben skizzierte versicherungsaufsichtsrechtliche Neuausrichtung ergeben sich für die europäischen Versicherungsstandorte sowohl Chancen als auch neue Herausforderungen, zumal neben den Vorteilen einer gesteigerten Aufsichtsdurchdringung, höherer Transparenz und einer verbesserten internen Unternehmenskultur sowie einer erhöhten Berücksichtigung individueller Risiken auch die Nachteile einer Kostensteigerung für Umsetzung und Verwaltung sowie einer potentiellen Marktkonzentration verbunden sein können. Bei der Umsetzung der Solvency II-Richtlinie versuchte Liechtenstein – soweit dies auf Basis des Richtlinientext möglich war – die bisherige liechtensteinische Tradition der Versicherungsregulierung unter gleichzeitiger Vermeidung von Bürokratisierung zu berücksichtigen. Teilweise konnte allerdings auf eine wortgetreue Übernahme des Richtlinientextes aufgrund des immanenten Detaillierungsgrades nicht verzichtet werden. Wegen des in Liechtenstein sehr eng ausgelegten Legailtätsprinzips wurden die identifizierten «Hauptregelungen» im Gesetzentwurf implementiert und einzelne Artikel mit einer expliziten Verordnungskompetenz für die Regierung versehen, um weitere Detailregelungen – so wie bisher – stufengerecht in einer Verordnung näher präzisieren zu können. In Anlehnung an das VersAG aus dem Jahre 1995 orientiert sich auch der aktuelle Gesetzesentwurf zum VersAG am «Lebenslauf» eines Versicherungsunternehmens (Bewilligung – laufende Aufsicht – Beendigung) und wurde konkret in 13 Kapiteln mit insgesamt 263 Artikeln untergliedert. So finden sich beispielsweise im ersten Kapitel «Allgemeine Bestimmungen», im Kapitel V «Bestimmungen zur Aufsicht über die Versicherungstätigkeit», im Kapitel VI «Vorschriften betreffend die Beendigung der Versicherungstätigkeit» und im Kapitel XII die «Strafbestimmungen», die gefolgt von den «Übergangs- und Schlussbestimmungen» den Abschluss des Gesetzes markieren. Nach den einleitenden Ausführungen zur Rahmenrichtlinie und der punktuellen Darstellung der Gliederung des neuen Gesetzes wird nachfolgend überblicksartig auf einige Auswirkungen und wichtige Neuerungen des neuen Aufsichtsgesetzes eingegangen: Um die unterschiedlichen Aufsichtsanforderungen für grosse, mittlere und kleine Versicherungsunternehmen entsprechend berücksichtigen zu können, hat der europäische Gesetzgeber an mehreren Stellen der Rahmenrichtlinie16 16 4 Siehe etwa in Erwägungsgrund 18f oder Art. 29 Abs. 3 und Art. 41 Abs. 2 der RRL. Solvency II und die Auswirkungen auf den Versicherungsstandort Liechtenstein einen Verhältnismässigkeitsgrundsatz verankert. Darin werden die Mitgliedstaaten angehalten, dass die Vorschriften in einer Art und Weise angewendet werden müssen, die dem Wesen und dem Umfang sowie der Komplexität der Risiken angemessen sind, die mit der Tätigkeit der jeweiligen Versicherungsunternehmen verbunden sind. Der Verhältnismässigkeitsgrundsatz folgt in seiner Konzeption dem Grundsatz der doppelten Proportionalität, was bedeutet, dass er sowohl für Versicherungsunternehmen als auch für die Wahrnehmung der Aufsichtsbefugnisse der Aufsichtsbehörden gilt. Er entfaltet dabei seine Wirkung in zwei Richtungen, wodurch nicht nur weniger strenge Anforderungen für Versicherungsunternehmen mit einfacherem Risikoprofil gerechtfertigt werden können, sondern auch strengere Anforderungen für Versicherungsunternehmen mit komplexerem Risikoprofil möglich sind. Die Versicherungsunternehmen müssen daher selbst in Eigenverantwortung beurteilen, welche Pflichten der Wesensart, dem Umfang und der Komplexität ihrer Risiken entsprechen. Der Aufsichtsbehörde kommt dann die Aufgabe zu, diese risikoorientierte Selbsteinschätzung der Versicherungsunternehmen aufsichtsrechtlich zu überprüfen und entsprechend zu beurteilen. Der liechtensteinische Gesetzgeber hat sich jedenfalls dafür entschieden, die Anwendung dieses Verhältnismässigkeitsgrundsatzes explizit in den Entwurf17 des neuen VersAG aufzunehmen, wodurch eine entsprechende einzelfallbezogene Abwägung und Beaufsichtigung durch die Finanzmarktaufsichtsbehörde sichergestellt wird. So wie bisher unterliegt die Geschäftsaufnahme für eine Versicherung in Übereinstimmung mit der Richtlinie der Bewilligungspflicht. Der Gesetzesentwurf sieht eine klare Strukturierung in Bewilligungsgesuch18 und Bewilligungsvoraussetzungen19 vor, wobei die bisher gültigen allgemeinen Bewilligungsvoraussetzungen weitgehend beibehalten wurden. Änderungen ergaben sich jedoch im Hinblick auf die besonderen Bewilligungsvoraussetzungen; in diesem Bereich erfolgte durch die Aufnahme des Governance-Begriffes in das Gesetz20 eine – bisher in dieser Form nicht vorhandene – funktionsbezogene Zuweisung und zugleich auch Trennung von Zuständigkeiten. Basierend auf 17 18 19 20 Art. 80 Abs. 3 des Entwurfs zum VersAG («Die Aufsichtsbehörde beachtet bei ihrer Tätigkeit den Grundsatz der Verhältnismässigkeit.»). Art. 10 des Entwurfs zum VersAG lautet wie folgt: «Governance ist die Sicherstellung einer soliden und umsichtigen Geschäftsführung, unter Berücksichtigung aller Risiken, denen ein Versicherungsunternehmen ausgesetzt ist.». Art. 12 ff des Entwurfs zum VersAG. Art. 21 Abs. 1 des Entwurfs zum VersAG. 5 Alexander Imhof / Clemens Höfler der Richtlinie führt das Gesetz21 nunmehr namentlich die Risikomanagementfunktion, die Compliance-Funktion, die interne Revisionsfunktion und die versicherungsmathematische Funktion an. Im Bereich der Solvenzkapitalanforderung wirkt sich Solvency II dahingehend aus, dass diese dem Value-at-Risk der Basiseigenmittel eines Versicherungsunternehmens zu einem Konfidenzniveau von 99,5 % über den Zeitraum eines Jahres zu entsprechen hat. Vereinfacht bedeutet das, dass statistisch gesehen eine Insolvenz (höchstens) alle 200 Jahre eintreten dürfte. Zur Berechnung der Solvenzkapitalanforderung, das heisst einer dem tatsächlichen Risikoprofil entsprechenden Zielgrösse, kann sich das Versicherungsunternehmen entweder der Standardformel bedienen oder aber ein eigenes internes Modell berechnen. Die Genehmigung eines internen Modells erfolgt durch die FMA.22 Die Solvenzkapitalanforderungen werden durch anrechnungsfähige Eigenmittel (Basiseigenmittel und ergänzende Eigenmittel) bedeckt, welche in drei Klassen (sogenannten «Tier») eingeteilt werden. Die Mindestkapitalanforderung muss gemäss Art. 43 des Entwurfes zum VersAG zwischen 25 % und 45 % der vorgeschriebnen Solvenzkapitalanforderung liegen und zumindest aber 2.2 bis 3.2 Mio EUR betragen. Im Hinblick auf die laufende Aufsicht wird verstärkt ein prospektiver und risikoorientierter Ansatz zu verfolgen sein, der insbesondere eine kontinuierliche Überprüfung des ordnungsgemässen Versicherungsbetriebes umfasst. Die Aufsichtstätigkeit wird weiterhin unabhängig von der Bedeutung des Unternehmens für den Finanzplatz erfolgen, wobei der Verhältnismässigkeitsgrundsatz entsprechend zu berücksichtigen sein wird. Die Aufsichtstätigkeit der FMA wird im Wesentlichen so wie bisher durch eine angemessene Kombination von on-site und off-site Prüfungen fortgeführt. Im Rahmen der bereits oben erwähnten kontinuierlichen Beaufsichtigung des ordnungsgemässen Geschäftsbetriebs wird auch die Einhaltung der Bewilligungsvoraussetzungen mit Fokus auf die Solvabilitätsanforderungen und im Hinblick auf die Gesamtverantwortung der Leitungsorgane einen besonderen Schwerpunkt bilden. In diesem Zusammenhang ist ausdrücklich darauf hinzuweisen, dass letztlich die Verantwortung für die Einhaltung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften 21 22 6 Art. 21 Abs. 2 des Entwurfs zum VersAG. Art. 52 Abs. 3 des Entwurfs zum VersAG. Solvency II und die Auswirkungen auf den Versicherungsstandort Liechtenstein bei den Leitungsorganen des Versicherungsunternehmens liegt.23 Daran ändern auch die sowohl in der Richtlinie als auch im Entwurf zum VersAG vorgesehenen ausgedehnten Prüfungs- und Genehmigungspflichten der FMA nichts.24 Die Prüfungs- und Genehmigungsverpflichtung der FMA kann daher nicht bedeuten, dass diese die Entscheidungen der verantwortlichen Unternehmensorgane substituiert, beziehungsweise in Ergänzung zu dieser Verantwortung treten würde. Neben den zahlreichen Neuerungen, die Solvency II für die Versicherungsunternehmen mit sich bringt, ergeben sich auch für die Aufsichtsbehörden zahlreiche neue Herausforderungen. So wird sich die Versicherungsaufsicht in Zukunft mit erweiterten Regulierungsbereichen und einer merklich grösseren Regulierungstiefe, einer verstärkten Kooperations- und Informationspflicht (EWR-Schwesterbehörden und EIOPA25) und weitreichenden Regelungen im Rahmen der Gruppenaufsicht intensiv beschäftigen und neue Prüfungsprozesse entwickeln müssen. Im Hinblick auf diese Herausforderungen setzt die FMA neben aktivem Meinungsaustausch mit anderen Behörden auch auf eine verstärkte Kommunikation mit den beaufsichtigten Unternehmen. Mit dem gleichen Elan, mit dem Liechtenstein in die Umsetzung der Solvency II-Richtlinie gestartet ist, soll nach den Vorstellungen der FMA auch eine zeitgerechte Umsetzung und das Inkrafttreten des neuen Versicherungsaufsichtsgesetzes voraussichtlich bis 1.1.2013 möglich sein. Dannzumal sollen nach aktuellem Wissensstand auch die zahlreichen Durchführungsmassnahmen abschliessend festgelegt und seitens der Kommission erlassen worden sein. Auch die technischen Grundsätze (Standards) und Leitlinien sollen im Laufe des Jahres 2012 durch EIOPA festgelegt werden. Danach werden die Versicherungsunternehmen voraussichtlich ab 1.1.2013 ein weiteres Jahr Zeit haben, ihren Geschäftsbetrieb an das Solvency II-Regelungswerk anzupassen und alle notwendigen Vorkehrungen zu implementieren.26 23 24 25 26 Siehe Art. 40 RRL bzw. Art. 85 des Entwurfs zum VersAG, sowie indirekt Art. 52 Abs. 7 des Entwurfes zum VersAG. Vgl. Art. 23 und Art. 55 des Entwurfs zum VersAG. European Insurance and Occupational Pensions Authority (dt. Europäische Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersversorgung). Abschliessende Klarheit wird in diesem Punkt allerdings erst die Verabschiedung der Omnibus II-Richtlinie bringen. 7 Das UCITSG und seine Folgen Dirk Zetzsche1 Inhaltsübersicht I. Einleitung II. Struktur eines Investmentfonds III. Rechtspolitischer Kontext 1. Globale Standards 2. Totalrevision des IUG in zwei Teilen 3. Konservatives Private Wealth Management IV. Legistische Konsequenzen 1. Normenhierarchie und Legalitätsprinzip 2. Europäische Terminologie und Struktur 3. Kurze «time-to-market» bei intensivierter Verwalterkontrolle V. Details 1. Verwalterregulierung 2. Produktgestaltung a) Gestaltung b) Internationalität c) Umgestaltung 3. Finanzmarktaufsicht a) Verwalterregulierung und Enforcement b) Produktregulierung 4. Alternative Streitschlichtung VI. Verhältnis zu Drittstaaten (insbesondere: die Schweiz) 1. Zugang aus Drittstaaten zum EWR a) Unzulässige Gestaltungen b) Zulässige Gestaltungen c) Verbot von Briefkastengesellschaften 2. Zugang aus Liechtenstein in die Schweiz 3. Sonstige Fonds (AIF) und Ausblick auf die AIFM-RL a) Verpflichtung auf «swiss finish» durch öffentlich-rechtlichen Vertrag b) Bilaterale völkerrechtliche Vereinbarung und Aufsichtskooperationsabkommen VII. Fazit 1 10 10 12 12 13 15 17 17 20 21 23 23 24 25 26 27 27 28 28 30 31 32 32 33 34 35 36 36 37 38 Die Vortragsform wurde beibehalten. Vf. dankt Wiss. Mit Sebastiaan N. Hooghiemstra und Stud. HK Thomas Marte für Unterstützung bei Erstellung der Fussnoten. 9 Dirk Zetzsche I. Einleitung Am 28. Juni 2011 hat der Liechtensteinische Landtag die UCITS-Richtlinie 2009/65/EG2 mit dem «Gesetz über bestimmte Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapiere (UCITSG)»3 implementiert. Das UCITSG schafft einen liberalen, europarechtskonformen und wettbewerbsfähigen Rechtsrahmen, welcher Liechtensteins Zugang zum EWR stärkt, seine Attraktivität als Fondsstandort ausbaut4 und neue Chancen für die Beziehung zwischen Liechtenstein und der Schweiz eröffnet. Der Beitrag stellt die wesentlichen Elemente des UCITSG vor und erörtert Einzelfragen in der Beziehung zwischen der Schweiz und Liechtenstein. Zunächst sollen nach einer kurzen Einführung in die Struktur eines Investmentfonds (II.) der rechtspolitische Kontext (III.) und die wesentlichen Weichenstellungen des UCITSG (IV.) vorgestellt und anhand von Detailfragen erläutert werden (V.). Sodann wird das speziell aus Schweizer Sicht bedeutsame Verhältnis des Liechtensteinischen UCITSG zu – aus der Perspektive des EWR-Rechts – Nicht-EWR- oder Drittstaaten besonders gewürdigt (VI.). Der Beitrag schliesst mit einem kurzen Fazit (VII.). II. Struktur eines Investmentfonds Ein Investmentfonds besteht aus drei Parteien, man spricht von Anlagedreieck.5 Zweck der Struktur ist eine standardisierte Vermögensverwaltung für 2 3 4 5 10 Richtlinie 2009/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften betreffend bestimmte Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren (OGAW) (Neufassung), Abl. (EG) L 303/32 vom 17.11.2009 (im Folgenden: UCITS-RL 2009/65/EG). Gesetz in der Fassung vom 28. Juni 2011, Liechtensteinisches Landesgesetzblatt (2011), Nr. 295 vom 1. August 2011, Ordnungsziffer 951.31. Im Januar 2012 waren insgesamt 708 Fonds mit einem Anlagevolumen i.H.v. CHF 36’378 Mio. in Liechtenstein registriert. Im Dezember 1996 (2005) waren es lediglich 5 (342) Fonds mit einem Anlagevolumen von CHF 435 (14’147) Mio. Vgl. die Statistik des Liechtensteinischen Anlagefondsverbands, online: www.lafv.li. Vgl. Zetzsche, Prinzipien der kollektiven Vermögensanlage, Habil. Düsseldorf/ Deutschland 2011, 4. Teil, § 21, S. 378 ff. Aus dem deutschen Schrifttum («Investmentdreieck») vgl. Schäcker, Entwicklung und System des Investmentsparens, 1961, S. 40 f., seit dem allgemein verbreitet; s. z.B. Engert, Kapitalmarkteffizienz, Habil. München 2008, Kapitel 13, E.II.; Mauser, Anlegerschutzlücken, S. 67; Oldenburg, Das UCITSG und seine Folgen eine Vielzahl, meist passive Anleger. Die Passivität der Anleger wird durch die Aktivität von zwei Intermediären – die Verwaltungsgesellschaft (in der Schweiz: Fondsleitung) und die Verwahrstelle (in der Schweiz: Depotbank) kompensiert. Dem Verwalter obliegt die Geldanlage und Administration (z.B. die Fondsbuchhaltung und Anteilsbewertung), während die Verwahrstelle die Anlagegegenstände verwahrt und damit dem Einflussbereich des Verwalters entzieht. Verwalter und Verwahrer schulden als gesetzliche und vertragliche Pflicht gegenüber den Anlegern, sich gegenseitig zu kontrollieren. Das intermediärsgestützte System von «Checks and Balances» soll Verstösse gegen die Anlagerichtlinien, Organisations- und Verwahrvorgaben etc. verhindern. Kommt es dennoch zum Verstoss, soll es die frühzeitige Herbeiziehung der Aufsichtsbehörden gewährleisten. Trifft die Verwaltungsgesellschaft nicht selbst die Anlageentscheidungen, tritt noch mindestens eine weitere Partei – der Asset Manager – hinzu, der auf Anlageentscheidungen z.B. für bestimmte Regionen spezialisiert ist. Dieser Asset Manager ist nach der UCITS-RL Auftragnehmer der Verwaltungsgesellschaft. Grafik 1: Das Anlagedreieck Marktprozessansatz, S. 77; die Titel der Dissertationen von Ohl, Die Rechtsbeziehungen innerhalb des Investmentdreiecks und S. S. 26 ff; Seegebarth, Stellung und Haftung der Depotbank im Investment-Dreieck; Brinkhaus/Schödermeier /Baltzer, § 12 KAGG Rn. 10; G. Roth, Treuhandmodell, S. 124 («drei Pole–); Berger/Köndgen, Vor §§ 20–29 InvG Rn. 1. 11 Dirk Zetzsche III. Rechtspolitischer Kontext 1. Globale Standards Liechtenstein ist als Mitglied des Europäischen Wirtschaftsraums und Teilnehmer am Europäischen Binnenmarkt für Finanzdienstleistungen seit dem 1. Mai 19956 in den europäischen Regulierungsprozess eingebunden und setzt seither die europäischen Rechtssetzungsakte pflichtgemäss um. In der «Liechtenstein Erklärung» vom 12. März 2009 und der «Agenda 2020» vom 5. Oktober 20107 hat sich die Regierung des Fürstentums Liechtenstein erneut zur Förderung eines hohen Regulierungsstandards bekannt. Nunmehr soll mit dem UCITSG, als eines der ersten Gesetze zur Umsetzung der neu ausgerichteten Finanzplatzstrategie, die internationale Anerkennung als führender Standort für Asset Management fortentwickelt werden. Investmentfonds sind das Schlüsselprodukt für ein «Weisses Asset Management». Entsprechend hat Liechtenstein alle Schritte unternommen, um das Umfeld für diese hochwertigen Finanzdienstleistungen europarechtskonform, transparent und für Anleger wie Intermediäre gleichermassen attraktiv zu gestalten.8 6 7 8 12 Vgl. Abkommen vom 2. Mai 1992 über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWRA), LGBl. 1995/68; Anpassungsprotokoll vom 17. März 1993 zum Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum, LGBl. 1995/69; Beschluss des EWR-Rates Nr. 1/95 vom 10. März 1995 über das Inkrafttreten des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum für das Fürstentum Liechtenstein, LGBl. 1995/70. Vgl. einerseits die «Liechtenstein Erklärung» der Regierung des Fürstentums Liechtenstein vom 12. März 2009, andererseits die Agenda 2020 für das Fürstentum Liechtenstein vom 5. Oktober 2010, online: http://www.regierung.li/fileadmin/dateien/ Downloads/RA-2010-1845-Agenda-2020-05-10-2010.pdf . Seit der «Liechtenstein Erklärung» hat Liechtenstein das Sorgfaltspflichtgesetz (Gesetz über berufliche Sorgfaltspflichten zur Bekämpfung von Geldwäscherei, organisierter Kriminalität und Terrorismusfinanzierung (SPG) in der Fassung vom 11. Dezember 2008, Liechtensteinische Landesgesetzblatt (2009), Nr. 47 vom 29. Januar 2009, Ordnungsziffer 952.1.)) und das Steueramtshilfegesetz (Gesetz über die internationale Amtshilfe in Steuersachen (SteAHG) in der Fassung vom. 30. Juni 2010, Liechtensteinische Landesgesetzblatt (2010), Nr. 246. Vom 30. August 2010, Ordnungsziffer 353)) angenommen. Parallel dazu hat die liechtensteinische Regierung eine grosse Anzahl TIEAs (Informationsaustausch auf begründete Anfrage) und DBAs (Doppelbesteuerungsabkommen) abgeschlossen. Detaillierte Informationen hierzu bietet die Website www.regierung.li («Entwicklung internationale Steuerabkommen»). Das UCITSG und seine Folgen 2. Totalrevision des IUG in zwei Teilen Die UCITS-Richtlinie regelt das Recht von Publikumsfonds der offenen Form, deren Anlagepolitik auf den Erwerb von Wertpapieren, Geldmarktinstrumenten und – in beschränktem Umfang – Derivaten gerichtet ist.9 Diese sog. «UCITS» (Undertakings for Collective Investments in Transferable Securities) sind das weltweit erfolgreichste Fondsprodukt10 und wird international unter dem sog. «UCITS-Standard» als Publikumsfonds anerkannt.11 Das UCITSG ist indes nur der erste der auf zwei Teile angelegten Totalrevision des Liechtensteinischen Gesetzes über Investmentunternehmen (IUG)12, welches die Grundlage für das Wachstum des Fondsplatzes Liechtenstein gelegt hat. 13 Mit einem zweiten Fondsgesetz – dem sog. AIFMG – wird die im Juli 2011 veröffentlichte AIFM-Richtlinie14 implementiert, die alle anderen Investmentfonds als UCITS reguliert.15 Angesichts der Regelungsintensität mag ein Blick hinter die Kulissen instruktiv sein: Nach Verabschiedung der Fondsplatzstrategie erarbeitete eine Arbeitsgruppe von Herbst 2009 bis zum Frühjahr 2010 zunächst eine StärkenSchwächen-Analyse mit Wunschliste. Der im Auftrag der Regierung von einer kleinen Juristengruppe im August 2010 vorgelegte Entwurf sah dann ein einteiliges Fondsgesetz unter Berücksichtigung der UCITS-Richtlinie und dem 9 10 11 12 13 14 15 Vgl. Kapitel VII. UCITS-RL 2009/65/EG, umgesetzt in Art. 50 ff. UCITSG. Ende September 2011 wird vom UCITS-Fonds ein Vermögen von 5.500 Mrd. € verwaltet. EFAMA, Quarterly Statistical Release 2011 November. Dabei wird über 40 % des UCITS-units in Drittstaaten verkauft. CACEIS, Cross-border distribution of UCITS, Mai 2011, S. 28–33. Vgl. EFAMA; UCITS as a Global Brand – an industry survey by EFAMA, July 2008. Zum Beispiel: 70 % aller zugelassenen Fonds in HongKong, Singapur und Taiwan sind UCITS-Fonds. PwC, Trends in Cross-Border Fund Distribution, online http://www. pwc.com/en_LU/lu/podcast/docs/pwc-podnotes-funddistribution.pdf Gesetz vom 19. Mai 2005 über Investmentunternehmen (Investmentunternehmensgesetz; IUG), LGBl. 2005, Nr. 156 vom 9. August 2005, Ordnungsziffer 951.30. Im Januar 2012 waren insgesamt 708 Fonds mit einem Anlagevolumen i.H.v. CHF 36’378 Mio. in Liechtenstein registriert. Im Dezember 1996 (2005) waren es lediglich 5 (342) Fonds mit einem Anlagevolumen von CHF 435 (14.147) Mio. Vgl. die Statistik des Liechtensteinischen Anlagefondsverbands, online: www.lafv.li . Richtlinie 2011/61/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2011 über die Verwalter alternativer Investmentfonds und zur Änderung der Richtlinien 2003/41/EG und 2009/65/EG und der Verordnungen (EG) Nr. 1060/2009 und (EU) Nr. 1095/2010, Abl. (EG) L 174/1 vom 1.7.2011 (im Folgenden AIFM-RL). Vgl. Art. 2 und Art. 4 Abs. 1 Bst. a AIFM-RL. 13 Dirk Zetzsche bis dahin bekannten Stand der AIFM-RL vor. Nach Ablehnung der Einheitslösung wegen der zu diesem Zeitpunkt unüberschaubaren rechtspolitischen Entwicklung der AIFM-RL spaltete die Legistikgruppe den Einheitsentwurf bis Ende November 2011 in zwei Teilgesetze (UCITSG und AIFMG) auf. Beide Gesetze sind inhaltlich, terminologisch und strukturell aufeinander abgestimmt, so dass eine einfache Orientierung zwischen den Gesetzen und eine (geplante) spätere Zusammenführung in einem einheitlichen Asset-Management-Gesetz möglich sind. Die Überarbeitung bezog die am 27. Oktober 2010 erfolgte politische Einigung zur AIFM-RL ein, so dass das Fürstentum Liechtenstein am 30. November 2010 als erste europäische Rechtsordnung (und somit vor Luxemburg!) einen Umsetzungsentwurf für die AIFM-RL16 präsentieren konnte.17 Die Aufspaltung in zwei Gesetze erhöhte jedoch wegen der europäischen Umsetzungsfrist bis 1. Juli 2011 den Zeitdruck im parlamentarischen Verfahren. Die massgeblich beteiligten Verbände18 reagierten durch eine gemeinsame und mit der Regierung abgestimmte Stellungnahme im Vernehmlassungsverfahren, die unmittelbar in den Entwurfswortlaut eingearbeitet wurde. Von dem Konsensverfahren ausgenommen waren drei politische Punkte.19 Nach Einbringung der Regierungsvorlage im März 2011 beschloss der Landtag in der ersten Lesung eine Zusammenfassung der zweiten und dritten Lesung des Entwurfs, so dass das UCITSG am 30.6.2011 formell beschlossen und damit die Umsetzungsfrist eingehalten werden konnte. Zwischen der ersten und der zweiten und dritten Lesung wurden in einem Gipfelgespräch aus Regierung, Finanzmarktaufsicht, Verbänden und Fraktionsvertretern des Landtags die verbleibenden politischen Fragen gelöst. 16 17 18 19 14 Vgl. Ressort Finanzen der Regierung des Fürstentums Liechtenstein, Vernehmlassungsbericht der Regierung betreffen die Schaffung eines Gesetzes über bestimmte Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapiere (OGAW-G) und eines Gesetzes über die Verwalter alternativer Investmentfonds (AIFM-G) vom 30. November 2011, online: http://www.llv.li/pdf-llv-rk_vernehml._investmentfonds.pdf . Eine von der Liechtensteinischen Regierung eingesetzte Arbeitsgruppe hat den Entwurf im Jahr 2011 optimiert. Am 6. März 2012 wurde der Entwurf in die erneute Vernehmlassung gegeben und im Juni 2012 in den Liechtensteinischen Landtag eingebracht. Liechtensteinischer Anlagefondsverbands (LAFV), Liechtensteinischer Bankenverband (LBV), Treuhänderverband (THV), Verband Unabhängiger Vermögensverwalter (VUVL), Verband der Wirtschaftsprüfer. Dauer der Zulassungsfristen für die Produkte in Art. 10 UCITSG, Genehmigungsfiktion bei Fristüberschreitung sowie Einführung und Wirkung von Musterdokumenten. Das UCITSG und seine Folgen Grafik 2: Der Weg zum UCITSG 3. Konservatives Private Wealth Management Als Kernfrage des Umsetzungsprozesses erwies sich der Umfang des nationalen Gestaltungsspielraums trotz aller Wucht, Detailverliebtheit und – teilweise – Fragwürdigkeit der europäischen Vorgaben. Für ein kleines Land sind die mit der EWR-Mitgliedschaft einhergehenden regulatorischen Kosten enorm, und zwar sowohl für die Regierung und Finanzmarktaufsicht, als auch die Finanzmarktakteure. Dem Souveränitätsverlust und den Regulierungskosten steht der unbeschränkte Marktzugang zu allen 27 EU-Staaten und den drei EWR-Staaten, mit insgesamt 500 Millionen Einwohnern – dies entspricht bei Publikumsfonds wie UCITS der potentiellen Kundenzahl – von der Arktis bis Zypern gegenüber.20 Innerhalb des EWR benötigt man für den Marktzugang keine bilateralen Abkommen und Genehmigungsverfahren. Erforderlich ist lediglich eine EWR-konforme nationale Regulierung und eine grenzüberschreitenden Notifikation durch die Heimatstaatbehörde, in Liechtenstein der Finanzmarktaufsicht Liechtenstein (im 20 Siehe «Gesamtbevölkerung» unter http://epp.eurostat.ec.europa.eu/. 15 Dirk Zetzsche Folgenden: FMA). Es ist erklärtes Ziel des UCITSG (und auch des AIFMG), das Potential dieser sog. Europäischen Pässe zu nutzen.21 Vor diesem Hintergrund wäre es unratsam gewesen, die über achtzig Jahre etablierte Tradition des Fürstentums Liechtenstein als sicherer Hafen für grossvolumige Privatvermögen durch eine laxe Regulierung zu riskieren. Liechtenstein wurde zum Finanzplatz, weil es in einer Zeit, als Europa von zwei Inflationen und Diktaturen geprägt war, sichere Alternativen der Vermögensgestaltung bieten konnte, die von Tagesaktualitäten unabhängig waren. Dies spiegelt sich z.B. in einem «Tripple A»-Rating des Fiskus22 und einer hohen Bank-Eigenkapitalquote wider. Dem Glitzern der Londoner, Pariser und Frankfurter Bürotürme steht das Liechtensteiner Bürgerhaus als Gegenmodell gegenüber, das Reiz und Risiko durch Solidität und Sicherheit substituiert. Dieser inhärente Konservativismus ist Abbild der aus dem Dasein als Kleinstaat geprägt Liechtensteinischen Mentalität.23 Er spiegelt sich auch im UCITSG wieder. Entsprechend wurde der Wettbewerb durch Leistung («race to the top») zum Regulierungsziel erklärt.24 Ein «race to the bottom», der anderen Fondsplätzen nachgesagt wird, ist in Liechtenstein nicht mehrheitsfähig. Infolge der langjährigen Tradition als Private Wealth Management-Standort werden in Liechtenstein zudem – anders als an Finanzplätzen wie Luxemburg oder Malta – in erheblichem Masse «eigene Assets» verwaltet. Genaue Zahlen sind wegen Doppelzählungen bei mehreren Intermediären schwer zu erlangen. Aber man schätzt, dass die im Rahmen der Vermögensverwaltungen, bei Banken, Treuhändern oder Stiftungen innerhalb Liechtensteins verwalteten Assets mehr als 400 Mrd. CHF betragen können. Manche dieser Assets werden derzeit in Investmentfonds umgeschichtet, was einen Teil des dynamischen 21 22 23 24 16 Bericht und Antrag der Regierung an den Landtag des Fürstentums Liechtenstein betreffend die Schaffung eines Gesetzes über bestimmte Organismen für Gemeinsame Anlagen in Wertpapieren (UCITSG) und die Abänderung weiterer Gesetze, 22. März 2011 (Nr. 26/2011). S. 11, 15. Standard & Poor’s, Sovereign Ratings And Country T&C Assessments, December 29 2011, S. 3. Vgl. Zetzsche/Litwin, Law and Ethics in Investment Fund Regulation – The Example of Liechtenstein (2012), online: www.ssrn.com . Bericht und Antrag der Regierung an den Landtag des Fürstentums Liechtenstein betreffend die Schaffung eines Gesetzes über bestimmte Organismen für Gemeinsame Anlagen in Wertpapieren (UCITSG) und die Abänderung weiterer Gesetze, 22. März 2011 (Nr. 26/2011). S. 15, 16. Das UCITSG und seine Folgen Wachstums am Fondsplatz erklärt. Als «Kehrseite» schadet eine zu liberale Regulierung der heimischen Finanzindustrie. Entsprechend müssen nach Liechtensteinischem Verständnis Liberalisierungen immer europarechtskonform sein und mit Stärkungen der Finanzmarktaufsicht Liechtenstein (FMA) einhergehen. Über die Frage, wie die Stärkung der Aufsicht ohne Schwächung der Wettbewerbsfaktoren einhergehen kann, wurde hart gerungen. IV. Legistische Konsequenzen Die bei Erarbeitung des UCITSG getroffenen Richtungsentscheidungen zeitigen Konsequenzen für die ganze liechtensteinische Finanzmarktgesetzgebung. 1. Normenhierarchie und Legalitätsprinzip Dies betrifft zunächst die Normenhierarchie und die damit verbundenen verfassungsrechtlichen Fragen. Neben der 65 doppelspaltig bedruckte Seiten umfassenden UCITS-Richtlinie 2009/65/EG umfasst der europäische Regelbestand zwei Verordnungen zur wesentlichen Anlegerinformation und zur Aufsichtskooperation,25 drei Ausführungsrichtlinien der europäischen Kommission zur Organisation der Verwaltungsgesellschaft, zu Master-FeederStrukturen und zur Verschmelzung sowie zum Verständnis der Richtliniende- 25 Verordnung (EU) Nr. 583/2010 der Kommission vom 1. Juli 2010 zur Durchführung der Richtlinie 2009/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates im Hinblick auf die wesentlichen Informationen für den Anleger und die Bedingungen, die einzuhalten sind, wenn die wesentlichen Informationen für den Anleger oder der Prospekt auf einem dauerhaften Datenträger als Papier oder auf einer Website zur Verfügung gestellt werden (ABl. L 176 vom 10.7.2010, S. 1); Verordnung (EU) Nr. 584/2010 der Kommission vom 1. Juli 2010 zur Durchführung der Richtlinie 2009/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates im Hinblick auf Form und Inhalt des Standardmodells für das Anzeigeschreiben und die OGAW-Bescheinigung, die Nutzung elektronischer Kommunikationsmittel durch die zuständigen Behörden für die Anzeige und die Verfahren für Überprüfungen vor Ort und Ermittlungen sowie für den Informationsaustausch zwischen zuständigen Behörden (ABl. L 176 vom 10.7. 2010, S. 16); 17 Dirk Zetzsche finitionen26 und eine Vielzahl von Leitlinien der europäischen Bündelaufsichtsbehörde European Securities and Markets Authority (ESMA). Letztere befassen sich z.B. mit der Gestaltung der wesentlichen Anlegerinformationen,27 dem Risikomanagement28 und Details zu einzelnen Produkten, etwa Geldmarkt- und strukturierte/komplexe Investmentfonds.29 Erschwert wird die Richtlinienumsetzung durch die Rechtsprechung des Liechtensteinischen Staatsgerichthofs, der ein gegenüber dem Schweizerischen Recht strengeres Verständnis des Legalitätsprinzips vertritt. Gestalterische Ermächtigungen an die Regierung sind unzulässig.30 Für die Einleitung 26 27 28 29 30 18 Richtlinie 2010/43/EU der Kommission vom 1. Juli 2010 zur Durchführung der Richtlinie 2009/65/EG im Hinblick auf organisatorische Anforderungen, Interessenkonflikte, Wohlverhalten, Risikomanagement und den Inhalt der Vereinbarung zwischen Verwahrstelle und Verwaltungsgesellschaft (ABl. L 176 vom 10.7.2010, S. 42); Richtlinie 2010/44/EU der Kommission vom 1. Juli 2010 zur Durchführung der Richtlinie 2009/65/EG in Bezug auf Bestimmungen über Fondsverschmelzungen, MasterFeeder-Strukturen und das Anzeigeverfahren (ABl. L 176 vom 10.7.2010, S. 28); Richtlinie 2007/16/EG der Kommission vom 19. März 2007 zur Durchführung der Richtlinie 85/611/EWG des Rates zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften betreffend bestimmte Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren (OGAW) im Hinblick auf die Erläuterung gewisser Definitionen (ABl. L 79 vom 20.03.2007, S. 11). CESR, Guidelines on the methodology for calculation of the ongoing charges figure in the Key Investor Information Document, CESR/10-674 (1 July 2010); CESR, Guidelines on the methodology for the calculation of the synthetic risk and reward indicator in the Key Investor Information Document, CESR/10-673 (1 July 2010); CESR, Guidelines on the selection and presentation of performance scenarios in the KID for structured UCITS, CESR/10-530 (20 July 2010); CESR, Guidelines for clear language and layout, CESR/10-532 (20 July 2010); CESR, Guidelines for the transition of the simplified prospectus to the KID, CESR/10-672(20 December 2010); CESR’s Template for the KID, CESR/10-794 (20 December 2010). CESR, Risk management principles for UCITS, CESR/09-178 (February 2009); CESR, Guidelines on Risk Measurement and the Calculation of Global Exposure and Counterparty Risk for UCITS, CESR/10-788 (28 July 2010); ESMA, Guidelines to competent authorities and UCITS management companies on risk measurement and the calculation of global exposure for certain types of structured UCITS, ESMA/2011/112 (14 April 2011). CESR, Guidelines on a common definition of European money market funds, CESR/10-049 (19 May 2010); ESMA, Guidelines to competent authorities and UCITS management companies on risk measurement and the calculation of global exposure for certain types of structured UCITS, ESMA/2011/112, (14 April 2011). Vgl. die Rechtsprechung des Staatsgerichtshofs zur Gesetzmässigkeit der öffentlichen Abgaben (Steuern und Kausalabgaben), insbesondere betreffend die Gebühren für die Finanzmarktaufsicht, StGH 2010/024, 2009/124, 2002/70 und 2000/39, sowie Das UCITSG und seine Folgen des Verfahrens zur Verordnungsüberprüfung gemäss Art 20 Abs 1 lit c StGHG bedarf es zudem keines besonderen Interesses der Antragsteller.31 Entsprechend wird von Verordnungsermächtigungen in Liechtensteinischen Gesetzen zurückhaltend Gebrauch gemacht. Wenn Gebrauch gemacht wird, sind die Ermächtigungen sehr detailliert auszugestalten. Eine Gesetzgebung wie im Schweizerischen Kollektivanlagengesetz (KAG), wo wesentliche Teile durch die Kollektivanlagenverordnung (KKV) ausgestaltet und in den Gesetzen nur die Obersätze verankert werden, ist mit Liechtensteinischem Recht unvereinbar. Auf Gesetzesebene ist mehr zu regeln, als dem Vf. genehm und stilistisch elegant ist. In der Frage des Legalitätsprinzips wurde die Grundsatzentscheidung getroffen, alle Inhalte der Richtlinie 2009/65/EG auf der Ebene des UCITSG zu verankern, während die Umsetzungsakte in der Verordnung niedergelegt wurden. Dafür spricht, dass nach dem Unionsverfassungsrecht ähnliche Kriterien für die Aufspaltung zwischen den Befugnissen des Parlaments und der Kommission gelten wie nach dem Verständnis des Liechtensteinischen Staatsgerichtshofs für die Aufteilung zwischen Parlament (Gesetz) und Regierung (Verordnung). Um diese Aufteilung verfassungsrechtlich abzusichern, werden die ergänzenden europäischen Rechtsquellen im Gesetzestext32 und in der Begründung in Bezug genommen. Dagegen werden die CESR- und ESMAEmpfehlungen durch die Aufsichtspraxis und in Rundschreiben und Empfehlungen der Finanzmarktaufsicht ausgearbeitet. Die Konsequenz dieser Aufteilung lässt sich für einen wesentlichen Teilbereich der Verwalterorganisation, das Risikomanagement, aufzeigen. Mit den massgeblichen EU-/EWR-Richtlinienbestimmungen (Art. 12, 14, 51 UCITSRL) korrespondieren die Art. 20, 21, 23 UCITSG. Die weiteren europäischen Ausführungsbestimmungen in Art. 12, 38 bis 45 der Kommissionsrichtlinie 31 32 die aus der Übernahme österreichischem Verfassungsrechts (dazu Öhlinger, Verfassungsrecht, 8. Aufl. 2009, S. 256 ff.) resultierende Rechtsansicht bei Wille, Die Normenkontrolle im liechtensteinischen Recht auf der Grundlage der Rechtsprechung des Staatsgerichtshofes, 1999, S. 288 ff.; ebenso in StGH 19.12.1977, StGH 1977/10, LES 1981, 56; StGH 05.05.1987, StGH 1986/007, LES 1987, 141. Vgl. StGH 2010/024, Leitsatz 1a. Vgl. Art. 1 Abs. 3 UCITSG, Art. 3 Abs. 1 Punkt 6, Punk 14, Punk 17 Bst. b und c, Punkt 29 UCITSG, Art. 3 Abs. 3 UCITSG, Art. 39 Abs. 8 Bst. a und b UCITSG, Art. 41 UCITSG, Art. 43 Abs. 3 UCITSG, Art. 43 Abs. 4 Bst. a UCITSG, Art. 68 Abs. 2 UCITSG, Art. 102 Abs. 2 Bst. a, d, e und f UCITSG, Art. 118 Abs. 4 UCITSG, Art. 119 Abs. 4 UCITSG, Art. 149 Abs. 4 UCITSG. 19 Dirk Zetzsche 2010/43/EU finden sich in Art. 55, 41 ff. UCITSV. Die Ausführungsbestimmungen – z.B. CESR 10-788 und ESMA 2011/112 zur Risikomessung und Bestimmung der Risikoexposition für normale und strukturierte UCITS33 – sind nicht gesetzlich geregelt und bleiben der Aufsichtspraxis überlassen. Diese Aufteilung bringt zwei Vorteile und einen Nachteil mit sich. Erstens erhält sie die ggf. gebotene Flexibilität für eine schnelle Anpassung. Eine Richtlinien-Bestimmung wird eher nur mit Vorlauf, Ausführungsbestimmungen können dagegen auch sehr schnell geändert werden. Dies ist für Liechtenstein sehr wichtig: Das Liechtensteinische Parlament tagt nur in sechs von zwölf Monaten des Jahres, so dass ein reguläres parlamentarisches Verfahren zumeist auf acht bis zwölf Monate zu kalkulieren ist. Dieser Zeitraum kann im Einzelfall Wettbewerbsnachteile bedeuten. Zweitens sichert die Aufteilung die Rechtsschutzoptionen der betroffenen Personen gegen eine wuchernde Regelsetzung durch die nicht parlamentarisch kontrollierten Aufsichtsbehörden. Eine vorlagefreundliche Ausrichtung des EFTA-Gerichtshofs könnte sich zum Korrektiv einer allzu expansiven europäischen Aufsichtspraxis fortentwickeln. Nachteilige Konsequenz sind recht umfangreiche Verordnungsermächtigungen und –bestimmungen, eine gewisse sprachliche Komplexität und das Erfordernis, sich neben drei Regulierungsebenen in den nicht eben klar geregelten Rechtsquellen des europäischen Rechts auszukennen. Das UCITSG ist ein Expertengesetz. 2. Europäische Terminologie und Struktur Aus externer Sicht prägte das Liechtensteinische IUG von 2005 eine merkwürdige Kombination aus Schweizerischer und europäischer Gestaltung und Terminologie. Damit einher gingen manche Missverständnisse. So wurde das 33 20 Vgl. die Definition sog. strukturierter UCITS in ESMA, Guidelines to competent authorities and UCITS management companies on risk measurement and the calculation of global exposure for certain types of structured UCITS, ESMA/2011/112 (14 April 2011), S. 6: «Structured UCITS for the purpose of the UCITS KII requirements are defined as UCITS which provide investors, at certain predetermined dates, with algorithm-based payoffs that are linked to the performance or the realization of price changes or other conditions, of financial assets, indices or reference portfolios or UCITS with similar features.» Ebenso Art. 36 Abs. 1 Verordnung (EU) Nr. 583/2010 (Fn. 25). Das UCITSG und seine Folgen «Investmentunternehmen» nach Art. 1 Abs. 1 IUG gelegentlich als Anbieter von «Investment Services» übersetzt, dann der europäischen MiFID-Richtlinie für individuelle Vermögensverwaltungen unterstellt und entsprechend der Europäische Pass für Investmentfonds – also kollektive Vermögensverwaltungen – verweigert.34 Der Missstand wurde zugunsten der europäischen Richtlinienterminologie beseitigt. Das UCITSG spricht von «Zulassung» statt «Bewilligung», von «Verwaltungsgesellschaft» statt «Investmentunternehmen», von «Organismen für gemeinsame Anlagen» statt Anlagefonds, von «Verwahrstelle» statt «Depotbank» etc. Zudem orientiert sich die Gliederung des UCITSG an der Gliederung der UCITS-Richtlinie 2009/65/EG. Dies soll erstens die Geschwindigkeit erhöhen, mit der Liechtensteinische Anbieter innerhalb des EWR tätig werden können, und zweitens die Regelsetzung für Nicht-Liechtensteiner so transparent wie möglich gestalten. Wer die europäische Richtlinie kennt, findet sich im UCITSG zurecht. Drittens erkennen Personen, die erstmals mit dem Liechtensteinischen Fondsrecht zu tun haben, auf den ersten Blick «Liechtenstein ist ein EWR-Staat.» Das UCITSG ist ein Exportgesetz. 3. Kurze «time-to-market» bei intensivierter erwalterkontrolle V Bis zuletzt wurde um den – trotz engmaschiger Richtlinienvorgaben – optimalen Kompromiss zwischen Anlegerschutz, Finanzmarktstabilität und Intermediärsfreundlichkeit gerungen.35 Aus Sicht der Initiatoren sind kurze Genehmigungsfristen und schnelle Wege in die angrenzenden Märkte wichtig. Aus Sicht der Anleger und des ganzen Finanzmarktes müssen die schlechten Akteure ausgesondert, die Einhaltung der Gesetze überwacht, Missstände frühzeitig erkannt und behoben werden. Dafür bedarf es einer kompetenten und gut informierten Aufsicht. 34 35 Vgl. Bericht und Antrag der Regierung an den Landtag des Fürstentums Liechtenstein betreffend die Schaffung eines Gesetzes über bestimmte Organismen für Gemeinsame Anlagen in Wertpapieren (UCITSG) und die Abänderung weiterer Gesetze, 22. März 2011 (Nr. 26/2011). S. 23. Hooghiemstra/Litwin, The Liechtenstein 2011 UCITS Law Opens New Opportunities for Collective Investment Vehicles, online http://www.uni.li/Portals/0/docs/fdl/Liech tenstein%202011%20UCITS%20Law.pdf 21 Dirk Zetzsche Man kann das Fondsrecht metaphorisch als Rohr mit zwei Enden verstehen. Der Einlass symbolisiert die Zulassung und Kontrolle des Verwalters. Je enger das Rohr am Einlass ist, umso weniger kommt in das Rohr hinein und folglich hindurch. Ist das Sieb am Einlass richtig justiert, reduzieren sich die Gefahren für Anleger wie Allgemeinheit. Alternativ kann man das Rohr am Auslass verengen und dort die guten von den schlechten Angeboten unterscheiden. Dann hat man die Produkte (und deren Anbieter) im Einzelfall auf Risiken für den Finanzmarkt oder die Anleger hin zu untersuchen. Freilich darf das Rohr auch nicht zu eng beschaffen sein – gleich ob am Ein- oder Auslass –, weil dann auch die seriösen Anbieter und Produkte scheiternDie UCITS-Richtlinie stellt zwar Regeln auf, wie ein Produkt beschaffen sein muss. Bei Einhaltung dieser Vorgaben besteht ein Anspruch auf Zulassung. Diese Vorgaben sind aber seit den UCITS II- und III-Richtlinien, der sogenannten Produkt- und Verwalterrichtlinie,36 recht liberal. Die Aufsicht hat wenig Handhabe zur Prüfung, zumal in Rechtsordnungen, mit denen Liechtenstein im Wettbewerb steht – Luxemburg, Irland, Malta – die Genehmigungspraxis mit wenig Restriktionen behaftet ist. Seit dem Jahr 2001 ist das Rohr somit weitgehend am Auslass «offen». Das UCITSG übernimmt deshalb die Richtungsentscheidung der UCITS-RL 2009/65/EG zugunsten einer Intensivierung der Verwalteraufsicht. Um im Bild zu bleiben: Das Rohr wird am Einlass verengt. Die Zulassung zur Verwaltertätigkeit und die Organisation der Verwalter stellen gewisse Hürden auf, die unlautere Akteure forthalten sollen. Um den honorigen Akteuren – also denen, die durch den Einlass des Rohrs hindurch gelassen werden – ein attraktives Regelungsumfeld zu bieten, führt das UCITSG eine kurze, gesetzlich verankerte37 Time-to-market bei der Produktzulassung ein. Gem. Art. 10 Abs. 4 UCITSG besteht binnen einer Frist 36 37 22 Die Verwalterrichtlinie (Richtlinie 2001/107/EG zur Änderung der Richtlinie 85/611/ EWG) ergänzte die Produktregulierung der Produktrichtlinie (Richtlinie 2001/108/ EG zur Änderung der Richtlinie 85/611/EWG) um eine Verwalterregulierung. Seitdem sind Produkt und Verwaltungsgesellschaft zulassungs- und aufsichtspflichtig. Vgl. Art. 1 Nr. 3 der Verwalterrichtlinie 2001/107/EG (Art. 4 Abs. 3, Art. 3a sowie Art. 5 bis 6c der OGAW-Richtlinie 85/611/EWG), jetzt Art. 5 Abs. 4, 5 und Art. 6–21 der Richtlinie 2009/65/EG. Diese Regelungstechnik wurde aus dem IUG übernommen, wo sie einen Wettbewerbsvorteil Liechtensteins gegenüber anderen Fondsstandorten begründet hatte. Vgl. dazu Wirth /Erny, Der Fondsplatz Liechtenstein im internationalen Vergleich mit der Schweiz und Luxemburg, Luzern 2010, S. 38 ff. Das UCITSG und seine Folgen von zehn Tagen nach Einreichung der vollständigen Unterlagen38 durch einen bereits zugelassenen Verwalter ein Anspruch auf Produktzulassung. Wird die Frist nicht eingehalten und auch nicht nach einer in Art. 15 UCITSV beschriebenen Liste der Verlängerungsgründe verlängert, gilt das Produkt als zugelassen (Art. 10 Abs. 6 UCITSG) und darf im Inland vertrieben werden (sog. Genehmigungsfiktion39). Binnen drei Tagen erfolgt die grenzüberschreitende Produktnotifikation (Art. 93 Abs. 3 UCITSG), so dass das Produkt auf dem europäischen Binnenmarkt fast zeitidentisch mit der Produktzulassung auf dem Heimatmarkt vertrieben werden kann. Diese Time-to-market ist im europäischen und internationalen Vergleich wettbewerbsfähig. V. Details Die grossen Botschaften mögen einige Details zur Verwalterregulierung, der Produktgestaltung und der Produktzulassung illustrieren. 1. Verwalterregulierung Die strenge Verwalterregulierung zeigt sich in erhöhten Anforderungen an die Geschäftsleiter,40 einem intensivierten Risikomanagement (s.o.), konkretisierten Vorgaben zu Wohlverhaltensregeln, Compliance-Organisation, Innenrevision sowie Interessenkonflikten.41 Die Verwaltungsgesellschaft haftet den Anlegern für die Nichteinhaltung dieser Organisationsvorgaben (Art. 24 Abs. 1 UCITSG).42 Parallel dazu wurde der Straf- und Bussgeldrahmen in 38 39 40 41 42 Vgl. den Katalog gemäss Art. 18 UCITSV. Die Genehmigungsfiktion kann gem. Art. 10 UCITSV in Fällen des öffentlichen Interesses ausgesetzt werden, z.B. wenn dadurch Verstösse gegen das EWR-Recht zu gewärtigen sind, die EDV der FMA zusammenbricht oder eine Krankheit epidemischen Ausmasses eine Antragsbearbeitung unmöglich macht. Art. 15 Abs. 1 Bst. b UCITSG i.V.m. Art. 21 UCITSV. So kann die FMA die Zulassung in Abhängigkeit von der Befähigung der Geschäftsleiter (Kenntnisse über Derivateeeinsatz?) auf bestimmte Anlagestrategien beschränken. Art. 20, 21, 23 UCITSG i.V.m. Art. 25 ff. UCITSV. Dies stellt namentlich gegenüber der deutschen h.M. eine strengere Regelung dar, vgl. Zetzsche, Finanzintermediäre als Katalysatoren zwischen Markt und Recht – Compliance Verstösse zwischen Staatshaftung, öffentlich-rechtlicher Klagebefugnis und zivilrechtlichem Schutzgesetz, in Towfigh et al., Recht und Markt – Wechselbeziehun- 23 Dirk Zetzsche Art. 143 UCITSG im Vergleich zu Art. 111 IUG erweitert und der Höhe nach verdoppelt. Jedoch geht es nicht um blinde Strenge ihrer selbst wegen, sondern um eine risikoorientierte Aufsicht: Diese setzt an der Quelle der Risiken für Anleger und Finanzmarktstabilität an, hier ist Rigidität veranlasst. Der Risikokern bestimmt sich für jede Verwaltungsgesellschaft anders. So wird eine Verwaltungsgesellschaft mit sehr wenigen Mitarbeitern möglicherweise als Briefkastengesellschaft zu untersagen sein oder Delegationsrisiken aufweisen, während bei einer Verwaltungsgesellschaft mit zahlreichen Mitarbeitern und einer aufwendigen Organisation die operativen Risiken im Mittelpunkt stehen. Wo formale Strenge keinen Aufsichtszweck erfüllt, verzichtet das UCITSG darauf. So wurde der nach Art. 23 IUV früher erforderliche Quartalsbericht der Fonds grds. durch einen risikoorientiert zu erstellenden Halbjahresbericht der Verwaltungsgesellschaft ersetzt.43 Auslagerungen an zugelassene Asset Manager sind nur noch anzuzeigen,44 die unter dem IUG bestehende Genehmigungspflicht entfällt. Nichtsdestotrotz bedeutet das UCITSG eine Umstellung, die mit Unannehmlichkeiten und Kosten verbunden ist. Es mag deshalb beruhigen, dass die Verwalterregulierung nicht nur dem Anlegerschutz und dem Schutz der Finanzmarktstabilität (vgl. Art. 1 Abs. 2 UCITSG) dient, sondern auch das Inkrafttreten der AIFM-RL antizipiert. Mit den Vorschriften des UCITSG erfüllt die Verwaltungsgesellschaft bereits viele Anforderungen der AIFM-RL und des parallel erarbeiteten AIFMG. Dies ist bedeutsam, weil manche Verwaltungsgesellschaften und selbstverwaltete Investmentgesellschaften UCITS und AIF verwalten. 2. Produktgestaltung Die Unannehmlichkeiten auf der Ebene der Verwalterregulierung werden durch Flexibilität auf der Produktseite und die grenzüberschreitende Adapti- 43 44 24 gen zweier Ordnungen, Tagungsband zur 49. Assistententagung Öffentliches Recht in Bonn 2009, S. 159 ff. Art. 129 Abs. 3 UCITSG i.V.m. 124 UCITSV. Bei begründetem Anlass kann die FMA einen Quartalsbericht zu konkreten Aufsichtszwecken einfordern, z.B. weil sie über Verdachtsmomente verfügt, die auf bestimmte Verstösse hinweisen. Vgl. Art. 22 UCITSG i.V.m. Art. 24 UCITSV. Das UCITSG und seine Folgen onsfähigkeit der FL-UCITS kompensiert. Dies markiert die Ausrichtung des UCITSG als Exportgesetz. a) Gestaltung Das UCITSG führt die in der Schweiz, Frankreich, Deutschland, Luxemburg und Irland üblich vertragliche Form neu in Art. 5 UCITSG ein. Daneben wird in Art. 6 UCITSG die in Liechtenstein traditionelle, formell am englischen Unit Trust, in der Praxis aber am schweizerischen Recht orientierte Kollektivtreuhänderschaft beibehalten, während Art. 7 UCITSG die Investmentgesellschaft (früher Anlagegesellschaft) regelt. Alle Rechtsformen sind nach dem Vertragsprinzip gestaltet, i.e. in den Grenzen von Gesetz und Verordnung45 darf die Binnenordnung privatautonom gestaltet werden. Die konstituierenden Dokumente (Fondsvertrag, Treuhandvertrag oder Satzung) müssen lediglich bestimmte Regelungen treffen.46 Wie die Regelungen getroffen werden, ist dem Initiator überlassen. Dies eröffnet Flexibilität bei der Produktgestaltung. So kann die Investmentgesellschaft z.B. nach Schweizer Vorbild durch einen Verwaltungsrat oder nach deutschem Vorbild durch Vorstand und Aufsichtsrat geleitet werden, sie kann zudem durch ihre Organe selbst- oder von einer Verwaltungsgesellschaft fremdverwaltet werden.47 Wer keine Flexibilität wünscht und stattdessen die Rechtsgestaltungskosten reduzieren möchte, kann die bewährten Rückfallregeln des liechtensteinischen Personen- und Gesellschaftsrechts (PGR48) für den Unit Trust und die AG mit flexiblem Kapital bzw. das ABGB und PGR für den Investmentfonds in Anspruch nehmen. Eine KG/L.P.-Form kann durch Verordnung für zulässig erklärt werden.49 Damit ist Liechtenstein derzeit, soweit ersichtlich, die einzige Rechtsordnung, die alle international üblichen Rechtsformen der Fondsorganisation bereitstellt. Des Weiteren ist der Regelungsansatz aus rechtsvergleichender Sicht eine Novität, wonach Verwaltungsgesellschaften allein mit dem UCITSG und ohne Rückgriff auf die parallel bestehenden gesetzlichen Rege45 46 47 48 49 Vgl. Art. 5 Abs. 2 und 4, 6 Abs. 2 und 4, 7 Abs. 2 und 4 UCITSG i.V.m. Art. 4–11 UCITSV. Vgl. Art. 5 Abs. 3, 6 Abs. 3, 7 Abs. 3 UCITSG. Art. 7 Abs. 5, 6 und 10 UCITSG. Personen- und Gesellschaftsrecht (PGR) vom 20. Januar 1926, LGBl. 1926/4, in der geltende Fassung (LR 216.0), online http://www.gesetze.li/get_pdf.jsp?PDF=1926004. pdf Art. 4 Abs. 3 UCITSG. 25 Dirk Zetzsche lungen im Treuhand- und Gesellschaftsrecht des PGR sowie das Vertragsrecht des ABGB arbeiten können. Bislang sind in Europa Verweise auf Nebengesetze wie das luxemburgische Aktiengesetz von 1915 oder das deutsche Aktiengesetz (vgl. Art. 99 Abs. 1 InvG) üblich. Liechtensteinische Initiatoren müssen sich nur im UCITSG und UCITSV auskennen, diese bieten die Rechtsquellen «aus einer Hand». Die nähere Gestaltung entspricht den Usancen der internationalen Fondspraxis. Vor dem Hintergrund der internationalen Diskussion im Trustrecht50 wurde für den Unit Trust und den vertraglichen Fonds klargestellt, dass der Treuhänder persönliche Verbindlichkeiten für Anleger nicht begründet,51 während sich dies für die Investmentgesellschaft aus der Rechtsform ergibt. Aus dem Wortlaut von Art. 24 Abs. 1 und 2 UCITSG folgt zudem, dass eine Inanspruchnahme der Anleger auch nicht aus anderen Gründen (z.B. wegen einer Pflichtverletzung der Verwaltungsgesellschaft) möglich ist. Transparenz schafft das vor dem Grundbuch- und Öffentlichkeitsregisteramt (GBOERA) nach der Fondszulassung zu beschreitende Registerverfahren. Die Eintragung ist für Unit Trusts und vertragliche Investmentfonds deklaratorisch,52 für Investment-AG indes konstitutiv.53 b) Internationalität Die konstituierenden Dokumente liechtensteinischer Fonds können in englischer Sprache gestaltet und die Namen in der Abkürzung des jeweiligen Vertriebsmarkts (z.B. für den Investmentfonds «FCP») dargestellt werden (Art. 12 UCITSG). Ein international tätiger Finanzkonzern kann so seine Aktivitäten in Liechtenstein bündeln, gleichwohl aber den vermarkteten Fonds im primären Vertriebsland lokalen Kolorit verleihen. An die einmal gewählte Bezeichnung ist die Verwaltungsgesellschaft vorbehaltlich eines förmlichen Verfahrens zur Firmenänderung gebunden. Liberal ist auch das Sprachenregime im Aufsichtsverfahren. Die FMA darf ausser Anträgen in deutscher und englischer Sprache auch solche in jeder an- 50 51 52 53 26 Vgl. Zetzsche, Prinzipien der kollektiven Vermögensanlage, Habil. Düsseldorf/ Deutschland 2011, 4. Teil, § 18, S. 322 f. Vgl. Art. 5 Abs. 6 und Art. 6 Abs. 1 UCITSG. Vgl. Art. Abs. 8, Art. 6 Abs. 6 UCITSG i.V.m. Art. 12 UCITSV. Vgl. Art. 106 i.V.m. 109 PGR. Das UCITSG und seine Folgen deren ihr bekannten Sprache zulassen. Für Fondsdokumente in asiatischer Sprache fehlt der FMA meines Wissens bislang das nötige Personal. Dies schadet indes nicht, weil die Vertriebsunterlagen für den europaweiten Vertrieb bekanntlich in einer in der Finanzwelt gebräuchlichen Sprache zu erstellen sind (vgl. für Liechtenstein Art. 100 Abs. 2 Bst. b UCITSG). Dazu zählt die chinesische Sprache derzeit (noch) nicht. Möglich ist freilich die Liechtensteinische Zulassung und ein anschliessender Vertrieb in Asien (nach Massgabe des dortigen Rechts). c) Umgestaltung Neben der Flexibilität bei der Produktgestaltung muss ein zeitgemässes Gesetz einen Rechtsrahmen für die Anpassung von Fondsprodukten bieten. Kapitel VI der UCITS-RL 2009/65/EG enthält einen Regelungsrahmen für grenzüberschreitende Verschmelzungen innerhalb des EWR. Dieser Rechtsrahmen wird in Art. 38 ff. UCITSG umgesetzt, jedoch werden diese Vorschriften auf alle Umstrukturierungen unter Beteiligung von liechtensteinischen Fonds ausgedehnt. Rechtstechnisch erfolgt dies durch die entsprechende Anwendung auf alle Strukturmassnahmen in Art. 49 UCITSG.54 Den unbestimmten Rechtsbegriff der Strukturmassnahmen konkretisiert eine Liste von Regelbeispielen. So zählt zu den Strukturmassnahmen z.B. das Umhängen von Anteilsklassen oder Teilfonds, die Fondsspaltung oder die Verschmelzung von Nicht-UCITS auf UCITS-Fonds. Die Umgestaltung eines UCITS-Fonds in einen NichtUCITS-Fonds – künftig AIF – ist jedoch gemäss Art. 1 Abs. 5 der UCITS-RL 2009/65/EG unzulässig. Der klare Rechtsrahmen für jede Form von Umstrukturierung ist innerhalb des EWR ebenfalls ein Alleinstellungsmerkmal. 3. Finanzmarktaufsicht Der Spagat aus risikoorientierter Verwalteraufsicht bei reduzierter Produktregulierung spiegelt sich auch im Aufsichtsverfahren wieder. 54 Vgl. Hooghiemstra /Litwin, supra n. 35. 27 Dirk Zetzsche a) Verwalterregulierung und Enforcement Einerseits zeigt sich die Schwerpunktverschiebung in Richtung Verwalterregulierung in einer Stärkung der Finanzmarktaufsicht in Sachen Zulassung und Organisation des Verwalters. So hat die Verwaltungsgesellschaft ihre Organisation in einem Geschäftsplan darzulegen.55 Mangelt es an hinreichenden eigenen Ressourcen zur Erfüllung der gesetzlichen Pflichten, kann die FMA die Verwalterzulassung auf bestimmte Produkttypen und –gestaltungen beschränken56 oder die Zulassung versagen. Bei der Überwachung der Verwalterorganisation kooperieren die Wirtschaftsprüfer als indirekte Aufsicht57 eng mit der FMA.58 So hat der Wirtschaftsprüfer z.B. die Vorgaben zur Verwalterorganisation (s.o.) sowie die Auslagerungsbedingungen nach Art. 22 UCITSG im Rahmen der halbjährlichen Verwalterprüfung sicherzustellen.59 Dies kann auch Gegenstand der jährlichen unangemeldeten Prüfung60 sein. Die FMA kann weitere Prüfungsschwerpunkte über Prüfformulare oder FMA-Richtlinien festlegen.61 Auf Anfrage der FMA muss der Wirtschaftsprüfer zudem Angaben der Verwaltungsgesellschaft z.B. in deren Geschäftsplan bestätigen.62 b) Produktregulierung Im Gegenzug ist die Produktzulassung von Deregulierung und Beschleunigung geprägt. Neben den kurzen Zulassungs- und Notifikationsfristen (s.o.) bringt das UCITSG transparente Verfahrensvorgaben und Rechtssicherheit durch elektronische Produkt-Templates. Darin wird verbindlich festgelegt, welche Unterlagen für die Zulassung von UCITS einzureichen sind. Auch die übrigen Informationspflichten können durch Vorgabe elektronischer Formblätter standardisiert werden.63 55 56 57 58 59 60 61 62 63 28 Art. 15 Abs. 1 Bst. c UCITSG i.V.m. Art. 20 Abs. 3–5 UCITSV. Art. 14 Abs. 4 UCITSG. Vgl. dazu bereits Art. 97 ff. IUG. Sie müssen deshalb Kenntnisse in Bezug auf das UCITSG vorweisen, Art. 129 Abs. 4 UCITSG. Vgl. Art. 105 Abs. 2 UCITSV. Art. 105 Abs. 1 UCITSV. Art. 101, 102 und 105 UCITSV. Art. 129 Abs. 5 und 7 UCITSG. Art. 129 Abs. 6 UCITSG. Das UCITSG und seine Folgen Des Weiteren wird gesetzlich geregelt, dass die FMA eingereichte Prospekte – wie auch in anderen Staaten64 – in formeller Hinsicht auf Vollständigkeit, jedoch nicht in materieller Hinsicht auf Richtigkeit prüfen muss (Art. 131 Abs. 3 UCITSG). Um die Prospektprüfung zu erleichtern, ist entweder die Reihenfolge der Richtlinie einzuhalten oder eine Konkordanzliste zu erstellen (Art. 131 UCITSG). Die Regelung schneidet zugleich in Aufsichtsverfahren den Einwand ab, die FMA habe den Prospekt «genehmigt». Künftig sind die Konsequenzen von Prospektmängeln primär zivilrechtlicher Art und im Verhältnis zwischen Anleger und Intermediär zu regeln. Art. 24 Abs. 2 UCITSG schafft eine eindeutige Anspruchsgrundlage für die Prospekthaftung, Gerichtsstand ist das liechtensteinische Landgericht (Art. 24 Abs. 4 UCITSG). Selbstverständlich darf die FMA im Rahmen der Missstandsaufsicht (§ 129 Abs. 1 UCITSG) auch weiterhin eingreifen, wenn sie von Prospektmängeln Kenntnis erlangt. Art. 130 UCITSG führt zudem drei Service-Elemente ein. Erstens kann die FMA im Einklang mit EWR-Recht in geeigneten Fällen auf Antrag eine oder mehrere Zulassungen unter Auflagen erteilen. Die Zulassungswirkung tritt mit Erfüllung der Auflagen ein. Die Zulassung unter Auflagen soll z.B. bei Teilfonds eine Serienzulassung ermöglichen, indem jegliche Rechtsunsicherheit bereits am Anfang einer Serie durch Zulassung unter Auflagen ausgeräumt wird. Während die Zulassung unter Auflagen Tatsachen in den Blick nimmt, entfaltet auf rechtlicher Ebene das Instrument der verbindlichen Auskunft (Art. 130 Abs. 2 UCITSG) Wirkung. Soweit eine solche Auskunft beantragt, alle Tatsachen vollständig und zutreffend offengelegt und die Auskunft, die selbst gebührenpflichtig ist, erteilt wurden, ist die FMA an ihre schriftlichen Feststellungen auch zu einem späteren Zeitpunkt gebunden. Damit kann eine Ermessensausübung zu einem Zeitpunkt erreicht werden, zu dem noch keine erheblichen Investitionen z.B. in die Vermarktung geflossen sind. Drittens kann die FMA Musterdokumente für die Genehmigung konstituierender Dokumente genehmigen und veröffentlichen (Art. 130 Abs. 3 UCITSG). Wird dieses Dokument verwendet, gilt die Genehmigung der konstituierenden Dokumente als erteilt. Ratio ist, dass die FMA die notwendigen Risikoabwägungen nur einmal treffen muss. Kritische Bereiche sind bei UCITS als Pub64 Vgl. für Deutschland: § 128 Abs. 2 InvG und § 13 WpPG; für Österreich: § 139 Abs. 2 InvFG 2011; für Luxemburg Art. 54 Abs. 3 Loi du 17 Decembre 2010 concernant les organismes de placement collectif. 29 Dirk Zetzsche likumsprodukt insbesondere die Anlagegrenzen und die Gebührengestaltung. Die Musterdokumente ermöglichen für grosse Verwaltungsgesellschaften mit einer Vielzahl von Fonds Skaleneffekte, Planungssicherheit und kurze Zulassungsfristen. Die gleichen Vorteile können kleine Anbieter erzielen, wenn sie zusammen mit anderen Anbietern ein Musterdokument erstellen und verwenden. Der Liechtensteinische Finanzplatz hat bereits reagiert. Der Liechtensteinische Anlagefondsverband (LAFV) und Liechtensteinische Bankenverband (LBV) haben für die drei Rechtsformen unter dem UCITSG ein Satz Musterdokumente erstellt, der den Verbandsmitgliedern zur Verfügung steht. 4. Alternative Streitschlichtung Abschliessend mag auf einen alternativen Streitschlichtungsmechanismus hingewiesen werden. Alle Finanzmarktgesetze prägt ein Mangel an Rechtsprechung65 und damit ein wesentliches Element der Gesetzeskonkretisierung.66 Ursache ist die Abhängigkeit der Intermediäre von der kurzfristigen produktbezogenen Kooperation der Finanzmarktaufsichtsbehörden, weil gerichtlicher Rechtsschutz und damit Rechtssicherheit auf diesem Wege relativ kosten- und zeitintensiv sind. Konsequenz ist entweder ein Mangel an Rechtssicherheit, oder eine Aufsichtslastigkeit des gelebten gegenüber dem geschriebenen Recht. Mit anderen Worten: Die Rechtsmeinung der Aufsicht setzt sich in vielen, zumal kleinen Fragen langfristig durch. Das UCITSG begegnet diesem Umstand durch eine aussergerichtliche Streitschlichtung nach Art. 142 UCITSG i.V.m. Art. 125 UCITSV. In einem Ad-hoc-Verfahren, dass man sich als informelles Expertengespräch mit stark reduzierten Schriftsatzpflichten vorzustellen hat, soll die zugrundeliegende Rechtsfrage erörtert und eine Position des dreiköpfigen Schlichtungsgremiums bestimmt werden. Wird die Rechtsmeinung von beiden Seiten akzeptiert, wird die Rechtsposition in einem Schlichterbrief veröffentlicht. Es ist anzunehmen, das eine gut begründete Rechtsmeinung sowohl im behördeninternen Widerspruchs- und Beschwerde- 65 66 30 Vgl. Zetzsche, Prinzipien der kollektiven Vermögensanlage, Habil. Düsseldorf/ Deutschland 2011, Einleitung, S. 7 ff. Vgl. insbesondere K aplow, Rules versus Standards, (1992) 42 Duke L.J., S. 558 ff. mit seinem Bild vom Recht in drei Phasen, deren dritte die Lückenfüllung durch Gerichte ist; kritisch zu den Auswirkungen Schauer, Do Cases Make Bad Law?, (2006) 73 U. Chi. L. Rev., S. 883 ff.; Alexander, Constrained by precedent, (1989) 63 S. Cal. L. Rev., S. 1 ff. Das UCITSG und seine Folgen verfahren, als auch in späteren Gerichtsverfahren nicht ohne Einfluss bleiben wird. Zudem dürfte es im Kontext der Staatshaftung keinesfalls fahrlässig sein, wenn sich die FMA der Rechtsmeinung eines solchen Expertengremiums anschliesst. Dieser Mechanismus ist bislang noch nicht erprobt, könnte aber Modell für andere Rechtsordnungen sein. Er kann indes nur funktionieren, wenn die Schlichter – anders als herkömmliche Gerichte – auch ohne langfristige Recherche in der Spezialmaterie des Rechts der Investmentfonds kundig und sattelfest sind. In der Sache unkundige Würdenträger sind hier fehl am Platz. VI. Verhältnis zu Drittstaaten (insbesondere: die Schweiz) Das Verhältnis zu Drittstaaten ist in der UCITS-Richtlinie bislang rudimentär geregelt.67 Die Grenzen des nationalen Spielraums sind indes klar markiert: Nur Anteile eines EWR-Fonds dürfen europaweit mittels des EWR-Passes vertrieben werden.68 Nur innerhalb des EWR zugelassene Verwaltungsgesellschaften können derzeit den EWR-Pass für UCITS-Verwaltungsgesellschaften europaweit nutzen und grenzüberschreitend Fonds verwalten.69 Dies nötigt Schweizer Fondsleitungen und Anlagefonds, ihre Regierung auf den Abschluss von bilateralen Abkommen zu drängen, wie es zuletzt höchst elegant im Rahmen des revidierten Doppelbesteuerungsabkommens mit Deutschland vom August 2011 versucht wurde.70 Zu unterscheiden ist zwischen dem Weg für Asset Manager aus Drittstaaten (z.B. Schweiz) in den EWR-Raum (z.B. Liechtenstein) und dem Weg für EWRAnbieter (z.B. aus Liechtenstein) in den Binnenmarkt des Drittstaats (z.B. Schweiz) hinein. 67 68 69 70 Art. 9 Abs. 1 UCITS-RL 2009/65/EG verweist auf Art. 15 der MiFID-RL 2004/39/ EG. Der europäischen Kommission kann Gem. Art. 15 MiFID-RL Massnahmen treffen als UCITS-Fonds in Drittstaaten verweigert werden. Im Einklang mit der AIFMRL ist unter UCITS-V ein Drittstaatenregime zu erwarten. Vgl. Art. 91 ff. UCITS-RL, umgesetzt in Art. 97 ff. UCITSG. Vgl. Art. 6 i.V.m. 16 ff. UCITS-RL, umgesetzt in Art. 103 ff. UCITSG. Vgl. K ippenberg, IStR-Länderbericht, Heft 23/2011 (1. Dezember 2011). Das DBA bedarf noch der Ratifikation durch die gesetzgebenden Körperschaften. 31 Dirk Zetzsche 1. Zugang aus Drittstaaten zum EWR a) Unzulässige Gestaltungen Verschiedene unzulässige Gestaltungen werden kolportiert. So sollen in grossem Umfang von Schweizerischen Finanzkonzernen Verwaltungsgesellschaften in EWR-Staaten (z.B. Malta oder Zypern) gegründet werden, welche sodann wiederum Zweigniederlassungen in der Schweiz gründen. Ehrlich wird man sagen müssen, die Zweigniederlassung gründet die Verwaltungsgesellschaft. Aus rechtlicher Sicht wackelt der Schwanz mit dem Hund. Diese Gestaltung verstösst gegen das Hüllenverbot gem. Art. 13 Abs. 2 der UCITSRichtlinie (umgesetzt in Art. 22 Abs. 1 Bst. i UCITSG).71 Gegen eine echte Zweigniederlassung, die von einer Gesellschaft innerhalb des EWR gesteuert wird, ist dagegen nichts einzuwenden. Ebenfalls unzulässig sind Gestaltungen, bei denen sich eine EWR-Verwaltungsgesellschaft von einem Schweizer Asset Manager im Hinblick auf Anlageentscheidungen «beraten» lässt. Schon die Qualifikation als Beratung dürfte selten zutreffen; zumeist soll der Asset Manager die Anlageentscheidung treffen. Selbst wenn tatsächlich nur beraten wird, die Verwaltungsgesellschaft somit die Letztentscheidung über die Anlagen behält, ist die Anlageberatung eines Fonds aus zwei Gründen rechtlich unzulässig ist: Erstens weist jedenfalls der vertragliche und treuhandrechtliche strukturierte Fonds keine Rechtspersönlichkeit auf, die man beraten könnte, und zweitens ist die Anlageentscheidung nicht Aufgabe des Fonds, sondern der Verwaltungsgesellschaft. Aber auch Advisory-Lösungen im Hinblick auf die Verwaltungsgesellschaften sind kritisch zu bewerten. Einerseits muss die Verwaltungsgesellschaft den «Anlageberater» dann in alle ihre Risikomanagement-Verfahren, Prozesse zum Umgang mit Interessenkonflikten, Compliance- und ReportingSysteme72 einbeziehen, weil er Dienstleister und Auftragnehmer der Verwaltungsgesellschaft ist. Dies wird namentlich schwierig, wenn der «Anlageberater» zugleich der Fondsinitiator und Vertriebsträger und damit wirtschaftlich der Spiritus Rector des Fonds ist. Andererseits ist die Anlageberatung unter der Richtlinie 2004/39/EG – besser bekannt als MiFID – eine im Tätigkeitsstaat zulassungspflichtige Dienstleistung. Dann stellt sich die schwierige Frage 71 72 32 Erwägungsgrund 83 und Art. 20 Abs. 3 AIFM-RL. Vgl. Art. 13 Abs. 1 UCITS-RL (entspricht Art. 22 Abs. 1 UCITSG) sowie Art. 38–45 RL 2010/43/EU (umgesetzt in Art. 41 ff. UCITSV). Das UCITSG und seine Folgen nach dem Ort der Beratungstätigkeit.73 Hierfür wird man den im Kontext steuerlicher Zurechnung entwickelten74 Test vom effektiven Ort der Anlageentscheidung (effective place of management) fruchtbar machen können. Die Umsetzung der AIFM-RL in der Schweiz und die MiFID II-RL75 könnten jedoch neue Optionen öffnen. b) Zulässige Gestaltungen Rechtlich zulässig sind derzeit zwei Gestaltungen: Einerseits kann die nach dem Recht des Drittstaats zugelassene und prudentiell beaufsichtigte Verwaltungsgesellschaft/Fondsleitung Auftragnehmer einer EWR-Verwaltungsgesellschaft sein. So kann die Verwaltungsgesellschaft in Vaduz lokalisiert und von der FMA beaufsichtigt, der Asset Manager nach dem KAG zugelassen und von der FINMA beaufsichtigt werden. Zum anderen kann ein bislang in der Schweiz angesiedelter Asset Manager eine Zulassung nach der MiFID-Richtlinie (in Liechtenstein: dem VVG oder BankenG) beantragen und seine Anlageentscheidung und das Risikomanagement in den EWR hinein verlagern. Nicht zulassungspflichtige Tätigkeiten wie die Fondsbuchhaltung, das Reporting etc. können bei Beachtung der allgemeinen Delegationsregeln des Art. 13 der UCITS-RL (Art. 22 Abs. 1 Bst. a sowie 73 74 75 Dieser richtet sich nach der konkreten Gestaltung des Vertragsverhältnisses. Massgebliche Faktoren sind u.a., wo die Anlageempfehlung ausgesprochen und von der Verwaltungsgesellschaft empfangen wird. Vgl. Art. 4 Abs. 3 OECD Model Tax Convention and Commentary (2010); Siehe in diesem Bereich: Avery Jones, Place of Effective Management as a Residence TieBreaker, Bulletin for International Fiscal Documentation, Januar 2005; Avery Jones, 2008 OECD Model: Place of Effective Management – What one Can Learn from the History, Bulletin for International Taxation, Mai/Juni 2009. In Bezug auf die Umsetzung der UCITS-IV-Richtlinie wirft der effektive Ort der Anlageentscheidung (effective place of management) steuerliche Fragen insbesondere im Zusammenhang mit dem Europäischen Pass auf. Vgl. EFAMA/KPMG, Analysis of the Tax Implications of UCITS IV, 15 September 2010, S. 15 ff, online http://www.efama.org/index. php?option=com_docman&task=doc_details&Itemid=-99&gid=1304. Mit der vorgeschlagene MiFID-Verordnung wird ein harmonisierter Marktzugang für Drittlandfirmen und Marktbetreiber eröffnet (sog. europäisches Pass für Anbieter aus Drittstaaten). Vgl. Art. 41 und 44 Vorschlag für Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über Märkte für Finanzinstrumente und zur Änderung der Verordnung (EMIR) über OTC-Derivate, zentrale Gegenparteien und Transaktionsregister Europäische Kommission (KOM (2011) 652 endgültig)). 33 Dirk Zetzsche d bis i) nach EWR-Recht in dem Drittstaat weiterhin und zulassungsfrei ausgeübt werden. Eine solche Gestaltung bietet sich insbesondere an, wenn eine örtliche Nähe zwischen EWR- und Nicht-EWR-Staat besteht (Beispiel: Ostschweiz und Liechtenstein). Sie drängt sich auf, wenn die Zulassungsanforderungen nach dem Schweizer KAG von denen des EWR-Rechts in wesentlichen Punkten abweichen. Dies ist jedenfalls solange der Fall, wie die Tätigkeit eines Asset Managers für ausländische Kollektivanlagen mangels schweizerischer Spezialregelung für die individuelle Vermögensverwaltung76 dem KAG als Gesetz für die kollektive Vermögensverwaltung unterstellt und nur unter den strengen Bedingungen des Art. 13 Abs. 4 KAG bewilligt wird. c) Verbot von Briefkastengesellschaften Bei allen Gestaltungen ist das europäische Hüllenverbot zu beachten: Die EWR-Verwaltungsgesellschaft oder der EWR-Asset Manager müssen jedenfalls so viel Substrat aufweisen, dass sie die organisatorischen Anforderungen einer Verwaltungsgesellschaft respektive eines Vermögensverwalters/Asset Managers im Zulassungsstaat zweifelsfrei ausüben können.77 Kein Zulassungserfordernis ist, dass die Geschäftsleiter innerhalb des EWR wohnen. Die Vorschrift des Art. 180a PGR, wonach die Geschäftsleiter binnen 200 km Umkreis um Liechtenstein herum wohnen müssen, wurde für UCITS-Verwaltungsgesellschaften abgeschafft. An deren Stelle treten substantielle Anforderungen an die Qualifikation und Organisation der Verwaltungsgesellschaft.78 Insbesondere müssen die Kernfunktionen mit der Entscheidung über die strategische Ausrichtung der Verwaltungsgesellschaft/des Asset Managers, das Risikomanagement über die Gesamtorganisation und die Personalhoheit innerhalb des EWR-Zulassungsstaates ausgeübt werden. Ansonsten ist der Fi- 76 77 78 34 Nach dem Recht des EWR genügt für das Asset Management eines Fonds die Zulassung für die individuelle Vermögensverwaltung nach der MiFID-RL. Die MiFID-RL wurde in der Schweiz bislang bekanntlich nicht vollständig umgesetzt. Vgl. zur teilweisen Umsetzung der MiFID-Richtlinie Stephan Geiger, Umsetzung der MiFID in der Schweiz?, in: Jusletter 17. Januar 2011. Vgl. Art. 13 Abs. 2 UCITS-RL, umgesetzt in Art. 22 Abs. 2 Bst. i UCITSG.. Vgl. Art. 21 Abs. 3 UCITSV: «Die Geschäftsleiter müssen auch unter Berücksichtigung ihrer weiteren Verpflichtungen, ihres Wohnorts und der Infrastruktur sowie Organisation des Unternehmens in der Lage sein, ihre Aufgaben einwandfrei zu erfüllen.» Das UCITSG und seine Folgen nanzintermediär als Hülle zu qualifizieren und es liegt ein Verstoss gegen das Verbot von Briefkastengesellschaften vor. Das Vorgenannte ist zwingendes EWR-Recht. Sollten hier einige EWR-Staaten Nachsicht praktizieren, kann dies zu Repressalien anderer EWR-Staaten bis zum Entzug des EWR-Passes führen. Zudem können die verantwortlichen Geschäftsleiter von Initiatoren und Anlegern auf Schadensersatz in Anspruch genommen werden. Insofern ist Sorgfalt geboten. 2. Zugang aus Liechtenstein in die Schweiz Ebenfalls nicht komplikationslos ist der Zugang von EWR-Verwaltungsgesellschaften zum Schweizer Binnenmarkt. Jedoch werden, wie man hört, bislang die Zulassungen liechtensteinischer UCITS von der FINMA anerkannt.79 Entsprechend ist der Vertrieb von UCITS in der Schweiz uneingeschränkt zulässig. Das UCITSG räumt deshalb der liechtensteinischen Finanzmarktaufsicht die Befugnis zum Informationsaustausch mit der FINMA grds. in dem gleichen Umfang ein, wie gegenüber den Behörden von EWR-Mitgliedstaaten. Allein Informationen, die ihr durch die ESMA oder andere EWR-Aufsichtsbehörden übermittelt werden und von diesen vertraulich eingestuft werden, darf sie nicht austauschen. Zudem musste aus verfassungsrechtlichen Gründen der zwingende Charakter der Art. 133, 138, 139 UCITSG in eine «kann»-Bestimmung gewandelt werden. Jedoch reduziert sich das grds. eingeräumte Ermessen in der Frage des Informationsaustauschs wegen der engen Verflechtung beider Wirtschaftsräume regelmässig auf Null, wenn Anleger oder Intermediäre aus beiden Rechtsordnungen betroffen sind und ein Informationsaustausch zwischen Behörden von EWR-Mitgliedstaaten gerechtfertigt wäre. Die FMA und die FINMA können (und sollen) so eng als möglich kooperieren, um Anlagebetrüger aus anderen Nachbar- und Peripheriestaaten abzuschrecken. 79 Die FINMA arbeitet an einer neuen Wegleitung für die Behandlung von Gesuchen zum öffentlichen Vertrieb von UCITS-Fonds in der Schweiz, Bis dahin ist die bisherige Wegleitung für UCITS-IV Fonds sinngemäss anzuwenden. Siehe FINMA, Wegleitung für Gesuche betreffend die Genehmigung zum öffentlichen Vertrieb vom ausländischen kollektiven Kapitalanlagen in oder von der Schweiz aus, die der durch die beiden Richtlinien 2001/107/EG und 2001/108/EG geänderten Richtlinie 85/611/ EWG (UCITS III) entsprechen. 35 Dirk Zetzsche 3. Sonstige Fonds (AIF) und Ausblick auf die AIFM-RL Aus Sicht beider Staaten wäre indes ein gegenseitiger unbeschränkter Marktzugang für alle Fondsprodukte – also auch AIF – wünschenswert: Schweizer Vermögensverwalter könnten Dienstleister für die in Liechtenstein verwalteten Assets sein, Liechtensteinische Anbieter könnten ihre Dienste und Fondsprodukte in der Schweiz anbieten. Dieser Ansatz würde der engen Verzahnung beider Wirtschaftsgebiete und dem Geist des Schweizerisch-Liechtensteinischen Zoll-80 und Währungvertrags81 entsprechen.82 Dieser Geist bedarf jedoch einer Harmonisierung mit dem in jüngerer Zeit unterschiedlichen Weg der Schweizerischen Autonomie einerseits und der Liechtensteinischen EWRMitgliedschaft andererseits. a) Verpflichtung auf «swiss finish» durch öffentlich-rechtlichen Vertrag Die liechtensteinische Fondsgesetzgebung kann die grosse Frage der Schweizer Renitenz gegenüber dem EWR nicht adressieren. Beide Gesetze (UCITSG und AIFMG) sehen indes ein aufsichtsrechtliches Instrument vor, welches den 80 81 82 36 Vgl. Vertrag vom 29. März zwischen der Schweiz und Liechtenstein über den Anschluss des Fürstentums Liechtenstein an das schweizerische Zollgebiet (ZV), LGBl. 1923/24; Vereinbarung vom 2. November 1994 zwischen Liechtenstein und der Schweiz zum Vertrag vom 29. März 1923 über den Anschluss des Fürstentums Liechtenstein an das schweizerische Zollgebiet, LGBl. 1995/77. Mit dem Gesetz vom 26. Mai 1924 (LGbl. 1924/8) wurde der Schweizer Franken in einem einseitigen liechtensteinischen Akt zum neuen gesetzlichen Zahlungsmittel erklärt. Im Jahre 1980 erfolgte eine bilaterale Regelung im Rahmen des Währungsvertrages zwischen der Schweiz und Liechtenstein (LGBl. 1981/52). Mit dem Anschluss Liechtensteins an das Zoll- bzw. Währungsgebiet der Schweiz musste Liechtenstein in diesen Teilbereichen den diesbezüglichen schweizerischen Rechtsbestand in unveränderter Form i.S. einer vollständigen Rechtsvereinheitlichung direkt übernehmen. Demzufolge kann hinsichtlich dieser Verträge von einer Teilintegration Liechtenstein in das schweizerische Wirtschaftsgebiet gesprochen werden. Vgl. Batliner, Das liechtensteinische Bankwesen und seine Beziehungen zur Schweiz, in: Liechtenstein Wirtschaftsfragen, Heft 12. hg. Von der Verwaltungs- und Privat-Bank Aktiengesellschaft, Vaduz 1985. S. 7; In diesem Bereich, behauptet Batliner dass Liechtenstein «seinen wirtschaftlichen Aufschwung und seinen heutigen hohen Lebensstandard in hohem Masse der engen Verbundenheit mit der Schweiz verdankt. Batliner, Das liechtensteinische Bankwesen und seine Beziehungen zur Schweiz, in: Liechtenstein Wirtschaftsfragen, Heft 12. hg. von der Verwaltungs- und Privat-Bank Aktiengesellschaft, Vaduz 1985. S. 17. Das UCITSG und seine Folgen Marktzugang zu Drittstaaten und speziell der Schweiz erleichtern sollen. So können liechtensteinische Verwaltungsgesellschaften mit der liechtensteinischen Finanzmarktaufsicht einen öffentlich-rechtlichen Vertrag nach Art. 121 Abs. 2 UCITSG schliessen. Darin verpflichtet sich die Verwaltungsgesellschaft, bestimmte, mit dem EWR-Recht zu vereinbarende Zusatzanforderungen des Rechts eines Drittstaats – zum Beispiel die umfangreichere Kapitalausstattung nach Art. 28 Abs. 2 KAG i.V.m. 43 KKV – sicherzustellen. Die liechtensteinische Finanzmarktaufsicht ist kraft des öffentlich-rechtlichen Vertrags zur Beaufsichtigung und zum Informationsaustausch mit der FINMA berechtigt und verpflichtet. Bei Verstössen gelten die gleichen Sanktionen wie bei solchen gegen liechtensteinisches Recht. Das gleiche Instrument wird in das AIFMG übernommen werden. Dort könnte es Rechtsgrundlage für eine Zulassung liechtensteinischer AIF zum Schweizer Markt sein. b) Bilaterale völkerrechtliche Vereinbarung und Aufsichtskooperationsabkommen Neue Hindernisse zwischen der Schweiz und Liechtenstein errichten die Drittstaatenregelungen der AIFM-RL nach Art. 31–43 AIFM-RL. Dies schadet nicht nur Liechtenstein: Eine enge Beziehung zwischen beiden Staaten könnte den Nachteil der Schweiz wegen des verzögerten Zugang zum EWR nach der AIFM-RL83 reduzieren: Es ist ein kleiner Schritt aus einem deutschsprachigen Gebiet über den Oberrhein zurück in die (Ost-Schweiz, aber ein grosser Schritt von der Uelzecht, über das Mittelmeer oder den Atlantik zurück. Zudem arbeiten über 10’000 Schweizer in Liechtenstein84 und verdienen dort gutes Geld, welches sie in der Schweiz ausgeben. Dass in beiden Staaten die gleiche Sprache gesprochen wird und die liechtensteinische Elite stolz auf ihre Abschlüsse an den Universitäten Zürich und St. Gallen verweist, spricht ebenfalls 83 84 Danach wird ein europäischer Pass für Schweizerische Verwaltungsgesellschaften erstmals erst ab dem Jahr 2016 möglich sein. Bis dahin ist die Abwanderung der schweizerischen Vermögensverwalter zu befürchten. S. dazu auch den 63. und 69 Erwägungsgrund der AIFM-RL. Im Jahr 2010 gab es 17’570 Pendler nach Liechtenstein hinein, wovon 51,7 % aus der Schweiz kamen. Zudem wohnten 3’586 Schweizer in Liechtenstein. Vgl. Statistisches Jahrbuch 2010, Amt für Statistik, online: www.as.llv.li. 37 Dirk Zetzsche für die enge wirtschaftliche und kulturelle Verzahnung sowie den gegenseitigen Nutzen beider Wirtschaftsräume. Gerüchte, wonach bei luxemburgischen Töchtern von Schweizerischen Finanzkonzernen gelegentlich ein Auge zugedrückt werde, sind mit Blick auf die bekannte Akkuratess und Rechtstaatlichkeit schweizerischer Behörden haltlos. Doch sollte statt solcher Kontroversen der Dialog gesucht werden. Dafür liegt eine Lösung auf der Hand. Die Schweiz und Liechtenstein mit ihren Aufsichtsbehörden sollten den gegenseitigen Marktzugang in einem völkerrechtlichen Vertrag mit beigefügtem Aufsichtskooperationsabkommen vereinbaren. Dieses sollte nach dem Vorbild des Art. 42 AIFM-RL gestaltet sein, aber entsprechend Art. 43 AIFM-RL Geltung auch für Publikums-AIF beanspruchen. In einem solchen völkerrechtlichen Vertrag müsste sich die «grosse» Schweiz sicherlich nicht dem «kleinen» Liechtenstein beugen. Die FINMA könnte ihre Interessen – wie den gewünschten Umfang mit Schweizer Vermögensverwaltern – vertraglich fixieren. Im Gegenzug erhielten EWR-konforme Liechtensteinische Anbieter Marktzugang zur Schweiz. Dieses Vorgehen könnte umso weitsichtiger sein, weil eine Übertragung der Drittstaatenregelungen der AIFM-RL mit der anstehenden (weiteren) Reform der UCITSRichtlinie (sog. UCITS V) zu befürchten ist. VII. Fazit Die Umsetzung der UCITS IV-Richtlinie war in Liechtenstein – wie auch anderswo – ein Kraftakt, der mit vielen Veränderungen am Fondsplatz einherging. Einige Verwaltungsgesellschaften werden die Geschwindigkeit des Wandels nicht mitgehen können und sich für andere Geschäftsmodelle entscheiden, z.B. indem sie künftig nicht mehr als Verwaltungsgesellschaft, sondern nur noch als Fondsadministrator auftreten. In diesem Fall ist der Asset Manager gehalten, sich als selbstverwaltete Investmentgesellschaft nach Liechtenstein zu relocieren und muss dort den effective place of management für die verwalteten Fonds nachweisen. Doch ist dies die zwangsläufige Konsequenz der europäisch induzierten und von Liechtenstein mitgetragenen qualitativen Optimierung der kollektiven Vermögensverwaltung. Im Status post UCITSG (und AIFMG) gilt in Liechtenstein eine strenge, dem Prinzip der Risikoorientierung verpflichtete Verwalteraufsicht bei liberaler 38 Das UCITSG und seine Folgen Produktgestaltung und –zulassung. Das UCITSG eröffnet Chancen für ehrliche, gut organisierte, qualifizierte Finanzintermediäre und bietet einen europarechtskonformen, wettbewerbsfähigen Rechtsrahmen, bei dessen Gestaltung die Beziehungen zur Schweiz nicht aus den Augen verloren wurden. Sicherlich ist das eine oder andere Detail noch zu verbessern, zudem gilt es die Detailverliebtheit des EWR-Rechts praktisch zu verarbeiten. Zu beidem bietet sich die Gelegenheit mit dem zweiten Teil des Fondsplatzprojektes – dem AIFMG –, welches noch im Jahr 2012 im Liechtensteinischen Landtag verabschiedet werden soll. 39 Die Liechtensteinische Steuerpolitik Das neue liechtensteinische Steuerrecht und dessen Bedeutung für den Finanzplatz Liechtenstein Martin Wenz Inhaltsübersicht I. Reform der Steuerpolitik, des Steuerrechts sowie der Steuerkooperation in Liechtenstein II. Reform des nationalen und des internationalen Steuerrechts in Liechtenstein 1. FL Tax Roadmap 2007 2. Eckpunkte und Konzeption der liechtensteinischen Steuerreform – Das neue Steuergesetz: SteG III. Das bisherige Steuersystem im Überblick 1. Natürliche Personen: Vermögenssteuer mit ergänzender Erwerbssteuer 2. Verbandspersonen: Kapital- und Ertragssteuer – C ouponsteuer IV. Besteuerung natürlicher Personen: Vermögens- und Erwerbssteuer 1. Steuersystematische Grundlagen 2. Persönliche Steuerpflicht 3. Sachliche Steuerpflicht V. Besteuerung juristischer Personen: Ertragssteuer 1. Steuersystematische Grundlagen 2. Persönliche Steuerpflicht 3. Sachliche Steuerpflicht VI. Grundstücksgewinnsteuer VII. Besteuerung von Gesellschaften ohne Persönlichkeit (Personengesellschaften) VIII.Besteuerung von Stiftungen IX. Besteuerung von Trusts X. Besteuerung von Investmentfonds (UCITS/IUG/AIFMG) XI. Reform der internationalen Steuerkooperation in Liechtenstein XII. Bedeutung des neuen liechtensteinischen S teuerrechts für den Finanzplatz Liechtenstein 42 43 43 45 46 47 47 48 48 48 48 50 50 50 51 54 54 55 56 56 57 58 41 Martin Wenz I. Reform der Steuerpolitik, des Steuerrechts sowie der Steuerkooperation in Liechtenstein Das Fürstentum Liechtenstein hat in den letzten Jahren einen umfassenden Reformprozess insbesondere im Bereich der Steuerpolitik, des nationalen und des internationalen Steuerrechts sowie der internationalen Steuerkooperation vollzogen. So hat Liechtenstein bereits am 6. Februar 2007 die Grundgedanken und Leitlinien für eine grundlegende Reform des liechtensteinischen Steuerrechts in einer eigenständigen FL Tax Roadmap vorgelegt. Mit der Liechtenstein-Erklärung vom 12. März 2009 hat sich Liechtenstein zudem nicht nur zur Umsetzung des globalen OECD-Standards zur Transparenz und zum Informationsaustausch in Steuerangelegenheiten verpflichtet, sondern auch zum Schutz der legitimen Steueransprüche von anderen Staaten bereit erklärt. Durch die Anfang 2011 in Kraft getretene Totalrevision des liechtensteinischen Steuergesetzes (SteG) ist dieses nicht nur weitgehend entscheidungsneutral, sondern insbesondere auch international kompatibel und anerkannt sowie – entsprechend der Mitgliedschaft Liechtensteins im Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) – auch europarechtskonform ausgestaltet worden. So trägt das neue Steuergesetz va auch dem internationalen Gebot der Vermeidung von ring-fencing sowie dem europarechtlichen Verbot staatlicher Beihilfen uneingeschränkt Rechnung; letzteres wurde von der zuständigen EFTA Überwachungsbehörde (EFTA Surveillance Authority, ESA) in entsprechenden Entscheidungen ausdrücklich bestätigt. Liechtenstein erfüllt darüber hinaus die OECD-Standards zur internationalen Steuerkooperation betreffend den grenzüberschreitenden Informationsaustausch in Steuerangelegenheiten und wird seit dem 10. November 2009 auch als Jurisdiktion gelistet, welche den international anerkannten Steuerstandard umfassend implementiert hat (sog. weisse Liste). Es hat gemäss dem Länderbericht vom 12. September 2011 und dem Zusatzbericht vom 19. September 2012 des Global Forum on Transparency and Exchange of Information for Tax Purposes (GFTEI) die Phase 1 des 2009 in Mexiko vereinbarten umfassenden Peer Review Prozesses erfolgreich bestanden und damit die Voraussetzungen für die Durchführung von Phase 2 dieses Peer Review Prozesses im Jahr 2014 geschaffen. Seit der Verkündigung der Liechtenstein-Erklärung im Jahr 2009 hat Liechtenstein über 35 (!) Doppelbesteuerungs- und Steuerinformationsab- 42 Die Liechtensteinische Steuerpolitik kommen abgeschlossen, die den OECD Standard uneingeschränkt erfüllen und grösstenteils auch bereits in Kraft getreten sind und angewendet werden. Der nachfolgende Beitrag gibt einen grundlegenden Überblick über die in den letzten Jahren vollzogene Totalrevision des nationalen und internationalen Steuerrechts und über die ebenfalls in den letzten Jahren erfolgte grundlegende Neuausrichtung der internationalen Steuerkooperation des Fürstentums Liechtenstein. Daran anschliessend soll auf die grundlegende Bedeutung dieser Reformen für den Finanzplatz Liechtenstein eingegangen werden. Der Beitrag basiert auf einem am 04. November am Zentrum für liechtensteinisches Recht an der Universität Zürich gehaltenen Vortrag. II. Reform des nationalen und des internationalen Steuerrechts in Liechtenstein 1. FL Tax Roadmap 2007 Zielsetzung der Steuerreform: Der Revision des nationalen und des internationalen Steuerrechts des Fürstentums Liechtenstein, mithin des neuen liechtensteinischen Gesetzes vom 23. September 2010 über die Landes- und Gemeindesteuern (Steuergesetz; SteG) liegt das Ziel zugrunde, das bis Ende 2010 geltende Gesetz vom 30. Januar 1961 über die Landes- und Gemeindesteuern (Steuergesetz) entsprechend den modernsten Erkenntnissen der internationalen Steuerwissenschaften (Finanzwissenschaft, Betriebswirtschaftliche Steuerlehre und Steuerrecht) sowie den konkreten Erfahrungen mit nahezu unzähligen Steuerreformen in anderen Staaten innerhalb und ausserhalb Europas derart an die veränderten wirtschaftlichen sowie rechtlichen Rahmenbedingungen im In- und Ausland anzupassen, damit Liechtenstein auch zukünftig über ein national und international für natürliche und juristische Personen gleichermassen attraktives und wettbewerbsfähiges, möglichst entscheidungsneutrales sowie auch international kompatibles und europarechtskonformes Steuersystem verfügt. Ein Steuersystem, das den aktuellen und zukünftigen Ansprüchen und Bedürfnissen des 21. Jahrhunderts wirtschaftlich, rechtlich und gesellschaftlich umfassend Rechnung trägt und es Liechtenstein ermöglicht, sich auch weiterhin als international erfolgreicher Wirtschaftsstandort und Finanzplatz zu 43 Martin Wenz positionieren. Hierfür ist es erforderlich, dass sich der Steuerstandort Liechtenstein zwischen Steuerwettbewerb einerseits und Steuerkoordination und Steuerkooperation andererseits eindeutig durch ein marktorientiertes Gesamtsteuersystem und nicht (mehr) durch eine incentiveorientierte Steuerstrategie positioniert. Grundgedanken, Leitlinien und Leitbild der Steuerreform: Im Oktober 2006 beauftragte die Regierung des Fürstentums Liechtenstein eine Expertengruppe unter dem Vorsitz von Professor Dr. Martin Wenz mit der Entwicklung einer grundlegenden Revision des liechtensteinischen Steuerrechts. Die bereits im Januar 2007 von dieser Expertengruppe vorgelegte und im Februar 2007 von der Regierung des Fürstentums Liechtenstein genehmigte FL Tax Roadmap beinhaltet auf der Basis der Zielsetzung der Steuerreform die wesentlichen Grundgedanken und Leitlinien für eine Reform des liechtensteinischen Steuerrechts. Diese umfassen im Einzelnen insbesondere folgende Kriterien und Ziele sowie Rahmenbedingungen: Kriterien und Ziele •• Steuergerechtigkeit und Steuertradition •• Entscheidungsneutralität •• Einfachheit und Transparenz •• Wettbewerbs- und Leistungsfähigkeit sowie Attraktivität Rahmenbedingungen •• Verfassungsrechtliche Konformität •• Aufkommensneutralität •• Internationale Kompatibilität •• Europarechtliche Konformität. Konkret orientiert sich die Steuerreformkonzeption am Leitbild einer möglichst einfachen und transparenten sowie entscheidungsneutralen Besteuerung der Bürgerinnen und Bürger, bei der das auf Märkten und nicht über Transferleistungen erzielte Einkommen über ihren Lebenszyklus hinweg nur einmal belastet wird und natürliche und juristische Personen möglichst gleich behandelt werden. Möglichst entscheidungsneutrale Steuern erlauben es den Wirtschaftssubjekten, ihre Entscheidungen von steuerlichen Aspekten weitgehend unbeeinflusst zu treffen. Auf funktionierenden Märkten führt dies regelmässig 44 Die Liechtensteinische Steuerpolitik zu einer optimalen Allokation der Produktionsfaktoren und damit zu positiven Effekten für die wirtschaftliche Entwicklung einer Volkswirtschaft. Da die Entscheidungsneutralität zudem voraussetzt, dass gleiche Sachverhalte auch gleich besteuert werden, wird insoweit auch der Forderung nach einer gerechten Besteuerung entsprechend der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit grundlegend Rechnung getragen. 2. Eckpunkte und Konzeption der liechtensteinischen Steuerreform – Das neue Steuergesetz: SteG Auf der Grundlage der FL Tax Roadmap 2007 hat die Expertengruppe im April 2008 die Eckpunkte für eine Steuerreform und bis Sommer 2008 die gesamte Steuerreformkonzeption im Sinne einer ganzheitlichen liechtensteinischen Steuerstrategie für natürliche und juristische Personen erarbeitet. Diese wurden von der Regierung des Fürstentums Liechtenstein im April und im August 2008 verabschiedet. Auf dieser Grundlage hat die Regierung des Fürstentums Liechtenstein im Januar 2009 einen entsprechenden Vernehmlassungsbericht vorgelegt und der Öffentlichkeit vorgestellt. Nach zahlreichen Stellungnahmen und Eingaben von verschiedenen Verbänden, Personen und Unternehmen wurden im Jahr 2010 ein Bericht und Antrag sowie eine Stellungnahme der Regierung an den Landtag des Fürstentums Liechtenstein betreffend die Totalrevision des Gesetzes über die Landes- und Gemeindesteuern gerichtet. Der Landtag des Fürstentums Liechtenstein hat das neue Steuergesetz (SteG) am 23. September 2010 verabschiedet, das am 01. Januar 2011 in Kraft getreten ist. Insgesamt knüpft die Steuerreformkonzeption an das bestehende liechtensteinische Steuergesetz an, das vor allem entsprechend den Erkenntnissen der internationalen Steuerwissenschaften, den konkreten Erfahrungen mit zahlreichen Steuerreformen in anderen Staaten sowie den Grundgedanken und Leitlinien der internationalen Wettbewerbsfähigkeit und Attraktivität sowie der europarechtlichen, aber auch der verfassungsrechtlichen Konformität und der internationalen Kompatibilität, der Steuergerechtigkeit, der Steuertradition sowie der Entscheidungs- und Aufkommensneutralität konsequent fortentwickelt und ausgerichtet sowie in wesentlichen Teilen vollständig neu gestaltet wurde. Dadurch soll auf der Grundlage der bisherigen liechtensteinischen Steuertradition die Zukunftsfähigkeit und Attraktivität des Steuerstandortes 45 Martin Wenz Liechtenstein grundlegend und nachhaltig gesichert und darüber hinaus die Rechtssicherheit erhöht und das Steuergesetz vereinfacht werden. Während die Besteuerung natürlicher Personen seit 2011 insbesondere durch die klare Abgrenzung der persönlichen und sachlichen Steuerpflicht, die weitere Integration der Vermögens- und Erwerbssteuer und die vollkommen neugestaltete Steuertarifstruktur charakterisiert ist, wurde die Besteuerung juristischer Personen und vermögensverwaltender Strukturen und Investmentvehikel vollkommen neu gestaltet. Diese orientiert sich an der Entscheidungsneutralität der Besteuerung. Juristische Personen unterliegen als beschränkt oder unbeschränkt ertragssteuerpflichtige Steuersubjekte ausschliesslich der (Mindest-)Ertragssteuer mit einer flat rate in Höhe von 12,5 % unter Berücksichtigung eines Eigenkapital-Zinsabzuges in Höhe von aktuell 4 %. Im Ergebnis soll so ein in sich geschlossenes, marktorientiertes Gesamtsteuersystem zur erfolgreichen, international anerkannten Positionierung des Fürstentums Liechtenstein zwischen Steuerwettbewerb, Steuerkoordination und Steuerkooperation geschaffen werden, das nicht (mehr) auf einer incentiveorientierten, sondern auf einer allgemeingültigen, möglichst entscheidungsneutralen Gesamtsteuerstrategie basiert. III. Das bisherige Steuersystem im Überblick Das bis einschliesslich 2010 geltende Steuergesetz basiert im Wesentlichen auf dem Stand von 1961, seine Wurzeln reichen allerdings noch erheblich weiter, nämlich bis ins Jahr 1923 und dem Entwurf von Prof. Dr. Julius Landmann zurück, da die im Jahr 1961 beabsichtigte Totalrevision nach dem Entwurf von Prof. Dr. Willi Rigoleth damals nicht vollständig umgesetzt wurde. Das bislang geltende Steuersystem basierte auf einer allgemeinen Vermögenssteuer mit ergänzender Erwerbssteuer für natürliche Personen und einer Kapital- und Ertragssteuer für Verbandspersonen (juristische Personen). Bestimmte Verbandspersonen unterlagen davon abweichend den ermässigten, besonderen Gesellschaftssteuern. Daneben wurden eine Grundstücksgewinnsteuer auf Gewinne bei der Veräusserung von inländischen Grundstücken, eine Couponsteuer auf bestimmte Ausschüttungen und Zinszahlungen, eine Nachlasssteuer auf im Inland fällig gewordene Verlassenschaften sowie eine Erbanfalls- 46 Die Liechtensteinische Steuerpolitik oder Schenkungssteuer auf im Inland vollzogene Vermögenserwerbe von Todes wegen oder durch Schenkung erhoben. 1. Natürliche Personen: Vermögenssteuer mit ergänzender Erwerbssteuer Natürliche Personen unterlagen bislang mit ihrem gesamten inländischem beweglichen und unbeweglichen Vermögen der Vermögenssteuer, soweit die Freibeträge (CHF 70’000 für Alleinstehende und CHF 140’000 für Verheiratete) überschritten wurden. Der Erwerbssteuer unterlagen daneben sämtliche Einkünfte, soweit diese nicht aus einem mit Vermögenssteuer belasteten Vermögen erzielt wurden. Aus dem steuerpflichtigen Vermögen und dem steuerpflichtigen Erwerb wurden, jeweils auf Basis der gesetzlichen Steuereinheiten, multipliziert mit dem Steuersatz, entsprechende Steuerbetreffnisse gebildet, die anschliessend zu einem gemeinsamen Steuerbetreffnis addiert wurden. Je nach Höhe dieses gemeinsamen Steuerbetreffnisses wurde ein Progressionszuschlag angewendet, anschliessend konnte ein Verheirateten- oder Alleinerziehendenabzug geltend gemacht werden. Der somit gebildete Betrag bildete die Landessteuer, die um den Gemeindezuschlag erhöht wurde, um die Gesamtsteuer einer natürlichen Person zu ermitteln. 2. Verbandspersonen: Kapital- und Ertragssteuer – Couponsteuer Verbandspersonen unterlagen bisher einer Kapitalsteuer auf ihr Eigenkapital (einbezahltes Kapital zuzüglich der eigenes Vermögen darstellenden offenen und versteuerten stillen Reserven) mit einem Steuersatz in Höhe von 2 ‰. Auf den Reinertrag, der in Anlehnung an die handelsrechtliche Erfolgsrechnung ermittelt wurde, wurde zusätzlich eine Ertragssteuer erhoben. Der Steuersatz variierte zwischen 7,5 % und 20 % in Abhängigkeit sowohl der Ertrags- als auch der Ausschüttungsintensität. Ohne gesetzliche Regelung wurde durch die Verwaltungspraxis bei der Berechnung der Kapital- und der Ertragssteuer ein Beteiligungsabzug gewährt, um zu verhindern, dass Beteiligungen und ausgeschüttete Gewinne insbesondere einer Tochtergesellschaft steuerlich doppelt belastet werden. Bei Ausschüttungen fiel zudem regelmässig eine 4 %-ige Couponsteuer an. 47 Martin Wenz IV. Besteuerung natürlicher Personen: Vermögensund Erwerbssteuer 1. Steuersystematische Grundlagen Natürliche Personen unterliegen in Liechtenstein nach dem SteG auch weiterhin einer Vermögenssteuer mit ergänzender Erwerbssteuer. Die Vermögenssteuer wird in die Erwerbssteuer mittels eines standardisierten Vermögensertrags (Sollertrags) überführt (integriert). Der Sollertrag stellt dementsprechend eine eigene Erwerbsart dar. Er beträgt 4 % des steuerpflichtigen Vermögens für das Jahr 2012. Die Höhe des Sollertrags wird jährlich durch das Finanzgesetz bestimmt. Zur Vermeidung von Doppelbelastungen mit Vermögens- und Erwerbssteuer wird im betrieblichen Bereich zudem ein Eigenkapital-Zinsabzug als eine geschäftsmässig begründete Aufwendung gewährt. Der Eigenkapital-Zinsabzug stellt eine angemessene Verzinsung des modifizierten Eigenkapitals dar. Die Höhe der Verzinsung entspricht dem Sollertrag und beträgt für das Jahr 2012 somit ebenfalls 4 %. 2. Persönliche Steuerpflicht Natürliche Personen sind mit ihrem gesamten Vermögen und Erwerb in Liechtenstein unbeschränkt vermögens- und erwerbssteuerpflichtig, wenn sie einen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland begründen. Dagegen sind natürliche Personen ohne einen Wohnsitz und ohne einen gewöhnlichen Aufenthalt in Liechtenstein nur dann beschränkt vermögens- und erwerbssteuerpflichtig, sofern sie über inländisches Vermögen, wie Grundstücke und Betriebsstätten verfügen, oder inländischen Erwerb, wie z.B. aus einer im Inland ausgeübten selbständigen oder unselbständigen Tätigkeit, erzielen. 3. Sachliche Steuerpflicht Unbeschränkt vermögens- und erwerbssteuerpflichtige Personen sind in Liechtenstein mit ihrem gesamten Vermögen und ihrem gesamten Erwerb steuerpflichtig. Die sachliche Steuerpflicht umfasst das gesamte bewegliche 48 Die Liechtensteinische Steuerpolitik und unbewegliche Vermögen im In- und Ausland sowie alle in Geld oder Geldeswert bestehenden Einkünfte aus dem In- und Ausland. Von der liechtensteinischen Vermögenssteuerpflicht befreit sind ausländische Grundstücke und Betriebsstätten. Das im Ausland befindliche Vermögen sowie der daraus erzielte Sollertrag sind lediglich für die Tarifberechnung (Progressionsermittlung) relevant. Zum steuerbefreiten Erwerb zählen der Erwerb aus Land- und Forstwirtschaft im Ausland und aus ausländischen Betriebsstätten, Erbschaften, Vermächtnisse, Schenkungen, Bezüge aus Familienausgleichskassen, Kranken- und Unfallversicherungen, Grundstücksgewinne, Kapitalgewinne aus dem Privatvermögen, Dividenden und Kapitalgewinne aus Beteiligungen etc. Von der Erwerbssteuerpflicht ausgenommen sind zudem Erträge aus dem Vermögen (z.B. Dividenden, Zinsen, Mieterträge), auf welches der Steuerpflichtiger bereits die Vermögenssteuer entrichtet hat. Zur Ermittlung des steuerpflichtigen Vermögens werden Freibeträge sowie Schulden des Steuerpflichtigen in Abzug gebracht. Der Schuldenabzug wird nur anteilig im Verhältnis des in Liechtenstein steuerpflichtigen Vermögens zum Gesamtvermögen gewährt. Der steuerpflichtige Erwerb wird unter Berücksichtigung der Gewinnungskosten, Versicherungsbeiträge, Freibeträge für Renten und Pensionen, steuerfreien Beträge und übrigen persönlichen Abzüge ermittelt. Selbständig erwerbende können zudem Geschäftsverluste aus den Vorjahren und Verluste aus ausländischen Betriebsstätten vom Reingewinn der inländischen Betriebsstätte abziehen. Die noch nicht verrechneten Verluste sind zeitlich unbegrenzt vortragsfähig. Der Steuertarif der Vermögens- und Erwerbssteuer ist progressiv ausgestaltet und stellt einen 7-Stufen-Tarif dar: 1 %, 3 %, 4 %, 5 %, 6 %, 6,5 % und 7 %. Der Steuertarifverlauf unterscheidet zwischen Alleinerziehenden, gemeinsam zu veranlagenden Ehegatten und alle übrigen Steuerpflichtigen. Auf die Landessteuer erheben die Gemeinden einen Gemeindesteuerzuschlag, der zwischen 150 %–250 % betragen kann. Bei beschränkt steuerpflichtigen Personen erstreckt sich die sachliche Steuerpflicht lediglich auf inländisches Vermögen und inländischen Erwerb. Zum inländischen Vermögen gehören Grundstücke und Betriebsstätten in Liechtenstein. Der inländische Erwerb umfasst den Erwerb aus Land- und Forstwirtschaft in Liechtenstein, aus inländischen Betriebsstätten, aus im Inland ausge- 49 Martin Wenz übter unselbständiger Tätigkeit sowie Ersatzeinkünfte in Liechtenstein, aus Vergütungen an Verwaltungsrats- und Stiftungsratsmitglieder, aus Leistungen aus der AHV/IV, der betrieblichen Personalvorsorge oder einem Pensionsfonds, aus Leistungen aufgrund der Auflösung einer Freizügigkeitspolice oder eines Sperrkontos sowie aus dem Sollertrag des inländischen, steuerpflichtigen Vermögens. V. Besteuerung juristischer Personen: Ertragssteuer 1. Steuersystematische Grundlagen Juristische Personen (Körperschaften, Anstalten, Stiftungen, Investmentfonds, Treuunternehmen mit Persönlichkeit) unterliegen mit ihrem steuerpflichtigen Reinertrag der Ertragssteuer. Die Besteuerung erfolgt aufgrund des Trennungsprinzips nur auf Ebene der juristischen Person, sodass es zu einer Abschirmwirkung gegenüber den Gesellschaftern und Begünstigten kommt. Vertragsbeziehungen zwischen einer juristischen Person und ihren Gesellschaftern haben den Fremdvergleichsgrundsatz zu berücksichtigen (dealings at arm’s-length). Auf Ebene der Gesellschafter ist steuerlich zwischen natürlichen und juristischen Personen als Anteilseigner zu unterscheiden. Während natürliche Personen mit ihren Anteilen der Vermögensteuer unterliegen, fällt auf Ebene von juristischen Personen als Gesellschafter zur Vermeidung von Doppelbelastungen keine Ertragssteuer an: Beteiligungsprivileg. Im nationalen und internationalen Kontext wird in Liechtenstein im Falle einer Zahlung von Dividenden, Zinsen oder Lizenzen generell keine Quellensteuer einbehalten. 2. Persönliche Steuerpflicht Eine juristische Person mit Sitz oder Ort der tatsächlichen Verwaltung im Inland ist in Liechtenstein unbeschränkt ertragssteuerpflichtig. Im Rahmen der unbeschränkten Ertragssteuerpflicht sind die gesamten steuerpflichtigen Erträge aus dem In- und Ausland zu versteuern (Welteinkommensprinzip). Verfügt eine juristische Person dagegen weder über einen Sitz noch über einen Ort der tatsächlichen Verwaltung im Inland ist sie in Liechtenstein nur mit 50 Die Liechtensteinische Steuerpolitik ihren dort erzielten inländischen Erträgen beschränkt ertragssteuerpflichtig. In der Folge sind für beschränkt steuerpflichtige juristische Personen Abzüge nur insoweit möglich als sie mit inländischen Erträgen in einem wirtschaftlichen Zusammenhang stehen. 3. Sachliche Steuerpflicht Der steuerpflichtige Reinertrag als Differenz der gesamten Erträge gekürzt um die geschäftsmässig begründeten Aufwendungen unterliegt einem proportionalen Steuersatz in Höhe von 12,5 %. Von der Ertragssteuer befreit sind Erträge aus Land- und Forstwirtschaft im Ausland, ausländische Betriebsstättenergebnisse, Miet- und Pachterträge aus Grundstücken im Ausland, inländische Grundstücksgewinne (soweit sie der Grundstücksgewinnsteuer unterliegen), ausländische Grundstücksgewinne, in- und ausländische Dividenden, Kapitalgewinne und Liquidationsgewinne aus Beteiligungen im In- und Ausland, Erträge von Investmentfonds sowie Erträge von Pensionsfonds. Im Rahmen der Steuerberechnung ist neben der gezahlten ausländischen Steuer auch die Mindestertragssteuer in Höhe von CHF 1’200 anrechenbar. Die Mindestertragssteuer fällt nicht an, sofern die Bilanzsumme eines gewerblichen Betriebs die Höhe von CHF 500’000 nicht übersteigt (bezugnehmend auf die durchschnittliche Bilanzsumme der letzten drei Jahre). Die Gleichstellung von Eigen- und Fremdkapital ordentlich besteuerter juristischer Personen wird insbesondere mithilfe des Eigenkapital-Zinsabzugs sichergesellt. Demnach sind nicht nur (fremdvergleichskonforme) Aufwendungen für Fremdkapitalzinsen abziehbar, sondern es erfolgt zudem auch eine Zinsbereinigung durch die Abzugsmöglichkeit fiktiver Eigenkapitalzinsen. Dementsprechend gilt die angemessene Verzinsung des sog. modifizierten Eigenkapitals in Höhe des Sollertrags von 4 % als geschäftsmässig begründete Aufwendung. Die Bewertung des modifizierten Eigenkapitals erfolgt auf den Beginn des Geschäftsjahres unter Berücksichtigung verschiedener Modifikationen. Bei Vorliegen von Immaterialgüterrechten ermöglicht das optionale IP-BoxRegime eine 80 %-ige Steuerfreistellung der positiven Einkünften, indem diese als geschäftsmässig begründete Aufwendung zum Abzug gebracht wer- 51 Martin Wenz den können. Als Immaterialgüterrechte gelten Patente, Marken und Design (sofern in einem Register eingetragen) sowie Software und medizinische, technische und naturwissenschaftliche Datenbanken. Dabei wird jedes Immaterialgut einzeln betrachtet. Betreffend einer Verlustverrechnung (mit zeitlich unbegrenzter Vortragsmöglichkeit) besteht auf Ebene eines Stammhauses neben der Verrechnung von eigenen sowie von Betriebsstättenverlusten zudem auch die Möglichkeit, durch die Bildung einer Gruppe eine nationale wie auch grenzüberschreitende (jedoch lediglich temporäre) Verlustverrechnung vorzunehmen: In Bezug auf die Möglichkeiten der Verrechnung ausländischer Betriebsstättenverluste ist zu beachten, dass diese nicht schon im Ausland berücksichtigt wurden (keine doppelte Verlustnutzung möglich). Bei der Ermittlung dieser Verluste ist das liechtensteinische Steuerrecht heranzuziehen. Ferner sieht das neue Steuergesetz eine Nachversteuerung vor, sobald die ausländische Betriebsstätte wieder Gewinne erzielt. Zu einer Nachversteuerung der noch nicht ausgeglichenen Verluste kommt es zudem, wenn die unbeschränkte Steuerpflicht aufgegeben wird. Die Bildung einer Gruppe von verbundenen Unternehmen zum Ausgleich von Verlusten kann individuell erfolgen. Sofern die entsprechenden Voraussetzungen erfüllt sind, führt die Gruppenbesteuerung zu einer anteiligen Zurechnung von Verlusten eines Jahres. Es ist sowohl die Verlustzurechnung zum Gruppenträger als auch zu einem anderen Gruppenmitglied in Liechtenstein möglich. Zwar können Vorgruppenverluste nicht verrechnet werden, dennoch bleiben die individuellen Verlustvorträge der beteiligten Gesellschaften weiterhin bestehen. Im Ergebnis kommt es durch die Gruppenbesteuerung lediglich zu einem Steueraufschub und damit zu einem Steuerstundungseffekt, da umfassende Nachversteuerungsregelungen existieren. Diese kommen immer dann zur Anwendung, wenn zukünftig Gewinne generiert werden, Gesellschaften aus der Gruppe austreten, eine Beteiligungsabschreibung vorgenommen wird oder wenn die Beteiligungsquote reduziert wird. Umstrukturierungen sind sowohl national als auch grenzüberschreitend immer dann steuerneutral möglich, sofern die inländischen Besteuerungsrechte fortbestehen und die Buchwerte fortgeführt werden (Ergebnis: Steueraufschub). Neben der anteiligen Übertragung von Verlustvorträgen auf den übernehmenden Rechtsträger gilt ein Übernahmegewinn oder -verlust als steuerfrei. Zur Missbrauchsverhinderung kommt es jedoch zu einer Besteuerung des 52 Die Liechtensteinische Steuerpolitik Einbringungsgewinns, wenn die eingebrachten Werte den Verkehrswert unterschreiten und wenn die Beteiligung innerhalb von fünf Jahren veräussert wird. Ein Konfusionsgewinn hingegen ist immer steuerpflichtig und kann auf drei Jahre verteilt besteuert werden. Abschreibungen und Wertberichtigungen von Beteiligungen sind zulässig, sofern die entsprechenden Wertminderungen voraussichtlich dauerhaft oder bereits realisiert sind. Allerdings existiert eine Zuschreibungspflicht, wenn die Gründe für eine dauerhafte Wertminderung entfallen. Die Zuschreibung ist auf die Höhe der vorgenommenen Abschreibung oder Wertminderung begrenzt. Bis zur Höhe von nicht wieder aufgeholten Abschreibungen oder Wertberichtigungen ist die Steuerbefreiung von Kapitalgewinnen aus Beteiligungen nicht zu gewähren. Als Abschreibungsbasis werden die Anschaffungskosten oder die Abschreibungsbasis der nahestehenden Person herangezogen. Hinsichtlich möglicher Ersatzbeschaffungen besteht die Möglichkeit, beim Ausscheiden eines Vermögensgegenstands aus dem betrieblichen Anlagevermögen eine steuerneutrale Übertragung der stillen Reserven auf ein Ersatzobjekt vorzunehmen. Dabei muss das Ersatzobjekt ein Vermögensgegenstand des betriebsnotwendigen Anlagevermögens sein und damit unmittelbar dem Betrieb dienen. Für die Ersatzbeschaffung müssen wirtschaftliche, rechtliche, technische oder tatsächliche Gründe vorliegen. Ferner ist sicherzustellen, dass das inländische Besteuerungsrecht bestehen bleibt. Es besteht die Möglichkeit, eine Rücklage zu bilden, falls die Ersatzbeschaffung nicht im gleichen Geschäftsjahr erfolgt. Juristische Personen unterliegen auf Antrag als sog. Privatvermögensstruktur (PVS) dagegen nur der Mindestertragssteuer. Eine ordentliche Veranlagung ist somit nicht erforderlich. Die Errichtung einer durch die EFTA-Überwachungsbehörde (ESA) als europarechtskonform anerkannten PVS ist jedoch an die Voraussetzung gebunden, dass diese lediglich vermögensverwaltend und nicht wirtschaftlich tätig ist. Als zulässige Tätigkeiten gelten insbesondere das Erwerben, Halten, Verwalten und Veräussern von Finanzinstrumenten, Beteiligungen, liquiden Geldern und Bankkontoguthaben. Auch die passive Erzielung von Einnahmen durch die blosse Ausübung des Eigentums sowie die Umsetzung von konkreten Vorgaben des Investors ist möglich. Eine Übertragung von Aufgaben an unabhängige Dritte aber auch das Treffen eigener Entscheidungen über die Gewinnverwendung stehen einer PVS dagegen nicht entgegen. Demgegenüber ist es einer PVS nicht gestattet, zum einen die aktive 53 Martin Wenz Erzielung von Einnahmen durch die Nutzung der gehaltenen Vermögenswerte voranzutreiben, zum anderen darf eine PVS keine Güter oder Dienstleistungen auf einem Markt anbieten. VI. Grundstücksgewinnsteuer Gewinne aus der Veräusserung inländischer Grundstücke unterliegen in Liechtenstein sowohl bei natürlichen als auch bei juristischen Personen der Grundstücksgewinnsteuer. Die Bemessungsgrundlage für die Grundstücksgewinnsteuer bildet der steuerpflichtiger Grundstücksgewinn. Dieser ergibt sich aus der Differenz zwischen dem Veräusserungserlös (Kaufpreis inkl. aller weiteren Leistungen des Erwerbers) und den Anlagekosten (ursprünglicher Erwerbspreis inkl. wertvermehrender Aufwendungen) und der auf dem Grundstück erlittenen Verluste (Substanzverluste). Auf den steuerpflichtigen Grundstücksgewinn findet für natürliche und juristischen Personen der Erwerbssteuertarif für Alleinstehende Anwendung. Zudem wird ein einheitlicher Zuschlag anstelle des Gemeindezuschlages in Höhe von 200% erhoben. Inländische Grundstücksgewinne sind von der Erwerbs- und Ertragssteuer befreit. Verluste aus der Veräusserung inländischer Geschäftsgrundstücke sind bei der Erwerbs- und Ertragssteuer abzugsfähig. VII. Besteuerung von Gesellschaften ohne Persönlichkeit (Personengesellschaften) Gesellschaften ohne Persönlichkeit (Personenrechtliche Gemeinschaften, Personengesellschaften) werden steuerlich generell transparent behandelt werden. Dh, dass auf Ebene der personenrechtlichen Gemeinschaften keine Besteuerung stattfindet, diese vielmehr nur auf Ebene der Gesellschafter in deren jeweiligen Ansässigkeits- oder im Quellenstaat erfolgen kann im Wege der Zurechnung der steuerlich relevanten Tatbestände auf die Gesellschafter: Transparenzprinzip. Zu einer inländischen Besteuerung natürlicher oder juristischer Personen als Gesellschafter einer Personengesellschaft kommt es somit insbesondere nur dann, wenn eine personenrechtliche Gemeinschaft eine inländische Betriebsstätte unterhält, über inländisches Grundvermögen verfügt, die Anteile an der personenrechtlichen Gemeinschaft einer inländischen Be- 54 Die Liechtensteinische Steuerpolitik triebsstätte zuzuordnen sind und/oder die Gesellschafter steuerlich in Liechtenstein ansässig sind. VIII. Besteuerung von Stiftungen Sowohl widerrufliche als auch unwiderrufliche Stiftungen unterliegen als juristischen Personen grundsätzlich der ordentlichen Ertragsbesteuerung. Da bei widerruflichen Stiftungen das Stiftungsvermögen dem Stifter zugerechnet wird, werden auf Ebene der Stiftung insoweit keine Erträge erzielt. Es fällt lediglich die Mindestertragssteuer in Höhe von CHF 1’200 an. Unwiderrufliche Stiftungen entrichten die Ertragssteuer in Höhe von 12,5 % des steuerpflichtigen Reinertrags. Für ausschliesslich vermögensverwaltende Stiftungen besteht auf Antrag eine Option zur Besteuerung als Privatvermögensstruktur. Bei einer widerruflichen Stiftung wird das Stiftungsvermögen steuerlich weiterhin dem Stifter zugerechnet und von diesem versteuert. Bei einer unwiderruflichen Stiftung wird das Stiftungsvermögen steuerlich dagegen der Stiftung zugerechnet, weshalb sich der Stifter insoweit auch steuerlich vom gestifteten Vermögen trennt. Die Vermögenssteuerpflicht geht auf die Begünstigten mit wertmässig bestimmbaren Begünstigungen über. Sind die Begünstigungen allerdings nicht wertmässig bestimmbar oder die Begünstigten nicht vermögenssteuerpflichtig, kann Widmungssteuer ausgelöst werden. Die Widmungssteuer fällt an, wenn durch Übertragung von Vermögen auf eine nicht steuerbefreite unwiderrufliche Stiftung dieses Vermögen nicht mehr der liechtensteinischen Vermögenssteuer unterliegt. Die Widmungssteuer beträgt 2,5 % des vermögenssteuerlichen Wertes der Zuwendung zuzüglich des Gemeindesteuerzuschlages. Auf Antrag besteht die Möglichkeit der stellvertretenden Entrichtung der Vermögenssteuer durch die Stiftung anstelle des Stifters bzw. der Begünstigten zur Vermeidung der Widmungssteuer. Zuwendungen einer widerruflichen Stiftung gelten steuerlich als direkte Vermögensübertragungen vom Stifter auf die Begünstigten. Die Vermögenssteuerpflicht des Stifters für das ausgeschüttete Vermögen geht auf die Begünstigten über. Ausschüttungen aus unwiderruflichen Stiftungen an Begünstigte mit wertmässig bestimmbaren Begünstigungen lösen keine Besteuerungstatbestände aus, da die Begünstigtenrechte bereits von der Vermögenssteuerpflicht erfasst sind. Sind Begünstigungen nicht wertmässig bestimmbar, fällt bei in- 55 Martin Wenz ländischen Begünstigten auf Ausschüttungen aus unwiderruflichen Stiftungen die Erwerbssteuer an. Stiftungszuwendungen an ausländische Begünstigte begründen in Liechtenstein keine beschränkte Steuerpflicht, weshalb auch keine Quellensteuer erhoben wird. IX. Besteuerung von Trusts Trusts ohne Persönlichkeit sind keine juristische Personen. Sie können daher auch nicht der ordentlichen Ertragsbesteuerung in Liechtenstein unterliegen. Trusts mit Sitz oder Ort der tatsächlichen Verwaltung in Liechtenstein haben aus Wettbewerbsgründen dennoch die Mindestertragssteuer in Höhe von CHF 1’200 zu entrichten, sie werden allerdings nicht veranlagt. Trusts können darüber hinaus eine beschränkte Ertragssteuerpflicht begründen, sofern sie selbst über inländische Erträge verfügen. Die Mindestertragssteuer fällt insoweit im Rahmen der Veranlagung an und wird auf die Ertragssteuer angerechnet. X. Besteuerung von Investmentfonds (UCITS/IUG/ AIFMG) Sämtliche kollektive Kapitalanlagen mit vertraglicher oder körperschaftlicher Fondsstruktur werden in Übereinstimmung mit dem international anerkannten Grundsatz der steuerlichen Transparenz behandelt. Danach sind sowohl thesaurierende als auch ausschüttende Fonds selbst im Ergebnis nicht steuerpflichtig. Eine Besteuerung erfolgt vielmehr nur auf Ebene der Anteilsinhaber in deren jeweiligen Ansässigkeitsstaat. Auf Private Equity Gesellschaften in der Form einer Kommanditgesellschaft soll wie auf alle personenrechtlichen Gemeinschaften der Grundsatz der steuerlichen Transparenz Anwendung finden (so). Daraus folgt, dass es nur auf Ebene der Gesellschafter in deren jeweiligen Ansässigkeits- oder im Quellenstaat zu einer Besteuerung auf Basis einer Zurechnung der steuerlich relevanten Tatbestände zu den einzelnen Gesellschaftern kommen kann. Private Equity Gesellschaften in der Rechtsform einer juristischen Person unterliegen entweder der ordentlichen Ertragsbesteuerung oder werden auf 56 Die Liechtensteinische Steuerpolitik Antrag als Privatvermögensstrukturen besteuert, falls sie die Voraussetzungen hierzu erfüllen. XI. Reform der internationalen Steuerkooperation in Liechtenstein Im Anschluss an die Verkündigung der Liechtenstein-Erklärung im Jahr 2009 hat Liechtenstein über 35 (!) Doppelbesteuerungs- und Steuerinformationsabkommen abgeschlossen. Diese Abkommen erfüllen den OECD Standard uneingeschränkt und sind grösstenteils auch bereits in Kraft getreten und können angewendet werden. Doppelbesteuerungsabkommen •• Bahrain •• Deutschland •• Hong Kong •• Georgien •• Grossbritannien •• Luxemburg •• Österreich •• San Marino •• Schweiz •• Singapur •• Uruguay Steuerinformationsabkommen •• Andorra •• Antigua and Barbuda •• Australien •• Belgien •• China •• Dänemark 57 Martin Wenz •• Deutschland •• Färöer •• Frankreich •• Grossbritannien •• Grönland •• Irland •• Island •• Japan •• Mexiko •• Monaco •• Niederlande •• Norwegen •• Schweden •• St. Kitts and Nevis •• St. Vincent and the Grenadines •• Südafrika •• USA Das Fürstentum Liechtenstein hat ferner mit der EU und seinen Mitgliedstaaten am 7. Dezember 2004 ein Abkommen über die Besteuerung von Zinserträgen (Zinsbesteuerungsabkommen) und speziell mit Grossbritannien am 11. August 2009 ein Offenlegungsprogramm zur Legalisierung nicht deklarierter Kundengelder (Liechtenstein Disclosure Facility, LDF) vereinbart. XII. Bedeutung des neuen liechtensteinischen Steuerrechts für den Finanzplatz Liechtenstein Durch den umfassenden Reformprozess, den das Fürstentum Liechtenstein in den letzten Jahren insbesondere im Bereich der Steuerpolitik, des nationalen und des internationalen Steuerrechts sowie der internationalen Steuerkooperation vollzogen hat, wurden die zentralen Voraussetzungen dafür geschaffen, dass sich Liechtenstein auch zukünftig als international erfolgreicher Steuer- 58 Die Liechtensteinische Steuerpolitik standort zwischen dem zunehmenden Steuerwettbewerb einerseits und der umfassender werdenden Steuerkoordination und Steuerkooperation andererseits durch sein marktorientiertes Gesamtsteuersystem und nicht (mehr) durch eine incentiveorientierte Steuerstrategie sowie durch seine umfassende internationale Steuerkooperation positionieren kann. Natürliche Personen einerseits sowie juristische Personen und die verschiedenen liechtensteinischen und ausländischen Investmentvehikel andererseits unterliegen einem einheitlichen in sich geschlossenen Gesamtbesteuerungssystem. Dieses kommt sowohl internationalen und speziell europarechtlichen als auch ökonomischen Anforderungen und Erwartungen an ein modernes Steuersystem konsequent und wettbewerbsorientiert nach. Darüber hinaus können dadurch internationale Steuerplanungsstrategien für liechtensteinische Unternehmen, Vermögensstrukturen und -anlagen sowie deren in- und ausländische Investoren nachhaltig entwickelt und geschaffen wie auch potenziellen Änderungen z.B. der EU-Zinsbesteuerung umfassend Rechnung getragen werden kann. Damit hat das Fürstentum Liechtenstein in den letzten Jahren nicht nur einen umfassenden Reformprozess insbesondere im Bereich der Steuerpolitik, des nationalen und des internationalen Steuerrechts sowie der internationalen Steuerkooperation vollzogen. Vielmehr hat sich das Fürstentum Liechtenstein als Steuerstandort vollständig neu aufgestellt und verfügt heute sowohl über ein modernes, attraktives und wettbewerbsfähiges sowie va auch international anerkanntes und europarechtskonformes Steuersystem als auch über zahlreiche bilaterale Doppelbesteuerungs- und Steuerinformationsabkommen. Diese Entwicklung kann auch für diejenige des Finanzplatzes Liechtenstein nicht hoch genug eingestuft werden. 59 Schiedsstandort Liechtenstein Johannes Gasser1 Inhaltsübersicht A. Einführung B. Die wichtigsten Neuerungen des inländischen Schiedsverfahrens im Überblick 1. Grundsätze a) Vorbilder des neuen Gesetzes b) Attraktivität und Vorteile der neuen Rechtslage c) Inkrafttreten und Übergangsbestimmungen 2. Schiedsfähigkeit a) Was ist schiedsfähig? b) Wer ist schiedsfähig? (i)Verbandspersonen mit Mitgliedern (ii)Verbandspersonen ohne Mitglieder und Trusts 3. Form der Schiedsvereinbarung a) Schriftform b) Sind Stiftungen Konsumenten? 4. Zuständigkeitsstreit zwischen Schieds- und Staatlichen Gerichten a) Priorität der Schiedsverfahren b) Wenn Schiedsgerichte früher einschreiten c) Wenn staatliche Gerichte früher einschreiten d) Abweichungsverbot bei Parallelität von Schieds- und staatlichen Gerichtsverfahren e) Schiedsklauseln bedeuten keinen Rechtsschutzverzicht 5. Einstweilige Massnahmen a) Grundsätze b) Vollzug und zulässige Massnahmen c) Vorteile einer EV ordentlicher Gerichte d) Vorteile einer Massnahmenentscheidung von Schiedsgerichten, deren Vollzug von ordentlichen Gerichten verfügt wird 6. Weitere Neuerungen a) Aktorische Kaution? b) Schiedsspruch mit vereinbartem Wortlaut 7. Aufhebung des Schiedsspruchs a) Aufhebungsklage b) Aufhebungsgründe 1 62 65 65 65 66 68 68 68 73 73 75 76 76 76 79 79 79 80 80 81 81 81 82 83 83 84 84 87 87 87 88 Dieser Beitrag wurde erstveröffentlicht in: Die Privatstiftung. Nationales und internationales Stiftungsrecht (Ausgabe 3/2012). 61 Johannes Gasser c) Öffentlichkeit des Aufhebungsverfahrens? Liechtenstein Rules of Arbitration 1. Einführung 2. Die milestone der Liechtenstein Rules a) Vertraulichkeit b) Verfahren c) Kosten d) Schiedsrichterhaftung e) Kommissär D. Ausblick Schiedsordnung der Liechtensteinischen Industrie- und Handelskammer Rules of Arbitration of the Liechtenstein Chamber of Commerce and Industry C. A. 89 90 90 92 92 93 94 95 95 96 98 124 Einführung Liechtenstein verfügt über eine mustergültig funktionierende Justiz. Gerichtsverfahren werden von einer engagierten Richterschaft, die sich aus Liechtenstein, Österreich und der Schweiz rekrutiert, zügig vorangetrieben. Berufsrichter stellen die überwiegende Zahl der in der Rechtsprechung tätigen Richter. Obwohl in den höheren Instanzen auch Laienrichter vorgesehen sind, werden in den Senaten des Obersten Gerichtshofes (FL OGH) neben Berufsrichtern nahezu ausschliesslich rechtskundige und erfahrene Laienrichter tätig. Trotz dreier Instanzen (Landgericht, Obergericht und Oberster Gerichtshof) in Zivilund Strafsachen dauern Verfahren im Regelfall nicht viel länger als zwei Jahre. Die Mehrstufigkeit der Verfahren gewährleistet ein Maximum an Rechtssicherheit. Sogenannte Willkürbeschwerden, die beim Staats- als Verfassungsgerichtshof (StGH) eingebracht werden können, verlängern mit einer durchschnittlichen zusätzlichen Verfahrensdauer von einem Jahr den Gesamtprozess zwar nicht unwesentlich, stellen aber «als letzte Verteidigungslinie des Rechts»2 sicher, dass grobe Verfahrensfehlern oder stossend unrichtige Rechtsanwendung zur Verfahrensaufhebung führen. Dabei legt der StGH aber stets Wert auf die Aussage, dass er keine vierte Instanz darstelle.3 Rechtsschutz in idealtypischer Form wird dadurch nicht nur in der liechtensteinischen Verfassung garantiert, sondern ist erfreulicherweise Realität. 2 3 62 Siehe StGH 1995/28, LES 1998, 6 [11 Erw. 2.2] und zuletzt StGH 2007/88 (www.gerichtsentscheide.li). StGH 2008/82; StGH 2010/057 (www.gerichtsentscheide.li). Schiedsstandort Liechtenstein Trotzdem sind drei Instanzen sowie ein Weg zum StGH für viele Prozessparteien zu lange. Dort wird nur im Ausnahmefall die Öffentlichkeit ausgeschlossen. Internationale Sachverhalte resultieren in oft komplexer und langwieriger Beweisaufnahme. Und zudem war Liechtenstein bisher als Standort für die Austragung zivilgerichtlicher Auseinandersetzungen zwischen ausländischen Prozessparteien nicht immer attraktiv, weil die siegreiche Prozesspartei nur im Ausnahmefall (es bestehen nur Vollstreckungsübereinkommen mit Österreich und der Schweiz)4 ihren Prozesserfolg im Ausland durchzusetzen vermochte. Gerichtsprozesse in Liechtenstein waren und sind daher vor allem dann sinnvoll oder sogar unausweichlich, wenn die beklagte Partei ihren Sitz und/oder Vermögen im Inland (oder eben in Österreich oder der Schweiz) hat, in das vollstreckt werden kann. Das ist aber bei den tausenden Stiftungen, Anstalten, Trusts und anderen üblicherweise fiduziarisch errichteten und verwalteten Rechtsträgern liechtensteinischen Zuschnitts, die auch als Sitz- oder Holdinggesellschaften tituliert werden, nicht immer der Fall. Und dennoch hat Liechtenstein als Drehscheibe international dominierter Zivilprozesse in den vergangenen Jahren zunehmend an Bedeutung gewonnen.5 Nicht dass die Lösung für Liechtenstein darin zu finden wäre, sich einfach den zahlreichen internationalen Zuständigkeits-, Anerkennungs- oder Vollstreckungsabkommen für zivilgerichtliche Verfahren anzuschliessen. Nur zu schnell wären Liechtensteins Prozessparteien ausländischen Richtern «ausgeliefert», was dazu führen könnte, dass liechtensteinisches Recht (insbesondere Gesellschafts- und Stiftungsrecht) missverstanden wird oder z.B. liechtensteinische Stiftungen – wie die (zumindest vorläufigen) Prozessergebnisse von viel 4 5 Vgl. Abkommen zwischen Fürstentum Liechtenstein und der Republik Österreich über die Anerkennung und Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen, Schiedssprüchen, Vergleichen und öffentlichen Urkunden vom 5.7.1973, LGBl 1975/20; Abkommen zwischen Fürstentum Liechtenstein und der Schweizerischen Eidgenossenschaft über die Anerkennung und Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen und Schiedssprüchen vom 25.4.1968, LGBl 1970/14. Zu den möglichen Gründen dafür vgl. Batliner /Gasser, Sind Schiedsklauseln zulasten Dritter gemäss Art. 6 EMRK zulässig?, in Baudenbacher-FS. (2007) 706 ff.; im Folgenden: Batliner /Gasser in Baudenbacher-FS. 63 Johannes Gasser diskutierten Verfahren beim OLG Stuttgart6 und OLG Düsseldorf 7 sowie vor dem österreichischen Obersten Gerichtshof (OGH)8 unter Beweis gestellt haben – sogar pauschal als Werkzeug für Rechtsmissbrauch oder Gesetzesverletzungen verunglimpft werden.9 6 7 8 9 64 Urteil vom 29.6.2009, 5 U 40/09 (rk) in ZEV 2010, 265 (mit Anm. von Blum /Lennert), wonach die Ausstattung einer FL Stiftung mit Vermögenswerten durch einen wirtschaftlichen Stifter, der sich gegenüber der Stiftungsverwaltung (insbesondere betreffend Vermögensverwaltung) mit Mandatsvertrag umfassende Weisungsrechte sowie ein Widerrufsrecht vorbehält, nach deutschem Recht als Scheingeschäft zu beurteilen sei, deshalb die Zustiftung nicht wirksam erfolgte und sohin durch die Erben des wirtschaftlichen Stifters von den beklagten deutschen Begünstigten zurückgefordert werden könnte; vgl. dazu auch Lennert/Blum, Die weisungsgebundene Liechtensteinische Stiftung ein Vertrag zugunsten Dritter? Besprechung Urteil OLG Stuttgart vom 29. Juni 2009, in LJZ 2010. Teilurteil vom 30.4.2010, 22 U 126/06 in ZEV 2010, 528 (mit Anm. von Stucke und Wachter), wonach eine liechtensteinische Familienstiftung in Deutschland wegen Verstosses gegen den ordre public nicht anzuerkennen sei, wenn sie hauptsächlich der Steuerhinterziehung diene – was sachverhaltsmässig offensichtlich von den Gerichten freizügig unterstellt worden war; vgl. dazu auch Büch, Umgekehrter Durchgriff im Stiftungskontext bei Steuerhinterziehung – zugleich Anmerkung zum Urteil des OLG Düsseldorf vom 30.4.2010 in LJZ 2010, 101. Urteil des öOGH 26.5.2010, 3 Ob 1/10h, wonach Liechtenstein eine «Steueroase» und die liechtensteinische Stiftung ein «Briefkasten» für Bankkonten oder Wertpapierdepots (S. 18) sowie generell, u.a. wegen des Konkursprivilegs, der faktischen Beherrschung durch den Stifter, mangelnder gesetzlicher Unvereinbarkeitsbestimmungen oder der Anonymität der Stiftungserrichtung «missbrauchsanfällig» sei (S. 20). Deshalb seien auch in Anfechtungsverfahren an das Erfordernis der Bösgläubigkeit der Organe der Stiftung, die von einem Anfechtungsschuldner für die Stiftung Vermögenswerte in Empfang nähmen, keine zu hohen Anforderungen zu stellen; kommt es im Anfechtungsrecht ansonsten zumindest auf die für den Empfänger erkennbare Benachteiligungsabsicht des Schuldners an, genüge es bei der «missbrauchsanfälligen» liechtensteinischen Stiftung offenbar, dass der Stiftungsrat ein «ahnungsloses, als Werkzeug missbrauchtes» Opfer (S. 23) war; vgl. dazu auch Schauer, Das neue Stiftungsrecht in der Praxis – eine erste Zwischenbilanz unter besonderer Berücksichtigung der Rechtsprechung, Jahrbuch zum Liechtensteinischen Recht 2011/2012, 90 ff. Vgl. auch die Entscheidung des dt Bundesverfassungesgerichtes vom 9.11.2010, 2 BvR 2101/09, http://www.bverfg.de/entscheidungen/rk20101109_2bvr210109.html, wonach es unverständlicherweise in deutschen Verfahren kein Verwertungsverbot für Beweise gibt, die aus dem Ankauf von gestohlenen Bankdaten durch deutsche Behörden stammen, was aber in der Schweiz und in Liechtenstein sowohl wegen Verletzung des Bankgeheimnisses als auch wegen wirtschaftlichen Nachrichtendienstes (vgl. Art. 2 FL Staatsschutzgesetz und Art. 273 chStGB) gerichtlich strafbar ist. Schiedsstandort Liechtenstein Die Lösung hat Liechtenstein trefflich mit dem Beitritt zum New Yorker Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche vom 10.6.1958 (NYÜ)10gefunden, wodurch zumindest für schiedsgerichtliche Verfahren die insulare Stellung Liechtensteins aufgegeben und die Pforte zum internationalen Wettbewerb des «forum shopping» weit aufgestossen wurde: Streitparteien können neuerdings auch mit Wirkung in Liechtenstein zivilrechtliche Auseinandersetzungen schnell, diskret11 und verhältnismässig günstig vor einem «privaten» ad hoc Schiedsgericht austragen, das sie dafür zuvor relativ formlos zuständig gemacht haben, und dann erstrittene Schiedsurteile im In- oder Ausland – neuerdings problemlos – vollstrecken. Damit wird der Trend nachgezeichnet, der sich international längst und überaus dynamisch abgezeichnet hat: Die grossen Wirtschaftsstreitigkeiten finden nicht mehr vor staatlichen Gerichten, sondern vor privaten Schiedsgerichten statt.12 Der nachfolgende Beitrag soll die wichtigsten Neuerungen des liechtensteinischen Schiedsverfahrens aufzeigen. Dies bietet auch Gelegenheit, die neue Schiedsordnung der Liechtensteinischen Industrie- und Handelskammer (LIHK) vorzustellen, die auf eine Initiative von (schieds-) prozesserfahrenen liechtensteinischen Rechtsanwälten zurück geht, und die das neue Gesetz zur Verbesserung der Rechtsklarheit und Vermeidung von ungewollten Lücken oder Schwierigkeiten ergänzen soll. B. Die wichtigsten Neuerungen des inländischen Schiedsverfahrens im Überblick 1. Grundsätze a) Vorbilder des neuen Gesetzes Liechtenstein hat 2010 sein schiedsrichterliches Verfahren einer Totalrevision unterzogen.13 Dabei orientiert sich die Revision stark am Model Law on Inter10 11 12 13 LGBl 2011/325; das NYÜ ist in Liechtenstein seit dem 5.10.2011 in Kraft. Vgl. nur § 633 Abs. 3 und 4 ZPO. Schumacher, Das neue Schiedsverfahren, LJZ 2011, 105 (im Folgenden kurz: Schumacher, Schiedsverfahren). LGBl 2010/182, 183 und 184. 65 Johannes Gasser national Commercial Arbitration («UNCITRAL Modellgesetz»), das eine Vereinheitlichung des Schiedsrechts anstrebt, sowie an der österreichischen Rezeptionsvorlage.14 Letztere stammte ursprünglich aus dem Jahr 1895 und wurde 1912 in die liechtensteinische Zivilprozessordnung (ZPO) übernommen. Österreich hatte seinerseits 2006 sein Schiedsrecht einer grundlegenden Revision unterzogen, die den Anstoss für die gegenständliche Gesetzesänderung bildete. b) Attraktivität und Vorteile der neuen Rechtslage Der Gesetzgeber hat dabei ausdrücklich die Attraktivität des Schiedsstandortes Liechtenstein zum Leitmotiv und Ziel erklärt, die insbesondere in der Verknüpfung des modernen und international harmonisierten Schiedsrechts mit dem liberalen Gesellschaftsrecht Liechtensteins liege.15 Privatautonomie ist ein Grundpfeiler der liechtensteinischen Rechtsordnung. Schiedsgerichtsbarkeit wiederum ist privatautonome Justizgewährung.16 Die liberale Ausgestaltung des Privat- und Gesellschaftsrechts sowie die Betonung der Privatautonomie in der liechtensteinischen Rechtsordnung rechtfertigen nicht nur, sondern verlangen geradezu nach privatautonomer Justizgewährung. Nur folgerichtig wird man daher inskünftig Schiedsklauseln generell extensiv auslegen müssen, um dem Partei- oder Stifterwillen zum Durchbruch zu verhelfen. Die Rezeption aus Österreich hat neben vielem den Vorteil, dass österreichische Judikatur und Lehre bedenkenlos auch für die Rechtsanwender in Liechtenstein herangezogen werden kann17, was wiederum Rechtssicherheit und -kontinuität gewährleistet.18 14 15 16 17 18 66 Bericht und Antrag der Regierung an den Landtag des Fürstentums Liechtenstein betreffend die Totalrevision des schiedsrichterlichen Verfahrens vom 28.10.2008, Nr. 151/2008, 9 ff. (im Folgenden «BuA»); Stellungnahme der Regierung an den Landtag des Fürstentums Liechtenstein anlässlich der ersten Lesung betreffend die Totalrevision des schiedsrichterlichen Verfahrens aufgeworfenen Fragen vom 4.5.2010, Nr. 53/2010, 7 f. («Stellungnahme»). BuA 9; Stellungnahme 6. Hausmaninger in Fasching/Konecny2 (2007) IV/2 § 611 ZPO Rz. 3 (im Folgenden kurz: Hausmaninger). Vgl. zur Bedeutung österreichischer bzw Schweizer Rechtsprechung und Lehre in Liechtenstein nur FL OGH in LES 2005, 100. Vgl. dazu nur Peter Mayr, Das neue Schiedsverfahrensrecht in Liechtenstein – Teil 1, Jus & News 2010, 297 (299) (im Folgenden kurz: Mayr, Schiedsverfahrensrecht 1). Schiedsstandort Liechtenstein Über die Vorzüge schiedsrichterlicher Verfahren gegenüber solchen vor staatlichen Gerichten ist viel geschrieben worden. Schiedsverfahren tragen der Internationalisierung von Wirtschaftsdisputen besser Rechnung, sie sind prinzipiell flexibler, nicht-öffentlich, rasch und international sowohl anerkannt als auch vollstreckbar; Schiedsrichter, die von den Parteien mitbestimmt werden können, punkten mit ihrem Fachwissen, etc.19 Den Interessen der «Asset Protection» im «Estate Planning» – einem wichtigen Geschäftszweig der liechtensteinischen Treuhandpraxis seit jeher bis heute – wird bestens Rechnung getragen.20 Darüber hinaus müssen die Parteien eines Schiedsverfahrens nicht notwendigerweise fürchten, bei Bekanntwerden eines strafrechtlich relevanten Sachverhaltes würde das Schiedsgericht deswegen bei der Staatsanwaltschaft Anzeige erstatten; denn es besteht weder (in Ermangelung einer hoheitlichen Tätigkeit) eine Anzeigepflicht21 noch (aufgrund der generellen Verschwiegenheitsverpflichtung der Schiedsrichter)22 ein Anzeigerecht für Schiedsrichter. Dagegen sind Richter der staatlichen liechtensteinischen Gerichte diesbezüglich grundsätzlich anzeigepflichtig. Unbestreitbar liegt aber der grösste Vorteil im Kontext «Streitbeilegung in Liechtenstein» in der internationalen Anerkennungsfähigkeit schiedsrichterlicher Verfahren durch das NYÜ, das Liechtenstein am 7. Juli 2011 ratifiziert hat und das am 5.10.2011 in Kraft getreten ist. Damit ist Liechtenstein der 148. Mitgliedsstaat des NYÜ. Liechtenstein hat bei der Ratifizierung des NYÜ einen sogenannten Reziprozitätsvorbehalt erklärt, d.h. dass es das NYÜ nur auf die Anerkennung und Vollstreckung solcher Schiedssprüche anwenden wird, die in dem Hoheitsgebiet eines anderen Vertragsstaates ergangen sind; dies gilt also nur – aber immerhin – im Verhältnis zu den anderen 147 Vertragsstaaten, nicht aber gegenüber allen anderen (Nicht-Mitglieds-) Staaten. Dafür hat Liechtenstein (anders wie z.B. China, Indien oder die USA)23 keinen Handelssachenvorbehalt erklärt, sodass auch ausländische Schiedssprüche in 19 20 21 22 23 Schumacher, Schiedsverfahren 106 f.; Schwärzler, Schiedsgerichtsverfahren und Mediation als Alternativen zur öffentlichen Gerichtsbarkeit, liechtensteinjournal 2011, 112 (114); Batliner /Gasser in Baudenbacher-FS. 706 f. Czernich, Der Beitritt Liechtensteins zum New Yorker Schiedsübereinkommen, Jus & News 2012, 32 f. Vgl. § 53 StPO. Hausmaninger, § 587 Rz. 212. Vgl. Czernich, New Yorker Schiedsübereinkommen, Kurzkommentar (2008) 7; ders., Der Beitritt Liechtensteins zum New Yorker Schiedsübereinkommen, Jus & News 2012, 17 ff.; Schwab/Walter, Schiedsgerichtsbarkeit Kommentar7 (2005) 367. 67 Johannes Gasser Liechtenstein zu vollstrecken sind, die bloss zivil- und nicht auch handelsrechtlicher Natur sind. Umgekehrt ist daher genau zu prüfen, ob eine Schiedsklausel tatsächlich gewährleistet, dass der spätere Schiedsspruch im Ausland vollstreckt werden kann; das US-amerikanische Vollstreckungsgericht wird daher allein nach seinen innerstaatlichen Kriterien24 prüfen, ob ein in Liechtenstein ergangener Schiedsspruch handelsrechtlichen Inhaltes und damit überhaupt vollstreckungsfähig ist. c) Inkrafttreten und Übergangsbestimmungen Auf nach dem 1.11.2010 anhängig gemachte Schiedsverfahren ist das neue Schiedsverfahrensrecht anzuwenden. Nach den Übergangsbestimmungen des neuen Gesetzes richtet sich jedoch die Wirksamkeit von Schiedsvereinbarungen, die vor dem Inkrafttreten des Gesetzes geschlossen worden sind, nach den bis dahin geltenden Bestimmungen. Des FL Obergericht hatte jüngst die Gültigkeit einer Schiedsklausel in Stiftungsstatuten gegenüber Begünstigten (sog. «non-signatories») zu beurteilen und wendete darauf altes Recht an, weil die Statuten aus dem Jahr 2008 stammten.25 2. Schiedsfähigkeit a) Was ist schiedsfähig? Die objektive Schiedsfähigkeit wurde mit der Novelle klarstellend erweitert. Jeder vermögensrechtliche Anspruch, über den vor den ordentlichen Gerichten zu entscheiden ist, kann nun Gegenstand einer Schiedsvereinbarung sein (§ 599 Abs. 1 ZPO). Damit ist im Unterschied zur früheren Rechtslage Schiedsfähigkeit nicht mehr mit Vergleichsfähigkeit des Streitgegenstandes gleich gestellt. Wie in Österreich wird man auch in Liechtenstein dem Begriff «vermögensrechtliche Streitigkeit» ein weites Verständnis zugrunde legen dürfen.26 Darüber hinaus sind auch nicht vermögensrechtliche Ansprüche schiedsfähig, sofern die Parteien über den Gegenstand des Streits einen Ver24 25 26 68 Czernich, aaO 7; Schwab/Walter, aaO 367. FL Obergericht 16.05.2012, 05 HG.2011.172, tw wiedergegeben in LJZ 2012, 67. Schumacher, Schiedsverfahren 107; R echberger /Melis in R echberger, ZPO Kommentar3 (2006) § 582 Rz. 2 (im Folgenden kurz R echberger /Melis); Hausmaninger, § 582 ZPO Rz. 17 ff.; Gstöhl, Die Schiedsvereinbarung im liechtensteinischen Recht Schiedsstandort Liechtenstein gleich abzuschliessen imstande sind; dies entspricht im Wesentlichen der Rechtslage in der Schweiz und in Deutschland.27 Ausdrücklich ausgenommen wurden u.a. familienrechtliche (§ 599 Abs. 2 ZPO) und bestimmte gesellschaftsrechtliche Streitigkeiten. § 599 Abs. 3 ZPO lautet: «Die Zuständigkeit des Landgerichtes für Verfahren, die von Amts wegen aufgrund zwingender gesetzlicher Vorschriften oder auf Antrag des Grundbuch- oder Öffentlichkeitsregisteramtes oder der Staatsanwaltschaft eingeleitet werden, kann durch eine Schiedsklausel in Statuten oder gleichwertigen Dokumenten einer Verbandsperson oder Treuhänderschaft nicht abbedungen werden». In den Gesetzesmaterialen wird dazu ausgeführt, dass (nur) «von Amts wegen oder von Behörden eingeleitete Verfahren, die auf zwingendem Aufsichtsrecht beruhen», nicht mit Schiedsklauseln einem Schiedsgericht vorbehalten werden können.28 Es erscheine richtig und sinnvoll, die Abberufung von Organen, die Anfechtung von Beschlüssen sowie die Bestellung von ausserordentlichen Revisoren grundsätzlich als schiedsfähig anzusehen, da solche Streitigkeiten ohnehin unter Art. 114 Abs. 2 Personen- und Gesellschaftsrecht (PGR) fielen. Dies gelte sowohl für Stiftungen als auch (kraft Art. 931 PGR) für Treuhänderschaften.29 Und darüberhinaus wird in der Stellungnahme betont, dass «bei Auseinandersetzungen zwischen der Stiftung oder Stiftungsorganen und privaten Begünstigten ... die Stiftungsaufsichtsbehörde ihr Einschreitungsermessen grundsätzlich zurückhaltend zu handhaben wissen (wird), um nicht Umgehungen der statutarisch vorgesehenen und vom Stifterwillen getragenen Schiedsklauseln zuzulassen.»30 Aus der Wortlautinterpretation als auch nach historischer Auslegung des § 599 Abs. 3 ZPO ist daher die Schlussfolgerung naheliegend, ja geradezu zwingend, dass sämtliche gesellschaftsrechtlichen einschliesslich stiftungsaufsichtsrechtlichen Belange durch Schiedsvereinbarungen Schiedsgerichten exklusiv vorbehalten werden können, es sei denn, die Verfahren würden von gewissen Behörden (in Betracht kommen nur die Gerichte selbst, die von Amts wegen tätig werden, die Stiftungsaufsichtsbehörde oder die Staatsanwaltschaft) initiiert. Dann, so die Regierung in ihrer Stellungnahme, könnten Stiftungsauf- 27 28 29 30 unter besonderer Berücksichtigung der Schiedsklausel in Stiftungsdokumenten (2011) 53 ff. (im Folgenden kurz Gstöhl, Schiedsvereinbarung). Mayr, Schiedsverfahrensrecht 1, 301; Hausmaninger, § 582 Rz. 29. Stellungnahme 13 aE. Stellungnahme 13. Stellungnahme 14. 69 Johannes Gasser sichtsverfahren «ohne Rücksicht auf etwaige Schiedsklauseln ‚normal’ durchgeführt werden».31 Dass die Abberufung von Organen von liechtensteinischen Rechtsträgern – was in der Gerichtspraxis eine besonders wichtige Rolle spielt – einer stiftungsexternen Person überlassen, also auch einem Schiedsgericht zugewiesen werden kann, wurde vom FL OGH bereits früher klargestellt.32 Überraschenderweise hat der FL OGH aber erst jüngst festgestellt, dass Schiedsklauseln in Stiftungsstatuten nie verhindern, dass Begünstigte solcher Stiftungen (auch) die gerichtliche Aufsicht im Ausserstreitverfahren anrufen könnten.33 Die Begründung: Ein Verfahren vor dem Ausserstreit- bzw. Stiftungsaufsichtsrichter, mit dem ein Begünstigter (in casu: Sachwalterin des geschäftsunfähigen Begünstigten) die Stiftungsräte wegen angeblicher Pflichtverstösse abzusetzen beantragt, hätte keinen vermögensrechtlichen Anspruch zum Inhalt, und es könne über ein Abberufungsverfahren gemäss Art. 552 §§ 35 iVm 29 PGR auch kein Vergleich (§ 599 Abs. 1 ZPO) abgeschlossen werden. Eine Schiedsklausel sei auch bei einer privatnützigen Stiftung mit dem gesetzlichen Kontroll- und Funktionsschutzssystem durch das Gericht im öffentlichen Interesse unvereinbar. Über Verlangen eines Stiftungsbeteiligten müsse das Abberufungsverfahren daher vor einem staatlichen Gericht geführt werden, was sowohl nach alter als auch nach Schweizer Rechtslage gleich gelagert sei. Die Begründung überzeugt nicht, beachtet man den Wortlaut von § 599 ZPO sowie die klaren Intentionen des Gesetzgebers, der meines Erachtens klar differenzieren wollte:34 Bei gemeinnützigen Stiftungen sowie in krassen Fällen, in denen Pflichtverstösse und Interessenkollisionen von Stiftungsorganen von privatnützigen Stiftungen eine Abberufung nahelegen, wird ohnehin stets ein Einschreiten des Landgerichtes von Amts wegen, der Staatsanwaltschaft oder der Stiftungsaufsichtsbehörde gegeben sein. In allen anderen Fällen, wo eben Stiftungsbeteiligte inklusive Begünstigte – nicht selten mit Scheinbegründungen oder aus anderen Motiven als der Geltendmachung von Pflichtverstössen – Abberufungsanträge stellen, bedarf es keines öffentlichen «Kon31 32 33 34 70 Stellungnahme 14. FL OGH 02.04.2009, 10.HG.2008.18. FL OGH 07.10.2011, 5 HG.2011.28 in LES 2011, 187; der Verfasser war am Verfahren als Prozessvertreter beteiligt. So im Ergebnis auch R eithner /Blasy, Aufsichtsverfahren, Schiedsfähigkeit, § 599 ZPO und der Entscheid des OGH 05.HG.2011.29 (LJZ 2011, 187), LJZ 2/2012; in diese Richtung wohl auch Gstöhl, Schiedsvereinbarung 90 f. Schiedsstandort Liechtenstein troll- und Funktionsschutzes». Schiedsgerichte können diese Funktion ohne weiteres erfüllen. Der Staatsgerichtshof hatte nichts an der OGH Entscheidung auszusetzen.35 Er führte aus, dass es heute anerkanntermassen keine gültige Hierarchie der Auslegungsmethoden mehr gäbe. Zwar stelle die Wortauslegung zwangsläufig den Ausgangspunkt der Auslegungstätigkeit dar, sie habe aber gegenüber der Auslegung nach der systematischen Stellung der Norm, der historischen und schliesslich nach der teleologischen Bedeutung der Norm (allenfalls ergänzt durch die rechtsvergleichende und verfassungskonforme Auslegung) keinen Vorrang. Es seien im Sinne eines «Methodenpluralismus» alle für den jeweiligen Einzelfall relevanten Auslegungsmethoden zu berücksichtigen und deren einander allenfalls widersprechende Ergebnisse im Rahmen einer umsichtigen Güterabwägung zu gewichten. Entsprechend sei eine Auslegung entgegen dem Wortlaut nicht ausgeschlossen und könne ohne Weiterem im Einklang mit dem Willkürverbot sein. Im fraglichen Beschwerdefall, so der StGH weiter, könne man entgegen dem Beschwerdevorbringen auch keinen klaren Wille des Gesetzgebers im Sinne einer (subjektiv-) historischen Auslegung zugunsten der von den Beschwerdeführern vertretenen Rechtsauffassung ermitteln. Die Gesetzesmaterialen sprächen eher für eine Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte zur aufsichtsrechtlichen Abberufung von Stiftungsorganen. Hierfür spreche im Weiteren, dass es auch keinen Sinn mache, die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte zur aufsichtsrechtlichen Abberufung von Stiftungsorganen nur dann zu bejahen, wenn diese ihre Aufsichtsfunktion von Amts wegen wahrnehmen, nicht aber auch auf Antrag eines Verfahrensbeteiligten. Wenn man sich nämlich strikt an den Wortlaut von Art. 599 Abs. 3 ZPO halten würde, so hätten die ordentlichen Gerichte zwar einen entsprechenden Antrag mangels Zuständigkeit zurückzuweisen; allerdings könnten sie den Antrag gleichzeitig als Anzeige behandeln und von Amts wegen die beantragte Abberufung vornehmen. Dem Gesetzgeber könne nicht unterstellt werden, dass er einen solchen formalistischen Leerlauf wollte. Zuletzt verwies der Staatsgerichtshof darauf, dass eine andere Gesetzesauslegung die Änderung der publizierten Gerichtspraxis (LES 2010, 311) bedingen würde, was nach der Rechtsprechung des StGH nur dann mit dem Gleichheitssatz vereinbar sein, wenn die bisherige Praxis weniger überzeuge, als die neue, und anderenfalls das Interesse an einer konstanten Rechtsprechung überwiege. 35 26.03.2012, StGH 2011/181. 71 Johannes Gasser Die Entscheidungen des OGH und StGH zur Frage der objektiven Schiedsfähigkeit im Stiftungsrecht lassen die grundsätzliche Tendenz unserer Höchstgerichte erkennen, sich die Beschneidung der Kompetenzen öffentlicher Aufsicht im Stiftungswesen und damit der justiziellen Gewalten durch Schiedsverfahren verbitten zu wollen. Die Erläuterungen der Regierung zum neuen Schiedsverfahrensrecht heben aber als schiedsfähig immerhin neben der Abberufung von Organen zutreffenderweise auch die Anfechtung von Beschlüssen und die Bestellung von ausserordentlichen Revisoren hervor.36 Ob nach der neuen, restriktiven Rechtsprechung auch solche Verfahren tatsächlich schiedsfähig sind, bleibt also abzuwarten. Umso überraschender fielen deshalb zwei jüngere Entscheidungen des FL Obergerichtes aus. Im einen Verfahren ging es um die (bejahte) Schiedsfähigkeit von Ansprüchen einer Stiftung gegen ihre (vormaligen) Organe aus Verantwortlichkeit,37 im anderen Verfahren um Informationsbegehren von Begünstigten gegenüber der Stiftung im Ausserstreit- und Aufsichtsverfahren, die ebenfalls als schiedsfähig eingestuft wurden.38 Im zweiten Fall hatte die Rekurswerberin erfolglos darauf hingewiesen, dass auch und gerade Informationsbegehren Massnahmen der richterlichen Stiftungsaufsicht und der vorsorglichen Missbrauchsabwehr seien, weshalb sie nach der neuen OGH Judikatur nicht als schiedsfähig gelten dürften. Für das Obergericht unterlag es «keinem Zweifel, dass die Rechte des Begünstigten auf Einsichtnahme, Auskunftserteilung, Berichterstattung und Rechnungslegung nach § 9 Abs. und 2 StiftG vergleichsfähig sind, dass also die Parteien über diesen Gegenstand einen Vergleich abschliessen können». Das öffentliche Interesse, das bei Abberufungsverfahren gegen Stiftungsräte überwiege, liege bei Auskunfts-, Informations- und Einsichtsbegehren nicht vor. Es mag durchaus sein, so das OG weiter, dass die Ausübung dieser Rechte durch einen Begünstigten dann in weiterer Folge zu stiftungsaufsichtsrechtlichen Massnahmen führte, wenn einerseits Missstände festgestellt würden, die andererseits tatsächlich ein Aufsichtsverfahren im weitesten Sinne begründen könnten und die betroffenen Begünstigten dies auch einleiteten. Der Schluss der Rekurswerberin, dass das Kontroll- und Funktionsschutzsystem von Art. 552 § 35 36 37 38 72 Schumacher, Schiedsverfahren 108. FL Obergericht 16.02.2012, 1 CG.2011.190 in LES 2012, 122. FL Obergericht 16.05.2012, 05 HG.2011.172, tw wiedergegeben in LJZ 2012, 67; der Verfasser war am Verfahren als Prozessvertreter beteiligt. Schiedsstandort Liechtenstein PGR und auch die in Art. 552 § 9 Abs. 2 PGR festgehaltenen Informations- und Auskunftsrechte umfasse, sei aber nicht zulässig. Gegen die Entscheidung des Obergerichtes wurde beim StGH eine Individualbeschwerde eingebracht. b) Wer ist schiedsfähig? (i) Verbandspersonen mit Mitgliedern Gemäss Art. 114 Abs. 2 PGR gilt der Gerichtsstand von Verbandspersonen «für Streitigkeiten zwischen einer Verbandsperson und ihren Mitgliedern aus der Mitgliedschaft, sowie für Ansprüche der Gläubiger aus der Verantwortlichkeit oder wegen Auflösung oder dergleichen» am Ort des Sitzes der Verbandsperson, «selbst wenn die Statuten im übrigen ein Schiedsgericht vorsehen.» Dennoch hält das liechtensteinische Höchstgericht solche Streitigkeiten für schiedsfähig.39 Dieser Ansicht ist zu folgen.40 Nach Schumacher41 ist Art. 114 Abs. 2 PGR dahin auszulegen, dass – wenn die Statuten der Verbandsperson generell oder die Parteien des Rechtsstreits speziell ein Schiedsgericht vorsehen – eben dieses Schiedsgericht zwingend seinen Sitz «am Ort des Sitzes der Verbandsperson» haben muss. Fraglich ist, ob Art. 114 PGR nicht überhaupt durch die neue Bestimmung in § 612 ZPO materiell-rechtlich derogiert wird; demnach können die Parteien den Sitz des Schiedsgerichtes frei vereinbaren oder die Bestimmung des Sitzes einer Schiedsinstitution überlassen, wobei die Umstände des Falles sowie die Eignung des Ortes für die Parteien zu berücksichtigen sind. Überhaupt ist zwischen Sitz des Schiedsgerichtes und dem Ort bzw. den Orten der Verfahrenshandlungen (Beratung, Beschlussfassung, mündliche Verhandlung oder Beweisaufnahme), die dafür geeignet erscheinen (§ 612 Abs. 2 ZPO), zu unterscheiden. Der Sitz ist in erster Linie für die Anwendung des inländischen Verfahrensrechts von Bedeutung.42 Sitz und Ort des Schiedsgerichtes können und werden in der Regel auseinander fallen, weil in vielen Fällen ohnehin Schiedsrichter eines ad hoc Schiedsgerichtes an verschiedenen Orten ansässig sind (bislang war es oft der Fall, dass auch Schweizer Anwälte mit entspre- 39 40 41 42 FL OGH in LES 1982, 16. Siehe dazu ausführlich Batliner /Gasser in Baudenbacher-FS, 710; Schumacher, Schiedsverfahren 108; Stellungnahme 12. Schiedsverfahren 108. Hausmaninger, § 595 ZPO Rz. 17 ff. 73 Johannes Gasser chenden Erfahrungen mit Schiedsverfahren von liechtensteinischen Schiedsparteien nominiert wurden). Es ist sogar zulässig, dass sämtliche Verfahrenshandlungen an einem anderen Ort als dem Sitz – sogar im Umlaufwege43 – vorgenommen werden.44 Damit ist der Sitzbegriff «mehr oder weniger vergeistigt».45 Die Ordnungsbestimmung in Art. 114 PGR wird also ohnehin in ihren Wirkungen abgeschwächt: Schiedsgerichte, die gemäss Statuten und Gesellschaftsvertrag der Verbandsperson für dessen Rechtsstreitigkeiten zuständig sind, müssen zwar ihren Sitz in Liechtenstein haben, sodass grundsätzlich liechtensteinisches Schiedsverfahrensrecht zur Anwendung gelangt, aber das Schiedsgericht kann sämtliche Verfahrenshandlungen vom Ausland aus setzen. Unklar ist letztlich, welche Rechtswirkungen die Verletzung der Ordnungsbestimmung in Art. 114 PGR entfaltet. Sie bildet jedenfalls keinen Grund für eine Aufhebungsklage (§ 628 ZPO), weil nur inländische und nicht ausländische Schiedssprüche (d.h. Schiedssprüche von Schiedsgerichten mit Sitz im Ausland) mit dieser Klage angefochten werden können.46 Immerhin könnte aber einer Schiedspartei, die gegen eine inländische Verbandsperson vor einem ausländischen Schiedsgericht ein Schiedsurteil erstritten hat, beim Versuch, dieses in Liechtenstein für vollstreckbar erklären zu lassen (§ 631 ZPO), der Versagungsgrund der mangelnden subjektiven Schiedsfähigkeit eingewendet werden.47 Zuletzt hat Czernich aber die Meinung vertreten, dass Liechtenstein einem ausländischen Schiedsspruch gegen inländische Verbandspersonen aus Rücksicht auf Art. 114 Abs. 2 PGR nicht die Vollstreckung oder Anerkennung versagen dürfe, weil dies dem NYÜ, das inländischem Recht, also auch Art. 114 PGR, vorgehe, widerstreite.48 Auch das FL Obergericht49 mass jüngst – in einem (schiedsfähigen) Verantwortlichkeitsprozess einer liechtensteinischen Stiftung gegen ein ehemaliges, 43 44 45 46 47 48 49 74 Peter Mayr, Das neue Schiedsverfahrensrecht in Liechtenstein – Teil 2, Jus & News 2011, 17 (23) (im Folgenden kurz: Mayr, Schiedsverfahrensrecht 2); BuA 60. Vgl. aber § 634 Abs. 4 ZPO für Konsumenten. Hausmaninger, § 595 ZPO Rz. 36 ff. Hausmaninger, § 614 ZPO Rz. 24. Vgl. Art. V Abs. 1 (a) NYÜ; Hausmaninger, § 614 ZPO Rz. 58 i.V.m § 611 Rz. 54. Czernich, Das New Yorker Schiedsübereinkommen und die Schiedsgerichtsbarkeit in Stiftungssachen, LJZ 2012, 60 f., im Folgenden Czernich, Schiedsgerichtsbarkeit in Stiftungssachen. FL Obergericht 16.02.2012, 1 CG.2011.190 in LES 2012, 122 (123). Schiedsstandort Liechtenstein angeblich fehlbares Organ – Art. 114 PGR nur insoweit Bedeutung bei, als damit «keine Regeln über die materielle Frage der Schiedsgerichtsbarkeit getroffen, sondern lediglich die Fragen des Gerichtsstandes bzw. der örtlichen Gerichtsbarkeit geregelt» würden. Art. 114 PGR sei eine örtliche Zuständigkeitsnorm und könne keine zwingende Bestimmung dahin gehend sein, dass die Vereinbarung eines Schiedsgerichtes für Verantwortlichkeitsansprüche ausgeschlossen wäre. Aber immerhin hielt der OGH obiter – und ohne Befassung mit dem NYÜ – fest, dass der Zusatz in Art. 114 PGR bedeute, «dass für den Fall, dass ein Schiedsgericht bestellt wurde, sich der Sitz des Schiedsgerichtes am Ort des Sitzes der Verbandsperson befinden muss.» Aus prozessualer Vorsicht ist daher für Schiedsparteien wie für Schiedsrichter empfehlenswert, bei Streitigkeiten mit liechtensteinischen Verbandspersonen mit Mitgliedern Schiedsgerichte mit Sitz im Inland zu konstituieren. (ii) Verbandspersonen ohne Mitglieder und Trusts Die Auslegung von Art. 114 PGR erfordert eine weitere Einschränkung. Die Bestimmung scheint von ihrem Wortlaut her auf juristische Personen mit korporativem Charakter zugeschnitten: Verbandspersonen, die über «Mitglieder» verfügen. Dazu zählen Aktiengesellschaften und GmbHs, aber sicherlich nicht Stiftungen oder Anstalten mit untergegangenen Gründerrechten, weil sie über keine «Mitglieder» verfügen, die mit Stimmrechten und mithin mit Gestaltungs- und Interventionsbefugnissen ausgestattet sind, sondern lediglich über Begünstigte. Nach der hier vertretenen Auffassung kann daher ein Stiftungsrat im Namen der Stiftung mit deren Begünstigten auch ein ausländisches Schiedsgericht mit Sitz ausserhalb Liechtensteins vereinbaren; auch könnten Stiftungsstatuten ein ausländisches Schiedsgericht vorsehen.50 Sämtliche anderen liechtensteinischen Rechtspersonen sind ohne Einschränkung schiedsfähig. Für Treuhänderschaften nach ausländischem Recht, die im Inland errichtet werden, sieht Art. 931 Z 2 PGR sogar für Streitigkeiten zwischen Treugeber, Treuhänder und Begünstigten ein obligatorisches Schiedsgericht vor. Umso mehr muss für Trusts nach liechtensteinischem Recht ein Schiedsgericht zulässigerweise vereinbart werden können. Dies gilt auch für 50 Siehe aber die Entscheidung des FL Obergerichtes in FN 49, die eine Stiftung als Klägerin betraf. 75 Johannes Gasser Streitigkeiten zwischen Gründerrechtsinhabern oder Begünstigten einer Anstalt untereinander bzw. gegenüber der Anstalt oder umgekehrt.51 3. Form der Schiedsvereinbarung a) Schriftform Für Schiedsvereinbarungen herrscht Schriftformerfordernis; entweder müssen beide Parteien ein entsprechendes Schriftstück unterzeichnen oder die Schiedsklausel muss im Schriftwechsel (E-Mail genügt) oder in Musterverträgen (AGBs) Eingang gefunden haben.52 Die Formvorschrift hat in erster Linie Beweisfunktion und wird irrelevant, wenn sie nicht rechtzeitig gerügt wird (§ 600 ZPO). Wichtig ist hervorzuheben, dass § 53a JN insoweit geändert wurde, als dass Schiedsvereinbarungen zugunsten eines ausländischen Schiedsgerichtes keiner öffentlichen Beurkundung mehr bedürfen.53 Von einer gänzlichen Aufhebung dieser Bestimmung hatte der liechtensteinische Gesetzgeber abgesehen, weil der Umstand, dass zwischen liechtensteinischen und ausländischen Staatsbürgern getroffene Gerichtsstandsvereinbarungen zu Gunsten eines ausländischen Gerichts nur gültig sind, wenn sie öffentlich beurkundet sind, zum liechtensteinischen ordre public gezählt wird.54 Der EFTA-Gerichtshof hielt in seinem Urteil vom 25.4.2012 das Formerfordernis bei Gerichtsstandsvereinbarungen für EWR-widrig.55 § 53a Abs. 1 JN ist damit gesamthaft unanwendbar geworden. b) Sind Stiftungen Konsumenten? Derzeit ist unklar, ob sich die besonderen Formvorschriften für Konsumenten auch auf Rechtsstreitigkeiten zwischen Stiftungen und deren Begünstigte er51 52 53 54 55 76 Schumacher, Schiedsverfahren 108; Stellungnahme 12; LES 1987, 14; LES 1982, 16. Mayr, Schiedsverfahrensrecht 1, 302, insbesondere zur Frage der Zulässigkeit des Abschlusses einer Schiedsvereinbarung durch Vollmacht. Zur Anwendbarkeit der neuen Rechtslage auf «alte» Schiedsvereinbarungen vgl. Czernich, Schiedsgerichtsbarkeit in Stiftungssachen 61. BuA 93; LES 2003, 5; siehe dazu auch ausführlich Gstöhl, Schiedsvereinbarung 113. Rs E-13/11 Granville Establishment / Volker Anhalt et al, veröffentlicht in LES 2012, 53. Schiedsstandort Liechtenstein strecken.56 Schiedsvereinbarungen zwischen einem Unternehmer und einem Konsumenten können wirksam nur für bereits entstandene Streitigkeiten vereinbart werden und bedürfen der Einhaltung weiterer Formerfordernisse (§ 634 ZPO). Da Stiftungen in der Regel nicht den Betrieb eines kaufmännischen Unternehmens führen dürfen,57 wurde für die vergleichbare österreichische Rechtslage zuletzt verschiedentlich vertreten, dass Privatstiftungen als Konsumenten zu qualifizieren seien und damit nicht ohne weiteres Schiedsvereinbarungen für zukünftige Streitigkeiten eingehen oder solche Schiedsklauseln erlassen könnten.58 Denn § 634 Abs. 2 ZPO sieht für Schiedsvereinbarungen, an denen (zumindest) ein Konsument beteiligt ist, vor, dass sie in einem von diesem eigenhändig unterzeichneten Dokument enthalten sein müssen; andere Vereinbarungen als solche, die sich auf das Schiedsverfahren beziehen, darf dieses nicht enthalten. In der Stellungnahme der Regierung wird dazu ausgeführt, dass das Innenverhältnis «Stiftung – Begünstigter» nicht dem vom Konsumentenschutz erfassten Verhältnis «Unternehmer – Konsument» gleich komme. Gemäss Art. 1 Abs. 1 KSchG erfasse der Konsumentenschutz ein zweiseitiges Rechtsgeschäft zwischen Unternehmer und Konsument, und diese Voraussetzung sei bei Stiftungen nicht erfüllt.59 Dem schliessen sich Blasy/Reithner im Ergebnis und mit der zutreffenden Begründung an, dass in Liechtenstein üblicherweise fiduziarisch errichtete und von Berufstreuhändern professionell verwaltete Stiftungen keines Konsumentenschutzes bedürften.60 Zusätzlich stellen sie offenbar sicherheitshalber noch die Überlegung an, dass durch eine Vereinbarung zugunsten eines ausländischen Schiedsgerichtes die für Konsumenten etwaig dennoch anwendbare Bestimmung in § 634 ZPO unterlaufen werden könnte. Dem ist mit der Massgabe zuzustimmen, dass Schiedsurteile ausländischer Schiedsgerichte gegen liechtensteinische Verbandspersonen mit Mitgliedern unter Umständen 56 57 58 59 60 Mayr, Schiedsverfahrensrecht 1, 304; Blasy/R eithner, Die Auswirkungen des neuen § 634 ZPO in Liechtenstein, in Tagungsband der Universität Liechtenstein zum Stiftungsrechtstag 2011 (noch nicht veröffentlicht und deshalb ohne Seitenangaben), im Folgenden: Blasy/R eithner, Auswirkungen. Vgl. Art. 552 § 1 Abs. 2 PGR. Vgl. z.B. Dorda, Österreichisches Schiedsrecht: Wunschlos glücklich? DBJ-Newsletter 1-2/2011. Stellungnahme 7. Blasy/R eithner, Auswirkungen; so auch Gstöhl, Schiedsvereinbarung 205 ff. 77 Johannes Gasser aus anderen Gründen als nicht in Liechtenstein vollstreckungsfähig angesehen werden könnten.61 Czernich qualifiziert zwar grundsätzlich Stiftungen als Unternehmer, weshalb die Konsumentenschutzbestimmungen in § 634 ZPO grundsätzlich anwendbar wären, er verweist jedoch auf die bereits zitierten Absichten des Gesetzgebers, die bei der Auslegung vor dem (gegenläufigen) Wortlaut den Vorzug geniessen würden. § 634 ZPO sei somit bei Streitigkeiten zwischen Stiftung und Destinatären unanwendbar.62 Diesen Ansichten ist zu folgen. § 634 ZPO spricht von Schiedsvereinbarungen, nicht von Schiedsklauseln. Schiedsvereinbarungen sind zweiseitige Rechtsgeschäfte; Schiedsklauseln werden aber vom Stifter durch Errichtung der Statuten einseitig errichtet. Die Stiftungsurkunde ist nämlich eine einseitige, nicht empfangsbedürftige Willenserklärung des Stifters, kein zweiseitiges Rechtsgeschäft.63 Dies ergibt sich auch aus § 598 ZPO: Abs. 1 regelt Schiedsvereinbarungen, also «Vereinbarungen der Parteien, alle oder einzelne Streitigkeiten, die zwischen ihnen in Bezug auf ein bestimmtes Rechtsverhältnis vertraglicher oder nichtvertraglicher Art. entstanden sind oder künftig entstehen, der Entscheidung durch ein Schiedsgericht zu unterwerfen». Abs. 2 ordnet an, dass diese Bestimmungen auch auf Schiedsgerichte anzuwenden seien, «die in gesetzlich zulässiger Weise durch letztwillige Verfügung oder andere nicht auf Vereinbarung der Parteien beruhende Rechtsgeschäfte oder durch Statuten angeordnet werden». Damit sind auch Schiedsklauseln in Gesellschafts- und insbesondere Stiftungsstatuten gemeint, die aber eben «nicht auf Vereinbarung der Parteien beruhende Rechtsgeschäfte» sind, weshalb auf sie die Konsumentenschutzbestimmung in § 634 ZPO unanwendbar bleiben.64 Dafür spricht auch, dass es bei Stiftungen und ihren Destinatären – eben in Ermangelung eines typischen Rechtsgeschäftes mit Konsumenten mit ihrem besonderen Schutzbedürfnis vor Abschluss desselben – der Warn- und Aufklärungsfunktion des Konsumentenschutzes nicht bedarf. Letztlich gründet sich diese Schlussfolgerung auch auf der Wertung, dass Rechtsbeziehungen zwischen Konsumenten nicht dem Schutzzweck des KSchG unterliegen,65 § 634 Abs. 2 61 62 63 64 65 78 Vgl. oben B 2 (b) (i). Czernich, Schiedsgerichtsbarkeit in Stiftungssachen 63 f. Vgl. zuletzt FL OGH 2.9.2011, 08.CG.2008.161 u.v.m.. Stellungnahme 7. R echberger /Melis, § 617 Rz. 1, Hausmaninger, § 617 ZPO Rz. 26. Schiedsstandort Liechtenstein ZPO aber – völlig überschiessend – auch dann, wenn nur ein Konsument beteiligt ist, Formvorschriften vorsieht, und es sich nach der hier vertretenen Auffassung bei liechtensteinischen Stiftungen in aller Regel eben nicht um Unternehmer handelt.66 4. Zuständigkeitsstreit zwischen Schieds- und Staatlichen Gerichten a) Priorität der Schiedsverfahren Das Verhältnis zwischen staatlichen und Schiedsgerichten wurde gänzlich neu geregelt. Als Grundsatz gilt die Priorität von Schieds- vor ordentlichen Gerichtsverfahren. Im Gegensatz zur alten Rechtslage wird ausserdem die Zuständigkeitsfrage in einem Frühstadium des Verfahrens durch Nachprüfung der staatlichen Gerichte vorweg und abschliessend geklärt.67 Schiedsgerichte haben die «Kompetenz-Kompetenz» für die Zuständigkeitsfrage. Demnach entscheidet das Schiedsgericht selbst über seine Zuständigkeit und nur über eine entsprechende Unzuständigkeitseinrede, die bei sonstiger Verwirkung bzw. Heilung spätestens mit dem ersten Vorbringen zur Sache erhoben oder später bei «genügender Entschuldigung», deren Würdigung im Ermessen des Schiedsgerichtes liegt, sofort nachgeholt werden muss (§ 609 Abs. 1 und 2 ZPO).68 b) Wenn Schiedsgerichte früher einschreiten Zwei alternative Verfahrensverläufe sind denkbar: Bejaht das Schiedsgericht seine Zuständigkeit in einem gesonderten oder endgültigen Schiedsspruch, kann dagegen zwar eine Partei, die eine rechtzeitige Unzuständigkeitseinrede erhoben hat, Aufhebungsklage beim Obergericht einbringen, die jedoch das Schiedsgericht nicht daran hindert, das Schiedsverfahren fortzusetzen und in der Sache selbst zu entscheiden (§ 609 Abs. 3 ZPO); weitere Klagen sind aber unzulässig (§ 601 Abs. 3 ZPO). Verneint hingegen das Schiedsgericht seine Zuständigkeit, darf das staatliche Gericht eine Klage nicht mit der Begründung zurückweisen, dass für die Angelegenheit ein Schiedsgericht zuständig sei 66 67 68 Vgl. FN 57 oben. R echberger /Melis, § 611 Rz. 2; Schumacher, Schiedsverfahren 109. Vgl. auch FL OGH 3.9.2010, 4.CG.2007.231. 79 Johannes Gasser (§ 601 Abs. 2 ZPO). Auch ist neuerdings vorgesorgt, dass trotz Zwischenstreiten über eine eingewendete Unzuständigkeit der strittige Anspruch nicht verjährt, vorausgesetzt, das Verfahren wird gehörig fortgesetzt (§ 601 Abs. 4 ZPO). Damit wird das Verjährungsrisiko entschärft.69 c) Wenn staatliche Gerichte früher einschreiten Wird hingegen zuerst ein staatliches Gericht angerufen, hat es die Klage in einer Angelegenheit, die Gegenstand einer Schiedsvereinbarung ist, zurückzuweisen, es sei denn, der Beklagte verabsäumt die rechtzeitige Erhebung der Schiedseinrede oder das Gericht stellt fest, dass die Schiedsvereinbarung ungültig ist; jedenfalls kann unabhängig von einem Verfahren vor einem staatlichen Gericht stets eine Schiedsverfahren eingeleitet und sogar beendet werden (§ 601 Abs. 1 ZPO). Nach altem Recht waren Kompetenzstreitigkeiten zwischen Schieds- und staatlichten Gerichten Gift für jede speditive und vernünftige Streitbeilegung und oft eine Spielwiese für obstruktive Prozessparteien.70 d) Abweichungsverbot bei Parallelität von Schieds- und staatlichen Gerichtsverfahren Trotzdem kommt es vor, dass staatliche und Schiedsgerichte über Streitigkeiten zwischen denselben Prozessparteien parallel tätig werden und entscheiden. Hier herrscht ein Abweichungsverbot, was aus Rechtskraft und Bindungswirkung des früheren (Schieds-) Urteils gefolgert wird. Hatte eine Partei beispielsweise in einem früheren Schiedsverfahren rechtliches Gehör, ist sie im späteren staatlichen Gerichtsverfahren (in casu: stiftungsaufsichtsrechtlichen Organabberufungsverfahren) an die ihre Rechtsposition belastenden Tatsachenfeststellungen (in casu: dass strittige Ausschüttungen aus dem Stiftungsvermögen nicht statuten- bzw. stiftungszweckwidrig waren) im Schiedsspruch gebunden. Dritte, die sich erst am zweiten Verfahren beteiligen, sind aber nicht gehindert, Einwendungen gegen solche zumindest sie nicht verpflichtenden 69 70 80 Schumacher, Schiedsverfahren 109. Vgl. StGH 2009/096, wonach die Zuständigkeit der inländischen Gerichte für Streitigkeiten nicht gegeben ist, wenn ein nach dem Vollstreckungsübereinkommen vollstreckbares Schweizer Schiedsurteil und damit Streitanhängigkeit vorliegt. Schiedsstandort Liechtenstein Feststellungen zu erheben.71 Die Bindungswirkung eines Schiedsurteils beschränkt sich nur auf die Parteien des Schiedsverfahrens und auf den geltend gemachten Anspruch72 sowie auf den im Spruch entschiedenen Anspruchsteil; im Folgeprozess ist das Gericht trotz Rechtskraft eines Urteils (§ 411 ZPO) bzw. eines Schiedsspruches (§ 611 Abs. 1 ZPO) weder an dessen Tatsachenfeststellungen noch an die Begründung gebunden.73 e) Schiedsklauseln bedeuten keinen Rechtsschutzverzicht Selbst durch den Abschluss von Schiedsvereinbarungen kann auf den staatlichen Rechtsschutz nicht gänzlich, z.B. auf die Aufhebungsklage vor einem staatlichen Gericht oder auf bestimmte Aufhebungsgründe, verzichtet werden.74 Der FL OGH hatte im fraglichen Rechtsstreit eine Schiedsklausel in Stiftungsstatuten zu beurteilen, wobei ausserdem eine «kassatorische Klausel» vorgesehen war, d.h. dass Begünstigte, die gegen die Stiftung rechtlich vorgingen («judicially attack»), ihrer Ansprüche verlustig gingen. Solche Klauseln finden sich in der Treuhandpraxis immer wieder in Stiftungsstatuten, und es überrascht daher umso mehr, dass sie sich im Prozess gegen die klagenden Begünstigten nicht schädlich auswirkten. Hatten erste und zweite Instanz im Einklang mit der zu § 720 ABGB entwickelten Lehre und Rechtsprechung eine kassatorische Klausel nur bei Mutwilligkeit für anwendbar bzw. bei der zulässigen Erforschung des Stifterwillens für unanwendbar erachtet, war sie für den FL OGH ein unzulässiges und deshalb unwirksames «pactum de non petendo», wobei ausserdem noch eine Rolle spielte, dass die Kläger infolge ihrer Mittellosigkeit ohnehin nicht mehr an die Schiedsklausel gebunden waren. 5. Einstweilige Massnahmen a) Grundsätze Die beachtliche Anzahl an vermögensrechtlichen Streitigkeiten vor liechtensteinischen Gerichten sowie die chronische Gefahr des Vermögensentzugs 71 72 73 74 Vgl. FL OGH 7.5.2010, 10 HG.2008.5. Vgl. FL OGH 6.8.2010, 5 CG.2001.384. FL OGH 11.6.2010, CG.2008.251, RN 7.2.2. FL OGH 11.6.2010, CG.2008.251, RN 7.3. 81 Johannes Gasser durch beklagte Parteien, wodurch Prozesserfolge der Klägerseite zur Makulatur werden, haben zu einer grossen Bedeutung von einstweiligen Verfügungen in liechtensteinischen Zivilprozessen geführt. Schiedsparteien können vor staatlichen Gerichten (§ 602 ZPO) oder neuerdings vor dem Schiedsgericht selbst (soweit die Parteien nichts anderes vereinbart haben: § 610 ZPO) vorläufige oder sichernde Massnahmen beantragen; im letzteren Fall aber nur nach Anhörung der gegnerischen Partei und nur gegen diese selbst; «ex parte» Entscheidungen sind somit ebenso wenig zulässig wie Anordnungen gegen Dritte (z.B. Drittverbote). Voraussetzung dafür ist die Gefährdung der klägerischen Ansprüche. Darüberhinaus kann das Schiedsgericht die Erlassung einstweiliger Massnahmen, die stets schriftlich zu erfolgen hat, vom Erlag einer entsprechenden Sicherheit abhängig machen, was wohl stets bei Klägern mit (Wohn-) Sitz im Ausland oder mit Status als reine Sitz- oder Holdinggesellschaft indiziert sein wird. Andererseits kann die Gegenseite mit dem Erlag einer entsprechenden Sicherheit, «welche die Vollziehung der Massnahme entbehrlich macht», die Aufhebung der Massnahme bewirken (§ 610 Abs. 6 Z. 4 ZPO). b) Vollzug und zulässige Massnahmen Üblicherweise wird das Landgericht Vaduz75 für den Vollzug solcher Massnahmen in Betracht kommen (§ 610 Abs. 3 ZPO); dies gilt auch für solche, die von ausländischen Schiedsgerichten angeordnet werden, selbst wenn keine gegenstaatlichen Vereinbarungen mit dem Staat bestehen, in dem das Schiedsgericht seinen Sitz hat.76 Das (Schieds-) Gericht kann Massnahmen anordnen, «die es in Bezug auf den Streitgegenstand für erforderlich hält» (§ 610 Abs. 1 ZPO), nicht jedoch Massnahmen, die ein dem inländischen Recht unbekanntes oder ungeeignetes Sicherungsmittel vorsehen bzw. beantragen (§ 610 Abs. 4 Z. 4 ZPO). Solche Anträge sind ‚umzudeuten’, d.h. nach Anhörung des Antragsgegners wird jenes Sicherungsmittel des inländischen Rechts vollzogen, «welches der Massnahme am nächsten kommt» (§ 610 Abs. 3 ZPO). Es bleibt daher abzuwarten, ob sich die Ansicht Schumachers und Mayrs durchsetzen 75 76 82 Obwohl das Gesetz von «Gericht» spricht, ist – weil ansonsten konkret von Obergericht die Rede ist (vgl. z.B. § 632 ZPO) – damit das Landgericht gemeint; so auch Schumacher, Schiedsverfahren 110. Schumacher, Schiedsverfahren 110. Schiedsstandort Liechtenstein wird, dass sogar in Liechtenstein bis anhin verpönte77 Befriedigungsverfügungen (etwa in Form von «Interimszahlungen» des Antragsgegners bzw. Beklagten für die Dauer des Schiedsverfahrens), die dem Antragsteller Liquidität verschaffen und dem Verfahrensergebnis vorgreifen, gemäss § 610 ZPO zulässig sein werden.78 c) Vorteile einer EV ordentlicher Gerichte Parteien eines Schiedsverfahrens haben die Wahl: Beantragen sie eine EV beim Schiedsgericht selbst, besteht aufgrund der zwingenden Anhörung der Gegenseite kein Überraschungseffekt und der ansonsten zwangsläufige Vorteil einseitiger Intervention. Auch sind keine Drittverbote zulässig, was insbesondere in der Praxis wichtige Kontoverfügungssperren betrifft, die sich (auch) gegen Banken als Drittschuldner richten. Negativ wirkt sich auch aus, dass im Regelfall staatliche Gerichte für die Vollstreckung notwendig sind, die nochmals die Gegenpartei anhören und die Entscheidung über einstweilige Massnahmen – wenn auch nur beschränkt (§ 610 Abs. 4 und 5 ZPO) – nachprüfen können; es stellt sich die Frage, ob es dann nicht naheliegender wäre, gleich bei einem staatlichen Gericht die EV zu beantragen, weil dessen abweisende Entscheidung im übrigen auch weniger negative präjudizielle Auswirkungen auf das parallele Schiedsverfahren haben dürfte, in dem dann noch nicht in der Sache selbst entschieden worden ist. d) Vorteile einer Massnahmenentscheidung von Schiedsgerichten, deren Vollzug von ordentlichen Gerichten verfügt wird Demgegenüber könnte der entscheidende Vorteil einstweiliger Massnahmen von Schiedsgerichten darin gelegen sein, dass ihre Anordnung nicht selbständig bekämpfbar ist. § 628 ZPO regelt nur die Aufhebung von Schiedssprüchen, nicht jedoch jene vorläufiger und sichernder Massnahmen.79 § 610 Abs. 5 ZPO selbst sieht nur die Bekämpfung der Entscheidung staatlicher Gerichte über die Vollziehung der Massnahmen des Schiedsgerichtes vor: Konkret erwähnt wird der Einspruch gem. Art. 290 EO, der aber nur – jedoch immerhin mit neuen 77 78 79 LES 2009, 48. Schumacher, Schiedsverfahren 109; Mayr, Schiedsverfahrensrecht 2, 24. Hausmaninger, § 611 Rz. 72. 83 Johannes Gasser Tatsachen und Beweismitteln – erhoben werden kann, wenn der Antragsgegner vor der Beschlussfassung nicht gehört worden war. Zusätzlich gewährt die ZPO stets einen Rekurs gegen solche Vollziehungsentscheidungen.80 Beide Rechtsmittel beschränken sich jedoch auf die Geltendmachung von Versagungsgründen für die Vollziehung nach § 610 Abs. 4 (§ 610 Abs. 5 ZPO): Demnach steht dem Landgericht Vaduz im Wesentlichen (und von KSchGoder arbeitsrechtlich relevanten Fällen abgesehen) nur die Möglichkeit offen, wegen den allgemeinen Aufhebungsgründen (§ 628 Abs. 2 ZPO) die Vollziehung zu versagen. Damit beschränkt sich die Revision auf schwere Verstösse gegen grundlegende Verfahrensrechte der Parteien oder auf die Verletzung des materiell-rechtlichen ordre public; unrichtige Beweiswürdigung, schlichte Verfahrensmängel und unrichtige rechtliche Beurteilung sind jedoch niemals Gründe,81 einer schiedsrichterlichen Massnahme die Vollziehung zu versagen. Dies im Gegensatz zu einstweiligen Verfügungen (Sicherungsbot oder Amtsbefehl) des Landgerichtes Vaduz, die gemäss Exekutionsordnung erlassen und daher sowohl wegen schlichter Verfahrensmängel oder unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit Rekurs an das Obergericht oder wegen unrichtiger Tatsachenfeststellung – nach Würdigung neuer Tatsachen und Beweismittel – mit Einspruch an das Landgericht bekämpft werden können. Dass auch sogenannte Non-Signatories von Schiedsklauseln Entscheidungen von Schiedsgerichten gar nicht und jene über die Vollziehung der staatlichen Gerichte nur eingeschränkt bekämpfen können, ist aus meiner Sicht im Hinblick auf Art. 6 EMRK deshalb nicht bedenklich, weil es sich nur um Provisorialentscheidungen und nicht um Endverfügungen handelt.82 6. Weitere Neuerungen a) Aktorische Kaution? Gerade in Liechtenstein hat die Prozesskostensicherheit eine grosse praktische Bedeutung und wurde jüngst auch vom EFTA Gerichtshof als grundsätzlich 80 81 82 84 Hausmaninger, § 593 Rz. 98 und 99. Schumacher, Schiedsverfahren 111 ff. Vgl. dazu gleich unten B. 7. b). Schiedsstandort Liechtenstein europarechtskonform bestätigt.83 Gemäss § 57 ZPO84 haben demnach Kläger und Rechtsmittelwerber, die in Liechtenstein keinen Wohnsitz und kein zur Deckung der Prozesskosten hinreichendes Vermögen an unbeweglichem oder gleichwertigem85 Vermögen haben, dann eine aktorische Kaution zu erlegen, wenn die gerichtliche Entscheidung, die dem Kläger oder Rechtsmittelwerber den Ersatz von Prozesskosten an den Beklagten oder Rechtsmittelgegner auferlegt, im Staat des Wohnsitzes des Kläger oder Rechtsmittelwerbers bzw. im Staat, in welchem die unbeweglichen Güter gelegen sind, nicht vollstreckt werden kann. Dies gilt auch für Verbandspersonen, die kein Vermögen in der Höhe der mutmasslichen Prozesskosten ausweisen können (§ 57a ZPO). Es bleibt dahin gestellt, ob es verfassungsrechtlich vertretbar ist, bei natürlichen Personen unbewegliches Vermögen oder auf solchem Vermögen sichergestellte Forderungen als Haftungsfonds zu verlangen, aber bei Verbandspersonen lediglich Vermögen jeglicher Art. im In- und Ausland, in das vollstreckt werden kann. Dies dürfte wohl auf eine ungerechtfertigte und unsachliche Besserstellung von klagenden Verbandspersonen im Gegensatz zu natürlichen Personen im Zusammenhang mit dem Erlag aktorischer Kautionen hinauslaufen.86 Das neue Schiedsrecht sieht jedenfalls keine eigenen Bestimmungen für eine solche Prozesskostensicherheit vor. Die Kostenregel in § 626 ZPO spricht nur davon, dass das Schiedsgericht über die Verpflichtung zum Kostenersatz entscheidet, wenn das Schiedsverfahren beendet wird. Von der Auferlegung einer Sicherheit für die beklagte Partei oder eines Kostenvorschusses für das Schiedsgericht zu Beginn oder im Laufe des Verfahrens ist aber nicht die Rede, was in Bezug auf die österreichische Rezeptionsgrundlage «wegen des dringenden praktischen Bedürfnisses und im Interesse der Rechtssicherheit» kri- 83 84 85 86 EFTA Gerichtshof 17.12.2010, E-5/10 (Kottke) in LES 2011, 5 mit Anm. von Walser; StGH 2002/37 in LES 2005, 145; Ungerank, Entsprechen die nunmehrigen Bestimmungen der ZPO betreffend die Sicherheitsleistung für Prozesskosten dem EWRRecht? LJZ 2010, 32; Lennert/Heilmann, Die Auslegung der aktorischen Kaution im Lichte des Allgemeinen Diskriminierungsverbotes in Art. 4 EWR, LJZ 2011, 25. IdF LGBl 2009 Nr 206. Forderungen, die auf unbeweglichen Gütern bücherlich sichergestellt sind. Vgl. StGH 13.10.2012, StGH 2011/173 offen lassend; vgl. zur Differenzierung zwischen juristischen und natürlichen Personen beim Verfahrenshilfeanspruch im Zivilprozess (bei Konkurs der juristischen Person) z.B. Urteil des StGH vom 22.6.2010 StGH 2009/003. 85 Johannes Gasser tisiert worden war.87 Dies bedeutet aber nicht, dass Schiedsgerichte nach dem neuen Verfahrensrecht nicht dennoch Kautionen auferlegen könnten. Unstrittig ist die Zulässigkeit, wenn eine entsprechende Parteienvereinbarung bzw. Schiedsordnung, der sich die Parteien unterworfen haben, dazu ermächtigt; dies ist einer der entscheidenden Vorteile der Liechtenstein Rules, die diese Möglichkeit explizit vorsehen, worauf später noch näher einzugehen sein wird.88 Liegt diesbezüglich keine Einigung vor, begründet die herrschende Meinung das Recht des Schiedsgerichtes und der beklagten Partei auf Kaution und Vorschüsse mit dem Verfahrensermessen gem. § 611 ZPO.89 Aber es herrscht das Risiko, dass bei einer unzulässigen Auferlegung von Kautionen durch das Schiedsgericht das rechtliche Gehör verweigert sein könnte, was zur Aufhebung des Schiedsspruches gemäss § 628 Abs. 2 Z. 2 ZPO führen kann. Einem ausländischen Kläger kann daher nur dann in unbedenklicher Weise eine Prozesskostensicherheit auferlegt werden, wenn aller Wahrscheinlichkeit nach ein Anspruch über die Kosten des Klägers in dessen Heimatland nicht vollstreckt werden kann.90 Dies begegnet auch in NYÜ Staaten nicht selten praktischen Problemen.91 Weil aber Kostenersatzbeschlüsse neuerdings zwingend in Form von Schiedssprüchen zu ergehen haben (§ 626 Abs. 4 ZPO) und Schiedssprüche nach dem NYÜ generell vollstreckbar sind, wird wohl die Vorschreibung einer aktorischen Kaution oder von Vorschüssen nur dann zulässig sein, wenn sich die Parteien darauf einigen bzw. geeinigt haben oder – NYÜ hin oder her – nachgewiesen werden kann, dass die Vollstreckbarkeit aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich oder überaus schwierig ist. Anderes gilt im Vollstreckbarerklärungsverfahren ����������������������������������������������������������� von ausländischen Schiedssprüchen vor dem Landgericht Vaduz: Dort wird dem ausländischen Antragssteller regelmässig eine aktorische Kaution aufzuerlegen sein, einerseits weil die inländischen Verfahrenskosten nicht im Ausland vollstreckbar sind,92 und 87 88 89 90 91 92 86 Hausmaninger, § 609 Rz. 90. Vgl. unten C 2 c). Hausmaninger, § 609 Rz. 91. Hausmaninger, § 609 Rz. 92. Hausmaninger, § 609 Rz. 90 aE. Vgl. § 57 Abs. 2 Z. 1 ZPO idF LGBl 2009 Nr 206. Schiedsstandort Liechtenstein andererseits weil dies nicht dem Diskriminierungsverbot des Art. III Abs. 3 NYÜ widerspricht.93 b) Schiedsspruch mit vereinbartem Wortlaut Schiedsvergleiche sind nach dem NYÜ nicht vollstreckbar. Deshalb tun Parteien gut daran, sich einen in einen Schiedsspruch gegossenen Vergleich über gemeinsamen Antrag ausfertigen zu lassen. Ein solcher «agreed, consent award» ist neuerdings also zulässig (§ 622 Z. 2 ZPO). 7. Aufhebung des Schiedsspruchs a) Aufhebungsklage Im Unterschied zur relativ langen 3-monatigen Frist für die Erhebung einer Aufhebungsklage gegen Schiedssprüche nach österreichischem Recht haben Schiedsparteien in Liechtenstein lediglich vier Wochen Zeit (§ 628 Abs. 4 ZPO). Mit der Klage kann lediglich die Aufhebung des Schiedsspruches beantragt werden, wozu auch solche gehören, wo nur über die Zuständigkeit abgesprochen wird (§ 628 Abs. 1 ZPO). Sowohl für die Anfechtungsklage als auch für Klagen auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Schiedsspruches ist das Obergericht als einzige und letzte Instanz zuständig (§ 632 ZPO). Dies ist eine der zentralen Abweichungen von der österreichischen Rezeptionsgrundlage, die zum Leidwesen vieler Schiedspraktiker mehrere Instanzen vorsieht, sowie eine beachtliche Neuerung des Schiedsverfahrens, mit der eine Beschleunigung des Verfahrens und eine Entlastung der Gerichte erreicht wird.94 Das Obergericht wurde dabei anstelle des FL OGH bewusst deshalb zuständig gemacht, weil es – im Unterschied zum FL OGH – die volle Kognition in Sachverhaltsfragen hat.95 Exemplarisch ist eine Aufhebungsklage gegen einen Schiedsspruch, die offenbar noch nach altem Schiedsverfahrensrecht den langen Weg durch alle drei Instanzen Liechtensteins antrat und über die immerhin mehr als zwei 93 94 95 Vgl. dazu Czernich, New Yorker Schiedsübereinkommen Kurzkommentar (2008), Art. III Rz. 15, S. 31. Stellungnahme 17. Stellungnahme 19. 87 Johannes Gasser Jahre verhandelt wurde.96 Es darf mit Recht davon ausgegangen werden, dass Aufhebungsklagen, die nunmehr nur noch vor einer Instanz, dem Obergericht, verhandelt werden, durchschnittlich nicht sehr viel länger als einige Monate dauern. b) Aufhebungsgründe Zu den Gründen für eine Aufhebung des Schiedsspruches durch das FL Obergericht zählen die Ungültigkeit (§ 628 Z. 1 ZPO) oder Überschreitung (Z. 3) einer Schiedsvereinbarung sowie die Verletzung des rechtlichen Gehörs (Z. 2) oder des ordre public (Z. 5 und 8). Zum letzteren Aufhebungsgrund zählen zwingende (materielle – und nicht verfahrensrechtliche) Rechtsvorschriften, an die die Parteien ausnahmslos gebunden sind und denen sie sich durch entgegengesetzte Vereinbarungen auch nicht entziehen können, sowie allgemeine Rechtsgrundsätze, von denen die Gesetze notwendigerweise als selbstverständlich vorausgesetzt ausgehen; die jüngere liechtensteinische Rechtsprechung zählt beispielsweise dazu nicht die (falsche) Auslegung von Statuten oder Beistatuten oder die von Aufhebungsklägern gerügte Nichtaufnahme von Beweisen zum angeblichen Stifterwillen durch das Schiedsgericht.97 Auch sind Schiedssprüche bei strafrechtlichen Wiederaufnahmsgründen (Z. 6) oder bei fehlender subjektiver Schiedsfähigkeit (Z. 7) aufzuheben. Der vollen Kognition des FL Obergerichtes bei Aufhebungsklagen kommt eine zusätzliche Bedeutung bei sog. «Non-Signatories» zu, also bei Dritten, die sich Schiedsklauseln nicht unterworfen haben. Dabei handelt es sich in der liechtensteinischen Treuhandpraxis v.a. um Begünstigte von Stiftungen, es sei denn, sie hätten sich in Kenntnis einer Schiedsklausel in den Statuten der Stiftung durch die vorbehaltlose Annahme von Ausschüttungen bereits schriftlich – beispielsweise durch Unterzeichnung einer in der Praxis nicht unüblichen Schadloshaltungserklärung samt Schiedsklausel – auf die Schiedsklausel eingelassen. Das FL Obergericht hat jüngst klargestellt, dass Destinatäre von Stiftungen, auch wenn sie sich nicht ausdrücklich einer Schiedsklausel unterwerfen, durch dieselbe gebunden sind.98 Diesen Non-Signatories verleiht Art. 6 EMRK einen besonderen Schutz: Ihnen gegenüber sind 96 97 98 88 FL OGH 5.2.2010, CG.2008.14. FL OGH 5.2.2010, CG.2008.14 (25). FL Obergericht 16.05.2012, 05 HG.2011.172, tw zitiert in LJZ 2012, 67. Schiedsstandort Liechtenstein Schiedssprüche auch wegen «durchschnittlicher» Fehler des Verfahrens oder der Rechtsanwendung, die noch nicht die Schwelle der Aufhebungsgründe in § 628 ZPO erreicht haben, aufzuheben.99 c) Öffentlichkeit des Aufhebungsverfahrens? Überraschenderweise wollte sich der Gesetzgeber bei der Revision des liechtensteinischen Schiedsverfahrensrechts nicht dazu durchringen, bei Aufhebungsverfahren generell und von Gesetzes wegen die Öffentlichkeit auszuschliessen. Das Gesetz sieht nur eine eingeschränkte Diskretion vor: Auf Antrag einer Partei kann die Öffentlichkeit ausgeschlossen werden, wofür aber ein berechtigtes Interesse dargetan werden muss (§ 633 Abs. 2 ZPO). Welche berechtigten Interessen hier notwendig sind, wird wohl nur im Lichte der vor staatlichen Gerichten vergleichbaren Zivilverfahren ersichtlich; dies ist z.B. dann der Fall, wenn Tatsachen des Familienlebens Dritter erörtert werden.100 Die Schiedsparteien könnten also grundsätzlich zur Verhandlung andere Personen oder sogar theoretisch Medienvertreter einladen, was aber mit den Intentionen eines Schiedsgerichtes unvereinbar wäre. Und dennoch stellt das neue Gesetz – nur, aber immerhin – sicher, dass solche Dritte nur mit Zustimmung aller Prozessbeteiligten von den Prozessakten Einsicht nehmen und Abschriften machen dürfen (§ 633 Abs. 3 ZPO). Schliesslich sind Beweisdokumente und Schriftsätze (§ 633 Abs. 4 spricht ganz generell von «Dokumenten»), die von einer Partei einem Schiedsgericht übergeben worden waren, dieser Partei wieder auszufolgen, wenn der Zweck der Aufbewahrung weggefallen ist. Der Geheimnisschutz ist damit nur unzureichend gewahrt. Das liegt wohl daran, dass der Gesetzgeber die Auswirkungen von Art. 6 EMRK in Liechtenstein offenbar insoweit missverstand, als in den Gesetzesmaterialen ausdrücklich davon die Rede ist, dass Liechtenstein aufgrund seiner völkerrechtlichen Verpflichtungen die Öffentlichkeit von Verfahren nicht ausschliessen dürfe.101 Diese Annahme ist unrichtig: Liechtenstein hat in Bezug auf die Öffentlichkeit Batliner /Gasser, Sind Schiedsklauseln zulasten Dritter gemäss Art. 6 EMRK zulässig?, in Baudenbacher-FS. (2007) 706 ff. 100 R echberger /Melis, § 172 Rz. 3. 101 So ausdrücklich Stellungnahme 20. 99 89 Johannes Gasser von Verfahren einen Ratifikationsvorbehalt zur EMRK angebracht.102 Der Ausschluss der Öffentlichkeit in Schiedsverfahren begegnet daher keinerlei Bedenken.103 Dies wird durch die Liechtenstein Rules wettgemacht: Durch ihre Vereinbarung schliessen die Parteien regelmässig auch die Öffentlichkeit von Aufhebungsverfahren aus. De lege ferenda sollte der Gesetzgeber grundsätzlich klarstellen, dass auch für Aufhebungsverfahren die Öffentlichkeit ausnahmslos ausgeschlossen ist. Bei dieser Gelegenheit wäre auch eine Klarstellung für das Schiedsverfahren selbst begrüssenswert.104 C. Liechtenstein Rules of Arbitration 1. Einführung Es ist weitgehend Sache der Schiedsparteien, die Verfahrensgestaltung frei zu vereinbaren. § 611 ZPO lautet: «Vorbehaltlich der zwingenden Vorschriften ... können die Parteien die Verfahrensgestaltung frei vereinbaren. Dabei können sie auch auf Verfahrensordnungen Bezug nehmen. Fehlt eine solche Vereinbarung, so hat das Schiedsgericht nach den Bestimmungen dieses Titels, darüber hinaus nach freiem Ermessen vorzugehen.» In der Praxis wird oft auf Verfahrensordnungen internationaler Schiedsinstitutionen Bezug genommen.105 Dazu gehören die ICC-Regeln, die UNCITRAL Arbitration Rules oder die liechtensteinische ZPO.106 Auch kam es in der liechtensteinischen Schiedspraxis vor, dass sich ad hoc Schiedsgerichte eigene Schiedsordnungen gaben. Die Crux daran ist, dass sich die Parteien dem zu unterwerfen haben, widrigenfalls sie keine Geltung erlangen; tun die Schiedsparteien dies nicht, ist der erste Streit vorprogrammiert. Vgl. Westerdiek, Die Vorbehalte Liechtensteins zur Europäischen Menschenrechtskonvention, EuGRZ 1983, 549 ff.; StGH 20.8.1996, StGH 1996/46 in LES 1997, 148; Batliner /Gasser in Baudenbacher-FS, 721. 103 Höfling, Die liechtensteinische Grundrechtsordnung (1994) 28; Batliner /Gasser in Baudenbacher-FS, 721. 104 Hausmaninger, § 594 Rz. 134. 105 Schumacher, Schiedsverfahren 110. 106 BuA 55. 102 90 Schiedsstandort Liechtenstein Die meisten Bestimmungen des neuen Schiedsrechtes sind dispositiver Natur und können daher von den Parteien abbedungen werden. Dem Schiedsgericht wird ausserdem gesetzlich ein freies schiedsrichterliches Verfahrensermessen (§ 611 Abs. 1 ZPO) sowie freie Beweiswürdigung (§ 616 Abs. 1 ZPO) eingeräumt. Explizit genannt und tragende Pfeiler des Schiedsverfahrens sind die Grundsätze der fairen Behandlung aller Parteien, des rechtlichen Gehörs (§ 611 Abs. 2 ZPO) sowie des unveräusserlichen Rechts auf anwaltliche Vertretung und Beratung (§ 611 Abs. 3 ZPO). Die neue Schiedsordnung der Liechtensteinischen Industrie- und Handelskammer (LIHK) geht auf eine private Initiative von (schieds-) prozesserfahrenen liechtensteinischen Rechtsanwälten zurück, die sich im Sommer 2011 im Liechtensteinischen Schiedsverein (Liechtenstein Arbitration Association) mit Sitz in Vaduz organisiert haben. Dennoch ist die LIHK «Patin» der neuen Schiedsordnung, was nahe liegend ist, wenn man die vergleichbaren Schiedsordnungen anderer Institutionen (z.B. «Wiener Regeln» des Internationalen Schiedsgerichts der Wirtschaftskammer Österreichs oder die «Swiss Rules» der Schweizerischen Handelskammern)107 näher betrachtet; dadurch wird die Schiedsordnung von der privaten Initiative und ihren liechtensteinischen Proponenten entkoppelt und erhält eine dauerhafte, institutionelle und internationale Geltung und Bestandsgewähr. Mit der neuen Liechtensteinischen Schiedsordnung (Liechtenstein Rules of Arbitration) der LIHK liegt für den liechtensteinischen Rechtsbereich erstmals ein Kodex vor, der das neue Schiedsrecht und damit den attraktiven «Schiedsplatz Liechtenstein» gekonnt ergänzt. Er schafft noch mehr Rechtssicherheit und vereint die Vorteile diverser, bewährter Schiedsordnungen. Unter der Federführung von Prof. Felix Dasser, Partner von Homburger Rechtsanwälte in Zürich, wurde ein Regelwerk geschaffen, das sich v.a. an den Swiss Rules orientiert, aber aus den Fehlern der Praxis wichtigen Erkenntniswert gewonnen und umgesetzt hat. 107 Hausmaninger, § 577 Rz. 27. 91 Johannes Gasser 2. Die milestone der Liechtenstein Rules Im Anhang werden die neuen «Liechtenstein Rules» im finalen Entwurf 108 sowohl auf Deutsch als auch auf Englisch abgedruckt. Hier sei aber bereits auf einige wichtige «milestones» der Liechtenstein Rules eingegangen. a) Vertraulichkeit Das liechtensteinische Schiedsverfahren enthält keine Regelungen über den Ausschluss der Öffentlichkeit im Schiedsverfahren109; das neue Gesetz enthält nur – sehr ungünstige, weil auf einem Irrtum beruhende – Regelungen zum Aufhebungsverfahren.110 Die Liechtenstein Rules machen dieses Manko wett. Art. 29 sieht vor, dass sämtliche am Schiedsverfahren beteiligte Parteien einschliesslich Schiedsrichter, Zeugen, Sachverständige etc. bei sonstiger Konventionalstrafe von CHF 50’000 und darüber hinaus nachweispflichtigem Schadenersatz zur Verschwiegenheit verpflichtet sind. Dass das Schiedsgericht zusätzlich gebotene Massnahmen zur Wahrung von Geheimhaltungsbedürfnissen einer Partei trifft (Art. 29.3), ist dahin zu verstehen, dass die Schiedsrichter üblicherweise die Öffentlichkeit vom Verfahren ausschliessen werden. Art. 18.2 sieht ferner vor, dass auf Antrag der eine Beweisurkunde vorlegenden Partei, Urkunden und Beweismittel der Gegenpartei nicht übergeben, sondern lediglich am Sitz des Schiedsgerichtes oder einem geeigneten Ort zur Einsicht vorgelegt werden, wenn die Antrag stellende Partei ein Interesse an der Vertraulichkeit der Unterlagen darlegen kann. Ferner trifft das Schiedsgericht alle angemessenen Anordnungen zum Schutz berechtigter Geheimhaltungsinteressen der Parteien und Dritter. Es kann beispielsweise anordnen, dass ein Experte, der seinerseits einem Berufsgeheimnis untersteht, Urkunden prüft und über den erheblichen Inhalt dem Schiedsgericht Bericht erstattet, ohne dass diese Urkunden dem Schiedsgericht oder der Gegenseite selbst zur Einsicht vorzulegen sind. Zu beachten ist also, dass sich inhaltlich noch kleinere Änderungen ergeben könnten. Die Schiedsordnung in seiner endgültigen und verbindlichen Form ist aber auf der Homepage der LIHK (www.lihk.li) und des Liechtensteinischen Schiedsvereins jederzeit erhältlich. 109 Vgl. zur gleichen österreichischen Rechtslage Hausmaninger, § 594 Rz. 134. 110 Vgl. dazu schon oben B 7. c). 108 92 Schiedsstandort Liechtenstein Diskretion wird durch die Liechtenstein Rules auch deshalb gewährleistet, weil als Schiedsrichter nur Personen wählbar sind, die einer gesetzlichen Verschwiegenheitspflicht unterliegen (Art. 6.1); in Frage kommen z.B. Rechtsanwälte, Wirtschaftsprüfer oder berufsmässige Treuhänder. In der Praxis wird die Vertraulichkeit von Schiedsverfahren grosse Bedeutung haben. Viele Schiedsverfahren werden sich mit der Beilegung von Streitigkeiten aus dem Treuhandbereich beschäftigen, wo Geheimnisschutz besonderen Stellenwert hat. Durch die Liechtenstein Rules ist gewährleistet, dass dieser Schutz lückenlos bestehen bleibt. b) Verfahren Das Verfahren wird genau ausgestaltet, was mit der Zustellung sowie der Berechnung von Fristen (Art. 3) und der Einleitung des Verfahrens, also der Zustellung des schriftlichen und mit inhaltlichen Mindestvorgaben ausgestalteten Klagebegehrens durch den Kläger, beginnt (Art. 4). Auf die Klage folgt innert einer Frist von 30 Tagen die Klageantwort, die eine etwaige Widerklage sowie Verrechnungs- (Art. 5) und Unzuständigkeitseinreden (Art. 16) zu enthalten hat. Vorläufige oder sichernde Massnahmen müssen zwingend und ausschliesslich beim Schiedsgericht beantragt werden. Wenn es bereits konstituiert ist, darf ohne Genehmigung des Schiedsgerichtes keine Partei mehr solche Anträge vor staatlichen Gerichten stellen. Als Folge des Zuwiderhandelns kommt in erster Linie Schadenersatz wegen Verletzung der Verschwiegenheitsverpflichtung in Betracht (Art. 17). Wenn aber beispielsweise Drittverbote vor staatlichen Gerichten beantragt werden, ist keine vorgängige Genehmigung des bereits konstituierten Schiedsgerichtes erforderlich, weil solche Drittverbote vor Schiedsgerichten ohnehin nicht erhältlich sind.111 Die Beweisaufnahme muss nicht zwingend unmittelbar erfolgen.112 Auch besteht kein Anspruch auf die Durchführung mündlicher Verhandlungen (Art. 18), was aber dennoch die Regel sein wird. Wenn eine Partei eine mündliche Verhandlung beantragt, sich jedoch das Schiedsgericht darüber hinwegsetzt und auf ein schriftliches Verfahren beschränkt, riskiert es eine Aufhe111 112 Vgl. oben B 5. Vgl. dazu generell Schumacher, Schiedsverfahren 110 m.w.N. 93 Johannes Gasser bung des Schiedsurteils wegen Verfahrensmangel.113 Jedoch sind solche Verfahrensmängel unverzüglich zu rügen, widrigenfalls sie als geheilt gelten (Art. 21.1). Beweisurkunden können von der Gegenpartei nur herausverlangt werden, wenn es sich um gemeinsame oder solche Urkunden handelt, auf die sich (auch) die Gegenpartei berufen hat oder zu deren Herausgabe sie nach bürgerlichem Recht verpflichtet ist (§ 304 ZPO). Auch wenn nach den Liechtenstein Rules auch Parteien als Zeugen gelten können (Art. 18.5), können sich diese (im Unterschied zu Zeugen) meines Erachtens dennoch auf das Recht berufen, Antworten auf bestimmte Fragen zu verweigern.114 Ganz generell hindert im Übrigen auch die unentschuldigte Säumnis einer Partei nicht den Fortgang und Abschluss des Schiedsverfahrens (Art. 19). c) Kosten Die Kosten des Schiedsverfahrens werden ebenfalls in den Rules genauer geregelt. Sie sind grundsätzlich von der unterliegenden Partei nach Massgabe des Unterliegens zu tragen (Art. 27.1: «looser pays all») und ähnlich gestaffelt wie in den Swiss Rules, unterschreiten aber deren Tarife um bis zu 15 %, was den Schiedsstandort Liechtenstein damit in materieller Hinsicht als «günstiger» erscheinen lässt. So kostet ein Verfahren vor einem Dreierschiedsgericht nach den Liechtenstein Rules bei einem Streitwert von beispielsweise bis zu CHF 250’000 CHF 14’000, bei CHF 1 Mio. Streitwert CHF 42’000 und bei CHF 15 Mio. Streitwert CHF 165’000. Mit dieser Pauschale sind sämtliche Verfahrensschritte bis einschliesslich der Erlassung des Schiedsspruches abgedeckt (Art. 26). Üblicherweise wird das Schiedsgericht sofort beide Parteien zur Hinterlegung eines Kostenvorschusses auffordern (Art. 28). Kommt die beklagte Partei dieser Pflicht nicht nach und hinterlegt die klagende Partei nicht an ihrer Stelle, kann das Schiedsgericht das Verfahren vorzeitig beenden. Auf Verlangen des Klägers kann dem Beklagten vom Schiedsgericht auch eine aktorische Kaution, also eine Sicherheitsleistung für Prozess- und Anwaltskosten des Beklagten, sowie ein Vorschuss für die Gerichtskosten auferlegt werden (Art. 28.3). Das ist ein entscheidender Vorteil der Liechtenstein Rules, denn nur bei entsprechender Parteivereinbarung (wie z.B. in einer Schiedsordnung) ist die Auferlegung von Kautionen und Vorschüssen im Hinblick auf die 113 114 94 Vgl. Mayr, Schiedsverfahrensrecht 2, 25 und EvBl 2010/148. Vgl. dazu §§ 380 ff. ZPO. Schiedsstandort Liechtenstein Gewährung rechtlichen Gehörs und einen allfälligen Aufhebungsgrund absolut unbedenklich.115 Hat der Kläger nachweislich keine Mittel zur Bestreitung der Kosten oder Vorfinanzierung eines Schiedsverfahrens, gilt der Schiedsvertrag als aufgehoben, und es steht ihm der Weg zur Anrufung staatlicher Gerichte offen.116 d) Schiedsrichterhaftung Ein Schiedsrichter, welcher die durch Annahme der Bestellung übernommene Verpflichtung gar nicht oder nicht rechtzeitig erfüllt, haftet den Parteien für allen durch seine schuldhafte Weigerung oder Verzögerung verursachten Schaden (§ 611 Abs. 4 ZPO). Nach ständiger Rechtsprechung und Lehre der vergleichbaren und deshalb bedenkenlos anwendbaren österreichischen Rechtsordnung macht nur ein die Unwirksamkeit des Schiedsspruches verursachendes schuldhaftes Verhalten des Schiedsrichters diesen schadenersatzpflichtig. Dafür ist also Voraussetzung, dass überhaupt ein Schiedsspruch vorliegt, dieser infolge erfolgreicher Anfechtung und Aufhebung durch das FL Obergericht unwirksam ist und dies vom Schiedsrichter rechtswidrig, adäquat und schuldhaft verursacht wurde.117 Da die gesetzliche Regelung dispositiv ist, können die Parteien mit den Schiedsrichtern einen anderen Haftungsmassstab vereinbaren.118 Dies ist mit Art. 30 Liechtenstein Rules insoweit erfolgt, als inbesondere Schiedsrichter, Kommissär und ihre Hilfspersonen und Sachverständigen für keine ihrer Handlungen oder Unterlassungen in einem Schiedsverfahren haften, es sei denn, die Haftung wäre gesetzlich zwingend vorgesehen. Der Haftungsausschluss wird dahin gehend zu verstehen sein, dass Schiedsrichter nur für vorsätzliches und krass fahrlässiges Verhalten einzustehen haben.119 e) Kommissär Damit insbesondere die Bestellung und Abberufung von Schiedsrichtern problemlos und rasch erfolgt, wurde eine eigene Instanz vorgesehen. Es obliegt Vgl. oben B 6 a). FL OGH 11.6.2010, CG.2008.251, RN 7.3. 117 Hausmaninger, § 594 Rz. 122 ff.; BuA 57 ff. 118 Hausmaninger, § 594 Rz. 126. 119 Hausmaninger, § 594 Rz. 128. 115 116 95 Johannes Gasser dem Kommissär, Einzelschiedsrichter (Art. 8.2) oder Schiedsrichter eines Dreier-Schiedsgerichtes (Art. 9.2 und 9.4) zu nominieren, wenn die Parteien dabei scheitern. Auch kann er befangene Schiedsrichter absetzen (Art. 12) oder Schiedsrichter, die ihren Verpflichtungen nicht mehr nachkommen, ersetzen (Art. 13). Kommissäre werden jeweils vom Sekretariat des LIHK eigens für ein bestimmtes Schiedsverfahren ernannt; ihre Entscheidungen sind endgültig (Art. 32). D. Ausblick Liechtenstein hat mit dem neuen Schiedsverfahrensrecht einen entscheidenden Schritt gesetzt, eine wichtige Rolle im internationalen Konzert der Schiedsstandorte einzunehmen. Bisher fristete das Schiedsrecht in der liechtensteinischen Praxis eher eine Aussenseiterstellung. Das wird sich nun wohl schnell ändern. Vor allem die «Player» des Finanzplatzes Liechtenstein wie Banken, Versicherer, Vermögensverwalter, Investmentfonds und Treuhänder werden gut beraten sein, aufgrund der entscheidenden Vorteile der privaten Streitbeilegung für mögliche Konflikte mit Kunden und Geschäftspartnern ad hoc Schiedsgerichte mit Sitz in Liechtenstein in vertraglichen oder statutarischen Schiedsklauseln vorzusehen. Aufgrund der neuen liechtensteinischen Schiedsordnung der Liechtensteinischen Industrie- und Handelskammer (LIHK), den sogenannten «Liechtenstein Rules», wird die Attraktivität noch verstärkt. Damit sollen vor allem Parteien, die bislang noch keinen Bezug zu Liechtenstein hatten, motiviert werden, ihre möglichen zivilrechtlichen Streitigkeiten durch liechtensteinische Schiedsgerichte austragen zu lassen. Dabei kommen ihnen die Vorteile des Finanzplatzes Liechtenstein entgegen, die sich ideal mit jenen des neuen Schiedsstandortes verbinden lassen. Mit dem neuen Schiedsverfahrensrecht und den «Liechtenstein Rules» ist also ein diskreter, rascher, von Experten geführter und relativ günstiger Streitbeilegungsmechanismus geschaffen worden, der wohl bald über die Grenzen Liechtensteins hinweg von sich reden machen wird. Bleibt letztlich die Frage, ob Stiftungsräte für bestehende Stiftungen neu Schiedsklauseln vorsehen dürfen. Der FL Oberste Gerichtshof hatte sich erst unlängst mit dieser Frage in umgekehrter Richtung auseinander zu setzen und sie bejaht. Hat demnach der Stiftungsrat gemäss Statuten ein Änderungsrecht eingeräumt erhalten, beziehe sich dieses nicht nur auf begünstigungsrelevante 96 Schiedsstandort Liechtenstein Bestimmungen, sondern auch auf Organisationsbestimmungen wie z.B. Schiedsklauseln. Deshalb könnte ein Stiftungsrat solche Schiedsklauseln jederzeit aufheben. Die Sachlichkeit einer solchen Entscheidung sei auch durch die festgestellte Höhe der Kosten des Schiedsverfahrens vor der Genfer Industrie- und Handelskammer indiziert.120 Deshalb muss es aus meiner Sicht ohne weiteres auch Stiftungsräten von Stiftungen, deren Statuten keine Schiedsklauseln vorsehen, möglich sein, von einem rechtmässig in Statuten vorbehaltenen Änderungsrecht gem. Art. 552 § 32 PGR Gebrauch zu machen und für sämtliche Streitigkeiten im Bereich der Stiftung ein liechtensteinisches Schiedsgericht sowie die Geltung der Liechtenstein Rules vorzusehen.121 Die bereits vorgestellten Vorteile der Liechtenstein Rules stellen meines Erachtens jedenfalls eine sachliche Rechtfertigung für eine solche Statutenänderung dar. 120 121 FL OGH 3.12.2009, CG.2008.123. Für Vereine vertritt Hausmaninger, § 581 Rz. 314, die Meinung, dass, weil die Vereinbarung eines Schiedsgerichtes den Justizgewährungsanspruch berührt, die Aufhebung von Schiedsvereinbarungen in Vereinsstatuten zulässig, hingegen die Aufnahme unzulässig sein soll; was für Genossenschaften und Vereine gilt, ist aber m.E. keineswegs auf Stiftungen auszudehnen, zeichnen sich doch nachgerade Stiftungen durch die Abstinenz von jeglicher demokratischen Mitsprache der Begünstigten oder anderer mitgliedschaftlicher Rechte – im Unterschied zu jenen von Vereinsmitgliedern oder Genossenschaftern – aus; im Stiftungsrecht kann es aber nur auf den Stifterwillen ankommen (der durch den Stiftungsrat mit vorbehaltenen Änderungsrechten substituiert werden kann) und nicht darauf, welchen Justizgewährungsanspruch Begünstigte für sich beanspruchen wollen. 97 Johannes Gasser Schiedsordnung der Liechtensteinischen Industrie- und Handelskammer (LIHK) Fürstentum Liechtenstein 2012 Inhaltsübersicht I. Schiedsregeln A. Allgemeine Bestimmungen Anwendungsbereich Sitz Zustellung und Berechnung von Fristen Einleitung des Schiedsverfahrens B. Zusammensetzung des Schiedsgerichts Wählbarkeitsvoraussetzung Anzahl der Schiedsrichter Bestellung eines Einzelschiedsrichters Bestellung eines Dreier-Schiedsgerichts Unabhängigkeit und Ablehnung von Schiedsrichtern Ersetzung eines Schiedsrichters C. Schiedsverfahren Allgemeine Bestimmungen Zuständigkeit des Schiedsgerichts Vorläufige oder sichernde Massnahmen Beweisaufnahme Säumnis Schluss des Verfahrens Verzicht auf die Geltendmachung eines Verstosses gegen die Verfahrensregeln D. Schiedsspruch Entscheidungen Form und Wirkung des Schiedsspruches Anzuwendendes Recht E. Kosten Kostenfestlegung Hinterlegung eines Kostenvorschusses F. Vertraulichkeit Haftungsausschluss G. Sekretariat und Kommissär II. Anhang A – Kostenordnung A. Kosten des Sekretariats B. Kosten des Kommissärs C. Honorar der Schiedsrichter D. Steuern und Abgaben 98 99 99 99 100 100 101 102 102 103 104 104 105 106 106 106 107 108 108 110 110 110 111 111 111 112 112 112 113 115 116 116 119 119 119 119 121 Schiedsstandort Liechtenstein III. Musterschiedsklauseln Für Vertragsstreitigkeiten: Für Trusts: Für Stiftungen Für Gesellschaften I. Schiedsregeln A. Allgemeine Bestimmungen 122 122 122 122 123 Anwendungsbereich Article 1 1.1 Die Schiedsordnung ist anwendbar auf nationale und internationale Schiedsverfahren, wenn die Parteien die Zuständigkeit eines Schiedsgerichts gemäss dieser Schiedsordnung vereinbart haben. Eine genaue Bezeichnung dieser Schiedsordnung in der Schiedsvereinbarung ist nicht erforderlich; es genügt, wenn aus der verwendeten Bezeichnung mit hinreichender Sicherheit geschlossen werden kann, dass die Parteien diese Schiedsordnung und nicht eine andere gemeint haben dürften. 1.2 Die Parteien können abweichende Regelungen treffen. 1.3 Vorbehältlich einer anderen Vereinbarung der Parteien ist die jeweils im Zeitpunkt der Einleitung des Schiedsverfahrens (Eingang der Klageschrift bei der beklagten Partei, der als erster zugestellt wurde) gültige Fassung der Schiedsordnung massgeblich. 1.4 Soweit diese Schiedsordnung keine Bestimmung enthält und vorbehältlich einer Regelung des anwendbaren staatlichen Rechts, orientiert sich das Schiedsgericht an den berechtigten Interessen der Parteien unter angemessener Berücksichtigung bewährter Schiedspraxis. 1.5 Diese Schiedsregeln werden in mehreren Sprachen von der Liechtensteinischen Industrie- und Handelskammer (LIHK) bzw. dem Sekretariat für das Schiedswesen publiziert. Gibt es eine Publikation in der Verfahrenssprache des konkreten Schiedsverfahrens, ist die entsprechende Version dem Verfahren zu Grunde zu legen, in allen anderen Fällen die englische Version. 99 Johannes Gasser Sitz Article 2 2.1 Die Parteien können jeden Ort als Sitz bestimmen. Die Schiedsordnung ist auch anwendbar, wenn die Parteien einen Sitz ausserhalb Liechtensteins wählen, allerdings unter Vorbehalt der zwingend anwendbaren Rechtsvorschriften im Sitzstaat. 2.2 Soweit die Parteien keine andere Abrede getroffen haben, ist der Sitz des Schiedsgerichts in Vaduz, Fürstentum Liechtenstein. Soweit die Parteien nur den Sitzstaat oder ein Territorium vereinbart haben, gilt dessen Hauptstadt als Schiedsort. 2.3 Erachtet es das Schiedsgericht dem Verfahren dienlich, so können Verhandlungen auch an einem anderen Ort als dem Sitz des Schiedsverfahrens durchgeführt werden. Zustellung und Berechnung von Fristen Article 3 3.1 Eine Mitteilung gilt als zugegangen, wenn sie dem Empfänger selbst übergeben oder an seinem gewöhnlichen Aufenthalt, an seinem Geschäftssitz oder an seiner Postanschrift oder – wenn keine dieser Anschriften nach angemessenen Nachforschungen festgestellt werden konnte – am letzten bekannten Aufenthalt oder Geschäftssitz des Empfängers abgegeben wurde. Als Empfangstag gilt der Tag dieser Zustellung. 3.2 Zum Zweck der Berechnung einer in dieser Schiedsordnung bestimmten Frist beginnt die Frist mit dem Tag zu laufen, der auf den Tag folgt, an dem die Mitteilung zugegangen ist. Ist der letzte Tag der Frist am Aufenthaltsort oder am Geschäftssitz des Empfängers dieser Mitteilung ein staatlicher Feiertag oder ein generell arbeitsfreier Tag, so wird die Frist bis zum ersten folgenden Werktag verlängert. Vorbehalten bleiben besondere Anordnungen des Schiedsgerichts. 3.3 Zur Einhaltung einer Frist genügt Zustellung per Telefax, wenn die Eingabe innert Frist auch einer staatlichen Post oder einem anerkannten Kurierdienst zur Zustellung übergeben worden ist. Vorbehalten bleiben besondere Anordnungen des Schiedsgerichts. 100 Schiedsstandort Liechtenstein Einleitung des Schiedsverfahrens Article 4 4.1 Die Einleitung des Verfahrens erfolgt durch Zustellung des schriftlichen Klagebegehrens durch den Kläger an den Beklagten. 4.2 Das Schiedsverfahren gilt als an dem Tag begonnen, an dem dem Beklagten das Klagebegehren zugegangen ist. Im Mehrparteienverfahren gilt das Schiedsverfahren als am ersten Tag begonnen, an welchem das Klagebegehren einem Beklagten zugegangen ist. 4.3 Das Klagebegehren ist in der von den Parteien vereinbarten Verfahrenssprache und mangels einer solchen Vereinbarung nach Wahl des Klägers in Englisch oder Deutsch zu verfassen. 4.4 Der Kläger hat jeder Gegenpartei ein Exemplar des Klagebegehrens zu übermitteln. 4.5 Das Klagebegehren hat folgende Angaben zu enthalten: (a) das Begehren, die Streitigkeit der Schiedsgerichtsbarkeit zu unterwerfen, unter Beilage einer Kopie der Schiedsvereinbarung, soweit verfügbar; (b) die Namen und die Kontaktangaben (Adressen, Telefon- und TelefaxNummern) der weiteren Gegenparteien und ihrer Vertreter, soweit bekannt; (c) das Klagebegehren mit vollständiger Begründung; (d) einen Vorschlag hinsichtlich der Anzahl der Schiedsrichter (d.h. ein oder drei Schiedsrichter) und der Verfahrenssprache, wenn die Parteien darüber nichts vereinbart haben; (e) Falls drei Schiedsrichter vorgeschlagen werden oder vereinbart wurden, Name und Kontaktdetails des vom Kläger zu benennenden Schiedsrichters. 4.6 Das Klagebegehren kann folgende weitere Angaben enthalten: (a) den Vorschlag des Klägers für die Bestellung eines Einzelschiedsrichters gemäss Article 8; (b) prozessuale Anträge, die vom Schiedsgericht nach dessen Bestellung zu entscheiden sind. 4.7 Falls das Klagebegehren diesen Vorgaben nicht entspricht, kann das Schiedsgericht über Aufforderung des Beklagten den Kläger zur Behebung der Mängel innert angemessener Frist auffordern. Falls der Kläger diesen Aufforderungen innerhalb der gesetzten Frist nachkommt, gilt das Klagebegehren als an dem Tag eingereicht, an welchem die ursprüngliche Fassung zugestellt wurde. Andernfalls wird das Verfahren beendet. 101 Johannes Gasser Article 5 5.1 Der Beklagte hat innerhalb von 30 Tagen nach Empfang des Klagebegehrens dem Kläger eine Klageantwort zu übermitteln. Die Klageantwort ist auch jeder anderen Partei durch den Beklagten zuzustellen. 5.2 Die Klageantwort hat soweit möglich die folgenden Angaben zu enthalten: (a) Namen und Kontaktangaben (Adressen, Telefon- und Telefax-Nummern) des Beklagten und seines Vertreters (falls diese von der Bezeichnung im Klagebegehren abweichen); (b) eine allfällige Einrede, wonach einem gemäss der Schiedsordnung konstituierten Schiedsgericht die Zuständigkeit fehlt; (c) eine vollständige Stellungnahme des Beklagten zu den Klagebegehren und deren Begründung, bzw. eine partielle Stellungnahme mit begründetem Antrag an das Schiedsgericht auf einstweilige Beschränkung des Prozessthemas; (d) den Vorschlag des Beklagten über die Anzahl der Schiedsrichter (einer oder drei), und der Verfahrenssprache, wenn die Parteien darüber nichts vereinbart haben; (e) den Vorschlag des Beklagten für die Bestellung eines Einzelschiedsrichters gemäss Artikel 8 bzw. die Bezeichnung eines Schiedsrichters durch den Beklagten im Hinblick auf die Konstituierung eines Dreierschiedsgerichts gemäss Artikel 9. 5.3 Widerklagen oder Verrechnungseinreden sind grundsätzlich mit der Klageantwort des Beklagten zu erheben. Es gelten die Bestimmungen von Artikel 4.5 sinngemäss. 5.4 Im Fall einer Widerklage hat der Kläger innerhalb von 30 Tagen nach Empfang der Widerklage dem Beklagten eine Widerklageantwort zu übermitteln. Die Bestimmungen von Artikel 5.1 und 5.2 gelten sinngemäss. B. Zusammensetzung des Schiedsgerichts Wählbarkeitsvoraussetzung Article 6 6.1 102 Soweit in der Schiedsvereinbarung nichts anderes vorgesehen ist oder alle Parteien oder der Kommissär zustimmen, sind nur Personen wählbar, die einer gesetzlichen Verschwiegenheitsverpflichtung unterliegen, welche zumindest die Strafbarkeit der Verletzung dieser Verschwiegenheitspflicht und ein Zeugnisverweigerungsrecht in Zivilsachen beinhalten (namentlich Schiedsstandort Liechtenstein Rechtsanwälte, Wirtschaftsprüfer, Patentanwälte und berufsmässige Treuhänder, die liechtensteinischem Recht unterstehen). Eine ausschliessliche disziplinäre Strafbarkeit ist nur ausreichend, wenn die Strafsanktion der liechtensteinischen gesetzlichen Strafsanktion für Rechtsanwälte insgesamt zumindest gleichwertig ist. Wird ein Schiedsrichter nominiert, so hat er diese Wählbarkeitsvoraussetzung schriftlich zu bestätigen und die entsprechenden gesetzlichen Bestimmungen anzuführen. Im Bestreitungsfall entscheidet der Kommissär endgültig. Das Verfahren richtet sich nach Artikel 11. 6.2 Das Sekretariat veröffentlicht eine Liste mit Ländern und Berufen, die jedenfalls die Voraussetzungen dieses Artikels erfüllen. Anzahl der Schiedsrichter Article 7 7.1 Enthält die Schiedsvereinbarung keine Regelung der Anzahl der Schiedsrichter und einigen sich die Parteien nicht auf die Anzahl der Schiedsrichter, so ist, wenn das Klagebegehren auf Geld gerichtet ist, bei einem CHF 1’000’000 (oder Gegenwert) erreichenden oder übersteigenden Begehren unter Berücksichtigung allfälliger Widerklagen und Verrechnungseinreden gemäss Artikel 5.3 ein Dreier-Schiedsgericht zuständig. Liegt die bei einem auf Geld gerichteten Klagebegehren streitige Summe unter CHF 1’000’000, so fällt die Streitsache in die Zuständigkeit eines Einzelschiedsrichters. 7.2 Ist das Klagebegehren nicht auf Geld gerichtet, so hat der Kläger den Streitwert zu bemessen. Bestreitet der Beklagte eine gemäss Artikel 7.2 festgesetzte Summe und ist strittig, ob der Streitwert unter CHF 1’000’000 liegt, ist die Zuständigkeit eines Dreier-Schiedsgerichts gegeben. 7.3 Die Bewertung erfolgt zu jenem Datum, an dem das entsprechende Begehren der Gegenpartei zugestellt wurde, bei mehreren Gegenparteien zum Datum der ersten Zustellung an einen von ihnen. 7.4 Sieht die Schiedsvereinbarung eine gerade Anzahl von Schiedsrichtern vor, so ernennt der Kommissär über Aufforderung eines Schiedsrichters einen Vorsitzenden des Schiedsgerichts mit Stichentscheid. Diese Aufforderung kann jederzeit während des Verfahrens erfolgen. Das Schiedsgericht entscheidet selbst, ob und in wie weit vor Ernennung des Vorsitzenden erfolgte Verfahrensschritte wiederholt werden müssen. 103 Johannes Gasser Bestellung eines Einzelschiedsrichters Article 8 8.1 Haben zwei oder mehr Parteien die Zuweisung der Streitsache an einen Einzelschiedsrichter vereinbart, haben sie vorbehaltlich einer anderen Vereinbarung den Einzelschiedsrichter gemeinsam innerhalb einer Frist von 21 Tagen nach Zustellung der Klageantwort zu bezeichnen. Selbiges gilt, wenn sich die Zuweisung der Streitsache an einen Einzelschiedsrichter aus Article 7 ergibt. Die Frist beginnt auch dann zu laufen, wenn ein oder mehrere Beklagte mit der Klageantwort säumig sind. 8.2 Erzielen die Parteien keine Einigung über die Benennung des Einzelschiedsrichters, ernennt der Kommissär den Einzelschiedsrichter über Antrag einer Partei. Bestellung eines Dreier-Schiedsgerichts Article 9 9.1 Wird eine Streitsache, bei der sich zwei Parteien gegenüberstehen, einem Dreierschiedsgericht zugewiesen, bezeichnet jede Partei einen Schiedsrichter. Die beiden so ernannten Schiedsrichter haben innerhalb von 21 Tagen einen dritten Schiedsrichter als Vorsitzenden des Schiedsgerichts zu bezeichnen. Bei Säumnis oder mangels Einigung ernennt der Kommissär über Aufforderung einer Partei den Vorsitzenden. Vorbehalten ist eine anders lautende Regelung in der Schiedsvereinbarung. 9.2 Unterlässt es eine Partei, einen Schiedsrichter innerhalb der in der Schiedsvereinbarung festgelegten Frist oder, falls keine vereinbart wurde, innerhalb einer Frist von 21 Tagen nach dem für sie geltenden Termin (Klagebegehren; Klageantwort) zu bezeichnen, ernennt der Kommissär über Aufforderung einer Partei den Schiedsrichter. Die säumige Partei kann bis zur Entscheidung durch den Kommissär ihre Wahl nachholen, jedoch hat das Schiedsgericht auf Antrag einer anderen Partei unmittelbar nach seiner Konstituierung der säumigen Partei alle aus der Säumnis entstanden Kosten aufzuerlegen (Teilschiedsspruch). 9.3 Haben die Parteien in Mehrparteienverfahren keine Vereinbarung über die Konstituierung des Schiedsgerichts getroffen, so haben mehrere Kläger einen gemeinsamen Schiedsrichter im Klagebegehren zu benennen. Mehrere Beklagte haben eine 30-tägige Frist zur Bezeichnung eines gemeinsamen Schiedsrichters ab Zustellung des Klagebegehrens an den letzten Beklagten. Haben die Parteien oder Parteigruppen je einen Schiedsrichter bezeichnet, gilt Artikel 9.1 über die Bezeichnung des Vorsitzenden analog. 104 Schiedsstandort Liechtenstein 9.4 Hat in einem Mehrparteienverfahren die eine Seite einen Schiedsrichter gewählt, kann sich jedoch die andere Seite nicht auf einen Schiedsrichter einigen, so geht das Recht, beide Schiedsrichter zu bestimmen, auf den Kommissär über. Dieser wählt beide Schiedsrichter unter bestmöglicher Berücksichtigung der Parteiinteressen. Der Kommissär kann auch einen jener Schiedsrichter bestimmen, den eine oder mehrere Parteien der entsprechenden Seite für sich gewählt oder den Parteien dieser Seite vorgeschlagen haben. Unabhängigkeit und Ablehnung von Schiedsrichtern Article 10 10.1 Schiedsrichter, die Verfahren unter dieser Schiedsordnung führen, müssen zu jeder Zeit unparteiisch und von den Parteien unabhängig sein und bleiben. 10.2 Wer als Schiedsrichter angefragt wird, hat alle Umstände schriftlich bekanntzugeben, die geeignet sind, berechtigte Zweifel an seiner Unparteilichkeit oder Unabhängigkeit aufkommen zu lassen. Es obliegt der ernennenden Person, dem angefragten Schiedsrichter die dazu erforderlichen Informationen über die Parteien und den Streitgegenstand zukommen zu lassen. Nach seiner Bestellung hat der Schiedsrichter den Parteien und den übrigen Mitgliedern des Schiedsgerichts solche Umstände unverzüglich mitzuteilen, es sei denn, er habe sie schon vorher darüber unterrichtet. Jeder Schiedsrichter hat seine Unabhängigkeit und Unparteilichkeit bei seiner Bestellung schriftlich zu bestätigen. Ebenso hat er zu bestätigen, dass er sich dieser Schiedsordnung in seiner Eigenschaft als Schiedsrichter unterwirft, insbesondere den Vertraulichkeitsbestimmungen. Article 11 11.1 Jeder Schiedsrichter kann abgelehnt werden, wenn Umstände vorliegen, die Anlass zu berechtigten Zweifeln an seiner Unparteilichkeit oder Unabhängigkeit geben. Die Ablehnung hat innert 15 Tagen nach Erhalt der Mitteilung der Ernennung bzw. nachdem dieser Partei die massgebenden Umstände bekannt geworden sind, an den betroffenen Schiedsrichter unter Angabe der Gründe zu erfolgen. 11.2 Eine Partei kann den von ihr bestellten Schiedsrichter nur aus Gründen ablehnen, von denen sie erst nach der Bestellung Kenntnis erhalten hat. 11.3 Der abgelehnte Schiedsrichter hat innert 15 Tagen nach Erhalt der Ablehnung zurückzutreten oder allen Parteien und den übrigen Schiedsrichtern schriftlich mitzuteilen, dass er nicht zurücktritt. Eine Kopie des Ablehnungsschreibens ist dieser Mitteilung anzuschliessen, soweit andere Parteien diese noch nicht erhalten haben. Tritt der abgelehnte Schiedsrichter nicht zurück, so kann die ablehnende Partei binnen 7 Tagen nach Erhalt der entsprechenden 105 Johannes Gasser Mitteilung bzw. unbenutztem Ablauf der Frist, die Entscheidung des Kommissärs über die Ablehnung verlangen. Der Kommissär entscheidet über das Ablehnungsbegehren innert 30 Tagen nach dessen Eingang. Article 12 12.1 Kommt ein Schiedsrichter seinen Verpflichtungen trotz schriftlicher Mahnung und geeigneter Fristsetzung durch die anderen Schiedsrichter oder eine Partei nicht nach, so kann der Kommissär ihn auf Antrag einer Partei oder eines Schiedsrichters nach Anhörung abberufen. Der Entscheid ist endgültig. Ersetzung eines Schiedsrichters Article 13 Verstirbt ein von den Parteien bezeichneter Schiedsrichter oder ist er aus Gründen, die nicht von ihm zu vertreten sind, nicht mehr in der Lage, seinen Verpflichtungen nachzukommen, ist die Partei, welche den Schiedsrichter bezeichnet hat, innerhalb einer Frist von 21 Tagen ab sicherer Kenntnis dieses Umstands zur Bezeichnung eines Ersatzschiedsrichters verpflichtet. Kommt die Partei dieser Verpflichtung auch nach Abmahnung durch eine Gegenpartei oder einen Schiedsrichter unter Ansetzung einer Nachfrist von 14 Tagen nicht nach, so bestimmt der Kommissär über Antrag einer Partei oder eines Schiedsrichters einen Ersatzschiedsrichter. In gleicher Weise ist vorzugehen, wenn ein Schiedsrichter erfolgreich abgelehnt oder anderweitig abberufen wurde oder zurückgetreten ist, oder mehrere Parteien den Schiedsrichter wählten, sich aber auf einen Nachfolger nicht einigen können. Article 14 Wird ein Schiedsrichter ersetzt, nimmt das Verfahren in der Regel an der Stelle seinen Fortgang, an welcher der Vorgänger ausgeschieden ist, soweit das Schiedsgericht nichts anderes entscheidet. C. Schiedsverfahren Allgemeine Bestimmungen Article 15 15.1 106 Vorbehaltlich dieser Schiedsordnung, der Bestimmungen der Schiedsklausel oder des Schiedsvertrages und der Vereinbarungen der Parteien kann das Schiedsgericht das Schiedsverfahren nach freiem Ermessen durchführen, vorausgesetzt die Gleichbehandlung und das rechtliche Gehör der Parteien sind gewahrt. Es bemüht sich im Rahmen seines Ermessens um eine faire, Schiedsstandort Liechtenstein effiziente und kostengünstige Verfahrensabwicklung. Die Parteien sind zur Mitwirkung nach Treu und Glauben verpflichtet. 15.2 Das Schiedsgericht hat in einem frühen Verfahrenszeitpunkt und nach Anhörung der Parteien einen provisorischen Zeitplan für das Verfahren bis zur Zustellung des Schiedsspruchs zu erstellen. 15.3 Das Schiedsgericht bestimmt nach Anhörung der Parteien die Verfahrenssprache, soweit sie nicht von den Parteien vereinbart worden ist. 15.4 Soweit nichts anderes vereinbart oder vom Schiedsgericht bestimmt ist, erfolgt mindestens ein Schriftenwechsel in Form von Klageschrift, Klageantwort und, gegebenenfalls, Widerklageantwort. Das Schiedsgericht entscheidet über die Zulässigkeit weiterer Eingaben und bestimmt die Fristen. Das Schiedsgericht beachtet dabei das rechtliche Gehör der Parteien. 15.5 Neue oder geänderte Rechtsbegehren nach Einreichung der Klage bzw. der Klageantwort bedürfen der Zulassung durch das Schiedsgericht. Das Schiedsgericht berücksichtigt dabei die Enge des sachlichen Zusammenhangs, die Interessen der Parteien und die Auswirkungen auf den Ablauf des Verfahrens. Zuständigkeit des Schiedsgerichts Article 16 16.1 Die Einrede der Unzuständigkeit des Schiedsgerichts ist spätestens in der Klageantwort, bzw., im Falle einer Widerklage, Verrechnungseinrede oder Änderung der Rechtsbegehren (gemäss Artikel 15.5) oder der rechtlichen Anspruchsgrundlagen, in der ersten Stellungnahme dazu zu erheben. Das Schiedsgericht kann eine spätere Einrede zulassen, wenn es die Verspätung im Einzelfall als entschuldbar erachtet. Vorbehaltlich der Zulassung einer späteren Einrede durch das Schiedsgericht, gilt die Zustimmung zur Erledigung der Sache durch das Schiedsgericht als erteilt, wenn eine Einrede der Unzuständigkeit nicht fristgerecht vorgebracht wird. 16.2 Das Schiedsgericht ist befugt, in einem Zwischenentscheid oder im Endentscheid über Einreden gegen seine Zuständigkeit einschliesslich aller Einwendungen, die das Bestehen oder die Gültigkeit der Schiedsvereinbarung betreffen, zu entscheiden. Das Schiedsgericht kann das Verfahren nach eigenem Ermessen weiterführen und einen Schiedsspruch erlassen, auch wenn eine gerichtliche Anfechtung eines Zuständigkeitsentscheides hängig ist. 16.3 Das Schiedsgericht ist zur Beurteilung einer Verrechnungseinrede grundsätzlich zuständig. Es kann die Beurteilung einer Verrechnungseinrede verweigern, wenn die verrechnungsweise geltend gemachte Forderung als solche nicht in die Zuständigkeit des Schiedsgerichts fallen würde und ent- 107 Johannes Gasser weder die Beurteilung der Verrechnungsforderung das Verfahren derart verzögert oder erschwert, dass die berechtigten Interessen der Gegenpartei wesentlich beeinträchtigt werden, oder anderweitig berechtigte Interessen der Gegenpartei dies erfordern. 16.4 Das Schiedsgericht ist zur Beurteilung einer Widerklage nur zuständig, wenn diese der gleichen Schiedsvereinbarung der Parteien unterliegt. Vorläufige oder sichernde Massnahmen Article 17 17.1 Auf Antrag einer Partei kann das Schiedsgericht alle vorläufigen oder sichernden Massnahmen treffen, die es für notwendig oder angemessen erachtet. 17.2 Diese vorläufigen oder sichernden Massnahmen können in der Form eines vorläufigen Schiedsspruchs getroffen werden. Das Schiedsgericht ist berechtigt und angehalten, die Leistung einer angemessenen Sicherheit zu verlangen und diese bei Bedarf anzupassen. 17.3 Ist das Schiedsgericht konstituiert und haben die Parteien nichts anderes vereinbart, darf keine Partei bei einem staatlichen Gericht Anträge über vorläufige oder vorsorgliche Massnahmen ohne Genehmigung des Schiedsgerichts stellen. Bei einem Schiedsgericht mit drei Schiedsrichtern entscheidet über die Erlaubnis zu Anträgen von Parteien auf vorsorgliche Massnahmen an staatliche Gerichte der Vorsitzende des Schiedsgerichts allein. Es liegt in seinem Ermessen, ob er die Gegenseite vorher anhört oder nicht. Eine stattgebende Entscheidung muss nicht begründet und soll den Gegenparteien oder anderen Parteien des Schiedsverfahrens nicht vor der Entscheidung des staatlichen Gerichts zugestellt werden. 17.4 Verstösst eine Partei gegen dieses Gebot, kann das Schiedsgericht über Antrag einer Gegenpartei geeignete Anordnungen zur Abhilfe treffen. Überdies kann der Verstoss eine Verletzung der Vertraulichkeitsbestimmungen darstellen und die Gegenparteien können entsprechend Schadenersatz und Zahlung gemäss Artikel 29.7 begehren. Beweisaufnahme Article 18 18.1 108 Das Schiedsgericht entscheidet selbständig über die Beweisaufnahme. Es besteht kein Anspruch einer Partei auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung, soweit dies nicht gesetzlich zwingend vorgesehen ist. Schiedsstandort Liechtenstein 18.2 Die Vorlage von Urkunden durch die Gegenpartei richtet sich grundsätzlich nach §§ 303 ff. der liechtensteinischen Zivilprozessordnung. Das Schiedsgericht hat auf Antrag der vorlegenden Partei anzuordnen, dass Urkunden und Beweismittel der Gegenpartei nicht übergeben, sondern lediglich am Sitz des Schiedsgerichts oder einem anderen geeignetem Ort zur Einsicht vorgelegt werden, wenn die antragstellende Partei ein Interesse an der Vertraulichkeit der Unterlagen darlegen kann. Es trifft ferner alle angemessenen Anordnungen zum Schutz berechtigter Geheimhaltungsinteressen der Parteien und Dritter. Es kann insbesondere anordnen, dass ein Experte, der seinerseits einem Berufsgeheimnis untersteht, Urkunden prüft und über den erheblichen Inhalt dem Schiedsgericht Bericht erstattet, ohne dass diese Urkunden dem Schiedsgericht oder der Gegenseite selbst zur Einsicht vorzulegen sind. 18.3 Die Nicht-Vorlage von Urkunden, zu deren Vorlage eine Partei nach §§ 303 ff. der liechtensteinischen Zivilprozessordnung oder dem auf diese Frage anwendbaren materiellem Recht nicht verpflichtet ist, darf dieser Partei nicht zum Nachteil gereichen. 18.4 Hat eine Person ein Zeugnisverweigerungsrecht und wird sie von einer Pflicht zur Verschwiegenheit durch eine Partei nicht entbunden, so darf dies dieser Partei nicht zum Nachteil gereichen. 18.5 Jedermann, auch eine Partei selbst, kann Zeuge sein. Die Parteien sind grundsätzlich selbst verantwortlich für das Erscheinen ihrer Zeugen. Erscheint ein Zeuge nicht bzw. weigert er sich teilzunehmen, so entscheidet das Schiedsgericht auf Antrag einer Partei in freiem Ermessen, ob es einen neuen Verhandlungstermin ansetzen, den Zeugen auf gerichtlichem Weg einvernehmen lassen oder aber auf das Zeugnis verzichten will. Es berücksichtigt dabei insbesondere die Interessen der Parteien. Zeugen können ausnahmsweise und soweit angemessen auch durch Videokonferenz oder per Telefon einvernommen werden. 18.6 Das Schiedsgericht kann nach Konsultation der Parteien einen oder mehrere Sachverständige bestellen. Die Parteien haben dem Sachverständigen alle sachdienlichen Auskünfte zu erteilen und die erheblichen Unterlagen oder Waren zur Untersuchung vorzulegen. Der Sachverständige ist gegenüber Dritten zu strengster Geheimhaltung über jene Tatsachen verpflichtet, von welchen er im Rahmen des Schiedsverfahrens oder aufgrund seiner Stellung als Sachverständiger Kenntnis erlangt. Nach Beendigung seiner Aufgabe hat der Sachverständige sämtliche Unterlagen und Waren zurückzustellen und alle Kopien zu vernichten. 18.7 Das Schiedsgericht würdigt die Beweise frei. 109 Johannes Gasser Säumnis Article 19 19.1 Übermittelt der Beklagte nicht innerhalb der Frist gemäss Artikel 5.1 seine Klageantwort, ohne dafür ausreichende Gründe vorzubringen, so hat das Schiedsgericht die Fortsetzung des Verfahrens anzuordnen, ohne dass diese Säumnis als Anerkennung der tatsächlichen Behauptungen des Klägers gelten kann. Dasselbe gilt für eine Säumnis des Klägers zur Beantwortung einer Widerklage. 19.2 Die mit nachträglichem Vorbringen aufgrund einer Verzögerung des Verfahrens verbundenen Mehrkosten können auf Antrag einer Partei vom Schiedsgericht sofort jener Partei auferlegt werden, die die Verzögerung zu verantworten hat (Teilschiedsspruch). 19.3 Erscheint eine der Parteien, die nach dieser Schiedsordnung ordnungsgemäss geladen war, nicht zur Verhandlung, ohne dafür ausreichende Gründe vorzubringen, so kann das Schiedsgericht das Verfahren fortsetzen. 19.4 Legt eine Partei nach ordnungsgemässer Aufforderung durch das Schiedsgericht Urkundenbeweise oder andere Beweismittel, zu deren Vorlage sie verpflichtet ist, nicht innerhalb der gesetzten Frist vor, ohne dafür ausreichende Gründe vorzubringen, so kann das Schiedsgericht den Schiedsspruch auf Grund der ihm vorliegenden Beweisergebnisse erlassen. Schluss des Verfahrens Article 20 20.1 Nach Abschluss des Beweisverfahrens kann das Schiedsgericht das Verfahren für geschlossen erklären. Die Parteien sind damit von weiterem Vorbringen ausgeschlossen. 20.2 Das Schiedsgericht kann, wenn es dies wegen ausserordentlicher Umstände für notwendig hält, von sich aus oder auf Ersuchen einer Partei das Verfahren jederzeit vor Erlass des Schiedsspruchs wieder eröffnen. Verzicht auf die Geltendmachung eines Verstosses gegen die Verfahrensregeln Article 21 Eine Partei, die weiss oder wissen muss, dass eine Bestimmung oder ein Erfordernis dieser Schiedsordnung, des anwendbaren Prozessrechts am Sitz des Schiedsgerichts oder der Schiedsvereinbarung oder eine Anordnung des Schiedsgerichts nicht einge- 110 Schiedsstandort Liechtenstein halten wurde, aber dennoch das Schiedsverfahren fortsetzt, ohne diesen Verstoss ohne unnötige Verzögerung bzw. innert einer dafür vorgesehenen Frist zu rügen, wird so angesehen, als habe sie den Verstoss genehmigt und auf ihr Recht, deshalb Einspruch zu erheben, verzichtet. D. Schiedsspruch Entscheidungen Article 22 22.1 Besteht das Schiedsgericht aus mehr als einem Schiedsrichter, so ist jeder Schiedsspruch oder jede andere Entscheidung des Schiedsgerichts mit Stimmenmehrheit zu erlassen. Im Falle der Stimmengleichheit entscheidet die Stimme des Vorsitzenden. Kein Schiedsrichter darf sich der Stimme enthalten. 22.2 Soweit es sich um Verfahrensfragen handelt, kann der Vorsitzende des Schiedsgerichts, wenn die Parteien oder das Schiedsgericht ihn dazu ermächtigt haben, vorbehaltlich einer etwaigen nachträglichen Änderung durch das Schiedsgericht, allein entscheiden. Vorbehaltlich einer anderen Regelung der Parteien oder des Schiedsgerichts kann der Vorsitzende des Schiedsgerichts Fristansetzungen und Fristerstreckungen allein entscheiden. Form und Wirkung des Schiedsspruches Article 23 23.1 Das Schiedsgericht ist berechtigt, nicht nur endgültige, sondern auch vorläufige Schiedssprüche, Zwischen- oder Teilschiedssprüche zu erlassen. 23.2 Der Schiedsspruch ist schriftlich zu erlassen und den Parteien zuzustellen. Er ist endgültig und bindet die Parteien. Die Parteien verpflichten sich, den Schiedsspruch unverzüglich zu erfüllen. Die Parteien verzichten auf jeglichen Weiterzug an ein staatliches Gericht, soweit ein solcher Verzicht rechtlich zulässig ist. 23.3 Das Schiedsgericht hat den Schiedsspruch zu begründen, es sei denn, die Parteien hätten vereinbart, dass er nicht zu begründen ist. 23.4 Der Schiedsspruch ist von den Schiedsrichtern zu unterzeichnen und hat die Angabe des Tages und des Schiedsortes zu enthalten. Besteht das Schiedsgericht aus mehreren Schiedsrichtern und fehlt die Unterschrift von einem oder mehreren von ihnen, so ist der Grund für das Fehlen dieser Unterschrift(en) im Schiedsspruch zu vermerken. 111 Johannes Gasser 23.5 Die Berichtigung, Erläuterung und Ergänzung des Schiedsspruchs richten sich nach § 627 der liechtensteinischen Zivilprozessordnung. Anzuwendendes Recht Article 24 24.1 Das Schiedsgericht entscheidet die Streitsache nach den von den Parteien gewählten Rechtsregeln oder, bei Fehlen einer Rechtswahl, nach den Rechtsregeln, mit denen die Streitsache am engsten zusammenhängt. 24.2 Das Schiedsgericht hat nur dann nach Billigkeit (amiable compositeur, ex aequo et bono) zu entscheiden, wenn es dazu ausdrücklich von den Parteien ermächtigt wurde. 24.3 In allen Fällen hat das Schiedsgericht nach den Bestimmungen der anwendbaren Verträge, Trust Settlements oder Statuten zu entscheiden und die auf das Geschäft gegebenenfalls anzuwendenden Handelsbräuche zu berücksichtigen. E. Kosten Kostenfestlegung Article 24 25.1 Das Schiedsgericht hat in seinem Schiedsspruch die Kosten des Schiedsverfahrens festzulegen. Der Begriff «Kosten» umfasst lediglich: (a) die Honorare der Mitglieder des Schiedsgerichts, die für jeden Schiedsrichter einzeln anzugeben und vom Schiedsgericht selbst nach Anhang A festzulegen sind, sowie angemessene Honorare der vom Schiedsgericht berufenen Sachverständigen; (b) angemessene Reisekosten und sonstigen Auslagen der Schiedsrichter, der Sachverständigen, sowie der Zeugen, soweit deren Kosten vom Schiedsgericht gebilligt worden sind; (c) die Kosten für rechtliche Vertretung und rechtlichen Beistand der Parteien, sowie für deren Sachverständigen und Zeugen, wenn die Erstattung dieser Kosten während des Schiedsverfahrens beantragt wurde, jedoch nur in der Höhe, die das Schiedsgericht für angemessen erachtet; (d) die Kosten der Beweisbeschaffung und Beweissicherung; (e) die allfälligen Kosten der LIHK bzw. oder eines Kommissär für die Verwaltung des Schiedsverfahrens gemäss Anhang A (Kostenordnung). 112 Schiedsstandort Liechtenstein 25.2 Das Schiedsgericht kann für eine allfällige Auslegung, Berichtigung oder Ergänzung seines Schiedsspruchs keine zusätzlichen Honorare fordern. Article 26 26.1 Die Honorare der Mitglieder des Schiedsgerichts sind in Übereinstimmung mit dem Anhang A (Kostenordnung) festzulegen. 26.2 Das Schiedsgericht entscheidet über die Verteilung der Honorare unter den Schiedsrichtern. Als Regel gilt, dass in Berücksichtigung der aufgewendeten Zeit und Bemühungen eines jeden Schiedsrichters der Vorsitzende zwischen 40 % und 50 % und jeder Mitschiedsrichter zwischen 25 % und 30 % des Gesamthonorars erhalten soll. 26.3 Erachtet eine Partei oder ein Schiedsrichter die Festlegung der Honorare und Auslagen gemäss Art. 25.1 (a) und (b) im konkreten Fall als offensichtlich unangemessen, erachtet eine Partei die Festlegung des für die Honorare der Schiedsrichter massgebenden Streitwerts durch das Schiedsgericht als offensichtlich überhöht oder einigen sich die Schiedsrichter nicht über die Verteilung der Honorare (Art. 26.2), kann die Partei oder jeder Schiedsrichter beim Kommissär beantragen, dass er die Honorare entsprechend festsetzt. Die Stellung eines solchen Antrags hindert die Weiterführung des Verfahrens sowie die Vollstreckbarkeit der übrigen Entscheidungen des Schiedsgerichts bzw. der übrigen Teile des Dispositivs des Schiedsspruchs nicht. 26.4 Der Kommissär hat auf Antrag nach Art. 26.3 von der Kostenordnung gemäss Anhang A nur dann abzuweichen, wenn sie im Einzelfall angesichts der Schwierigkeit der Sache, der von den Schiedsrichtern angemessenerweise aufgewendeten Zeit und allen anderen massgebenden Umständen offensichtlich unangemessen ist. Die Entscheidung des Kommissärs gilt als Schiedsspruch über die Frage des Honorars der Schiedsrichter. Article 27 27.1 Die Kosten des Schiedsverfahrens sind grundsätzlich von der unterliegenden Partei nach Massgabe ihres Unterliegens zu tragen. Das Schiedsgericht kann jedoch eine andere Kostenverteilung vorsehen, wenn es dies unter Berücksichtigung der Umstände des Falls für angemessen und richtig erachtet. Hinterlegung eines Kostenvorschusses Article 28 28.1 Das Schiedsgericht soll, nachdem es gebildet worden ist, jede Seite auffordern, einen gleichen Betrag als Vorschuss für die Kosten nach Artikel 25.1, Buchstaben (a), (b) und (d) zu hinterlegen, soweit die Parteien bezüglich der Kostenverlegung keine andere Regelung getroffen haben. Es hört dabei die 113 Johannes Gasser Parteien vor der Festlegung des massgebenden Streitwerts an, soweit dieser sich nicht aus den bezifferten Rechtsbegehren der Parteien ergibt. 28.2 Kommt eine Partei nach Aufforderung durch das Schiedsgericht seiner Verpflichtung, Vorschüsse im Sinne des Artikel 28.1 zu leisten, nicht binnen 30 Tagen nach, so steht es der anderen Partei frei, für die nichtzahlende Partei den Kostenvorschuss zu entrichten. Wird keine Zahlung geleistet, so kann das Schiedsgericht die Unterbrechung oder die Einstellung des Schiedsverfahrens beschliessen. Das Schiedsgericht kann die Aufnahme von Beweisen, die mit Kosten verbunden ist, und die nur von der säumigen Partei angeboten wurden, verweigern. Weiters sind der Partei, die Zahlungen für eine andere, säumige Partei leistet, über ihren Antrag geeignete vorläufige Massnahmen gegen die säumige Partei zur Sicherung des Rückersatzanspruchs zu gewähren. 28.3 Der Kläger hat dem Beklagten auf dessen Verlangen für die Prozesskosten angemessene Sicherheit zu leisten, soweit die Parteien keine andere Regelung getroffen haben. Das Schiedsgericht entscheidet über die Zulässigkeit der Kaution dem Grunde und der Höhe nach. 28.4 Erhebt ein Beklagter Widerklage oder in anderen Fällen, wenn es nach den Umständen angemessen erscheint, kann das Schiedsgericht nach seinem freien Ermessen separate Vorschüsse festsetzen. 28.5 Während des Schiedsverfahrens kann das Schiedsgericht von den Parteien die Hinterlegung weiterer Beträge verlangen. 28.6 Wenn eine Partei ungenügende Mittel zur Verfahrensführung geltend macht und ausreichend nachweist, fordert das Schiedsgericht die übrigen Parteien auf, an Stelle der mittellosen Partei deren Kostenvorschuss bzw. den der Mittellosigkeit entsprechenden Anteil innerhalb einer angemessenen Frist zu bezahlen. Wird diese Zahlung nicht geleistet, so kann das Schiedsgericht das Verfahren mit Bezug auf die mittellose Partei ohne Entscheidung in der Sache beenden. Das Schiedsgericht kann von einer Partei mit ungenügenden Mitteln aber die Zahlung oder Sicherstellung jener Beträge verlangen, zu denen sie in der Lage ist. 28.7 In seinem endgültigen Schiedsspruch hat das Schiedsgericht gegenüber den Parteien über die Verwendung der hinterlegten Beträge Rechnung zu legen. Ein nicht verbrauchter Restbetrag ist den Parteien zurückzuzahlen. 114 Schiedsstandort Liechtenstein F. Vertraulichkeit Article 29 29.1 Haben die Parteien nicht schriftlich ausdrücklich etwas anderes vereinbart, so sind die Parteien, ihre Vertreter, Sachverständige, die Schiedsrichter, ein Kommissär, das Sekretariat sowie ihre Hilfspersonen grundsätzlich verpflichtet, über alle Schiedssprüche und Verfügungen sowie alle von anderen Verfahrensbeteiligten im Rahmen des Schiedsverfahrens eingereichten Unterlagen oder bekannt gegebenen Tatsachen, auf welche nicht in anderer Weise ein Recht besteht, Stillschweigen zu bewahren, sofern und soweit nicht die Offenlegung durch eine Partei unerlässlich ist, um einer Rechtspflicht nachzukommen, einen Rechtsanspruch zu wahren oder durchzusetzen oder den Schiedsspruch zu vollstrecken oder anzufechten. 29.2 Die Beratungen des Schiedsgerichts sind vertraulich. Die Parteien anerkennen diese Vertraulichkeit und verpflichten sich zu deren Schutz. 29.3 Das Schiedsgericht trifft allenfalls zusätzlich gebotene Massnahmen zur Wahrung von Geheimhaltungsbedürfnissen einer Partei. Es kann insbesondere die Parteien zur strikten Verschwiegenheit über Tatsachen, über die sie in ihrer Eigenschaft Kenntnis erlangen, verpflichten und dabei den Kreis der kenntnisberechtigten Personen abschliessend umschreiben, sowie bei besonderen Fällen Dokumente zur Prüfung einem Sachverständigen übergeben, der einer Geheimhaltungspflicht untersteht, ohne dass die übrigen Parteien Einblick in die Dokumente erhalten. 29.4 Parteien, ihre Vertreter, Sachverständige, die Schiedsrichter und ein Kommissär haben geeignete organisatorische Massnahmen zu treffen, dass die Vertraulichkeit des Schiedsverfahrens gewahrt bleibt. Das Schiedsgericht kann auf Verlangen einer Partei anordnen, dass Kommunikation per E-Mail unzulässig oder durch geeignete Verschlüsselung zu schützen ist. Unterlagen müssen zu jedem Zeitpunkt so sorgfältig aufbewahrt werden, dass Dritte weder Kenntnis über deren Bestand noch über deren Inhalt erlangen können. 29.5 Soweit eine Möglichkeit zur Verweigerung des Zeugnisses über das Schiedsverfahren und die im Rahmen dieses Verfahren erhaltenen vertraulichen Informationen besteht, ist diese wahrzunehmen. Die Parteien verpflichten sich, Personen, die nach Artikel 29.1 der Verschwiegenheit verpflichtet sind, nicht in irgendeinem gerichtlichen oder anderen mit dem Schiedsverfahren zusammenhängenden Verfahren als Zeugen zu den der Verschwiegenheit unterstehenden Informationen zu benennen. 29.6 Die Pflicht, die Vertraulichkeit zu wahren, gilt auch nach Beendigung des Schiedsverfahrens weiter. 115 Johannes Gasser 29.7 Verstösst eine Partei, ihr Vertreter, ein Sachverständiger, Schiedsrichter, Kommissär oder eine ihrer Hilfspersonen gegen die Verschwiegenheitspflicht gemäss Artikel 29.1, so hat diese oder dieser eine Konventionalstrafe in Höhe von CHF 50’000 an die verletzten Parteien zu bezahlen, sofern die Parteien nichts anderes vereinbart haben. Parteien haften auch für das Verhalten ihrer Parteienvertreter. Die Haftung für Hilfspersonen richtet sich nach dem Gesetz. Verletzen mehrere Personen die Geheimhaltungspflicht, so haften diese solidarisch. Eine Mässigung der Konventionalstrafe durch ein Gericht oder Schiedsgericht ist möglich, wenn der Verstoss ohne schwere Schuld erfolgte, ein materieller oder immaterieller Schaden ausgeschlossen ist und keine vertrauliche Tatsache weithin bekannt wurde. Die Geltendmachung darüber hinaus gehenden Schadens bei bewusstem Verstoss bleibt vorbehalten. 29.8 Hinsichtlich eines Anspruches auf Konventionalstrafe oder Schadenersatz nach Artikel 29.7 gilt ein Schiedsgericht nach diesen Bestimmungen vereinbart. Betrifft der Verstoss eine Partei, kann die anspruchsberechtigte Partei bis zum Schluss des Verfahrens den Antrag bei jenem Schiedsgericht stellen, welches für das ursprüngliche Verfahren zuständig war. Ansonsten hat die anspruchsberechtigte Partei die Wahl, ein neues Verfahren am in der ursprünglichen Schiedsvereinbarung gewählten Ort oder am Sitz oder Wohnsitz des im neuen Verfahren Beklagten einzuleiten. Haftungsausschluss Article 30 Die LIHK oder ihre Angestellten, die Schiedsrichter, der Kommissär, das Sekretariat, die vom Schiedsgericht ernannten Sachverständigen oder ein allfälliger Sekretär des Schiedsgerichts haften für keine ihrer Handlungen oder Unterlassungen in einem nach diesen Regeln durchgeführten Schiedsverfahren, es sei denn, eine solche Haftung sei gesetzlich zwingend vorgeschrieben. Artikel 29.7 bleibt vorbehalten. G. Sekretariat und Kommissär Article 31 31.1 116 Die LIHK ernennt einen Sekretär für das Schiedswesen (der «Sekretär») und zwei Stellvertreter, welche zusammen das Sekretariat bilden. Dieses wird von der LIHK mit unabhängigen, rechtskundigen oder sonst geeigneten Personen besetzt, welche vorzugsweise keine beruflichen Parteienvertreter (Rechtsanwälte, Treuhänder, Patentanwälte, Steuerberater etc.) sind. Schiedsstandort Liechtenstein 31.2 Das Sekretariat gibt sich eine Geschäftsordnung und macht seine Kontaktdaten in geeigneter Form bekannt. 31.3 Anträge auf Ernennung eines Kommissärs sind direkt beim Sekretariat einzubringen. 31.4 Entscheidungen des Sekretariates sind endgültig und müssen nicht begründet werden. Article 32 32.1 Das Sekretariat ernennt auf Antrag für ein bestimmtes Schiedsverfahren einen unabhängigen Kommissär. Die Ernennung gilt für das gesamte Schiedsverfahren. Der Antrag muss nur die Parteien, ihre Vertreter, allenfalls direkt betroffene Dritte (wie namentlich Gesellschaften, Stiftungen, Trusts, etc.) und, soweit bereits ernannt, die Schiedsrichter benennen. Falls zwischen den Parteien mehrere Schiedsverfahren eingeleitet worden sind, sind solche weiteren Angaben zu machen, um das Schiedsverfahren eindeutig zu bezeichnen. 32.2 Für den Kommissär gelten Artikel 6 und Article 10 sinngemäss. Ein Kommissär kann unter sinngemässer Anwendung des Article 11 oder aus sonstigen wichtigen Gründen abgelehnt und vom Sekretariat abberufen werden. 32.3 Ist für die Anrufung des Kommissärs eine Frist vorgesehen und ist ein Kommissär noch nicht ernannt, so hat der Antrag nach Artikel 32.1 innert dieser Frist zu erfolgen. 32.4 Ist für den Entscheid des Kommissärs eine Frist vorgesehen, so beginnt der Fristenlauf in jedem Fall nicht vor der Ernennung des Kommissärs. 32.5 Der Kommissär trifft die nach dieser Schiedsordnung dem Kommissär zukommenden Entscheidungen selbstständig. Die Entscheidungen des Kommissärs sind endgültig und unterliegen keinem Rechtszug. Er entscheidet selbständig über etwaig anfallende Vorfragen, wie etwa ob eine angeblich säumige Partei tatsächlich säumig ist. Die Beurteilung von Vorfragen durch den Kommissär bindet das Schiedsgericht nicht. 32.6 Parteien und Schiedsrichter, welche Anträge an den Kommissär stellen, erstatten das notwendige Vorbringen und übersenden dem Kommissär und den anderen Parteien und Schiedsrichtern je eine Kopie. Der Kommissär gewährt allen Parteien das rechtliche Gehör, soweit ihre Rechte betroffen sein können. 32.7 Im sonstigen Schiedsverfahren wird der Kommissär nicht eingebunden. Der Vorsitzende des Schiedsgerichts teilt dem Kommissär und dem Sekretariat lediglich das Ende des Verfahrens schriftlich mit. Ist kein Kommissär ernannt worden, muss keine Mitteilung an das Sekretariat erstattet werden. 117 Johannes Gasser 32.8 118 Die LIHK haftet nicht für Entscheidungen, Handlungen oder Unterlassungen des Schiedsgerichts, des Kommissärs oder des Sekretariats. Das Sekretariat haftet nicht für Entscheidungen, Handlungen oder Unterlassungen des Schiedsgerichts oder des Kommissärs. Der Kommissär haftet nicht für Entscheidungen, Handlungen oder Unterlassungen des Sekretariats oder des Schiedsgerichts. Schiedsstandort Liechtenstein II. Anhang A – Kostenordnung A. Kosten des Sekretariats A.1 Wer Entscheidungen oder Ernennungen durch das Sekretariat beantragt, haftet für die Verwaltungskosten des Sekretariats und hat diese über Aufforderung des Sekretariats umgehend und, soweit vom Sekretariat verlangt, im Voraus zu bezahlen. Er kann bezahlte Beträge jedoch als Kosten im Schiedsverfahren geltend machen. Mehrere Antragsteller haften solidarisch. A.2 Die Verwaltungskosten des Sekretariats betragen: •• für die Ernennung eines Kommissärs CHF 1’000 •• für die Abberufung eines Kommissärs CHF 10’000 B. Kosten des Kommissärs B.1 Wer eine Entscheidung des Kommissärs beantragt, haftet für die Verwaltungskosten des Kommissärs und hat diese nach Erhalt der Rechnung umgehend zu bezahlen. Er kann bezahlte Beträge jedoch als Kosten im Schiedsverfahren geltend machen. Mehrere Antragsteller haften solidarisch. B.2 Der Kommissär kann die Bezahlung seiner Verwaltungskosten im Voraus verlangen. Werden diese nicht bezahlt, informiert er die Parteien und führt er das Verfahren nicht weiter. Die Verwaltungskosten des Kommissärs betragen: •• für die Ernennung eines Schiedsrichters für eine Partei oder Zustimmung nach Art. I.B.6.1 CHF 2’000 •• für die Ernennung eines Schiedsrichters für mehrere Parteien CHF 3’000 •• für die Entscheidung über die Abberufung eines Schiedsrichters CHF 10’000 •• für die Entscheidung über die Höhe des Honorars oder der Auslagen des Schiedsgerichts CHF 8’000 •• für die Entscheidung über die Aufteilung des Honorars zwischen den Schiedsrichtern CHF 3’000 C. Honorar der Schiedsrichter C.1 Die Honorare der Schiedsrichter sollen die Tätigkeiten des Schiedsgerichts vom Zeitpunkt der Aktenübergabe bis zum endgültigen Schiedsspruch de- 119 Johannes Gasser cken. Bei vorzeitiger Verfahrensbeendigung ohne Anspruchsprüfung durch Nichteintreten, Klagerückzug, ‑anerkennung oder Vergleich etc. sind die Honorare angemessen zu reduzieren. C.2 Vorschüsse der Parteien sind auf einem separaten Bankkonto zu hinterlegen, das nur für das betreffende Schiedsverfahren verwendet und entsprechend identifiziert ist. Einzelschiedsrichter Streitwert von bis 0 Honorar Schiedsrichter 250’000 14’000 250’000 500’000 28’000 500’000 1’000’000 42’000 1’000’000 2’000’000 60’000 2’000’000 3’000’000 80’000 3’000’000 5’000’000 90’000 5’000’000 7’500’000 105’000 7’500’000 10’000’000 125’000 10’000’000 15’000’000 160’000 15’000’000 20’000’000 185’000 20’000’000 25’000’000 200’000 25’000’000 50’000’000 225’000 50’000’000 100’000’000 275’000 100’000’000 (Beträge in CHF) – 350’000 120 Schiedsstandort Liechtenstein Dreierschiedsgericht Streitwert von bis Honorar Schiedsrichter 0 250’000 29’000 250’000 500’000 68’000 500’000 1’000’000 105’000 1’000’000 2’000’000 140’000 2’000’000 3’000’000 180’000 3’000’000 5’000’000 210’000 5’000’000 7’500’000 255’000 7’500’000 10’000’000 300’000 10’000’000 15’000’000 370’000 15’000’000 20’000’000 420’000 20’000’000 25’000’000 455’000 25’000’000 50’000’000 510’000 50’000’000 100’000’000 620’000 100’000’000 – 850’000 (Beträge in CHF) D. Steuern und Abgaben D.1 Die Parteien sind verpflichtet, allfällige Mehrwertsteuer oder andere Steuern und Abgaben auf die oben genannten Gebühren und Honorar zusätzlich zu entrichten. Der Bezug solcher Steuern und Abgaben von den Parteien ist Sache des betreffenden Gebühren- bzw. Honorarberechtigten. 121 Johannes Gasser III. Musterschiedsklauseln Für Vertragsstreitigkeiten: Streitigkeiten, Meinungsverschiedenheiten oder Ansprüche aus oder im Zusammenhang mit diesem Vertrag, einschliesslich dessen Gültigkeit, Ungültigkeit, Verletzung oder Auflösung sowie ausservertraglicher Ansprüche, sind durch ein Schiedsverfahren gemäss der Schiedsordnung der Liechtensteinischen Industrie- und Handelskammer unter Ausschluss der staatlichen Gerichte zu entscheiden. Das Schiedsgericht soll aus Der Sitz des Schiedsgerichts ist (einem oder drei) Schiedsrichter(n) bestehen. (gewünschten Schiedsort einfügen). Die Sprache des Schiedsverfahrens ist (gewünschte Sprache einfügen). Für Trusts: Alle Streitigkeiten, Meinungsverschiedenheiten oder Ansprüche irgendwelcher Art aus oder im Zusammenhang mit diesem Trust – einschliesslich des Vorliegens und Umfanges einer Begünstigung, der Bestimmung der Begünstigten, der Gültigkeit, Ungültigkeit, Änderung oder Auflösung des Trusts, der Anfechtung von Beschlüssen und aufsichtsrechtlicher Massnahmen – ist durch ein Schiedsverfahren gemäss der Schiedsordnung der Liechtensteinischen Industrie- und Handelskammer unter Ausschluss der staatlichen Gerichte zu entscheiden. Jedenfalls mit Annahme einer Begünstigung unterwirft sich der Begünstigte dieser Schiedsvereinbarung. Der Trustee kann den Begünstigten anhalten, dies unterschriftlich zu bestätigen. Verweigerung der Bestätigung gilt als Verzicht auf die Begünstigung. Das Schiedsgericht soll aus Der Sitz des Schiedsgerichts ist (einem oder drei) Schiedsrichter(n) bestehen. (gewünschten Schiedsort einfügen).122 Die Sprache des Schiedsverfahrens ist (gewünschte Sprache einfügen). Bei Bedürftigkeit einer Partei kann der Trustee nach seinem Ermessen für die Dauer des Verfahrens die Kosten des Verfahrens, inklusive eines Kostenvorschusses und einer angemessenen Prozessvertretung dieser Partei, vorläufig auf Kosten des Trusts übernehmen unter Vorbehalt einer Entscheidung des Schiedsgerichts im Schiedsspruch über die endgültige Kostentragungspflicht. Für Stiftungen Alle Streitigkeiten, Meinungsverschiedenheiten oder Ansprüche zwischen der Stiftung, ihren Organen, dem Stifter oder Begünstigten im Zusammenhang mit der Stif122 122 Schiedsstandort Liechtenstein tung, deren Errichtung, Tätigkeit oder Liquidation, einschliesslich des Vorliegens und Umfanges einer Begünstigung, der Bestimmung der Begünstigten, der Gültigkeit, Ungültigkeit, Änderung oder Auflösung der Stiftung, Anfechtung von Beschlüssen und aufsichtsrechtlicher Massnahmen, sind durch ein Schiedsverfahren gemäss der Schiedsordnung der Liechtensteinischen Industrie- und Handelskammer unter Ausschluss der staatlichen Gerichte zu entscheiden. Jedenfalls mit Annahme einer Begünstigung unterwirft sich der Begünstigte dieser Schiedsvereinbarung. Die Stiftung kann den Begünstigten anhalten, dies unterschriftlich zu bestätigen. Verweigerung der Bestätigung gilt als Verzicht auf die Begünstigung. Das Schiedsgericht soll aus (einem oder drei) Schiedsrichter(n) bestehen. Der Sitz des Schiedsgerichts ist (gewünschten Schiedsort einfügen). Das Schiedsgericht kann auf Antrag den Sitz des Schiedsgerichts an den Sitz der Stiftung verlegen, wenn dies zur gesellschaftsrechtlichen Gültigkeit des Schiedsspruchs für die Stiftung notwendig ist. Die Sprache des Schiedsgerichts ist (gewünschte Sprache einfügen). Bei Bedürftigkeit einer Partei kann die Stiftung nach ihrem Ermessen für die Dauer des Verfahrens die Kosten des Verfahrens, inklusive eines Kostenvorschusses und einer angemessenen Prozessvertretung dieser Partei, vorläufig übernehmen unter Vorbehalt der Rückforderung nach einer Entscheidung des Schiedsgerichts über die endgültige Kostentragungspflicht. Für Gesellschaften Alle Streitigkeiten, Meinungsverschiedenheiten oder Ansprüche zwischen der Gesellschaft, ihren Organen, den Anteilsinhabern (Gesellschaftern, Aktionären) im Zusammenhang mit der Gesellschaft, deren Errichtung, Tätigkeit oder Liquidation, einschliesslich des Vorliegens und Umfanges einer Anteilsinhaberschaft, der Gültigkeit, Ungültigkeit, Änderung oder Auflösung der Gesellschaft, Anfechtung von Beschlüssen und aufsichtsrechtlicher Massnahmen, sind durch ein Schiedsverfahren gemäss der Schiedsordnung der Liechtensteinischen Industrie- und Handelskammer unter Ausschluss der staatlichen Gerichte zu entscheiden. Jedenfalls mit Erwerb der Anteile unterwirft sich der Anteilsinhaber dieser Schiedsvereinbarung. Das Schiedsgericht kann auf Antrag den Sitz des Schiedsgerichts an den Sitz der Gesellschaft verlegen, wenn dies zur gesellschaftsrechtlichen Gültigkeit des Schiedsspruchs für die Gesellschaft notwendig ist. Das Schiedsgericht soll aus Der Sitz des Schiedsgerichts ist (einem oder drei) Schiedsrichter(n) bestehen. (gewünschten Schiedsort einfügen). Die Sprache des Schiedsverfahrens ist (gewünschte Sprache einfügen). 123 Johannes Gasser Rules of Arbitration of the Liechtenstein Chamber of Commerce and Industry (LCCI) Principality of Liechtenstein 2012 Table of contents I. Rules A. General provisions Scope of application Seat Notice and calculation of periods of time Initiation of arbitration B. Composition of the arbitral tribunal Eligibility conditions Number of arbitrators Appointment of a sole arbitrator Appointment of a three-member arbitral tribunal Independence and challenge of arbitrators Replacement of an arbitrator C. Arbitral proceedings General provisions Jurisdiction of the arbitral tribunal Interim measures of protection Evidence Default Closure of proceedings Waiver of Rules D. The award Decisions Form and effect of the award Applicable law E. Costs Determination of costs Deposit of costs Confidentiality F. Exclusion of liability G. Secretariat and commissioner II. Appendix A – Schedule of the costs of arbitration A. Costs of the secretariat B. Costs of the commissioner C. Arbitrators’ fees D. Taxes and duties 124 125 125 125 126 126 127 128 128 129 129 130 131 132 132 132 133 134 134 135 136 136 136 136 137 137 138 138 139 140 141 142 144 144 144 144 146 Schiedsstandort Liechtenstein III. Model arbitration clauses For contractual disputes: For trusts: For foundations: For companies: I. Rules A. General provisions 147 147 147 147 148 Scope of application Article 33 33.1 These Rules shall govern national and international arbitrations if the parties agree that an arbitral tribunal has jurisdiction under these Rules. It shall not be necessary for the arbitration agreement to designate these Rules precisely; it shall suffice if it can be concluded with sufficient certainty from the designation used that the parties are likely to have meant these Rules rather than others. 33.2 The parties may make different arrangements. 33.3 Unless the parties’ agreement provides otherwise, the version of the Rules shall apply that is valid at the time the arbitration proceedings are initiated (receipt of notice of arbitration by the responding party served first). 33.4 To the extent these Rules contain no relevant provision and unless the applicable law of the state provides otherwise, the arbitral tribunal shall orient itself by the justifiable interests of the parties, taking appropriate account of proven arbitral practice. 33.5 These Rules shall be published in several languages by the Liechtenstein Chamber of Commerce and Industry (LCCI) and the secretariat for arbitration. If a publication exists in the language of the proceedings of the arbitration in question, the version in that language shall be used as the basis for the proceedings, otherwise in all other cases the English version shall be used. 125 Johannes Gasser Seat Article 34 34.1 The parties may determine any place as the seat. The Rules shall also be applicable if the parties choose a seat outside Liechtenstein, subject to the binding laws in the state of the seat. 34.2 Unless arranged otherwise by the parties, the seat of the arbitral tribunal shall be Vaduz, Principality of Liechtenstein. Where the parties have agreed only the state of the seat or a territory, the capital thereof shall be deemed the seat of the arbitration. 34.3 When deemed by the arbitral tribunal to be conducive to the proceedings, hearings may also be held in a place other than the seat of the arbitral proceedings. Notice and calculation of periods of time Article 35 35.1 A communication is deemed to have been received if it is physically delivered to the addressee or if it is delivered to its habitual residence, place of business or mailing address, or, if none of these can be found after making reasonable inquiry, then at the addressee’s last-known residence or place of business. The communication shall be deemed to have been received on the day it is so delivered. 35.2 For the purposes of calculating a period of time under these Rules, such period shall begin to run on the day following the day when the communication is received. If the last day of such period is an official holiday or a generally non-business day at the residence or place of business of the addressee of the communication, the period is extended until the first business day which follows. This provision is subject to special orders of the arbitral tribunal. 35.3 To meet a time-limit, delivery by fax shall suffice if the submission has also been handed over within the time-limit to a governmental postal service or recognised courier service for delivery. This provision is subject to special orders of the arbitral tribunal. 126 Schiedsstandort Liechtenstein Initiation of arbitration Article 36 36.1 Proceedings shall be initiated when the claimant delivers the relief or remedy sought to the respondent in writing. 36.2 Arbitral proceedings shall be deemed to commence on the day on which the relief or remedy sought is received by the respondent. In multi-party proceedings, arbitral proceedings shall be deemed to commence on the first day on which the relief or remedy sought is received by a respondent. 36.3 The relief or remedy sought shall be written in the language agreed by the parties for the proceedings, and where no such agreement exists at the claimant’s discretion in English or in German. 36.4 The claimant shall communicate one copy of the relief or remedy sought to each of the other parties. 36.5 The relief or remedy sought shall include the following: (a) a demand that the dispute be referred to arbitration, including a copy of the arbitration agreement, if any; (b) the names and contact information (addresses, telephone and fax numbers) of the other parties and their counsel, to the extent known; (c) the relief or remedy sought, with complete reasons; (d) a proposal as to the number of arbitrators (i.e. one or three) and the language of the proceedings, if the parties have not previously agreed thereon; (e) if three arbitrators have been proposed or agreed, the name and contact details of the arbitrator to be appointed by the claimant. 3.6 The relief or remedy sought may also include: (a) the claimant’s proposal for the appointment of a sole arbitrator referred to in Article 8; (b) procedural requests to be decided by the arbitral tribunal after its appointment. 36.7 If the relief or remedy sought does not meet these requirements, the arbitral tribunal may, at the request of the respondent, request the claimant to remedy the defect within an appropriate period of time. If the claimant complies with such directions within the applicable time-limit, the relief or remedy sought shall be deemed to have been validly filed on the date when the initial version was received. Otherwise the proceedings shall be discontinued. 127 Johannes Gasser Article 37 37.1 37.2 Within thirty days from receipt of the relief or remedy sought, the respondent shall transmit to the claimant a statement of defence. The respondent shall also submit a statement of defence to every other party. The statement of defence shall, to the extent possible, include the following: (a) the name and contact information (addresses, telephone and fax numbers) of the respondent and of its counsel (if different from the description contained in the relief or remedy sought); (b) any plea that an arbitral tribunal constituted under these Rules lacks jurisdiction; (c) complete comments by the respondent on the relief or remedy sought and the reasons thereof, or partial comments with a reasoned request to the arbitral tribunal for temporary restriction of the issue under arbitration; (d) the respondent’s proposal as to the number of arbitrators (i.e. one or three) and the language of the proceedings, if the parties have not previously agreed thereon; (e) the respondent’s proposal for the appointment of a sole arbitrator referred to in Article 8 or the respondent’s designation of an arbitrator for the purpose of constituting a three-member arbitral tribunal referred to in Article 9. 37.3 Any counterclaim or set-off defence shall in principle be raised with the respondent’s statement of defence. The provisions of Article I.A.4.5 are applicable mutatis mutandis. 37.4 In the case of a counterclaim, the claimant shall within thirty days from receipt of the counterclaim transmit a statement of defence in reply to the counterclaim. The provisions of Article 5.1 and 5.2 are applicable mutatis mutandis. B. Composition of the arbitral tribunal Eligibility conditions Article 38 38.1 128 Unless otherwise provided in the arbitration agreement or all parties or the commissioner consent, only persons may be selected who are subject to a legal confidentiality obligation that at least includes criminal liability for violation of that confidentiality obligation or a right to refuse testimony in civil matters (specifically lawyers, auditors, patent lawyers and professional Schiedsstandort Liechtenstein trustees subject to Liechtenstein law). Merely disciplinary liability shall suffice only if the penalty is on the whole at least equivalent to the penalty for lawyers under Liechtenstein law. If an arbitrator is nominated, he shall confirm this eligibility condition in writing and refer to the applicable legal provisions. In the case of dispute, the commissioner shall make the final decision. The proceedings shall be governed by Article 11. 38.2 The secretariat shall publish a list with countries and professions that meet the conditions set out in this Article in any case. Number of arbitrators Article 39 39.1 If the arbitration agreement does not specify the number of arbitrators and if the parties do not agree on the number of arbitrators, then, if the relief or remedy sought concerns money, requests reaching or exceeding CHF 1,000,000 (or the equivalent) shall be decided by a three-member arbitral tribunal, taking account of any counterclaims and set-off defences referred to in Article 5.3. If the sum at issue for a relief or remedy sought is less than CHF 1,000,000, the case shall fall within the jurisdiction of a sole arbitrator. 39.2 If the relief or remedy sought does not concern money, then the claimant shall assess the amount in dispute. If the respondent contests the sum determined pursuant to Article I.B.7.2 and it is at issue whether the contested amount is less than CHF 1,000,000, then a three-member arbitral tribunal shall have jurisdiction. 39.3 The assessment shall be made as of the date on which the request in question was delivered to the other party, and in the case of several other parties as of the date the first of these parties was served. 39.4 Where the arbitration agreement provides for an even number of arbitrators, the commissioner shall, by inviting an arbitrator to that effect, appoint a presiding arbitrator with the casting vote. This invitation may be issued at any time during the proceedings. The arbitral tribunal shall decide itself whether and to what extent any procedural steps made prior to appointment of the presiding arbitrator must be repeated. Appointment of a sole arbitrator Article 40 40.1 Where two or more parties have agreed that the dispute shall be referred to a sole arbitrator, they shall jointly designate the sole arbitrator within 21 days 129 Johannes Gasser from the date when the statement of defence was received, unless agreed otherwise. The same shall apply if the referral of the dispute to a sole arbitrator arises from Article 7. The period of time shall also commence if one or more respondents are in default in transmitting the statement of defence. 40.2 If the parties fail to reach agreement on appointment of the sole arbitrator, the commissioner shall appoint the sole arbitrator on the request of a party. Appointment of a three-member arbitral tribunal Article 41 41.1 Where a dispute between two adverse parties is referred to a three-member arbitral tribunal, each party shall designate one arbitrator. The two arbitrators so appointed shall designate, within 21 days, a third arbitrator who shall act as the presiding arbitrator of the arbitral tribunal. Failing such designation or agreement, the commissioner shall appoint the presiding arbitrator on the request of a party. This provision is subject to a different arrangement in the arbitration agreement. 41.2 If a party fails to designate an arbitrator within the time-limit resulting from the arbitration agreement or, if no time-limit was agreed, within 21 days from the date applicable to that party (relief or remedy sought; statement of defence), the commissioner shall appoint the arbitrator on request of a party. The party in default may make up its selection until the time the commissioner makes his decision, but the arbitral tribunal shall, at the request of another party, impose all costs arising from the delay (partial award) on the party in default immediately after the arbitral tribunal is constituted. 41.3 If the parties have not agreed upon a procedure for the constitution of the arbitral tribunal in multi-party proceedings, several claimants shall appoint a joint arbitrator to decide the relief or remedy sought. Several respondents have a thirty-day time-limit to designate a joint arbitrator from the delivery of the relief or remedy sought to the last respondent. If the group or groups of parties have each designated an arbitrator, Article 9.1 shall apply by analogy to the designation of the presiding arbitrator. 41.4 If, in multi-party proceedings, one side has chosen an arbitrator, but the other side is unable to agree on an arbitrator, the right to determine both arbitrators shall be transferred to the commissioner. The commissioner shall select both arbitrators, taking the best possible account of the parties’ interests. The commissioner may also determine one of the arbitrators that one or more parties on the respective side have selected for themselves or have proposed to the parties on that side. 130 Schiedsstandort Liechtenstein Independence and challenge of arbitrators Article 42 42.1 All arbitrators conducting an arbitration under these Rules shall be and remain at all times impartial and independent of the parties. 42.2 A requested arbitrator shall disclose in writing any circumstances likely to give rise to justifiable doubts as to his impartiality or independence. It shall be the responsibility of the appointing person to provide the requested arbitrator with the necessary information in this regard concerning the parties and the matter in dispute. An arbitrator, once appointed or chosen, shall immediately disclose such circumstances to the parties and the other members of the arbitral tribunal unless they have already been informed by him of these circumstances. An arbitrator shall confirm his independence and impartiality in writing upon his appointment. He shall likewise confirm that he is submitting to these Rules in his capacity as arbitrator, especially the confidentiality provisions. Article 43 43.1 Any arbitrator may be challenged if circumstances exist that give rise to justifiable doubts as to the arbitrator’s impartiality or independence. The challenge must be made to the arbitrator concerned, with an indication of the reasons, within 15 days from receipt of the communication of the appointment or after that party becomes aware of the relevant circumstances. 43.2 A party may challenge the arbitrator appointed by it only for reasons of which it becomes aware after the appointment has been made. 43.3 Within 15 days from receipt of the challenge, the challenged arbitrator must withdraw or communicate to all parties and the other arbitrators in writing that he is not withdrawing. A copy of the challenge letter must accompany this communication to the extent other parties have not yet received it. If the challenged arbitrator does not withdraw, the challenging party may, within 7 days from receipt of the communication or after the time-limit has expired without action, demand a decision by the commissioner on the challenge. The commissioner shall decide on the challenge within 30 days from when it is received. Article 44 If an arbitrator fails to perform his functions despite a written warning and reasonable deadline imposed by the other arbitrators or a party, the commissioner may revoke the appointment of that arbitrator at the request of a party or arbitrator after a hearing. The decision is final. 131 Johannes Gasser Replacement of an arbitrator Article 45 If an arbitrator designated by a party deceases or becomes unable to perform his functions due to any reasons beyond his control, the party that designated the arbitrator is required to designate a replacement arbitrator within a time-limit of 21 days from certain knowledge of this circumstance. If the party fails to honour this obligation even after being warned by another party or an arbitrator with a grace period of 14 days, the commissioner shall on request of a party or an arbitrator designate a replacement arbitrator. This rule also applies if an arbitrator has been successfully challenged, has been otherwise removed or has resigned, or if several parties selected the arbitrator but failed to agree on a successor. Article 46 If an arbitrator is replaced, the proceedings shall as a rule resume at the stage where the arbitrator who was replaced ceased to perform his functions, unless the arbitral tribunal decides otherwise. C. Arbitral proceedings General provisions Article 47 47.1 Subject to these Rules, the provisions of the arbitration clause or arbitration agreement and the parties’ agreements, the arbitral tribunal may conduct the arbitration in such manner as it considers appropriate, provided that it ensures equal treatment of the parties and their right to be heard. Within its discretion, it shall endeavour to conduct fair, efficient and cost-effective proceedings. The parties are required to participate in good faith. 47.2 At an early stage of the arbitral proceedings and in consultation with the parties, the arbitral tribunal shall prepare a provisional time-table for the arbitral proceedings up until delivery of the award. 47.3 In consultation with the parties, the arbitral tribunal shall determine the language of the proceedings, unless already agreed by the parties. 47.4 Unless otherwise agreed or determined by the arbitral tribunal, at least one exchange of submissions shall take place in the form of the relief or remedy sought, the statement of defence, and where applicable the statement of defence in reply to the counterclaim. The arbitral tribunal shall decide on the admissibility of additional submissions and shall determine the time-limits. 132 Schiedsstandort Liechtenstein The arbitral tribunal shall honour the rights of the parties to be heard in this regard. 47.5 New or amended requests for legal remedy after submission of the claim or the statement of defence require admission by the arbitral tribunal. The arbitral tribunal shall in this regard take account of the closeness of the substantive connection, the interests of the parties and the consequences for the conduct of the proceedings. Jurisdiction of the arbitral tribunal Article 48 48.1 Objections to the jurisdiction of the arbitral tribunal must be raised at the latest in the statement of defence or, in the case of a counterclaim, set-off defence or amendment of the requests for legal remedy (in accordance with Article I.C.15.5) or of the legal bases of the claim, in the first comments in that regard. The arbitral tribunal may permit a later objection if it deems the delay excusable in that specific case. Subject to the admission of a later plea by the arbitral tribunal, consent to consideration of the matter by the arbitral tribunal shall be deemed given if an objection to the arbitral tribunal’s jurisdiction has not been raised on time. 48.2 The arbitral tribunal shall have the power to rule in an interim decision or in the final decision on objections that it has no jurisdiction, including any objections with respect to the existence or validity of the arbitration clause or of the separate arbitration agreement. The arbitral tribunal may continue the proceedings in its discretion and make an award, even if a decision on jurisdiction is being contested in court. 48.3 The arbitral tribunal shall have jurisdiction in principle to hear a set-off defence. It may refuse to hear a set-off defence if the relationship out of which this defence is said to arise as such would not fall within the jurisdiction of the arbitral tribunal and either the consideration of the set-off defence would delay or complicate the proceedings such that the justifiable interests of the other party would be significantly affected or other justifiable interests of the other party so require. 48.4 The arbitral tribunal shall have jurisdiction to hear a counterclaim only if the counterclaim is subject to the same arbitration agreement of the parties. 133 Johannes Gasser Interim measures of protection Article 49 49.1 At the request of a party, the arbitral tribunal may take any interim measures it deems necessary or appropriate. 49.2 Such interim measures may be established in the form of an interim award. The arbitral tribunal shall be entitled and expected to order the provision of appropriate security and to adjust that security if needed. 49.3 If the arbitral tribunal has already been constituted and the parties have not agreed otherwise, no party may address requests to a judicial authority concerning interim or provisional measures without approval by the arbitral tribunal. In the case of an arbitral tribunal with three arbitrators, the presiding arbitrator shall decide alone on consent to requests by parties for provisional measures addressed to judicial authorities. It shall be in his discretion whether or not to hear the other side first. No reasons need be given for a positive decision, and a positive decision should not be delivered to opposing parties or other parties to the arbitration proceedings before the judicial authority has decided. 49.4 If a party breaches this rule, the arbitral tribunal may at the request of an opposing party make appropriate arrangements as a remedy. Moreover, the breach may constitute a violation of the confidentiality provisions, and the opposing parties may demand compensation and payment in accordance with Article 29.7. Evidence Article 50 50.1 The arbitral tribunal shall decide independently on whether to take evidence. A party shall not have a claim to a hearing unless mandated by law. 50.2 The production of documents by the other party shall in principle be governed by §§ 303 ff. of the Liechtenstein Code of Civil Procedure. The arbitral tribunal shall, at the request of the producing party, order that documents and evidence not be handed over to the other party, but rather be presented for inspection only at the seat of the arbitral tribunal or other suitable location, if the requesting party can prove an interest in the confidentiality of the materials. The arbitral tribunal shall furthermore make all appropriate arrangements to protect justifiable secrecy interests of the parties and third parties. In particular, it may order that an expert who in turn is subject to professional secrecy review the documents and report on any relevant content to the 134 Schiedsstandort Liechtenstein arbitral tribunal without the need to produce the documents for inspection by the arbitral tribunal or the other side itself. 50.3 Failure to produce documents that a party is not required to produce pursuant to §§ 303 ff. of the Liechtenstein Code of Civil Procedure or the substantive law applicable to this question may not be considered to the detriment of that party. 50.4 If a person has a right to refuse to give evidence and is not discharged from a confidentiality obligation by a party, this may not be considered to the detriment of that party. 50.5 Anyone may be a witness, even a party itself. The parties shall in principle be responsible themselves for the appearance of their witnesses. If a witness does not appear or refuses to participate, the arbitral tribunal shall at the request of a party and at its discretion decide whether to set a new date for the hearing, to examine the witness by judicial process or also to do without the testimony. In this regard, the arbitral tribunal shall in particular take account of the interests of the parties. Witnesses may on an exceptional basis and to the extent appropriate also be examined by video conference or telephone. 50.6 The arbitral tribunal, after consulting with the parties, may appoint one or more experts. The parties shall give the expert any relevant information and produce for his inspection any relevant materials or goods. The expert shall be required to maintain the strictest secrecy in relation to third parties regarding the facts of which he gains knowledge as part of the arbitration proceedings or pursuant to his position as an expert. After conclusion of his task, the expert shall return all materials and goods and destroy all copies. 50.7 The arbitral tribunal shall assess the evidence freely. Default Article 51 51.1 If, within the period of time set out in Article 5.1, the respondent has failed to communicate its statement of defence without showing sufficient cause for such failure, the arbitral tribunal shall order that the proceedings continue, without being able to deem this failure a recognition of the actual assertions of the claimant. This shall apply to a failure of the claimant to answer a counterclaim. 51.2 The additional costs associated with late submissions due to a delay of the proceedings may at the request of a party be imposed immediately on the party responsible for the delay (partial award). 135 Johannes Gasser 51.3 If one of the parties, duly notified under these Rules, fails to appear at a hearing, without showing sufficient cause for such failure, the arbitral tribunal may proceed with the arbitration. 51.4 If a party, duly invited by the arbitral tribunal to produce documentary evidence or other evidence it is required to produce, fails to do so within the established period of time, without showing sufficient cause for such failure, the arbitral tribunal may make the award on the evidence before it. Closure of proceedings Article 52 52.1 After the evidence procedure is completed, the arbitral tribunal may declare the proceedings closed. The parties shall then be precluded from further submissions. 52.2 The arbitral tribunal may, if it considers it necessary owing to exceptional circumstances, decide, on its own motion or upon application of a party, to reopen the proceedings at any time before the award is made. Waiver of Rules Article 53 A party who knows or should know that any provision of, or requirement under, these Rules, the applicable procedural law at the seat of the arbitral tribunal, or the arbitration agreement or any order of the arbitral tribunal has not been complied with and yet proceeds with the arbitration without stating its objection to such non-compliance without unnecessary delay or within any time-limit provided for that purpose, shall be deemed to have approved the violation and waived its right to object for that reason. D. The award Decisions Article 54 54.1 136 When the arbitral tribunal is composed of more than one arbitrator, any award or other decision of the arbitral tribunal shall be made by a majority of the arbitrators. In the event of a tie vote, the presiding arbitrator’s vote shall decide. No arbitrator may abstain. Schiedsstandort Liechtenstein 54.2 In the case of questions of procedure, when the parties or the arbitral tribunal so authorise, the presiding arbitrator may decide on his own, subject to later revision, if any, by the arbitral tribunal. Subject to any other arrangements by the parties or the arbitral tribunal, the presiding arbitrator may decide on the imposition and extension of time-limits on his own. Form and effect of the award Article 55 55.1 In addition to making a final award, the arbitral tribunal shall be entitled to make interim, interlocutory, or partial awards. 55.2 The award shall be made in writing and shall be delivered to the parties. It shall be final and binding on the parties. The parties undertake to carry out the award without delay. The parties shall waive the right to appeal the award in any way to judicial authorities, to the extent such a waiver is legally permissible. 55.3 The arbitral tribunal shall state the reasons upon which the award is based, unless the parties have agreed that no reasons are to be given. 55.4 An award shall be signed by the arbitrators and it shall contain the date on which the award was made and the place of arbitration. Where there are several arbitrators and one or more of them fail to sign, the award shall state the reason for the absence of the signature(s). 55.5 Any correction, explanation, or completion of the award shall be governed by § 627 of the Liechtenstein Code of Civil Procedure. Applicable law Article 56 56.1 The arbitral tribunal shall decide the case in accordance with the rules of law agreed upon by the parties or, in the absence of a choice of law, by applying the rules of law with which the dispute has the closest connection. 56.2 The arbitral tribunal shall decide as amiable compositeur or ex aequo et bono only if the parties have expressly authorised the arbitral tribunal to do so. 56.3 In all cases, the arbitral tribunal shall decide in accordance with the terms of the applicable contracts, trust settlements or articles of association and shall take into account the usage of the trade applicable to the transaction. 137 Johannes Gasser E. Costs Determination of costs Article 57 57.1 The arbitral tribunal shall determine the costs of arbitration in its award. The term «costs» includes only: (f) the fees of the arbitral tribunal to be stated separately as to each arbitrator and to be determined by the tribunal itself in accordance with Appendix A, as well as appropriate fees of the experts called to the arbitral tribunal; (g) appropriate travel and other expenses incurred by the arbitrators, experts and witnesses, to the extent their costs have been approved by the arbitral tribunal; (h) the costs for legal representation and assistance of the parties, as well as for their experts and witnesses, if such costs were claimed during the arbitral proceedings, and only to the extent that the arbitral tribunal determines that the amount of such costs is reasonable; (i) the costs for obtaining and securing evidence; (j) any costs incurred by the LCCI and/or a commissioner for administration of the arbitration in accordance with Appendix A (Schedule of the costs of arbitration). 57.2 No additional fees may be charged by an arbitral tribunal for any interpretation or correction or completion of its award. Article 58 58.1 The fees of the arbitral tribunal shall be determined in conformity with Appendix A (Schedule of the costs of arbitration). 58.2 The arbitral tribunal shall decide on the allocation of the fees among its members. As a rule, the Chairman shall receive between 40 % and 50 % and each co-arbitrator between 25 % and 30 % of the total fees, in view of the time and efforts spent by each arbitrator. 58.3 If a party or an arbitrator believes the schedule of the costs set out in Appendix A is obviously unreasonable in the specific case, if a party believes the determination by the arbitral tribunal of the amount in dispute used to calculate the fees is obviously excessive, or if the arbitrators do not agree on the allocation of the fees (Article 26.2), then the party or any arbitrator may request that the commissioner determine the fees accordingly. Making such a request shall not hinder continuation of the proceedings or the enforceability 138 Schiedsstandort Liechtenstein of the other decisions of the arbitral tribunal or of the other operative parts of the award. 58.4 Pursuant to a request in accordance with Article 26.3, the commissioner shall deviate from the schedule of the costs set out in Appendix A only if, in the individual case, the schedule of the costs is obviously unreasonable in light of the complexity of the subject-matter, the time reasonably spent by the arbitrators, and any other relevant circumstances. The commissioner’s decision shall be deemed the award with respect to the question of the arbitrators’ fees. Article 59 The costs of arbitration shall in principle be borne by the unsuccessful party, to the extent it was unsuccessful. However, the arbitral tribunal may provide a different apportionment of costs if it determines that such apportionment is reasonable and correct, taking into account the circumstances of the case. Deposit of costs Article 60 60.1 The arbitral tribunal, on its establishment, shall request each side to deposit an equal amount as an advance for the costs referred to in Article 25.1, paragraphs (a), (b) and (d), unless the parties have arranged otherwise with respect to allocation of the costs. The arbitral tribunal shall hear the parties before determining the relevant amount in dispute, unless that amount follows from the parties’ quantified requests for legal remedy. 60.2 If, after being requested to do so by the arbitral tribunal, a party fails to meet its obligation within thirty days to make deposits as referred to in Article 28.1, the other party shall be free to deposit the advance on costs for the nonpaying party. If no payment is made, the arbitral tribunal may order the suspension or termination of the arbitral proceedings. The arbitral tribunal may refuse to take evidence associated with costs and offered only by the party in default. Moreover, the party making payments for another party in default shall be granted at its request appropriate interim measures against the party in default to safeguard its claim to repayment. 60.3 When requested by the respondent, the claimant shall provide appropriate security to the respondent for the legal costs, unless the parties have arranged otherwise. The arbitral tribunal shall decide on the permissibility of the security in terms of justification and amount. 60.4 Where a respondent submits a counterclaim, or it otherwise appears appropriate in the circumstances, the arbitral tribunal may in its discretion establish separate deposits. 139 Johannes Gasser 60.5 During the course of the arbitral proceedings the arbitral tribunal may request supplementary deposits from the parties. 60.6 If a party asserts and satisfactorily proves insufficient funds for the proceedings, the arbitral tribunal shall call upon the other parties to deposit the advance on costs in lieu of the party lacking funds, or the share corresponding to the lack of funds, within a reasonable period of time. If this payment is not made, the arbitral tribunal may discontinue the proceedings without a decision on the merits and with reference to the party lacking funds. The arbitral tribunal may, however, demand that the party with insufficient funds pay or secure the amounts it is able to. 60.7 In its final award, the arbitral tribunal shall render an accounting to the parties of the deposits received. Any unexpended balance shall be returned to the parties. Confidentiality Article 61 61.1 Unless the parties expressly agree in writing to the contrary, the parties, their representatives, experts, the auditors, any commissioner, the secretariat and their auxiliary persons shall as a general principle keep confidential all awards and orders as well as all materials submitted and facts made available by other participants in the proceedings in the framework of the arbitral proceedings, unless a right to them exists in other ways, save and to the extent that a disclosure by a party may be imperative to fulfil a legal duty, to protect or pursue a legal right or to enforce or challenge an award. 61.2 The deliberations of the arbitral tribunal are confidential. The parties shall recognise this confidentiality and undertake to protect it. 61.3 The arbitral tribunal shall take any additional measures called for to protect the secrecy needs of a party. In particular, it may require the parties to keep strict confidentiality regarding facts of which they attain knowledge in their capacity and it may exhaustively delimit the circle of persons entitled to know such facts, and it may in special cases hand documents over to an expert subject to a secrecy obligation for review without granting the other parties access to the documents. 61.4 Parties, their representatives, experts, the arbitrators and any commissioner shall take appropriate organisational measures to safeguard the confidentiality of the arbitral proceedings. At the request of a party, the arbitral tribunal may order that communication by e-mail is impermissible or must be protected by appropriate encryption. At all times, materials must be kept with such care that third parties are unable to gain knowledge of their existence or content. 140 Schiedsstandort Liechtenstein 61.5 To the extent a possibility of refusing to testify on the arbitral proceedings and the confidential information received within the framework of such proceedings exists, it shall be used. The parties undertake not to call persons subject to confidentiality pursuant to Article 29.1 as witnesses in any judicial or other proceedings connected with the arbitral proceedings with respect to the information subject to confidentiality. 61.6 The obligation to maintain confidentiality shall persist even after conclusion of the arbitral proceedings. 61.7 If a party, its representative, an expert, an arbitrator, any commissioner or one of their auxiliary persons breaches the confidentiality obligation set out in Article 29.1, that person or those persons shall pay a contractual penalty in the amount of CHF 50,000 to the injured parties, unless the parties have agreed otherwise. Parties shall also be liable for the conduct of their counsel. The liability of auxiliary persons shall be governed by law. Several persons breaching the confidentiality obligation shall be held jointly and severally liable. A court or arbitral tribunal may mitigate the contractual penalty if the breach was without serious fault, material and immaterial damage is ruled out and no confidential fact was widely disseminated. This shall be without prejudice to claims of more far-reaching damage if the breach was deliberate. 61.8 With respect to a claim for a contractual penalty or compensation under article 29.7, an arbitral tribunal shall be deemed constituted under these provisions. If the breach concerns a party, the entitled party may until closure of the proceedings submit the request to the arbitral tribunal with jurisdiction for the original proceedings. Otherwise, the entitled party shall have the choice between initiating new proceedings at the place selected in the original arbitration agreement or at the domicile or residence of the respondent in the new proceedings. F. Exclusion of liability Article 62 None of the LCCI or its employees, the arbitrators, the commissioner, the secretariat, the tribunal-appointed experts or any secretary of the arbitral tribunal shall be liable for any act or omission in connection with an arbitration conducted under these Rules, save where such an act is absolutely required by law. This provision is subject to Article 29.7. 141 Johannes Gasser G. Secretariat and commissioner Article 63 63.1 The LCCI shall appoint a secretary for arbitration (the «secretary») and two deputies who together form the secretariat. The secretariat shall be staffed by the LCCI with independent, legally trained or otherwise suitable persons who preferably are not professional representatives of parties (lawyers, professional trustees, patent lawyers, tax advisors, etc.). 63.2 The secretariat shall adopt its own rules of procedure and shall make its contact information available in suitable form. 63.3 Requests for appointment of a commissioner shall be made directly to the secretariat. 63.4 Decisions of the secretariat are final and need not include reasons. Article 64 64.1 On request, the secretariat shall appoint an independent commissioner for specific arbitral proceedings. The appointment shall apply to the entire proceedings. The request must only designate the parties, their representatives, any directly affected third parties (especially such as companies, foundations, trusts, etc.) and, if already appointed, the arbitrators. If several arbitral proceedings have been initiated between the parties, such additional information shall be provided to designate the specific arbitral proceedings unambiguously. 64.2 Article 10 apply to the commissioner mutatis mutandis. A commissioner may be challenged under the provisions of Article 11 mutatis mutandis or on other important grounds and be removed by the secretariat. 64.3 If a time-limit exists to call for a commissioner and if no commissioner has been appointed yet, the request pursuant to Article 32.1 must be made within that time-limit. 64.4 If a time-limit exists for the decision of the commissioner, that time-limit shall in any event not commence before the appointment of the commissioner. 64.5 The commissioner shall independently make decisions that are assigned to the commissioner under these Rules. The decisions of the commissioner are final and not subject to legal remedy. He shall decide independently on any preliminary questions, such as whether a party allegedly in default is in fact in default. The adjudication of preliminary questions by the commissioner shall not bind the arbitral tribunal. 142 Schiedsstandort Liechtenstein 64.6 Parties and arbitrators directing requests to the commissioner shall make the necessary submission and transmit a copy each to the commissioner and the other parties and arbitrators. The commissioner shall grant all parties the right to be heard, to the extent their rights may be affected. 64.7 The commissioner shall not participate in the rest of the arbitral proceedings. The presiding arbitrator shall merely notify the commissioner and the secretariat of the end of the proceedings in writing. If no commissioner has been appointed, no notification need be made to the secretariat. 64.8 The LCCI shall not be liable for decisions, acts or omissions of the arbitral tribunal, the commissioner or the secretariat. The secretariat shall not be liable for decisions, acts or omissions of the arbitral tribunal or the commissioner. The commissioner shall not be liable for decisions, acts or omissions of the secretariat or the arbitral tribunal. 143 Johannes Gasser II. Appendix A – Schedule of the costs of arbitration A. Costs of the secretariat A.1 Anyone requesting decisions or appointments by the secretariat shall be liable for the administrative costs of the secretariat and shall immediately pay those costs at the request of the secretariat and, if demanded by the secretariat, in advance. He may, however, claim amounts paid as costs in the arbitral proceedings. Several applicants shall be held jointly and severally liable. A.2 The administrative costs of the secretariat shall be: •• for the appointment of a commissioner CHF 1’000 •• for the removal of a commissioner CHF 10’000 B. Costs of the commissioner B.1 Anyone requesting a decision by the commissioner shall be liable for the administrative costs of the commissioner and shall pay these costs immediately upon receiving the invoice. He may, however, claim amounts paid as costs in the arbitral proceedings. Several applicants shall be held jointly and severally liable. B.2 The commissioner may demand advance payment of his administrative costs. If these costs are not paid, he shall inform the parties and discontinue the proceedings. The administrative costs of the commissioner shall be: •• for the appointment of an arbitrator for a party or consent under Article I.B.6.1 CHF 2,000 •• for the appointment of an arbitrator for several parties CHF 3,000 •• for the decision on removal of an arbitrator CHF 10,000 •• for the decision on increasing the fee of the arbitral tribunal CHF 10,000 •• for the decision on allocation of the fee among the arbitrators CHF 3,000 •• […] C. Arbitrators’ fees C.1 The arbitrator’s fee shall cover the activities of the arbitral tribunal from the moment the file is transmitted until the last award. 144 Schiedsstandort Liechtenstein C.2 Deposits by the parties must be made to a separate bank account that is used only for the arbitral proceedings in question and is identified accordingly. Sole arbitrator Amount in dispute from to 0 Arbitrators’ fee 250’000 14’000 250’000 500’000 28’000 500’000 1’000’000 42’000 1’000’000 2’000’000 60’000 2’000’000 3’000’000 80’000 3’000’000 5’000’000 90’000 5’000’000 7’500’000 105’000 7’500’000 10’000’000 125’000 10’000’000 15’000’000 160’000 15’000’000 20’000’000 185’000 20’000’000 25’000’000 200’000 25’000’000 50’000’000 225’000 50’000’000 100’000’000 275’000 100’000’000 (amounts in CHF) – 350’000 145 Johannes Gasser Three-member arbitral tribunal Amount in dispute from to Arbitrators’ fee 0 250’000 29’000 250’000 500’000 68’000 500’000 1’000’000 105’000 1’000’000 2’000’000 140’000 2’000’000 3’000’000 180’000 3’000’000 5’000’000 210’000 5’000’000 7’500’000 255’000 7’500’000 10’000’000 300’000 10’000’000 15’000’000 370’000 15’000’000 20’000’000 420’000 20’000’000 25’000’000 455’000 25’000’000 50’000’000 510’000 50’000’000 100’000’000 620’000 100’000’000 – 850’000 (amounts in CHF) D. Taxes and duties C.1 The parties are required to pay additionally any value added tax or other taxes and duties on the charges and fees referred to above. Collecting such taxes and duties from the parties shall be the responsibility of the person entitled to the charge or fee in question. 146 Schiedsstandort Liechtenstein III. Model arbitration clauses For contractual disputes: Any dispute, controversy or claim arising out of or in relation to this contract, including the validity, invalidity, breach or termination thereof as well as non-contractual claims, shall be resolved by arbitration in accordance with the Rules of Arbitration of the Liechtenstein Chamber of Commerce and Industry to the exclusion of the judicial authorities. The number of arbitrators shall be (one or three). The seat of the arbitral tribunal shall be (insert desired place of arbitration). The arbitral proceedings shall be conducted in (insert desired language). For trusts: Any dispute, controversy or claim of any kind arising from or in relation to this trust – including the existence and scope of any beneficial interest, the designation of beneficiaries, the validity, invalidity, amendment or dissolution of the trust, the appeal of decisions, and supervisory measures – shall be resolved by arbitration in accordance with the Rules of Arbitration of the Liechtenstein Chamber of Commerce and Industry to the exclusion of the judicial authorities. In any event by accepting a beneficial interest, the beneficiary shall submit to this arbitration agreement. The trustee may call upon the beneficiary to confirm this by signature. Refusal of this confirmation shall be deemed a waiver of the beneficial interest. The number of arbitrators shall be (one or three). The seat of the arbitral tribunal shall be (insert desired place of arbitration). The arbitral proceedings shall be conducted in (insert desired language). If a party is indigent, the trustee may in his discretion for the duration of the proceedings provisionally assume the costs of the proceedings, including advances on costs and reasonable representation of that party, at the expense of the trust, subject to a decision by the arbitral tribunal in the award on the final obligation to bear the costs. For foundations: Any dispute, controversy or claim arising between the foundation, its executive bodies, the founder or beneficiaries in relation to the foundation, its formation, activity or liquidation, including the existence or scope of a beneficial interest, the designation of beneficiaries, the validity, invalidity, amendment or dissolution of the foundation, appeal of decisions, and supervisory measures, shall be resolved by arbitration in accordance with the Rules of Arbitration of the Liechtenstein Chamber of Commerce and 147 Johannes Gasser Industry to the exclusion of the judicial authorities. In any event by accepting a beneficial interest, the beneficiary shall submit to this arbitration agreement. The foundation may call upon the beneficiary to confirm this by signature. Refusal of this confirmation shall be deemed a waiver of the beneficial interest. The number of arbitrators shall be (one or three). The seat of the arbitral tribunal shall be (insert desired place of arbitration). On request, the arbitral tribunal may transfer the seat of the arbitral tribunal to the domicile of the foundation if this is necessary for the award to be valid for the foundation under company law. The language of the arbitral tribunal shall be (insert desired language). If a party is indigent, the foundation may in its discretion for the duration of the proceedings provisionally assume the costs of the proceedings, including advances on costs and reasonable representation of that party, reserving the right to reclaim these costs after a decision of the arbitral tribunal on the final obligation to bear the costs. For companies: Any dispute, controversy or claim arising between the company, its executive bodies, its shareholders or partners in relation to the company, its formation, activity or liquidation, including the existence or scope of a shareholding or partnership, the validity, invalidity, amendment or dissolution of the company, appeal of decisions, and supervisory measures, shall be resolved by arbitration in accordance with the Rules of Arbitration of the Liechtenstein Chamber of Commerce and Industry to the exclusion of the judicial authorities. In any event by acquiring shares or partnership rights, the shareholder or partner shall submit to this arbitration agreement. On request, the arbitral tribunal may transfer the seat of the arbitral tribunal to the domicile of the company if this is necessary for the award to be valid for the company under company law. The number of arbitrators shall be (one or three). The seat of the arbitral tribunal shall be (insert desired place of arbitration). The arbitral proceedings shall be conducted in 148 (insert desired language). Zur Rechtsfähigkeit der liechtensteinischen Treuhänderschaft Bernhard Lorenz Inhaltsübersicht A. Gegenstand B. Ausgangspunkt I. Spurfolgestreit II. Verwandtschaft von Treuhand und Gesamthand C. Gang der Untersuchung D. Aussenwirkung der Treuhänderschaft I. Gesetzesbestimmungen II. Vertragliche Erklärungsversuche III. Abgrenzung zur Fiduzia IV. Sachenrechtliche Erklärungsversuche V. Personenrechtliche Einordnung a. Einleitendes b. Konkursfähigkeit c. Schuldfähigkeit d. Parteifähigkeit e. Treuhänderwechsel E. Aussenwirkung mittels personen- und gesellschaftsrechtlicher Instrumente F. Keine juristische Person G. Zusammenfassung A. 149 150 150 151 153 154 154 156 157 158 162 162 162 164 168 169 175 178 180 Gegenstand Gegenstand dieser Abhandlung ist die Frage, ob die liechtensteinische Treuhänderschaft mit Rechtsfähigkeit ausgestattet ist. Sie wird vom Verfasser mit ja beantwortet. Doch soll damitnichteiner Qualifikation der liechtensteinischen Treuhänderschaft als juristischen Person das Wort geredet werden. Wie der schlichte Blick auf die Kollektiv- oder Kommanditgesellschaft zeigt, gibt es personenrechtliche Gemeinschaften, die als rechts-, partei- und konkursfähig gelten, ohne juristische Person zu sein. 149 Bernhard Lorenz B. Ausgangspunkt I. Spurfolgestreit Im Ausgang dieser Untersuchung steht ein Gerichtsfall, den die liechtensteinischen Gerichte vor kurzem zu entscheiden hatten.1 Es ging dabei um die Geltendmachung des Spurfolgerechts nach Art. 912 Abs. 3 PGR. Diese Bestimmung gewährt Begünstigten einer liechtensteinischen Treuhänderschaft sowie– über die Regelung des Common Law des Trust hinaus2 – dem Treugeber die Befugnis, Klage auf Heraus- und Rückgabe gegen Dritte zu erheben, welche aufgrund eines Treubruchs des Treuhänders unrechtmässig Besitz an einzelnen oder allen Stücken des Treuhandvermögens erlangt haben. Die Klage ist «zugunsten des Treuhandvermögens» geltend zu machen. Im Gerichtsfall war Gegenstand des Treubruchs das gesamte Vermögen der Treuhänderschaft. Der handelnde Treuhänder stellte nach Durchführung des Transfers die Vermögenslosigkeit des Trust fest und liess die Treuhänderschaft aus dem liechtensteinischen Öffentlichkeitsregister austragen. Im Gerichtsverfahrenwurde die Frage releviert, ob die Klagebefugnis des Art. 912 Abs. 3 PGR in Ansehung einer so «beendeten» Treuhänderschaft fortbesteht. Im Zusammenhang damit spielte eine Rolle, ob die Klagsführung die namentliche Bezeichnung des Treuhänders erfordert oder die namentliche Bezeichnung der Treuhänderschaft, zu deren Gunsten die Klage erhoben wird, ausreicht. Ersterenfalls hätte der Klagsführung ein Verfahren zur Bestellung eines Treuhänders vorauszugehen, sofern man den Begünstigten nicht zur Klage zugunsten des treubrüchigen Treuhänders zwingen will, der angesichts seiner Gesamtverfügung über das Treuhandvermögen nicht mehr amtswilligsein wird, sondern überhaupt der Ansicht, gar nicht mehr Treuhänder zu sein. Das setzte freilich die Klärung der Vorfrage voraus, ob die Vermögensentäusserung treubrüchig war oder nicht, denn nur dann könnte von einem Fortbestand der Treuhänderschaft die Rede sein. Damit ist insgesamt die Frage releviert, ob die Treuhän1 2 OGH 2.8.2011, 06 CG.2007.337,www.gerichtsentscheidungen.li; im zweiten Rechtsgang OGH 2.8.2011 06 CG.2007.337, www.gerichtsentscheidungen.li. Der Verfasser war am Gerichtsverfahren als Parteienvertreter auf Klägerseite beteiligt. Siehe Hayton/Matthews/Mitchell, Underhill And.hayton Law Relatingto Trusts and Trustees18 (2010) Rz. 90.2 ff.; Mowbray/Tucker /Le Poidevin/Simpson/Brightwell, Lewin on Trusts18 (2008) Rz. 41–01 (der Rechtsbehelf steht Begünstigten und Treuhändern zu) und 41–46 (auch der treubrüchige Treuhänder kann das Spurfolgerecht geltend machen). 150 Zur Rechtsfähigkeit der liechtensteinischen Treuhänderschaft derschaft eine vom Treuhänder unabhängige Existenz führt oder nicht. Letztlich muss man sich der Frage der Rechtsfähigkeit der Treuhänderschaft stellen. Die Gerichtsinstanzen in Liechtenstein waren verschiedener Ansicht. Eine, die Berufungsinstanz, hielt dafür, der Beendigungserklärung des Treuhänders, unabhängig von der Frage, ob ein Treubruch begangen worden sei oder nicht, konstitutive Wirkung zuzugestehen und die Klagebefugnis zu verneinen.3 Falls der Beendigung ein Treubruch vorangegangensei, könnte man mit dem Gesetz höchstens noch die Wirkung vereinbaren, dass sich die jetzt vermögenslose Treuhänderschaft in eine Gesamthänderschaftumwandle und die Klagebefugnis gegen Dritte nur durch sämtliche Begünstigten gemeinschaftlich, also zur gesamten Hand, ausgeübt werden könne.4 Der Oberste Gerichtshof indessen blieb bei der strikt wörtlichen Anwendung des Art. 912 Abs. 3 PGR. Die Klagebefugnis des Art. 912 Abs. 3 PGR erlösche durch eine treuwidrige Beendigung der Treuhänderschaft nicht, bei der Klagsführung zugunsten der Treuhänderschaft reiche die namentliche Bezeichnung der Treuhänderschaft aus, für das Erkenntnisverfahren sei unerheblich, ob sich ein Treuhänder im Amt befinde oder nicht, und die exekutive Durchsetzung eines Spurfolgeurteils könne zugunsten eines dann bestellten Treuhänders erfolgen, was eine Titelergänzung in analoger Anwendung der Art. 5 f. EO erfordere.5 Der Staatsgerichtshof, an den die Rechtssache weitergezogen wurde, erkannte in der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs keinen Verfassungsverstoss.6 II. Verwandtschaft von Treuhand und Gesamthand Der Verfasser dieser Abhandlung lässt sich von der These leiten, dass zwischen Gesamthand und Treuhand, zwischen Gesamthänderschaft und Treuhänderschaft eine Verwandtschaft besteht, die schon inder Sprachähnlichkeit angedeutet liegt.7 Gesamthänderschaft und Treuhänderschaft gehen stark auf deutschrechtliche Wurzeln zurück.8 Treuhandbindung und Gesamthandbin3 4 5 6 7 8 OG 18.3.2010, 06 CG.2007.337 (unveröffentlicht). OG 18.3.2010, 06 CG.2007.337 (unveröffentlicht). OGH 1.10.2010, 06 CG.2007.337, www.gerichtsentscheidungen.li. StGH 4.9.2012, StGH 2011/139 (unveröffentlicht). Siehe Brehm /Berger, Sachenrecht2 (2006) 80 ff. K rause, Der deutschrechtliche Anteil an der heutigen Privatrechtsordnung, Juristische Schulung 1970, 313 (318 f. für Gesamthand, 320 für Treuhand); ausführlich zu den deutschrechtlichen Wurzeln der liechtensteinischen Treuhänderschaft Bösch, 151 Bernhard Lorenz dung eines Vermögens wirken nach aussen.9 Dieser Aussenwirkung des Innenverhältnisses wegen liegt eine Zuordnung ins Sachenrecht nahe, und tatsächlich wurde die Gesamthänderschaft ursprünglich als Phänomen des Sachenrechts betrachtet, die sich ins Personen- und Gesellschaftsrecht fortentwickelte.10 In der Gesamthänderschaft ist die Verfügungsbefugnis jedes einzelnen Gesamthänders über das zur gesamten Hand gehaltene Vermögen durch die gleichwertige Verfügungsbefugnis der anderen Gesamthänder beschränkt.11 Und in der Treuhänderschaft ist die Verfügungsbefugnis des Treuhänders durch die Vermögensrechte der anderen Beteiligten, der Begünstigten, beschränkt.12 Während die Gesamthänderschaft eine primär horizontale Dimension aufweist, indem die Rechte aller Gesamthänder grundsätzlich gleichwertig sind und gleichzeitig bestehen, zeichnet sich die Treuhänderschaft durch eine vertikale Dimension aus. Die Vermögensrechte der Beteiligten bestehen grundsätzlich weder gleichranging noch gleichzeitig und weisen eine Komplexität aus, die eine Selbstverwaltung der Berechtigten (Begünstigten) schon strukturellausschliesst. Die Treuhänderschaft weist daher die mit dem Eigentum verbundenen Verfügungsrechte dem Treuhänder zu, der sie allerdings nur zweckkonform und zugunsten der Begünstigten ausüben darf und ausüben kann.13 9 10 11 12 13 Die liechtensteinische Treuhänderschaft zwischen trust und Treuhand (1995) 270 ff., 291 ff. Für die deutschrechtliche Treuhand siehe nur K rause (Fn 8) 320 (rSp); zur Gesamthand siehe ebenfalls nur K rause (Fn 8) 319 (lSp): «Nicht körperschaftlich verdichtet, aber andererseits auch nicht nur, wie die römische societas, eine reine vertragliche Innenbeziehung der Beteiligten (allenfalls mit Bruchteilseigentum) sind die Gemeinschaften zur gesamten Hand aus mittelalterlichen Vorbildern in das geltende Recht übernommen.» Siehe zur Gesamthand auch Wiedemann, Gesellschaftsrecht I (1980) 242 ff., zur Treuhand siehe auch Kötz, Trust und Treuhand (1963) 125. Schauer in Kalss/Nowotny/Schauer, Österreichisches Gesellschaftsrecht (2008) Rz. 2/114 m.w.N. Brehm /Berger (Fn 7) 80: «Bei der Verfügung über einen zum Gesamthandvermögen gehörenden Gegenstand müssen alle Gesamthänder mitwirken, weil sie nur zusammen verfügungsbefugt sind.» Dazu im Einzelnen unten D.I. Die dingliche Bedeutung der deutschrechtlichen Treuhand allgemein ausdrückend, K rause (Fn 8) 320: «Aus dem Kapitel vom Wiederaufleben im BGB nicht aufgenommener deutschrechtlicher Gedanken soll wenigstens noch die Treuhand erwähnt werden, die «zum ältesten Bestande der germanisch bestimmten Rechte» gehört und elastischer als die römische Fiducia der Zweckbindung des Eigentums dingliche Wirkung zu verleihen vermochte.» Im Detail unten D.I. 152 Zur Rechtsfähigkeit der liechtensteinischen Treuhänderschaft Die Nähe von Gesamthänderschaft und Treuhänderschaft sei anhand des folgenden Gedankens weiter illustriert. Die bekannteste Gesamthandgemeinschaft ist die kaufmännische Personengesellschaft, deren Gesellschafter persönlich und unbeschränkt haften: die Kollektivgesellschaft liechtensteinischen und Schweizer Rechts, die Offene Gesellschaft österreichischen und die Offene Handelsgesellschafts deutschen Rechts.14 Schon die Kommanditgesellschaft reichert sich aber mit treuhandrechtlichen Elementen an und nähert sichderTreuhänderschaft, indem beim Kommanditisten die vermögenswerte Seite des Eigentums betont, die verfügungsrelevante aber reduziert ist und die mit dem Eigentum grundsätzlich verbundenen Verwaltungs- und Verfügungsrechte primär beim Kommanditär/Komplementär liegen.15 In der Kautelarpraxis, insbesondere wenn man ausländische Rechtsordnungen miteinbezieht, geht das bis zu jenem Extrem, bei dem der Kommanditär/Komplementär über das Gesellschaftsvermögen allein verfügungsbefugt ist, der Kommanditist indessen allein vermögensbegünstigt.16 Die Rechtstellung eines solchen Kommanditärs ist der Rechtstellung eines Treuhänders bereits sehr ähnlich und der Schritt zur «reinen» Treuhänderschaft ein kleiner. C. Gang der Untersuchung Der Verfasser beschäftigt sich zunächst mit der Aussenwirkung der Treuhänderschaft als solcher, bevor er zu ergründen sucht, welche Erklärungsmodelle dafür herangezogen werden können. Diese Betrachtung führt zur Abgrenzung von Rechtsinstituten wie der Fiduzia, die dafür keine Begründung zu liefern vermögen. Letztlich geht es darum, die Aussenwirkungen der Treuhänderschaft dem Sachenrecht oder dem Personen- und Gesellschaftsrecht zuzuordnen, welch beide freilich, wie zu zeigen sein wird, ihrerseits in einem Zusammenhang stehen. Der Verfasser wird aufzeigen, dass das PGR hinreichende 14 15 16 Art. 639 ff. PGR; Art. 552 OR; §§ 105–160 UGB; §§ 105 ff. HGB. Siehe Wiedemann, Gesellschaftsrecht II (2004) 761. Delaware Code Title 6 § 17–401: «… Unless otherwise provided in a partnership agreement, a person may be admitted to a limited partnership as a general partner of the limited partnership without acquiring a partnership interest in the limited partnership …» Vgl. auch Wiedemann II (Fn 15) 776: «In die umgekehrte Richtung weisen Gesellschaftsverträge, die die Kommanditisten als reine Anlagegesellschafter, also in der Nähe von stillen Gesellschaftern mit geringen Mitgliedsbefugnissen ausstatten. Das trifft vor allem, aber nicht nur für Publikumsgesellschaften zu.» 153 Bernhard Lorenz Elemente zur Anerkennung der Rechts- und Parteifähigkeit der liechtensteinischen Treuhänderschaft enthält und der personen- und gesellschaftsrechtlichen Ausdeutung gegenüber der sachenrechtlichen der Vorzug zu geben ist. D. Aussenwirkung der Treuhänderschaft I. Gesetzesbestimmungen Die Aussenwirkung der treuhänderischen Vermögensbindung der Treuhänderschaft, die durch rechtsgeschäftliche Erklärung geschaffen wird, scheint dem Verfasser das prägende Merkmal der Treuhänderschaft zu sein. Den zivilistisch geschulten Juristen fasziniert dieses Phänomen am meisten, wenn er mit der liechtensteinischen Treuhänderschaft in Berührung gerät, durchbricht es doch den auf römisches Recht zurückgehenden Grundsatz der scharfen Trennung von Innen- und Aussenverhältnis,17 der reinen Binnenwirkung rechtsgeschäftlicher Rechte und Pflichten. Die Aussenwirkung der Treuhänderschaft ist bereits in der Definition der Treuhänderschaft, die Art. 897 PGR aufstellt, angelegt: Treuhänder (Trustee oder Salmann) im Sinne dieses Gesetzes ist diejenige Einzelperson, Firma oder Verbandsperson, welcher ein Anderer (der Treugeber) bewegliches oder unbewegliches Vermögen oder ein Recht (als Treugut), welcher Art auch immer, mit der Verpflichtung zuwendet dieses Treugut im eigenen Namen als selbständiger Rechtsträger zugunsten eines oder mehrerer Dritter (Begünstigter) mit Wirkung gegen jedermann zu verwalten oder zu verwenden.18 Die Bestimmung bezeichnet den Treuhänder zwar als selbstständigen Rechtsträger, schränkt aber zugleich ein, dass diese Rechtsträgerschaft «zugunsten eines oder mehrerer Dritter (Begünstigter)» besteht. Die Bestimmung spricht weiter von der «Wirkung gegen jedermann». Damit ist nicht nur die Rechtsträgerschaft des Treuhänders gemeint, sondern vor allem die Hinwendung der Treuhänderschaft zugunsten eines oder mehrerer Begünstigter, die mit einer Beschränkung der Verfügungsmacht des Treuhänders einhergeht. Dem entspricht die Begründung der Pflicht des Treuhänders, das Vermögen zugunsten der Begünstigten zu «verwalten» und zu «verwenden». Mit einer schlichten 17 18 Siehe Kötz (Fn 9) 128. Hervorhebungen durch Verfasser. 154 Zur Rechtsfähigkeit der liechtensteinischen Treuhänderschaft Eigentümerschaft wäre eine Verwaltungs- und Verwendungspflicht nicht verbunden. Der Rechtsverkehr, soviel deutet die Definitionsbestimmung bereits an, muss daher die Rechte von Begünstigten auf das Treuhandvermögen gegen sich gelten lassen. Die konkrete Kernbestimmung, die der Aussenwirkung Biss verleiht, ist das im liechtensteinischen Sprachgebrauch meist sogenannte Spurfolgerecht. Von ihm war bereits kuRz. die Rede. Festgelegt ist es, für die einfache Treuhänderschaft, in Art. 912 Abs. 3 PGR und, für Treuunternehmen, in § 30 Abs. 1 TrUG: Art. 912 Abs. 3 PGR: Haben Dritte zum Treugute gehörende Sachen oder Rechte in Kenntnis ihrer Treuhandeigenschaft vom Treuhänder, ohne dass dieser verfügungsberechtigt war, erworben, so kann der Treugeber, ein Mittreuhänder oder ein Begünstigter oder endlich ein vom Landgericht bestellter Treuhänder, sei es einzeln oder als Streitgenossen mit anderen den Herausgabe- oder den Bereicherungsanspruch zugunsten des Treuhandvermögens geltend machen. § 30 Abs. 1 TrUG: Hat ein Treuhänder … entgegen Treuanordnung oder Gesetz Treugut unrechtmässig veräussert, so hat jeder andere Treuhänder oder Begünstigungs- oder Anwartschaftsberechtigte das Recht zur Spurfolge nach dem Treugute, und er kann dasselbe nach Mitteilung an die geschäftsführenden Treuhänder namens und zugunsten des Treuunternehmens nach den Besitzregeln herausverlange, sofern das Treugut nicht von einem Dritten, der keine Kenntnis von der Treuhandeigenschaft zur Zeit des Erwerbes hatte, gegen angemessenes Entgelt erworben worden ist. Die Bestimmungen weisen kleine Unterschiede auf, die für Zwecke dieser Abhandlung nicht bedeutsam sind. Beide gewähren jedem einzelnen Begünstigten der Treuhänderschaft die Befugnis Klagen gegen Dritte zu erheben, die durch Treubruch des Treuhänders in den Besitz von Treuhandvermögen gelangt sind. Die Klage ist «zugunsten des Treuhandvermögens» (Art. 912 Abs. 3 PGR) bei der Treuhänderschaft und «namens und zugunsten des Treuunternehmens» (§ 30 Abs. 1 TrUG) beim Treuunternehmen zu erheben. Das Begehren ist auf Herausgabe oder Bereicherung gerichtet. Das bedeutet, dass kein obligatorischer, sondern zumindest primär ein dinglicher Anspruch geltend gemacht wird.19 Ist die treuwidrig entäusserte Sache noch vorhanden, kann Herausgabe begehrtwerden, wurde sie verbraucht oder in andere Vermö- 19 Bösch (Fn 8) 116. 155 Bernhard Lorenz genswerte gewandelt, besteht der Bereicherungsanspruch – der freilich seinerseits eine Fortwirkung sachenrechtlicher Zuordnung darstellt.20 Art. 912 Abs. 3 PGR bzw§ 30 Abs. 1 TrUG beschränken die Verfügungsbefugnis des Treuhänders gegenüber jedermann. Nicht nur knüpft Art. 912 Abs. 3 PGR an die Verfügung des Treuhänders, «ohne dass dieser verfügungsberechtigt21 war», sondern der Anspruch lautet ausdrücklich auf Herausgabe bzw. Bereicherung und nicht Schadenersatz. Durchausbedeutender ist diese Dimension der beiden Bestimmungen als die Verleihung der Klagebefugnis an Begünstigte, Treugeber und Mittreuhänder, auf die sich die Diskussion meist konzentriert, wenn die Betrachtung auf Art. 912 Abs. 3 PGR (oder § 30 Abs. 1 TrUG) fällt. Unter den gesetzlichen Voraussetzungen entzieht Art. 912 Abs. 3 PGR der treuwidrigen Verfügung des Treuhänders die sachenrechtliche Verfügungswirkung. Die Frage, die sich bei der Lektüre der Bestimmungen aufdrängt, ist die nach der materiellen Rechtsträgerschaft des geltend gemachten Anspruchs. Wessen Recht wird geltend gemacht, das des Treuhänders oder das der Treuhänderschaft? Begünstigte, Treugeber oder Mittreuhänder klagen nach Massgabe von Art. 912 Abs. 3 PGR nicht aus eigenem Recht. Ausdrücklich ist ihre Befugnis eine schlichte Klagsbefugnis «zugunsten des Treuhandvermögens» bzw. «zugunsten des Treuunternehmens». Der handelnde Treuhänder selbst ist in der Aufzählung der zur Klagsführung Befugten nicht erwähnt. Schon dies legt nahe, dass das materielle Recht nicht dem Treuhänder, sondern der Treuhänderschaft zugeordnet ist. Die Frage nach der Rechtsfähigkeit der Treuhänderschaft ist damit einmal mehr aufgeworfen. II. Vertragliche Erklärungsversuche Vertragliche Erklärungsversuche zur Fassung des Phänomens der liechtensteinischen Treuhänderschaft können die Aussenwirkung nicht erklären. Die 20 21 Bösch (Fn 8) 120 f. Zur Funktion des bereicherungsrechtlichen Verwendungsanspruchs, den sachenrechtlichen Zuweisungsgehalt eines Rechts zu schützen siehe nur Stanzl in Klang/Gschnitzer, Kommentar zum Allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuch IV/12 (1968) 1041. AA Biedermann, Die Treuhänderschaft des liechtensteinischen Rechts, dargestellt an ihrem Vorbild, dem Trust des Common Law (1981) 411 ff., der die Haftung des schlechtgläubigen Dritten schadenersatzrechtlich ausdeutet. Anmerkung des Verfassers dieser Abhandlung. 156 Zur Rechtsfähigkeit der liechtensteinischen Treuhänderschaft Treuhänderschaft entsteht zwar, in aller Regel, durch Vertrag (Art. 899 Abs. 1 PGR), ihre Wirkungen erschöpfen sich aber nicht in der Begründung relativer Rechte und Pflichten zwischen den Parteien. Vertragliche Rechte und Pflichten wirken nur zwischen den Parteien, nicht gegenüber Dritten.22 Die zwischen Treugeber und Treuhänder vertraglich geschaffene Treuhänderschaft begründet ein Rechtsverhältnis freilich zwischen dem Treuhänder und den Begünstigten – eine typologische Ähnlichkeit mit dem Vertrag zugunsten Dritter ist nicht zu bestreiten –,23 und verleiht dem Widmungszweck der Treuhänderschaft darüber hinausWirkungen nach aussen und spätestens ab diesem Zeitpunkt ist das Schuld- und Vertragsrecht verlassen. III. Abgrenzung zur Fiduzia Auch von der römisch-rechtlichen Fiduzia unterscheidet sich die liechtensteinische Treuhänderschaft, denn Erstere beschränkt die Treuhandbindungen, die bei der Verwaltungstreuhandschaft zwischen Fiduziant und Fiduziar bestehen, auf deren Innenverhältnis.24 Gegenüber Dritten beschränkt die Treuhandbindung die Verfügungsmacht des Fiduziars nicht.25 Treuwidrige Verfügungen lösen Schadenersatzansprüche des Fiduzianten aus, die sich, von Ausnahmen abgesehen, nur gegen den Fiduziar, nicht den Dritten richten.26 22 23 24 25 26 Siehe nur Welser in Koziol/Welser, Grundriss des bürgerlichen Rechts II13 (2007) 1 m.w.N. Angedeutet bei Bösch (Fn 8) 334. Zur Abgrenzung im Einzelnen Scott/Fratcher/ Ascher, Scott and Ascher on Trusts I5 (2006) 118 ff. Siehe auch Kötz (Fn 9) 128 f. Schurr, Der liechtensteinische Trust als alternatives Gestaltungsinstrument zur Stiftung, in Schurr, Das neue liechtensteinische Stiftungsrecht – Anwendung, Auslegung und Alternativen (2012) 133 (137). Bösch (Fn 8) 258 ff. (259): «Kennzeichen der fiduziarischen Treuhand ist die überschießende Rechtsmacht des Treuhänders im Außenverhältnis, die oft mit der auf v. Thur zurückgehenden Merkformel «Der Treuhänder kann mehr als er darf» umschrieben wird.» Kötz (Fn 9) 125. Siehe nur Kötz (Fn 9) 139 f. (allerdings unter Herausarbeitung von Tatbeständen, unter denen ein Dritter, der im Wissen um die Vertragsverletzung des Fiduziars bösgläubig erwirbt, ebenfalls schadenersatzpflichtig werden kann). 157 Bernhard Lorenz IV. Sachenrechtliche Erklärungsversuche Ein sachenrechtlicher Erklärungsversuch ist nicht von vornherein auszuschliessen. Denn die Aussenwirkung von Rechten hat dort ihren Ursprung. Und im Zusammenhang mit der liechtensteinischen Treuhänderschaft ist immer wieder von der dinglichen Wirkung des Zweckes der Treuhänderschaft die Rede.27 Das Gesetz selbst bezeichnet den Treuhänder an einer Stelle als Träger eines «dinglich[en] Verwaltungsrecht[es]» (Art. 910 Abs. 3 PGR). Durchaus kann man sich die Treuhandbindung des Vermögens als dingliche Belastung vorstellen, die auf den Vermögensstücken haften bleibt, solange darüber nicht mit befreiender Wirkung verfügt wurde. Für den Trust des Common Law – der dem liechtensteinischen Gesetzgeber des Jahres 1926 primär, aber nicht nur als Vorbild diente28 – könnte man eine solche sachenrechtliche Ausdeutung vertreten.29 Sie krankt dort allerdings daran, dass das Common Law – unter Berücksichtigung der Equity mit ihrer Billigkeitsrechtsprechung dieser Art der Systematisierung nicht wirklich zugänglich ist.30 27 28 29 30 Statt anderer Schurr (Fn 24) 137: «Insoweit weist der Trust liechtensteinischer Prägung vorwiegend sachenrechtliche Züge auf, die nur am Rande mit schuldrechtlichen Elementen vermischt sind.» Siehe Biedermann (Fn 20) 1 ff. unter Betonung der Vorbildwirkung des Common Law Trust; Bösch (Fn 8) 291 ff. unter Herausarbeitung der Vorbildwirkung der deutschrechtlichen Treuhandlehre. Soweit es um die Aussenwirkung des Treuhandverhältnisses geht, ist der Unterschied zwischen Trust und deutschrechtlicher Treuhand nicht überzubetonen, weil auch letztere der Treuhandabrede Aussenwirkung zuerkennt, dazu zusammenfassend Bösch (Fn 8) 345 ff.; siehe auch Kötz (Fn 9) 125: «Während nämlich der fiduziarische Treuhänder …, wird dem Treuhänder bei der deutschrechtlichen Treuhand von vornherein gerade nur diejenige Verfügungsbefugnis eingeräumt, die er nach Maßgabe des Innenverhältnisses zur ordnungsgemässen Treugutverwaltung braucht». Gewichtige Stimmen meinen überdies, dass der Trust des Common Law seinerseits deutschrechtliche Wurzeln hat, siehe Scott on Trusts (Fn 23) 26 m.w.N.: «Others, including Justice Holmes, argued that the trust had a Germanicorigin, in the Salmann or Treuhand.» Siehe Scott on Trusts (Fn 23), Trust als Form geteilten Eigentums: «[The courts of equity] gave the trust beneficiary an interest in the trust property … The result is something unique: a form of double ownership. The trustee holds legal title, but the beneficiary has equitable ownership.» VglKötz (Fn 9) 36; Biedermann (Fn 20) 20 ff. Grundsätzlich Pejovic, Civil Law and Common Law: Two Different Paths Leading to the Same Goal, (2001) 32 VUWLR 817, ww.victoria.ac.nz, abgefragt 13.12.2012. 158 Zur Rechtsfähigkeit der liechtensteinischen Treuhänderschaft In Liechtenstein scheitert die sachenrechtliche Einordnung am Typenzwang des Sachenrechts.31 Wollte man die eingeschränkten Verfügungsbefugnisse des Treuhänders sachenrechtlich deuten, so müsste diese Beschränkung auf einem konkurrierenden Sachenrecht der Begünstigten beruhen. Sachenrechtlich fassen lassen sich die Rechte von Begünstigten am Treuhandvermögen aber nicht, weil keines der zur Verfügung stehenden Sachenrechte darauf passt. Die Begünstigtenrechte bei einer Treuhänderschaft sind fast grenzenlos vielgestaltig, nach freiem vertraglichen Ermessen, sie sind manchmal mit konkreten Vermögensrechten überhaupt nicht verbunden, etwa wenn der Trust eine reine Ermessenstreuhänderschaft ist (§ 78 Abs. 2 TrUG). Nur in einem eng begrenzten Bereich könnte man die sachenrechtliche Zuordnung noch machen, zum Beispiel bei strikt wirkenden Ertragsbegünstigungen; dortläge eine Parallele zum sachenrechtlichen Recht der Nutzniessung vor– darüber hinaus scheitert die sachenrechtliche Ausdeutung an der Starrheit des liechtensteinischen Sachenrechts. Nein, die Rechte der Begünstigten, die aus der Treuhänderschaft entstehen, sind keine Sachenrechte, sie lassen sich viel eher personen- und gesellschaftsrechtlich ausdeuten. Die personen- und gesellschaftsrechtliche Systematik liegt der liechtensteinischen Treuhänderschaft in der Tat zugrunde. Wenn der Gesetzgeber die Treuhänderschaft ins Personen- und Gesellschaftsrecht statt in das Sachenrecht integriert dann ist das keiner Ungeschicklichkeit des liechtensteinischen Gesetzgebers zu verdanken, wie kürzlich an anderer Stelle behauptet,32 sondern einer tiefen rechtshistorischen und –dogmatischen Einsicht des historischen Gesetzgebers. Beim bereits besprochenen Art. 912 Abs. 3 PGR zeigt sich die personenrechtliche Prägung doppelt, sowohl hinsichtlich der Beschränkung der Verfügungsmacht des Treuhänders auf den Widmungszweck33 als auch hinsichtlich der Klagebefugnis der Beteiligten bei treuwidrigem Verhalten des Treuhänders. Entsprechende Klagebefugnisse von an einem komplexen Vermögensarrangement Beteiligten kennt das Personenund Gesellschaftsrecht nämlich auch sonst. Gerade aus dem Recht der Gesamt- 31 32 33 Zum numerus clausus der dinglichen Rechte im Schweizer Sachenrecht, dem das liechtensteinische Recht nachgebildet ist, siehe nur Wiegand in Honsell/Vogt/Gaiser, Basler Kommentar Zivilgesetzbuch II3 (2007) Vor Art. 641 ff. Rz. 61 ff. Schurr, Spurfolgerecht neu interpretiert oder Ende des liechtensteinischen Trusts? LJZ 2011, 170 (172 rSp). Oben D.I. Zur Bedeutung des Widmungszweckes bei den personenrechtlichen Gemeinschaften, unten E. 159 Bernhard Lorenz händerschaften, deren Entstehung ursprünglich mit dem Sachenrecht in Verbindung steht, wurde die prozessstandschaftliche Klage der actio pro socio entwickelt.34 Mit ihr macht ein Gesamthänder den Anspruch der Gesamthänderschaft geltend, wenn die an sich dafür Zuständigen pflichtwidrig untätig bleiben.35 Die actio pro socio des Personengesellschaftsrechts ist subsidiär,36 das heisst die Klagebefugnis kann nur ausgeübt werden, wenn die im Rahmen der vorhandenen Organisation Zuständigen nicht handeln können oder wollen, und sie wird auf Ansprüche aus dem Gesamthandverhältnis, sogenannte Sozialansprüche, beschränkt.37 Doch erklärt sich diese zweite Einschränkung aus dem Grundsatz der Subsidiarität:38 Über die Organisation bestimmt in der 34 35 36 37 38 Dass es sich bei der actio pro socio um eine Prozessstandschaft handelt, die den Prozessstandschafter zur Geltendmachung eines materiell-rechtlich fremden Anspruchs im eigenen Namen zugunsten des materiell Berechtigten befähigt, ist heute herrschende Meinung: Statt vieler Ulmer in Rebmann/Säcker/Rixecker, Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch V/34 (2004) § 705 Rz. 208 m.w.N.: «Der Lehre von der actio pro socio als Verfolgung eines eigenen Rechts ist nicht zu folgen. … Bei der actio pro socio handelt es sich vielmehr um einen Fall der Prozessstandschaft.» – Schwab, Das Prozeßrecht gesellschaftsinterner Streitigkeiten (2005) 118 m.w.N.: «Der Gesellschafter, der einen Sozialanspruch mit Hilfe der actio pro socio verfolgt, klagt alsProzeßstandschafter aus dem Recht der Gesellschaft. Dieser Sicht scheint sich neuerdings auch die höchstrichterliche Rechtsprechung anzuschließen»; Wiedemann (Fn 15) 282: «Überwiegend wird heute für die organisierte Personengesellschaft die Auffassung vertreten, es handele sich um eine mitgliedschaftliche Prozeßführungsbefugnis, mit der ein fremdes Recht im eigenen Namen geltend gemacht werden kann.» – Schmidt in Schmidt, Münchener Kommentar zum Handelsgesetzbuch II 2 § 105 Rz. 202: «Prozessrechtlich liegt eine Prozessstandschaft vor (…), also eine Befugnis des Gesellschafters, im eigenen Namen ein der Gesellschaft zustehendes materielles Recht einzuklagen.» – Oberhammer, Die OHG im Zivilprozeß (1998) 366: «Als herrschend ist dem gegenüber wohl anzusehen, daß die materiell-rechtliche Sachlegitimation subspecie «Sozialanspruch» allein bei der Gesellschaft liegt, die Klagebefugnis des Gesellschafters mithin nur einen Übergang der Prozeßführungsbefugnis der Gesellschaft auf diesem bedeutet; nach dieser Auffassung handelt es sich mithin bei der Befugnis zur Erhebung der actio um einen Fall gesetzlicher Prozeßstandschaft.» Ebenso Fellmann/Müller in Hausheer/Walter, Berner Kommentar, Das Obligationenrecht VI/2 8. Teilband Art. 530 Rz. 639. Schmidt, Gesellschaftsrecht4 (2002) 636 ff. (bei organisierter Personengesellschaft handelt es sich um eine Hilfszuständigkeit). Schauer (Fn 10) Rz. 2/357 m.w.N. Statt anderer siehe nur Schauer (Fn 10) Rz. 2/356. Schmidt (Fn 35): «Allerdings bezieht sich die actio pro socio bei Gesellschaften mit einer geregelten Außenorganisation nur auf Ansprüche aus dem Gesellschaftsverhältnis». Im liechtensteinischen Treuunternehmensrecht besteht die der actio pro socio entsprechende Begünstigtenklage auf sämtliche Ansprüche des Treuunternehmens, 160 Zur Rechtsfähigkeit der liechtensteinischen Treuhänderschaft Regel der Mehrheitsgesellschafter und während dieser Einfluss die Einbringung von Drittansprüchen typischerweise nicht tangiert, kann er jene von Sozialansprüchengefährden, weil Interessenkonflikte vorhanden sind, die mitunter dazu führen, dass Sozialansprüche, insbesonderesolche gegen den Mehrheitsgesellschafter «brach liegen» bleiben.39 Von einem Organisationsversagen geht das Recht primär innerhalb des Gesellschaftsverhältnisses, nicht gegenüber Dritten aus. Trotzdem handelt es sich um Ansprüche der Gesamthänderschaft, die jeder einzelne Gesamthänder im Rahmen der actio pro socio zugunsten der Gesellschaft geltend machen kann. Die Parallele zum Spurfolgeanspruch des Art. 912 Abs. 3 PGR und § 30 Abs. 1 TrUG ist frappierend. Vom Grundsatz der Subsidiarität ist nur formell, nicht materiell dispensiert, denn das Gesetz nimmt a priori an,dass der zur Geltendmachung des Anspruchs an sich zuständige Treuhänder nicht tätig werden will oder kann, wenn es um die Rückgängigmachung einer von ihm vorgenommenen treuwidrigen Verfügung geht. Deshalb verzichtet das Gesetz auf die der Klagsführung vorangehende – im Rahmen der actio pro socio an sich nötige40 – Aufforderung an den Treuhänder zum Tätigwerden.41 Bei § 30 Abs. 1 TrUG ist das Prinzip der Subsidiarität noch stärker sichtbar, weil der zur Klage Bereite und Befugte das Treuunternehmen immerhin noch vorab zu benachrichtigen hat. Dass der Anspruch des Art. 912 Abs. 3 PGR sich nicht notwendig gegen einen Beteiligten richten muss, sondern einen Dritten, stört den Vergleich zur actio pro socio nicht.42 Denn typischerweise geht es bei Art. 912 Abs. 3 PGR oder § 30 Abs. 1 TrUG um die Rückgängigmachung von unentgeltlichen Vermögensverfügungen, die eigentlich nur zugunsten des Treuhänders selbst oder ihm nahe- 39 40 41 42 als Notzuständigkeit bei Untätigkeit des Treuhänders, gegenüber Beteiligten oder Dritten (§ 99 Abs. 2 TrUG). vergleiche Lutter, Theorie der Mitgliedschaft – Prolegomena zu einem Allgemeinen Teil des Korporationsrechts –, AcP 1980, 132; Fellmann/Müller (Fn 34) Art. 530 Rz. 642 (actio pro socio ist ein Minderheitsrecht). Statt vieler siehe nur Wiedemann II (Fn 15) 284. Die ähnliche Begünstigtenklage des TrUG gegenüber Beteiligten oder Dritten zugunsten des Treuunternehmens (siehe oben Fn 38) verlangt eine vorige Aufforderung gegenüber dem Treuhänder unter Fristsetzung (§ 99 Abs. 2 TrUG). Die actio pro socio ist ihrerseits als Gesellschafterklage zur Geltendmachung von Ansprüchen der Gesellschaften gegenüber Dritten als Gesellschafterklage vorstellbar und bei Gesellschaften ohne selbständige Vertretungsorganisation auch zulässig, siehe nur Schmidt (Fn 35) 634 m.w.N.; siehe auch Fikentscher /Heinemann, Schuldrecht10 (2006) 382 f. (die externe Gesellschafterklage ist bei der BGB-Gesellschaft zulässig, «wenn die anderen Gesellschafter die Einziehung aus gesellschaftswidrigen Gründen verweigern und der Schuldner an diesem Verhalten beteiligt ist».). 161 Bernhard Lorenz stehender Personen oder einen am Trust Beteiligten denkbar sind, mit dem der treuwidrig handelnde Treuhänder kolludiert. In der Regel werden also nicht Verkehrsgeschäfte angegriffen, sondern Verfügungen zugunsten von Personen, die ein Naheverhältnis zum Treuhänder haben. V. Personenrechtliche Einordnung a. Einleitendes Die Aussenwirkung der Treuhänderschaft sucht der Verfasser demnach in Übereinstimmung mit der Systematik des Gesetzes im Personen- und Gesellschaftsrecht. Es geht um die Frage, ob die Treuhänderschaft kraft der Aussenwirkungen ihres Zweckes mit einer personenrechtlichen Identität ausgestattet ist. Der Verfasser geht im Folgenden Hinweisen des Gesetzes nach, aus denen sich in der Gesamtschau die Rechtsfähigkeit der Treuhänderschaft ableiten lässt. Die Abgrenzung zur juristischen Person wird am Schluss gezogen. b. Konkursfähigkeit Ein entscheidendes Argument für die hier vertretene Ansicht ist der Umstand, dass die Treuhänderschaft liechtensteinischen Rechts konkursfähig ist. Geregelt ist dies in Art. 916 Abs. 1 PGR: Über das Treuhandvermögen kann nach den Vorschriften der Konkursordnung ein besonderer Konkurs durchgeführt werden, in welchem Falle die Gläubiger des Treugutes ihre Forderung für den Ausfall beim Treuhänder geltend machen können, soweit sich nicht gemäss den vorausgehenden Absätzen ein Ausschluss dieser Geltendmachung ergibt. Die Konkursfähigkeit des Treuhandvermögens unterscheidet die liechtensteinische Treuhänderschaft vom Trust des Common Law. Dem Treuhandvermögen wird dort eine Insolvenzfähigkeit nicht zugestanden.43 Soweit Konkurs43 Zumindest finden sich dazu keine Hinweise in der verfügbaren liechtensteinischen und englischen Standardliteratur. Selbst Biedermann (Fn 20), der den Einfluss der deutschrechtlichen Treuhand auf die liechtensteinische Treuhänderschaft weitgehend ignoriert und Unterschiede zum englischen Common Law tendenziell eher klein- oder wegredet – oder der Ignoranz des Gesetzgebers zuschreibt –, findet zur Insolvenzfähigkeit der liechtensteinischen Treuhänderschaft kein Pendant im englischen Recht, siehe Seite 372 ff. zum Common Law und Seite 379 ff. zur liechtensteinischen Treuhänderschaft. Auf den Unterschied verweisend, dass im liechtensteinischen Treuhän- 162 Zur Rechtsfähigkeit der liechtensteinischen Treuhänderschaft fragen behandelt werden, geht es immer um die Frage der Aussonderung des Treuhandvermögens im Konkurs des Treuhänders. Insolvenzfähig ist der Trustee, und weil dieser Eigentümer nicht nur seines Privat-, sondern auch des Treuhandvermögens ist, besteht naturgemäss die Gefahr der konkursmässigen Verwertung auch des Treuhandvermögens.44 Gegenüber dieser zweckwidrigen Wirkung sind die Begünstigten eines Common Law Trust durch Regeln geschützt, die dem Art. 915 PGR weitgehend entsprechen.45 Gläubiger des Trustee dürfen demnach auf Treuhandvermögen im Exekutions- oder Konkursverfahren nicht zugreifen, und nur insoweit doch, als der Trustee Anspruch auf Überführung von Treuhandvermögen in Privatvermögen besitzt, also im Rahmen seiner Ansprüche auf Entlohnung und Freistellung (siehe Art. 915 Abs. 1 PGR).46 Warum es keine Regeln für ein eigenes Konkursverfahren über das Treuhandvermögen zum Schutz der Gläubiger im Common Law gibt, erklärt sich schlicht daraus, dass der Trustee Schuldner aller für das Treuhandvermögen eingegangener Verbindlichkeiten ist, und er auch mit seinem Privatvermögen für all diese Schulden haftet.47 Für die Begründung einer Insolvenzfähigkeit des Treuhandvermögens besteht daher kein Bedarf. Die Frage der Konkursfähigkeit hängt mit der Schuldfähigkeit, und damit der Rechtsfähigkeit eng zusammen. Konkursfähig sind nämlich grundsätzlich nur 44 45 46 47 derschaftsrecht die Haftung mit dem Treugut – anders als im englischen Trustrecht – die primäre sei, gebe esin Liechtenstein folgerichtig einen besonderen Konkurs über das Treugut (Seite 382 mit Hinweis auf Seite 371). Siehe Lewin on Trusts (Fn 2)Rz. 22–01 ff. Im Detail siehe Lewin on Trusts (Fn 2) Rz. 22–01 ff. Der Insolvency Act 1986, sec 283 (3) (a), bestimmt, dass Treuhandvermögen zur Befriedigung der (generellen) Gläubiger des Treuhänders nicht zur Verfügung steht. Lewin on Trusts (Fn 2) Rz. 22–24: Soweit der insolvente Treuhänder eigenes Vermögen verwendete, um Verbindlichkeiten zu tilgen, die er für den Trust einging, können die generellen Gläubiger des insolventen Treuhänders auf den korrespondierenden Freistellungsanspruch greifen. Soweit indessen solche Verbindlichkeiten noch unberichtigt aushaften, können auf den Freistellungsanspruch die persönlichen Gläubiger nicht greifen. Siehe Underhill And.hayton (Fn 2) Rz. 815: «The right to an indemnity is normally of crucial importance to a trustee. Since a trust is not a legal entity that can enter into contracts, sue or be sued, it is the trustees who are personally liable to the third parties unless as a matter of contract law the trustees can persuade a third party to agree that the trustees› liability should be limited or excluded, or that the trustees should only pay the debt out of the trust property under the statutory right of indemnity in s 31(1) of the Trustee Act 2000.» 163 Bernhard Lorenz natürliche und juristische Personen sowie Gesellschaften, Vermögensmassen und sonstigen Gebilden, die zwar nicht notwendig Rechtspersönlichkeit besitzen, aber rechts- und verpflichtungsfähig sind.48 Die Anordnung der Konkursfähigkeit ist damit zumindest indiziell für die Rechtsfähigkeit des betreffenden Gemeinschuldners. c. Schuldfähigkeit Dass das PGR die Konkursfähigkeit der Treuhänderschaft anordnet, steht in engem Bezug mit den Bestimmungen zu Schuld und Haftung für die dem Treuhand zugeordneten Verbindlichkeiten. Die massgebliche Bestimmung hierfür ist Art. 916 Abs. 1 PGR: Der Treuhänder haftet für die von ihm zulasten des Treugutes eingegangenen Schulden des Treugutes, soweit sie durch das Treugut nicht gedeckt sind,49 persönlich unbeschränkt und mit allfälligen Mittreuhändern solidarisch, jedoch, wenn die Treuhandurkunde es nicht anders bestimmt, unter Vorbehalt des Rückgriffsrechts gegen den Treugeber und, sofern die Voraussetzungen für eine Anfechtung oder eine ungerechtfertigte Bereicherung gegeben sind, gegen den Begünstigten. Eine Haftung des Treuhänders und ein Rückgriffsrecht besteht jedoch nur soweit,50 als dem Dritten nicht nachgewiesen wird, dass er sich nicht auf eine weitergehende Haftung verlassen hat. An der Bestimmung fallen verschiedene Umstände auf. Erstens ist bemerkenswert, dass sprachlich Schuld und Haftung unterschieden wird. Gesprochen wird von den «Schulden des Treugutes», für die «[d]er Treuhänder haftet». Die Schuld ordnet die Bestimmung dem Treugut zu, dem Treuhänder nur die Haftung. Schuld und Haftung gehören zwar grundsätzlich zusammen,51 sind Schuld ohne Haftung oder Haftung ohne Schuld im Prinzip doch undenkbar.52 Um die im Schrifttum unter dieser Überschrift diskutierten Abweichungen, unvollkommene Verbindlichkeiten etwa oder Obliegenheiten, geht es hier 48 49 50 51 52 Buchegger in Buchegger/Pollak, Österreichisches Insolvenzrecht I4 (2000) Rz. 4 ff.; siehe auch Art. 39 Abs. 1 SchKG und § 11 dInsO. Hervorhebung durch Verfasser. Hervorhebungen durch Verfasser. Grundsätzlich Koziol/Welser (Fn 22) 10 ff. (m.w.N.). Gschnitzer in Klang/Gschnitzer, Kommentar zum Allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuch IV/12 (1968) 30: «So wie eine Haftung ohne Schuld (Sanktion ohne Sanktioniertes) undenkbar ist, so ist auch eine Schuld ohne Haftung ein rechtliches Nichts.» 164 Zur Rechtsfähigkeit der liechtensteinischen Treuhänderschaft nicht.53 Aber die Sprache indiziert, dass bei der Haftung des Treuhänders die Haftung für eine «fremde», von seiner eigenen Rechtsphäre unabhängig bestehende Schuld gemeint ist. Die sprachliche Trennung von Schuld und Haftung sowie die Verortung der Schuld beim Treugut, der Haftung beim Treuhänder erinnert an die gesamthänderische Kollektivgesellschaft und ihren Art. 704 Abs. 1 PGR (bzw. ähnliche Bestimmungen in benachbarten Rechtsordnungen zur Offenen Handelsgesellschaft oder Offenen Gesellschaft): Die Gesellschafter haften für alle Verbindlichkeiten der Gesellschaft solidarisch mit ihrem ganzen Vermögen … Für die Gesellschafterhaftung bei der Kollektivgesellschaft gilt der Grundsatz der Akzessiorietät und dieser setzt eine eigenständige Schuld der Gesellschaft voraus.54 An dieser Stelle wäre zwar immerhin noch denkbar, dass der Treuhänder nach der gesetzlichen Konzeption trotz dieser Sprachverwendung als alleiniger Schuldner der für das Treuhandvermögen begründeten Verbindlichkeiten gilt. Die weiteren Regelungen dieser Bestimmung schliessen eine solche Schlussfolgerung freilich aus. Zweitens ist nämlich zu sehen, dass die Haftung des Treuhänders nur eine subsidiäre ist. Er haftet nur, «soweit [diese Schulden] durch das Treugut nicht gedeckt sind». Daher muss der Gläubiger die Verbindlichkeit primär gegenüber dem Treugut geltend machen, und erst, wenn dies erfolglos bleibt, kann er gegen den Treuhänder vorgehen.55 Die Geltendmachung darf sich nicht auf aussergerichtliche Eintreibungen beschränken, sondern muss bis zur exekutiven oder konkurslichen Betreibung gehen.56 Der Zusammenhang mit Art. 916 Abs. 4 PGR belegt dies klar. Erst wenn über das Treuhandvermögen ein Konkurs durchgeführt worden ist, können «die Gläubiger des Treugutes ihre Forderung für den Ausfall beim Treuhänder geltend machen». Es ist die Subsidiarität der persönlichen Haftung des Treuhänders, die die Anordnung der Konkursfähigkeit des Treuhandvermögens notwendig macht. 53 54 55 56 Statt vieler Westermann in Erman, Bürgerliches Gesetzbuch I11 (2004) Einl § 241 Rz. 22 ff.; Gschnitzer (Fn 52) 29 ff. Statt vieler Pestalozzi /Hettich in Honsell/Vogt/Watter, Basler Kommentar Obligationenrecht II4 (2012) Art. 568 Rz. 2 m.w.N.; Schmidt (Fn 34) § 128 Rz. 16 ff. m.w.N.; Wiedemann (Fn 9) 283 f. Vgl. die subsidiäre Haftung des Kollektivgesellschafters bei der Kollektivgesellschaft schweizerischen und liechtensteinischen Rechts, Art. 568 Abs. 3 OR, Art. 704 Abs. 3 PGR; dazu Vogt, Haftungsverhältnisse in der Kollektivgesellschaft GesKR 2009, 96. Die bedingt übrigens auch die Parteifähigkeit der Treuhänderschaft, dazu unten D.V.d. 165 Bernhard Lorenz Das Common Law des Trust kennt eine Subsidiarität der treuhänderischen Schuld.h.aftung nicht57 und folgerichtig auch keine Insolvenzfähigkeit des Treugutes. Drittens geht die Bestimmung noch einen Schritt weiter. Selbst die subsidiäre Haftung des Treuhänders kann ausgeschlossen werden. Nach Massgabe des letzten Satzes von Art. 916 Abs. 3 PGR kann sich der Treuhänder von der persönlichen Haftung für die Schulden des Treugutes überhaupt befreien, wenn er dem Dritten nachweist, dass dieser sich auf eine persönliche Haftung nicht verlassen hat.58 Die Offenlegung des Handelns als Treuhänder wird dafür regelmässig ausreichen.59 In seiner treuhänderischen Bindungswirkung zu und mit den Beteiligten ist das Treugut also selbst Zuordnungssubjekt der Schulden. Wollte man an dieser Stelle die Grundsätze des Common Law Trust eisern und mechanisch auf das liechtensteinische Treuhänderschaftsrecht übertragen, würde der Gläubiger – der sich nach dem Vorgesagten auf eine persönliche 57 58 59 Lewin on Trusts (Fn 2) Rz. 21–10: «A trustee in a different position from an agent. In general terms an agent acts on behalf of a principal and does not incur any personal liability … By contrast, a trustee acts as principal in connection with the administration of the trust and consequently does incur personal liabilities to third parties, whether or not he is acting in accordance with his powers and duties as trustee.» Satz 2 von Art. 916 Abs. 1 PGR war im Urbestand des PGR (LGBl 1926/4) Teil von Art. 916Abs. 2 PGR, der bei der «offenen Treuhand» die vollständige Befreiung von persönlicher Haftung ermöglichte. Abs. 1 sah auch bei der «verdeckten Treuhand» die persönliche Haftung des Treuhänders nur subsidär vor. Dies ergibt sich schlicht daraus, dass die PGR-Reform 1980 (LGBl 1980/39) die Unterscheidung zwischen verdeckter (Art. 916 Abs. 1 PGR vor 1980) und offener Treuhand (Art. 916 Abs. 2 PGR vor 1980) aufgab. Bis dahin entfiel die persönliche Haftung nur bei der offenen Treuhand, wenn dem Dritten darüberhinaus das fehlende Vertrauen auf die persönliche Haftung nachgewiesen wurde; das setzte offensichtlich mehr voraus als die Offenlegung allein. Bösch (Fn 8) 92 f, verlangt die Offenlegung der Treuhänderschaft und, zumindest im Verkehr mit Personen aus dem Common Law wegen gegenläufiger Erwartungen den ausdrücklichen Hinweis auf den Entfall der persönlichen Haftung. Biedermann (Fn 20) 371 f, tendiert dazu, eine Vereinbarung mit dem Dritten – wie im Common Law (Underhill And.hayton (Fn 2) Rz. 81.5) – zu verlangen, um den Haftungsausschluss sicher nachweisen zu können, eine Lösung, die der Rechtssituation im Common Law entspricht. Der Wortlaut des Art. 916 Abs. 1 Satz 2 lässt aber jedenfalls einseitige Hinweise des Treuhänders ausreichen. Vgl. Pfeifer, Der BGH und die GbR mbH – Rückschlag oder Fortschritt auf dem Weg zum Verständnis der Gesamthand? NZG 2001, 193 (194 f.), der begründet, warum die Einschränkung der persönlichen Haftung des BGB-Gesellschafters nach der klassischen Gesamthandlehre mit dem Dritten vereinbart werden muss. 166 Zur Rechtsfähigkeit der liechtensteinischen Treuhänderschaft Haftung des Treuhänders nicht verlassen durfte – vollends scheitern. Im Common Law Trust ist stets der Trustee der Schuldner, der persönlich und unbeschränkt für alle eingegangenen Verbindlichkeiten haftet.60 Die Schuld.h.aftung endet nicht mit dem Amtsverlust.61 Ist ein neuer Treuhänder im Amt, kann der Treuhandgläubiger des Vortrustees, nicht auf den Neutrustee greifen, jedenfalls nicht direkt.62 Vielmehr muss er sich weiterhin an den Alttrustee wenden und gelangt an das Treugut nur abgeleitet, nämlich in dem Umfang, als der Alttrustee für seine amtsbezogenen Verpflichtungen einen Freistellungsanspruch gegenüber dem Treugut und dem Neutrustee hat.63 Zwänge man auch in Liechtenstein den Gläubiger zur Klage gegen den nicht mehr im Amt befindlichen Alttreuhänder, so wäre seine Schuld nicht mehr einbringlich, wenn sich der Alttreuhänder im Sinne des Art. 916 Abs. 1 letzter Satz PGR wirksam enthaftet hätte. Auch auf den Freistellungsanspruch des Treuhänders könnte nämlich nicht gegriffen werden, weil dieser Anspruch zum Privatvermögen des Treuhänders gehört (siehe Art. 915 Abs. 1 letzter Halbsatz PGR), mangels persönlicher Haftung aber nicht verwertet werden könnte. Dann lägeeine Schuld ohne Haftung vor, die den Gläubiger rechtlos stellt,64 was ganz gewiss nicht dem Zweck des Art. 916 Abs. 1 PGR entspricht. Es bleibt daher nichts anderes übrig als den Gesetzeswortlaut ernst zu nehmen und nicht den historisch handelnden Treuhänder als Zuordnungssubjekt der Schuld zu identifizieren, sondern den jeweils im Amt befindlichen Treuhänder, den der Gläubiger für die Schuld belangen kann. Wenn freilich der jeweilige Treuhänder für die Verbindlichkeiten (ohne persönliche Haftung) geradestehen muss, ist das Zuordnungssubjekt in Wahrheit die Treuhänderschaft, weil dieses Phänomen nur mit der (begrenzten) Rechts- und Schuldfähigkeit der Treuhänderschaft selbst erklärt werden kann.65 60 61 62 63 64 65 Siehe nur Lewin on Trusts (Fn 2) Rz. 21–10, 22–20. Lewin on Trusts (Fn 2) Rz. 22–20. Underhill And.hayton (Fn 2) Rz. 81.33. Lewin on Trusts (Fn 2) Rz. 22–21 ff. Vgl. Gschnitzer (Fn 52) 30: «So wie eine Haftung ohne Schuld (Sanktion ohne Sanktioniertes) undenkbar ist, so ist auch eine Schuld ohne Haftung ein rechtliches Nichts.» So BGH 29.1.2001, II ZR 331/00, www.bundesgerichtshof.de, abgefragt 26.2.2012, für die BGB-Gesellschaft. 167 Bernhard Lorenz d. Parteifähigkeit Aufgrund der vorstehenden Analyse müsste man zum Ergebnis kommen, dass die Treuhänderschaft als solche parteifähig ist. Bereits die blosse Subsidiarität der treuhänderischen Haftung bedingt eigentlich die Parteifähigkeit des Treugutes genauso wie seine Insolvenzfähigkeit. Umso mehr gilt dies, wenn die persönliche Haftung des Treuhänders nach Massgabe von Art. 916 Abs. 1 letzter Satz überhaupt entfallen ist. Doch muss die dogmatische Analyse hier nicht allzu komplex ausfallen, denn die Parteifähigkeit der liechtensteinischen Treuhänderschaft ist positivrechtlich angeordnet. Art. 920 PGR regelt die persönlichen Ansprüche des Treuhänders und bestimmt, wer dafür in Anspruch genommen werden kann. Gemäss Art. 920 Abs. 4 kann sich der Treuhänder dabei direkt gegen die Treuhänderschaft wenden und diese unter ihrer treuhandurkundlichen Bezeichnung einklagen. Wie immer, ist bei solchen Bestimmungen die Frage zu stellen, ob sie eine Ausnahme von der Regel begründet oder der Regel selbst Ausdruck verleiht. Zweiteres ist nach Vorgesagtem der Fall. Es sind auch keine Gründe ersichtlich, warum man aus Art. 920 Abs. 4 PGR einen Umkehrschluss in Bezug auf andere Kläger als den Treuhänder ziehen sollte. In Bezug auf seine persönlichen Ansprüche ist der Treuhänder Gläubiger wie jeder andere. Man könnte einwenden, dass es hier um die Auflösung einer Personalunion geht, weil sich der Treuhänder ja schlecht selber klagen könne. Aber dieser Einwand trägt nicht. Denn solange sich der Treuhänder im Amt befindet, gäbe es eigentlich kein Klagsbedürfnis, wenn man den Treuhänder als uneingeschränkten Eigentümer betrachtet. Dann könnte er sich für seine Ansprüche einfach unmittelbar aus dem Treugut befriedigen. Gerade indem das Gesetz ein Klagserfordernis aufstellt, bringt es die Verschiedenheit der Rechtsphären und die eigene Rechtsfähigkeit des Treugutes gegenüber dem Treuhänder zum Ausdruck. Für den aus dem Amt geschiedenen Treuhänder, zu dessen Gunsten Art. 920 Abs. 4 PGR gleichermassen gilt, ist der Einwand von vornherein nicht zulässig. Er könnte nämlich ohne jede Interessenkollision den Neutreuhänder einklagen. Indessen eröffnet das Gesetz die Klage unmittelbar gegen das Treugut. Die Schuldfähigkeit des Treuguts bringt seine Parteifähigkeit mit sich, und den Schluss hat der Reformgesetzgeber 1980 durch Schaffung des Art. 920 Abs. 4 PGR66 ausdrücklich nachvollzogen. 66 LGBl 1980/39. 168 Zur Rechtsfähigkeit der liechtensteinischen Treuhänderschaft Wieder fallen Parallelen zu den Gesamthandgemeinschaften des PGR auf. Kollektiv- und Kommanditgesellschaften, obwohl keine juristischen Personen, sind gemäss Art. 659 Abs. 4 PGR parteifähig. Die einfache Gesellschaft an sich nicht, doch begründet Art. 663 Abs. 4 PGR eine Ausnahme: Soweit das Gesetz es nicht anders bestimmt, ist zur Zwangsvollstreckung in das Vermögen einer Gesellschaft ohne Firma ein gegen alle Gesellschafter bzw. ein gegen alle Geschäftsführer wirkender Vollstreckungstitel erforderlich. Umgekehrtes gilt demnach für einfache Gesellschaften mit Firma: Gegen sie kann ein Vollstreckungstitel unter ihrer Firma erwirkt werden und dies setzt ihre Parteifähigkeit voraus. Einfache Gesellschaften mit Firmen treten nach aussen als Einheit in Erscheinung und sie werden als solche wahrgenommen. An diese Wirkung knüpft das Gesetz die Folge der Parteifähigkeit der Gesellschaft. Der in Art. 663 Abs. 4 PGR zutage tretende Gedanke, die Frage der Parteifähigkeit von der Aussenwahrnehmung der Gesellschaft abhängig zu machen, ist exakt derselbe, der den BGH in einer viel beachteten Entscheidung 2001 dazu veranlasst hat, Gesellschaften bürgerlichen Rechts, BGB-Gesellschaften, die Parteifähigkeit zuzuerkennen, wenn es sich um Aussengesellschaften handelt.67 Was im Rahmen des BGB vertiefter dogmatischer Analyse bedurfte,68 ist im PGR ausdrücklich bestimmt. e. Treuhänderwechsel Man muss erwarten, dass sich das vorhin Gesagte bei den Regelungen zum Treuhänderwechsel fortsetzt, und zwar dergestalt, dass ein Treuhänderwechsel die Zuordnung von Rechten und Pflichten nicht berührt, sondern ein neu eintretender Treuhänder unmittelbar die mit dem Treuhandvermögen verbundenen Rechte und Pflichten übernimmt. In der Tat enthält Art. 911 Abs. 4 PGR eine entsprechende Regelung: 67 68 BGH 29.1.2001, II ZR 331/00, www.bundesgerichtshof.de, abgefragt 26.2.2012, 1 (Leitsatz lit a), 22 f. BGH 29.1.2001, II ZR 331/00, www.bundesgerichtshof.de, abgefragt 26.2.2012, 1 (Leitsatz lit a), 5 ff. Kritisch Pfeifer, Rechtsfähigkeit und Rechtssubjektivität der Gesamthand – die GbR als oHG? NZG 2001, 296. Siehe Überblick der Entwicklung hin zur heute unstrittigen Anerkennung der Rechtsfähigkeit der nach aussen auftretenden BGB-Gesellschaft mit vielen Nachweisen zu Rechtsprechung und Schrifttum bei Ulmer (Fn 34) Vor § 705 Rz. 9 ff. 169 Bernhard Lorenz Ergibt es sich aus Gesetz oder sonstiger Treuanordnung nicht anders, so finden auf das Treugut als Sondergut die Vorschriften über das Gesamteigentum, jedoch mit Ausschluss jener über die Teilung, mit der Massgabe Anwendung, dass die Treuhänder zur gesamten Hand berechtigt und verpflichtet sind und dass bei Ausscheiden eines Treuhänders oder bei Eintritt eines neuen Treuhänders die Rechte und Pflichten ohne Weiteres, soweit für die Übertragung nicht besondere Formvorschriften aufgestellt sind und, abgesehen von der Pflicht zur Bestellung neuer Treuhänder, den jeweiligen Treuhändern anwachsen. Nicht nur sprachlich tritt in dieser Bestimmung die hier konstatierte Nähe der Treuhänderschaft zur Gesamthänderschaft besonders stark zutage, sondern auch inhaltlich. Angeordnet ist nämlich nichts anderes als das für Gesamthandgemeinschaften typische An- und Abwachsungsprinzip beim Gemeinschafterwechsel. Bei Gesamthandgemeinschaften besagt dieses Prinzip, dass einem austretenden Gesellschafter die mit seiner Gesellschafterstellung verbundenen Rechte automatisch ab- und den verbliebenen anwachsen, beim Neueintritt eines Gesellschafters den bisherigen Gesellschaftern die mit ihrer Stellung verbundenen Rechte ab- und dem neu eintretenden anwachsen, und bei der Übertragung der Gesellschafterstellung eines bisherigen Gesellschafters auf einen neuen dem bisherigen Gesellschafter die Rechte ab-,den übrigen vorübergehend an- und wieder ab- und dem Neugesellschafter schliesslichauf Dauer anwachsen.69 Das An- und Abwachsungsprinzip wirkt nach aussen. Das heisst, dass der Neugesellschafter auch gegenüber Dritten unmittelbar (Mit-) Träger des Gesellschaftsvermögens geworden ist.70 Das An- und Abwachsungsprinzip zeigt sich auch bei den Verbindlichkeiten. Zwar geht eine mit Gesamthandgemeinschaften typischerweise verbundene persönliche Haftung des Gesamthänders für die Schulden der Gemeinschaft nicht auf einen Neugesellschafter über – (jedenfallsnicht ohne ausdrückliche gesetzliche Anordnung, wie sie für die Kollektivgesellschaft besteht, aber nicht 69 70 Im Einzelnen Fellmann/Müller (Fn 34) Art. 542 Rz. 30 ff. Fellmann/Müller (Fn 34) Art. 542 Rz. 75: «Mit der Aufnahme in der Gesellschaft erwirbt der neue Gesellschafter daher neben der Mitgliedschaft ohne weiteres auch die dingliche Berechtigung am Gesamthandsvermögen». Selbst Grundeigentum geht anwachsungshalber ohne besondere Übertragungshandlungen direkt auf den Erwerber über und der Eintragung im Grundbuch kommt nur noch deklaratorische Wirkung zu, Fellmann/Müller (Fn 34) Art. 542 Rz. 76 m.w.N. und Rz. 36 ff. m.w.N.; Wichtermann in Honsell/Vogt/Geiser, Basler Kommentar Zivilgesetzbuch II 3 (2007) Art. 652 Rz. 32: «Ein Eigentumsübergang findet grundsätzlich nicht statt». 170 Zur Rechtsfähigkeit der liechtensteinischen Treuhänderschaft die einfache Gesellschaft) –,71 aber in seiner Stellung als Gesellschafter schuldet der Neueintretende die Verbindlichkeiten der Gesellschaft zur gesamten Hand.72 Er kann daher mit seinen Mitgesellschaftern auf Erfüllung geklagt werden, ohne dass es einer Schuldübernahme bedürfte, wobei die Zwangsvollstreckung in Ansehung seiner Person auf das Gesellschaftsvermögen beschränkt bleibt.73 Genau dieser Schuldübergang im Übrigen ist es, der den BGH veranlasst hat, von der Rechts- und Schuldfähigkeit der BGB-Gesellschaft selbst zu sprechen – aber gleichwohl hervorzuheben, dass es sich um keine juristische Person handle – weil sich sonst die Wirkung des Schuldeintritts eines beitretenden Gesellschafters in seiner Eigenschaft als Gesellschafter nicht erklären lasse.74 Gegen diese Auffassung wendet sich Biedermann. Nach seiner Meinung betreffe Art. 911 Abs. 4 PGR nur das Innen-, nicht das Aussenverhältnis. Ein neu bestellter Treuhänder werde nicht automatisch Eigentümer des Treuhandvermögens und nicht automatisch Verpflichteter der für das Treuhandvermögen eingegangenen Verbindlichkeiten.75 Rechtsträger und Verpflichtete blieben vielmehr der ausgeschiedene Treuhänder, im Falle des Ablebens sein Gesamt- 71 72 73 74 75 Für die Kollektivgesellschaft Art. 708 PGR. Für die einfache Gesellschaft (keine persönliche Haftung des neu eintretenden Gesellschafters gegenüber Gläubigern der Gesellschaft) Fellmann/Müller (Fn 34) Rz. 154. Dass die persönliche Haftung neu eintretender Gesellschafter trotz des Grundsatzes der Akzessorietät der Gesellschafter Haftung gegenüber der Gesellschaftshaftung (d.h., dass der Gesellschafter so haftet wie die Gesellschaft) auch rechtsvergleichend kein Dogma ist, siehe Wiedemann, Urteilsanmerkung JZ 2001, 661 (664). Siehe Fellmann/Müller (Fn 34) Rz. 196. Siehe auch Ulmer (Fn 34) § 718 Rz. 60 ff. BGH 29.1.2001, II ZR 331/00, www.bundesgerichtshof.de, abgefragt 26.2.2012, 1 (Leitsatz lit a), 8 f. Siehe auch Geibel, Treuhandrecht als Gesellschaftsrecht (2008) 340 f. Die österreichische Gesellschaft bürgerlichen Rechts gilt dagegen sachenrechtlichlich überwiegend als Miteigentumsgemeinschaft nach Bruchteilen (der römisch-rechtlichen societas, nicht der deutschrechtlichen Gesamthand entsprechend, oben Fn 9), nicht als Gesamthandgemeinschaft: Grillberger in Rummel, Kommentar zum Allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuch II/13 (2002) § 1215 Rz. 3 (Forderungen werden gleichwohl als gesamthänderisch verbunden betrachtet, Grillberger (Fn 74) § 1215 Rz. 9); Nowotny in Kalss/Nowotny/Schauer (Fn 8) Rz. 2/27. – Die einfache Gesellschaft Liechtensteins ist indessen genauso wie die der Schweiz, der sie nachgebildet ist, und die BGB- Gesellschaft Gesamthandgemeinschaft, Art. Abs. 1 OR bzw. Art. 560 Abs. 1 PGR; siehe Fellmann/Müller (Fn 34)Art. 530 Rz. 23 m.w.N. Biedermann (Fn 20) 228 f. 171 Bernhard Lorenz rechtsnachfolger, und der oder die verbliebenen Treuhänder.76 Der Erwerb von Eigentum am Treuhandvermögen bedürfe eines Verfügungsaktes der verbliebenen Treuhänder.77 Diese Auffassung ist ganz eindeutig vom englischen Recht geprägt78 und mit dem Wortlaut von Art. 911 Abs. 4 PGR nicht in Einklang zu bringen. Allein die Ausnahme in Bezug auf «Übertragung[en]», für die «besondere Formvorschriften aufgestellt sind»,79 zeigt, dass die Bestimmung im Prinzip die unmittelbare Wirksamkeit eines Treuhänderwechsels nach aussenanordnet. Dass Schulden des Treuhandvermögens nicht auf einen Neutreuhänder übergingen (ohne persönliche Haftung mit dem Privatvermögen freilich), wie Biedermann es als selbstverständlich darstellt,80 widerspricht den oben ausgedeuteten Bestimmungen des Art. 916 PGR klar. Nun könnte man sich fragen, ob Art. 911 Abs. 4 PGR eine Mehrheit von Treuhändern voraussetzt, um Anwendung zu finden. Dies ist nämlich bei Gesamthandgemeinschaften der Fall. Eine Gesamthandgemeinschaft löst sich in dem Zeitpunkt auf, in dem nur noch ein Gesellschafter vorhanden ist. Mit dem Ausscheiden des Vorletzten wächst dem Verbliebenen das Gesellschaftsvermögen ins Alleineigentum zu und ein Gesamteigentum besteht nicht mehr.81 Ab diesem Zeitpunkt kann ein neuer Gesellschafter nicht mehr aufgenommen werden. Wollte der jetzige Alleineigentümer des früheren Gesellschaftsvermögens neuerlich eine Gesellschaft gründen, müsste sie neu geschaffen werden. 76 77 78 79 80 81 Biedermann (Fn 20) 228, insbesondere Fn 125 Biedermann (Fn 20) 229 Fn 127. Siehe Principles für die Auswirkungen des Ausscheidens eines Treuhänders unter Bestellung eines neuen Treuhänders in Underhill And.hayton (Fn 2) Rz. 69.1, 71.1 und 73.1. Der Sache nach dürfte sich diese Bestimmung primär auf unbewegliches Vermögen beziehen, weil die Eintragung im Grundbuch bestimmte Formalakte voraussetzt. Gleichwohl wird man, so wie bei einfachen Gesellschaften aus dem Gesamthandprinzip und der damit verbundenen An- und Abwachsung annehmen müssen, dass die Eintragung im Grundbuch nur deklaratorischen Charakter besitzt, und der Neutreuhänder auch an unbeweglichem Vermögen anwachsungshalber unmittelbar Eigentum an Liegenschaftsvermögen (ausserbücherlich) erwirbt: Siehe Fellmann/Müller (Fn 34) Art. 542 Rz. 37 f. m.w.N. Biedermann (Fn 20) 229 Fn 127. Ulmer (Fn 34) § 718 Rz. 13, Vor § 723 Rz. 9. 172 Zur Rechtsfähigkeit der liechtensteinischen Treuhänderschaft Eine strikt formelle Übertragung dieser Regel auf die Treuhänderschaft würde dem Art. 911 Abs. 4 PGR nicht entsprechen. Es ist nicht erkennbar, dass Art. 911 Abs. 4 PGR nur dann angewendet werden soll, wenn im Zeitpunkt eines Treuhänderwechsels mindestens zwei Treuhänder vorhanden sind. Die Bestimmung gilt nach ihrem schlichten Wortlaut auch dort, wo ein Treuhänder unter Bestellung eines Nachfolgers aus dem Treuhandverhältnis ausscheidet. Die Worte «ausscheiden» und «Eintritt» beziehen sich nicht auf eine Gemeinschaft von Treuhändern, sondern auf das Treuhandverhältnis an sich. Dem entspricht übrigens auch die Regelung des § 59 Abs. 2 TrUG:82 Ersatzweise oder sonst nachträglich bestellte oder verbleibende Treuhänder treten mangels abweichender Anordnung, wie beispielsweise, wo eine besondere Form für die Übertragung von Rechten und Pflichten … vorgesehen … ist, ohne weiteres in die gleiche rechtliche Stellung ein wie ihre Vorgänger, jedoch nicht in die aus der Verantwortlichkeit, aus persönlicher Haftung oder Nachschusspflicht entstandenen oder sonstigen rein persönlichen Rechtsverhältnisse ihrer Vorgänger bzw. Mittreuhänder. Wenn dem so ist, müsste die Wirkung des Art. 911 Abs. 4 PGR auch gelten, wenn zwischen dem Ausscheiden des (einzigen) Treuhänders und der Bestellung eines neuen Treuhänders eine Lücke liegt, dem Treuhandvermögen also ein Treuhänder mangelt so wieeinem Nachlass in der Zeit zwischen dem Ableben des Erblassers und der Einantwortung der Erben. Denn unter geht die Treuhänderschaft nicht, wenn kein Treuhänder mehr vorhanden ist, ist doch auch das liechtensteinische Treuhänderschaftsrecht, wie der Trust des Common Law, dem Grundsatz verpflichtet: «No trusts hall fail for want of a trustee».83 Dieses Prinzip verankert zunächst Art. 904 Abs. 1 PGR: Ausser den im Gesetze vorgesehenen Fällen hat das Landgericht im Ausserstreitverfahren einen gerichtlichen Treuhänder zu bestellen, wenn … ein Treuhänder aber nicht namentlich oder sonst in kenntlicher Weise bezeichnet ist oder der Bezeichnete die Annahme des Amtes ablehnt, oder wenn ein sonst wie bestellter Treuhänder aus irgendeinem Grunde wegfällt. Nicht geregelt ist in Art. 904 Abs. 1 PGR, wie der neue Treuhänder Besitz und Eigentum am Treuhandvermögen erwirbt oder ob die Verfügungsbefugnis des Treuhänders mit Wirkung nach aussen bereits durch die Bestellung erfolgt. 82 83 Dank Art. 910 Abs. 5 PGR gilt § 59 Abs. 2 TrUG auch für die Treuhänderschaft. Siehe nur Underhill And.hayton (Fn 2) Rz. 8.8. 173 Bernhard Lorenz Anwendungsfälle für die Ausübung der gerichtlichen Bestellbefugnis sind in Art. 908 und 909 PGR geregelt. Art. 908 PGR beschäftigt sich mit dem kündigungsbedingten Ausscheiden des Treuhänders aus dem Treuhandverhältnis. Gemäss Art. 908 Abs. 2 PGR ist der Treuhänder von gesetzeswegen befugt jeweils auf den Schluss des Kalenderjahres unter Einhaltung einer dreimonatigen Frist zu kündigen. Er muss die Kündigung dem Grundbuch- und Öffentlichkeitsregisteramt mitteilen, wenn ein sonst Beteiligter (insbesondere ein Mittreuhänder) nicht vorhanden ist (Art. 908 Abs. 3 PGR). Dieses wiederum leitet den Umstand dem Landgericht weiter, das für eine Neubestellung zu sorgen hat, wenn die Treuhandurkunde keine Regelung (oder eine in concreto nicht wirksame) enthält (Art. 908 Abs. 4 PGR). Hervorzuheben ist eine Abweichung zum Common Law des Trust. Das liechtensteinische PGR gewährt dem Treuhänder das Recht der Kündigung, und zwar auch dann, wenn kein Mittreuhänder vorhanden ist. Dies gestattet das Common Law nicht.84 Es gibt zwar auch dort Möglichkeiten, eigeninitiativ aus dem Amt zuscheiden, aber nur mit voriger Mitwirkung des Gerichts, so dass die Übertragung des Treuhandvermögens vom Alt- auf den Neutreuhänder abgeschlossen werden kann.85 Die Regelung verstärkt den bisherigen Befund, nämlich, dass das PGR die Treuhänderschaft selbst als Zuordnungspunkt für Rechte und Pflichten betrachtet. Läge die Rechtsfähigkeit allein beim Treuhänder, dürfte ein Kündigungsrecht nicht bestehen, denn Eigentum kann man nicht kündigen, höchstens derelinquieren. Art. 909 PGR trifft eine ähnliche Regelung für den Fall des Ablebens (natürliche Person) oder Beendigung (juristische Person) des Treuhänders, des Eintritts seiner Handlungsunfähigkeit oder Konkurses. Verschiedene Beteiligte haben die Pflicht (Erbe, gesetzlicher Vertreter) oder das Recht (Begünstigter) dem Landgericht Mitteilung zu machen und dieses hat eine Vakanz durch Bestellung eines Neutreuhänders zu beheben. Bestimmungen zum Übertrag des Treuhandvermögens auf den Neutreuhänder oder eine gerichtliche Befugnis zur Verfügung einer Einverantwortung oder einer Vesting Order, wie in 84 85 Siehe Lewin on Trusts (Fn 2) Rz. 13–04 ff. Lewin on Trusts (Fn 2) Rz. 13–12. Grundsätzlich führt der Treuhänderwechsel im Common Law zum Eigentümerwechsel, der zur sachenrechtlichen Wirksamkeit entsprechender Verfügungsakte bedarf, die, falls direkte Übertragungsakte zwischen den Treuhändern scheitern, durch eine Verfügungsanordnung des Gerichts, eine Vesting Order, ersetzt werden können, siehe Underhill And.hayton (Fn 2) Rz. 73.1 ff. 174 Zur Rechtsfähigkeit der liechtensteinischen Treuhänderschaft England,86 begründet das PGR nicht. Es hat aber dafür die Regelung des Art. 911 Abs. 4 PGR geschaffen, die die entsprechende Anwendung des Anund Abwachsungsprinzips aus dem Recht der Gesamthänderschaften anordnet und die den Treuhänderwechsel wie den Gesamthänderwechsel behandelt. E. Aussenwirkung mittels personen- und gesellschaftsrechtlicher Instrumente Entgegen der ersten Intuition besteht zwischen Sachenrecht und Gesellschaftsrecht eine engere Verwandtschaft, als man vermuten mag. Gesamthand und Treuhand stehen dafür exemplarisch. Bei der Gesamthand kam man dies direkt durch das Gesetz belegen, durch Art. 31 f. des SR: Art. 31 SR: Haben mehrere Personen, die durch Gesetzesvorschrift oder Vertrag87 zu einer Gemeinschaft88 verbunden sind, eine Sache kraft ihrer Gemeinschaft zu Eigentum, so sind sie Gesamteigentümer, und es gilt das Recht eines jeden auf die ganze Sache. Art. 32 Abs. 1 SR: Die Rechte und Pflichten der Gesamteigentümer richten sich nach den Regeln, unter denen ihre gesetzliche oder vertragsmässige Gemeinschaft steht. Art. 32 Abs. 2 SR: Besteht keine andere Vorschrift, so bedarf es zur Ausübung des Eigentums und insbesondere zur Verfügung über die Sache des einstimmigen Beschlusses89 aller Gesamteigentümer. Die Bestimmung ermöglicht die Schaffung von Gesamteigentum durch Vertrag, mit der Massgabe, dass die damit einhergehenden Verfügungsbeschränkungen nach aussen wirken. Die Vergesellschaftung von Eigentum durch Vertrag begründetdinglich eine Gesamthand und der gesellschaftsvertraglichen Innenordnung wird Aussenwirkung verliehen.90 Die Entwicklung ins Gesellschaftsrecht, die der Gesamthand als solcher den Auftritt im Rechtsverkehr gestattet, ist vorgezeichnet. 86 87 88 89 90 Siehe Underhill And.hayton (Fn 2) Rz. 73.14 ff. Hervorhebung durch Verfasser. Hervorhebung durch Verfasser. Hervorhebung durch Verfasser. Art. 32 Abs. 2 SR verlangt nur mangels «andere[r] Vorschrift» eine Verfügung sämtlicher Gesamteigentümer. Die Referenzpunkte für «keine andere Vorschrift» sind nicht nur gesetzliche, sondern auch vertragliche Bestimmungen aus dem Innenverhältnis gemäss Art. 32 Abs. 1 SR: So zur Parallelbestimmung des Art. 653 ZGB Wichtermann (Fn 70) Art. 653 Rz. 12. 175 Bernhard Lorenz An dieser Stelle kann dieses Verhältnis zwischen Sachen- und Gesellschaftsrecht nicht breit ausgeleuchtet werden. Aber auf eines ist hinzuweisen: Das Gesellschaftsrecht dient der Regelung komplexer Rechtsbeziehungen zu bestimmten Vermögensstücken (oder besser einer Vermögensmasse). Ein Grundbedürfnis der Beteiligten will den so geregelten Rechten und Pflichten Wirkung gegenüber Dritten verleihen und das Gesellschaftsrecht bewirkt genau dies. Ebendieses Bedürfnis bedient auch das Sachenrecht. Neben dem sachenrechtlichen Vollrecht, dem Eigentum, gibt es eine Reihe beschränkter dinglicher Rechte, die dem Nichteigentümer eingeräumt werden können. Doch beziehen sich solche Sachenrechte immer auf bestimmte Vermögenswerte und die Beteiligten sind durch den Typenzwang des Sachenrechtes beschränkt.91 Es eignet sich nicht, einer komplexen gesellschaftsvertraglichen Regelung in Bezug auf heutiges und künftiges Vermögen Aussenwirkung zu verleihen. Das Gesellschaftsrecht verleiht einem solchen Arrangement Aussenwirkung typischerweise, indem es die Beteiligten als Organisationseinheit fasst und dieser entweder Rechtspersönlichkeit (wie bei der juristischen Person) zugesteht oder die Verselbständigung der Organisation immerhin soweit Rechnung trägt, als sie parteifähig, namensfähig, konkursfähig und dergleichen ist, wie bei den Gesamthandgemeinschaften der Fall.92 Das Gesellschaftsrecht kreiert also einen neuen Verkehrsteilnehmer, umfassend oder für bestimmte Rechtsfragen, um die Zuordnungseinheit aussenwirksamwerden zu lassen. Verknüpft damit ist die Bedeutung des Gesellschaftszweckes.93 Soweit dieser mit Wirkung gegenüber Dritten ausgestattet ist, begrenzt er die Rechtsfähigkeit, und zwar so, dass die Gesellschaft zweckwidrige Handlungen des Verwaltungs- und Vertretungsorgans nicht gegen sich wirken lassen muss und ein Dritter sich nicht darauf berufen kann.94 Man spricht von der Unwirksamkeit 91 92 93 94 Siehe nur Koziol/Welser, Bürgerliches Recht13 I (2006) 238 f. Siehe, numerus clausus der dinglichen Rechte, Wiegand (Fn 31) Vor Art. 641 ff. Rz. 61 ff., unter Hinweis auf «Tendenz[en] zur Kreation neuer dinglicher Rechte», namentlich das Treuhandrecht, Rz. 64 f. Für die Kollektivgesellschaft siehe Art. 690 Z2 PGR (Namens- bzw. Firmenfähigkeit) Art. 697 PGR (Vermögens- und Parteifähigkeit, Art. 703 Abs. 1 PGR (Konkursfähigkeit). Zur Bedeutung des Gesellschafts- bzw. Verbandszwecks grundsätzlich Schmidt (Fn 35) 61 ff. Dazu, für das deutsche Recht ablehnend, Schmidt (Fn 35) 214 ff. 176 Zur Rechtsfähigkeit der liechtensteinischen Treuhänderschaft von Handlungen ultravires.95 Die die Handlungsmacht der Geschäftsführungsorgane beschränkende Aussenwirkung des Zweckes besteht gerade auch bei den Gesamthandgemeinschaften, den «personenrechtlichen Gemeinschaften», wie das PGR sie sinnig nennt. Art. 698Abs. 1 PGR bestimmt dies für die Kollektivgesellschaft ausdrücklich: Jeder zur Vertretung der Gesellschaft befugte Gesellschafter ist ermächtigt, im Namen der Gesellschaft alle Arten von Rechtshandlungen und Geschäften vorzunehmen, die der Zweck der Gesellschaft mit sich bringen kann,96 jedoch nicht zur Abänderung des Gesellschaftsvertrages, zur Veräusserung des Geschäftes als ganzes oder dergleichen. und zwar in regelrecht wörtlicher Übereinstimmung mit dem historischen – mittlerweile abgemilderten – Art. 187 PGR in seiner ursprünglichen Fassung für die Verbandspersonen: Die Organe, sowie die andern zur gesamten Geschäftsführung und Vertretung berufenen Personen sind gutgläubigen Dritten gegenüber von Gesetzes wegen befugt, alle Geschäfte für die Verbandsperson abzuschliessen, die der Zweck des Unternehmens mit sich bringen kann.97 Die Aussenwirkung des Zweckes gilt aber auch für die nicht-kaufmännischen Gesamthandgemeinschaften, die einfache Gesellschaft des Schweizer und liechtensteinischen Rechts bzw. die Gesellschaft bürgerlichen Rechts deutschen Rechts.98 95 96 97 98 Die ultravires – doctrine wird im deutschen Recht überwiegend abgelehnt, dazu Schmidt (Fn 35) 214 ff. Der Grundsatz der Unwirksamkeit von Handlungen ultravires hat bei Verbandspersonen, die auf den Rechtsverkehr ausgerichtet sind, wegen des Gläubigerschutzes geringere Berechtigung und befindet sich daher, auch rechtsvergleichend, auf dem Rückzug, siehe Wiedemann (Fn 15) 143. Bei Strukturen, die der Erhaltung insbesondere von Familienvermögen dienen, wie Treuhänderschaften oder Stiftungen, ist er nach der hier vertretenen Auffassung aber zeitgemäss. Hervorhebung durch den Verfasser. Hervorhebung durch den Verfasser. Für Deutschland Ulmer (Fn 34) § 714 Rz. 25: «Aber auch Geschäfte ausserhalb des Gesellschaftszwecks überschreiten nicht nur die Geschäftsführungsbefugnis, sondern sind … auch von der Vertretungsmacht im Regelfall nicht gedeckt.» Für Liechtenstein und die Schweiz siehe Art. 666 Abs. 3 PGR bzw. 543 Abs. 3 OR, einfache Gesellschaft, dazu Fellmann/Müller (Fn 34) Art. 543 Rz. 86 ff: «Wie die Geschäftsführungsbefugnis … ist auch die Vertretungsbefugnis ihrem Umfang nach grundsätzlich auf Rechtsgeschäfte oder rechtsgeschäftsähnliche Handlungen beschränkt, die im Rahmen des gewöhnlichen Betriebs der gemeinschaftlichen Geschäfte … liegen …» (Rz. 89); für die Kollektivgesellschaft besonders deutlich Art. 698 Abs. 1 PGR bzw. Art. 564 Abs. 1 OR. Für die Gesellschaft bürgerlichen Rechts in Österreich ist dies deutlich weniger ausgeprägt, wird dort doch überwiegend verneint, dass das Gesell- 177 Bernhard Lorenz Begreift man mit dem Verfasser das Treuhandverhältnis als ein personenrechtlich deutbares zweckgebundenes Arrangement komplexer Beteiligungsverhältnisse zu einem Vermögen, ergibt sich die Einordnung der Aussenwirkung des Treuhandzweckes als mit der Aussenwirkung des Gesellschaftszweckes vergleichbares Phänomen von selbst. Art. 912 Abs. 3 PGR steht in diesem Sinne in derselben Tradition wie Art. 698 Abs. 1 oder Art. 187 Abs. 1 PGR ursprüngliche Fassung, nur dass er die Aussenwirkung des Zwecks gleichzeitig mit einem Rechtsbehelf der Beteiligten zur Rückgängigmachung der Zweckverletzung verbindet, einer Klagebefugnis zugunsten des Treuhandvermögens. Mit seinen auffallenden Ähnlichkeiten zur actio pro socio des Personengesellschaftsrechts ist das Instrument der prozessstandschaftlichen Klagebefugnis ebenfalls dem Gesellschaftsrecht entlehnt.99 F. Keine juristische Person Es bleibt die Frage, warum der Verfasser hervorhebt, dass die liechtensteinische Treuhänderschaft keine juristische Person ist und worin denn der Unterschied zur Rechts- und Parteifähigkeit liegt, die der Verfasser der Treuhänderschaft gleichwohl zugesteht. Die Frage ist allerdings für das Personengesellschaftsrecht genauso zu stellen. Denn auch die Kollektivgesellschaft (sowie die einfache Gesellschaft mit Firma) ist zwar rechts- und parteifähig, wird aber gemeinhin nicht als juristische Person bezeichnet.100 Der Unterschied liegt darin, dass die Gesamthänder einer Gesamthandgemeinschaft und die Beteiligten einer Treuhänderschaft «am Vermögen näher dran» sind.101 Bei Gesamthandgemeinschaften gilt das Prinzip der Selbstorganschaft: Nur Gesamthänschaftsvermögen im Gesamthandeigentum der Gesellschafter steht, Koziol/Welser (Fn 91) 295 m.w.N. 99 Zur actio pro socio oben D.IV. 100 Baudenbacher in Honsell/Vogt/Watter, Basler Kommentar Obligationenrecht II4 (2012) Art. 552 Rz. 2: «Ganz überwiegend wird die Rechtspersönlichkeit der Kollektivgesellschaft abgelehnt». Für die Gesellschaft bürgerlichen Rechts trotz Anerkennung der Rechtsfähigkeit BGH 29.1.2001, II ZR 331/00, www.bundesgerichtshof.de 5 f: «Soweit [die Gesellschaft bürgerlichen Rechts] in diesem Rahmen eigene Rechte und Pflichten begründet, ist sie (ohne juristische Person zu sein) rechtsfähig». 101 Siehe Pfeifer (Fn 68) NZG 2001, 296 (297): «Die Unterscheidung zwischen Rechtsfähigkeit und Rechtssubjektivität erscheint dem flüchtigen, alltäglichen Sprachgebrauch künstlich. Doch in der Sache kann man sie gar nicht hoch genug hängen. Sie führt letztlich dazu, dass die Individualität der Gesellschafter nicht hinter die von ihnen ge- 178 Zur Rechtsfähigkeit der liechtensteinischen Treuhänderschaft der können Organstellung bekleiden.102 Eigentümer- und Organstellung gehen notgedrungen Hand in Hand. Bei der Treuhänderschaft zwar materiell aufgeweicht, besteht das Prinzip der Selbstorganschaft auch dort formal weiter, denn das zwingende Verwaltungsorgan der Treuhänderschaft (siehe Art. 897 PGR) kann nur der gleichzeitig als Eigentümer des Treugutes fungierende Treuhänder sein. Bei juristischen Personen ist die Fremdorganschaft, die Organstellung von Nichtmitgliedern nicht nur zugelassen, sondern geradezu typisch.103 Die juristische Person tritt als vollkommen eigenständige Person neben die Mitglieder und getrennt von diesen.104 Eine Gesamthänderschaft kann nach Massgabe des An- und Abwachsungsprinzip von selbst untergehen, wenn die Gemeinschaft zu bestehen aufhörte und nur noch ein Gesamthänder übrig bleibt.105 Für die Treuhänderschaft gilt das Gleiche, wenn sich sämtliche Vermögensinteressen in einer Person vereinigt haben oder das Vermögen untergegangen ist.106 Juristische Personen indessen sind in ihrer Existenz von der Existenz von Mitgliedern oder sonst Beteiligten unabhängig. Eine Kapitalgesellschaft geht nicht unter, wenn sich sämtliche Aktien in einer Person vereinigen,107 und auch eine Stiftung nicht, wenn die Begünstigen weggefallen gründeten Organisationen zurücktritt. Die Gesellschafter einer Personengesellschaft bleiben an «ihrer» Gesellschaft «näher dran». 102 Pfeifer (Fn 68) NZG 2001, 296 (297); Ulmer (Fn 34) § 709 Rz. 5 m.w.N.; (Fn 34) § 125 Rz. 5 m.w.N.; Wiedemann (Fn 15) 333 ff.; Fellmann/Müller (Fn 34) Art. 535 Rz. 61. Analog zu Art. 535 Abs. 1 OR lässt Art. 635 Abs. 1 PGR ausdrücklich die Übertragung der Geschäftsführung einem Dritten durch Vertrag oder Beschluss zu. Gleichwohl wird dieser Dritte nicht Organ der Gesellschaft, sondern seine Befugnis ist «abgeleiteter Natur» (Ulmer [Fn 34] § 709 Rz. 5), Fellmann/Müller (Fn 34) Art. 535 202: «Anders als den Gesellschaftern steht die Geschäftsführungsbefugnis dem Dritten nicht kraft eigenen Rechts zu. Sie kann ihm daher auch ohne sein Zutun wieder entzogen werden». 103 Ulmer (Fn 34) Vor § 705 Rz. 13 m.w.N. 104 Grundsätzlich Wiedemann (Fn 15) 13 ff: «Die Absonderung und damit die Eigenständigkeit des Sondervermögens vom Rechtskreis der Mitglieder ist in der Gesamthand weniger strikt eingehalten als in der juristischen Person» (13) «Bei der juristischen Person sind die Mitglieder letztlich entbehrlich, weil alle Rechtsverhältnisse auf das organisierte Vermögen zulaufen» (14). 105 Ulmer (Fn 34) § 718 Rz. 13, Vor § 723 Rz. 9. 106 Biedermann (Fn 20) 473. 107 Art. 281 Abs. 2 PGR verlangt bei der Gründung noch immer das Vorhandensein von mindestens zwei Gründungsgesellschaften. Die spätere Vereinigung der Aktien bei einem Gesellschafter berührt die Existenz der Aktiengesellschaft aber weder unmittelbar noch mittelbar (kein Auflösungsgrund). Diesen Unterschied betont Ulmer, Die Gesamthandgesellschaft – ein noch immer unbekanntes Wesen?,Archivfür die civilis- 179 Bernhard Lorenz sind.108 Als juristische Personen setzt der Untergang ein Auflösungs- und Liquidationsverfahren voraus,109 während der auflösungslose Untergang, wie bei der Gesamthänderschaft oder der Treuhänderschaft, nicht möglichist. G. Zusammenfassung Die Ergebnisse dieser Abhandlung sind wie folgt zusammenzufassen: Erstens besteht zwischen Gesamthänderschaft und Treuhänderschaft eine bereits in der Sprachähnlichkeit zum Ausdruck kommende enge Verwandtschaft. Beide Rechtsphänomene gehen auf deutschrechtliche Wurzeln zurück. Beiden ist zu eigen, dass der Widmungszweck des gesamthänderisch bzw. treuhänderisch gebundenen Vermögens als Gesellschaftszweck bzw. Zweck der Treuhänderschaft dinglich, also nach aussen wirkt. Beide finden ihre Ursprünge im Sachenrecht, gelten heute aber als Phänomene des Personen- und Gesellschaftsrechts. Für die Gesamthänderschaft ist dies unstrittig, trifft aber auch auf die Treuhänderschaft zu, und dementsprechend ist sie in Liechtenstein nicht im Sachenrecht, sondern im PGR geregelt. Zweitens: Wie die Gesamthänderschaft als Gruppe ist die Treuhänderschaft als Zusammenfassung der Beteiligten eines komplexen Vermögensarrangements rechtsfähig. Kraft ausdrücklicher gesetzlicher Bestimmung ist sie parteifähig, schuldfähig und konkursfähig. All diese Eigenschaften teilt sie mit den Gesamthandgemeinschaften, insbesondere der Kollektivgesellschaft, aber auch der einfachen Gesellschaft mit Firmao. Drittens gilt das für Gesamthandgemeinschaften typische An- und Abwachsungsprinzip beim Treuhänderwechsel. Der jeweilige Treuhänder wird sohin Eigentümer des Treugutes, ohne dass ein Eigentumswechsel stattfände. Der jeweilige Treuhänder kann auch für die mit Wirkung für das Treugut begründeten Schulden (ohne persönliche Haftung) belangt werden. Die persönliche tische Praxis 1998, 113 (122) und Ulmer (Fn 34) Vor § 705 Rz. 13. Siehe auch Wiedmann (Fn 15) 14. 108 Die Unerreichbarkeit des Zweckes verpflichtet den Stiftungsrat zur Auflösung der Stiftung, der die Liquidation und Beendigung nachfolgt (§ 39 Abs. 2 Z2 iVmAbs. 1 Z4 und § 40 StiftG). 109 Siehe nur §§ 39 f. StiftG. Selbst wenn Essentialia von Anfang an fehlen geht die einmal entstandene Verbandsperson nicht ohne Formalakt unter, siehe Art. 124 bis 127 PGR. 180 Zur Rechtsfähigkeit der liechtensteinischen Treuhänderschaft Haftung des bei Schuldaufnahme handelnden Treuhänders ist wie die persönliche Haftung des Gesellschafters einer Kollektivgesellschaft nur subsidiär. Durch Herstellung der Publizität entfällt sie überhaupt, ohne dass es einer Vereinbarung mit dem Dritten bedürfte. Da der jeweilige Treuhänder mit Amtsantritt Eigentümer des Treugutes und Schuldner der mit dem Treugut verbundenen Schulden ist, liegt die Rechts- und Schuldfähigkeit in Wahrheit bei der Treuhänderschaft selbst. Viertens ist die Treuhänderschaft trotzdem keine juristische Person, so wenig, wie rechtsfähige Gesamthandgemeinschaften juristische Personen sind. Gesamthänderschaften und Treuhänderschaften sind vom Prinzip der Selbstorganschaft geprägt. Eigentümer- und Organstellung gehen Hand in Hand. Fremdorganschaft gibt es nur bei juristischen Personen. Bei ihnen ist Organisations- und Abstraktionsgrad weiter fortgeschritten,die Existenz der juristischen Person von der Existenz ihrer Mitgliedern unabhängig. Bei Gesamthänderschaft und Treuhänderschaften bleibt die Verbindung der Beteiligten zum Vermögen trotz Rechtsfähigkeit aufrecht. Das An- und Abwachsungsprinzip belegt dies. Seinetwegen gehen Gesamthänderschaften und Treuhänderschaften– anders als juristische Personen – auflösungslos unter, wenn die konstitutiven Elemente, eine Mehrzahl von Beteiligten insbesondere, weggefallen sind. Fünftens hat der historische Gesetzgeber konzediertermassen bei der Regelung der Treuhänderschaft erstaunliche rechtsvergleichende und rechtshistorischeEinsicht besessen. Ausgehend vom Common Law wurde die Treuhänderschaft mit deutschrechtlichen Traditionen und Grundsätzen verbunden, damit ihre Integration ins liechtensteinische Recht ohne Systembruch und strukturellen Umbau materiellen wie Verfahrens-Rechts – über das eigentlich Treuhänderschaftsrecht hinaus – gelang. So kann sie ein einer dem Common Law formal sehr ähnlichen und funktional gleichwertigen Weise wirken. 181 Der Finanzplatz Liechtenstein im Jahr 20201 Klaus Tschütscher Inhaltsübersicht I. II. III. IV. V. Die Rahmenbedingungen Wie hat Liechtenstein seine eigene Strategie d efiniert? Die Rolle und Bedeutung der Schweiz Der Finanzplatz 2020 Schlussbemerkung 184 190 191 192 194 «Die Zukunft hat viele Namen: Für Schwache ist sie das Unerreichbare, für die Furchtsamen das Unbekannte, für die Mutigen aber ist sie die Chance.» Das sagte bereits der französische Schriftsteller Victor Hugo. Seine Worte gelten 2011 genauso wie für das Paris des 19. Jahrhunderts. Auch die Zukunft des Finanzplatzes Liechtenstein ist nicht etwas Unerreichbares oder etwas Unbekanntes. Nein diese Zukunft eröffnet vor allem neue Chancen und Möglichkeiten. Ich freue mich ausserordentlich, anlässlich der Gründungsveranstaltung des neuen Zentrums für liechtensteinisches Recht an der Universität Zürich zu Ihnen sprechen zu können. Ich bedanke mich für diese Ehre. Es entsteht etwas Neues und etwas Wichtiges. eine Brücke zwischen zwei eng verbundenen Partnerländern, auf die ich später zurückkommen werde. Es erscheint Ihnen möglicherweise in diesen Tagen ziemlich kühn, eine Vision für den Finanzplatz Liechtenstein für das Jahr 2020 zu formulieren. Das ist in knapp 10 Jahren und liegt für viele hinter dem Horizont des zeitlichen Vorstel1 Referat anlässlich der Gründungsveranstaltung des Zentrums für Liechtensteinisches Recht vom 4. November 2011. Dieser Beitrag wurde erstveröffentlicht in: Europe at the Crossroads, Referate zu Fragen der Zukunft Europas 2011, Andreas Kellerhals (Hrsg.) EIZ Band 128, Zürich 2012. 183 Klaus Tschütscher lungsvermögens. Zu oft müssen wir in diesen Tagen und Wochen zu viele und zu schnelle Veränderungen auf den Finanzplätzen vor allem Europas und Amerikas zur Kenntnis nehmen. Dort bleibt scheinbar praktisch kein Stein mehr auf dem anderen. Nach der Bankenkrise im Herbst 2008 sind wir mit einer Schuldenkrise ganzer Staaten konfrontiert. Sie trifft die Währungsunion in Europa in ihren Grundfesten und exportabhängige Staaten im Nicht-Euroraum wie die Schweiz und Liechtenstein. Gerade in Zeiten des schnellen Wandels aber ist es entscheidend, den weiten Blick in die Zukunft und die Weitsicht nicht zu verlieren. «Die Zukunft hat viele Namen: Für die Mutigen ist sie vor allem eine Chance.» Worin besteht also auf lange Sicht die Chance für den Finanzplatz Liechten stein? Das ist die Frage, die uns, sehr verehrte Zuhörerinnen und Zuhörer, im Folgenden beschäftigen wird. Ich möchte meine Ausführungen in drei Teile gliedern. Erstens: Welche inneren und äusseren Grundannahmen gelten für die Zukunft des Finanzplatzes Liechtenstein? Zweitens: Welche Rolle und Bedeutung hat die Schweiz und ihr Finanzplatz für Liechtenstein? Und drittens: Wie könnte der Finanzplatz Liechtenstein 2020 tatsächlich aussehen? I. Die Rahmenbedingungen Liechtenstein ist ein Kleinststaat. Liechtenstein ist eine Monarchie. Das sind zwar zwei einfache Feststellungen. Im Bezug auf die künftige Stärke, Qualität und Wettbewerbsfähigkeit des Finanzplatzes erhalten sie aber eine enorme Bedeutung. «Die Zukunft hat viele Namen: Vor allem für Kleinstaaten ist sie eine Chance.» Ich bin überzeugt, dass wir vor einem Zeitalter der Kleinstaaten stehen. Einer meiner Vorgänger hat einst einem ausländischen Politiker die Vorteile eines Kleinststaates so erklärt: «Bevor die Politiker in den grossen Ländern ein Problem überhaupt erkennen, haben wir es schon gelöst.» Diese Aussage muss natürlich im Zeitalter der Globalisierung doch etwas relativiert werden: 184 Der Finanzplatz Liechtenstein im Jahr 2020 Wenn man von der Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft spricht, dann hört man häufig die Forderung an die Politik, die klassischen Standortvorteile zu erhalten und weiterhin für gute Rahmenbedingungen zu sorgen. Vielfach wird dabei aber etwas ganz Entscheidendes übersehen: Dass die Qualität von Standortvorteilen nämlich nicht isoliert, sondern immer nur im Vergleich mit anderen Standorten und Systemen bewertet werden kann. Wenn sich Europa und die Welt verändern, verändert sich auch die wirtschaftliche Ausgangslage für Liechtenstein und die Schweiz. Gute Rahmenbedingungen sind damit in unserer Zeit der raschen Veränderungen weniger denn je etwas Statisches, sondern einem permanenten Anpassungsdruck ausgesetzt. Trotzdem gilt: Die Wege in einem Kleinststaat sind kurz und einmal getroffene Entscheide können schnell umgesetzt werden. Mit der Liechtenstein-Erklärung vom März 2009 zum Beispiel haben wir einen solchen Entscheid für den Finanzplatz getroffen. Sie ist die neue Charta des 21. Jahrhunderts für unseren Finanzplatz. Die darin formulierten Verpflichtungen, internationale Steuer- und Auf sichtsstandards anzuwenden, sind weitgehend umgesetzt. Die Reputation des Finanzplatzes hat sich seither klar und nachhaltig verbessert. Wir sind auf dem richtigen Weg. Ich möchte aber nicht ausschliessen, dass der Wandel der Welt eine Fortsetzung oder Ergänzung der Liechtenstein Erklärung einfordert. Liechtenstein ist ein Kleinststaat und eine Monarchie auf parlamentarischer Grundlage. Was aber hat die Staatsform mit dem Finanzplatz zu tun? – Auf den ersten Blick nicht viel. Auch auf den zweiten Blick nicht. Denn die Politik ist nicht Marktteilnehmerin, sondern in meinem Verständnis ausschliesslich für die Schaffung möglichst optimaler Rahmenbedingungen verantwortlich. Den Erfolg am Markt suchen müssen dann die Wettbewerber schon selber. – Der Staat kann nicht Markt spielen und der Markt auch nicht Staat. Was aber hat die Staatsform Liechtensteins mit seinem Finanzplatz zu tun? Der dritte Blick auf diese Frage gibt dann allerdings eine besondere Antwort: nämlich die historische Kontinuität im Amt des Staatsoberhauptes. Es wech selt nicht im Abstand von ein oder zwei Legislaturperioden wie in anderen westlichen Demokratien, sondern im Abstand von Generationen. Erbprinz Alois hat das Amt des Staatsoberhauptes vorzeitig von seinem Vater Fürst Hans Adam übernommen und führt es geschäftsführend aus. Damit besteht in Liechtenstein eine spezifische Kultur der politischen Stabilität auf 185 Klaus Tschütscher höchster Ebene. In Zeiten der Transformation, der Umbrüche und der damit verbundenen Unsicherheiten ist diese Stabilität ein Schlüssel für die Zukunft des ganzen Landes. Ich habe jetzt wichtige innere Rahmenbedingungen für den Finanzplatz 2020 beschrieben, die sich alle auf drei elementare Faktoren zurückführen lassen: auf die liechtensteinische Integrationspolitik, auf die Eigenstaatlichkeit und auf die politische Stabilität. Was sind jedoch die äusseren Rahmenbedingun gen? Sie sind derzeit alles andere als stabil. Sie sind vielmehr von systemischen Unsicherheiten geprägt. Das ist allerdings nur die Oberfläche. Denn die In stabilitäten in den Finanzsystemen sind nicht isoliert zu betrachten. Sie sind vielmehr eingebettet in einem globalen Wandel. Das Stichwort hier heisst Paradigmenwechsel. Wir erfahren einen welt- und europapolitischen Trend zur Zentralisierung und zur Harmonisierung, was sich ganz besonders stark auf die Finanz- und Steuerpolitik der Staaten auswirkt. Niedrigsteuerländer wie Liechtenstein sind aber nicht durch den internationalen Steuerwettbewerb selbst, sondern durch die Reaktion anderer Staaten in der Regel Hochsteuerländer zunehmend unter Druck geraten. Aus diesem Grund gilt für die institutionellen Regelungen dasselbe wie für die wirtschaftspolitischen Nischenstrategien. Liechtenstein muss bei der Gestaltung seiner Rahmenbedingungen der Tatsache Rechnung tragen, dass künftige wirtschaftliche Erfolge weniger aufgrund eines Regelungsgefälles, sondern ganz stark aufgrund von innovativen Dienstleistungen, Wissensvorsprung und unternehmerischen Leistungen entstehen werden. Diese wichtige Erkenntnis leitete die Neuausrichtung unseres Standorts und insbesondere des Finanzplatzes Liechtenstein. Gerade in Zeiten, in denen die internationalen Rating-Agenturen etlichen Ländern die Kreditwürdigkeit herabstufen, erhält das AAA-Länder-Rating Liechtensteins durch Moody’s und Standard & Poor’s zusätzliches Gewicht. Unsere Banken haben in der Krise die Nagelprobe bestanden und waren nicht auf staatliche Hilfe angewiesen. Unsere solide Finanzpolitik, die uns möglichst rasch wieder zu einem ausgeglichenen Staatshaushalt führen soll, hat ebenfalls ganz wesentlich zur Stabilität in der Krise beigetragen. Liechtenstein legt gerade deshalb auf die Erhaltung gesunder Staatsfinanzen und einen effizienten Staat allergrösstes Augenmerk. Damit können wir unserer Wirtschaft und dem 186 Der Finanzplatz Liechtenstein im Jahr 2020 Finanzplatz wahrscheinlich am meisten helfen. Denn alle Unternehmen haben ein berechtigtes Interesse daran, dass die günstigen steuerlichen Rahmenbedingungen erhalten bleiben, weil sonst die Attraktivität des Unternehmensstandorts leiden würde. Es sind mit anderen Worten heute nicht mehr die Unternehmen allein, die in einem globalen Wettbewerb stehen, sondern auch die Staaten untereinander. Der globale Wandel wird auch in den gesellschaftlichen Megatrends sichtbar. Schon seit längerem weisen Statistiker auf eine Alterung und damit einen Rückgang der Bevölkerung in Europa und den USA hin. Im Gegensatz dazu besteht in Entwicklungsländern ein Geburtenboom. Die Folge davon sind anwachsende, auch durch die Überwachung der Aussengrenzen nicht aufzu haltende Migrationsströme vor allem von Süd nach Nord. Im Ergebnis kommt es zu demografischen Verwerfungen. Die Folgen für die öffentliche und private Altersversorgung beziehungsweise für die globalen Kapitalmärkte werden in verschiedenen Ländern erst langsam sichtbar. Sicher dürfte sein: Das Echtkapital wird wegen der Überalterung und dem damit deutlich erhöhten Vorsorgekapitalbedarf in verschiedenen Weltregionen knapp. Zu den Megatrends im 21. Jahrhundert gehört eine neue, global manifeste Stufe der Individualisierung der Gesellschaften. Das Beziehungsgeflecht des Einzelnen ist von wenigen starken und vielen losen Bindungen geprägt. Aus druck dieser Atomisierung ist unter anderem der Wandel vom Massemarkt zum Mikromarkt, der von Selbstversorgung und Do-it-Yourself-Ökonomie geprägt ist. Die Individualisierung hat bereits markante Auswirkungen auf das Anforderungsprofil erfolgreicher Kundenberater von Finanzdienstleistern. «Die Zukunft hat viele Namen: Für die Mutigen ist sie die Chance.» Die boomende Gesundheit ist ebenfalls ein wichtiges Element des Wandels in der Gesellschaft: Steigendes Bewusstsein, neue Nahrungsmittel wie Functional Food, Gen Food, Novel Food sowie neue Konvergenzmärkte zwischen Ernährung, Pharma, Medizin und Kosmetik sind dafür Ausdruck. Für viele ist die eigene Gesundheit zur mit Abstand wichtigsten Anlage- und Vorsorgemöglichkeit geworden. Nicht nur einzelne gesellschaftliche Megatrends sind spektakulär. Auch neue Technologien bestimmen die Gesamtentwicklung im neuen Zeitalter mass geblich. Das digitale Leben ist geprägt von neuen Medien, die den Alltag er- 187 Klaus Tschütscher obern. Virtuelle Realität wird real und bestimmte Business-Welten werden virtuell. Die Folge davon ist die so genannte ubiquitäre Intelligenz. Wir stellen eine fortschreitende Revolution fest. Maschinen haben auch auf den Ka pitalmärkten viele Funktionen und Operationen übernommen. Die Folgen davon sind noch nicht wirklich definierbar. Neurowissenschaften, künstliche Intelligenz und Robotik kommen zu immer spektakuläreren Ergebnissen. Auf der anderen Seite hat diese neue technische Revolution das Potenzial zum gläsernen Bürger, der überwacht und kontrolliert wird. Das alles ist nur möglich, weil eine Konvergenz der Technologien stattfindet. Zentrale Treiber dafür sind die Informations- und Nanotechnologie. Die Folgen im Form des gläsernen Bürgers beziehungsweise die Folgen für seine Privatsphäre im Bereich der Finanzdienstleistungen sind bereits konkret. Fazit ist: Eine neue Welt entsteht. Die neue politische Weltordnung ist durch den Aufstieg Chinas und Indiens zu Weltmächten und durch eine Krise der westlichen Demokratien geprägt. Russland erlebt eine «Renaissance» und der vergessene Kontinent Afrika und der Magreb sind in einem historischen Aufbruch begriffen. Die neue Welt ist schliesslich geprägt von wachsender Bedrohung. Wir leben inzwischen in einer Weltrisikogesellschaft. Das globale Finanz system ist Teil dieser Risikogesellschaft. Wie gehen wir mit dieser geballten Ladung um? «Die Zukunft hat viele Namen: Für Schwache ist sie das Unerreichbare, für die Furchtsamen das Unbekannte, für die Mutigen aber ist sie die Chance.» Die erwähnten Umwälzungen im internationalen Umfeld fordern die Wirt schaft, aber auch den Staat als Hüter der Rahmenbedingungen des Wirt schaftsstandorts heraus. Die Globalisierung erzwingt auch im Finanzbereich einen raschen Wandel. Wie sollen wir diesem Wandel begegnen? Wie sollen wir mit dem Standortwettbewerb umgehen? Meine Damen und Herren, die wichtigste Erkenntnis muss doch sein: Probleme und Herausforderungen kann man niemals mit der gleichen Denkweise lösen, durch die sie entstanden sind. Auch der Finanzplatz Liechtenstein musste sich dem Leistungswettbewerb stellen. Wir haben das getan und damit die Grundlage für den integren, qua litativen sowie innovativen Finanzplatz der Zukunft gelegt. Lassen Sie mich dies an einem bildlichen Vergleich verdeutlichen: Stellen Sie sich vor, dass das Finanzgeschäft ein Spiel ist, in dem es gilt, 5 Kugeln zu 188 Der Finanzplatz Liechtenstein im Jahr 2020 jonglieren. Auf der ersten Kugel steht «Produkte und Dienstleistungen», auf der zweiten «internationale Zusammenarbeit», auf der dritten «internationale Standards», auf der vierten «Integrität» und auf der fünften «Selbstverständnis und Standortfaktoren des Finanzplatzes». Gelingt es, alle Kugeln zu jonglieren, dann ist der Finanzplatz im Gleichgewicht und somit erfolgreich. Aber was geschieht, wenn eine Kugel zu Boden fällt? – Da muss man wissen, dass nur die Kugel «Produkte und Dienstleistungen» aus Gummi ist und wieder zurückspringt. Alle anderen Kugeln, «die internationale Zusammen arbeit», «die internationalen Standards», «die Integrität» und «das Selbstver ständnis» sind aus Glas. Fällt eine dieser Kugeln zu Boden, wird sie unwi derruflich beschädigt, zerspringt vielleicht in tausend Stücke. Und selbst wenn sie nicht zerspringt – so wird sie nicht mehr so sein wie vorher. Liechtenstein hat mit der Kugel «internationale Zusammenarbeit», vielleicht noch mit dem Zusatz «in Steuerangelegenheiten», seine Erfahrungen gemacht und die richtigen Schlüsse daraus gezogen. Deshalb würde ich den Weg Liechtensteins so umschreiben, dass wir uns vom reinen Standortwettbewerb hin zu einem Leistungswettbewerb mit Standortvorteilen bewegen. Sichtbarstes und starkes Zeichen der Neupositionierung ist die bereits er wähnte Liechtenstein-Erklärung der Regierung vom März 2009. Darin haben wir unsere neuen Eckwerte für den Finanzplatz, insbesondere für die interna tionale Steuerpolitik Liechtensteins pro-aktiv definiert, öffentlich formuliert und internationalkommuniziert. Liechtenstein bekennt sich seither, wie die Schweiz auch, zum globalen OECD-Standard für Transparenz und Informa tionsaustausch in Steuerfragen. Der Lohn für diese enormen Anstrengungen Liechtensteins ist der Erhalt und Ausbau der Rechtssicherheit und der Rechtskonformität für in- und ausländi sche Kunden des Finanzplatzes. Liechtenstein kommt damit sowohl seiner Verantwortung gegenüber den Kunden des Finanzplatzes nach wie auch den berechtigen Steueransprüchen seiner Vertragspartner. Lassen Sie mich noch kurz auf die gegenwärtige Befindlichkeit und die Er wartungen Liechtensteins in der internationalen Steuerkooperation zu spre chen kommen. 189 Klaus Tschütscher II. Wie hat Liechtenstein seine eigene Strategie definiert? Unsere Steuerstrategie zum Erhalt und zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Liechtenstein beruht auf drei Säulen: Erstens auf der in ternationalen Steuerkooperation, zweitens auf einer innovativen und wettbe werbsfähigen nationalen Steuergesetzgebung und drittens auf einer hervorra genden Qualität der Dienstleistungen in Wirtschaft und Verwaltung. Liech tenstein ist mit anderen Worten in seiner Finanzplatzstrategie neue und eigene Wege gegangen. Ein Beispiel für die innovative Umsetzung der Finanzplatzstrategie ist das Steuerabkommen mit Grossbritannien, ein Steuerabkommen sui generis. Mit dieser Art von Steuervertrag konnten wir eine Alternative zum automatischen Informationsaustausch aufzeigen. Unser Modell besteht nämlich darin, dass der Schutz der Privatsphäre ausschliesslich in der Disposition des Kunden bleibt. Der in Grossbritannien Steuerpflichtige hat bis 2015 Zeit, sich für die Steu erkonformität zu entscheiden. Tut er das nicht, wird er die Geschäftsbeziehung zu Liechtensteins Finanzintermediären auflösen müssen. Bisher haben über 1500 Kunden von dieser Möglichkeit der Regularisierung Gebrauch gemacht. Das übertrifft unsere Erwartungen und diejenigen der britischen Steuerbehörde. Mehr als ein Drittel dieser Kunden sind Neukunden in Liechtenstein. Das Abkommen hat die Steuerwelt positiv beeindruckt. Ein Grund dafür ist sicher, dass wir zu keinem Zeitpunkt Daten an die briti schen Steuerbehörden liefern. Das ist der Kern der Sache: Es entscheidet nicht jemand anders, dass das Bankkundengeheimnis aufgehoben wird, sondern nur der Kunde selber. Wir haben eine Verantwortung gegenüber dem Kunden, der uns unter anderen Rahmenbedingungen aufgesucht hat. Wir müssen ihm deshalb eine Brücke in die neue Finanzwelt bauen. Denn diese neue Welt wird weder in Liechtenstein noch in anderen Kleinststaaten definiert, sondern auf internationaler Ebene. Bestimmende Vektoren auf dieser Ebene waren bisher die G-20, die USA und die EU. Basel III-Vorschriften, Facta und MiFID sind Beispiel für die admi- 190 Der Finanzplatz Liechtenstein im Jahr 2020 nistrativen Bürden, die auf Finanzdienstleister auch in Kleinststaaten zugekommen sind oder noch zukommen werden. Mehr Regulierung heisst allerdings nicht unbedingt bessere Regulierung. Die Politik auch eines Kleinststaates muss sich entschieden dafür einsetzen, dass für alle dieselben Regeln gelten. Weil wir im 21. Jahrhundert weltweit vernetzt sind, muss das Ziel ein «level playing field» sein. Wenn wir das nicht schaffen, bedeutet mehr Regulierung ein klarer Wettbewerbsnachteil für die kleineren Finanzplätze in Europa. Mit Schnelligkeit, Kreativität und Innovation können wir uns auch als Kleinststaat behaupten. Seit dem 1. August gilt zum Beispiel in Liechtenstein auch ein neues, vollständig revidiertes Fondsgesetz. Es setzt die EU-Richtlinie für gemeinsame Anlagen in Wertpapiere, die so genannte UCITS-Richtlinie um. Die schnelle, schlanke und kundenfreundli che Umsetzung der Richtlinie erleichtert für liechtensteinische Fondsproduk te und deren Anbieter den Zugang zum europäischen Binnenmarkt wesentlich. Gleichzeitig stärkt das Gesetz den Finanzplatz insgesamt. Es schafft Flexibilität, Dynamik und Reputation für den Finanzplatz und es ist gleichzeitig ein Meilenstein in seiner Entwicklung. Tatsächlich kann sich Liechtenstein mit den neuen Rahmenbedingungen als optimaler Hub für Drittländer ausserhalb der EU und des EWR positionieren. Massenprodukte sind dafür immer weniger gefragt. Massanzüge dafür umso mehr. Ebenfalls um eine nachhaltige Bewirtschaftung geht es im vor drei Jahren vollständig revidierten Stiftungsrecht. Die neuen Vorschriften haben die Rechtssicherheit für alle Beteiligten erhöht. Der Zulauf zum Beispiel von so genannten gemeinnützigen Stiftungen ist gross. Bisher gibt es schätzungs weise gegen 1000 gemeinnützige Stiftungen neuen Rechts in Liechtenstein. Liechtenstein als politisch stabiles Fürstentum im Herzen Europas erweist sich damit als sehr geeigneten Standort für grenzüberschreitende Philanthropie. III. Die Rolle und Bedeutung der Schweiz Mit Mut zu Massarbeit, mit Nischenprodukten wollen wir im Wettbewerb zu anderen Finanzplätzen wie der Schweiz bestehen. Mit ihr lebt Liechtenstein seit bald einem Jahrhundert in einer einmaligen Zoll- und Währungsunion. 191 Klaus Tschütscher Liechtenstein und die Schweiz sind ein einmaliges Beispiel, wie sich Wett bewerb und Kooperation nicht ausschliessen. Lassen Sie mich dazu klar festhalten: Der Finanzplatz Liechtenstein ist strukturell seit jeher auf eine gute Zusammenarbeit mit dem Finanzplatz Schweiz angewiesen. Und lassen Sie mich es hier an dieser Stelle ebenfalls klar aussprechen: Die Finanzplätze von Liechtenstein und der Schweiz mussten und müssen sich beide der Herausforderung von Angriffen aus dem näheren und ferneren Umfeld stellen. Gangbare Wege, die aus diesem Schussfeld führen, gibt es verschiedene. Wir sind zwar Konkurrenten im Streben um Best Practices. Ein Beispiel sind die bilateralen Abkommen mit verschiedenen grossen europäischen Ländern zur Legalisierung von bisher unversteuertem Altvermögen ausländischer Privatkunden. Die Schweiz und Liechtenstein sind aber gleichzeitig grossem gegenseitigen Respekt und einer historisch-freundschaftlichen Nachbarschaft verpflichtet. Lassen Sie mich damit zum dritten Teil meiner Ausführungen kommen: Wie könnte der Finanzplatz 2020 tatsächlich aussehen? IV. Der Finanzplatz 2020 Die Zukunft kann niemand voraussehen, aber jeder kann sich auf sie vorbe reiten. Der bekannte deutsche Politiker Willy Brandt hat einmal gesagt: Der beste Weg, die Zukunft vorauszusagen, ist – sie zu gestalten. Vor ziemlich genau einem Jahr hat die liechtensteinische Regierung die Agenda 2020 verabschiedet. Sie dient einzig und allein der Zukunftssicher ung unseres Landes. Die Agenda geht tatsächlich bis 2020, also weit über die Legislaturperiode hinaus. Sie wurde gemeinsam von beiden Regierungsparteien ausgearbeitet und führt daher zu einer gemeinsamen Anstrengung über die Parteigrenzen hinweg. Das lateinische Wort «Agenda» bedeutet: «Was zu tun ist». – Nun, zu tun ist eine ganze Menge. Denn wir haben festgestellt – und dies gilt im Grundsatz auch für viele andere Staaten ─, dass wir uns in einem kritischen Punkt unse rer Entwicklung befinden. 192 Der Finanzplatz Liechtenstein im Jahr 2020 Wie vorher gesehen, stehen wir in langfristig angelegten und ganzheitlichen Transformationsprozessen. Sie betreffend alle und alles. Nicht nur für Welt konzerne, sondern auch für Regierungen sind strategische Entscheide in verschiedensten Bereichen entscheidend. Da ist eine geballte Ladung an Veränderungen, die besonders für kleine Staaten eine gewaltige Herausforderung bedeuten. Viele Entscheide von heute sind von langfristiger Tragweite und werden auch künftige Generationen betreffen. Deshalb die «Agenda 2020». Darin konzentriert sich die Regierung in einem permanent ändernden Umfeld auf die wichtigsten strategischen Ziele, die zu einer erfolgreichen Entwicklung Liechtensteins massgeblich beitragen können. Diese Kontinuität in der politischen Arbeit macht uns berechenbar und verlässlich, was das Vertrauen in die Institutionen stärkt und die Planungssicherheit für die Wirtschaft erhöht. Mit der Agenda 2020 wollen wir 1. Die Chancen des Kleinstaates in der Internationalisierung nützen, 2. die innenpolitische Handlungsfähigkeit erhöhen, 3. die fiskalpolitische Handlungsfähigkeit erhalten 4. den Wirtschaftsstandort stärken, 5. die natürliche Lebensgrundlage sichern und 6. die Lebensqualität der Bürgerinnen und Bürger erhöhen. Damit Sie sich darunter etwas Konkretes vorstellen können, nenne ich Ihnen für jedes dieser strategischen Ziele in der gleichen Reihenfolge eines der insgesamt 37 Handlungsfelder: •• Wir wollen die Nachbarschaftsbeziehungen vertiefen. •• Wir wollen eine historische Regierungs- und Verwaltungsreform um setzen. •• Wir wollen Public Private Partnership fördern. •• Wir wollen für unsere Wirtschaft, das heisst auch unserem Finanzplatz, den diskriminierungsfreien Zugang zu den internationalen Märkten si cherstellen. •• Wir wollen eine Energievision entwickeln und umsetzen. •• Und wir wollen die hohe Qualität des Bildungssystems sichern. Es entspricht unserem Staatsverständnis, dass wir bei der Umsetzung der Agenda 2020 die staatlichen Interventionen möglichst beschränken und den Raum für private Initiativen offen halten wollen. 193 Klaus Tschütscher Unsere Zielsetzungen haben wir auf der Basis solider und abgestützter Werte definiert. Dieses Wertfundament fassen wir unter den Begriffen «Selbstbe stimmung», «Sicherheit» und «Humanismus» zusammen. Die Agenda 2020 ist mehr als eine Vision. Sie ist eines unserer Instrumente, die Zukunft als Chance zu begreifen. Wie könnte der Finanzplatz 2020 tatsächlich aussehen? Ich bin nicht Zu kunftsforscher, sondern Politiker. Deshalb stelle ich die Frage anders. Nämlich: Wer ist der neue Banker, der neue Treuhänder, der neue Fondsmanager oder der neue Vermögensverwalter des 21. Jahrhunderts? Ich bin nicht Hochschullehrer, sondern Politiker eines Kleinststaates mit einem spezifischen Finanzplatz. Deshalb bekommen Sie von mir auch nur eine politische Antwort: Der neue Finanzdienstleistende muss vor allem ein kompetenter Dienstleister und damit ein verlässlicher Treuhänder der inzwischen fast unendlich vielfältigen Bedürfnisse seines Kunden sein. Erfolgreiche Kundenberater werden künftig ganz anders gefordert sein als bisher. Der Kunde wird seinen Berater oder Vermögensverwalter nicht fragen, wo er seinen Abschluss mit welchen Qualifikationen gemacht hat und wie viel Geld er verdienen möchte. Der Kunde wird von seinem Berater vor allem seine fachlichen und strategischen, seine menschlichen und persönlichen, seine innovativen und kreativen Kompetenzen einfordern. Die Kunst des erfolgreichen Finanzdienstleisters im Jahr 2020 besteht unter anderem darin, sich dort zu spezialisieren, wo er oder sie im Innern stark ist. Und das, ohne den Prozess und seine Konsequenzen des laufenden und noch lange nicht abgeschlossenen Paradigmenwechsels aus den Augen zu verlieren. V. Schlussbemerkung Dieser Anspruch ist hoch. Er ist eine Gratwanderung. Aber eine Gratwande rung verschafft naturgemäss auch den besten Ausblick. Die Zukunft hat viele Namen: Für Schwache ist sie das Unerreichbare, für die Furchtsamen das Unbekannte, für die Mutigen aber ist sie die Chance. Liechtenstein sieht im eingeschlagenen Weg ein grosses Zukunftspotenzial und viele Chancen. Ich hoffe, dass ich Ihnen mit meinen Ausführungen die 194 Der Finanzplatz Liechtenstein im Jahr 2020 Perspektiven des Finanzplatzes Liechtenstein etwas näher bringen konnte und bedanke mich sehr herzlich für Ihre grosse Aufmerksamkeit! 195