Rechtsreform und Zukunft des Finanzplatzes Liechtenstein

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Rechtsreform und Zukunft des Finanzplatzes Liechtenstein
Schriften des Zentrums für liechtensteinisches Recht
(ZLR) an der Universität Zürich
Herausgegeben von
Helmut Heiss, Andreas Kellerhals,
Anton K. Schnyder, Francesco Schurr
Band 1
Helmut Heiss (Hrsg.)
Rechtsreform und Zukunft
des Finanzplatzes Liechtenstein
Tagung aus Anlass der Eröffnung
des Zentrums für liechtensteinisches Recht
an der Universität Zürich
Nomos
ISBN 978-3-03751-514-3 (Dike Verlag Zürich/St. Gallen)
ISBN 978-3-8329-xxxx-x (Nomos Verlag, Baden-Baden)
ISBN 978-3-7089-xxxx-x (facultas.wuv Verlag, Wien)
Bibliografische Information der ‹Deutschen Bibliothek›.
Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen
Nationalbiblio­grafie; detaillierte ­bibliografische Daten sind im Internet über
‹http://dnb.ddb.de› abrufbar.
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ist ohne Zustimmung des ­Verlages unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und
Verarbeitung in elektronische Sys­teme.
© Dike Verlag AG, Zürich/St. Gallen 2013
Vorwort
Am 4. November 2011 konnte an der Universität Zürich die Eröffnung des
«Zentrums für liechtensteinisches Recht» im Rahmen der Fachtagung
«Rechtsreform und Zukunft des Finanzplatzes Liechtenstein» feierlich verkündet werden. Der vorliegende Band enthält die Schriftfassung der wichtigsten Referate wie auch des Festvortrags von Herrn Regierungschef Dr. Klaus
Tschütscher, LL.M., und wird der Öffentlichkeit hiermit als Band 1 der neu
gegründeten Reihe «Schriften des Zentrums für liechtensteinisches Recht»
präsentiert. Ich danke allen Referenten sowie Herrn Regierungschef Tschütscher für ihre herausragende Mitwirkung an der Eröffnungstagung des Zentrums und die grosse Mühe der schriftlichen Abfassung der Referate. Durch
ihre ausgezeichnete Arbeit liegt heute Band 1 einer Schriftenreihe vor, die in
Zukunft hoffentlich zahlreichen weiteren Publikationen zum liechtensteinischen Recht einen angemessenen Rahmen bieten wird.
Mein Dank gilt ebenso herzlich dem Verlag Dike, der es übernommen hat, die
Schriftenreihe verlegerisch zu betreuen. Die Herausgeber der Schriftenreihe
freuen sich auf diese von nun an laufend stattfindende Zusammenarbeit.
Zürich, Dezember 2012
Helmut Heiss
III
Inhaltsverzeichnis
Referentenverzeichnis
VII
Solvency II und die Auswirkungen auf den ­
Versicherungsstandort Liechtenstein
Alexander Imhof / Clemens Höfler 1
Das UCITSG und seine Folgen
Dirk Zetzsche
9
Die Liechtensteinische Steuerpolitik
Martin Wenz
41
Schiedsstandort Liechtenstein
Johannes Gasser 61
Zur Rechtsfähigkeit der liechtensteinischen Treuhänderschaft
Bernhard Lorenz 149
Der Finanzplatz Liechtenstein im Jahr 2020
Klaus Tschütscher
183
V
Referentenverzeichnis
Dr. Johannes Gasser, Rechtsanwalt, LL.M., Advokaturbüro Dr. Dr. Batliner
& Dr. Gasser, Vaduz
Dr. Clemens Höfler ist Mitarbeiter der Rechtsabteilung des Bereichs Versicherungen und Vorsorgeeinrichtungen bei der Finanzmarktaufsicht (FMA),
Vaduz
Dr. Alexander Imhof, Leiter Versicherungs- und Vorsorgeeinrichtungen,
Mitglied der Geschäftsleitung der Finanzmarktaufsicht (FMA) Liechtenstein,
Vaduz
Dr. Bernhard Lorenz, Rechtsanwalt, LL.M., LNR Rechtsanwälte, Vaduz
Prof. Dr. Martin Wenz, Lehrstuhl für Betriebswirtschaftliche Steuerlehre,
Internationales und Liechtensteinisches Steuerrecht, Leiter des Instituts für
Finanzdienstleistungen an der Universität Liechtenstein, Vaduz
Dr. Dirk Zetzsche, LL.M., Vertretungsprofessor für Bank- und Finanzmarktrecht, Institut für Finanzdienstleistungen an der Universität Liechtenstein,
Vaduz
Gastreferent: Dr. Klaus Tschütscher, Regierungschef des Fürstentums Liechtenstein
VII
Solvency II und die Auswirkungen auf den
­Versicherungsstandort Liechtenstein
Alexander Imhof / Clemens Höfler
Am 24. Mai 2011 läutete die liechtensteinische Finanzmarktaufsicht (FMA)
im Rahmen ihrer Auftaktveranstaltung zu Solvency II1 in Anwesenheit des
Referatsleiters für Versicherungen und Altersvorsorge der Europäischen Kommission in Brüssel, Herrn Professor Karel van Hulle, eine «neue Epoche» der
Versicherungsaufsicht im Fürstentum Liechtenstein ein. Mit der Präsentation
des Vorvernehmlassungsentwurfes eines neuen, total revidierten2 Versicherungsaufsichtsgesetzes (VersAG) gelang es dem Kleinstaat als ersten EWRVertragsstaat seine diesbezüglichen Bemühungen für eine entsprechende
Umsetzung der sogenannten Solvency II-Richtlinie3 zu veröffentlichen.
Der nachfolgende Beitrag stellt eine kurze Zusammenfassung eines am 4. November 2011 an der Universität Zürich gehaltenen Vortrags4 dar, welcher sich
mit den Auswirkungen und Neuerungen von Solvency II auf den Versicherungsstandort Liechtenstein befasste.
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Auftakt zu Solvency II, Das neue Aufsichtssystem für die europäische Versicherungswirtschaft.
Die Ausarbeitung des Entwurfes erfolgte in über 50 Workshops seit Sommer 2009.
Richtlinie 2009/138/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 2009 betreffend die Aufnahme und Ausübung der Versicherungs- und Rückversicherungstätigkeit (Solvabilität II).
Vortrag von Dr. Alexander Imhof, (Leiter Bereich Versicherungen und Vorsorgeeinrichtungen) im Rahmen der Gründungsveranstaltung des Zentrums für liechtensteinischen Rechts des Europa Instituts an der Universität Zürich.
1
Alexander Imhof / Clemens Höfler
Seit dem Beitritt Liechtensteins zum europäischen Wirtschaftsraum im Jahr
1995 basiert die Versicherungsaufsicht im weitesten Sinn auf dem mit diesem
Zeitpunkt übernommenen Rechtsbestand der Europäischen Union (EU) zur
Versicherungstätigkeit,5 sowie auf dem ebenfalls im gleichen Jahr verabschiedeten Versicherungsaufsichtsgesetz (VersAG)6 und der Versicherungsaufsichtsverordnung (VersAV)7 von 1996.
Auf der Grundlage des bereits seit 1999 laufenden Gesetzgebungsprojekts der
EU8 zur Neufassung des Versicherungsaufsichtsrechts wurde schliesslich am
25. November 2009 die Rahmenrichtlinie (RRL) 2009/138/EG veröffentlicht
(Solvency II). Diese Richtlinie umfasst zum einen neue Regelungsteile im
Bereich der quantitativen Erfassung der Risikolage eines Versicherungsunternehmens, neue Anforderungen an ein Governance System sowie neue Regelungen im Hinblick auf eine Steigerung der Markttransparenz. Sie bildet damit
die Grundlage einer neuen Aufsichtskultur in Europa. Zum anderen fasst die
Richtlinie die bereits bisher bestehenden Richtlinienbestimmungen zum Versicherungsbetrieb, wie zum Beispiel das Single License Principle, das Prinzip
der Sitzlandkontrolle oder das Verbot der präventiven Produktkontrolle zusammen und führt damit ein bereits bewährtes System weiter fort. Trotz der
umfassenden Kodifizierung bleiben die Bereiche der Versicherungsvermittlung,9
der Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung10 sowie der Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung11 ausserhalb des Anwendungsbereichs der RRL.
Plakativ dargestellt gründet die Solvency II-Richtlinie auf einem sogenannten
Drei-Säulen-Ansatz, der in seiner ersten Säule eine verstärkte Risikoorientie5
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Vgl. zum Überblick, Erwägungsgrund 1 der RL 2009/138/EG.
Vgl. Bericht und Antrag zum Versicherungsaufsichtsgesetz (VersAG) vom 6. Dezember 1995.
Vgl. Bericht und Antrag zur Versicherungsaufsichtsverordnung (VersAV) vom 17. Dezember 1996.
Mit der Teilnahme an europäischen Arbeitsgruppen könnte sich auch Liechtenstein als
EWR-Vertragsstaat bei der Schaffung der Solvency II – Richtlinie und den Durchführungsmassnahmen einbringen.
Richtlinie 2002/92/EG des europäischen Parlaments und des Rates vom 9. Dezember
2002 über Versicherungsvermittlung.
Richtlinie 2009/103/EG des europäischen Parlaments und des Rates vom 16. September 2009 über die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung und die Kontrolle der entsprechenden Versicherungspflicht.
Richtlinie 2005/60/EG des europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Oktober
2005 zur Verhinderung der Nutzung des Finanzsystems zum Zwecke der Geldwäsche
und der Terrorismusfinanzierung.
Solvency II und die Auswirkungen auf den Versicherungsstandort Liechtenstein
rung für die Bereiche des Markt-, Kredit- und des operationellen Risikos
(quantitative Anforderungen) verfolgt. In Ergänzung dazu enthält die zweite
Säule neben qualitativen Anforderungen an das Risikomanagement auch Vorschriften über die Methoden und Grundsätze des behördlichen Aufsichtsverfahrens, um so die Aufsichtskonvergenz in Europa weiter zu vertiefen. Die
dritte Säule schliesslich enthält einerseits Vorschriften zum verbesserten
Schutz der Versicherungsnehmer und anderseits umfangreiche Offenlegungsund Berichtspflichten, die zu einer gewissen Selbstdiszipliniernung der Versicherungsunternehmen führen soll. Vervollständigt werden diese Regelungen
durch ausgedehnte Normen der Gruppenaufsicht, welche insbesondere der
sektoriellen Konvergenz dienen und damit zur Wahrung der Stabilität des
Finanzplatzes beitragen.
In Vorbereitung auf die Implementierung des neuen Solvency II-Regelwerks
nahmen zum ersten Mal auch 13 liechtensteinische Versicherungsunternehmen12 an der fünften quantitativen Auswirkungsstudie zu Solvency II (5th
Quantitative Impact Study, QIS 5) teil. Sie wurde von der Europäischen Kommission in Zusammenarbeit mit CEIOPS,13 der Vorgängerorganisation zu
EIOPA in der zweiten Hälfte 2010 auf der Basis der Datenlage zum 31. Dezember 2009 durchgeführt. Der EIOPA-Report zu QIS 5 wurde am 14. März 2011
veröffentlicht.14 Die Durchführung dieser QIS 5 erfolgte in Zusammenarbeit
von FMA und des Instituts für Finanz- und Aktuarswissenschaften (ifa) und
ergab, dass sowohl das Eigenkapital als auch die Solvenzkapitalanforderungen
höher als unter Solvency I sind; die teilnehmenden Versicherungsunternehmen
verfügten aber zum Zeitpunkt der Studie nach Massgabe der eingereichten
Unterlagen über ausreichendes Eigenkapital. Die Ergebnisse der fünften quantitativen Auswirkungsstudie zu Solvency II wurden in einem speziellen Länderbericht15 für Liechtenstein festgehalten.
Die teilnehmenden Versicherungsunternehmen repräsentierten einen Marktanteil von
rund 58 % der Prämieneinnahmen.
13
Committee of European Insurance and Occupational Pensions Supervisors (dt. Ausschuss [Komitee] der Europäischen Aufsichten für das Versicherungswesen und die
betriebliche Altersversorgung.
14
EIOPA-TFQIS5-11/001: .EIOPA Report on the Fifth Quantitative Impact Study (QIS5)
for Solvency II., https://eiopa.europa.eu/fileadmin/tx_dam/files/publications/reports/
QIS5_report_final.pdf. (Abfragedatum: 29.11.2011).
15
http://www.fma-li.li/file/110608_L=e4nderbericht.pdf (Abfragedatum: 29.11.2011).
12
3
Alexander Imhof / Clemens Höfler
Durch die oben skizzierte versicherungsaufsichtsrechtliche Neuausrichtung
ergeben sich für die europäischen Versicherungsstandorte sowohl Chancen als
auch neue Herausforderungen, zumal neben den Vorteilen einer gesteigerten
Aufsichtsdurchdringung, höherer Transparenz und einer verbesserten internen
Unternehmenskultur sowie einer erhöhten Berücksichtigung individueller
Risiken auch die Nachteile einer Kostensteigerung für Umsetzung und Verwaltung sowie einer potentiellen Marktkonzentration verbunden sein können.
Bei der Umsetzung der Solvency II-Richtlinie versuchte Liechtenstein – soweit
dies auf Basis des Richtlinientext möglich war – die bisherige liechtensteinische Tradition der Versicherungsregulierung unter gleichzeitiger Vermeidung
von Bürokratisierung zu berücksichtigen. Teilweise konnte allerdings auf eine
wortgetreue Übernahme des Richtlinientextes aufgrund des immanenten Detaillierungsgrades nicht verzichtet werden. Wegen des in Liechtenstein sehr
eng ausgelegten Legailtätsprinzips wurden die identifizierten «Hauptregelungen» im Gesetzentwurf implementiert und einzelne Artikel mit einer expliziten Verordnungskompetenz für die Regierung versehen, um weitere Detailregelungen – so wie bisher – stufengerecht in einer Verordnung näher präzisieren
zu können.
In Anlehnung an das VersAG aus dem Jahre 1995 orientiert sich auch der
aktuelle Gesetzesentwurf zum VersAG am «Lebenslauf» eines Versicherungsunternehmens (Bewilligung – laufende Aufsicht – Beendigung) und wurde
konkret in 13 Kapiteln mit insgesamt 263 Artikeln untergliedert. So finden sich
beispielsweise im ersten Kapitel «Allgemeine Bestimmungen», im Kapitel V
«Bestimmungen zur Aufsicht über die Versicherungstätigkeit», im Kapitel VI
«Vorschriften betreffend die Beendigung der Versicherungstätigkeit» und im
Kapitel XII die «Strafbestimmungen», die gefolgt von den «Übergangs- und
Schlussbestimmungen» den Abschluss des Gesetzes markieren.
Nach den einleitenden Ausführungen zur Rahmenrichtlinie und der punktuellen Darstellung der Gliederung des neuen Gesetzes wird nachfolgend überblicksartig auf einige Auswirkungen und wichtige Neuerungen des neuen
Aufsichtsgesetzes eingegangen:
Um die unterschiedlichen Aufsichtsanforderungen für grosse, mittlere und
kleine Versicherungsunternehmen entsprechend berücksichtigen zu können,
hat der europäische Gesetzgeber an mehreren Stellen der Rahmenrichtlinie16
16
4
Siehe etwa in Erwägungsgrund 18f oder Art. 29 Abs. 3 und Art. 41 Abs. 2 der RRL.
Solvency II und die Auswirkungen auf den Versicherungsstandort Liechtenstein
einen Verhältnismässigkeitsgrundsatz verankert. Darin werden die Mitgliedstaaten angehalten, dass die Vorschriften in einer Art und Weise angewendet
werden müssen, die dem Wesen und dem Umfang sowie der Komplexität der
Risiken angemessen sind, die mit der Tätigkeit der jeweiligen Versicherungsunternehmen verbunden sind. Der Verhältnismässigkeitsgrundsatz folgt in
seiner Konzeption dem Grundsatz der doppelten Proportionalität, was bedeutet, dass er sowohl für Versicherungsunternehmen als auch für die Wahrnehmung der Aufsichtsbefugnisse der Aufsichtsbehörden gilt. Er entfaltet dabei
seine Wirkung in zwei Richtungen, wodurch nicht nur weniger strenge Anforderungen für Versicherungsunternehmen mit einfacherem Risikoprofil gerechtfertigt werden können, sondern auch strengere Anforderungen für Versicherungsunternehmen mit komplexerem Risikoprofil möglich sind. Die Versicherungsunternehmen müssen daher selbst in Eigenverantwortung beurteilen,
welche Pflichten der Wesensart, dem Umfang und der Komplexität ihrer Risiken entsprechen. Der Aufsichtsbehörde kommt dann die Aufgabe zu, diese
risikoorientierte Selbsteinschätzung der Versicherungsunternehmen aufsichtsrechtlich zu überprüfen und entsprechend zu beurteilen. Der liechtensteinische
Gesetzgeber hat sich jedenfalls dafür entschieden, die Anwendung dieses
Verhältnismässigkeitsgrundsatzes explizit in den Entwurf17 des neuen VersAG
aufzunehmen, wodurch eine entsprechende einzelfallbezogene Abwägung und
Beaufsichtigung durch die Finanzmarktaufsichtsbehörde sichergestellt wird.
So wie bisher unterliegt die Geschäftsaufnahme für eine Versicherung in
Übereinstimmung mit der Richtlinie der Bewilligungspflicht. Der Gesetzesentwurf sieht eine klare Strukturierung in Bewilligungsgesuch18 und Bewilligungsvoraussetzungen19 vor, wobei die bisher gültigen allgemeinen Bewilligungsvoraussetzungen weitgehend beibehalten wurden. Änderungen ergaben
sich jedoch im Hinblick auf die besonderen Bewilligungsvoraussetzungen; in
diesem Bereich erfolgte durch die Aufnahme des Governance-Begriffes in das
Gesetz20 eine – bisher in dieser Form nicht vorhandene – funktionsbezogene
Zuweisung und zugleich auch Trennung von Zuständigkeiten. Basierend auf
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20
Art. 80 Abs. 3 des Entwurfs zum VersAG («Die Aufsichtsbehörde beachtet bei ihrer
Tätigkeit den Grundsatz der Verhältnismässigkeit.»).
Art. 10 des Entwurfs zum VersAG lautet wie folgt: «Governance ist die Sicherstellung
einer soliden und umsichtigen Geschäftsführung, unter Berücksichtigung aller Risiken, denen ein Versicherungsunternehmen ausgesetzt ist.».
Art. 12 ff des Entwurfs zum VersAG.
Art. 21 Abs. 1 des Entwurfs zum VersAG.
5
Alexander Imhof / Clemens Höfler
der Richtlinie führt das Gesetz21 nunmehr namentlich die Risikomanagementfunktion, die Compliance-Funktion, die interne Revisionsfunktion und die
versicherungsmathematische Funktion an.
Im Bereich der Solvenzkapitalanforderung wirkt sich Solvency II dahingehend
aus, dass diese dem Value-at-Risk der Basiseigenmittel eines Versicherungsunternehmens zu einem Konfidenzniveau von 99,5 % über den Zeitraum eines
Jahres zu entsprechen hat. Vereinfacht bedeutet das, dass statistisch gesehen
eine Insolvenz (höchstens) alle 200 Jahre eintreten dürfte. Zur Berechnung der
Solvenzkapitalanforderung, das heisst einer dem tatsächlichen Risikoprofil
entsprechenden Zielgrösse, kann sich das Versicherungsunternehmen entweder der Standardformel bedienen oder aber ein eigenes internes Modell berechnen. Die Genehmigung eines internen Modells erfolgt durch die FMA.22 Die
Solvenzkapitalanforderungen werden durch anrechnungsfähige Eigenmittel
(Basiseigenmittel und ergänzende Eigenmittel) bedeckt, welche in drei Klassen (sogenannten «Tier») eingeteilt werden.
Die Mindestkapitalanforderung muss gemäss Art. 43 des Entwurfes zum
VersAG zwischen 25 % und 45 % der vorgeschriebnen Solvenzkapitalanforderung liegen und zumindest aber 2.2 bis 3.2 Mio EUR betragen.
Im Hinblick auf die laufende Aufsicht wird verstärkt ein prospektiver und risikoorientierter Ansatz zu verfolgen sein, der insbesondere eine kontinuierliche Überprüfung des ordnungsgemässen Versicherungsbetriebes umfasst. Die
Aufsichtstätigkeit wird weiterhin unabhängig von der Bedeutung des Unternehmens für den Finanzplatz erfolgen, wobei der Verhältnismässigkeitsgrundsatz entsprechend zu berücksichtigen sein wird. Die Aufsichtstätigkeit der
FMA wird im Wesentlichen so wie bisher durch eine angemessene Kombination von on-site und off-site Prüfungen fortgeführt. Im Rahmen der bereits
oben erwähnten kontinuierlichen Beaufsichtigung des ordnungsgemässen
Geschäftsbetriebs wird auch die Einhaltung der Bewilligungsvoraussetzungen
mit Fokus auf die Solvabilitätsanforderungen und im Hinblick auf die Gesamtverantwortung der Leitungsorgane einen besonderen Schwerpunkt bilden. In
diesem Zusammenhang ist ausdrücklich darauf hinzuweisen, dass letztlich die
Verantwortung für die Einhaltung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften
21
22
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Art. 21 Abs. 2 des Entwurfs zum VersAG.
Art. 52 Abs. 3 des Entwurfs zum VersAG.
Solvency II und die Auswirkungen auf den Versicherungsstandort Liechtenstein
bei den Leitungsorganen des Versicherungsunternehmens liegt.23 Daran ändern auch die sowohl in der Richtlinie als auch im Entwurf zum VersAG
vorgesehenen ausgedehnten Prüfungs- und Genehmigungspflichten der FMA
nichts.24 Die Prüfungs- und Genehmigungsverpflichtung der FMA kann daher
nicht bedeuten, dass diese die Entscheidungen der verantwortlichen Unternehmensorgane substituiert, beziehungsweise in Ergänzung zu dieser Verantwortung treten würde.
Neben den zahlreichen Neuerungen, die Solvency II für die Versicherungsunternehmen mit sich bringt, ergeben sich auch für die Aufsichtsbehörden zahlreiche neue Herausforderungen. So wird sich die Versicherungsaufsicht in
Zukunft mit erweiterten Regulierungsbereichen und einer merklich grösseren
Regulierungstiefe, einer verstärkten Kooperations- und Informationspflicht
(EWR-Schwesterbehörden und EIOPA25) und weitreichenden Regelungen im
Rahmen der Gruppenaufsicht intensiv beschäftigen und neue Prüfungsprozesse entwickeln müssen. Im Hinblick auf diese Herausforderungen setzt die
FMA neben aktivem Meinungsaustausch mit anderen Behörden auch auf eine
verstärkte Kommunikation mit den beaufsichtigten Unternehmen.
Mit dem gleichen Elan, mit dem Liechtenstein in die Umsetzung der Solvency
II-Richtlinie gestartet ist, soll nach den Vorstellungen der FMA auch eine
zeitgerechte Umsetzung und das Inkrafttreten des neuen Versicherungsaufsichtsgesetzes voraussichtlich bis 1.1.2013 möglich sein. Dannzumal sollen
nach aktuellem Wissensstand auch die zahlreichen Durchführungsmassnahmen abschliessend festgelegt und seitens der Kommission erlassen worden
sein. Auch die technischen Grundsätze (Standards) und Leitlinien sollen im
Laufe des Jahres 2012 durch EIOPA festgelegt werden. Danach werden die
Versicherungsunternehmen voraussichtlich ab 1.1.2013 ein weiteres Jahr Zeit
haben, ihren Geschäftsbetrieb an das Solvency II-Regelungswerk anzupassen
und alle notwendigen Vorkehrungen zu implementieren.26
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26
Siehe Art. 40 RRL bzw. Art. 85 des Entwurfs zum VersAG, sowie indirekt Art. 52
Abs. 7 des Entwurfes zum VersAG.
Vgl. Art. 23 und Art. 55 des Entwurfs zum VersAG.
European Insurance and Occupational Pensions Authority (dt. Europäische Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersversorgung).
Abschliessende Klarheit wird in diesem Punkt allerdings erst die Verabschiedung der
Omnibus II-Richtlinie bringen.
7
Das UCITSG und seine Folgen
Dirk Zetzsche1
Inhaltsübersicht
I. Einleitung
II. Struktur eines Investmentfonds
III. Rechtspolitischer Kontext
1. Globale Standards
2. Totalrevision des IUG in zwei Teilen
3. Konservatives Private Wealth Management
IV. Legistische Konsequenzen
1. Normenhierarchie und Legalitätsprinzip
2. Europäische Terminologie und Struktur
3. Kurze «time-to-market» bei intensivierter ­Verwalterkontrolle
V. Details
1. Verwalterregulierung
2. Produktgestaltung
a) Gestaltung
b) Internationalität
c) Umgestaltung
3. Finanzmarktaufsicht
a) Verwalterregulierung und Enforcement
b) Produktregulierung
4. Alternative Streitschlichtung
VI. Verhältnis zu Drittstaaten (insbesondere: die Schweiz)
1. Zugang aus Drittstaaten zum EWR
a) Unzulässige Gestaltungen
b) Zulässige Gestaltungen
c) Verbot von Briefkastengesellschaften
2. Zugang aus Liechtenstein in die Schweiz
3. Sonstige Fonds (AIF) und Ausblick auf die AIFM-RL
a) Verpflichtung auf «swiss finish» durch öffentlich-rechtlichen Vertrag
b) Bilaterale völkerrechtliche Vereinbarung und
Aufsichtskooperationsabkommen
VII. Fazit
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Die Vortragsform wurde beibehalten. Vf. dankt Wiss. Mit Sebastiaan N. Hooghiemstra und Stud. HK Thomas Marte für Unterstützung bei Erstellung der Fussnoten.
9
Dirk Zetzsche
I.
Einleitung
Am 28. Juni 2011 hat der Liechtensteinische Landtag die UCITS-Richtlinie
2009/65/EG2 mit dem «Gesetz über bestimmte Organismen für gemeinsame
Anlagen in Wertpapiere (UCITSG)»3 implementiert. Das UCITSG schafft
einen liberalen, europarechtskonformen und wettbewerbsfähigen Rechtsrahmen, welcher Liechtensteins Zugang zum EWR stärkt, seine Attraktivität als
Fondsstandort ausbaut4 und neue Chancen für die Beziehung zwischen Liechtenstein und der Schweiz eröffnet. Der Beitrag stellt die wesentlichen Elemente des UCITSG vor und erörtert Einzelfragen in der Beziehung zwischen der
Schweiz und Liechtenstein.
Zunächst sollen nach einer kurzen Einführung in die Struktur eines Investmentfonds (II.) der rechtspolitische Kontext (III.) und die wesentlichen Weichenstellungen des UCITSG (IV.) vorgestellt und anhand von Detailfragen
erläutert werden (V.). Sodann wird das speziell aus Schweizer Sicht bedeutsame Verhältnis des Liechtensteinischen UCITSG zu – aus der Perspektive des
EWR-Rechts – Nicht-EWR- oder Drittstaaten besonders gewürdigt (VI.). Der
Beitrag schliesst mit einem kurzen Fazit (VII.).
II.
Struktur eines Investmentfonds
Ein Investmentfonds besteht aus drei Parteien, man spricht von Anlagedreieck.5 Zweck der Struktur ist eine standardisierte Vermögensverwaltung für
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3
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5
10
Richtlinie 2009/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009
zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften betreffend bestimmte
Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren (OGAW) (Neufassung), Abl.
(EG) L 303/32 vom 17.11.2009 (im Folgenden: UCITS-RL 2009/65/EG).
Gesetz in der Fassung vom 28. Juni 2011, Liechtensteinisches Landesgesetzblatt
(2011), Nr. 295 vom 1. August 2011, Ordnungsziffer 951.31.
Im Januar 2012 waren insgesamt 708 Fonds mit einem Anlagevolumen i.H.v.
CHF 36’378 Mio. in Liechtenstein registriert. Im Dezember 1996 (2005) waren es
lediglich 5 (342) Fonds mit einem Anlagevolumen von CHF 435 (14’147) Mio. Vgl. die
Statistik des Liechtensteinischen Anlagefondsverbands, online: www.lafv.li.
Vgl. Zetzsche, Prinzipien der kollektiven Vermögensanlage, Habil. Düsseldorf/
Deutschland 2011, 4. Teil, § 21, S. 378 ff. Aus dem deutschen Schrifttum («Investmentdreieck») vgl. Schäcker, Entwicklung und System des Investmentsparens, 1961,
S. 40 f., seit dem allgemein verbreitet; s. z.B. Engert, Kapitalmarkteffizienz, Habil.
München 2008, Kapitel 13, E.II.; Mauser, Anlegerschutzlücken, S. 67; Oldenburg,
Das UCITSG und seine Folgen
eine Vielzahl, meist passive Anleger. Die Passivität der Anleger wird durch die
Aktivität von zwei Intermediären – die Verwaltungsgesellschaft (in der
Schweiz: Fondsleitung) und die Verwahrstelle (in der Schweiz: Depotbank)
kompensiert. Dem Verwalter obliegt die Geldanlage und Administration (z.B.
die Fondsbuchhaltung und Anteilsbewertung), während die Verwahrstelle die
Anlagegegenstände verwahrt und damit dem Einflussbereich des Verwalters
entzieht. Verwalter und Verwahrer schulden als gesetzliche und vertragliche
Pflicht gegenüber den Anlegern, sich gegenseitig zu kontrollieren. Das intermediärsgestützte System von «Checks and Balances» soll Verstösse gegen die
Anlagerichtlinien, Organisations- und Verwahrvorgaben etc. verhindern.
Kommt es dennoch zum Verstoss, soll es die frühzeitige Herbeiziehung der
Aufsichtsbehörden gewährleisten.
Trifft die Verwaltungsgesellschaft nicht selbst die Anlageentscheidungen, tritt
noch mindestens eine weitere Partei – der Asset Manager – hinzu, der auf
Anlageentscheidungen z.B. für bestimmte Regionen spezialisiert ist. Dieser
Asset Manager ist nach der UCITS-RL Auftragnehmer der Verwaltungsgesellschaft.
Grafik 1: Das Anlagedreieck
Marktprozessansatz, S. 77; die Titel der Dissertationen von Ohl, Die Rechtsbeziehungen innerhalb des Investmentdreiecks und S. S. 26 ff; Seegebarth, Stellung und
Haftung der Depotbank im Investment-Dreieck; Brinkhaus/Schödermeier /Baltzer,
§ 12 KAGG Rn. 10; G. Roth, Treuhandmodell, S. 124 («drei Pole–); Berger/Köndgen,
Vor §§ 20–29 InvG Rn. 1.
11
Dirk Zetzsche
III. Rechtspolitischer Kontext
1.
Globale Standards
Liechtenstein ist als Mitglied des Europäischen Wirtschaftsraums und Teilnehmer am Europäischen Binnenmarkt für Finanzdienstleistungen seit dem 1. Mai
19956 in den europäischen Regulierungsprozess eingebunden und setzt seither
die europäischen Rechtssetzungsakte pflichtgemäss um. In der «Liechtenstein
Erklärung» vom 12. März 2009 und der «Agenda 2020» vom 5. Oktober 20107
hat sich die Regierung des Fürstentums Liechtenstein erneut zur Förderung
eines hohen Regulierungsstandards bekannt. Nunmehr soll mit dem UCITSG,
als eines der ersten Gesetze zur Umsetzung der neu ausgerichteten Finanzplatzstrategie, die internationale Anerkennung als führender Standort für
Asset Management fortentwickelt werden. Investmentfonds sind das Schlüsselprodukt für ein «Weisses Asset Management». Entsprechend hat Liechtenstein alle Schritte unternommen, um das Umfeld für diese hochwertigen Finanzdienstleistungen europarechtskonform, transparent und für Anleger wie
Intermediäre gleichermassen attraktiv zu gestalten.8
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8
12
Vgl. Abkommen vom 2. Mai 1992 über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWRA),
LGBl. 1995/68; Anpassungsprotokoll vom 17. März 1993 zum Abkommen über den
Europäischen Wirtschaftsraum, LGBl. 1995/69; Beschluss des EWR-Rates Nr. 1/95
vom 10. März 1995 über das Inkrafttreten des Abkommens über den Europäischen
Wirtschaftsraum für das Fürstentum Liechtenstein, LGBl. 1995/70.
Vgl. einerseits die «Liechtenstein Erklärung» der Regierung des Fürstentums Liechtenstein vom 12. März 2009, andererseits die Agenda 2020 für das Fürstentum Liechtenstein vom 5. Oktober 2010, online: http://www.regierung.li/fileadmin/dateien/
Downloads/RA-2010-1845-Agenda-2020-05-10-2010.pdf .
Seit der «Liechtenstein Erklärung» hat Liechtenstein das Sorgfaltspflichtgesetz (Gesetz über berufliche Sorgfaltspflichten zur Bekämpfung von Geldwäscherei, organisierter Kriminalität und Terrorismusfinanzierung (SPG) in der Fassung vom 11. Dezember 2008, Liechtensteinische Landesgesetzblatt (2009), Nr. 47 vom 29. Januar
2009, Ordnungsziffer 952.1.)) und das Steueramtshilfegesetz (Gesetz über die internationale Amtshilfe in Steuersachen (SteAHG) in der Fassung vom. 30. Juni 2010, Liechtensteinische Landesgesetzblatt (2010), Nr. 246. Vom 30. August 2010, Ordnungsziffer
353)) angenommen. Parallel dazu hat die liechtensteinische Regierung eine grosse
Anzahl TIEAs (Informationsaustausch auf begründete Anfrage) und DBAs (Doppelbesteuerungsabkommen) abgeschlossen. Detaillierte Informationen hierzu bietet die
Website www.regierung.li («Entwicklung internationale Steuerabkommen»).
Das UCITSG und seine Folgen
2.
Totalrevision des IUG in zwei Teilen
Die UCITS-Richtlinie regelt das Recht von Publikumsfonds der offenen Form,
deren Anlagepolitik auf den Erwerb von Wertpapieren, Geldmarktinstrumenten und – in beschränktem Umfang – Derivaten gerichtet ist.9 Diese sog.
«UCITS» (Undertakings for Collective Investments in Transferable Securities)
sind das weltweit erfolgreichste Fondsprodukt10 und wird international unter
dem sog. «UCITS-Standard» als Publikumsfonds anerkannt.11
Das UCITSG ist indes nur der erste der auf zwei Teile angelegten Totalrevision des Liechtensteinischen Gesetzes über Investmentunternehmen (IUG)12,
welches die Grundlage für das Wachstum des Fondsplatzes Liechtenstein gelegt hat. 13 Mit einem zweiten Fondsgesetz – dem sog. AIFMG – wird die im
Juli 2011 veröffentlichte AIFM-Richtlinie14 implementiert, die alle anderen
Investmentfonds als UCITS reguliert.15
Angesichts der Regelungsintensität mag ein Blick hinter die Kulissen instruktiv sein: Nach Verabschiedung der Fondsplatzstrategie erarbeitete eine Arbeitsgruppe von Herbst 2009 bis zum Frühjahr 2010 zunächst eine StärkenSchwächen-Analyse mit Wunschliste. Der im Auftrag der Regierung von einer
kleinen Juristengruppe im August 2010 vorgelegte Entwurf sah dann ein einteiliges Fondsgesetz unter Berücksichtigung der UCITS-Richtlinie und dem
9
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14
15
Vgl. Kapitel VII. UCITS-RL 2009/65/EG, umgesetzt in Art. 50 ff. UCITSG.
Ende September 2011 wird vom UCITS-Fonds ein Vermögen von 5.500 Mrd. € verwaltet. EFAMA, Quarterly Statistical Release 2011 November. Dabei wird über 40 %
des UCITS-units in Drittstaaten verkauft. CACEIS, Cross-border distribution of
UCITS, Mai 2011, S. 28–33. Vgl. EFAMA; UCITS as a Global Brand – an industry
survey by EFAMA, July 2008.
Zum Beispiel: 70 % aller zugelassenen Fonds in HongKong, Singapur und Taiwan sind
UCITS-Fonds. PwC, Trends in Cross-Border Fund Distribution, online http://www.
pwc.com/en_LU/lu/podcast/docs/pwc-podnotes-funddistribution.pdf
Gesetz vom 19. Mai 2005 über Investmentunternehmen (Investmentunternehmensgesetz; IUG), LGBl. 2005, Nr. 156 vom 9. August 2005, Ordnungsziffer 951.30.
Im Januar 2012 waren insgesamt 708 Fonds mit einem Anlagevolumen i.H.v. CHF
36’378 Mio. in Liechtenstein registriert. Im Dezember 1996 (2005) waren es lediglich
5 (342) Fonds mit einem Anlagevolumen von CHF 435 (14.147) Mio. Vgl. die Statistik
des Liechtensteinischen Anlagefondsverbands, online: www.lafv.li .
Richtlinie 2011/61/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2011
über die Verwalter alternativer Investmentfonds und zur Änderung der Richtlinien
2003/41/EG und 2009/65/EG und der Verordnungen (EG) Nr. 1060/2009 und (EU)
Nr. 1095/2010, Abl. (EG) L 174/1 vom 1.7.2011 (im Folgenden AIFM-RL).
Vgl. Art. 2 und Art. 4 Abs. 1 Bst. a AIFM-RL.
13
Dirk Zetzsche
bis dahin bekannten Stand der AIFM-RL vor. Nach Ablehnung der Einheitslösung wegen der zu diesem Zeitpunkt unüberschaubaren rechtspolitischen
Entwicklung der AIFM-RL spaltete die Legistikgruppe den Einheitsentwurf
bis Ende November 2011 in zwei Teilgesetze (UCITSG und AIFMG) auf.
Beide Gesetze sind inhaltlich, terminologisch und strukturell aufeinander
abgestimmt, so dass eine einfache Orientierung zwischen den Gesetzen und
eine (geplante) spätere Zusammenführung in einem einheitlichen Asset-Management-Gesetz möglich sind. Die Überarbeitung bezog die am 27. Oktober
2010 erfolgte politische Einigung zur AIFM-RL ein, so dass das Fürstentum
Liechtenstein am 30. November 2010 als erste europäische Rechtsordnung
(und somit vor Luxemburg!) einen Umsetzungsentwurf für die AIFM-RL16
präsentieren konnte.17
Die Aufspaltung in zwei Gesetze erhöhte jedoch wegen der europäischen Umsetzungsfrist bis 1. Juli 2011 den Zeitdruck im parlamentarischen Verfahren.
Die massgeblich beteiligten Verbände18 reagierten durch eine gemeinsame und
mit der Regierung abgestimmte Stellungnahme im Vernehmlassungsverfahren, die unmittelbar in den Entwurfswortlaut eingearbeitet wurde. Von dem
Konsensverfahren ausgenommen waren drei politische Punkte.19 Nach Einbringung der Regierungsvorlage im März 2011 beschloss der Landtag in der
ersten Lesung eine Zusammenfassung der zweiten und dritten Lesung des
Entwurfs, so dass das UCITSG am 30.6.2011 formell beschlossen und damit
die Umsetzungsfrist eingehalten werden konnte. Zwischen der ersten und der
zweiten und dritten Lesung wurden in einem Gipfelgespräch aus Regierung,
Finanzmarktaufsicht, Verbänden und Fraktionsvertretern des Landtags die
verbleibenden politischen Fragen gelöst.
16
17
18
19
14
Vgl. Ressort Finanzen der Regierung des Fürstentums Liechtenstein, Vernehmlassungsbericht der Regierung betreffen die Schaffung eines Gesetzes über bestimmte
Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapiere (OGAW-G) und eines Gesetzes
über die Verwalter alternativer Investmentfonds (AIFM-G) vom 30. November 2011,
online: http://www.llv.li/pdf-llv-rk_vernehml._investmentfonds.pdf .
Eine von der Liechtensteinischen Regierung eingesetzte Arbeitsgruppe hat den Entwurf im Jahr 2011 optimiert. Am 6. März 2012 wurde der Entwurf in die erneute
Vernehmlassung gegeben und im Juni 2012 in den Liechtensteinischen Landtag eingebracht.
Liechtensteinischer Anlagefondsverbands (LAFV), Liechtensteinischer Bankenverband (LBV), Treuhänderverband (THV), Verband Unabhängiger Vermögensverwalter (VUVL), Verband der Wirtschaftsprüfer.
Dauer der Zulassungsfristen für die Produkte in Art. 10 UCITSG, Genehmigungsfiktion bei Fristüberschreitung sowie Einführung und Wirkung von Musterdokumenten.
Das UCITSG und seine Folgen
Grafik 2: Der Weg zum UCITSG
3.
Konservatives Private Wealth Management
Als Kernfrage des Umsetzungsprozesses erwies sich der Umfang des nationalen Gestaltungsspielraums trotz aller Wucht, Detailverliebtheit und – teilweise
– Fragwürdigkeit der europäischen Vorgaben.
Für ein kleines Land sind die mit der EWR-Mitgliedschaft einhergehenden
regulatorischen Kosten enorm, und zwar sowohl für die Regierung und Finanzmarktaufsicht, als auch die Finanzmarktakteure. Dem Souveränitätsverlust und den Regulierungskosten steht der unbeschränkte Marktzugang zu
allen 27 EU-Staaten und den drei EWR-Staaten, mit insgesamt 500 Millionen
Einwohnern – dies entspricht bei Publikumsfonds wie UCITS der potentiellen
Kundenzahl – von der Arktis bis Zypern gegenüber.20 Innerhalb des EWR
benötigt man für den Marktzugang keine bilateralen Abkommen und Genehmigungsverfahren. Erforderlich ist lediglich eine EWR-konforme nationale
Regulierung und eine grenzüberschreitenden Notifikation durch die Heimatstaatbehörde, in Liechtenstein der Finanzmarktaufsicht Liechtenstein (im
20
Siehe «Gesamtbevölkerung» unter http://epp.eurostat.ec.europa.eu/.
15
Dirk Zetzsche
Folgenden: FMA). Es ist erklärtes Ziel des UCITSG (und auch des AIFMG),
das Potential dieser sog. Europäischen Pässe zu nutzen.21
Vor diesem Hintergrund wäre es unratsam gewesen, die über achtzig Jahre
etablierte Tradition des Fürstentums Liechtenstein als sicherer Hafen für
grossvolumige Privatvermögen durch eine laxe Regulierung zu riskieren.
Liechtenstein wurde zum Finanzplatz, weil es in einer Zeit, als Europa von
zwei Inflationen und Diktaturen geprägt war, sichere Alternativen der Vermögensgestaltung bieten konnte, die von Tagesaktualitäten unabhängig waren.
Dies spiegelt sich z.B. in einem «Tripple A»-Rating des Fiskus22 und einer
hohen Bank-Eigenkapitalquote wider. Dem Glitzern der Londoner, Pariser und
Frankfurter Bürotürme steht das Liechtensteiner Bürgerhaus als Gegenmodell
gegenüber, das Reiz und Risiko durch Solidität und Sicherheit substituiert.
Dieser inhärente Konservativismus ist Abbild der aus dem Dasein als Kleinstaat geprägt Liechtensteinischen Mentalität.23 Er spiegelt sich auch im
UCITSG wieder. Entsprechend wurde der Wettbewerb durch Leistung («race
to the top») zum Regulierungsziel erklärt.24 Ein «race to the bottom», der anderen Fondsplätzen nachgesagt wird, ist in Liechtenstein nicht mehrheitsfähig.
Infolge der langjährigen Tradition als Private Wealth Management-Standort
werden in Liechtenstein zudem – anders als an Finanzplätzen wie Luxemburg
oder Malta – in erheblichem Masse «eigene Assets» verwaltet. Genaue Zahlen
sind wegen Doppelzählungen bei mehreren Intermediären schwer zu erlangen.
Aber man schätzt, dass die im Rahmen der Vermögensverwaltungen, bei Banken, Treuhändern oder Stiftungen innerhalb Liechtensteins verwalteten Assets
mehr als 400 Mrd. CHF betragen können. Manche dieser Assets werden derzeit in Investmentfonds umgeschichtet, was einen Teil des dynamischen
21
22
23
24
16
Bericht und Antrag der Regierung an den Landtag des Fürstentums Liechtenstein betreffend die Schaffung eines Gesetzes über bestimmte Organismen für Gemeinsame
Anlagen in Wertpapieren (UCITSG) und die Abänderung weiterer Gesetze, 22. März
2011 (Nr. 26/2011). S. 11, 15.
Standard & Poor’s, Sovereign Ratings And Country T&C Assessments, December 29
2011, S. 3.
Vgl. Zetzsche/Litwin, Law and Ethics in Investment Fund Regulation – The Example
of Liechtenstein (2012), online: www.ssrn.com .
Bericht und Antrag der Regierung an den Landtag des Fürstentums Liechtenstein betreffend die Schaffung eines Gesetzes über bestimmte Organismen für Gemeinsame
Anlagen in Wertpapieren (UCITSG) und die Abänderung weiterer Gesetze, 22. März
2011 (Nr. 26/2011). S. 15, 16.
Das UCITSG und seine Folgen
Wachstums am Fondsplatz erklärt. Als «Kehrseite» schadet eine zu liberale
Regulierung der heimischen Finanzindustrie.
Entsprechend müssen nach Liechtensteinischem Verständnis Liberalisierungen immer europarechtskonform sein und mit Stärkungen der Finanzmarktaufsicht Liechtenstein (FMA) einhergehen. Über die Frage, wie die Stärkung der
Aufsicht ohne Schwächung der Wettbewerbsfaktoren einhergehen kann, wurde hart gerungen.
IV.
Legistische Konsequenzen
Die bei Erarbeitung des UCITSG getroffenen Richtungsentscheidungen zeitigen Konsequenzen für die ganze liechtensteinische Finanzmarktgesetzgebung.
1.
Normenhierarchie und Legalitätsprinzip
Dies betrifft zunächst die Normenhierarchie und die damit verbundenen verfassungsrechtlichen Fragen. Neben der 65 doppelspaltig bedruckte Seiten
umfassenden UCITS-Richtlinie 2009/65/EG umfasst der europäische Regelbestand zwei Verordnungen zur wesentlichen Anlegerinformation und zur
Aufsichtskooperation,25 drei Ausführungsrichtlinien der europäischen Kommission zur Organisation der Verwaltungsgesellschaft, zu Master-FeederStrukturen und zur Verschmelzung sowie zum Verständnis der Richtliniende-
25
Verordnung (EU) Nr. 583/2010 der Kommission vom 1. Juli 2010 zur Durchführung
der Richtlinie 2009/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates im Hinblick
auf die wesentlichen Informationen für den Anleger und die Bedingungen, die einzuhalten sind, wenn die wesentlichen Informationen für den Anleger oder der Prospekt
auf einem dauerhaften Datenträger als Papier oder auf einer Website zur Verfügung
gestellt werden (ABl. L 176 vom 10.7.2010, S. 1); Verordnung (EU) Nr. 584/2010 der
Kommission vom 1. Juli 2010 zur Durchführung der Richtlinie 2009/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates im Hinblick auf Form und Inhalt des Standardmodells für das Anzeigeschreiben und die OGAW-Bescheinigung, die Nutzung elektronischer Kommunikationsmittel durch die zuständigen Behörden für die Anzeige und
die Verfahren für Überprüfungen vor Ort und Ermittlungen sowie für den Informationsaustausch zwischen zuständigen Behörden (ABl. L 176 vom 10.7. 2010, S. 16);
17
Dirk Zetzsche
finitionen26 und eine Vielzahl von Leitlinien der europäischen Bündelaufsichtsbehörde European Securities and Markets Authority (ESMA). Letztere
befassen sich z.B. mit der Gestaltung der wesentlichen Anlegerinformationen,27
dem Risikomanagement28 und Details zu einzelnen Produkten, etwa Geldmarkt- und strukturierte/komplexe Investmentfonds.29
Erschwert wird die Richtlinienumsetzung durch die Rechtsprechung des
Liechtensteinischen Staatsgerichthofs, der ein gegenüber dem Schweizerischen Recht strengeres Verständnis des Legalitätsprinzips vertritt. Gestalterische Ermächtigungen an die Regierung sind unzulässig.30 Für die Einleitung
26
27
28
29
30
18
Richtlinie 2010/43/EU der Kommission vom 1. Juli 2010 zur Durchführung der Richtlinie 2009/65/EG im Hinblick auf organisatorische Anforderungen, Interessenkonflikte, Wohlverhalten, Risikomanagement und den Inhalt der Vereinbarung zwischen
Verwahrstelle und Verwaltungsgesellschaft (ABl. L 176 vom 10.7.2010, S. 42); Richtlinie 2010/44/EU der Kommission vom 1. Juli 2010 zur Durchführung der Richtlinie 2009/65/EG in Bezug auf Bestimmungen über Fondsverschmelzungen, MasterFeeder-Strukturen und das Anzeigeverfahren (ABl. L 176 vom 10.7.2010, S. 28);
Richtlinie 2007/16/EG der Kommission vom 19. März 2007 zur Durchführung der
Richtlinie 85/611/EWG des Rates zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften betreffend bestimmte Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren (OGAW) im Hinblick auf die Erläuterung gewisser Definitionen (ABl. L 79
vom 20.03.2007, S. 11).
CESR, Guidelines on the methodology for calculation of the ongoing charges figure in
the Key Investor Information Document, CESR/10-674 (1 July 2010); CESR, Guidelines on the methodology for the calculation of the synthetic risk and reward indicator in the Key Investor Information Document, CESR/10-673 (1 July 2010); CESR,
Guidelines on the selection and presentation of performance scenarios in the KID for
structured UCITS, CESR/10-530 (20 July 2010); CESR, Guidelines for clear language
and layout, CESR/10-532 (20 July 2010); CESR, Guidelines for the transition of the
simplified prospectus to the KID, CESR/10-672(20 December 2010); CESR’s Template for the KID, CESR/10-794 (20 December 2010).
CESR, Risk management principles for UCITS, CESR/09-178 (February 2009); CESR,
Guidelines on Risk Measurement and the Calculation of Global Exposure and Counterparty Risk for UCITS, CESR/10-788 (28 July 2010); ESMA, Guidelines to competent authorities and UCITS management companies on risk measurement and the
calculation of global exposure for certain types of structured UCITS, ESMA/2011/112
(14 April 2011).
CESR, Guidelines on a common definition of European money market funds,
CESR/10-049 (19 May 2010); ESMA, Guidelines to competent authorities and UCITS
management companies on risk measurement and the calculation of global exposure
for certain types of structured UCITS, ESMA/2011/112, (14 April 2011).
Vgl. die Rechtsprechung des Staatsgerichtshofs zur Gesetzmässigkeit der öffentlichen Abgaben (Steuern und Kausalabgaben), insbesondere betreffend die Gebühren
für die Finanzmarktaufsicht, StGH 2010/024, 2009/124, 2002/70 und 2000/39, sowie
Das UCITSG und seine Folgen
des Verfahrens zur Verordnungsüberprüfung gemäss Art 20 Abs 1 lit c StGHG
bedarf es zudem keines besonderen Interesses der Antragsteller.31 Entsprechend wird von Verordnungsermächtigungen in Liechtensteinischen Gesetzen
zurückhaltend Gebrauch gemacht. Wenn Gebrauch gemacht wird, sind die
Ermächtigungen sehr detailliert auszugestalten. Eine Gesetzgebung wie im
Schweizerischen Kollektivanlagengesetz (KAG), wo wesentliche Teile durch
die Kollektivanlagenverordnung (KKV) ausgestaltet und in den Gesetzen nur
die Obersätze verankert werden, ist mit Liechtensteinischem Recht unvereinbar. Auf Gesetzesebene ist mehr zu regeln, als dem Vf. genehm und stilistisch
elegant ist.
In der Frage des Legalitätsprinzips wurde die Grundsatzentscheidung getroffen, alle Inhalte der Richtlinie 2009/65/EG auf der Ebene des UCITSG zu
verankern, während die Umsetzungsakte in der Verordnung niedergelegt wurden. Dafür spricht, dass nach dem Unionsverfassungsrecht ähnliche Kriterien
für die Aufspaltung zwischen den Befugnissen des Parlaments und der Kommission gelten wie nach dem Verständnis des Liechtensteinischen Staatsgerichtshofs für die Aufteilung zwischen Parlament (Gesetz) und Regierung
(Verordnung). Um diese Aufteilung verfassungsrechtlich abzusichern, werden
die ergänzenden europäischen Rechtsquellen im Gesetzestext32 und in der
Begründung in Bezug genommen. Dagegen werden die CESR- und ESMAEmpfehlungen durch die Aufsichtspraxis und in Rundschreiben und Empfehlungen der Finanzmarktaufsicht ausgearbeitet.
Die Konsequenz dieser Aufteilung lässt sich für einen wesentlichen Teilbereich der Verwalterorganisation, das Risikomanagement, aufzeigen. Mit den
massgeblichen EU-/EWR-Richtlinienbestimmungen (Art. 12, 14, 51 UCITSRL) korrespondieren die Art. 20, 21, 23 UCITSG. Die weiteren europäischen
Ausführungsbestimmungen in Art. 12, 38 bis 45 der Kommissionsrichtlinie
31
32
die aus der Übernahme österreichischem Verfassungsrechts (dazu Öhlinger, Verfassungsrecht, 8. Aufl. 2009, S. 256 ff.) resultierende Rechtsansicht bei Wille, Die Normenkontrolle im liechtensteinischen Recht auf der Grundlage der Rechtsprechung des
Staatsgerichtshofes, 1999, S. 288 ff.; ebenso in StGH 19.12.1977, StGH 1977/10, LES
1981, 56; StGH 05.05.1987, StGH 1986/007, LES 1987, 141.
Vgl. StGH 2010/024, Leitsatz 1a.
Vgl. Art. 1 Abs. 3 UCITSG, Art. 3 Abs. 1 Punkt 6, Punk 14, Punk 17 Bst. b und c,
Punkt 29 UCITSG, Art. 3 Abs. 3 UCITSG, Art. 39 Abs. 8 Bst. a und b UCITSG,
Art. 41 UCITSG, Art. 43 Abs. 3 UCITSG, Art. 43 Abs. 4 Bst. a UCITSG, Art. 68
Abs. 2 UCITSG, Art. 102 Abs. 2 Bst. a, d, e und f UCITSG, Art. 118 Abs. 4 UCITSG,
Art. 119 Abs. 4 UCITSG, Art. 149 Abs. 4 UCITSG.
19
Dirk Zetzsche
2010/43/EU finden sich in Art. 55, 41 ff. UCITSV. Die Ausführungsbestimmungen – z.B. CESR 10-788 und ESMA 2011/112 zur Risikomessung und
Bestimmung der Risikoexposition für normale und strukturierte UCITS33 –
sind nicht gesetzlich geregelt und bleiben der Aufsichtspraxis überlassen.
Diese Aufteilung bringt zwei Vorteile und einen Nachteil mit sich. Erstens
erhält sie die ggf. gebotene Flexibilität für eine schnelle Anpassung. Eine
Richtlinien-Bestimmung wird eher nur mit Vorlauf, Ausführungsbestimmungen können dagegen auch sehr schnell geändert werden. Dies ist für Liechtenstein sehr wichtig: Das Liechtensteinische Parlament tagt nur in sechs von
zwölf Monaten des Jahres, so dass ein reguläres parlamentarisches Verfahren
zumeist auf acht bis zwölf Monate zu kalkulieren ist. Dieser Zeitraum kann
im Einzelfall Wettbewerbsnachteile bedeuten. Zweitens sichert die Aufteilung
die Rechtsschutzoptionen der betroffenen Personen gegen eine wuchernde
Regelsetzung durch die nicht parlamentarisch kontrollierten Aufsichtsbehörden. Eine vorlagefreundliche Ausrichtung des EFTA-Gerichtshofs könnte sich
zum Korrektiv einer allzu expansiven europäischen Aufsichtspraxis fortentwickeln.
Nachteilige Konsequenz sind recht umfangreiche Verordnungsermächtigungen und –bestimmungen, eine gewisse sprachliche Komplexität und das Erfordernis, sich neben drei Regulierungsebenen in den nicht eben klar geregelten Rechtsquellen des europäischen Rechts auszukennen. Das UCITSG ist ein
Expertengesetz.
2.
Europäische Terminologie und Struktur
Aus externer Sicht prägte das Liechtensteinische IUG von 2005 eine merkwürdige Kombination aus Schweizerischer und europäischer Gestaltung und
Terminologie. Damit einher gingen manche Missverständnisse. So wurde das
33
20
Vgl. die Definition sog. strukturierter UCITS in ESMA, Guidelines to competent authorities and UCITS management companies on risk measurement and the calculation of global exposure for certain types of structured UCITS, ESMA/2011/112 (14
April 2011), S. 6: «Structured UCITS for the purpose of the UCITS KII requirements
are defined as UCITS which provide investors, at certain predetermined dates, with
algorithm-based payoffs that are linked to the performance or the realization of price
changes or other conditions, of financial assets, indices or reference portfolios or
UCITS with similar features.» Ebenso Art. 36 Abs. 1 Verordnung (EU) Nr. 583/2010
(Fn. 25).
Das UCITSG und seine Folgen
«Investmentunternehmen» nach Art. 1 Abs. 1 IUG gelegentlich als Anbieter
von «Investment Services» übersetzt, dann der europäischen MiFID-Richtlinie für individuelle Vermögensverwaltungen unterstellt und entsprechend der
Europäische Pass für Investmentfonds – also kollektive Vermögensverwaltungen – verweigert.34
Der Missstand wurde zugunsten der europäischen Richtlinienterminologie
beseitigt. Das UCITSG spricht von «Zulassung» statt «Bewilligung», von
«Verwaltungsgesellschaft» statt «Investmentunternehmen», von «Organismen
für gemeinsame Anlagen» statt Anlagefonds, von «Verwahrstelle» statt «Depotbank» etc. Zudem orientiert sich die Gliederung des UCITSG an der Gliederung der UCITS-Richtlinie 2009/65/EG. Dies soll erstens die Geschwindigkeit erhöhen, mit der Liechtensteinische Anbieter innerhalb des EWR tätig
werden können, und zweitens die Regelsetzung für Nicht-Liechtensteiner so
transparent wie möglich gestalten. Wer die europäische Richtlinie kennt, findet
sich im UCITSG zurecht. Drittens erkennen Personen, die erstmals mit dem
Liechtensteinischen Fondsrecht zu tun haben, auf den ersten Blick «Liechtenstein ist ein EWR-Staat.» Das UCITSG ist ein Exportgesetz.
3.
Kurze «time-to-market» bei intensivierter
­ erwalterkontrolle
V
Bis zuletzt wurde um den – trotz engmaschiger Richtlinienvorgaben – optimalen Kompromiss zwischen Anlegerschutz, Finanzmarktstabilität und Intermediärsfreundlichkeit gerungen.35 Aus Sicht der Initiatoren sind kurze Genehmigungsfristen und schnelle Wege in die angrenzenden Märkte wichtig. Aus
Sicht der Anleger und des ganzen Finanzmarktes müssen die schlechten Akteure ausgesondert, die Einhaltung der Gesetze überwacht, Missstände frühzeitig erkannt und behoben werden. Dafür bedarf es einer kompetenten und
gut informierten Aufsicht.
34
35
Vgl. Bericht und Antrag der Regierung an den Landtag des Fürstentums Liechtenstein betreffend die Schaffung eines Gesetzes über bestimmte Organismen für Gemeinsame Anlagen in Wertpapieren (UCITSG) und die Abänderung weiterer Gesetze,
22. März 2011 (Nr. 26/2011). S. 23.
Hooghiemstra/Litwin, The Liechtenstein 2011 UCITS Law Opens New Opportunities
for Collective Investment Vehicles, online http://www.uni.li/Portals/0/docs/fdl/Liech
tenstein%202011%20UCITS%20Law.pdf
21
Dirk Zetzsche
Man kann das Fondsrecht metaphorisch als Rohr mit zwei Enden verstehen.
Der Einlass symbolisiert die Zulassung und Kontrolle des Verwalters. Je enger
das Rohr am Einlass ist, umso weniger kommt in das Rohr hinein und folglich
hindurch. Ist das Sieb am Einlass richtig justiert, reduzieren sich die Gefahren
für Anleger wie Allgemeinheit. Alternativ kann man das Rohr am Auslass
verengen und dort die guten von den schlechten Angeboten unterscheiden.
Dann hat man die Produkte (und deren Anbieter) im Einzelfall auf Risiken für
den Finanzmarkt oder die Anleger hin zu untersuchen. Freilich darf das Rohr
auch nicht zu eng beschaffen sein – gleich ob am Ein- oder Auslass –, weil
dann auch die seriösen Anbieter und Produkte scheiternDie UCITS-Richtlinie
stellt zwar Regeln auf, wie ein Produkt beschaffen sein muss. Bei Einhaltung
dieser Vorgaben besteht ein Anspruch auf Zulassung. Diese Vorgaben sind
aber seit den UCITS II- und III-Richtlinien, der sogenannten Produkt- und
Verwalterrichtlinie,36 recht liberal. Die Aufsicht hat wenig Handhabe zur Prüfung, zumal in Rechtsordnungen, mit denen Liechtenstein im Wettbewerb
steht – Luxemburg, Irland, Malta – die Genehmigungspraxis mit wenig Restriktionen behaftet ist. Seit dem Jahr 2001 ist das Rohr somit weitgehend am
Auslass «offen». Das UCITSG übernimmt deshalb die Richtungsentscheidung
der UCITS-RL 2009/65/EG zugunsten einer Intensivierung der Verwalteraufsicht. Um im Bild zu bleiben: Das Rohr wird am Einlass verengt. Die Zulassung zur Verwaltertätigkeit und die Organisation der Verwalter stellen gewisse Hürden auf, die unlautere Akteure forthalten sollen.
Um den honorigen Akteuren – also denen, die durch den Einlass des Rohrs
hindurch gelassen werden – ein attraktives Regelungsumfeld zu bieten, führt
das UCITSG eine kurze, gesetzlich verankerte37 Time-to-market bei der Produktzulassung ein. Gem. Art. 10 Abs. 4 UCITSG besteht binnen einer Frist
36
37
22
Die Verwalterrichtlinie (Richtlinie 2001/107/EG zur Änderung der Richtlinie 85/611/
EWG) ergänzte die Produktregulierung der Produktrichtlinie (Richtlinie 2001/108/
EG zur Änderung der Richtlinie 85/611/EWG) um eine Verwalterregulierung. Seitdem sind Produkt und Verwaltungsgesellschaft zulassungs- und aufsichtspflichtig.
Vgl. Art. 1 Nr. 3 der Verwalterrichtlinie 2001/107/EG (Art. 4 Abs. 3, Art. 3a sowie
Art. 5 bis 6c der OGAW-Richtlinie 85/611/EWG), jetzt Art. 5 Abs. 4, 5 und Art. 6–21
der Richtlinie 2009/65/EG.
Diese Regelungstechnik wurde aus dem IUG übernommen, wo sie einen Wettbewerbsvorteil Liechtensteins gegenüber anderen Fondsstandorten begründet hatte. Vgl.
dazu Wirth /Erny, Der Fondsplatz Liechtenstein im internationalen Vergleich mit der
Schweiz und Luxemburg, Luzern 2010, S. 38 ff.
Das UCITSG und seine Folgen
von zehn Tagen nach Einreichung der vollständigen Unterlagen38 durch einen
bereits zugelassenen Verwalter ein Anspruch auf Produktzulassung. Wird die
Frist nicht eingehalten und auch nicht nach einer in Art. 15 UCITSV beschriebenen Liste der Verlängerungsgründe verlängert, gilt das Produkt als zugelassen (Art. 10 Abs. 6 UCITSG) und darf im Inland vertrieben werden (sog. Genehmigungsfiktion39). Binnen drei Tagen erfolgt die grenzüberschreitende
Produktnotifikation (Art. 93 Abs. 3 UCITSG), so dass das Produkt auf dem
europäischen Binnenmarkt fast zeitidentisch mit der Produktzulassung auf
dem Heimatmarkt vertrieben werden kann. Diese Time-to-market ist im europäischen und internationalen Vergleich wettbewerbsfähig.
V.
Details
Die grossen Botschaften mögen einige Details zur Verwalterregulierung, der
Produktgestaltung und der Produktzulassung illustrieren.
1.
Verwalterregulierung
Die strenge Verwalterregulierung zeigt sich in erhöhten Anforderungen an die
Geschäftsleiter,40 einem intensivierten Risikomanagement (s.o.), konkretisierten Vorgaben zu Wohlverhaltensregeln, Compliance-Organisation, Innenrevision sowie Interessenkonflikten.41 Die Verwaltungsgesellschaft haftet den
Anlegern für die Nichteinhaltung dieser Organisationsvorgaben (Art. 24
Abs. 1 UCITSG).42 Parallel dazu wurde der Straf- und Bussgeldrahmen in
38
39
40
41
42
Vgl. den Katalog gemäss Art. 18 UCITSV.
Die Genehmigungsfiktion kann gem. Art. 10 UCITSV in Fällen des öffentlichen Interesses ausgesetzt werden, z.B. wenn dadurch Verstösse gegen das EWR-Recht zu gewärtigen sind, die EDV der FMA zusammenbricht oder eine Krankheit epidemischen
Ausmasses eine Antragsbearbeitung unmöglich macht.
Art. 15 Abs. 1 Bst. b UCITSG i.V.m. Art. 21 UCITSV. So kann die FMA die Zulassung
in Abhängigkeit von der Befähigung der Geschäftsleiter (Kenntnisse über Derivateeeinsatz?) auf bestimmte Anlagestrategien beschränken.
Art. 20, 21, 23 UCITSG i.V.m. Art. 25 ff. UCITSV.
Dies stellt namentlich gegenüber der deutschen h.M. eine strengere Regelung dar, vgl.
Zetzsche, Finanzintermediäre als Katalysatoren zwischen Markt und Recht – Compliance Verstösse zwischen Staatshaftung, öffentlich-rechtlicher Klagebefugnis und
zivilrechtlichem Schutzgesetz, in Towfigh et al., Recht und Markt – Wechselbeziehun-
23
Dirk Zetzsche
Art. 143 UCITSG im Vergleich zu Art. 111 IUG erweitert und der Höhe nach
verdoppelt.
Jedoch geht es nicht um blinde Strenge ihrer selbst wegen, sondern um eine
risikoorientierte Aufsicht: Diese setzt an der Quelle der Risiken für Anleger
und Finanzmarktstabilität an, hier ist Rigidität veranlasst. Der Risikokern
bestimmt sich für jede Verwaltungsgesellschaft anders. So wird eine Verwaltungsgesellschaft mit sehr wenigen Mitarbeitern möglicherweise als Briefkastengesellschaft zu untersagen sein oder Delegationsrisiken aufweisen, während bei einer Verwaltungsgesellschaft mit zahlreichen Mitarbeitern und einer
aufwendigen Organisation die operativen Risiken im Mittelpunkt stehen.
Wo formale Strenge keinen Aufsichtszweck erfüllt, verzichtet das UCITSG
darauf. So wurde der nach Art. 23 IUV früher erforderliche Quartalsbericht
der Fonds grds. durch einen risikoorientiert zu erstellenden Halbjahresbericht
der Verwaltungsgesellschaft ersetzt.43 Auslagerungen an zugelassene Asset
Manager sind nur noch anzuzeigen,44 die unter dem IUG bestehende Genehmigungspflicht entfällt.
Nichtsdestotrotz bedeutet das UCITSG eine Umstellung, die mit Unannehmlichkeiten und Kosten verbunden ist. Es mag deshalb beruhigen, dass die
Verwalterregulierung nicht nur dem Anlegerschutz und dem Schutz der Finanzmarktstabilität (vgl. Art. 1 Abs. 2 UCITSG) dient, sondern auch das Inkrafttreten der AIFM-RL antizipiert. Mit den Vorschriften des UCITSG erfüllt die Verwaltungsgesellschaft bereits viele Anforderungen der AIFM-RL
und des parallel erarbeiteten AIFMG. Dies ist bedeutsam, weil manche Verwaltungsgesellschaften und selbstverwaltete Investmentgesellschaften UCITS
und AIF verwalten.
2.
Produktgestaltung
Die Unannehmlichkeiten auf der Ebene der Verwalterregulierung werden
durch Flexibilität auf der Produktseite und die grenzüberschreitende Adapti-
43
44
24
gen zweier Ordnungen, Tagungsband zur 49. Assistententagung Öffentliches Recht in
Bonn 2009, S. 159 ff.
Art. 129 Abs. 3 UCITSG i.V.m. 124 UCITSV. Bei begründetem Anlass kann die FMA
einen Quartalsbericht zu konkreten Aufsichtszwecken einfordern, z.B. weil sie über
Verdachtsmomente verfügt, die auf bestimmte Verstösse hinweisen.
Vgl. Art. 22 UCITSG i.V.m. Art. 24 UCITSV.
Das UCITSG und seine Folgen
onsfähigkeit der FL-UCITS kompensiert. Dies markiert die Ausrichtung des
UCITSG als Exportgesetz.
a)
Gestaltung
Das UCITSG führt die in der Schweiz, Frankreich, Deutschland, Luxemburg
und Irland üblich vertragliche Form neu in Art. 5 UCITSG ein. Daneben wird
in Art. 6 UCITSG die in Liechtenstein traditionelle, formell am englischen
Unit Trust, in der Praxis aber am schweizerischen Recht orientierte Kollektivtreuhänderschaft beibehalten, während Art. 7 UCITSG die Investmentgesellschaft (früher Anlagegesellschaft) regelt. Alle Rechtsformen sind nach dem
Vertragsprinzip gestaltet, i.e. in den Grenzen von Gesetz und Verordnung45
darf die Binnenordnung privatautonom gestaltet werden. Die konstituierenden
Dokumente (Fondsvertrag, Treuhandvertrag oder Satzung) müssen lediglich
bestimmte Regelungen treffen.46 Wie die Regelungen getroffen werden, ist
dem Initiator überlassen. Dies eröffnet Flexibilität bei der Produktgestaltung.
So kann die Investmentgesellschaft z.B. nach Schweizer Vorbild durch einen
Verwaltungsrat oder nach deutschem Vorbild durch Vorstand und Aufsichtsrat
geleitet werden, sie kann zudem durch ihre Organe selbst- oder von einer Verwaltungsgesellschaft fremdverwaltet werden.47
Wer keine Flexibilität wünscht und stattdessen die Rechtsgestaltungskosten
reduzieren möchte, kann die bewährten Rückfallregeln des liechtensteinischen
Personen- und Gesellschaftsrechts (PGR48) für den Unit Trust und die AG mit
flexiblem Kapital bzw. das ABGB und PGR für den Investmentfonds in Anspruch nehmen. Eine KG/L.P.-Form kann durch Verordnung für zulässig erklärt werden.49 Damit ist Liechtenstein derzeit, soweit ersichtlich, die einzige
Rechtsordnung, die alle international üblichen Rechtsformen der Fondsorganisation bereitstellt. Des Weiteren ist der Regelungsansatz aus rechtsvergleichender Sicht eine Novität, wonach Verwaltungsgesellschaften allein mit dem
UCITSG und ohne Rückgriff auf die parallel bestehenden gesetzlichen Rege45
46
47
48
49
Vgl. Art. 5 Abs. 2 und 4, 6 Abs. 2 und 4, 7 Abs. 2 und 4 UCITSG i.V.m. Art. 4–11
UCITSV.
Vgl. Art. 5 Abs. 3, 6 Abs. 3, 7 Abs. 3 UCITSG.
Art. 7 Abs. 5, 6 und 10 UCITSG.
Personen- und Gesellschaftsrecht (PGR) vom 20. Januar 1926, LGBl. 1926/4, in der
geltende Fassung (LR 216.0), online http://www.gesetze.li/get_pdf.jsp?PDF=1926004.
pdf
Art. 4 Abs. 3 UCITSG.
25
Dirk Zetzsche
lungen im Treuhand- und Gesellschaftsrecht des PGR sowie das Vertragsrecht
des ABGB arbeiten können. Bislang sind in Europa Verweise auf Nebengesetze wie das luxemburgische Aktiengesetz von 1915 oder das deutsche Aktiengesetz (vgl. Art. 99 Abs. 1 InvG) üblich. Liechtensteinische Initiatoren müssen
sich nur im UCITSG und UCITSV auskennen, diese bieten die Rechtsquellen
«aus einer Hand».
Die nähere Gestaltung entspricht den Usancen der internationalen Fondspraxis. Vor dem Hintergrund der internationalen Diskussion im Trustrecht50
wurde für den Unit Trust und den vertraglichen Fonds klargestellt, dass der
Treuhänder persönliche Verbindlichkeiten für Anleger nicht begründet,51 während sich dies für die Investmentgesellschaft aus der Rechtsform ergibt. Aus
dem Wortlaut von Art. 24 Abs. 1 und 2 UCITSG folgt zudem, dass eine Inanspruchnahme der Anleger auch nicht aus anderen Gründen (z.B. wegen einer
Pflichtverletzung der Verwaltungsgesellschaft) möglich ist. Transparenz
schafft das vor dem Grundbuch- und Öffentlichkeitsregisteramt (GBOERA)
nach der Fondszulassung zu beschreitende Registerverfahren. Die Eintragung
ist für Unit Trusts und vertragliche Investmentfonds deklaratorisch,52 für Investment-AG indes konstitutiv.53
b)
Internationalität
Die konstituierenden Dokumente liechtensteinischer Fonds können in englischer Sprache gestaltet und die Namen in der Abkürzung des jeweiligen Vertriebsmarkts (z.B. für den Investmentfonds «FCP») dargestellt werden (Art. 12
UCITSG). Ein international tätiger Finanzkonzern kann so seine Aktivitäten
in Liechtenstein bündeln, gleichwohl aber den vermarkteten Fonds im primären Vertriebsland lokalen Kolorit verleihen. An die einmal gewählte Bezeichnung ist die Verwaltungsgesellschaft vorbehaltlich eines förmlichen Verfahrens zur Firmenänderung gebunden.
Liberal ist auch das Sprachenregime im Aufsichtsverfahren. Die FMA darf
ausser Anträgen in deutscher und englischer Sprache auch solche in jeder an-
50
51
52
53
26
Vgl. Zetzsche, Prinzipien der kollektiven Vermögensanlage, Habil. Düsseldorf/
Deutschland 2011, 4. Teil, § 18, S. 322 f.
Vgl. Art. 5 Abs. 6 und Art. 6 Abs. 1 UCITSG.
Vgl. Art. Abs. 8, Art. 6 Abs. 6 UCITSG i.V.m. Art. 12 UCITSV.
Vgl. Art. 106 i.V.m. 109 PGR.
Das UCITSG und seine Folgen
deren ihr bekannten Sprache zulassen. Für Fondsdokumente in asiatischer
Sprache fehlt der FMA meines Wissens bislang das nötige Personal. Dies
schadet indes nicht, weil die Vertriebsunterlagen für den europaweiten Vertrieb bekanntlich in einer in der Finanzwelt gebräuchlichen Sprache zu erstellen sind (vgl. für Liechtenstein Art. 100 Abs. 2 Bst. b UCITSG). Dazu zählt die
chinesische Sprache derzeit (noch) nicht. Möglich ist freilich die Liechtensteinische Zulassung und ein anschliessender Vertrieb in Asien (nach Massgabe
des dortigen Rechts).
c)
Umgestaltung
Neben der Flexibilität bei der Produktgestaltung muss ein zeitgemässes Gesetz
einen Rechtsrahmen für die Anpassung von Fondsprodukten bieten. Kapitel
VI der UCITS-RL 2009/65/EG enthält einen Regelungsrahmen für grenzüberschreitende Verschmelzungen innerhalb des EWR. Dieser Rechtsrahmen wird
in Art. 38 ff. UCITSG umgesetzt, jedoch werden diese Vorschriften auf alle
Umstrukturierungen unter Beteiligung von liechtensteinischen Fonds ausgedehnt. Rechtstechnisch erfolgt dies durch die entsprechende Anwendung auf
alle Strukturmassnahmen in Art. 49 UCITSG.54 Den unbestimmten Rechtsbegriff der Strukturmassnahmen konkretisiert eine Liste von Regelbeispielen.
So zählt zu den Strukturmassnahmen z.B. das Umhängen von Anteilsklassen
oder Teilfonds, die Fondsspaltung oder die Verschmelzung von Nicht-UCITS
auf UCITS-Fonds. Die Umgestaltung eines UCITS-Fonds in einen NichtUCITS-Fonds – künftig AIF – ist jedoch gemäss Art. 1 Abs. 5 der UCITS-RL
2009/65/EG unzulässig. Der klare Rechtsrahmen für jede Form von Umstrukturierung ist innerhalb des EWR ebenfalls ein Alleinstellungsmerkmal.
3.
Finanzmarktaufsicht
Der Spagat aus risikoorientierter Verwalteraufsicht bei reduzierter Produktregulierung spiegelt sich auch im Aufsichtsverfahren wieder.
54
Vgl. Hooghiemstra /Litwin, supra n. 35.
27
Dirk Zetzsche
a)
Verwalterregulierung und Enforcement
Einerseits zeigt sich die Schwerpunktverschiebung in Richtung Verwalterregulierung in einer Stärkung der Finanzmarktaufsicht in Sachen Zulassung und
Organisation des Verwalters. So hat die Verwaltungsgesellschaft ihre Organisation in einem Geschäftsplan darzulegen.55 Mangelt es an hinreichenden eigenen Ressourcen zur Erfüllung der gesetzlichen Pflichten, kann die FMA die
Verwalterzulassung auf bestimmte Produkttypen und –gestaltungen beschränken56 oder die Zulassung versagen.
Bei der Überwachung der Verwalterorganisation kooperieren die Wirtschaftsprüfer als indirekte Aufsicht57 eng mit der FMA.58 So hat der Wirtschaftsprüfer
z.B. die Vorgaben zur Verwalterorganisation (s.o.) sowie die Auslagerungsbedingungen nach Art. 22 UCITSG im Rahmen der halbjährlichen Verwalterprüfung sicherzustellen.59 Dies kann auch Gegenstand der jährlichen unangemeldeten Prüfung60 sein. Die FMA kann weitere Prüfungsschwerpunkte über
Prüfformulare oder FMA-Richtlinien festlegen.61 Auf Anfrage der FMA muss
der Wirtschaftsprüfer zudem Angaben der Verwaltungsgesellschaft z.B. in
deren Geschäftsplan bestätigen.62
b)
Produktregulierung
Im Gegenzug ist die Produktzulassung von Deregulierung und Beschleunigung geprägt. Neben den kurzen Zulassungs- und Notifikationsfristen (s.o.)
bringt das UCITSG transparente Verfahrensvorgaben und Rechtssicherheit
durch elektronische Produkt-Templates. Darin wird verbindlich festgelegt,
welche Unterlagen für die Zulassung von UCITS einzureichen sind. Auch die
übrigen Informationspflichten können durch Vorgabe elektronischer Formblätter standardisiert werden.63
55
56
57
58
59
60
61
62
63
28
Art. 15 Abs. 1 Bst. c UCITSG i.V.m. Art. 20 Abs. 3–5 UCITSV.
Art. 14 Abs. 4 UCITSG.
Vgl. dazu bereits Art. 97 ff. IUG.
Sie müssen deshalb Kenntnisse in Bezug auf das UCITSG vorweisen, Art. 129 Abs. 4
UCITSG.
Vgl. Art. 105 Abs. 2 UCITSV.
Art. 105 Abs. 1 UCITSV.
Art. 101, 102 und 105 UCITSV.
Art. 129 Abs. 5 und 7 UCITSG.
Art. 129 Abs. 6 UCITSG.
Das UCITSG und seine Folgen
Des Weiteren wird gesetzlich geregelt, dass die FMA eingereichte Prospekte
– wie auch in anderen Staaten64 – in formeller Hinsicht auf Vollständigkeit,
jedoch nicht in materieller Hinsicht auf Richtigkeit prüfen muss (Art. 131
Abs. 3 UCITSG). Um die Prospektprüfung zu erleichtern, ist entweder die
Reihenfolge der Richtlinie einzuhalten oder eine Konkordanzliste zu erstellen
(Art. 131 UCITSG). Die Regelung schneidet zugleich in Aufsichtsverfahren
den Einwand ab, die FMA habe den Prospekt «genehmigt». Künftig sind die
Konsequenzen von Prospektmängeln primär zivilrechtlicher Art und im Verhältnis zwischen Anleger und Intermediär zu regeln. Art. 24 Abs. 2 UCITSG
schafft eine eindeutige Anspruchsgrundlage für die Prospekthaftung, Gerichtsstand ist das liechtensteinische Landgericht (Art. 24 Abs. 4 UCITSG).
Selbstverständlich darf die FMA im Rahmen der Missstandsaufsicht (§ 129
Abs. 1 UCITSG) auch weiterhin eingreifen, wenn sie von Prospektmängeln
Kenntnis erlangt.
Art. 130 UCITSG führt zudem drei Service-Elemente ein. Erstens kann die
FMA im Einklang mit EWR-Recht in geeigneten Fällen auf Antrag eine oder
mehrere Zulassungen unter Auflagen erteilen. Die Zulassungswirkung tritt mit
Erfüllung der Auflagen ein. Die Zulassung unter Auflagen soll z.B. bei Teilfonds eine Serienzulassung ermöglichen, indem jegliche Rechtsunsicherheit
bereits am Anfang einer Serie durch Zulassung unter Auflagen ausgeräumt
wird. Während die Zulassung unter Auflagen Tatsachen in den Blick nimmt,
entfaltet auf rechtlicher Ebene das Instrument der verbindlichen Auskunft
(Art. 130 Abs. 2 UCITSG) Wirkung. Soweit eine solche Auskunft beantragt,
alle Tatsachen vollständig und zutreffend offengelegt und die Auskunft, die
selbst gebührenpflichtig ist, erteilt wurden, ist die FMA an ihre schriftlichen
Feststellungen auch zu einem späteren Zeitpunkt gebunden. Damit kann eine
Ermessensausübung zu einem Zeitpunkt erreicht werden, zu dem noch keine
erheblichen Investitionen z.B. in die Vermarktung geflossen sind.
Drittens kann die FMA Musterdokumente für die Genehmigung konstituierender Dokumente genehmigen und veröffentlichen (Art. 130 Abs. 3 UCITSG).
Wird dieses Dokument verwendet, gilt die Genehmigung der konstituierenden
Dokumente als erteilt. Ratio ist, dass die FMA die notwendigen Risikoabwägungen nur einmal treffen muss. Kritische Bereiche sind bei UCITS als Pub64
Vgl. für Deutschland: § 128 Abs. 2 InvG und § 13 WpPG; für Österreich: § 139 Abs. 2
InvFG 2011; für Luxemburg Art. 54 Abs. 3 Loi du 17 Decembre 2010 concernant les
organismes de placement collectif.
29
Dirk Zetzsche
likumsprodukt insbesondere die Anlagegrenzen und die Gebührengestaltung.
Die Musterdokumente ermöglichen für grosse Verwaltungsgesellschaften mit
einer Vielzahl von Fonds Skaleneffekte, Planungssicherheit und kurze Zulassungsfristen. Die gleichen Vorteile können kleine Anbieter erzielen, wenn sie
zusammen mit anderen Anbietern ein Musterdokument erstellen und verwenden. Der Liechtensteinische Finanzplatz hat bereits reagiert. Der Liechtensteinische Anlagefondsverband (LAFV) und Liechtensteinische Bankenverband
(LBV) haben für die drei Rechtsformen unter dem UCITSG ein Satz Musterdokumente erstellt, der den Verbandsmitgliedern zur Verfügung steht.
4.
Alternative Streitschlichtung
Abschliessend mag auf einen alternativen Streitschlichtungsmechanismus
hingewiesen werden. Alle Finanzmarktgesetze prägt ein Mangel an Rechtsprechung65 und damit ein wesentliches Element der Gesetzeskonkretisierung.66
Ursache ist die Abhängigkeit der Intermediäre von der kurzfristigen produktbezogenen Kooperation der Finanzmarktaufsichtsbehörden, weil gerichtlicher
Rechtsschutz und damit Rechtssicherheit auf diesem Wege relativ kosten- und
zeitintensiv sind. Konsequenz ist entweder ein Mangel an Rechtssicherheit,
oder eine Aufsichtslastigkeit des gelebten gegenüber dem geschriebenen
Recht. Mit anderen Worten: Die Rechtsmeinung der Aufsicht setzt sich in
vielen, zumal kleinen Fragen langfristig durch. Das UCITSG begegnet diesem
Umstand durch eine aussergerichtliche Streitschlichtung nach Art. 142
UCITSG i.V.m. Art. 125 UCITSV. In einem Ad-hoc-Verfahren, dass man sich
als informelles Expertengespräch mit stark reduzierten Schriftsatzpflichten
vorzustellen hat, soll die zugrundeliegende Rechtsfrage erörtert und eine Position des dreiköpfigen Schlichtungsgremiums bestimmt werden. Wird die
Rechtsmeinung von beiden Seiten akzeptiert, wird die Rechtsposition in einem
Schlichterbrief veröffentlicht. Es ist anzunehmen, das eine gut begründete
Rechtsmeinung sowohl im behördeninternen Widerspruchs- und Beschwerde-
65
66
30
Vgl. Zetzsche, Prinzipien der kollektiven Vermögensanlage, Habil. Düsseldorf/
Deutschland 2011, Einleitung, S. 7 ff.
Vgl. insbesondere K aplow, Rules versus Standards, (1992) 42 Duke L.J., S. 558 ff. mit
seinem Bild vom Recht in drei Phasen, deren dritte die Lückenfüllung durch Gerichte
ist; kritisch zu den Auswirkungen Schauer, Do Cases Make Bad Law?, (2006) 73 U.
Chi. L. Rev., S. 883 ff.; Alexander, Constrained by precedent, (1989) 63 S. Cal. L.
Rev., S. 1 ff.
Das UCITSG und seine Folgen
verfahren, als auch in späteren Gerichtsverfahren nicht ohne Einfluss bleiben
wird. Zudem dürfte es im Kontext der Staatshaftung keinesfalls fahrlässig
sein, wenn sich die FMA der Rechtsmeinung eines solchen Expertengremiums
anschliesst.
Dieser Mechanismus ist bislang noch nicht erprobt, könnte aber Modell für
andere Rechtsordnungen sein. Er kann indes nur funktionieren, wenn die
Schlichter – anders als herkömmliche Gerichte – auch ohne langfristige Recherche in der Spezialmaterie des Rechts der Investmentfonds kundig und
sattelfest sind. In der Sache unkundige Würdenträger sind hier fehl am Platz.
VI.
Verhältnis zu Drittstaaten
(insbesondere: die Schweiz)
Das Verhältnis zu Drittstaaten ist in der UCITS-Richtlinie bislang rudimentär
geregelt.67 Die Grenzen des nationalen Spielraums sind indes klar markiert:
Nur Anteile eines EWR-Fonds dürfen europaweit mittels des EWR-Passes
vertrieben werden.68 Nur innerhalb des EWR zugelassene Verwaltungsgesellschaften können derzeit den EWR-Pass für UCITS-Verwaltungsgesellschaften
europaweit nutzen und grenzüberschreitend Fonds verwalten.69 Dies nötigt
Schweizer Fondsleitungen und Anlagefonds, ihre Regierung auf den Abschluss von bilateralen Abkommen zu drängen, wie es zuletzt höchst elegant
im Rahmen des revidierten Doppelbesteuerungsabkommens mit Deutschland
vom August 2011 versucht wurde.70
Zu unterscheiden ist zwischen dem Weg für Asset Manager aus Drittstaaten
(z.B. Schweiz) in den EWR-Raum (z.B. Liechtenstein) und dem Weg für EWRAnbieter (z.B. aus Liechtenstein) in den Binnenmarkt des Drittstaats (z.B.
Schweiz) hinein.
67
68
69
70
Art. 9 Abs. 1 UCITS-RL 2009/65/EG verweist auf Art. 15 der MiFID-RL 2004/39/
EG. Der europäischen Kommission kann Gem. Art. 15 MiFID-RL Massnahmen treffen als UCITS-Fonds in Drittstaaten verweigert werden. Im Einklang mit der AIFMRL ist unter UCITS-V ein Drittstaatenregime zu erwarten.
Vgl. Art. 91 ff. UCITS-RL, umgesetzt in Art. 97 ff. UCITSG.
Vgl. Art. 6 i.V.m. 16 ff. UCITS-RL, umgesetzt in Art. 103 ff. UCITSG.
Vgl. K ippenberg, IStR-Länderbericht, Heft 23/2011 (1. Dezember 2011). Das DBA bedarf noch der Ratifikation durch die gesetzgebenden Körperschaften.
31
Dirk Zetzsche
1.
Zugang aus Drittstaaten zum EWR
a)
Unzulässige Gestaltungen
Verschiedene unzulässige Gestaltungen werden kolportiert. So sollen in grossem Umfang von Schweizerischen Finanzkonzernen Verwaltungsgesellschaften in EWR-Staaten (z.B. Malta oder Zypern) gegründet werden, welche
sodann wiederum Zweigniederlassungen in der Schweiz gründen. Ehrlich
wird man sagen müssen, die Zweigniederlassung gründet die Verwaltungsgesellschaft. Aus rechtlicher Sicht wackelt der Schwanz mit dem Hund. Diese
Gestaltung verstösst gegen das Hüllenverbot gem. Art. 13 Abs. 2 der UCITSRichtlinie (umgesetzt in Art. 22 Abs. 1 Bst. i UCITSG).71 Gegen eine echte
Zweigniederlassung, die von einer Gesellschaft innerhalb des EWR gesteuert
wird, ist dagegen nichts einzuwenden.
Ebenfalls unzulässig sind Gestaltungen, bei denen sich eine EWR-Verwaltungsgesellschaft von einem Schweizer Asset Manager im Hinblick auf Anlageentscheidungen «beraten» lässt. Schon die Qualifikation als Beratung
dürfte selten zutreffen; zumeist soll der Asset Manager die Anlageentscheidung treffen. Selbst wenn tatsächlich nur beraten wird, die Verwaltungsgesellschaft somit die Letztentscheidung über die Anlagen behält, ist die Anlageberatung eines Fonds aus zwei Gründen rechtlich unzulässig ist: Erstens weist
jedenfalls der vertragliche und treuhandrechtliche strukturierte Fonds keine
Rechtspersönlichkeit auf, die man beraten könnte, und zweitens ist die Anlageentscheidung nicht Aufgabe des Fonds, sondern der Verwaltungsgesellschaft. Aber auch Advisory-Lösungen im Hinblick auf die Verwaltungsgesellschaften sind kritisch zu bewerten. Einerseits muss die Verwaltungsgesellschaft den «Anlageberater» dann in alle ihre Risikomanagement-Verfahren,
Prozesse zum Umgang mit Interessenkonflikten, Compliance- und ReportingSysteme72 einbeziehen, weil er Dienstleister und Auftragnehmer der Verwaltungsgesellschaft ist. Dies wird namentlich schwierig, wenn der «Anlageberater» zugleich der Fondsinitiator und Vertriebsträger und damit wirtschaftlich
der Spiritus Rector des Fonds ist. Andererseits ist die Anlageberatung unter
der Richtlinie 2004/39/EG – besser bekannt als MiFID – eine im Tätigkeitsstaat zulassungspflichtige Dienstleistung. Dann stellt sich die schwierige Frage
71
72
32
Erwägungsgrund 83 und Art. 20 Abs. 3 AIFM-RL.
Vgl. Art. 13 Abs. 1 UCITS-RL (entspricht Art. 22 Abs. 1 UCITSG) sowie Art. 38–45
RL 2010/43/EU (umgesetzt in Art. 41 ff. UCITSV).
Das UCITSG und seine Folgen
nach dem Ort der Beratungstätigkeit.73 Hierfür wird man den im Kontext
steuerlicher Zurechnung entwickelten74 Test vom effektiven Ort der Anlageentscheidung (effective place of management) fruchtbar machen können.
Die Umsetzung der AIFM-RL in der Schweiz und die MiFID II-RL75 könnten
jedoch neue Optionen öffnen.
b)
Zulässige Gestaltungen
Rechtlich zulässig sind derzeit zwei Gestaltungen:
Einerseits kann die nach dem Recht des Drittstaats zugelassene und prudentiell beaufsichtigte Verwaltungsgesellschaft/Fondsleitung Auftragnehmer einer
EWR-Verwaltungsgesellschaft sein. So kann die Verwaltungsgesellschaft in
Vaduz lokalisiert und von der FMA beaufsichtigt, der Asset Manager nach
dem KAG zugelassen und von der FINMA beaufsichtigt werden.
Zum anderen kann ein bislang in der Schweiz angesiedelter Asset Manager
eine Zulassung nach der MiFID-Richtlinie (in Liechtenstein: dem VVG oder
BankenG) beantragen und seine Anlageentscheidung und das Risikomanagement in den EWR hinein verlagern. Nicht zulassungspflichtige Tätigkeiten wie
die Fondsbuchhaltung, das Reporting etc. können bei Beachtung der allgemeinen Delegationsregeln des Art. 13 der UCITS-RL (Art. 22 Abs. 1 Bst. a sowie
73
74
75
Dieser richtet sich nach der konkreten Gestaltung des Vertragsverhältnisses. Massgebliche Faktoren sind u.a., wo die Anlageempfehlung ausgesprochen und von der
Verwaltungsgesellschaft empfangen wird.
Vgl. Art. 4 Abs. 3 OECD Model Tax Convention and Commentary (2010); Siehe in
diesem Bereich: Avery Jones, Place of Effective Management as a Residence TieBreaker, Bulletin for International Fiscal Documentation, Januar 2005; Avery Jones,
2008 OECD Model: Place of Effective Management – What one Can Learn from the
History, Bulletin for International Taxation, Mai/Juni 2009. In Bezug auf die Umsetzung der UCITS-IV-Richtlinie wirft der effektive Ort der Anlageentscheidung
(effective place of management) steuerliche Fragen insbesondere im Zusammenhang
mit dem Europäischen Pass auf. Vgl. EFAMA/KPMG, Analysis of the Tax Implications of UCITS IV, 15 September 2010, S. 15 ff, online http://www.efama.org/index.
php?option=com_docman&task=doc_details&Itemid=-99&gid=1304.
Mit der vorgeschlagene MiFID-Verordnung wird ein harmonisierter Marktzugang
für Drittlandfirmen und Marktbetreiber eröffnet (sog. europäisches Pass für Anbieter
aus Drittstaaten). Vgl. Art. 41 und 44 Vorschlag für Verordnung des Europäischen
Parlaments und des Rates über Märkte für Finanzinstrumente und zur Änderung der
Verordnung (EMIR) über OTC-Derivate, zentrale Gegenparteien und Transaktionsregister Europäische Kommission (KOM (2011) 652 endgültig)).
33
Dirk Zetzsche
d bis i) nach EWR-Recht in dem Drittstaat weiterhin und zulassungsfrei ausgeübt werden. Eine solche Gestaltung bietet sich insbesondere an, wenn eine
örtliche Nähe zwischen EWR- und Nicht-EWR-Staat besteht (Beispiel: Ostschweiz und Liechtenstein). Sie drängt sich auf, wenn die Zulassungsanforderungen nach dem Schweizer KAG von denen des EWR-Rechts in wesentlichen
Punkten abweichen. Dies ist jedenfalls solange der Fall, wie die Tätigkeit eines
Asset Managers für ausländische Kollektivanlagen mangels schweizerischer
Spezialregelung für die individuelle Vermögensverwaltung76 dem KAG als
Gesetz für die kollektive Vermögensverwaltung unterstellt und nur unter den
strengen Bedingungen des Art. 13 Abs. 4 KAG bewilligt wird.
c)
Verbot von Briefkastengesellschaften
Bei allen Gestaltungen ist das europäische Hüllenverbot zu beachten: Die
EWR-Verwaltungsgesellschaft oder der EWR-Asset Manager müssen jedenfalls so viel Substrat aufweisen, dass sie die organisatorischen Anforderungen
einer Verwaltungsgesellschaft respektive eines Vermögensverwalters/Asset
Managers im Zulassungsstaat zweifelsfrei ausüben können.77 Kein Zulassungserfordernis ist, dass die Geschäftsleiter innerhalb des EWR wohnen. Die
Vorschrift des Art. 180a PGR, wonach die Geschäftsleiter binnen 200 km
Umkreis um Liechtenstein herum wohnen müssen, wurde für UCITS-Verwaltungsgesellschaften abgeschafft. An deren Stelle treten substantielle Anforderungen an die Qualifikation und Organisation der Verwaltungsgesellschaft.78
Insbesondere müssen die Kernfunktionen mit der Entscheidung über die strategische Ausrichtung der Verwaltungsgesellschaft/des Asset Managers, das
Risikomanagement über die Gesamtorganisation und die Personalhoheit innerhalb des EWR-Zulassungsstaates ausgeübt werden. Ansonsten ist der Fi-
76
77
78
34
Nach dem Recht des EWR genügt für das Asset Management eines Fonds die Zulassung für die individuelle Vermögensverwaltung nach der MiFID-RL. Die MiFID-RL
wurde in der Schweiz bislang bekanntlich nicht vollständig umgesetzt. Vgl. zur teilweisen Umsetzung der MiFID-Richtlinie Stephan Geiger, Umsetzung der MiFID in
der Schweiz?, in: Jusletter 17. Januar 2011.
Vgl. Art. 13 Abs. 2 UCITS-RL, umgesetzt in Art. 22 Abs. 2 Bst. i UCITSG..
Vgl. Art. 21 Abs. 3 UCITSV: «Die Geschäftsleiter müssen auch unter Berücksichtigung ihrer weiteren Verpflichtungen, ihres Wohnorts und der Infrastruktur sowie
Organisation des Unternehmens in der Lage sein, ihre Aufgaben einwandfrei zu erfüllen.»
Das UCITSG und seine Folgen
nanzintermediär als Hülle zu qualifizieren und es liegt ein Verstoss gegen das
Verbot von Briefkastengesellschaften vor.
Das Vorgenannte ist zwingendes EWR-Recht. Sollten hier einige EWR-Staaten Nachsicht praktizieren, kann dies zu Repressalien anderer EWR-Staaten
bis zum Entzug des EWR-Passes führen. Zudem können die verantwortlichen
Geschäftsleiter von Initiatoren und Anlegern auf Schadensersatz in Anspruch
genommen werden. Insofern ist Sorgfalt geboten.
2.
Zugang aus Liechtenstein in die Schweiz
Ebenfalls nicht komplikationslos ist der Zugang von EWR-Verwaltungsgesellschaften zum Schweizer Binnenmarkt. Jedoch werden, wie man hört, bislang
die Zulassungen liechtensteinischer UCITS von der FINMA anerkannt.79 Entsprechend ist der Vertrieb von UCITS in der Schweiz uneingeschränkt zulässig.
Das UCITSG räumt deshalb der liechtensteinischen Finanzmarktaufsicht die
Befugnis zum Informationsaustausch mit der FINMA grds. in dem gleichen
Umfang ein, wie gegenüber den Behörden von EWR-Mitgliedstaaten. Allein
Informationen, die ihr durch die ESMA oder andere EWR-Aufsichtsbehörden
übermittelt werden und von diesen vertraulich eingestuft werden, darf sie nicht
austauschen. Zudem musste aus verfassungsrechtlichen Gründen der zwingende Charakter der Art. 133, 138, 139 UCITSG in eine «kann»-Bestimmung
gewandelt werden. Jedoch reduziert sich das grds. eingeräumte Ermessen in
der Frage des Informationsaustauschs wegen der engen Verflechtung beider
Wirtschaftsräume regelmässig auf Null, wenn Anleger oder Intermediäre aus
beiden Rechtsordnungen betroffen sind und ein Informationsaustausch zwischen Behörden von EWR-Mitgliedstaaten gerechtfertigt wäre. Die FMA und
die FINMA können (und sollen) so eng als möglich kooperieren, um Anlagebetrüger aus anderen Nachbar- und Peripheriestaaten abzuschrecken.
79
Die FINMA arbeitet an einer neuen Wegleitung für die Behandlung von Gesuchen
zum öffentlichen Vertrieb von UCITS-Fonds in der Schweiz, Bis dahin ist die bisherige Wegleitung für UCITS-IV Fonds sinngemäss anzuwenden. Siehe FINMA,
Wegleitung für Gesuche betreffend die Genehmigung zum öffentlichen Vertrieb vom
ausländischen kollektiven Kapitalanlagen in oder von der Schweiz aus, die der durch
die beiden Richtlinien 2001/107/EG und 2001/108/EG geänderten Richtlinie 85/611/
EWG (UCITS III) entsprechen.
35
Dirk Zetzsche
3.
Sonstige Fonds (AIF) und Ausblick auf die AIFM-RL
Aus Sicht beider Staaten wäre indes ein gegenseitiger unbeschränkter Marktzugang für alle Fondsprodukte – also auch AIF – wünschenswert: Schweizer
Vermögensverwalter könnten Dienstleister für die in Liechtenstein verwalteten Assets sein, Liechtensteinische Anbieter könnten ihre Dienste und Fondsprodukte in der Schweiz anbieten. Dieser Ansatz würde der engen Verzahnung
beider Wirtschaftsgebiete und dem Geist des Schweizerisch-Liechtensteinischen Zoll-80 und Währungvertrags81 entsprechen.82 Dieser Geist bedarf jedoch
einer Harmonisierung mit dem in jüngerer Zeit unterschiedlichen Weg der
Schweizerischen Autonomie einerseits und der Liechtensteinischen EWRMitgliedschaft andererseits.
a)
Verpflichtung auf «swiss finish» durch öffentlich-rechtlichen
Vertrag
Die liechtensteinische Fondsgesetzgebung kann die grosse Frage der Schweizer Renitenz gegenüber dem EWR nicht adressieren. Beide Gesetze (UCITSG
und AIFMG) sehen indes ein aufsichtsrechtliches Instrument vor, welches den
80
81
82
36
Vgl. Vertrag vom 29. März zwischen der Schweiz und Liechtenstein über den Anschluss des Fürstentums Liechtenstein an das schweizerische Zollgebiet (ZV), LGBl.
1923/24; Vereinbarung vom 2. November 1994 zwischen Liechtenstein und der
Schweiz zum Vertrag vom 29. März 1923 über den Anschluss des Fürstentums Liechtenstein an das schweizerische Zollgebiet, LGBl. 1995/77.
Mit dem Gesetz vom 26. Mai 1924 (LGbl. 1924/8) wurde der Schweizer Franken in
einem einseitigen liechtensteinischen Akt zum neuen gesetzlichen Zahlungsmittel erklärt. Im Jahre 1980 erfolgte eine bilaterale Regelung im Rahmen des Währungsvertrages zwischen der Schweiz und Liechtenstein (LGBl. 1981/52).
Mit dem Anschluss Liechtensteins an das Zoll- bzw. Währungsgebiet der Schweiz
musste Liechtenstein in diesen Teilbereichen den diesbezüglichen schweizerischen
Rechtsbestand in unveränderter Form i.S. einer vollständigen Rechtsvereinheitlichung direkt übernehmen. Demzufolge kann hinsichtlich dieser Verträge von einer
Teilintegration Liechtenstein in das schweizerische Wirtschaftsgebiet gesprochen
werden. Vgl. Batliner, Das liechtensteinische Bankwesen und seine Beziehungen zur
Schweiz, in: Liechtenstein Wirtschaftsfragen, Heft 12. hg. Von der Verwaltungs- und
Privat-Bank Aktiengesellschaft, Vaduz 1985. S. 7; In diesem Bereich, behauptet Batliner dass Liechtenstein «seinen wirtschaftlichen Aufschwung und seinen heutigen
hohen Lebensstandard in hohem Masse der engen Verbundenheit mit der Schweiz
verdankt. Batliner, Das liechtensteinische Bankwesen und seine Beziehungen zur
Schweiz, in: Liechtenstein Wirtschaftsfragen, Heft 12. hg. von der Verwaltungs- und
Privat-Bank Aktiengesellschaft, Vaduz 1985. S. 17.
Das UCITSG und seine Folgen
Marktzugang zu Drittstaaten und speziell der Schweiz erleichtern sollen. So
können liechtensteinische Verwaltungsgesellschaften mit der liechtensteinischen Finanzmarktaufsicht einen öffentlich-rechtlichen Vertrag nach Art. 121
Abs. 2 UCITSG schliessen. Darin verpflichtet sich die Verwaltungsgesellschaft, bestimmte, mit dem EWR-Recht zu vereinbarende Zusatzanforderungen des Rechts eines Drittstaats – zum Beispiel die umfangreichere Kapitalausstattung nach Art. 28 Abs. 2 KAG i.V.m. 43 KKV – sicherzustellen. Die
liechtensteinische Finanzmarktaufsicht ist kraft des öffentlich-rechtlichen
Vertrags zur Beaufsichtigung und zum Informationsaustausch mit der FINMA
berechtigt und verpflichtet. Bei Verstössen gelten die gleichen Sanktionen wie
bei solchen gegen liechtensteinisches Recht.
Das gleiche Instrument wird in das AIFMG übernommen werden. Dort könnte es Rechtsgrundlage für eine Zulassung liechtensteinischer AIF zum Schweizer Markt sein.
b)
Bilaterale völkerrechtliche Vereinbarung und
Aufsichtskooperationsabkommen
Neue Hindernisse zwischen der Schweiz und Liechtenstein errichten die Drittstaatenregelungen der AIFM-RL nach Art. 31–43 AIFM-RL. Dies schadet
nicht nur Liechtenstein: Eine enge Beziehung zwischen beiden Staaten könnte
den Nachteil der Schweiz wegen des verzögerten Zugang zum EWR nach der
AIFM-RL83 reduzieren: Es ist ein kleiner Schritt aus einem deutschsprachigen
Gebiet über den Oberrhein zurück in die (Ost-Schweiz, aber ein grosser Schritt
von der Uelzecht, über das Mittelmeer oder den Atlantik zurück. Zudem arbeiten über 10’000 Schweizer in Liechtenstein84 und verdienen dort gutes
Geld, welches sie in der Schweiz ausgeben. Dass in beiden Staaten die gleiche
Sprache gesprochen wird und die liechtensteinische Elite stolz auf ihre Abschlüsse an den Universitäten Zürich und St. Gallen verweist, spricht ebenfalls
83
84
Danach wird ein europäischer Pass für Schweizerische Verwaltungsgesellschaften erstmals erst ab dem Jahr 2016 möglich sein. Bis dahin ist die Abwanderung der
schweizerischen Vermögensverwalter zu befürchten. S. dazu auch den 63. und 69 Erwägungsgrund der AIFM-RL.
Im Jahr 2010 gab es 17’570 Pendler nach Liechtenstein hinein, wovon 51,7 % aus der
Schweiz kamen. Zudem wohnten 3’586 Schweizer in Liechtenstein. Vgl. Statistisches
Jahrbuch 2010, Amt für Statistik, online: www.as.llv.li.
37
Dirk Zetzsche
für die enge wirtschaftliche und kulturelle Verzahnung sowie den gegenseitigen Nutzen beider Wirtschaftsräume.
Gerüchte, wonach bei luxemburgischen Töchtern von Schweizerischen Finanzkonzernen gelegentlich ein Auge zugedrückt werde, sind mit Blick auf die
bekannte Akkuratess und Rechtstaatlichkeit schweizerischer Behörden haltlos. Doch sollte statt solcher Kontroversen der Dialog gesucht werden. Dafür
liegt eine Lösung auf der Hand. Die Schweiz und Liechtenstein mit ihren
Aufsichtsbehörden sollten den gegenseitigen Marktzugang in einem völkerrechtlichen Vertrag mit beigefügtem Aufsichtskooperationsabkommen vereinbaren. Dieses sollte nach dem Vorbild des Art. 42 AIFM-RL gestaltet sein,
aber entsprechend Art. 43 AIFM-RL Geltung auch für Publikums-AIF beanspruchen. In einem solchen völkerrechtlichen Vertrag müsste sich die «grosse»
Schweiz sicherlich nicht dem «kleinen» Liechtenstein beugen. Die FINMA
könnte ihre Interessen – wie den gewünschten Umfang mit Schweizer Vermögensverwaltern – vertraglich fixieren. Im Gegenzug erhielten EWR-konforme
Liechtensteinische Anbieter Marktzugang zur Schweiz. Dieses Vorgehen
könnte umso weitsichtiger sein, weil eine Übertragung der Drittstaatenregelungen der AIFM-RL mit der anstehenden (weiteren) Reform der UCITSRichtlinie (sog. UCITS V) zu befürchten ist.
VII. Fazit
Die Umsetzung der UCITS IV-Richtlinie war in Liechtenstein – wie auch
anderswo – ein Kraftakt, der mit vielen Veränderungen am Fondsplatz einherging. Einige Verwaltungsgesellschaften werden die Geschwindigkeit des
Wandels nicht mitgehen können und sich für andere Geschäftsmodelle entscheiden, z.B. indem sie künftig nicht mehr als Verwaltungsgesellschaft,
sondern nur noch als Fondsadministrator auftreten. In diesem Fall ist der Asset
Manager gehalten, sich als selbstverwaltete Investmentgesellschaft nach
Liechtenstein zu relocieren und muss dort den effective place of management
für die verwalteten Fonds nachweisen. Doch ist dies die zwangsläufige Konsequenz der europäisch induzierten und von Liechtenstein mitgetragenen
qualitativen Optimierung der kollektiven Vermögensverwaltung.
Im Status post UCITSG (und AIFMG) gilt in Liechtenstein eine strenge, dem
Prinzip der Risikoorientierung verpflichtete Verwalteraufsicht bei liberaler
38
Das UCITSG und seine Folgen
Produktgestaltung und –zulassung. Das UCITSG eröffnet Chancen für ehrliche, gut organisierte, qualifizierte Finanzintermediäre und bietet einen europarechtskonformen, wettbewerbsfähigen Rechtsrahmen, bei dessen Gestaltung die Beziehungen zur Schweiz nicht aus den Augen verloren wurden.
Sicherlich ist das eine oder andere Detail noch zu verbessern, zudem gilt es die
Detailverliebtheit des EWR-Rechts praktisch zu verarbeiten. Zu beidem bietet
sich die Gelegenheit mit dem zweiten Teil des Fondsplatzprojektes – dem
AIFMG –, welches noch im Jahr 2012 im Liechtensteinischen Landtag verabschiedet werden soll.
39
Die Liechtensteinische Steuerpolitik
Das neue liechtensteinische Steuerrecht und dessen Bedeutung
für den Finanzplatz Liechtenstein
Martin Wenz
Inhaltsübersicht
I.
Reform der Steuerpolitik, des Steuerrechts sowie der Steuerkooperation
in Liechtenstein
II. Reform des nationalen und des internationalen Steuerrechts in Liechtenstein
1. FL Tax Roadmap 2007
2. Eckpunkte und Konzeption der liechtensteinischen Steuerreform –
Das neue Steuergesetz: SteG
III. Das bisherige Steuersystem im Überblick
1. Natürliche Personen: Vermögenssteuer mit ergänzender Erwerbssteuer
2. Verbandspersonen: Kapital- und Ertragssteuer – C
­ ouponsteuer
IV. Besteuerung natürlicher Personen: Vermögens- und Erwerbssteuer
1. Steuersystematische Grundlagen
2. Persönliche Steuerpflicht
3. Sachliche Steuerpflicht
V. Besteuerung juristischer Personen: Ertragssteuer
1. Steuersystematische Grundlagen
2. Persönliche Steuerpflicht
3. Sachliche Steuerpflicht
VI. Grundstücksgewinnsteuer
VII. Besteuerung von Gesellschaften ohne Persönlichkeit (Personengesellschaften)
VIII.Besteuerung von Stiftungen
IX. Besteuerung von Trusts X. Besteuerung von Investmentfonds (UCITS/IUG/AIFMG) XI. Reform der internationalen Steuerkooperation in Liechtenstein
XII. Bedeutung des neuen liechtensteinischen S
­ teuerrechts für den Finanzplatz
Liechtenstein 42
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41
Martin Wenz
I.
Reform der Steuerpolitik, des Steuerrechts sowie
der Steuerkooperation in Liechtenstein
Das Fürstentum Liechtenstein hat in den letzten Jahren einen umfassenden
Reformprozess insbesondere im Bereich der Steuerpolitik, des nationalen und
des internationalen Steuerrechts sowie der internationalen Steuerkooperation
vollzogen. So hat Liechtenstein bereits am 6. Februar 2007 die Grundgedanken und Leitlinien für eine grundlegende Reform des liechtensteinischen
Steuerrechts in einer eigenständigen FL Tax Roadmap vorgelegt. Mit der
Liechtenstein-Erklärung vom 12. März 2009 hat sich Liechtenstein zudem
nicht nur zur Umsetzung des globalen OECD-Standards zur Transparenz und
zum Informationsaustausch in Steuerangelegenheiten verpflichtet, sondern
auch zum Schutz der legitimen Steueransprüche von anderen Staaten bereit
erklärt.
Durch die Anfang 2011 in Kraft getretene Totalrevision des liechtensteinischen Steuergesetzes (SteG) ist dieses nicht nur weitgehend entscheidungsneutral, sondern insbesondere auch international kompatibel und anerkannt sowie
– entsprechend der Mitgliedschaft Liechtensteins im Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) – auch europarechtskonform ausgestaltet worden. So trägt
das neue Steuergesetz va auch dem internationalen Gebot der Vermeidung von
ring-fencing sowie dem europarechtlichen Verbot staatlicher Beihilfen uneingeschränkt Rechnung; letzteres wurde von der zuständigen EFTA Überwachungsbehörde (EFTA Surveillance Authority, ESA) in entsprechenden Entscheidungen ausdrücklich bestätigt.
Liechtenstein erfüllt darüber hinaus die OECD-Standards zur internationalen
Steuerkooperation betreffend den grenzüberschreitenden Informationsaustausch in Steuerangelegenheiten und wird seit dem 10. November 2009 auch
als Jurisdiktion gelistet, welche den international anerkannten Steuerstandard
umfassend implementiert hat (sog. weisse Liste). Es hat gemäss dem Länderbericht vom 12. September 2011 und dem Zusatzbericht vom 19. September
2012 des Global Forum on Transparency and Exchange of Information for Tax
Purposes (GFTEI) die Phase 1 des 2009 in Mexiko vereinbarten umfassenden
Peer Review Prozesses erfolgreich bestanden und damit die Voraussetzungen
für die Durchführung von Phase 2 dieses Peer Review Prozesses im Jahr 2014
geschaffen. Seit der Verkündigung der Liechtenstein-Erklärung im Jahr 2009
hat Liechtenstein über 35 (!) Doppelbesteuerungs- und Steuerinformationsab-
42
Die Liechtensteinische Steuerpolitik
kommen abgeschlossen, die den OECD Standard uneingeschränkt erfüllen
und grösstenteils auch bereits in Kraft getreten sind und angewendet werden.
Der nachfolgende Beitrag gibt einen grundlegenden Überblick über die in den
letzten Jahren vollzogene Totalrevision des nationalen und internationalen
Steuerrechts und über die ebenfalls in den letzten Jahren erfolgte grundlegende Neuausrichtung der internationalen Steuerkooperation des Fürstentums
Liechtenstein. Daran anschliessend soll auf die grundlegende Bedeutung dieser Reformen für den Finanzplatz Liechtenstein eingegangen werden. Der
Beitrag basiert auf einem am 04. November am Zentrum für liechtensteinisches Recht an der Universität Zürich gehaltenen Vortrag.
II.
Reform des nationalen und des internationalen
Steuerrechts in Liechtenstein
1.
FL Tax Roadmap 2007
Zielsetzung der Steuerreform: Der Revision des nationalen und des internationalen Steuerrechts des Fürstentums Liechtenstein, mithin des neuen liechtensteinischen Gesetzes vom 23. September 2010 über die Landes- und Gemeindesteuern (Steuergesetz; SteG) liegt das Ziel zugrunde, das bis Ende 2010
geltende Gesetz vom 30. Januar 1961 über die Landes- und Gemeindesteuern
(Steuergesetz) entsprechend den modernsten Erkenntnissen der internationalen Steuerwissenschaften (Finanzwissenschaft, Betriebswirtschaftliche Steuerlehre und Steuerrecht) sowie den konkreten Erfahrungen mit nahezu unzähligen Steuerreformen in anderen Staaten innerhalb und ausserhalb Europas
derart an die veränderten wirtschaftlichen sowie rechtlichen Rahmenbedingungen im In- und Ausland anzupassen, damit Liechtenstein auch zukünftig
über ein national und international für natürliche und juristische Personen
gleichermassen attraktives und wettbewerbsfähiges, möglichst entscheidungsneutrales sowie auch international kompatibles und europarechtskonformes
Steuersystem verfügt.
Ein Steuersystem, das den aktuellen und zukünftigen Ansprüchen und Bedürfnissen des 21. Jahrhunderts wirtschaftlich, rechtlich und gesellschaftlich
umfassend Rechnung trägt und es Liechtenstein ermöglicht, sich auch weiterhin als international erfolgreicher Wirtschaftsstandort und Finanzplatz zu
43
Martin Wenz
positionieren. Hierfür ist es erforderlich, dass sich der Steuerstandort Liechtenstein zwischen Steuerwettbewerb einerseits und Steuerkoordination und
Steuerkooperation andererseits eindeutig durch ein marktorientiertes Gesamtsteuersystem und nicht (mehr) durch eine incentiveorientierte Steuerstrategie
positioniert.
Grundgedanken, Leitlinien und Leitbild der Steuerreform: Im Oktober
2006 beauftragte die Regierung des Fürstentums Liechtenstein eine Expertengruppe unter dem Vorsitz von Professor Dr. Martin Wenz mit der Entwicklung
einer grundlegenden Revision des liechtensteinischen Steuerrechts. Die bereits
im Januar 2007 von dieser Expertengruppe vorgelegte und im Februar 2007
von der Regierung des Fürstentums Liechtenstein genehmigte FL Tax Roadmap beinhaltet auf der Basis der Zielsetzung der Steuerreform die wesentlichen Grundgedanken und Leitlinien für eine Reform des liechtensteinischen
Steuerrechts. Diese umfassen im Einzelnen insbesondere folgende Kriterien
und Ziele sowie Rahmenbedingungen:
Kriterien und Ziele
•• Steuergerechtigkeit und Steuertradition
•• Entscheidungsneutralität
•• Einfachheit und Transparenz
•• Wettbewerbs- und Leistungsfähigkeit sowie Attraktivität
Rahmenbedingungen
•• Verfassungsrechtliche Konformität
•• Aufkommensneutralität
•• Internationale Kompatibilität
•• Europarechtliche Konformität.
Konkret orientiert sich die Steuerreformkonzeption am Leitbild einer möglichst einfachen und transparenten sowie entscheidungsneutralen Besteuerung
der Bürgerinnen und Bürger, bei der das auf Märkten und nicht über Transferleistungen erzielte Einkommen über ihren Lebenszyklus hinweg nur einmal
belastet wird und natürliche und juristische Personen möglichst gleich behandelt werden. Möglichst entscheidungsneutrale Steuern erlauben es den Wirtschaftssubjekten, ihre Entscheidungen von steuerlichen Aspekten weitgehend
unbeeinflusst zu treffen. Auf funktionierenden Märkten führt dies regelmässig
44
Die Liechtensteinische Steuerpolitik
zu einer optimalen Allokation der Produktionsfaktoren und damit zu positiven
Effekten für die wirtschaftliche Entwicklung einer Volkswirtschaft. Da die
Entscheidungsneutralität zudem voraussetzt, dass gleiche Sachverhalte auch
gleich besteuert werden, wird insoweit auch der Forderung nach einer gerechten Besteuerung entsprechend der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit grundlegend Rechnung getragen.
2.
Eckpunkte und Konzeption der liechtensteinischen
Steuerreform – Das neue Steuergesetz: SteG
Auf der Grundlage der FL Tax Roadmap 2007 hat die Expertengruppe im
April 2008 die Eckpunkte für eine Steuerreform und bis Sommer 2008 die
gesamte Steuerreformkonzeption im Sinne einer ganzheitlichen liechtensteinischen Steuerstrategie für natürliche und juristische Personen erarbeitet.
Diese wurden von der Regierung des Fürstentums Liechtenstein im April und
im August 2008 verabschiedet. Auf dieser Grundlage hat die Regierung des
Fürstentums Liechtenstein im Januar 2009 einen entsprechenden Vernehmlassungsbericht vorgelegt und der Öffentlichkeit vorgestellt. Nach zahlreichen
Stellungnahmen und Eingaben von verschiedenen Verbänden, Personen und
Unternehmen wurden im Jahr 2010 ein Bericht und Antrag sowie eine Stellungnahme der Regierung an den Landtag des Fürstentums Liechtenstein
betreffend die Totalrevision des Gesetzes über die Landes- und Gemeindesteuern gerichtet. Der Landtag des Fürstentums Liechtenstein hat das neue Steuergesetz (SteG) am 23. September 2010 verabschiedet, das am 01. Januar 2011
in Kraft getreten ist.
Insgesamt knüpft die Steuerreformkonzeption an das bestehende liechtensteinische Steuergesetz an, das vor allem entsprechend den Erkenntnissen der
internationalen Steuerwissenschaften, den konkreten Erfahrungen mit zahlreichen Steuerreformen in anderen Staaten sowie den Grundgedanken und
Leitlinien der internationalen Wettbewerbsfähigkeit und Attraktivität sowie
der europarechtlichen, aber auch der verfassungsrechtlichen Konformität und
der internationalen Kompatibilität, der Steuergerechtigkeit, der Steuertradition
sowie der Entscheidungs- und Aufkommensneutralität konsequent fortentwickelt und ausgerichtet sowie in wesentlichen Teilen vollständig neu gestaltet
wurde. Dadurch soll auf der Grundlage der bisherigen liechtensteinischen
Steuertradition die Zukunftsfähigkeit und Attraktivität des Steuerstandortes
45
Martin Wenz
Liechtenstein grundlegend und nachhaltig gesichert und darüber hinaus die
Rechtssicherheit erhöht und das Steuergesetz vereinfacht werden.
Während die Besteuerung natürlicher Personen seit 2011 insbesondere durch
die klare Abgrenzung der persönlichen und sachlichen Steuerpflicht, die weitere Integration der Vermögens- und Erwerbssteuer und die vollkommen
neugestaltete Steuertarifstruktur charakterisiert ist, wurde die Besteuerung
juristischer Personen und vermögensverwaltender Strukturen und Investmentvehikel vollkommen neu gestaltet. Diese orientiert sich an der Entscheidungsneutralität der Besteuerung. Juristische Personen unterliegen als beschränkt oder unbeschränkt ertragssteuerpflichtige Steuersubjekte ausschliesslich der (Mindest-)Ertragssteuer mit einer flat rate in Höhe von 12,5 % unter
Berücksichtigung eines Eigenkapital-Zinsabzuges in Höhe von aktuell 4 %.
Im Ergebnis soll so ein in sich geschlossenes, marktorientiertes Gesamtsteuersystem zur erfolgreichen, international anerkannten Positionierung des
Fürstentums Liechtenstein zwischen Steuerwettbewerb, Steuerkoordination
und Steuerkooperation geschaffen werden, das nicht (mehr) auf einer incentiveorientierten, sondern auf einer allgemeingültigen, möglichst entscheidungsneutralen Gesamtsteuerstrategie basiert.
III. Das bisherige Steuersystem im Überblick
Das bis einschliesslich 2010 geltende Steuergesetz basiert im Wesentlichen auf
dem Stand von 1961, seine Wurzeln reichen allerdings noch erheblich weiter,
nämlich bis ins Jahr 1923 und dem Entwurf von Prof. Dr. Julius Landmann
zurück, da die im Jahr 1961 beabsichtigte Totalrevision nach dem Entwurf von
Prof. Dr. Willi Rigoleth damals nicht vollständig umgesetzt wurde. Das bislang
geltende Steuersystem basierte auf einer allgemeinen Vermögenssteuer mit
ergänzender Erwerbssteuer für natürliche Personen und einer Kapital- und
Ertragssteuer für Verbandspersonen (juristische Personen). Bestimmte Verbandspersonen unterlagen davon abweichend den ermässigten, besonderen
Gesellschaftssteuern. Daneben wurden eine Grundstücksgewinnsteuer auf
Gewinne bei der Veräusserung von inländischen Grundstücken, eine Couponsteuer auf bestimmte Ausschüttungen und Zinszahlungen, eine Nachlasssteuer auf im Inland fällig gewordene Verlassenschaften sowie eine Erbanfalls-
46
Die Liechtensteinische Steuerpolitik
oder Schenkungssteuer auf im Inland vollzogene Vermögenserwerbe von
Todes wegen oder durch Schenkung erhoben.
1.
Natürliche Personen: Vermögenssteuer mit ergänzender
Erwerbssteuer
Natürliche Personen unterlagen bislang mit ihrem gesamten inländischem
beweglichen und unbeweglichen Vermögen der Vermögenssteuer, soweit die
Freibeträge (CHF 70’000 für Alleinstehende und CHF 140’000 für Verheiratete) überschritten wurden. Der Erwerbssteuer unterlagen daneben sämtliche
Einkünfte, soweit diese nicht aus einem mit Vermögenssteuer belasteten Vermögen erzielt wurden. Aus dem steuerpflichtigen Vermögen und dem steuerpflichtigen Erwerb wurden, jeweils auf Basis der gesetzlichen Steuereinheiten,
multipliziert mit dem Steuersatz, entsprechende Steuerbetreffnisse gebildet,
die anschliessend zu einem gemeinsamen Steuerbetreffnis addiert wurden. Je
nach Höhe dieses gemeinsamen Steuerbetreffnisses wurde ein Progressionszuschlag angewendet, anschliessend konnte ein Verheirateten- oder Alleinerziehendenabzug geltend gemacht werden. Der somit gebildete Betrag bildete
die Landessteuer, die um den Gemeindezuschlag erhöht wurde, um die Gesamtsteuer einer natürlichen Person zu ermitteln.
2.
Verbandspersonen: Kapital- und Ertragssteuer –
­Couponsteuer
Verbandspersonen unterlagen bisher einer Kapitalsteuer auf ihr Eigenkapital
(einbezahltes Kapital zuzüglich der eigenes Vermögen darstellenden offenen
und versteuerten stillen Reserven) mit einem Steuersatz in Höhe von 2 ‰. Auf
den Reinertrag, der in Anlehnung an die handelsrechtliche Erfolgsrechnung
ermittelt wurde, wurde zusätzlich eine Ertragssteuer erhoben. Der Steuersatz
variierte zwischen 7,5 % und 20 % in Abhängigkeit sowohl der Ertrags- als
auch der Ausschüttungsintensität. Ohne gesetzliche Regelung wurde durch die
Verwaltungspraxis bei der Berechnung der Kapital- und der Ertragssteuer ein
Beteiligungsabzug gewährt, um zu verhindern, dass Beteiligungen und ausgeschüttete Gewinne insbesondere einer Tochtergesellschaft steuerlich doppelt
belastet werden. Bei Ausschüttungen fiel zudem regelmässig eine 4 %-ige
Couponsteuer an.
47
Martin Wenz
IV.
Besteuerung natürlicher Personen: Vermögensund Erwerbssteuer
1.
Steuersystematische Grundlagen
Natürliche Personen unterliegen in Liechtenstein nach dem SteG auch weiterhin einer Vermögenssteuer mit ergänzender Erwerbssteuer. Die Vermögenssteuer wird in die Erwerbssteuer mittels eines standardisierten Vermögensertrags (Sollertrags) überführt (integriert). Der Sollertrag stellt dementsprechend
eine eigene Erwerbsart dar. Er beträgt 4 % des steuerpflichtigen Vermögens
für das Jahr 2012. Die Höhe des Sollertrags wird jährlich durch das Finanzgesetz bestimmt.
Zur Vermeidung von Doppelbelastungen mit Vermögens- und Erwerbssteuer
wird im betrieblichen Bereich zudem ein Eigenkapital-Zinsabzug als eine
geschäftsmässig begründete Aufwendung gewährt. Der Eigenkapital-Zinsabzug stellt eine angemessene Verzinsung des modifizierten Eigenkapitals dar.
Die Höhe der Verzinsung entspricht dem Sollertrag und beträgt für das Jahr
2012 somit ebenfalls 4 %.
2.
Persönliche Steuerpflicht
Natürliche Personen sind mit ihrem gesamten Vermögen und Erwerb in Liechtenstein unbeschränkt vermögens- und erwerbssteuerpflichtig, wenn sie einen
Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland begründen. Dagegen sind
natürliche Personen ohne einen Wohnsitz und ohne einen gewöhnlichen Aufenthalt in Liechtenstein nur dann beschränkt vermögens- und erwerbssteuerpflichtig, sofern sie über inländisches Vermögen, wie Grundstücke und Betriebsstätten verfügen, oder inländischen Erwerb, wie z.B. aus einer im Inland
ausgeübten selbständigen oder unselbständigen Tätigkeit, erzielen.
3.
Sachliche Steuerpflicht
Unbeschränkt vermögens- und erwerbssteuerpflichtige Personen sind in
Liechtenstein mit ihrem gesamten Vermögen und ihrem gesamten Erwerb
steuerpflichtig. Die sachliche Steuerpflicht umfasst das gesamte bewegliche
48
Die Liechtensteinische Steuerpolitik
und unbewegliche Vermögen im In- und Ausland sowie alle in Geld oder Geldeswert bestehenden Einkünfte aus dem In- und Ausland.
Von der liechtensteinischen Vermögenssteuerpflicht befreit sind ausländische
Grundstücke und Betriebsstätten. Das im Ausland befindliche Vermögen sowie der daraus erzielte Sollertrag sind lediglich für die Tarifberechnung (Progressionsermittlung) relevant. Zum steuerbefreiten Erwerb zählen der Erwerb
aus Land- und Forstwirtschaft im Ausland und aus ausländischen Betriebsstätten, Erbschaften, Vermächtnisse, Schenkungen, Bezüge aus Familienausgleichskassen, Kranken- und Unfallversicherungen, Grundstücksgewinne,
Kapitalgewinne aus dem Privatvermögen, Dividenden und Kapitalgewinne
aus Beteiligungen etc. Von der Erwerbssteuerpflicht ausgenommen sind zudem Erträge aus dem Vermögen (z.B. Dividenden, Zinsen, Mieterträge), auf
welches der Steuerpflichtiger bereits die Vermögenssteuer entrichtet hat.
Zur Ermittlung des steuerpflichtigen Vermögens werden Freibeträge sowie
Schulden des Steuerpflichtigen in Abzug gebracht. Der Schuldenabzug wird
nur anteilig im Verhältnis des in Liechtenstein steuerpflichtigen Vermögens
zum Gesamtvermögen gewährt.
Der steuerpflichtige Erwerb wird unter Berücksichtigung der Gewinnungskosten, Versicherungsbeiträge, Freibeträge für Renten und Pensionen, steuerfreien Beträge und übrigen persönlichen Abzüge ermittelt. Selbständig erwerbende können zudem Geschäftsverluste aus den Vorjahren und Verluste aus ausländischen Betriebsstätten vom Reingewinn der inländischen Betriebsstätte
abziehen. Die noch nicht verrechneten Verluste sind zeitlich unbegrenzt vortragsfähig.
Der Steuertarif der Vermögens- und Erwerbssteuer ist progressiv ausgestaltet
und stellt einen 7-Stufen-Tarif dar: 1 %, 3 %, 4 %, 5 %, 6 %, 6,5 % und 7 %. Der
Steuertarifverlauf unterscheidet zwischen Alleinerziehenden, gemeinsam zu
veranlagenden Ehegatten und alle übrigen Steuerpflichtigen. Auf die Landessteuer erheben die Gemeinden einen Gemeindesteuerzuschlag, der zwischen
150 %–250 % betragen kann.
Bei beschränkt steuerpflichtigen Personen erstreckt sich die sachliche Steuerpflicht lediglich auf inländisches Vermögen und inländischen Erwerb. Zum
inländischen Vermögen gehören Grundstücke und Betriebsstätten in Liechtenstein. Der inländische Erwerb umfasst den Erwerb aus Land- und Forstwirtschaft in Liechtenstein, aus inländischen Betriebsstätten, aus im Inland ausge-
49
Martin Wenz
übter unselbständiger Tätigkeit sowie Ersatzeinkünfte in Liechtenstein, aus
Vergütungen an Verwaltungsrats- und Stiftungsratsmitglieder, aus Leistungen
aus der AHV/IV, der betrieblichen Personalvorsorge oder einem Pensionsfonds, aus Leistungen aufgrund der Auflösung einer Freizügigkeitspolice oder
eines Sperrkontos sowie aus dem Sollertrag des inländischen, steuerpflichtigen
Vermögens.
V.
Besteuerung juristischer Personen: Ertragssteuer
1.
Steuersystematische Grundlagen
Juristische Personen (Körperschaften, Anstalten, Stiftungen, Investmentfonds, Treuunternehmen mit Persönlichkeit) unterliegen mit ihrem steuerpflichtigen Reinertrag der Ertragssteuer. Die Besteuerung erfolgt aufgrund des
Trennungsprinzips nur auf Ebene der juristischen Person, sodass es zu einer
Abschirmwirkung gegenüber den Gesellschaftern und Begünstigten kommt.
Vertragsbeziehungen zwischen einer juristischen Person und ihren Gesellschaftern haben den Fremdvergleichsgrundsatz zu berücksichtigen (dealings
at arm’s-length).
Auf Ebene der Gesellschafter ist steuerlich zwischen natürlichen und juristischen Personen als Anteilseigner zu unterscheiden. Während natürliche Personen mit ihren Anteilen der Vermögensteuer unterliegen, fällt auf Ebene von
juristischen Personen als Gesellschafter zur Vermeidung von Doppelbelastungen keine Ertragssteuer an: Beteiligungsprivileg. Im nationalen und internationalen Kontext wird in Liechtenstein im Falle einer Zahlung von Dividenden,
Zinsen oder Lizenzen generell keine Quellensteuer einbehalten.
2.
Persönliche Steuerpflicht
Eine juristische Person mit Sitz oder Ort der tatsächlichen Verwaltung im Inland ist in Liechtenstein unbeschränkt ertragssteuerpflichtig. Im Rahmen der
unbeschränkten Ertragssteuerpflicht sind die gesamten steuerpflichtigen Erträge aus dem In- und Ausland zu versteuern (Welteinkommensprinzip).
Verfügt eine juristische Person dagegen weder über einen Sitz noch über einen
Ort der tatsächlichen Verwaltung im Inland ist sie in Liechtenstein nur mit
50
Die Liechtensteinische Steuerpolitik
ihren dort erzielten inländischen Erträgen beschränkt ertragssteuerpflichtig.
In der Folge sind für beschränkt steuerpflichtige juristische Personen Abzüge
nur insoweit möglich als sie mit inländischen Erträgen in einem wirtschaftlichen Zusammenhang stehen.
3.
Sachliche Steuerpflicht
Der steuerpflichtige Reinertrag als Differenz der gesamten Erträge gekürzt um
die geschäftsmässig begründeten Aufwendungen unterliegt einem proportionalen Steuersatz in Höhe von 12,5 %.
Von der Ertragssteuer befreit sind Erträge aus Land- und Forstwirtschaft im
Ausland, ausländische Betriebsstättenergebnisse, Miet- und Pachterträge aus
Grundstücken im Ausland, inländische Grundstücksgewinne (soweit sie der
Grundstücksgewinnsteuer unterliegen), ausländische Grundstücksgewinne,
in- und ausländische Dividenden, Kapitalgewinne und Liquidationsgewinne
aus Beteiligungen im In- und Ausland, Erträge von Investmentfonds sowie
Erträge von Pensionsfonds.
Im Rahmen der Steuerberechnung ist neben der gezahlten ausländischen Steuer auch die Mindestertragssteuer in Höhe von CHF 1’200 anrechenbar. Die
Mindestertragssteuer fällt nicht an, sofern die Bilanzsumme eines gewerblichen Betriebs die Höhe von CHF 500’000 nicht übersteigt (bezugnehmend auf
die durchschnittliche Bilanzsumme der letzten drei Jahre).
Die Gleichstellung von Eigen- und Fremdkapital ordentlich besteuerter juristischer Personen wird insbesondere mithilfe des Eigenkapital-Zinsabzugs sichergesellt. Demnach sind nicht nur (fremdvergleichskonforme) Aufwendungen für Fremdkapitalzinsen abziehbar, sondern es erfolgt zudem auch eine
Zinsbereinigung durch die Abzugsmöglichkeit fiktiver Eigenkapitalzinsen.
Dementsprechend gilt die angemessene Verzinsung des sog. modifizierten
Eigenkapitals in Höhe des Sollertrags von 4 % als geschäftsmässig begründete Aufwendung. Die Bewertung des modifizierten Eigenkapitals erfolgt auf
den Beginn des Geschäftsjahres unter Berücksichtigung verschiedener Modifikationen.
Bei Vorliegen von Immaterialgüterrechten ermöglicht das optionale IP-BoxRegime eine 80 %-ige Steuerfreistellung der positiven Einkünften, indem
diese als geschäftsmässig begründete Aufwendung zum Abzug gebracht wer-
51
Martin Wenz
den können. Als Immaterialgüterrechte gelten Patente, Marken und Design
(sofern in einem Register eingetragen) sowie Software und medizinische,
technische und naturwissenschaftliche Datenbanken. Dabei wird jedes Immaterialgut einzeln betrachtet.
Betreffend einer Verlustverrechnung (mit zeitlich unbegrenzter Vortragsmöglichkeit) besteht auf Ebene eines Stammhauses neben der Verrechnung von
eigenen sowie von Betriebsstättenverlusten zudem auch die Möglichkeit,
durch die Bildung einer Gruppe eine nationale wie auch grenzüberschreitende
(jedoch lediglich temporäre) Verlustverrechnung vorzunehmen: In Bezug auf
die Möglichkeiten der Verrechnung ausländischer Betriebsstättenverluste ist
zu beachten, dass diese nicht schon im Ausland berücksichtigt wurden (keine
doppelte Verlustnutzung möglich). Bei der Ermittlung dieser Verluste ist das
liechtensteinische Steuerrecht heranzuziehen. Ferner sieht das neue Steuergesetz eine Nachversteuerung vor, sobald die ausländische Betriebsstätte wieder
Gewinne erzielt. Zu einer Nachversteuerung der noch nicht ausgeglichenen
Verluste kommt es zudem, wenn die unbeschränkte Steuerpflicht aufgegeben
wird. Die Bildung einer Gruppe von verbundenen Unternehmen zum Ausgleich von Verlusten kann individuell erfolgen. Sofern die entsprechenden
Voraussetzungen erfüllt sind, führt die Gruppenbesteuerung zu einer anteiligen Zurechnung von Verlusten eines Jahres. Es ist sowohl die Verlustzurechnung zum Gruppenträger als auch zu einem anderen Gruppenmitglied in
Liechtenstein möglich. Zwar können Vorgruppenverluste nicht verrechnet
werden, dennoch bleiben die individuellen Verlustvorträge der beteiligten
Gesellschaften weiterhin bestehen.
Im Ergebnis kommt es durch die Gruppenbesteuerung lediglich zu einem
Steueraufschub und damit zu einem Steuerstundungseffekt, da umfassende
Nachversteuerungsregelungen existieren. Diese kommen immer dann zur
Anwendung, wenn zukünftig Gewinne generiert werden, Gesellschaften aus
der Gruppe austreten, eine Beteiligungsabschreibung vorgenommen wird oder
wenn die Beteiligungsquote reduziert wird.
Umstrukturierungen sind sowohl national als auch grenzüberschreitend immer dann steuerneutral möglich, sofern die inländischen Besteuerungsrechte
fortbestehen und die Buchwerte fortgeführt werden (Ergebnis: Steueraufschub). Neben der anteiligen Übertragung von Verlustvorträgen auf den übernehmenden Rechtsträger gilt ein Übernahmegewinn oder -verlust als steuerfrei. Zur Missbrauchsverhinderung kommt es jedoch zu einer Besteuerung des
52
Die Liechtensteinische Steuerpolitik
Einbringungsgewinns, wenn die eingebrachten Werte den Verkehrswert unterschreiten und wenn die Beteiligung innerhalb von fünf Jahren veräussert
wird. Ein Konfusionsgewinn hingegen ist immer steuerpflichtig und kann auf
drei Jahre verteilt besteuert werden.
Abschreibungen und Wertberichtigungen von Beteiligungen sind zulässig,
sofern die entsprechenden Wertminderungen voraussichtlich dauerhaft oder
bereits realisiert sind. Allerdings existiert eine Zuschreibungspflicht, wenn die
Gründe für eine dauerhafte Wertminderung entfallen. Die Zuschreibung ist
auf die Höhe der vorgenommenen Abschreibung oder Wertminderung begrenzt. Bis zur Höhe von nicht wieder aufgeholten Abschreibungen oder
Wertberichtigungen ist die Steuerbefreiung von Kapitalgewinnen aus Beteiligungen nicht zu gewähren. Als Abschreibungsbasis werden die Anschaffungskosten oder die Abschreibungsbasis der nahestehenden Person herangezogen.
Hinsichtlich möglicher Ersatzbeschaffungen besteht die Möglichkeit, beim
Ausscheiden eines Vermögensgegenstands aus dem betrieblichen Anlagevermögen eine steuerneutrale Übertragung der stillen Reserven auf ein Ersatzobjekt vorzunehmen. Dabei muss das Ersatzobjekt ein Vermögensgegenstand des
betriebsnotwendigen Anlagevermögens sein und damit unmittelbar dem Betrieb dienen. Für die Ersatzbeschaffung müssen wirtschaftliche, rechtliche,
technische oder tatsächliche Gründe vorliegen. Ferner ist sicherzustellen, dass
das inländische Besteuerungsrecht bestehen bleibt. Es besteht die Möglichkeit,
eine Rücklage zu bilden, falls die Ersatzbeschaffung nicht im gleichen Geschäftsjahr erfolgt.
Juristische Personen unterliegen auf Antrag als sog. Privatvermögensstruktur
(PVS) dagegen nur der Mindestertragssteuer. Eine ordentliche Veranlagung ist
somit nicht erforderlich. Die Errichtung einer durch die EFTA-Überwachungsbehörde (ESA) als europarechtskonform anerkannten PVS ist jedoch an die
Voraussetzung gebunden, dass diese lediglich vermögensverwaltend und nicht
wirtschaftlich tätig ist. Als zulässige Tätigkeiten gelten insbesondere das Erwerben, Halten, Verwalten und Veräussern von Finanzinstrumenten, Beteiligungen, liquiden Geldern und Bankkontoguthaben. Auch die passive Erzielung von Einnahmen durch die blosse Ausübung des Eigentums sowie die
Umsetzung von konkreten Vorgaben des Investors ist möglich. Eine Übertragung von Aufgaben an unabhängige Dritte aber auch das Treffen eigener
Entscheidungen über die Gewinnverwendung stehen einer PVS dagegen nicht
entgegen. Demgegenüber ist es einer PVS nicht gestattet, zum einen die aktive
53
Martin Wenz
Erzielung von Einnahmen durch die Nutzung der gehaltenen Vermögenswerte voranzutreiben, zum anderen darf eine PVS keine Güter oder Dienstleistungen auf einem Markt anbieten.
VI.
Grundstücksgewinnsteuer
Gewinne aus der Veräusserung inländischer Grundstücke unterliegen in
Liechtenstein sowohl bei natürlichen als auch bei juristischen Personen der
Grundstücksgewinnsteuer. Die Bemessungsgrundlage für die Grundstücksgewinnsteuer bildet der steuerpflichtiger Grundstücksgewinn. Dieser ergibt sich
aus der Differenz zwischen dem Veräusserungserlös (Kaufpreis inkl. aller
weiteren Leistungen des Erwerbers) und den Anlagekosten (ursprünglicher
Erwerbspreis inkl. wertvermehrender Aufwendungen) und der auf dem
Grundstück erlittenen Verluste (Substanzverluste). Auf den steuerpflichtigen
Grundstücksgewinn findet für natürliche und juristischen Personen der Erwerbssteuertarif für Alleinstehende Anwendung. Zudem wird ein einheitlicher
Zuschlag anstelle des Gemeindezuschlages in Höhe von 200% erhoben. Inländische Grundstücksgewinne sind von der Erwerbs- und Ertragssteuer befreit.
Verluste aus der Veräusserung inländischer Geschäftsgrundstücke sind bei der
Erwerbs- und Ertragssteuer abzugsfähig.
VII. Besteuerung von Gesellschaften ohne Persönlichkeit
(Personengesellschaften)
Gesellschaften ohne Persönlichkeit (Personenrechtliche Gemeinschaften, Personengesellschaften) werden steuerlich generell transparent behandelt werden.
Dh, dass auf Ebene der personenrechtlichen Gemeinschaften keine Besteuerung stattfindet, diese vielmehr nur auf Ebene der Gesellschafter in deren jeweiligen Ansässigkeits- oder im Quellenstaat erfolgen kann im Wege der
Zurechnung der steuerlich relevanten Tatbestände auf die Gesellschafter:
Transparenzprinzip. Zu einer inländischen Besteuerung natürlicher oder juristischer Personen als Gesellschafter einer Personengesellschaft kommt es somit
insbesondere nur dann, wenn eine personenrechtliche Gemeinschaft eine inländische Betriebsstätte unterhält, über inländisches Grundvermögen verfügt,
die Anteile an der personenrechtlichen Gemeinschaft einer inländischen Be-
54
Die Liechtensteinische Steuerpolitik
triebsstätte zuzuordnen sind und/oder die Gesellschafter steuerlich in Liechtenstein ansässig sind.
VIII. Besteuerung von Stiftungen
Sowohl widerrufliche als auch unwiderrufliche Stiftungen unterliegen als juristischen Personen grundsätzlich der ordentlichen Ertragsbesteuerung. Da bei
widerruflichen Stiftungen das Stiftungsvermögen dem Stifter zugerechnet
wird, werden auf Ebene der Stiftung insoweit keine Erträge erzielt. Es fällt
lediglich die Mindestertragssteuer in Höhe von CHF 1’200 an. Unwiderrufliche Stiftungen entrichten die Ertragssteuer in Höhe von 12,5 % des steuerpflichtigen Reinertrags. Für ausschliesslich vermögensverwaltende Stiftungen
besteht auf Antrag eine Option zur Besteuerung als Privatvermögensstruktur.
Bei einer widerruflichen Stiftung wird das Stiftungsvermögen steuerlich weiterhin dem Stifter zugerechnet und von diesem versteuert. Bei einer unwiderruflichen Stiftung wird das Stiftungsvermögen steuerlich dagegen der Stiftung
zugerechnet, weshalb sich der Stifter insoweit auch steuerlich vom gestifteten
Vermögen trennt. Die Vermögenssteuerpflicht geht auf die Begünstigten mit
wertmässig bestimmbaren Begünstigungen über. Sind die Begünstigungen
allerdings nicht wertmässig bestimmbar oder die Begünstigten nicht vermögenssteuerpflichtig, kann Widmungssteuer ausgelöst werden. Die Widmungssteuer fällt an, wenn durch Übertragung von Vermögen auf eine nicht steuerbefreite unwiderrufliche Stiftung dieses Vermögen nicht mehr der liechtensteinischen Vermögenssteuer unterliegt. Die Widmungssteuer beträgt 2,5 % des
vermögenssteuerlichen Wertes der Zuwendung zuzüglich des Gemeindesteuerzuschlages. Auf Antrag besteht die Möglichkeit der stellvertretenden Entrichtung der Vermögenssteuer durch die Stiftung anstelle des Stifters bzw. der
Begünstigten zur Vermeidung der Widmungssteuer.
Zuwendungen einer widerruflichen Stiftung gelten steuerlich als direkte Vermögensübertragungen vom Stifter auf die Begünstigten. Die Vermögenssteuerpflicht des Stifters für das ausgeschüttete Vermögen geht auf die Begünstigten über. Ausschüttungen aus unwiderruflichen Stiftungen an Begünstigte mit
wertmässig bestimmbaren Begünstigungen lösen keine Besteuerungstatbestände aus, da die Begünstigtenrechte bereits von der Vermögenssteuerpflicht
erfasst sind. Sind Begünstigungen nicht wertmässig bestimmbar, fällt bei in-
55
Martin Wenz
ländischen Begünstigten auf Ausschüttungen aus unwiderruflichen Stiftungen
die Erwerbssteuer an. Stiftungszuwendungen an ausländische Begünstigte
begründen in Liechtenstein keine beschränkte Steuerpflicht, weshalb auch
keine Quellensteuer erhoben wird.
IX.
Besteuerung von Trusts
Trusts ohne Persönlichkeit sind keine juristische Personen. Sie können daher
auch nicht der ordentlichen Ertragsbesteuerung in Liechtenstein unterliegen.
Trusts mit Sitz oder Ort der tatsächlichen Verwaltung in Liechtenstein haben
aus Wettbewerbsgründen dennoch die Mindestertragssteuer in Höhe von CHF
1’200 zu entrichten, sie werden allerdings nicht veranlagt. Trusts können darüber hinaus eine beschränkte Ertragssteuerpflicht begründen, sofern sie selbst
über inländische Erträge verfügen. Die Mindestertragssteuer fällt insoweit im
Rahmen der Veranlagung an und wird auf die Ertragssteuer angerechnet.
X.
Besteuerung von Investmentfonds (UCITS/IUG/
AIFMG)
Sämtliche kollektive Kapitalanlagen mit vertraglicher oder körperschaftlicher
Fondsstruktur werden in Übereinstimmung mit dem international anerkannten Grundsatz der steuerlichen Transparenz behandelt. Danach sind sowohl
thesaurierende als auch ausschüttende Fonds selbst im Ergebnis nicht steuerpflichtig. Eine Besteuerung erfolgt vielmehr nur auf Ebene der Anteilsinhaber
in deren jeweiligen Ansässigkeitsstaat.
Auf Private Equity Gesellschaften in der Form einer Kommanditgesellschaft
soll wie auf alle personenrechtlichen Gemeinschaften der Grundsatz der steuerlichen Transparenz Anwendung finden (so). Daraus folgt, dass es nur auf
Ebene der Gesellschafter in deren jeweiligen Ansässigkeits- oder im Quellenstaat zu einer Besteuerung auf Basis einer Zurechnung der steuerlich relevanten Tatbestände zu den einzelnen Gesellschaftern kommen kann.
Private Equity Gesellschaften in der Rechtsform einer juristischen Person
unterliegen entweder der ordentlichen Ertragsbesteuerung oder werden auf
56
Die Liechtensteinische Steuerpolitik
Antrag als Privatvermögensstrukturen besteuert, falls sie die Voraussetzungen
hierzu erfüllen.
XI.
Reform der internationalen Steuerkooperation in
Liechtenstein
Im Anschluss an die Verkündigung der Liechtenstein-Erklärung im Jahr 2009
hat Liechtenstein über 35 (!) Doppelbesteuerungs- und Steuerinformationsabkommen abgeschlossen. Diese Abkommen erfüllen den OECD Standard uneingeschränkt und sind grösstenteils auch bereits in Kraft getreten und können
angewendet werden.
Doppelbesteuerungsabkommen
•• Bahrain
•• Deutschland
•• Hong Kong
•• Georgien
•• Grossbritannien
•• Luxemburg
•• Österreich
•• San Marino
•• Schweiz
•• Singapur
•• Uruguay
Steuerinformationsabkommen
•• Andorra
•• Antigua and Barbuda
•• Australien
•• Belgien
•• China
•• Dänemark
57
Martin Wenz
•• Deutschland
•• Färöer
•• Frankreich
•• Grossbritannien
•• Grönland
•• Irland
•• Island
•• Japan
•• Mexiko
•• Monaco
•• Niederlande
•• Norwegen
•• Schweden
•• St. Kitts and Nevis
•• St. Vincent and the Grenadines
•• Südafrika
•• USA
Das Fürstentum Liechtenstein hat ferner mit der EU und seinen Mitgliedstaaten am 7. Dezember 2004 ein Abkommen über die Besteuerung von Zinserträgen (Zinsbesteuerungsabkommen) und speziell mit Grossbritannien am
11. August 2009 ein Offenlegungsprogramm zur Legalisierung nicht deklarierter Kundengelder (Liechtenstein Disclosure Facility, LDF) vereinbart.
XII. Bedeutung des neuen liechtensteinischen
­Steuerrechts für den Finanzplatz Liechtenstein
Durch den umfassenden Reformprozess, den das Fürstentum Liechtenstein in
den letzten Jahren insbesondere im Bereich der Steuerpolitik, des nationalen
und des internationalen Steuerrechts sowie der internationalen Steuerkooperation vollzogen hat, wurden die zentralen Voraussetzungen dafür geschaffen,
dass sich Liechtenstein auch zukünftig als international erfolgreicher Steuer-
58
Die Liechtensteinische Steuerpolitik
standort zwischen dem zunehmenden Steuerwettbewerb einerseits und der
umfassender werdenden Steuerkoordination und Steuerkooperation andererseits durch sein marktorientiertes Gesamtsteuersystem und nicht (mehr) durch
eine incentiveorientierte Steuerstrategie sowie durch seine umfassende internationale Steuerkooperation positionieren kann. Natürliche Personen einerseits sowie juristische Personen und die verschiedenen liechtensteinischen und
ausländischen Investmentvehikel andererseits unterliegen einem einheitlichen
in sich geschlossenen Gesamtbesteuerungssystem.
Dieses kommt sowohl internationalen und speziell europarechtlichen als auch
ökonomischen Anforderungen und Erwartungen an ein modernes Steuersystem konsequent und wettbewerbsorientiert nach. Darüber hinaus können dadurch internationale Steuerplanungsstrategien für liechtensteinische Unternehmen, Vermögensstrukturen und -anlagen sowie deren in- und ausländische
Investoren nachhaltig entwickelt und geschaffen wie auch potenziellen Änderungen z.B. der EU-Zinsbesteuerung umfassend Rechnung getragen werden
kann.
Damit hat das Fürstentum Liechtenstein in den letzten Jahren nicht nur einen
umfassenden Reformprozess insbesondere im Bereich der Steuerpolitik, des
nationalen und des internationalen Steuerrechts sowie der internationalen
Steuerkooperation vollzogen. Vielmehr hat sich das Fürstentum Liechtenstein
als Steuerstandort vollständig neu aufgestellt und verfügt heute sowohl über
ein modernes, attraktives und wettbewerbsfähiges sowie va auch international
anerkanntes und europarechtskonformes Steuersystem als auch über zahlreiche bilaterale Doppelbesteuerungs- und Steuerinformationsabkommen. Diese
Entwicklung kann auch für diejenige des Finanzplatzes Liechtenstein nicht
hoch genug eingestuft werden.
59
Schiedsstandort Liechtenstein
Johannes Gasser1
Inhaltsübersicht
A. Einführung
B. Die wichtigsten Neuerungen des inländischen Schiedsverfahrens im Überblick
1. Grundsätze
a) Vorbilder des neuen Gesetzes
b) Attraktivität und Vorteile der neuen Rechtslage
c) Inkrafttreten und Übergangsbestimmungen
2. Schiedsfähigkeit
a) Was ist schiedsfähig?
b) Wer ist schiedsfähig?
(i)Verbandspersonen mit Mitgliedern
(ii)Verbandspersonen ohne Mitglieder und Trusts
3. Form der Schiedsvereinbarung
a) Schriftform
b) Sind Stiftungen Konsumenten?
4. Zuständigkeitsstreit zwischen Schieds- und Staatlichen Gerichten
a) Priorität der Schiedsverfahren
b) Wenn Schiedsgerichte früher einschreiten
c) Wenn staatliche Gerichte früher einschreiten
d) Abweichungsverbot bei Parallelität von Schieds- und staatlichen
Gerichtsverfahren
e) Schiedsklauseln bedeuten keinen Rechtsschutzverzicht
5. Einstweilige Massnahmen
a) Grundsätze
b) Vollzug und zulässige Massnahmen
c) Vorteile einer EV ordentlicher Gerichte
d) Vorteile einer Massnahmenentscheidung von Schiedsgerichten,
deren Vollzug von ordentlichen Gerichten verfügt wird
6. Weitere Neuerungen
a) Aktorische Kaution?
b) Schiedsspruch mit vereinbartem Wortlaut
7. Aufhebung des Schiedsspruchs
a) Aufhebungsklage
b) Aufhebungsgründe
1
62
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Dieser Beitrag wurde erstveröffentlicht in: Die Privatstiftung. Nationales und internationales Stiftungsrecht (Ausgabe 3/2012).
61
Johannes Gasser
c) Öffentlichkeit des Aufhebungsverfahrens?
Liechtenstein Rules of Arbitration
1. Einführung
2. Die milestone der Liechtenstein Rules
a) Vertraulichkeit
b) Verfahren
c) Kosten
d) Schiedsrichterhaftung
e) Kommissär
D. Ausblick
Schiedsordnung der Liechtensteinischen Industrie- und Handelskammer
Rules of Arbitration of the Liechtenstein Chamber of Commerce and Industry
C.
A.
89
90
90
92
92
93
94
95
95
96
98
124
Einführung
Liechtenstein verfügt über eine mustergültig funktionierende Justiz. Gerichtsverfahren werden von einer engagierten Richterschaft, die sich aus Liechtenstein, Österreich und der Schweiz rekrutiert, zügig vorangetrieben. Berufsrichter stellen die überwiegende Zahl der in der Rechtsprechung tätigen Richter.
Obwohl in den höheren Instanzen auch Laienrichter vorgesehen sind, werden
in den Senaten des Obersten Gerichtshofes (FL OGH) neben Berufsrichtern
nahezu ausschliesslich rechtskundige und erfahrene Laienrichter tätig. Trotz
dreier Instanzen (Landgericht, Obergericht und Oberster Gerichtshof) in Zivilund Strafsachen dauern Verfahren im Regelfall nicht viel länger als zwei
Jahre. Die Mehrstufigkeit der Verfahren gewährleistet ein Maximum an
Rechtssicherheit. Sogenannte Willkürbeschwerden, die beim Staats- als Verfassungsgerichtshof (StGH) eingebracht werden können, verlängern mit einer
durchschnittlichen zusätzlichen Verfahrensdauer von einem Jahr den Gesamtprozess zwar nicht unwesentlich, stellen aber «als letzte Verteidigungslinie des
Rechts»2 sicher, dass grobe Verfahrensfehlern oder stossend unrichtige Rechtsanwendung zur Verfahrensaufhebung führen. Dabei legt der StGH aber stets
Wert auf die Aussage, dass er keine vierte Instanz darstelle.3 Rechtsschutz in
idealtypischer Form wird dadurch nicht nur in der liechtensteinischen Verfassung garantiert, sondern ist erfreulicherweise Realität.
2
3
62
Siehe StGH 1995/28, LES 1998, 6 [11 Erw. 2.2] und zuletzt StGH 2007/88 (www.gerichtsentscheide.li).
StGH 2008/82; StGH 2010/057 (www.gerichtsentscheide.li).
Schiedsstandort Liechtenstein
Trotzdem sind drei Instanzen sowie ein Weg zum StGH für viele Prozessparteien zu lange. Dort wird nur im Ausnahmefall die Öffentlichkeit ausgeschlossen. Internationale Sachverhalte resultieren in oft komplexer und langwieriger
Beweisaufnahme. Und zudem war Liechtenstein bisher als Standort für die
Austragung zivilgerichtlicher Auseinandersetzungen zwischen ausländischen
Prozessparteien nicht immer attraktiv, weil die siegreiche Prozesspartei nur im
Ausnahmefall (es bestehen nur Vollstreckungsübereinkommen mit Österreich
und der Schweiz)4 ihren Prozesserfolg im Ausland durchzusetzen vermochte.
Gerichtsprozesse in Liechtenstein waren und sind daher vor allem dann sinnvoll oder sogar unausweichlich, wenn die beklagte Partei ihren Sitz und/oder
Vermögen im Inland (oder eben in Österreich oder der Schweiz) hat, in das
vollstreckt werden kann. Das ist aber bei den tausenden Stiftungen, Anstalten,
Trusts und anderen üblicherweise fiduziarisch errichteten und verwalteten
Rechtsträgern liechtensteinischen Zuschnitts, die auch als Sitz- oder Holdinggesellschaften tituliert werden, nicht immer der Fall. Und dennoch hat Liechtenstein als Drehscheibe international dominierter Zivilprozesse in den vergangenen Jahren zunehmend an Bedeutung gewonnen.5
Nicht dass die Lösung für Liechtenstein darin zu finden wäre, sich einfach den
zahlreichen internationalen Zuständigkeits-, Anerkennungs- oder Vollstreckungsabkommen für zivilgerichtliche Verfahren anzuschliessen. Nur zu
schnell wären Liechtensteins Prozessparteien ausländischen Richtern «ausgeliefert», was dazu führen könnte, dass liechtensteinisches Recht (insbesondere
Gesellschafts- und Stiftungsrecht) missverstanden wird oder z.B. liechtensteinische Stiftungen – wie die (zumindest vorläufigen) Prozessergebnisse von viel
4
5
Vgl. Abkommen zwischen Fürstentum Liechtenstein und der Republik Österreich
über die Anerkennung und Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen, Schiedssprüchen, Vergleichen und öffentlichen Urkunden vom 5.7.1973, LGBl 1975/20; Abkommen zwischen Fürstentum Liechtenstein und der Schweizerischen Eidgenossenschaft über die Anerkennung und Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen
und Schiedssprüchen vom 25.4.1968, LGBl 1970/14.
Zu den möglichen Gründen dafür vgl. Batliner /Gasser, Sind Schiedsklauseln zulasten Dritter gemäss Art. 6 EMRK zulässig?, in Baudenbacher-FS. (2007) 706 ff.; im
Folgenden: Batliner /Gasser in Baudenbacher-FS.
63
Johannes Gasser
diskutierten Verfahren beim OLG Stuttgart6 und OLG Düsseldorf 7 sowie vor
dem österreichischen Obersten Gerichtshof (OGH)8 unter Beweis gestellt haben – sogar pauschal als Werkzeug für Rechtsmissbrauch oder Gesetzesverletzungen verunglimpft werden.9
6
7
8
9
64
Urteil vom 29.6.2009, 5 U 40/09 (rk) in ZEV 2010, 265 (mit Anm. von Blum /Lennert), wonach die Ausstattung einer FL Stiftung mit Vermögenswerten durch einen
wirtschaftlichen Stifter, der sich gegenüber der Stiftungsverwaltung (insbesondere
betreffend Vermögensverwaltung) mit Mandatsvertrag umfassende Weisungsrechte
sowie ein Widerrufsrecht vorbehält, nach deutschem Recht als Scheingeschäft zu beurteilen sei, deshalb die Zustiftung nicht wirksam erfolgte und sohin durch die Erben
des wirtschaftlichen Stifters von den beklagten deutschen Begünstigten zurückgefordert werden könnte; vgl. dazu auch Lennert/Blum, Die weisungsgebundene Liechtensteinische Stiftung ein Vertrag zugunsten Dritter? Besprechung Urteil OLG Stuttgart
vom 29. Juni 2009, in LJZ 2010.
Teilurteil vom 30.4.2010, 22 U 126/06 in ZEV 2010, 528 (mit Anm. von Stucke und
Wachter), wonach eine liechtensteinische Familienstiftung in Deutschland wegen
Verstosses gegen den ordre public nicht anzuerkennen sei, wenn sie hauptsächlich der
Steuerhinterziehung diene – was sachverhaltsmässig offensichtlich von den Gerichten
freizügig unterstellt worden war; vgl. dazu auch Büch, Umgekehrter Durchgriff im
Stiftungskontext bei Steuerhinterziehung – zugleich Anmerkung zum Urteil des OLG
Düsseldorf vom 30.4.2010 in LJZ 2010, 101.
Urteil des öOGH 26.5.2010, 3 Ob 1/10h, wonach Liechtenstein eine «Steueroase» und
die liechtensteinische Stiftung ein «Briefkasten» für Bankkonten oder Wertpapierdepots (S. 18) sowie generell, u.a. wegen des Konkursprivilegs, der faktischen Beherrschung durch den Stifter, mangelnder gesetzlicher Unvereinbarkeitsbestimmungen oder der Anonymität der Stiftungserrichtung «missbrauchsanfällig» sei (S. 20).
Deshalb seien auch in Anfechtungsverfahren an das Erfordernis der Bösgläubigkeit
der Organe der Stiftung, die von einem Anfechtungsschuldner für die Stiftung Vermögenswerte in Empfang nähmen, keine zu hohen Anforderungen zu stellen; kommt
es im Anfechtungsrecht ansonsten zumindest auf die für den Empfänger erkennbare
Benachteiligungsabsicht des Schuldners an, genüge es bei der «missbrauchsanfälligen» liechtensteinischen Stiftung offenbar, dass der Stiftungsrat ein «ahnungsloses,
als Werkzeug missbrauchtes» Opfer (S. 23) war; vgl. dazu auch Schauer, Das neue
Stiftungsrecht in der Praxis – eine erste Zwischenbilanz unter besonderer Berücksichtigung der Rechtsprechung, Jahrbuch zum Liechtensteinischen Recht 2011/2012,
90 ff.
Vgl. auch die Entscheidung des dt Bundesverfassungesgerichtes vom 9.11.2010, 2 BvR
2101/09, http://www.bverfg.de/entscheidungen/rk20101109_2bvr210109.html, wonach
es unverständlicherweise in deutschen Verfahren kein Verwertungsverbot für Beweise gibt, die aus dem Ankauf von gestohlenen Bankdaten durch deutsche Behörden
stammen, was aber in der Schweiz und in Liechtenstein sowohl wegen Verletzung des
Bankgeheimnisses als auch wegen wirtschaftlichen Nachrichtendienstes (vgl. Art. 2
FL Staatsschutzgesetz und Art. 273 chStGB) gerichtlich strafbar ist.
Schiedsstandort Liechtenstein
Die Lösung hat Liechtenstein trefflich mit dem Beitritt zum New Yorker Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche vom 10.6.1958 (NYÜ)10gefunden, wodurch zumindest für schiedsgerichtliche Verfahren die insulare Stellung Liechtensteins aufgegeben und die
Pforte zum internationalen Wettbewerb des «forum shopping» weit aufgestossen wurde: Streitparteien können neuerdings auch mit Wirkung in Liechtenstein zivilrechtliche Auseinandersetzungen schnell, diskret11 und verhältnismässig günstig vor einem «privaten» ad hoc Schiedsgericht austragen, das sie
dafür zuvor relativ formlos zuständig gemacht haben, und dann erstrittene
Schiedsurteile im In- oder Ausland – neuerdings problemlos – vollstrecken.
Damit wird der Trend nachgezeichnet, der sich international längst und überaus dynamisch abgezeichnet hat: Die grossen Wirtschaftsstreitigkeiten finden
nicht mehr vor staatlichen Gerichten, sondern vor privaten Schiedsgerichten
statt.12
Der nachfolgende Beitrag soll die wichtigsten Neuerungen des liechtensteinischen Schiedsverfahrens aufzeigen. Dies bietet auch Gelegenheit, die neue
Schiedsordnung der Liechtensteinischen Industrie- und Handelskammer
(LIHK) vorzustellen, die auf eine Initiative von (schieds-) prozesserfahrenen
liechtensteinischen Rechtsanwälten zurück geht, und die das neue Gesetz zur
Verbesserung der Rechtsklarheit und Vermeidung von ungewollten Lücken
oder Schwierigkeiten ergänzen soll.
B.
Die wichtigsten Neuerungen des inländischen
Schiedsverfahrens im Überblick
1.
Grundsätze
a)
Vorbilder des neuen Gesetzes
Liechtenstein hat 2010 sein schiedsrichterliches Verfahren einer Totalrevision
unterzogen.13 Dabei orientiert sich die Revision stark am Model Law on Inter10
11
12
13
LGBl 2011/325; das NYÜ ist in Liechtenstein seit dem 5.10.2011 in Kraft.
Vgl. nur § 633 Abs. 3 und 4 ZPO.
Schumacher, Das neue Schiedsverfahren, LJZ 2011, 105 (im Folgenden kurz: Schumacher, Schiedsverfahren).
LGBl 2010/182, 183 und 184.
65
Johannes Gasser
national Commercial Arbitration («UNCITRAL Modellgesetz»), das eine
Vereinheitlichung des Schiedsrechts anstrebt, sowie an der österreichischen
Rezeptionsvorlage.14 Letztere stammte ursprünglich aus dem Jahr 1895 und
wurde 1912 in die liechtensteinische Zivilprozessordnung (ZPO) übernommen. Österreich hatte seinerseits 2006 sein Schiedsrecht einer grundlegenden
Revision unterzogen, die den Anstoss für die gegenständliche Gesetzesänderung bildete.
b)
Attraktivität und Vorteile der neuen Rechtslage
Der Gesetzgeber hat dabei ausdrücklich die Attraktivität des Schiedsstandortes Liechtenstein zum Leitmotiv und Ziel erklärt, die insbesondere in der
Verknüpfung des modernen und international harmonisierten Schiedsrechts
mit dem liberalen Gesellschaftsrecht Liechtensteins liege.15 Privatautonomie
ist ein Grundpfeiler der liechtensteinischen Rechtsordnung. Schiedsgerichtsbarkeit wiederum ist privatautonome Justizgewährung.16 Die liberale Ausgestaltung des Privat- und Gesellschaftsrechts sowie die Betonung der Privatautonomie in der liechtensteinischen Rechtsordnung rechtfertigen nicht nur,
sondern verlangen geradezu nach privatautonomer Justizgewährung. Nur
folgerichtig wird man daher inskünftig Schiedsklauseln generell extensiv
auslegen müssen, um dem Partei- oder Stifterwillen zum Durchbruch zu verhelfen.
Die Rezeption aus Österreich hat neben vielem den Vorteil, dass österreichische Judikatur und Lehre bedenkenlos auch für die Rechtsanwender in Liechtenstein herangezogen werden kann17, was wiederum Rechtssicherheit und
-kontinuität gewährleistet.18
14
15
16
17
18
66
Bericht und Antrag der Regierung an den Landtag des Fürstentums Liechtenstein
betreffend die Totalrevision des schiedsrichterlichen Verfahrens vom 28.10.2008,
Nr. 151/2008, 9 ff. (im Folgenden «BuA»); Stellungnahme der Regierung an den Landtag des Fürstentums Liechtenstein anlässlich der ersten Lesung betreffend die Totalrevision des schiedsrichterlichen Verfahrens aufgeworfenen Fragen vom 4.5.2010,
Nr. 53/2010, 7 f. («Stellungnahme»).
BuA 9; Stellungnahme 6.
Hausmaninger in Fasching/Konecny2 (2007) IV/2 § 611 ZPO Rz. 3 (im Folgenden
kurz: Hausmaninger).
Vgl. zur Bedeutung österreichischer bzw Schweizer Rechtsprechung und Lehre in
Liechtenstein nur FL OGH in LES 2005, 100.
Vgl. dazu nur Peter Mayr, Das neue Schiedsverfahrensrecht in Liechtenstein – Teil 1,
Jus & News 2010, 297 (299) (im Folgenden kurz: Mayr, Schiedsverfahrensrecht 1).
Schiedsstandort Liechtenstein
Über die Vorzüge schiedsrichterlicher Verfahren gegenüber solchen vor staatlichen Gerichten ist viel geschrieben worden. Schiedsverfahren tragen der
Internationalisierung von Wirtschaftsdisputen besser Rechnung, sie sind prinzipiell flexibler, nicht-öffentlich, rasch und international sowohl anerkannt als
auch vollstreckbar; Schiedsrichter, die von den Parteien mitbestimmt werden
können, punkten mit ihrem Fachwissen, etc.19 Den Interessen der «Asset Protection» im «Estate Planning» – einem wichtigen Geschäftszweig der liechtensteinischen Treuhandpraxis seit jeher bis heute – wird bestens Rechnung
getragen.20 Darüber hinaus müssen die Parteien eines Schiedsverfahrens nicht
notwendigerweise fürchten, bei Bekanntwerden eines strafrechtlich relevanten
Sachverhaltes würde das Schiedsgericht deswegen bei der Staatsanwaltschaft
Anzeige erstatten; denn es besteht weder (in Ermangelung einer hoheitlichen
Tätigkeit) eine Anzeigepflicht21 noch (aufgrund der generellen Verschwiegenheitsverpflichtung der Schiedsrichter)22 ein Anzeigerecht für Schiedsrichter.
Dagegen sind Richter der staatlichen liechtensteinischen Gerichte diesbezüglich grundsätzlich anzeigepflichtig.
Unbestreitbar liegt aber der grösste Vorteil im Kontext «Streitbeilegung in
Liechtenstein» in der internationalen Anerkennungsfähigkeit schiedsrichterlicher Verfahren durch das NYÜ, das Liechtenstein am 7. Juli 2011 ratifiziert
hat und das am 5.10.2011 in Kraft getreten ist. Damit ist Liechtenstein der 148.
Mitgliedsstaat des NYÜ. Liechtenstein hat bei der Ratifizierung des NYÜ
einen sogenannten Reziprozitätsvorbehalt erklärt, d.h. dass es das NYÜ nur
auf die Anerkennung und Vollstreckung solcher Schiedssprüche anwenden
wird, die in dem Hoheitsgebiet eines anderen Vertragsstaates ergangen sind;
dies gilt also nur – aber immerhin – im Verhältnis zu den anderen 147 Vertragsstaaten, nicht aber gegenüber allen anderen (Nicht-Mitglieds-) Staaten.
Dafür hat Liechtenstein (anders wie z.B. China, Indien oder die USA)23 keinen
Handelssachenvorbehalt erklärt, sodass auch ausländische Schiedssprüche in
19
20
21
22
23
Schumacher, Schiedsverfahren 106 f.; Schwärzler, Schiedsgerichtsverfahren und
Mediation als Alternativen zur öffentlichen Gerichtsbarkeit, liechtensteinjournal
2011, 112 (114); Batliner /Gasser in Baudenbacher-FS. 706 f.
Czernich, Der Beitritt Liechtensteins zum New Yorker Schiedsübereinkommen, Jus
& News 2012, 32 f.
Vgl. § 53 StPO.
Hausmaninger, § 587 Rz. 212.
Vgl. Czernich, New Yorker Schiedsübereinkommen, Kurzkommentar (2008) 7; ders.,
Der Beitritt Liechtensteins zum New Yorker Schiedsübereinkommen, Jus & News
2012, 17 ff.; Schwab/Walter, Schiedsgerichtsbarkeit Kommentar7 (2005) 367.
67
Johannes Gasser
Liechtenstein zu vollstrecken sind, die bloss zivil- und nicht auch handelsrechtlicher Natur sind. Umgekehrt ist daher genau zu prüfen, ob eine Schiedsklausel tatsächlich gewährleistet, dass der spätere Schiedsspruch im Ausland
vollstreckt werden kann; das US-amerikanische Vollstreckungsgericht wird
daher allein nach seinen innerstaatlichen Kriterien24 prüfen, ob ein in Liechtenstein ergangener Schiedsspruch handelsrechtlichen Inhaltes und damit
überhaupt vollstreckungsfähig ist.
c)
Inkrafttreten und Übergangsbestimmungen
Auf nach dem 1.11.2010 anhängig gemachte Schiedsverfahren ist das neue
Schiedsverfahrensrecht anzuwenden. Nach den Übergangsbestimmungen des
neuen Gesetzes richtet sich jedoch die Wirksamkeit von Schiedsvereinbarungen, die vor dem Inkrafttreten des Gesetzes geschlossen worden sind, nach den
bis dahin geltenden Bestimmungen. Des FL Obergericht hatte jüngst die Gültigkeit einer Schiedsklausel in Stiftungsstatuten gegenüber Begünstigten (sog.
«non-signatories») zu beurteilen und wendete darauf altes Recht an, weil die
Statuten aus dem Jahr 2008 stammten.25
2.
Schiedsfähigkeit
a)
Was ist schiedsfähig?
Die objektive Schiedsfähigkeit wurde mit der Novelle klarstellend erweitert.
Jeder vermögensrechtliche Anspruch, über den vor den ordentlichen Gerichten
zu entscheiden ist, kann nun Gegenstand einer Schiedsvereinbarung sein
(§ 599 Abs. 1 ZPO). Damit ist im Unterschied zur früheren Rechtslage
Schiedsfähigkeit nicht mehr mit Vergleichsfähigkeit des Streitgegenstandes
gleich gestellt. Wie in Österreich wird man auch in Liechtenstein dem Begriff
«vermögensrechtliche Streitigkeit» ein weites Verständnis zugrunde legen
dürfen.26 Darüber hinaus sind auch nicht vermögensrechtliche Ansprüche
schiedsfähig, sofern die Parteien über den Gegenstand des Streits einen Ver24
25
26
68
Czernich, aaO 7; Schwab/Walter, aaO 367.
FL Obergericht 16.05.2012, 05 HG.2011.172, tw wiedergegeben in LJZ 2012, 67.
Schumacher, Schiedsverfahren 107; R echberger /Melis in R echberger, ZPO Kommentar3 (2006) § 582 Rz. 2 (im Folgenden kurz R echberger /Melis); Hausmaninger,
§ 582 ZPO Rz. 17 ff.; Gstöhl, Die Schiedsvereinbarung im liechtensteinischen Recht
Schiedsstandort Liechtenstein
gleich abzuschliessen imstande sind; dies entspricht im Wesentlichen der
Rechtslage in der Schweiz und in Deutschland.27
Ausdrücklich ausgenommen wurden u.a. familienrechtliche (§ 599 Abs. 2
ZPO) und bestimmte gesellschaftsrechtliche Streitigkeiten. § 599 Abs. 3 ZPO
lautet: «Die Zuständigkeit des Landgerichtes für Verfahren, die von Amts
wegen aufgrund zwingender gesetzlicher Vorschriften oder auf Antrag des
Grundbuch- oder Öffentlichkeitsregisteramtes oder der Staatsanwaltschaft
eingeleitet werden, kann durch eine Schiedsklausel in Statuten oder gleichwertigen Dokumenten einer Verbandsperson oder Treuhänderschaft nicht abbedungen werden». In den Gesetzesmaterialen wird dazu ausgeführt, dass (nur)
«von Amts wegen oder von Behörden eingeleitete Verfahren, die auf zwingendem Aufsichtsrecht beruhen», nicht mit Schiedsklauseln einem Schiedsgericht
vorbehalten werden können.28 Es erscheine richtig und sinnvoll, die Abberufung von Organen, die Anfechtung von Beschlüssen sowie die Bestellung von
ausserordentlichen Revisoren grundsätzlich als schiedsfähig anzusehen, da
solche Streitigkeiten ohnehin unter Art. 114 Abs. 2 Personen- und Gesellschaftsrecht (PGR) fielen. Dies gelte sowohl für Stiftungen als auch (kraft
Art. 931 PGR) für Treuhänderschaften.29 Und darüberhinaus wird in der Stellungnahme betont, dass «bei Auseinandersetzungen zwischen der Stiftung
oder Stiftungsorganen und privaten Begünstigten ... die Stiftungsaufsichtsbehörde ihr Einschreitungsermessen grundsätzlich zurückhaltend zu handhaben
wissen (wird), um nicht Umgehungen der statutarisch vorgesehenen und vom
Stifterwillen getragenen Schiedsklauseln zuzulassen.»30
Aus der Wortlautinterpretation als auch nach historischer Auslegung des § 599
Abs. 3 ZPO ist daher die Schlussfolgerung naheliegend, ja geradezu zwingend,
dass sämtliche gesellschaftsrechtlichen einschliesslich stiftungsaufsichtsrechtlichen Belange durch Schiedsvereinbarungen Schiedsgerichten exklusiv vorbehalten werden können, es sei denn, die Verfahren würden von gewissen
Behörden (in Betracht kommen nur die Gerichte selbst, die von Amts wegen
tätig werden, die Stiftungsaufsichtsbehörde oder die Staatsanwaltschaft) initiiert. Dann, so die Regierung in ihrer Stellungnahme, könnten Stiftungsauf-
27
28
29
30
unter besonderer Berücksichtigung der Schiedsklausel in Stiftungsdokumenten (2011)
53 ff. (im Folgenden kurz Gstöhl, Schiedsvereinbarung).
Mayr, Schiedsverfahrensrecht 1, 301; Hausmaninger, § 582 Rz. 29.
Stellungnahme 13 aE.
Stellungnahme 13.
Stellungnahme 14.
69
Johannes Gasser
sichtsverfahren «ohne Rücksicht auf etwaige Schiedsklauseln ‚normal’ durchgeführt werden».31 Dass die Abberufung von Organen von liechtensteinischen
Rechtsträgern – was in der Gerichtspraxis eine besonders wichtige Rolle spielt
– einer stiftungsexternen Person überlassen, also auch einem Schiedsgericht
zugewiesen werden kann, wurde vom FL OGH bereits früher klargestellt.32
Überraschenderweise hat der FL OGH aber erst jüngst festgestellt, dass
Schiedsklauseln in Stiftungsstatuten nie verhindern, dass Begünstigte solcher
Stiftungen (auch) die gerichtliche Aufsicht im Ausserstreitverfahren anrufen
könnten.33 Die Begründung: Ein Verfahren vor dem Ausserstreit- bzw. Stiftungsaufsichtsrichter, mit dem ein Begünstigter (in casu: Sachwalterin des
geschäftsunfähigen Begünstigten) die Stiftungsräte wegen angeblicher Pflichtverstösse abzusetzen beantragt, hätte keinen vermögensrechtlichen Anspruch
zum Inhalt, und es könne über ein Abberufungsverfahren gemäss Art. 552
§§ 35 iVm 29 PGR auch kein Vergleich (§ 599 Abs. 1 ZPO) abgeschlossen
werden. Eine Schiedsklausel sei auch bei einer privatnützigen Stiftung mit
dem gesetzlichen Kontroll- und Funktionsschutzssystem durch das Gericht im
öffentlichen Interesse unvereinbar. Über Verlangen eines Stiftungsbeteiligten
müsse das Abberufungsverfahren daher vor einem staatlichen Gericht geführt
werden, was sowohl nach alter als auch nach Schweizer Rechtslage gleich
gelagert sei.
Die Begründung überzeugt nicht, beachtet man den Wortlaut von § 599 ZPO
sowie die klaren Intentionen des Gesetzgebers, der meines Erachtens klar
differenzieren wollte:34 Bei gemeinnützigen Stiftungen sowie in krassen Fällen, in denen Pflichtverstösse und Interessenkollisionen von Stiftungsorganen
von privatnützigen Stiftungen eine Abberufung nahelegen, wird ohnehin stets
ein Einschreiten des Landgerichtes von Amts wegen, der Staatsanwaltschaft
oder der Stiftungsaufsichtsbehörde gegeben sein. In allen anderen Fällen, wo
eben Stiftungsbeteiligte inklusive Begünstigte – nicht selten mit Scheinbegründungen oder aus anderen Motiven als der Geltendmachung von Pflichtverstössen – Abberufungsanträge stellen, bedarf es keines öffentlichen «Kon31
32
33
34
70
Stellungnahme 14.
FL OGH 02.04.2009, 10.HG.2008.18.
FL OGH 07.10.2011, 5 HG.2011.28 in LES 2011, 187; der Verfasser war am Verfahren
als Prozessvertreter beteiligt.
So im Ergebnis auch R eithner /Blasy, Aufsichtsverfahren, Schiedsfähigkeit, § 599
ZPO und der Entscheid des OGH 05.HG.2011.29 (LJZ 2011, 187), LJZ 2/2012; in diese
Richtung wohl auch Gstöhl, Schiedsvereinbarung 90 f.
Schiedsstandort Liechtenstein
troll- und Funktionsschutzes». Schiedsgerichte können diese Funktion ohne
weiteres erfüllen.
Der Staatsgerichtshof hatte nichts an der OGH Entscheidung auszusetzen.35 Er
führte aus, dass es heute anerkanntermassen keine gültige Hierarchie der
Auslegungsmethoden mehr gäbe. Zwar stelle die Wortauslegung zwangsläufig
den Ausgangspunkt der Auslegungstätigkeit dar, sie habe aber gegenüber der
Auslegung nach der systematischen Stellung der Norm, der historischen und
schliesslich nach der teleologischen Bedeutung der Norm (allenfalls ergänzt
durch die rechtsvergleichende und verfassungskonforme Auslegung) keinen
Vorrang. Es seien im Sinne eines «Methodenpluralismus» alle für den jeweiligen Einzelfall relevanten Auslegungsmethoden zu berücksichtigen und deren
einander allenfalls widersprechende Ergebnisse im Rahmen einer umsichtigen
Güterabwägung zu gewichten. Entsprechend sei eine Auslegung entgegen dem
Wortlaut nicht ausgeschlossen und könne ohne Weiterem im Einklang mit dem
Willkürverbot sein. Im fraglichen Beschwerdefall, so der StGH weiter, könne
man entgegen dem Beschwerdevorbringen auch keinen klaren Wille des Gesetzgebers im Sinne einer (subjektiv-) historischen Auslegung zugunsten der
von den Beschwerdeführern vertretenen Rechtsauffassung ermitteln. Die Gesetzesmaterialen sprächen eher für eine Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte zur aufsichtsrechtlichen Abberufung von Stiftungsorganen. Hierfür spreche
im Weiteren, dass es auch keinen Sinn mache, die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte zur aufsichtsrechtlichen Abberufung von Stiftungsorganen nur
dann zu bejahen, wenn diese ihre Aufsichtsfunktion von Amts wegen wahrnehmen, nicht aber auch auf Antrag eines Verfahrensbeteiligten. Wenn man
sich nämlich strikt an den Wortlaut von Art. 599 Abs. 3 ZPO halten würde, so
hätten die ordentlichen Gerichte zwar einen entsprechenden Antrag mangels
Zuständigkeit zurückzuweisen; allerdings könnten sie den Antrag gleichzeitig
als Anzeige behandeln und von Amts wegen die beantragte Abberufung vornehmen. Dem Gesetzgeber könne nicht unterstellt werden, dass er einen solchen formalistischen Leerlauf wollte. Zuletzt verwies der Staatsgerichtshof
darauf, dass eine andere Gesetzesauslegung die Änderung der publizierten
Gerichtspraxis (LES 2010, 311) bedingen würde, was nach der Rechtsprechung
des StGH nur dann mit dem Gleichheitssatz vereinbar sein, wenn die bisherige
Praxis weniger überzeuge, als die neue, und anderenfalls das Interesse an einer
konstanten Rechtsprechung überwiege.
35
26.03.2012, StGH 2011/181.
71
Johannes Gasser
Die Entscheidungen des OGH und StGH zur Frage der objektiven Schiedsfähigkeit im Stiftungsrecht lassen die grundsätzliche Tendenz unserer Höchstgerichte erkennen, sich die Beschneidung der Kompetenzen öffentlicher
Aufsicht im Stiftungswesen und damit der justiziellen Gewalten durch
Schiedsverfahren verbitten zu wollen. Die Erläuterungen der Regierung zum
neuen Schiedsverfahrensrecht heben aber als schiedsfähig immerhin neben der
Abberufung von Organen zutreffenderweise auch die Anfechtung von Beschlüssen und die Bestellung von ausserordentlichen Revisoren hervor.36 Ob
nach der neuen, restriktiven Rechtsprechung auch solche Verfahren tatsächlich
schiedsfähig sind, bleibt also abzuwarten.
Umso überraschender fielen deshalb zwei jüngere Entscheidungen des FL
Obergerichtes aus. Im einen Verfahren ging es um die (bejahte) Schiedsfähigkeit von Ansprüchen einer Stiftung gegen ihre (vormaligen) Organe aus
Verantwortlichkeit,37 im anderen Verfahren um Informationsbegehren von
Begünstigten gegenüber der Stiftung im Ausserstreit- und Aufsichtsverfahren,
die ebenfalls als schiedsfähig eingestuft wurden.38
Im zweiten Fall hatte die Rekurswerberin erfolglos darauf hingewiesen, dass
auch und gerade Informationsbegehren Massnahmen der richterlichen Stiftungsaufsicht und der vorsorglichen Missbrauchsabwehr seien, weshalb sie
nach der neuen OGH Judikatur nicht als schiedsfähig gelten dürften. Für das
Obergericht unterlag es «keinem Zweifel, dass die Rechte des Begünstigten
auf Einsichtnahme, Auskunftserteilung, Berichterstattung und Rechnungslegung nach § 9 Abs. und 2 StiftG vergleichsfähig sind, dass also die Parteien
über diesen Gegenstand einen Vergleich abschliessen können». Das öffentliche
Interesse, das bei Abberufungsverfahren gegen Stiftungsräte überwiege, liege
bei Auskunfts-, Informations- und Einsichtsbegehren nicht vor. Es mag durchaus sein, so das OG weiter, dass die Ausübung dieser Rechte durch einen Begünstigten dann in weiterer Folge zu stiftungsaufsichtsrechtlichen Massnahmen führte, wenn einerseits Missstände festgestellt würden, die andererseits
tatsächlich ein Aufsichtsverfahren im weitesten Sinne begründen könnten und
die betroffenen Begünstigten dies auch einleiteten. Der Schluss der Rekurswerberin, dass das Kontroll- und Funktionsschutzsystem von Art. 552 § 35
36
37
38
72
Schumacher, Schiedsverfahren 108.
FL Obergericht 16.02.2012, 1 CG.2011.190 in LES 2012, 122.
FL Obergericht 16.05.2012, 05 HG.2011.172, tw wiedergegeben in LJZ 2012, 67; der
Verfasser war am Verfahren als Prozessvertreter beteiligt.
Schiedsstandort Liechtenstein
PGR und auch die in Art. 552 § 9 Abs. 2 PGR festgehaltenen Informations- und
Auskunftsrechte umfasse, sei aber nicht zulässig. Gegen die Entscheidung des
Obergerichtes wurde beim StGH eine Individualbeschwerde eingebracht.
b)
Wer ist schiedsfähig?
(i)
Verbandspersonen mit Mitgliedern
Gemäss Art. 114 Abs. 2 PGR gilt der Gerichtsstand von Verbandspersonen
«für Streitigkeiten zwischen einer Verbandsperson und ihren Mitgliedern aus
der Mitgliedschaft, sowie für Ansprüche der Gläubiger aus der Verantwortlichkeit oder wegen Auflösung oder dergleichen» am Ort des Sitzes der Verbandsperson, «selbst wenn die Statuten im übrigen ein Schiedsgericht vorsehen.» Dennoch hält das liechtensteinische Höchstgericht solche Streitigkeiten
für schiedsfähig.39 Dieser Ansicht ist zu folgen.40 Nach Schumacher41 ist
Art. 114 Abs. 2 PGR dahin auszulegen, dass – wenn die Statuten der Verbandsperson generell oder die Parteien des Rechtsstreits speziell ein Schiedsgericht
vorsehen – eben dieses Schiedsgericht zwingend seinen Sitz «am Ort des Sitzes
der Verbandsperson» haben muss.
Fraglich ist, ob Art. 114 PGR nicht überhaupt durch die neue Bestimmung in
§ 612 ZPO materiell-rechtlich derogiert wird; demnach können die Parteien
den Sitz des Schiedsgerichtes frei vereinbaren oder die Bestimmung des Sitzes
einer Schiedsinstitution überlassen, wobei die Umstände des Falles sowie die
Eignung des Ortes für die Parteien zu berücksichtigen sind. Überhaupt ist
zwischen Sitz des Schiedsgerichtes und dem Ort bzw. den Orten der Verfahrenshandlungen (Beratung, Beschlussfassung, mündliche Verhandlung oder
Beweisaufnahme), die dafür geeignet erscheinen (§ 612 Abs. 2 ZPO), zu unterscheiden. Der Sitz ist in erster Linie für die Anwendung des inländischen
Verfahrensrechts von Bedeutung.42 Sitz und Ort des Schiedsgerichtes können
und werden in der Regel auseinander fallen, weil in vielen Fällen ohnehin
Schiedsrichter eines ad hoc Schiedsgerichtes an verschiedenen Orten ansässig
sind (bislang war es oft der Fall, dass auch Schweizer Anwälte mit entspre-
39
40
41
42
FL OGH in LES 1982, 16.
Siehe dazu ausführlich Batliner /Gasser in Baudenbacher-FS, 710; Schumacher,
Schiedsverfahren 108; Stellungnahme 12.
Schiedsverfahren 108.
Hausmaninger, § 595 ZPO Rz. 17 ff.
73
Johannes Gasser
chenden Erfahrungen mit Schiedsverfahren von liechtensteinischen Schiedsparteien nominiert wurden).
Es ist sogar zulässig, dass sämtliche Verfahrenshandlungen an einem anderen
Ort als dem Sitz – sogar im Umlaufwege43 – vorgenommen werden.44 Damit
ist der Sitzbegriff «mehr oder weniger vergeistigt».45 Die Ordnungsbestimmung in Art. 114 PGR wird also ohnehin in ihren Wirkungen abgeschwächt:
Schiedsgerichte, die gemäss Statuten und Gesellschaftsvertrag der Verbandsperson für dessen Rechtsstreitigkeiten zuständig sind, müssen zwar ihren Sitz
in Liechtenstein haben, sodass grundsätzlich liechtensteinisches Schiedsverfahrensrecht zur Anwendung gelangt, aber das Schiedsgericht kann sämtliche
Verfahrenshandlungen vom Ausland aus setzen.
Unklar ist letztlich, welche Rechtswirkungen die Verletzung der Ordnungsbestimmung in Art. 114 PGR entfaltet. Sie bildet jedenfalls keinen Grund für eine
Aufhebungsklage (§ 628 ZPO), weil nur inländische und nicht ausländische
Schiedssprüche (d.h. Schiedssprüche von Schiedsgerichten mit Sitz im Ausland) mit dieser Klage angefochten werden können.46 Immerhin könnte aber
einer Schiedspartei, die gegen eine inländische Verbandsperson vor einem
ausländischen Schiedsgericht ein Schiedsurteil erstritten hat, beim Versuch,
dieses in Liechtenstein für vollstreckbar erklären zu lassen (§ 631 ZPO), der
Versagungsgrund der mangelnden subjektiven Schiedsfähigkeit eingewendet
werden.47 Zuletzt hat Czernich aber die Meinung vertreten, dass Liechtenstein
einem ausländischen Schiedsspruch gegen inländische Verbandspersonen aus
Rücksicht auf Art. 114 Abs. 2 PGR nicht die Vollstreckung oder Anerkennung
versagen dürfe, weil dies dem NYÜ, das inländischem Recht, also auch
Art. 114 PGR, vorgehe, widerstreite.48
Auch das FL Obergericht49 mass jüngst – in einem (schiedsfähigen) Verantwortlichkeitsprozess einer liechtensteinischen Stiftung gegen ein ehemaliges,
43
44
45
46
47
48
49
74
Peter Mayr, Das neue Schiedsverfahrensrecht in Liechtenstein – Teil 2, Jus & News
2011, 17 (23) (im Folgenden kurz: Mayr, Schiedsverfahrensrecht 2); BuA 60.
Vgl. aber § 634 Abs. 4 ZPO für Konsumenten.
Hausmaninger, § 595 ZPO Rz. 36 ff.
Hausmaninger, § 614 ZPO Rz. 24.
Vgl. Art. V Abs. 1 (a) NYÜ; Hausmaninger, § 614 ZPO Rz. 58 i.V.m § 611 Rz. 54.
Czernich, Das New Yorker Schiedsübereinkommen und die Schiedsgerichtsbarkeit in
Stiftungssachen, LJZ 2012, 60 f., im Folgenden Czernich, Schiedsgerichtsbarkeit in
Stiftungssachen.
FL Obergericht 16.02.2012, 1 CG.2011.190 in LES 2012, 122 (123).
Schiedsstandort Liechtenstein
angeblich fehlbares Organ – Art. 114 PGR nur insoweit Bedeutung bei, als
damit «keine Regeln über die materielle Frage der Schiedsgerichtsbarkeit getroffen, sondern lediglich die Fragen des Gerichtsstandes bzw. der örtlichen
Gerichtsbarkeit geregelt» würden. Art. 114 PGR sei eine örtliche Zuständigkeitsnorm und könne keine zwingende Bestimmung dahin gehend sein, dass
die Vereinbarung eines Schiedsgerichtes für Verantwortlichkeitsansprüche
ausgeschlossen wäre. Aber immerhin hielt der OGH obiter – und ohne Befassung mit dem NYÜ – fest, dass der Zusatz in Art. 114 PGR bedeute, «dass für
den Fall, dass ein Schiedsgericht bestellt wurde, sich der Sitz des Schiedsgerichtes am Ort des Sitzes der Verbandsperson befinden muss.»
Aus prozessualer Vorsicht ist daher für Schiedsparteien wie für Schiedsrichter
empfehlenswert, bei Streitigkeiten mit liechtensteinischen Verbandspersonen
mit Mitgliedern Schiedsgerichte mit Sitz im Inland zu konstituieren.
(ii)
Verbandspersonen ohne Mitglieder und Trusts
Die Auslegung von Art. 114 PGR erfordert eine weitere Einschränkung. Die
Bestimmung scheint von ihrem Wortlaut her auf juristische Personen mit korporativem Charakter zugeschnitten: Verbandspersonen, die über «Mitglieder»
verfügen. Dazu zählen Aktiengesellschaften und GmbHs, aber sicherlich nicht
Stiftungen oder Anstalten mit untergegangenen Gründerrechten, weil sie über
keine «Mitglieder» verfügen, die mit Stimmrechten und mithin mit Gestaltungs- und Interventionsbefugnissen ausgestattet sind, sondern lediglich über
Begünstigte. Nach der hier vertretenen Auffassung kann daher ein Stiftungsrat
im Namen der Stiftung mit deren Begünstigten auch ein ausländisches
Schiedsgericht mit Sitz ausserhalb Liechtensteins vereinbaren; auch könnten
Stiftungsstatuten ein ausländisches Schiedsgericht vorsehen.50
Sämtliche anderen liechtensteinischen Rechtspersonen sind ohne Einschränkung schiedsfähig. Für Treuhänderschaften nach ausländischem Recht, die im
Inland errichtet werden, sieht Art. 931 Z 2 PGR sogar für Streitigkeiten zwischen Treugeber, Treuhänder und Begünstigten ein obligatorisches Schiedsgericht vor. Umso mehr muss für Trusts nach liechtensteinischem Recht ein
Schiedsgericht zulässigerweise vereinbart werden können. Dies gilt auch für
50
Siehe aber die Entscheidung des FL Obergerichtes in FN 49, die eine Stiftung als Klägerin betraf.
75
Johannes Gasser
Streitigkeiten zwischen Gründerrechtsinhabern oder Begünstigten einer Anstalt untereinander bzw. gegenüber der Anstalt oder umgekehrt.51
3.
Form der Schiedsvereinbarung
a)
Schriftform
Für Schiedsvereinbarungen herrscht Schriftformerfordernis; entweder müssen
beide Parteien ein entsprechendes Schriftstück unterzeichnen oder die Schiedsklausel muss im Schriftwechsel (E-Mail genügt) oder in Musterverträgen
(AGBs) Eingang gefunden haben.52 Die Formvorschrift hat in erster Linie
Beweisfunktion und wird irrelevant, wenn sie nicht rechtzeitig gerügt wird
(§ 600 ZPO).
Wichtig ist hervorzuheben, dass § 53a JN insoweit geändert wurde, als dass
Schiedsvereinbarungen zugunsten eines ausländischen Schiedsgerichtes keiner öffentlichen Beurkundung mehr bedürfen.53 Von einer gänzlichen Aufhebung dieser Bestimmung hatte der liechtensteinische Gesetzgeber abgesehen,
weil der Umstand, dass zwischen liechtensteinischen und ausländischen
Staatsbürgern getroffene Gerichtsstandsvereinbarungen zu Gunsten eines
ausländischen Gerichts nur gültig sind, wenn sie öffentlich beurkundet sind,
zum liechtensteinischen ordre public gezählt wird.54
Der EFTA-Gerichtshof hielt in seinem Urteil vom 25.4.2012 das Formerfordernis bei Gerichtsstandsvereinbarungen für EWR-widrig.55 § 53a Abs. 1 JN
ist damit gesamthaft unanwendbar geworden.
b)
Sind Stiftungen Konsumenten?
Derzeit ist unklar, ob sich die besonderen Formvorschriften für Konsumenten
auch auf Rechtsstreitigkeiten zwischen Stiftungen und deren Begünstigte er51
52
53
54
55
76
Schumacher, Schiedsverfahren 108; Stellungnahme 12; LES 1987, 14; LES 1982, 16.
Mayr, Schiedsverfahrensrecht 1, 302, insbesondere zur Frage der Zulässigkeit des
Abschlusses einer Schiedsvereinbarung durch Vollmacht.
Zur Anwendbarkeit der neuen Rechtslage auf «alte» Schiedsvereinbarungen vgl.
Czernich, Schiedsgerichtsbarkeit in Stiftungssachen 61.
BuA 93; LES 2003, 5; siehe dazu auch ausführlich Gstöhl, Schiedsvereinbarung 113.
Rs E-13/11 Granville Establishment / Volker Anhalt et al, veröffentlicht in LES 2012,
53.
Schiedsstandort Liechtenstein
strecken.56 Schiedsvereinbarungen zwischen einem Unternehmer und einem
Konsumenten können wirksam nur für bereits entstandene Streitigkeiten vereinbart werden und bedürfen der Einhaltung weiterer Formerfordernisse
(§ 634 ZPO). Da Stiftungen in der Regel nicht den Betrieb eines kaufmännischen Unternehmens führen dürfen,57 wurde für die vergleichbare österreichische Rechtslage zuletzt verschiedentlich vertreten, dass Privatstiftungen als
Konsumenten zu qualifizieren seien und damit nicht ohne weiteres Schiedsvereinbarungen für zukünftige Streitigkeiten eingehen oder solche Schiedsklauseln erlassen könnten.58 Denn § 634 Abs. 2 ZPO sieht für Schiedsvereinbarungen, an denen (zumindest) ein Konsument beteiligt ist, vor, dass sie in
einem von diesem eigenhändig unterzeichneten Dokument enthalten sein
müssen; andere Vereinbarungen als solche, die sich auf das Schiedsverfahren
beziehen, darf dieses nicht enthalten.
In der Stellungnahme der Regierung wird dazu ausgeführt, dass das Innenverhältnis «Stiftung – Begünstigter» nicht dem vom Konsumentenschutz erfassten Verhältnis «Unternehmer – Konsument» gleich komme. Gemäss Art. 1
Abs. 1 KSchG erfasse der Konsumentenschutz ein zweiseitiges Rechtsgeschäft
zwischen Unternehmer und Konsument, und diese Voraussetzung sei bei Stiftungen nicht erfüllt.59
Dem schliessen sich Blasy/Reithner im Ergebnis und mit der zutreffenden
Begründung an, dass in Liechtenstein üblicherweise fiduziarisch errichtete
und von Berufstreuhändern professionell verwaltete Stiftungen keines Konsumentenschutzes bedürften.60 Zusätzlich stellen sie offenbar sicherheitshalber
noch die Überlegung an, dass durch eine Vereinbarung zugunsten eines ausländischen Schiedsgerichtes die für Konsumenten etwaig dennoch anwendbare Bestimmung in § 634 ZPO unterlaufen werden könnte. Dem ist mit der
Massgabe zuzustimmen, dass Schiedsurteile ausländischer Schiedsgerichte
gegen liechtensteinische Verbandspersonen mit Mitgliedern unter Umständen
56
57
58
59
60
Mayr, Schiedsverfahrensrecht 1, 304; Blasy/R eithner, Die Auswirkungen des neuen
§ 634 ZPO in Liechtenstein, in Tagungsband der Universität Liechtenstein zum Stiftungsrechtstag 2011 (noch nicht veröffentlicht und deshalb ohne Seitenangaben), im
Folgenden: Blasy/R eithner, Auswirkungen.
Vgl. Art. 552 § 1 Abs. 2 PGR.
Vgl. z.B. Dorda, Österreichisches Schiedsrecht: Wunschlos glücklich? DBJ-Newsletter 1-2/2011.
Stellungnahme 7.
Blasy/R eithner, Auswirkungen; so auch Gstöhl, Schiedsvereinbarung 205 ff.
77
Johannes Gasser
aus anderen Gründen als nicht in Liechtenstein vollstreckungsfähig angesehen
werden könnten.61
Czernich qualifiziert zwar grundsätzlich Stiftungen als Unternehmer, weshalb
die Konsumentenschutzbestimmungen in § 634 ZPO grundsätzlich anwendbar
wären, er verweist jedoch auf die bereits zitierten Absichten des Gesetzgebers,
die bei der Auslegung vor dem (gegenläufigen) Wortlaut den Vorzug geniessen
würden. § 634 ZPO sei somit bei Streitigkeiten zwischen Stiftung und Destinatären unanwendbar.62
Diesen Ansichten ist zu folgen. § 634 ZPO spricht von Schiedsvereinbarungen,
nicht von Schiedsklauseln. Schiedsvereinbarungen sind zweiseitige Rechtsgeschäfte; Schiedsklauseln werden aber vom Stifter durch Errichtung der Statuten einseitig errichtet. Die Stiftungsurkunde ist nämlich eine einseitige, nicht
empfangsbedürftige Willenserklärung des Stifters, kein zweiseitiges Rechtsgeschäft.63 Dies ergibt sich auch aus § 598 ZPO: Abs. 1 regelt Schiedsvereinbarungen, also «Vereinbarungen der Parteien, alle oder einzelne Streitigkeiten,
die zwischen ihnen in Bezug auf ein bestimmtes Rechtsverhältnis vertraglicher oder nichtvertraglicher Art. entstanden sind oder künftig entstehen, der
Entscheidung durch ein Schiedsgericht zu unterwerfen». Abs. 2 ordnet an, dass
diese Bestimmungen auch auf Schiedsgerichte anzuwenden seien, «die in
gesetzlich zulässiger Weise durch letztwillige Verfügung oder andere nicht auf
Vereinbarung der Parteien beruhende Rechtsgeschäfte oder durch Statuten
angeordnet werden». Damit sind auch Schiedsklauseln in Gesellschafts- und
insbesondere Stiftungsstatuten gemeint, die aber eben «nicht auf Vereinbarung
der Parteien beruhende Rechtsgeschäfte» sind, weshalb auf sie die Konsumentenschutzbestimmung in § 634 ZPO unanwendbar bleiben.64 Dafür spricht
auch, dass es bei Stiftungen und ihren Destinatären – eben in Ermangelung
eines typischen Rechtsgeschäftes mit Konsumenten mit ihrem besonderen
Schutzbedürfnis vor Abschluss desselben – der Warn- und Aufklärungsfunktion des Konsumentenschutzes nicht bedarf. Letztlich gründet sich diese
Schlussfolgerung auch auf der Wertung, dass Rechtsbeziehungen zwischen
Konsumenten nicht dem Schutzzweck des KSchG unterliegen,65 § 634 Abs. 2
61
62
63
64
65
78
Vgl. oben B 2 (b) (i).
Czernich, Schiedsgerichtsbarkeit in Stiftungssachen 63 f.
Vgl. zuletzt FL OGH 2.9.2011, 08.CG.2008.161 u.v.m..
Stellungnahme 7.
R echberger /Melis, § 617 Rz. 1, Hausmaninger, § 617 ZPO Rz. 26.
Schiedsstandort Liechtenstein
ZPO aber – völlig überschiessend – auch dann, wenn nur ein Konsument beteiligt ist, Formvorschriften vorsieht, und es sich nach der hier vertretenen
Auffassung bei liechtensteinischen Stiftungen in aller Regel eben nicht um
Unternehmer handelt.66
4.
Zuständigkeitsstreit zwischen Schieds- und Staatlichen
Gerichten
a)
Priorität der Schiedsverfahren
Das Verhältnis zwischen staatlichen und Schiedsgerichten wurde gänzlich neu
geregelt. Als Grundsatz gilt die Priorität von Schieds- vor ordentlichen Gerichtsverfahren. Im Gegensatz zur alten Rechtslage wird ausserdem die Zuständigkeitsfrage in einem Frühstadium des Verfahrens durch Nachprüfung
der staatlichen Gerichte vorweg und abschliessend geklärt.67 Schiedsgerichte
haben die «Kompetenz-Kompetenz» für die Zuständigkeitsfrage. Demnach
entscheidet das Schiedsgericht selbst über seine Zuständigkeit und nur über
eine entsprechende Unzuständigkeitseinrede, die bei sonstiger Verwirkung
bzw. Heilung spätestens mit dem ersten Vorbringen zur Sache erhoben oder
später bei «genügender Entschuldigung», deren Würdigung im Ermessen des
Schiedsgerichtes liegt, sofort nachgeholt werden muss (§ 609 Abs. 1 und 2
ZPO).68
b)
Wenn Schiedsgerichte früher einschreiten
Zwei alternative Verfahrensverläufe sind denkbar: Bejaht das Schiedsgericht
seine Zuständigkeit in einem gesonderten oder endgültigen Schiedsspruch,
kann dagegen zwar eine Partei, die eine rechtzeitige Unzuständigkeitseinrede
erhoben hat, Aufhebungsklage beim Obergericht einbringen, die jedoch das
Schiedsgericht nicht daran hindert, das Schiedsverfahren fortzusetzen und in
der Sache selbst zu entscheiden (§ 609 Abs. 3 ZPO); weitere Klagen sind aber
unzulässig (§ 601 Abs. 3 ZPO). Verneint hingegen das Schiedsgericht seine
Zuständigkeit, darf das staatliche Gericht eine Klage nicht mit der Begründung
zurückweisen, dass für die Angelegenheit ein Schiedsgericht zuständig sei
66
67
68
Vgl. FN 57 oben.
R echberger /Melis, § 611 Rz. 2; Schumacher, Schiedsverfahren 109.
Vgl. auch FL OGH 3.9.2010, 4.CG.2007.231.
79
Johannes Gasser
(§ 601 Abs. 2 ZPO). Auch ist neuerdings vorgesorgt, dass trotz Zwischenstreiten über eine eingewendete Unzuständigkeit der strittige Anspruch nicht verjährt, vorausgesetzt, das Verfahren wird gehörig fortgesetzt (§ 601 Abs. 4
ZPO). Damit wird das Verjährungsrisiko entschärft.69
c)
Wenn staatliche Gerichte früher einschreiten
Wird hingegen zuerst ein staatliches Gericht angerufen, hat es die Klage in
einer Angelegenheit, die Gegenstand einer Schiedsvereinbarung ist, zurückzuweisen, es sei denn, der Beklagte verabsäumt die rechtzeitige Erhebung der
Schiedseinrede oder das Gericht stellt fest, dass die Schiedsvereinbarung ungültig ist; jedenfalls kann unabhängig von einem Verfahren vor einem staatlichen Gericht stets eine Schiedsverfahren eingeleitet und sogar beendet werden
(§ 601 Abs. 1 ZPO).
Nach altem Recht waren Kompetenzstreitigkeiten zwischen Schieds- und
staatlichten Gerichten Gift für jede speditive und vernünftige Streitbeilegung
und oft eine Spielwiese für obstruktive Prozessparteien.70
d)
Abweichungsverbot bei Parallelität von Schieds- und
staatlichen Gerichtsverfahren
Trotzdem kommt es vor, dass staatliche und Schiedsgerichte über Streitigkeiten zwischen denselben Prozessparteien parallel tätig werden und entscheiden.
Hier herrscht ein Abweichungsverbot, was aus Rechtskraft und Bindungswirkung des früheren (Schieds-) Urteils gefolgert wird. Hatte eine Partei beispielsweise in einem früheren Schiedsverfahren rechtliches Gehör, ist sie im
späteren staatlichen Gerichtsverfahren (in casu: stiftungsaufsichtsrechtlichen
Organabberufungsverfahren) an die ihre Rechtsposition belastenden Tatsachenfeststellungen (in casu: dass strittige Ausschüttungen aus dem Stiftungsvermögen nicht statuten- bzw. stiftungszweckwidrig waren) im Schiedsspruch
gebunden. Dritte, die sich erst am zweiten Verfahren beteiligen, sind aber nicht
gehindert, Einwendungen gegen solche zumindest sie nicht verpflichtenden
69
70
80
Schumacher, Schiedsverfahren 109.
Vgl. StGH 2009/096, wonach die Zuständigkeit der inländischen Gerichte für Streitigkeiten nicht gegeben ist, wenn ein nach dem Vollstreckungsübereinkommen vollstreckbares Schweizer Schiedsurteil und damit Streitanhängigkeit vorliegt.
Schiedsstandort Liechtenstein
Feststellungen zu erheben.71 Die Bindungswirkung eines Schiedsurteils beschränkt sich nur auf die Parteien des Schiedsverfahrens und auf den geltend
gemachten Anspruch72 sowie auf den im Spruch entschiedenen Anspruchsteil;
im Folgeprozess ist das Gericht trotz Rechtskraft eines Urteils (§ 411 ZPO)
bzw. eines Schiedsspruches (§ 611 Abs. 1 ZPO) weder an dessen Tatsachenfeststellungen noch an die Begründung gebunden.73
e)
Schiedsklauseln bedeuten keinen Rechtsschutzverzicht
Selbst durch den Abschluss von Schiedsvereinbarungen kann auf den staatlichen Rechtsschutz nicht gänzlich, z.B. auf die Aufhebungsklage vor einem
staatlichen Gericht oder auf bestimmte Aufhebungsgründe, verzichtet werden.74 Der FL OGH hatte im fraglichen Rechtsstreit eine Schiedsklausel in
Stiftungsstatuten zu beurteilen, wobei ausserdem eine «kassatorische Klausel» vorgesehen war, d.h. dass Begünstigte, die gegen die Stiftung rechtlich
vorgingen («judicially attack»), ihrer Ansprüche verlustig gingen. Solche
Klauseln finden sich in der Treuhandpraxis immer wieder in Stiftungsstatuten,
und es überrascht daher umso mehr, dass sie sich im Prozess gegen die klagenden Begünstigten nicht schädlich auswirkten. Hatten erste und zweite Instanz
im Einklang mit der zu § 720 ABGB entwickelten Lehre und Rechtsprechung
eine kassatorische Klausel nur bei Mutwilligkeit für anwendbar bzw. bei der
zulässigen Erforschung des Stifterwillens für unanwendbar erachtet, war sie
für den FL OGH ein unzulässiges und deshalb unwirksames «pactum de non
petendo», wobei ausserdem noch eine Rolle spielte, dass die Kläger infolge
ihrer Mittellosigkeit ohnehin nicht mehr an die Schiedsklausel gebunden waren.
5.
Einstweilige Massnahmen
a)
Grundsätze
Die beachtliche Anzahl an vermögensrechtlichen Streitigkeiten vor liechtensteinischen Gerichten sowie die chronische Gefahr des Vermögensentzugs
71
72
73
74
Vgl. FL OGH 7.5.2010, 10 HG.2008.5.
Vgl. FL OGH 6.8.2010, 5 CG.2001.384.
FL OGH 11.6.2010, CG.2008.251, RN 7.2.2.
FL OGH 11.6.2010, CG.2008.251, RN 7.3.
81
Johannes Gasser
durch beklagte Parteien, wodurch Prozesserfolge der Klägerseite zur Makulatur werden, haben zu einer grossen Bedeutung von einstweiligen Verfügungen
in liechtensteinischen Zivilprozessen geführt. Schiedsparteien können vor
staatlichen Gerichten (§ 602 ZPO) oder neuerdings vor dem Schiedsgericht
selbst (soweit die Parteien nichts anderes vereinbart haben: § 610 ZPO) vorläufige oder sichernde Massnahmen beantragen; im letzteren Fall aber nur nach
Anhörung der gegnerischen Partei und nur gegen diese selbst; «ex parte»
Entscheidungen sind somit ebenso wenig zulässig wie Anordnungen gegen
Dritte (z.B. Drittverbote). Voraussetzung dafür ist die Gefährdung der klägerischen Ansprüche. Darüberhinaus kann das Schiedsgericht die Erlassung
einstweiliger Massnahmen, die stets schriftlich zu erfolgen hat, vom Erlag
einer entsprechenden Sicherheit abhängig machen, was wohl stets bei Klägern
mit (Wohn-) Sitz im Ausland oder mit Status als reine Sitz- oder Holdinggesellschaft indiziert sein wird. Andererseits kann die Gegenseite mit dem Erlag
einer entsprechenden Sicherheit, «welche die Vollziehung der Massnahme
entbehrlich macht», die Aufhebung der Massnahme bewirken (§ 610 Abs. 6
Z. 4 ZPO).
b)
Vollzug und zulässige Massnahmen
Üblicherweise wird das Landgericht Vaduz75 für den Vollzug solcher Massnahmen in Betracht kommen (§ 610 Abs. 3 ZPO); dies gilt auch für solche, die
von ausländischen Schiedsgerichten angeordnet werden, selbst wenn keine
gegenstaatlichen Vereinbarungen mit dem Staat bestehen, in dem das Schiedsgericht seinen Sitz hat.76 Das (Schieds-) Gericht kann Massnahmen anordnen,
«die es in Bezug auf den Streitgegenstand für erforderlich hält» (§ 610 Abs. 1
ZPO), nicht jedoch Massnahmen, die ein dem inländischen Recht unbekanntes
oder ungeeignetes Sicherungsmittel vorsehen bzw. beantragen (§ 610 Abs. 4
Z. 4 ZPO). Solche Anträge sind ‚umzudeuten’, d.h. nach Anhörung des Antragsgegners wird jenes Sicherungsmittel des inländischen Rechts vollzogen,
«welches der Massnahme am nächsten kommt» (§ 610 Abs. 3 ZPO). Es bleibt
daher abzuwarten, ob sich die Ansicht Schumachers und Mayrs durchsetzen
75
76
82
Obwohl das Gesetz von «Gericht» spricht, ist – weil ansonsten konkret von Obergericht die Rede ist (vgl. z.B. § 632 ZPO) – damit das Landgericht gemeint; so auch
Schumacher, Schiedsverfahren 110.
Schumacher, Schiedsverfahren 110.
Schiedsstandort Liechtenstein
wird, dass sogar in Liechtenstein bis anhin verpönte77 Befriedigungsverfügungen (etwa in Form von «Interimszahlungen» des Antragsgegners bzw. Beklagten für die Dauer des Schiedsverfahrens), die dem Antragsteller Liquidität
verschaffen und dem Verfahrensergebnis vorgreifen, gemäss § 610 ZPO zulässig sein werden.78
c)
Vorteile einer EV ordentlicher Gerichte
Parteien eines Schiedsverfahrens haben die Wahl: Beantragen sie eine EV
beim Schiedsgericht selbst, besteht aufgrund der zwingenden Anhörung der
Gegenseite kein Überraschungseffekt und der ansonsten zwangsläufige Vorteil
einseitiger Intervention. Auch sind keine Drittverbote zulässig, was insbesondere in der Praxis wichtige Kontoverfügungssperren betrifft, die sich (auch)
gegen Banken als Drittschuldner richten. Negativ wirkt sich auch aus, dass im
Regelfall staatliche Gerichte für die Vollstreckung notwendig sind, die nochmals die Gegenpartei anhören und die Entscheidung über einstweilige Massnahmen – wenn auch nur beschränkt (§ 610 Abs. 4 und 5 ZPO) – nachprüfen
können; es stellt sich die Frage, ob es dann nicht naheliegender wäre, gleich
bei einem staatlichen Gericht die EV zu beantragen, weil dessen abweisende
Entscheidung im übrigen auch weniger negative präjudizielle Auswirkungen
auf das parallele Schiedsverfahren haben dürfte, in dem dann noch nicht in der
Sache selbst entschieden worden ist.
d)
Vorteile einer Massnahmenentscheidung von
Schiedsgerichten, deren Vollzug von ordentlichen
Gerichten verfügt wird
Demgegenüber könnte der entscheidende Vorteil einstweiliger Massnahmen
von Schiedsgerichten darin gelegen sein, dass ihre Anordnung nicht selbständig bekämpfbar ist. § 628 ZPO regelt nur die Aufhebung von Schiedssprüchen,
nicht jedoch jene vorläufiger und sichernder Massnahmen.79 § 610 Abs. 5 ZPO
selbst sieht nur die Bekämpfung der Entscheidung staatlicher Gerichte über die
Vollziehung der Massnahmen des Schiedsgerichtes vor: Konkret erwähnt wird
der Einspruch gem. Art. 290 EO, der aber nur – jedoch immerhin mit neuen
77
78
79
LES 2009, 48.
Schumacher, Schiedsverfahren 109; Mayr, Schiedsverfahrensrecht 2, 24.
Hausmaninger, § 611 Rz. 72.
83
Johannes Gasser
Tatsachen und Beweismitteln – erhoben werden kann, wenn der Antragsgegner vor der Beschlussfassung nicht gehört worden war. Zusätzlich gewährt die
ZPO stets einen Rekurs gegen solche Vollziehungsentscheidungen.80 Beide
Rechtsmittel beschränken sich jedoch auf die Geltendmachung von Versagungsgründen für die Vollziehung nach § 610 Abs. 4 (§ 610 Abs. 5 ZPO):
Demnach steht dem Landgericht Vaduz im Wesentlichen (und von KSchGoder arbeitsrechtlich relevanten Fällen abgesehen) nur die Möglichkeit offen,
wegen den allgemeinen Aufhebungsgründen (§ 628 Abs. 2 ZPO) die Vollziehung zu versagen. Damit beschränkt sich die Revision auf schwere Verstösse
gegen grundlegende Verfahrensrechte der Parteien oder auf die Verletzung des
materiell-rechtlichen ordre public; unrichtige Beweiswürdigung, schlichte
Verfahrensmängel und unrichtige rechtliche Beurteilung sind jedoch niemals
Gründe,81 einer schiedsrichterlichen Massnahme die Vollziehung zu versagen.
Dies im Gegensatz zu einstweiligen Verfügungen (Sicherungsbot oder Amtsbefehl) des Landgerichtes Vaduz, die gemäss Exekutionsordnung erlassen und
daher sowohl wegen schlichter Verfahrensmängel oder unrichtiger rechtlicher
Beurteilung mit Rekurs an das Obergericht oder wegen unrichtiger Tatsachenfeststellung – nach Würdigung neuer Tatsachen und Beweismittel – mit Einspruch an das Landgericht bekämpft werden können.
Dass auch sogenannte Non-Signatories von Schiedsklauseln Entscheidungen
von Schiedsgerichten gar nicht und jene über die Vollziehung der staatlichen
Gerichte nur eingeschränkt bekämpfen können, ist aus meiner Sicht im Hinblick auf Art. 6 EMRK deshalb nicht bedenklich, weil es sich nur um Provisorialentscheidungen und nicht um Endverfügungen handelt.82
6.
Weitere Neuerungen
a)
Aktorische Kaution?
Gerade in Liechtenstein hat die Prozesskostensicherheit eine grosse praktische
Bedeutung und wurde jüngst auch vom EFTA Gerichtshof als grundsätzlich
80
81
82
84
Hausmaninger, § 593 Rz. 98 und 99.
Schumacher, Schiedsverfahren 111 ff.
Vgl. dazu gleich unten B. 7. b).
Schiedsstandort Liechtenstein
europarechtskonform bestätigt.83 Gemäss § 57 ZPO84 haben demnach Kläger
und Rechtsmittelwerber, die in Liechtenstein keinen Wohnsitz und kein zur
Deckung der Prozesskosten hinreichendes Vermögen an unbeweglichem oder
gleichwertigem85 Vermögen haben, dann eine aktorische Kaution zu erlegen,
wenn die gerichtliche Entscheidung, die dem Kläger oder Rechtsmittelwerber
den Ersatz von Prozesskosten an den Beklagten oder Rechtsmittelgegner auferlegt, im Staat des Wohnsitzes des Kläger oder Rechtsmittelwerbers bzw. im
Staat, in welchem die unbeweglichen Güter gelegen sind, nicht vollstreckt
werden kann. Dies gilt auch für Verbandspersonen, die kein Vermögen in der
Höhe der mutmasslichen Prozesskosten ausweisen können (§ 57a ZPO). Es
bleibt dahin gestellt, ob es verfassungsrechtlich vertretbar ist, bei natürlichen
Personen unbewegliches Vermögen oder auf solchem Vermögen sichergestellte Forderungen als Haftungsfonds zu verlangen, aber bei Verbandspersonen
lediglich Vermögen jeglicher Art. im In- und Ausland, in das vollstreckt werden kann. Dies dürfte wohl auf eine ungerechtfertigte und unsachliche Besserstellung von klagenden Verbandspersonen im Gegensatz zu natürlichen
Personen im Zusammenhang mit dem Erlag aktorischer Kautionen hinauslaufen.86
Das neue Schiedsrecht sieht jedenfalls keine eigenen Bestimmungen für eine
solche Prozesskostensicherheit vor. Die Kostenregel in § 626 ZPO spricht nur
davon, dass das Schiedsgericht über die Verpflichtung zum Kostenersatz entscheidet, wenn das Schiedsverfahren beendet wird. Von der Auferlegung einer
Sicherheit für die beklagte Partei oder eines Kostenvorschusses für das
Schiedsgericht zu Beginn oder im Laufe des Verfahrens ist aber nicht die Rede,
was in Bezug auf die österreichische Rezeptionsgrundlage «wegen des dringenden praktischen Bedürfnisses und im Interesse der Rechtssicherheit» kri-
83
84
85
86
EFTA Gerichtshof 17.12.2010, E-5/10 (Kottke) in LES 2011, 5 mit Anm. von Walser;
StGH 2002/37 in LES 2005, 145; Ungerank, Entsprechen die nunmehrigen Bestimmungen der ZPO betreffend die Sicherheitsleistung für Prozesskosten dem EWRRecht? LJZ 2010, 32; Lennert/Heilmann, Die Auslegung der aktorischen Kaution im
Lichte des Allgemeinen Diskriminierungsverbotes in Art. 4 EWR, LJZ 2011, 25.
IdF LGBl 2009 Nr 206.
Forderungen, die auf unbeweglichen Gütern bücherlich sichergestellt sind.
Vgl. StGH 13.10.2012, StGH 2011/173 offen lassend; vgl. zur Differenzierung zwischen juristischen und natürlichen Personen beim Verfahrenshilfeanspruch im Zivilprozess (bei Konkurs der juristischen Person) z.B. Urteil des StGH vom 22.6.2010
StGH 2009/003.
85
Johannes Gasser
tisiert worden war.87 Dies bedeutet aber nicht, dass Schiedsgerichte nach dem
neuen Verfahrensrecht nicht dennoch Kautionen auferlegen könnten. Unstrittig ist die Zulässigkeit, wenn eine entsprechende Parteienvereinbarung bzw.
Schiedsordnung, der sich die Parteien unterworfen haben, dazu ermächtigt;
dies ist einer der entscheidenden Vorteile der Liechtenstein Rules, die diese
Möglichkeit explizit vorsehen, worauf später noch näher einzugehen sein
wird.88
Liegt diesbezüglich keine Einigung vor, begründet die herrschende Meinung
das Recht des Schiedsgerichtes und der beklagten Partei auf Kaution und
Vorschüsse mit dem Verfahrensermessen gem. § 611 ZPO.89 Aber es herrscht
das Risiko, dass bei einer unzulässigen Auferlegung von Kautionen durch das
Schiedsgericht das rechtliche Gehör verweigert sein könnte, was zur Aufhebung des Schiedsspruches gemäss § 628 Abs. 2 Z. 2 ZPO führen kann. Einem
ausländischen Kläger kann daher nur dann in unbedenklicher Weise eine Prozesskostensicherheit auferlegt werden, wenn aller Wahrscheinlichkeit nach ein
Anspruch über die Kosten des Klägers in dessen Heimatland nicht vollstreckt
werden kann.90 Dies begegnet auch in NYÜ Staaten nicht selten praktischen
Problemen.91 Weil aber Kostenersatzbeschlüsse neuerdings zwingend in Form
von Schiedssprüchen zu ergehen haben (§ 626 Abs. 4 ZPO) und Schiedssprüche nach dem NYÜ generell vollstreckbar sind, wird wohl die Vorschreibung
einer aktorischen Kaution oder von Vorschüssen nur dann zulässig sein, wenn
sich die Parteien darauf einigen bzw. geeinigt haben oder – NYÜ hin oder her
– nachgewiesen werden kann, dass die Vollstreckbarkeit aus rechtlichen oder
tatsächlichen Gründen unmöglich oder überaus schwierig ist.
Anderes gilt im Vollstreckbarerklärungsverfahren
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von ausländischen Schiedssprüchen vor dem Landgericht Vaduz: Dort wird dem ausländischen Antragssteller regelmässig eine aktorische Kaution aufzuerlegen sein, einerseits weil
die inländischen Verfahrenskosten nicht im Ausland vollstreckbar sind,92 und
87
88
89
90
91
92
86
Hausmaninger, § 609 Rz. 90.
Vgl. unten C 2 c).
Hausmaninger, § 609 Rz. 91.
Hausmaninger, § 609 Rz. 92.
Hausmaninger, § 609 Rz. 90 aE.
Vgl. § 57 Abs. 2 Z. 1 ZPO idF LGBl 2009 Nr 206.
Schiedsstandort Liechtenstein
andererseits weil dies nicht dem Diskriminierungsverbot des Art. III Abs. 3
NYÜ widerspricht.93
b)
Schiedsspruch mit vereinbartem Wortlaut
Schiedsvergleiche sind nach dem NYÜ nicht vollstreckbar. Deshalb tun Parteien gut daran, sich einen in einen Schiedsspruch gegossenen Vergleich über
gemeinsamen Antrag ausfertigen zu lassen. Ein solcher «agreed, consent
award» ist neuerdings also zulässig (§ 622 Z. 2 ZPO).
7.
Aufhebung des Schiedsspruchs
a)
Aufhebungsklage
Im Unterschied zur relativ langen 3-monatigen Frist für die Erhebung einer
Aufhebungsklage gegen Schiedssprüche nach österreichischem Recht haben
Schiedsparteien in Liechtenstein lediglich vier Wochen Zeit (§ 628 Abs. 4
ZPO). Mit der Klage kann lediglich die Aufhebung des Schiedsspruches beantragt werden, wozu auch solche gehören, wo nur über die Zuständigkeit
abgesprochen wird (§ 628 Abs. 1 ZPO).
Sowohl für die Anfechtungsklage als auch für Klagen auf Feststellung des
Bestehens oder Nichtbestehens eines Schiedsspruches ist das Obergericht als
einzige und letzte Instanz zuständig (§ 632 ZPO). Dies ist eine der zentralen
Abweichungen von der österreichischen Rezeptionsgrundlage, die zum Leidwesen vieler Schiedspraktiker mehrere Instanzen vorsieht, sowie eine beachtliche Neuerung des Schiedsverfahrens, mit der eine Beschleunigung des
Verfahrens und eine Entlastung der Gerichte erreicht wird.94 Das Obergericht
wurde dabei anstelle des FL OGH bewusst deshalb zuständig gemacht, weil
es – im Unterschied zum FL OGH – die volle Kognition in Sachverhaltsfragen
hat.95 Exemplarisch ist eine Aufhebungsklage gegen einen Schiedsspruch, die
offenbar noch nach altem Schiedsverfahrensrecht den langen Weg durch alle
drei Instanzen Liechtensteins antrat und über die immerhin mehr als zwei
93
94
95
Vgl. dazu Czernich, New Yorker Schiedsübereinkommen Kurzkommentar (2008),
Art. III Rz. 15, S. 31.
Stellungnahme 17.
Stellungnahme 19.
87
Johannes Gasser
Jahre verhandelt wurde.96 Es darf mit Recht davon ausgegangen werden, dass
Aufhebungsklagen, die nunmehr nur noch vor einer Instanz, dem Obergericht,
verhandelt werden, durchschnittlich nicht sehr viel länger als einige Monate
dauern.
b)
Aufhebungsgründe
Zu den Gründen für eine Aufhebung des Schiedsspruches durch das FL Obergericht zählen die Ungültigkeit (§ 628 Z. 1 ZPO) oder Überschreitung (Z. 3)
einer Schiedsvereinbarung sowie die Verletzung des rechtlichen Gehörs (Z. 2)
oder des ordre public (Z. 5 und 8). Zum letzteren Aufhebungsgrund zählen
zwingende (materielle – und nicht verfahrensrechtliche) Rechtsvorschriften,
an die die Parteien ausnahmslos gebunden sind und denen sie sich durch entgegengesetzte Vereinbarungen auch nicht entziehen können, sowie allgemeine
Rechtsgrundsätze, von denen die Gesetze notwendigerweise als selbstverständlich vorausgesetzt ausgehen; die jüngere liechtensteinische Rechtsprechung zählt beispielsweise dazu nicht die (falsche) Auslegung von Statuten
oder Beistatuten oder die von Aufhebungsklägern gerügte Nichtaufnahme von
Beweisen zum angeblichen Stifterwillen durch das Schiedsgericht.97 Auch sind
Schiedssprüche bei strafrechtlichen Wiederaufnahmsgründen (Z. 6) oder bei
fehlender subjektiver Schiedsfähigkeit (Z. 7) aufzuheben.
Der vollen Kognition des FL Obergerichtes bei Aufhebungsklagen kommt eine
zusätzliche Bedeutung bei sog. «Non-Signatories» zu, also bei Dritten, die sich
Schiedsklauseln nicht unterworfen haben. Dabei handelt es sich in der liechtensteinischen Treuhandpraxis v.a. um Begünstigte von Stiftungen, es sei
denn, sie hätten sich in Kenntnis einer Schiedsklausel in den Statuten der
Stiftung durch die vorbehaltlose Annahme von Ausschüttungen bereits
schriftlich – beispielsweise durch Unterzeichnung einer in der Praxis nicht
unüblichen Schadloshaltungserklärung samt Schiedsklausel – auf die Schiedsklausel eingelassen. Das FL Obergericht hat jüngst klargestellt, dass Destinatäre von Stiftungen, auch wenn sie sich nicht ausdrücklich einer Schiedsklausel unterwerfen, durch dieselbe gebunden sind.98 Diesen Non-Signatories
verleiht Art. 6 EMRK einen besonderen Schutz: Ihnen gegenüber sind
96
97
98
88
FL OGH 5.2.2010, CG.2008.14.
FL OGH 5.2.2010, CG.2008.14 (25).
FL Obergericht 16.05.2012, 05 HG.2011.172, tw zitiert in LJZ 2012, 67.
Schiedsstandort Liechtenstein
Schiedssprüche auch wegen «durchschnittlicher» Fehler des Verfahrens oder
der Rechtsanwendung, die noch nicht die Schwelle der Aufhebungsgründe in
§ 628 ZPO erreicht haben, aufzuheben.99
c)
Öffentlichkeit des Aufhebungsverfahrens?
Überraschenderweise wollte sich der Gesetzgeber bei der Revision des liechtensteinischen Schiedsverfahrensrechts nicht dazu durchringen, bei Aufhebungsverfahren generell und von Gesetzes wegen die Öffentlichkeit auszuschliessen. Das Gesetz sieht nur eine eingeschränkte Diskretion vor: Auf
Antrag einer Partei kann die Öffentlichkeit ausgeschlossen werden, wofür aber
ein berechtigtes Interesse dargetan werden muss (§ 633 Abs. 2 ZPO). Welche
berechtigten Interessen hier notwendig sind, wird wohl nur im Lichte der vor
staatlichen Gerichten vergleichbaren Zivilverfahren ersichtlich; dies ist z.B.
dann der Fall, wenn Tatsachen des Familienlebens Dritter erörtert werden.100
Die Schiedsparteien könnten also grundsätzlich zur Verhandlung andere Personen oder sogar theoretisch Medienvertreter einladen, was aber mit den Intentionen eines Schiedsgerichtes unvereinbar wäre. Und dennoch stellt das
neue Gesetz – nur, aber immerhin – sicher, dass solche Dritte nur mit Zustimmung aller Prozessbeteiligten von den Prozessakten Einsicht nehmen und
Abschriften machen dürfen (§ 633 Abs. 3 ZPO). Schliesslich sind Beweisdokumente und Schriftsätze (§ 633 Abs. 4 spricht ganz generell von «Dokumenten»), die von einer Partei einem Schiedsgericht übergeben worden waren,
dieser Partei wieder auszufolgen, wenn der Zweck der Aufbewahrung weggefallen ist.
Der Geheimnisschutz ist damit nur unzureichend gewahrt. Das liegt wohl
daran, dass der Gesetzgeber die Auswirkungen von Art. 6 EMRK in Liechtenstein offenbar insoweit missverstand, als in den Gesetzesmaterialen ausdrücklich davon die Rede ist, dass Liechtenstein aufgrund seiner völkerrechtlichen
Verpflichtungen die Öffentlichkeit von Verfahren nicht ausschliessen dürfe.101
Diese Annahme ist unrichtig: Liechtenstein hat in Bezug auf die Öffentlichkeit
Batliner /Gasser, Sind Schiedsklauseln zulasten Dritter gemäss Art. 6 EMRK zulässig?, in Baudenbacher-FS. (2007) 706 ff.
100
R echberger /Melis, § 172 Rz. 3.
101
So ausdrücklich Stellungnahme 20.
99
89
Johannes Gasser
von Verfahren einen Ratifikationsvorbehalt zur EMRK angebracht.102 Der
Ausschluss der Öffentlichkeit in Schiedsverfahren begegnet daher keinerlei
Bedenken.103 Dies wird durch die Liechtenstein Rules wettgemacht: Durch ihre
Vereinbarung schliessen die Parteien regelmässig auch die Öffentlichkeit von
Aufhebungsverfahren aus.
De lege ferenda sollte der Gesetzgeber grundsätzlich klarstellen, dass auch für
Aufhebungsverfahren die Öffentlichkeit ausnahmslos ausgeschlossen ist. Bei
dieser Gelegenheit wäre auch eine Klarstellung für das Schiedsverfahren
selbst begrüssenswert.104
C.
Liechtenstein Rules of Arbitration
1.
Einführung
Es ist weitgehend Sache der Schiedsparteien, die Verfahrensgestaltung frei zu
vereinbaren. § 611 ZPO lautet: «Vorbehaltlich der zwingenden Vorschriften ...
können die Parteien die Verfahrensgestaltung frei vereinbaren. Dabei können
sie auch auf Verfahrensordnungen Bezug nehmen. Fehlt eine solche Vereinbarung, so hat das Schiedsgericht nach den Bestimmungen dieses Titels, darüber
hinaus nach freiem Ermessen vorzugehen.» In der Praxis wird oft auf Verfahrensordnungen internationaler Schiedsinstitutionen Bezug genommen.105
Dazu gehören die ICC-Regeln, die UNCITRAL Arbitration Rules oder die
liechtensteinische ZPO.106 Auch kam es in der liechtensteinischen Schiedspraxis vor, dass sich ad hoc Schiedsgerichte eigene Schiedsordnungen gaben. Die
Crux daran ist, dass sich die Parteien dem zu unterwerfen haben, widrigenfalls
sie keine Geltung erlangen; tun die Schiedsparteien dies nicht, ist der erste
Streit vorprogrammiert.
Vgl. Westerdiek, Die Vorbehalte Liechtensteins zur Europäischen Menschenrechtskonvention, EuGRZ 1983, 549 ff.; StGH 20.8.1996, StGH 1996/46 in LES 1997, 148;
Batliner /Gasser in Baudenbacher-FS, 721.
103
Höfling, Die liechtensteinische Grundrechtsordnung (1994) 28; Batliner /Gasser in
Baudenbacher-FS, 721.
104
Hausmaninger, § 594 Rz. 134.
105
Schumacher, Schiedsverfahren 110.
106
BuA 55.
102
90
Schiedsstandort Liechtenstein
Die meisten Bestimmungen des neuen Schiedsrechtes sind dispositiver Natur
und können daher von den Parteien abbedungen werden. Dem Schiedsgericht
wird ausserdem gesetzlich ein freies schiedsrichterliches Verfahrensermessen
(§ 611 Abs. 1 ZPO) sowie freie Beweiswürdigung (§ 616 Abs. 1 ZPO) eingeräumt. Explizit genannt und tragende Pfeiler des Schiedsverfahrens sind die
Grundsätze der fairen Behandlung aller Parteien, des rechtlichen Gehörs
(§ 611 Abs. 2 ZPO) sowie des unveräusserlichen Rechts auf anwaltliche Vertretung und Beratung (§ 611 Abs. 3 ZPO).
Die neue Schiedsordnung der Liechtensteinischen Industrie- und Handelskammer (LIHK) geht auf eine private Initiative von (schieds-) prozesserfahrenen
liechtensteinischen Rechtsanwälten zurück, die sich im Sommer 2011 im
Liechtensteinischen Schiedsverein (Liechtenstein Arbitration Association) mit
Sitz in Vaduz organisiert haben. Dennoch ist die LIHK «Patin» der neuen
Schiedsordnung, was nahe liegend ist, wenn man die vergleichbaren Schiedsordnungen anderer Institutionen (z.B. «Wiener Regeln» des Internationalen
Schiedsgerichts der Wirtschaftskammer Österreichs oder die «Swiss Rules»
der Schweizerischen Handelskammern)107 näher betrachtet; dadurch wird die
Schiedsordnung von der privaten Initiative und ihren liechtensteinischen Proponenten entkoppelt und erhält eine dauerhafte, institutionelle und internationale Geltung und Bestandsgewähr.
Mit der neuen Liechtensteinischen Schiedsordnung (Liechtenstein Rules of
Arbitration) der LIHK liegt für den liechtensteinischen Rechtsbereich erstmals
ein Kodex vor, der das neue Schiedsrecht und damit den attraktiven «Schiedsplatz Liechtenstein» gekonnt ergänzt. Er schafft noch mehr Rechtssicherheit
und vereint die Vorteile diverser, bewährter Schiedsordnungen. Unter der
Federführung von Prof. Felix Dasser, Partner von Homburger Rechtsanwälte
in Zürich, wurde ein Regelwerk geschaffen, das sich v.a. an den Swiss Rules
orientiert, aber aus den Fehlern der Praxis wichtigen Erkenntniswert gewonnen und umgesetzt hat.
107
Hausmaninger, § 577 Rz. 27.
91
Johannes Gasser
2.
Die milestone der Liechtenstein Rules
Im Anhang werden die neuen «Liechtenstein Rules» im finalen Entwurf 108
sowohl auf Deutsch als auch auf Englisch abgedruckt. Hier sei aber bereits auf
einige wichtige «milestones» der Liechtenstein Rules eingegangen.
a)
Vertraulichkeit
Das liechtensteinische Schiedsverfahren enthält keine Regelungen über den
Ausschluss der Öffentlichkeit im Schiedsverfahren109; das neue Gesetz enthält
nur – sehr ungünstige, weil auf einem Irrtum beruhende – Regelungen zum
Aufhebungsverfahren.110
Die Liechtenstein Rules machen dieses Manko wett. Art. 29 sieht vor, dass
sämtliche am Schiedsverfahren beteiligte Parteien einschliesslich Schiedsrichter, Zeugen, Sachverständige etc. bei sonstiger Konventionalstrafe von CHF
50’000 und darüber hinaus nachweispflichtigem Schadenersatz zur Verschwiegenheit verpflichtet sind. Dass das Schiedsgericht zusätzlich gebotene
Massnahmen zur Wahrung von Geheimhaltungsbedürfnissen einer Partei
trifft (Art. 29.3), ist dahin zu verstehen, dass die Schiedsrichter üblicherweise
die Öffentlichkeit vom Verfahren ausschliessen werden. Art. 18.2 sieht ferner
vor, dass auf Antrag der eine Beweisurkunde vorlegenden Partei, Urkunden
und Beweismittel der Gegenpartei nicht übergeben, sondern lediglich am Sitz
des Schiedsgerichtes oder einem geeigneten Ort zur Einsicht vorgelegt werden,
wenn die Antrag stellende Partei ein Interesse an der Vertraulichkeit der Unterlagen darlegen kann. Ferner trifft das Schiedsgericht alle angemessenen
Anordnungen zum Schutz berechtigter Geheimhaltungsinteressen der Parteien
und Dritter. Es kann beispielsweise anordnen, dass ein Experte, der seinerseits
einem Berufsgeheimnis untersteht, Urkunden prüft und über den erheblichen
Inhalt dem Schiedsgericht Bericht erstattet, ohne dass diese Urkunden dem
Schiedsgericht oder der Gegenseite selbst zur Einsicht vorzulegen sind.
Zu beachten ist also, dass sich inhaltlich noch kleinere Änderungen ergeben könnten.
Die Schiedsordnung in seiner endgültigen und verbindlichen Form ist aber auf der
Homepage der LIHK (www.lihk.li) und des Liechtensteinischen Schiedsvereins jederzeit erhältlich.
109
Vgl. zur gleichen österreichischen Rechtslage Hausmaninger, § 594 Rz. 134.
110
Vgl. dazu schon oben B 7. c).
108
92
Schiedsstandort Liechtenstein
Diskretion wird durch die Liechtenstein Rules auch deshalb gewährleistet, weil
als Schiedsrichter nur Personen wählbar sind, die einer gesetzlichen Verschwiegenheitspflicht unterliegen (Art. 6.1); in Frage kommen z.B. Rechtsanwälte, Wirtschaftsprüfer oder berufsmässige Treuhänder.
In der Praxis wird die Vertraulichkeit von Schiedsverfahren grosse Bedeutung
haben. Viele Schiedsverfahren werden sich mit der Beilegung von Streitigkeiten aus dem Treuhandbereich beschäftigen, wo Geheimnisschutz besonderen
Stellenwert hat. Durch die Liechtenstein Rules ist gewährleistet, dass dieser
Schutz lückenlos bestehen bleibt.
b)
Verfahren
Das Verfahren wird genau ausgestaltet, was mit der Zustellung sowie der Berechnung von Fristen (Art. 3) und der Einleitung des Verfahrens, also der
Zustellung des schriftlichen und mit inhaltlichen Mindestvorgaben ausgestalteten Klagebegehrens durch den Kläger, beginnt (Art. 4). Auf die Klage folgt
innert einer Frist von 30 Tagen die Klageantwort, die eine etwaige Widerklage
sowie Verrechnungs- (Art. 5) und Unzuständigkeitseinreden (Art. 16) zu enthalten hat.
Vorläufige oder sichernde Massnahmen müssen zwingend und ausschliesslich
beim Schiedsgericht beantragt werden. Wenn es bereits konstituiert ist, darf
ohne Genehmigung des Schiedsgerichtes keine Partei mehr solche Anträge vor
staatlichen Gerichten stellen. Als Folge des Zuwiderhandelns kommt in erster
Linie Schadenersatz wegen Verletzung der Verschwiegenheitsverpflichtung in
Betracht (Art. 17). Wenn aber beispielsweise Drittverbote vor staatlichen Gerichten beantragt werden, ist keine vorgängige Genehmigung des bereits
konstituierten Schiedsgerichtes erforderlich, weil solche Drittverbote vor
Schiedsgerichten ohnehin nicht erhältlich sind.111
Die Beweisaufnahme muss nicht zwingend unmittelbar erfolgen.112 Auch besteht kein Anspruch auf die Durchführung mündlicher Verhandlungen
(Art. 18), was aber dennoch die Regel sein wird. Wenn eine Partei eine mündliche Verhandlung beantragt, sich jedoch das Schiedsgericht darüber hinwegsetzt und auf ein schriftliches Verfahren beschränkt, riskiert es eine Aufhe111
112
Vgl. oben B 5.
Vgl. dazu generell Schumacher, Schiedsverfahren 110 m.w.N.
93
Johannes Gasser
bung des Schiedsurteils wegen Verfahrensmangel.113 Jedoch sind solche Verfahrensmängel unverzüglich zu rügen, widrigenfalls sie als geheilt gelten
(Art. 21.1). Beweisurkunden können von der Gegenpartei nur herausverlangt
werden, wenn es sich um gemeinsame oder solche Urkunden handelt, auf die
sich (auch) die Gegenpartei berufen hat oder zu deren Herausgabe sie nach
bürgerlichem Recht verpflichtet ist (§ 304 ZPO). Auch wenn nach den Liechtenstein Rules auch Parteien als Zeugen gelten können (Art. 18.5), können sich
diese (im Unterschied zu Zeugen) meines Erachtens dennoch auf das Recht
berufen, Antworten auf bestimmte Fragen zu verweigern.114 Ganz generell
hindert im Übrigen auch die unentschuldigte Säumnis einer Partei nicht den
Fortgang und Abschluss des Schiedsverfahrens (Art. 19).
c)
Kosten
Die Kosten des Schiedsverfahrens werden ebenfalls in den Rules genauer
geregelt. Sie sind grundsätzlich von der unterliegenden Partei nach Massgabe
des Unterliegens zu tragen (Art. 27.1: «looser pays all») und ähnlich gestaffelt
wie in den Swiss Rules, unterschreiten aber deren Tarife um bis zu 15 %, was
den Schiedsstandort Liechtenstein damit in materieller Hinsicht als «günstiger» erscheinen lässt. So kostet ein Verfahren vor einem Dreierschiedsgericht
nach den Liechtenstein Rules bei einem Streitwert von beispielsweise bis zu
CHF 250’000 CHF 14’000, bei CHF 1 Mio. Streitwert CHF 42’000 und bei
CHF 15 Mio. Streitwert CHF 165’000. Mit dieser Pauschale sind sämtliche
Verfahrensschritte bis einschliesslich der Erlassung des Schiedsspruches abgedeckt (Art. 26). Üblicherweise wird das Schiedsgericht sofort beide Parteien
zur Hinterlegung eines Kostenvorschusses auffordern (Art. 28). Kommt die
beklagte Partei dieser Pflicht nicht nach und hinterlegt die klagende Partei
nicht an ihrer Stelle, kann das Schiedsgericht das Verfahren vorzeitig beenden.
Auf Verlangen des Klägers kann dem Beklagten vom Schiedsgericht auch eine
aktorische Kaution, also eine Sicherheitsleistung für Prozess- und Anwaltskosten des Beklagten, sowie ein Vorschuss für die Gerichtskosten auferlegt werden (Art. 28.3). Das ist ein entscheidender Vorteil der Liechtenstein Rules,
denn nur bei entsprechender Parteivereinbarung (wie z.B. in einer Schiedsordnung) ist die Auferlegung von Kautionen und Vorschüssen im Hinblick auf die
113
114
94
Vgl. Mayr, Schiedsverfahrensrecht 2, 25 und EvBl 2010/148.
Vgl. dazu §§ 380 ff. ZPO.
Schiedsstandort Liechtenstein
Gewährung rechtlichen Gehörs und einen allfälligen Aufhebungsgrund absolut unbedenklich.115 Hat der Kläger nachweislich keine Mittel zur Bestreitung
der Kosten oder Vorfinanzierung eines Schiedsverfahrens, gilt der Schiedsvertrag als aufgehoben, und es steht ihm der Weg zur Anrufung staatlicher Gerichte offen.116
d)
Schiedsrichterhaftung
Ein Schiedsrichter, welcher die durch Annahme der Bestellung übernommene
Verpflichtung gar nicht oder nicht rechtzeitig erfüllt, haftet den Parteien für
allen durch seine schuldhafte Weigerung oder Verzögerung verursachten
Schaden (§ 611 Abs. 4 ZPO). Nach ständiger Rechtsprechung und Lehre der
vergleichbaren und deshalb bedenkenlos anwendbaren österreichischen
Rechtsordnung macht nur ein die Unwirksamkeit des Schiedsspruches verursachendes schuldhaftes Verhalten des Schiedsrichters diesen schadenersatzpflichtig. Dafür ist also Voraussetzung, dass überhaupt ein Schiedsspruch
vorliegt, dieser infolge erfolgreicher Anfechtung und Aufhebung durch das FL
Obergericht unwirksam ist und dies vom Schiedsrichter rechtswidrig, adäquat
und schuldhaft verursacht wurde.117
Da die gesetzliche Regelung dispositiv ist, können die Parteien mit den
Schiedsrichtern einen anderen Haftungsmassstab vereinbaren.118 Dies ist mit
Art. 30 Liechtenstein Rules insoweit erfolgt, als inbesondere Schiedsrichter,
Kommissär und ihre Hilfspersonen und Sachverständigen für keine ihrer
Handlungen oder Unterlassungen in einem Schiedsverfahren haften, es sei
denn, die Haftung wäre gesetzlich zwingend vorgesehen. Der Haftungsausschluss wird dahin gehend zu verstehen sein, dass Schiedsrichter nur für
vorsätzliches und krass fahrlässiges Verhalten einzustehen haben.119
e)
Kommissär
Damit insbesondere die Bestellung und Abberufung von Schiedsrichtern problemlos und rasch erfolgt, wurde eine eigene Instanz vorgesehen. Es obliegt
Vgl. oben B 6 a).
FL OGH 11.6.2010, CG.2008.251, RN 7.3.
117
Hausmaninger, § 594 Rz. 122 ff.; BuA 57 ff.
118
Hausmaninger, § 594 Rz. 126.
119
Hausmaninger, § 594 Rz. 128.
115
116
95
Johannes Gasser
dem Kommissär, Einzelschiedsrichter (Art. 8.2) oder Schiedsrichter eines
Dreier-Schiedsgerichtes (Art. 9.2 und 9.4) zu nominieren, wenn die Parteien
dabei scheitern. Auch kann er befangene Schiedsrichter absetzen (Art. 12) oder
Schiedsrichter, die ihren Verpflichtungen nicht mehr nachkommen, ersetzen
(Art. 13). Kommissäre werden jeweils vom Sekretariat des LIHK eigens für
ein bestimmtes Schiedsverfahren ernannt; ihre Entscheidungen sind endgültig
(Art. 32).
D.
Ausblick
Liechtenstein hat mit dem neuen Schiedsverfahrensrecht einen entscheidenden
Schritt gesetzt, eine wichtige Rolle im internationalen Konzert der Schiedsstandorte einzunehmen. Bisher fristete das Schiedsrecht in der liechtensteinischen Praxis eher eine Aussenseiterstellung. Das wird sich nun wohl schnell
ändern. Vor allem die «Player» des Finanzplatzes Liechtenstein wie Banken,
Versicherer, Vermögensverwalter, Investmentfonds und Treuhänder werden
gut beraten sein, aufgrund der entscheidenden Vorteile der privaten Streitbeilegung für mögliche Konflikte mit Kunden und Geschäftspartnern ad hoc
Schiedsgerichte mit Sitz in Liechtenstein in vertraglichen oder statutarischen
Schiedsklauseln vorzusehen. Aufgrund der neuen liechtensteinischen Schiedsordnung der Liechtensteinischen Industrie- und Handelskammer (LIHK), den
sogenannten «Liechtenstein Rules», wird die Attraktivität noch verstärkt.
Damit sollen vor allem Parteien, die bislang noch keinen Bezug zu Liechtenstein hatten, motiviert werden, ihre möglichen zivilrechtlichen Streitigkeiten
durch liechtensteinische Schiedsgerichte austragen zu lassen. Dabei kommen
ihnen die Vorteile des Finanzplatzes Liechtenstein entgegen, die sich ideal mit
jenen des neuen Schiedsstandortes verbinden lassen. Mit dem neuen Schiedsverfahrensrecht und den «Liechtenstein Rules» ist also ein diskreter, rascher,
von Experten geführter und relativ günstiger Streitbeilegungsmechanismus
geschaffen worden, der wohl bald über die Grenzen Liechtensteins hinweg von
sich reden machen wird.
Bleibt letztlich die Frage, ob Stiftungsräte für bestehende Stiftungen neu
Schiedsklauseln vorsehen dürfen. Der FL Oberste Gerichtshof hatte sich erst
unlängst mit dieser Frage in umgekehrter Richtung auseinander zu setzen und
sie bejaht. Hat demnach der Stiftungsrat gemäss Statuten ein Änderungsrecht
eingeräumt erhalten, beziehe sich dieses nicht nur auf begünstigungsrelevante
96
Schiedsstandort Liechtenstein
Bestimmungen, sondern auch auf Organisationsbestimmungen wie z.B.
Schiedsklauseln. Deshalb könnte ein Stiftungsrat solche Schiedsklauseln jederzeit aufheben. Die Sachlichkeit einer solchen Entscheidung sei auch durch
die festgestellte Höhe der Kosten des Schiedsverfahrens vor der Genfer Industrie- und Handelskammer indiziert.120 Deshalb muss es aus meiner Sicht ohne
weiteres auch Stiftungsräten von Stiftungen, deren Statuten keine Schiedsklauseln vorsehen, möglich sein, von einem rechtmässig in Statuten vorbehaltenen Änderungsrecht gem. Art. 552 § 32 PGR Gebrauch zu machen und für
sämtliche Streitigkeiten im Bereich der Stiftung ein liechtensteinisches
Schiedsgericht sowie die Geltung der Liechtenstein Rules vorzusehen.121 Die
bereits vorgestellten Vorteile der Liechtenstein Rules stellen meines Erachtens
jedenfalls eine sachliche Rechtfertigung für eine solche Statutenänderung dar.
120
121
FL OGH 3.12.2009, CG.2008.123.
Für Vereine vertritt Hausmaninger, § 581 Rz. 314, die Meinung, dass, weil die Vereinbarung eines Schiedsgerichtes den Justizgewährungsanspruch berührt, die Aufhebung von Schiedsvereinbarungen in Vereinsstatuten zulässig, hingegen die Aufnahme unzulässig sein soll; was für Genossenschaften und Vereine gilt, ist aber m.E.
keineswegs auf Stiftungen auszudehnen, zeichnen sich doch nachgerade Stiftungen
durch die Abstinenz von jeglicher demokratischen Mitsprache der Begünstigten oder
anderer mitgliedschaftlicher Rechte – im Unterschied zu jenen von Vereinsmitgliedern oder Genossenschaftern – aus; im Stiftungsrecht kann es aber nur auf den Stifterwillen ankommen (der durch den Stiftungsrat mit vorbehaltenen Änderungsrechten
substituiert werden kann) und nicht darauf, welchen Justizgewährungsanspruch Begünstigte für sich beanspruchen wollen.
97
Johannes Gasser
Schiedsordnung der
Liechtensteinischen Industrie- und Handelskammer
(LIHK) Fürstentum Liechtenstein 2012
Inhaltsübersicht
I.
Schiedsregeln A. Allgemeine Bestimmungen
Anwendungsbereich
Sitz
Zustellung und Berechnung von Fristen
Einleitung des Schiedsverfahrens
B. Zusammensetzung des Schiedsgerichts
Wählbarkeitsvoraussetzung
Anzahl der Schiedsrichter
Bestellung eines Einzelschiedsrichters
Bestellung eines Dreier-Schiedsgerichts
Unabhängigkeit und Ablehnung von Schiedsrichtern
Ersetzung eines Schiedsrichters
C. Schiedsverfahren
Allgemeine Bestimmungen
Zuständigkeit des Schiedsgerichts
Vorläufige oder sichernde Massnahmen
Beweisaufnahme Säumnis
Schluss des Verfahrens
Verzicht auf die Geltendmachung eines Verstosses gegen
die Verfahrensregeln
D. Schiedsspruch
Entscheidungen
Form und Wirkung des Schiedsspruches
Anzuwendendes Recht E. Kosten
Kostenfestlegung
Hinterlegung eines Kostenvorschusses
F. Vertraulichkeit Haftungsausschluss
G. Sekretariat und Kommissär
II. Anhang A – Kostenordnung
A. Kosten des Sekretariats
B. Kosten des Kommissärs
C. Honorar der Schiedsrichter
D. Steuern und Abgaben
98
99
99
99
100
100
101
102
102
103
104
104
105
106
106
106
107
108
108
110
110
110
111
111
111
112
112
112
113
115
116
116
119
119
119
119
121
Schiedsstandort Liechtenstein
III. Musterschiedsklauseln
Für Vertragsstreitigkeiten: Für Trusts:
Für Stiftungen
Für Gesellschaften
I.
Schiedsregeln
A.
Allgemeine Bestimmungen
122
122
122
122
123
Anwendungsbereich
Article 1
1.1
Die Schiedsordnung ist anwendbar auf nationale und internationale Schiedsverfahren, wenn die Parteien die Zuständigkeit eines Schiedsgerichts gemäss
dieser Schiedsordnung vereinbart haben. Eine genaue Bezeichnung dieser
Schiedsordnung in der Schiedsvereinbarung ist nicht erforderlich; es genügt,
wenn aus der verwendeten Bezeichnung mit hinreichender Sicherheit geschlossen werden kann, dass die Parteien diese Schiedsordnung und nicht
eine andere gemeint haben dürften.
1.2
Die Parteien können abweichende Regelungen treffen.
1.3
Vorbehältlich einer anderen Vereinbarung der Parteien ist die jeweils im
Zeitpunkt der Einleitung des Schiedsverfahrens (Eingang der Klageschrift
bei der beklagten Partei, der als erster zugestellt wurde) gültige Fassung der
Schiedsordnung massgeblich.
1.4
Soweit diese Schiedsordnung keine Bestimmung enthält und vorbehältlich
einer Regelung des anwendbaren staatlichen Rechts, orientiert sich das
Schiedsgericht an den berechtigten Interessen der Parteien unter angemessener Berücksichtigung bewährter Schiedspraxis.
1.5
Diese Schiedsregeln werden in mehreren Sprachen von der Liechtensteinischen Industrie- und Handelskammer (LIHK) bzw. dem Sekretariat für das
Schiedswesen publiziert. Gibt es eine Publikation in der Verfahrenssprache
des konkreten Schiedsverfahrens, ist die entsprechende Version dem Verfahren zu Grunde zu legen, in allen anderen Fällen die englische Version.
99
Johannes Gasser
Sitz
Article 2
2.1
Die Parteien können jeden Ort als Sitz bestimmen. Die Schiedsordnung ist
auch anwendbar, wenn die Parteien einen Sitz ausserhalb Liechtensteins
wählen, allerdings unter Vorbehalt der zwingend anwendbaren Rechtsvorschriften im Sitzstaat.
2.2
Soweit die Parteien keine andere Abrede getroffen haben, ist der Sitz des
Schiedsgerichts in Vaduz, Fürstentum Liechtenstein. Soweit die Parteien nur
den Sitzstaat oder ein Territorium vereinbart haben, gilt dessen Hauptstadt
als Schiedsort.
2.3
Erachtet es das Schiedsgericht dem Verfahren dienlich, so können Verhandlungen auch an einem anderen Ort als dem Sitz des Schiedsverfahrens durchgeführt werden.
Zustellung und Berechnung von Fristen
Article 3
3.1
Eine Mitteilung gilt als zugegangen, wenn sie dem Empfänger selbst übergeben oder an seinem gewöhnlichen Aufenthalt, an seinem Geschäftssitz oder
an seiner Postanschrift oder – wenn keine dieser Anschriften nach angemessenen Nachforschungen festgestellt werden konnte – am letzten bekannten
Aufenthalt oder Geschäftssitz des Empfängers abgegeben wurde. Als Empfangstag gilt der Tag dieser Zustellung.
3.2
Zum Zweck der Berechnung einer in dieser Schiedsordnung bestimmten Frist
beginnt die Frist mit dem Tag zu laufen, der auf den Tag folgt, an dem die
Mitteilung zugegangen ist. Ist der letzte Tag der Frist am Aufenthaltsort oder
am Geschäftssitz des Empfängers dieser Mitteilung ein staatlicher Feiertag
oder ein generell arbeitsfreier Tag, so wird die Frist bis zum ersten folgenden
Werktag verlängert. Vorbehalten bleiben besondere Anordnungen des
Schiedsgerichts.
3.3
Zur Einhaltung einer Frist genügt Zustellung per Telefax, wenn die Eingabe
innert Frist auch einer staatlichen Post oder einem anerkannten Kurierdienst
zur Zustellung übergeben worden ist. Vorbehalten bleiben besondere Anordnungen des Schiedsgerichts.
100
Schiedsstandort Liechtenstein
Einleitung des Schiedsverfahrens
Article 4
4.1
Die Einleitung des Verfahrens erfolgt durch Zustellung des schriftlichen
Klagebegehrens durch den Kläger an den Beklagten.
4.2
Das Schiedsverfahren gilt als an dem Tag begonnen, an dem dem Beklagten
das Klagebegehren zugegangen ist. Im Mehrparteienverfahren gilt das
Schiedsverfahren als am ersten Tag begonnen, an welchem das Klagebegehren einem Beklagten zugegangen ist.
4.3
Das Klagebegehren ist in der von den Parteien vereinbarten Verfahrenssprache und mangels einer solchen Vereinbarung nach Wahl des Klägers in
Englisch oder Deutsch zu verfassen.
4.4
Der Kläger hat jeder Gegenpartei ein Exemplar des Klagebegehrens zu übermitteln.
4.5
Das Klagebegehren hat folgende Angaben zu enthalten:
(a) das Begehren, die Streitigkeit der Schiedsgerichtsbarkeit zu unterwerfen, unter Beilage einer Kopie der Schiedsvereinbarung, soweit verfügbar;
(b) die Namen und die Kontaktangaben (Adressen, Telefon- und TelefaxNummern) der weiteren Gegenparteien und ihrer Vertreter, soweit bekannt;
(c) das Klagebegehren mit vollständiger Begründung;
(d) einen Vorschlag hinsichtlich der Anzahl der Schiedsrichter (d.h. ein
oder drei Schiedsrichter) und der Verfahrenssprache, wenn die Parteien
darüber nichts vereinbart haben;
(e) Falls drei Schiedsrichter vorgeschlagen werden oder vereinbart wurden,
Name und Kontaktdetails des vom Kläger zu benennenden Schiedsrichters.
4.6
Das Klagebegehren kann folgende weitere Angaben enthalten:
(a) den Vorschlag des Klägers für die Bestellung eines Einzelschiedsrichters gemäss Article 8;
(b) prozessuale Anträge, die vom Schiedsgericht nach dessen Bestellung zu
entscheiden sind.
4.7
Falls das Klagebegehren diesen Vorgaben nicht entspricht, kann das Schiedsgericht über Aufforderung des Beklagten den Kläger zur Behebung der
Mängel innert angemessener Frist auffordern. Falls der Kläger diesen Aufforderungen innerhalb der gesetzten Frist nachkommt, gilt das Klagebegehren als an dem Tag eingereicht, an welchem die ursprüngliche Fassung zugestellt wurde. Andernfalls wird das Verfahren beendet.
101
Johannes Gasser
Article 5
5.1
Der Beklagte hat innerhalb von 30 Tagen nach Empfang des Klagebegehrens
dem Kläger eine Klageantwort zu übermitteln. Die Klageantwort ist auch
jeder anderen Partei durch den Beklagten zuzustellen.
5.2
Die Klageantwort hat soweit möglich die folgenden Angaben zu enthalten:
(a) Namen und Kontaktangaben (Adressen, Telefon- und Telefax-Nummern) des
Beklagten und seines Vertreters (falls diese von der Bezeichnung im Klagebegehren abweichen);
(b) eine allfällige Einrede, wonach einem gemäss der Schiedsordnung konstituierten Schiedsgericht die Zuständigkeit fehlt;
(c) eine vollständige Stellungnahme des Beklagten zu den Klagebegehren und
deren Begründung, bzw. eine partielle Stellungnahme mit begründetem
Antrag an das Schiedsgericht auf einstweilige Beschränkung des Prozessthemas;
(d) den Vorschlag des Beklagten über die Anzahl der Schiedsrichter (einer oder
drei), und der Verfahrenssprache, wenn die Parteien darüber nichts vereinbart haben;
(e) den Vorschlag des Beklagten für die Bestellung eines Einzelschiedsrichters
gemäss Artikel 8 bzw. die Bezeichnung eines Schiedsrichters durch den
Beklagten im Hinblick auf die Konstituierung eines Dreierschiedsgerichts
gemäss Artikel 9.
5.3
Widerklagen oder Verrechnungseinreden sind grundsätzlich mit der Klageantwort des Beklagten zu erheben. Es gelten die Bestimmungen von Artikel 4.5 sinngemäss.
5.4
Im Fall einer Widerklage hat der Kläger innerhalb von 30 Tagen nach Empfang der Widerklage dem Beklagten eine Widerklageantwort zu übermitteln.
Die Bestimmungen von Artikel 5.1 und 5.2 gelten sinngemäss.
B.
Zusammensetzung des Schiedsgerichts
Wählbarkeitsvoraussetzung
Article 6
6.1
102
Soweit in der Schiedsvereinbarung nichts anderes vorgesehen ist oder alle
Parteien oder der Kommissär zustimmen, sind nur Personen wählbar, die
einer gesetzlichen Verschwiegenheitsverpflichtung unterliegen, welche zumindest die Strafbarkeit der Verletzung dieser Verschwiegenheitspflicht und
ein Zeugnisverweigerungsrecht in Zivilsachen beinhalten (namentlich
Schiedsstandort Liechtenstein
Rechtsanwälte, Wirtschaftsprüfer, Patentanwälte und berufsmässige Treuhänder, die liechtensteinischem Recht unterstehen). Eine ausschliessliche
disziplinäre Strafbarkeit ist nur ausreichend, wenn die Strafsanktion der
liechtensteinischen gesetzlichen Strafsanktion für Rechtsanwälte insgesamt
zumindest gleichwertig ist. Wird ein Schiedsrichter nominiert, so hat er diese Wählbarkeitsvoraussetzung schriftlich zu bestätigen und die entsprechenden gesetzlichen Bestimmungen anzuführen. Im Bestreitungsfall entscheidet
der Kommissär endgültig. Das Verfahren richtet sich nach Artikel 11.
6.2
Das Sekretariat veröffentlicht eine Liste mit Ländern und Berufen, die jedenfalls die Voraussetzungen dieses Artikels erfüllen.
Anzahl der Schiedsrichter
Article 7
7.1
Enthält die Schiedsvereinbarung keine Regelung der Anzahl der Schiedsrichter und einigen sich die Parteien nicht auf die Anzahl der Schiedsrichter, so
ist, wenn das Klagebegehren auf Geld gerichtet ist, bei einem CHF 1’000’000
(oder Gegenwert) erreichenden oder übersteigenden Begehren unter Berücksichtigung allfälliger Widerklagen und Verrechnungseinreden gemäss Artikel 5.3 ein Dreier-Schiedsgericht zuständig. Liegt die bei einem auf Geld
gerichteten Klagebegehren streitige Summe unter CHF 1’000’000, so fällt
die Streitsache in die Zuständigkeit eines Einzelschiedsrichters.
7.2
Ist das Klagebegehren nicht auf Geld gerichtet, so hat der Kläger den Streitwert zu bemessen. Bestreitet der Beklagte eine gemäss Artikel 7.2 festgesetzte Summe und ist strittig, ob der Streitwert unter CHF 1’000’000 liegt, ist die
Zuständigkeit eines Dreier-Schiedsgerichts gegeben.
7.3
Die Bewertung erfolgt zu jenem Datum, an dem das entsprechende Begehren
der Gegenpartei zugestellt wurde, bei mehreren Gegenparteien zum Datum
der ersten Zustellung an einen von ihnen.
7.4
Sieht die Schiedsvereinbarung eine gerade Anzahl von Schiedsrichtern vor,
so ernennt der Kommissär über Aufforderung eines Schiedsrichters einen
Vorsitzenden des Schiedsgerichts mit Stichentscheid. Diese Aufforderung
kann jederzeit während des Verfahrens erfolgen. Das Schiedsgericht entscheidet selbst, ob und in wie weit vor Ernennung des Vorsitzenden erfolgte
Verfahrensschritte wiederholt werden müssen.
103
Johannes Gasser
Bestellung eines Einzelschiedsrichters
Article 8
8.1
Haben zwei oder mehr Parteien die Zuweisung der Streitsache an einen Einzelschiedsrichter vereinbart, haben sie vorbehaltlich einer anderen Vereinbarung den Einzelschiedsrichter gemeinsam innerhalb einer Frist von 21 Tagen
nach Zustellung der Klageantwort zu bezeichnen. Selbiges gilt, wenn sich die
Zuweisung der Streitsache an einen Einzelschiedsrichter aus Article 7 ergibt.
Die Frist beginnt auch dann zu laufen, wenn ein oder mehrere Beklagte mit
der Klageantwort säumig sind.
8.2
Erzielen die Parteien keine Einigung über die Benennung des Einzelschiedsrichters, ernennt der Kommissär den Einzelschiedsrichter über Antrag einer
Partei.
Bestellung eines Dreier-Schiedsgerichts
Article 9
9.1
Wird eine Streitsache, bei der sich zwei Parteien gegenüberstehen, einem
Dreierschiedsgericht zugewiesen, bezeichnet jede Partei einen Schiedsrichter. Die beiden so ernannten Schiedsrichter haben innerhalb von 21 Tagen
einen dritten Schiedsrichter als Vorsitzenden des Schiedsgerichts zu bezeichnen. Bei Säumnis oder mangels Einigung ernennt der Kommissär über
Aufforderung einer Partei den Vorsitzenden. Vorbehalten ist eine anders
lautende Regelung in der Schiedsvereinbarung.
9.2
Unterlässt es eine Partei, einen Schiedsrichter innerhalb der in der Schiedsvereinbarung festgelegten Frist oder, falls keine vereinbart wurde, innerhalb
einer Frist von 21 Tagen nach dem für sie geltenden Termin (Klagebegehren;
Klageantwort) zu bezeichnen, ernennt der Kommissär über Aufforderung
einer Partei den Schiedsrichter. Die säumige Partei kann bis zur Entscheidung durch den Kommissär ihre Wahl nachholen, jedoch hat das Schiedsgericht auf Antrag einer anderen Partei unmittelbar nach seiner Konstituierung
der säumigen Partei alle aus der Säumnis entstanden Kosten aufzuerlegen
(Teilschiedsspruch).
9.3
Haben die Parteien in Mehrparteienverfahren keine Vereinbarung über die
Konstituierung des Schiedsgerichts getroffen, so haben mehrere Kläger einen
gemeinsamen Schiedsrichter im Klagebegehren zu benennen. Mehrere Beklagte haben eine 30-tägige Frist zur Bezeichnung eines gemeinsamen
Schiedsrichters ab Zustellung des Klagebegehrens an den letzten Beklagten.
Haben die Parteien oder Parteigruppen je einen Schiedsrichter bezeichnet,
gilt Artikel 9.1 über die Bezeichnung des Vorsitzenden analog.
104
Schiedsstandort Liechtenstein
9.4
Hat in einem Mehrparteienverfahren die eine Seite einen Schiedsrichter gewählt, kann sich jedoch die andere Seite nicht auf einen Schiedsrichter einigen, so geht das Recht, beide Schiedsrichter zu bestimmen, auf den Kommissär über. Dieser wählt beide Schiedsrichter unter bestmöglicher Berücksichtigung der Parteiinteressen. Der Kommissär kann auch einen jener Schiedsrichter bestimmen, den eine oder mehrere Parteien der entsprechenden Seite
für sich gewählt oder den Parteien dieser Seite vorgeschlagen haben.
Unabhängigkeit und Ablehnung von Schiedsrichtern
Article 10
10.1
Schiedsrichter, die Verfahren unter dieser Schiedsordnung führen, müssen
zu jeder Zeit unparteiisch und von den Parteien unabhängig sein und bleiben.
10.2
Wer als Schiedsrichter angefragt wird, hat alle Umstände schriftlich bekanntzugeben, die geeignet sind, berechtigte Zweifel an seiner Unparteilichkeit
oder Unabhängigkeit aufkommen zu lassen. Es obliegt der ernennenden
Person, dem angefragten Schiedsrichter die dazu erforderlichen Informationen über die Parteien und den Streitgegenstand zukommen zu lassen. Nach
seiner Bestellung hat der Schiedsrichter den Parteien und den übrigen Mitgliedern des Schiedsgerichts solche Umstände unverzüglich mitzuteilen, es
sei denn, er habe sie schon vorher darüber unterrichtet. Jeder Schiedsrichter
hat seine Unabhängigkeit und Unparteilichkeit bei seiner Bestellung schriftlich zu bestätigen. Ebenso hat er zu bestätigen, dass er sich dieser Schiedsordnung in seiner Eigenschaft als Schiedsrichter unterwirft, insbesondere
den Vertraulichkeitsbestimmungen.
Article 11
11.1
Jeder Schiedsrichter kann abgelehnt werden, wenn Umstände vorliegen, die
Anlass zu berechtigten Zweifeln an seiner Unparteilichkeit oder Unabhängigkeit geben. Die Ablehnung hat innert 15 Tagen nach Erhalt der Mitteilung
der Ernennung bzw. nachdem dieser Partei die massgebenden Umstände
bekannt geworden sind, an den betroffenen Schiedsrichter unter Angabe der
Gründe zu erfolgen.
11.2
Eine Partei kann den von ihr bestellten Schiedsrichter nur aus Gründen ablehnen, von denen sie erst nach der Bestellung Kenntnis erhalten hat.
11.3
Der abgelehnte Schiedsrichter hat innert 15 Tagen nach Erhalt der Ablehnung
zurückzutreten oder allen Parteien und den übrigen Schiedsrichtern schriftlich mitzuteilen, dass er nicht zurücktritt. Eine Kopie des Ablehnungsschreibens ist dieser Mitteilung anzuschliessen, soweit andere Parteien diese noch
nicht erhalten haben. Tritt der abgelehnte Schiedsrichter nicht zurück, so
kann die ablehnende Partei binnen 7 Tagen nach Erhalt der entsprechenden
105
Johannes Gasser
Mitteilung bzw. unbenutztem Ablauf der Frist, die Entscheidung des Kommissärs über die Ablehnung verlangen. Der Kommissär entscheidet über das
Ablehnungsbegehren innert 30 Tagen nach dessen Eingang.
Article 12
12.1
Kommt ein Schiedsrichter seinen Verpflichtungen trotz schriftlicher Mahnung und geeigneter Fristsetzung durch die anderen Schiedsrichter oder eine
Partei nicht nach, so kann der Kommissär ihn auf Antrag einer Partei oder
eines Schiedsrichters nach Anhörung abberufen. Der Entscheid ist endgültig.
Ersetzung eines Schiedsrichters
Article 13
Verstirbt ein von den Parteien bezeichneter Schiedsrichter oder ist er aus Gründen, die
nicht von ihm zu vertreten sind, nicht mehr in der Lage, seinen Verpflichtungen nachzukommen, ist die Partei, welche den Schiedsrichter bezeichnet hat, innerhalb einer
Frist von 21 Tagen ab sicherer Kenntnis dieses Umstands zur Bezeichnung eines Ersatzschiedsrichters verpflichtet. Kommt die Partei dieser Verpflichtung auch nach
Abmahnung durch eine Gegenpartei oder einen Schiedsrichter unter Ansetzung einer
Nachfrist von 14 Tagen nicht nach, so bestimmt der Kommissär über Antrag einer
Partei oder eines Schiedsrichters einen Ersatzschiedsrichter. In gleicher Weise ist
vorzugehen, wenn ein Schiedsrichter erfolgreich abgelehnt oder anderweitig abberufen wurde oder zurückgetreten ist, oder mehrere Parteien den Schiedsrichter wählten,
sich aber auf einen Nachfolger nicht einigen können.
Article 14
Wird ein Schiedsrichter ersetzt, nimmt das Verfahren in der Regel an der Stelle seinen
Fortgang, an welcher der Vorgänger ausgeschieden ist, soweit das Schiedsgericht
nichts anderes entscheidet.
C.
Schiedsverfahren
Allgemeine Bestimmungen
Article 15
15.1
106
Vorbehaltlich dieser Schiedsordnung, der Bestimmungen der Schiedsklausel
oder des Schiedsvertrages und der Vereinbarungen der Parteien kann das
Schiedsgericht das Schiedsverfahren nach freiem Ermessen durchführen,
vorausgesetzt die Gleichbehandlung und das rechtliche Gehör der Parteien
sind gewahrt. Es bemüht sich im Rahmen seines Ermessens um eine faire,
Schiedsstandort Liechtenstein
effiziente und kostengünstige Verfahrensabwicklung. Die Parteien sind zur
Mitwirkung nach Treu und Glauben verpflichtet.
15.2
Das Schiedsgericht hat in einem frühen Verfahrenszeitpunkt und nach Anhörung der Parteien einen provisorischen Zeitplan für das Verfahren bis zur
Zustellung des Schiedsspruchs zu erstellen.
15.3
Das Schiedsgericht bestimmt nach Anhörung der Parteien die Verfahrenssprache, soweit sie nicht von den Parteien vereinbart worden ist.
15.4
Soweit nichts anderes vereinbart oder vom Schiedsgericht bestimmt ist, erfolgt mindestens ein Schriftenwechsel in Form von Klageschrift, Klageantwort und, gegebenenfalls, Widerklageantwort. Das Schiedsgericht entscheidet über die Zulässigkeit weiterer Eingaben und bestimmt die Fristen. Das
Schiedsgericht beachtet dabei das rechtliche Gehör der Parteien.
15.5
Neue oder geänderte Rechtsbegehren nach Einreichung der Klage bzw. der
Klageantwort bedürfen der Zulassung durch das Schiedsgericht. Das Schiedsgericht berücksichtigt dabei die Enge des sachlichen Zusammenhangs, die
Interessen der Parteien und die Auswirkungen auf den Ablauf des Verfahrens.
Zuständigkeit des Schiedsgerichts
Article 16
16.1
Die Einrede der Unzuständigkeit des Schiedsgerichts ist spätestens in der
Klageantwort, bzw., im Falle einer Widerklage, Verrechnungseinrede oder
Änderung der Rechtsbegehren (gemäss Artikel 15.5) oder der rechtlichen
Anspruchsgrundlagen, in der ersten Stellungnahme dazu zu erheben. Das
Schiedsgericht kann eine spätere Einrede zulassen, wenn es die Verspätung
im Einzelfall als entschuldbar erachtet. Vorbehaltlich der Zulassung einer
späteren Einrede durch das Schiedsgericht, gilt die Zustimmung zur Erledigung der Sache durch das Schiedsgericht als erteilt, wenn eine Einrede der
Unzuständigkeit nicht fristgerecht vorgebracht wird.
16.2
Das Schiedsgericht ist befugt, in einem Zwischenentscheid oder im Endentscheid über Einreden gegen seine Zuständigkeit einschliesslich aller Einwendungen, die das Bestehen oder die Gültigkeit der Schiedsvereinbarung betreffen, zu entscheiden. Das Schiedsgericht kann das Verfahren nach eigenem Ermessen weiterführen und einen Schiedsspruch erlassen, auch wenn
eine gerichtliche Anfechtung eines Zuständigkeitsentscheides hängig ist.
16.3
Das Schiedsgericht ist zur Beurteilung einer Verrechnungseinrede grundsätzlich zuständig. Es kann die Beurteilung einer Verrechnungseinrede
verweigern, wenn die verrechnungsweise geltend gemachte Forderung als
solche nicht in die Zuständigkeit des Schiedsgerichts fallen würde und ent-
107
Johannes Gasser
weder die Beurteilung der Verrechnungsforderung das Verfahren derart
verzögert oder erschwert, dass die berechtigten Interessen der Gegenpartei
wesentlich beeinträchtigt werden, oder anderweitig berechtigte Interessen
der Gegenpartei dies erfordern.
16.4
Das Schiedsgericht ist zur Beurteilung einer Widerklage nur zuständig, wenn
diese der gleichen Schiedsvereinbarung der Parteien unterliegt.
Vorläufige oder sichernde Massnahmen
Article 17
17.1
Auf Antrag einer Partei kann das Schiedsgericht alle vorläufigen oder sichernden Massnahmen treffen, die es für notwendig oder angemessen erachtet.
17.2
Diese vorläufigen oder sichernden Massnahmen können in der Form eines
vorläufigen Schiedsspruchs getroffen werden. Das Schiedsgericht ist berechtigt und angehalten, die Leistung einer angemessenen Sicherheit zu verlangen
und diese bei Bedarf anzupassen.
17.3
Ist das Schiedsgericht konstituiert und haben die Parteien nichts anderes
vereinbart, darf keine Partei bei einem staatlichen Gericht Anträge über
vorläufige oder vorsorgliche Massnahmen ohne Genehmigung des Schiedsgerichts stellen. Bei einem Schiedsgericht mit drei Schiedsrichtern entscheidet über die Erlaubnis zu Anträgen von Parteien auf vorsorgliche Massnahmen an staatliche Gerichte der Vorsitzende des Schiedsgerichts allein. Es
liegt in seinem Ermessen, ob er die Gegenseite vorher anhört oder nicht. Eine
stattgebende Entscheidung muss nicht begründet und soll den Gegenparteien
oder anderen Parteien des Schiedsverfahrens nicht vor der Entscheidung des
staatlichen Gerichts zugestellt werden.
17.4
Verstösst eine Partei gegen dieses Gebot, kann das Schiedsgericht über Antrag einer Gegenpartei geeignete Anordnungen zur Abhilfe treffen. Überdies
kann der Verstoss eine Verletzung der Vertraulichkeitsbestimmungen darstellen und die Gegenparteien können entsprechend Schadenersatz und
Zahlung gemäss Artikel 29.7 begehren.
Beweisaufnahme
Article 18
18.1
108
Das Schiedsgericht entscheidet selbständig über die Beweisaufnahme. Es
besteht kein Anspruch einer Partei auf Durchführung einer mündlichen
Verhandlung, soweit dies nicht gesetzlich zwingend vorgesehen ist.
Schiedsstandort Liechtenstein
18.2
Die Vorlage von Urkunden durch die Gegenpartei richtet sich grundsätzlich
nach §§ 303 ff. der liechtensteinischen Zivilprozessordnung. Das Schiedsgericht hat auf Antrag der vorlegenden Partei anzuordnen, dass Urkunden und
Beweismittel der Gegenpartei nicht übergeben, sondern lediglich am Sitz des
Schiedsgerichts oder einem anderen geeignetem Ort zur Einsicht vorgelegt
werden, wenn die antragstellende Partei ein Interesse an der Vertraulichkeit
der Unterlagen darlegen kann. Es trifft ferner alle angemessenen Anordnungen zum Schutz berechtigter Geheimhaltungsinteressen der Parteien und
Dritter. Es kann insbesondere anordnen, dass ein Experte, der seinerseits
einem Berufsgeheimnis untersteht, Urkunden prüft und über den erheblichen
Inhalt dem Schiedsgericht Bericht erstattet, ohne dass diese Urkunden dem
Schiedsgericht oder der Gegenseite selbst zur Einsicht vorzulegen sind.
18.3
Die Nicht-Vorlage von Urkunden, zu deren Vorlage eine Partei nach §§ 303 ff.
der liechtensteinischen Zivilprozessordnung oder dem auf diese Frage anwendbaren materiellem Recht nicht verpflichtet ist, darf dieser Partei nicht
zum Nachteil gereichen.
18.4
Hat eine Person ein Zeugnisverweigerungsrecht und wird sie von einer Pflicht
zur Verschwiegenheit durch eine Partei nicht entbunden, so darf dies dieser
Partei nicht zum Nachteil gereichen.
18.5
Jedermann, auch eine Partei selbst, kann Zeuge sein. Die Parteien sind
grundsätzlich selbst verantwortlich für das Erscheinen ihrer Zeugen. Erscheint ein Zeuge nicht bzw. weigert er sich teilzunehmen, so entscheidet das
Schiedsgericht auf Antrag einer Partei in freiem Ermessen, ob es einen neuen Verhandlungstermin ansetzen, den Zeugen auf gerichtlichem Weg einvernehmen lassen oder aber auf das Zeugnis verzichten will. Es berücksichtigt
dabei insbesondere die Interessen der Parteien. Zeugen können ausnahmsweise und soweit angemessen auch durch Videokonferenz oder per Telefon
einvernommen werden.
18.6
Das Schiedsgericht kann nach Konsultation der Parteien einen oder mehrere
Sachverständige bestellen. Die Parteien haben dem Sachverständigen alle
sachdienlichen Auskünfte zu erteilen und die erheblichen Unterlagen oder
Waren zur Untersuchung vorzulegen. Der Sachverständige ist gegenüber
Dritten zu strengster Geheimhaltung über jene Tatsachen verpflichtet, von
welchen er im Rahmen des Schiedsverfahrens oder aufgrund seiner Stellung
als Sachverständiger Kenntnis erlangt. Nach Beendigung seiner Aufgabe hat
der Sachverständige sämtliche Unterlagen und Waren zurückzustellen und
alle Kopien zu vernichten.
18.7
Das Schiedsgericht würdigt die Beweise frei.
109
Johannes Gasser
Säumnis
Article 19
19.1
Übermittelt der Beklagte nicht innerhalb der Frist gemäss Artikel 5.1 seine
Klageantwort, ohne dafür ausreichende Gründe vorzubringen, so hat das
Schiedsgericht die Fortsetzung des Verfahrens anzuordnen, ohne dass diese
Säumnis als Anerkennung der tatsächlichen Behauptungen des Klägers gelten kann. Dasselbe gilt für eine Säumnis des Klägers zur Beantwortung einer
Widerklage.
19.2
Die mit nachträglichem Vorbringen aufgrund einer Verzögerung des Verfahrens verbundenen Mehrkosten können auf Antrag einer Partei vom Schiedsgericht sofort jener Partei auferlegt werden, die die Verzögerung zu verantworten hat (Teilschiedsspruch).
19.3
Erscheint eine der Parteien, die nach dieser Schiedsordnung ordnungsgemäss
geladen war, nicht zur Verhandlung, ohne dafür ausreichende Gründe vorzubringen, so kann das Schiedsgericht das Verfahren fortsetzen.
19.4
Legt eine Partei nach ordnungsgemässer Aufforderung durch das Schiedsgericht Urkundenbeweise oder andere Beweismittel, zu deren Vorlage sie verpflichtet ist, nicht innerhalb der gesetzten Frist vor, ohne dafür ausreichende
Gründe vorzubringen, so kann das Schiedsgericht den Schiedsspruch auf
Grund der ihm vorliegenden Beweisergebnisse erlassen.
Schluss des Verfahrens
Article 20
20.1
Nach Abschluss des Beweisverfahrens kann das Schiedsgericht das Verfahren für geschlossen erklären. Die Parteien sind damit von weiterem Vorbringen ausgeschlossen.
20.2
Das Schiedsgericht kann, wenn es dies wegen ausserordentlicher Umstände
für notwendig hält, von sich aus oder auf Ersuchen einer Partei das Verfahren
jederzeit vor Erlass des Schiedsspruchs wieder eröffnen.
Verzicht auf die Geltendmachung eines Verstosses gegen die
Verfahrensregeln
Article 21
Eine Partei, die weiss oder wissen muss, dass eine Bestimmung oder ein Erfordernis
dieser Schiedsordnung, des anwendbaren Prozessrechts am Sitz des Schiedsgerichts
oder der Schiedsvereinbarung oder eine Anordnung des Schiedsgerichts nicht einge-
110
Schiedsstandort Liechtenstein
halten wurde, aber dennoch das Schiedsverfahren fortsetzt, ohne diesen Verstoss ohne
unnötige Verzögerung bzw. innert einer dafür vorgesehenen Frist zu rügen, wird so
angesehen, als habe sie den Verstoss genehmigt und auf ihr Recht, deshalb Einspruch
zu erheben, verzichtet.
D.
Schiedsspruch
Entscheidungen
Article 22
22.1
Besteht das Schiedsgericht aus mehr als einem Schiedsrichter, so ist jeder
Schiedsspruch oder jede andere Entscheidung des Schiedsgerichts mit Stimmenmehrheit zu erlassen. Im Falle der Stimmengleichheit entscheidet die
Stimme des Vorsitzenden. Kein Schiedsrichter darf sich der Stimme enthalten.
22.2
Soweit es sich um Verfahrensfragen handelt, kann der Vorsitzende des
Schiedsgerichts, wenn die Parteien oder das Schiedsgericht ihn dazu ermächtigt haben, vorbehaltlich einer etwaigen nachträglichen Änderung durch das
Schiedsgericht, allein entscheiden. Vorbehaltlich einer anderen Regelung der
Parteien oder des Schiedsgerichts kann der Vorsitzende des Schiedsgerichts
Fristansetzungen und Fristerstreckungen allein entscheiden.
Form und Wirkung des Schiedsspruches
Article 23
23.1
Das Schiedsgericht ist berechtigt, nicht nur endgültige, sondern auch vorläufige Schiedssprüche, Zwischen- oder Teilschiedssprüche zu erlassen.
23.2
Der Schiedsspruch ist schriftlich zu erlassen und den Parteien zuzustellen.
Er ist endgültig und bindet die Parteien. Die Parteien verpflichten sich, den
Schiedsspruch unverzüglich zu erfüllen. Die Parteien verzichten auf jeglichen Weiterzug an ein staatliches Gericht, soweit ein solcher Verzicht rechtlich zulässig ist.
23.3
Das Schiedsgericht hat den Schiedsspruch zu begründen, es sei denn, die
Parteien hätten vereinbart, dass er nicht zu begründen ist.
23.4
Der Schiedsspruch ist von den Schiedsrichtern zu unterzeichnen und hat die
Angabe des Tages und des Schiedsortes zu enthalten. Besteht das Schiedsgericht aus mehreren Schiedsrichtern und fehlt die Unterschrift von einem oder
mehreren von ihnen, so ist der Grund für das Fehlen dieser Unterschrift(en)
im Schiedsspruch zu vermerken.
111
Johannes Gasser
23.5
Die Berichtigung, Erläuterung und Ergänzung des Schiedsspruchs richten
sich nach § 627 der liechtensteinischen Zivilprozessordnung.
Anzuwendendes Recht
Article 24
24.1
Das Schiedsgericht entscheidet die Streitsache nach den von den Parteien
gewählten Rechtsregeln oder, bei Fehlen einer Rechtswahl, nach den Rechtsregeln, mit denen die Streitsache am engsten zusammenhängt.
24.2
Das Schiedsgericht hat nur dann nach Billigkeit (amiable compositeur, ex
aequo et bono) zu entscheiden, wenn es dazu ausdrücklich von den Parteien
ermächtigt wurde.
24.3
In allen Fällen hat das Schiedsgericht nach den Bestimmungen der anwendbaren Verträge, Trust Settlements oder Statuten zu entscheiden und die auf
das Geschäft gegebenenfalls anzuwendenden Handelsbräuche zu berücksichtigen.
E.
Kosten
Kostenfestlegung
Article 24
25.1
Das Schiedsgericht hat in seinem Schiedsspruch die Kosten des Schiedsverfahrens festzulegen. Der Begriff «Kosten» umfasst lediglich:
(a) die Honorare der Mitglieder des Schiedsgerichts, die für jeden Schiedsrichter einzeln anzugeben und vom Schiedsgericht selbst nach Anhang
A festzulegen sind, sowie angemessene Honorare der vom Schiedsgericht berufenen Sachverständigen;
(b) angemessene Reisekosten und sonstigen Auslagen der Schiedsrichter,
der Sachverständigen, sowie der Zeugen, soweit deren Kosten vom
Schiedsgericht gebilligt worden sind;
(c) die Kosten für rechtliche Vertretung und rechtlichen Beistand der Parteien, sowie für deren Sachverständigen und Zeugen, wenn die Erstattung dieser Kosten während des Schiedsverfahrens beantragt wurde,
jedoch nur in der Höhe, die das Schiedsgericht für angemessen erachtet;
(d) die Kosten der Beweisbeschaffung und Beweissicherung;
(e) die allfälligen Kosten der LIHK bzw. oder eines Kommissär für die
Verwaltung des Schiedsverfahrens gemäss Anhang A (Kostenordnung).
112
Schiedsstandort Liechtenstein
25.2
Das Schiedsgericht kann für eine allfällige Auslegung, Berichtigung oder
Ergänzung seines Schiedsspruchs keine zusätzlichen Honorare fordern.
Article 26
26.1
Die Honorare der Mitglieder des Schiedsgerichts sind in Übereinstimmung
mit dem Anhang A (Kostenordnung) festzulegen.
26.2
Das Schiedsgericht entscheidet über die Verteilung der Honorare unter den
Schiedsrichtern. Als Regel gilt, dass in Berücksichtigung der aufgewendeten
Zeit und Bemühungen eines jeden Schiedsrichters der Vorsitzende zwischen
40 % und 50 % und jeder Mitschiedsrichter zwischen 25 % und 30 % des
Gesamthonorars erhalten soll.
26.3
Erachtet eine Partei oder ein Schiedsrichter die Festlegung der Honorare und
Auslagen gemäss Art. 25.1 (a) und (b) im konkreten Fall als offensichtlich
unangemessen, erachtet eine Partei die Festlegung des für die Honorare der
Schiedsrichter massgebenden Streitwerts durch das Schiedsgericht als offensichtlich überhöht oder einigen sich die Schiedsrichter nicht über die Verteilung der Honorare (Art. 26.2), kann die Partei oder jeder Schiedsrichter beim
Kommissär beantragen, dass er die Honorare entsprechend festsetzt. Die
Stellung eines solchen Antrags hindert die Weiterführung des Verfahrens
sowie die Vollstreckbarkeit der übrigen Entscheidungen des Schiedsgerichts
bzw. der übrigen Teile des Dispositivs des Schiedsspruchs nicht.
26.4
Der Kommissär hat auf Antrag nach Art. 26.3 von der Kostenordnung gemäss Anhang A nur dann abzuweichen, wenn sie im Einzelfall angesichts der
Schwierigkeit der Sache, der von den Schiedsrichtern angemessenerweise
aufgewendeten Zeit und allen anderen massgebenden Umständen offensichtlich unangemessen ist. Die Entscheidung des Kommissärs gilt als Schiedsspruch über die Frage des Honorars der Schiedsrichter.
Article 27
27.1
Die Kosten des Schiedsverfahrens sind grundsätzlich von der unterliegenden
Partei nach Massgabe ihres Unterliegens zu tragen. Das Schiedsgericht kann
jedoch eine andere Kostenverteilung vorsehen, wenn es dies unter Berücksichtigung der Umstände des Falls für angemessen und richtig erachtet.
Hinterlegung eines Kostenvorschusses
Article 28
28.1
Das Schiedsgericht soll, nachdem es gebildet worden ist, jede Seite auffordern, einen gleichen Betrag als Vorschuss für die Kosten nach Artikel 25.1,
Buchstaben (a), (b) und (d) zu hinterlegen, soweit die Parteien bezüglich der
Kostenverlegung keine andere Regelung getroffen haben. Es hört dabei die
113
Johannes Gasser
Parteien vor der Festlegung des massgebenden Streitwerts an, soweit dieser
sich nicht aus den bezifferten Rechtsbegehren der Parteien ergibt.
28.2
Kommt eine Partei nach Aufforderung durch das Schiedsgericht seiner Verpflichtung, Vorschüsse im Sinne des Artikel 28.1 zu leisten, nicht binnen 30
Tagen nach, so steht es der anderen Partei frei, für die nichtzahlende Partei
den Kostenvorschuss zu entrichten. Wird keine Zahlung geleistet, so kann
das Schiedsgericht die Unterbrechung oder die Einstellung des Schiedsverfahrens beschliessen. Das Schiedsgericht kann die Aufnahme von Beweisen,
die mit Kosten verbunden ist, und die nur von der säumigen Partei angeboten
wurden, verweigern. Weiters sind der Partei, die Zahlungen für eine andere,
säumige Partei leistet, über ihren Antrag geeignete vorläufige Massnahmen
gegen die säumige Partei zur Sicherung des Rückersatzanspruchs zu gewähren.
28.3
Der Kläger hat dem Beklagten auf dessen Verlangen für die Prozesskosten
angemessene Sicherheit zu leisten, soweit die Parteien keine andere Regelung
getroffen haben. Das Schiedsgericht entscheidet über die Zulässigkeit der
Kaution dem Grunde und der Höhe nach.
28.4
Erhebt ein Beklagter Widerklage oder in anderen Fällen, wenn es nach den
Umständen angemessen erscheint, kann das Schiedsgericht nach seinem
freien Ermessen separate Vorschüsse festsetzen.
28.5
Während des Schiedsverfahrens kann das Schiedsgericht von den Parteien
die Hinterlegung weiterer Beträge verlangen.
28.6
Wenn eine Partei ungenügende Mittel zur Verfahrensführung geltend macht
und ausreichend nachweist, fordert das Schiedsgericht die übrigen Parteien
auf, an Stelle der mittellosen Partei deren Kostenvorschuss bzw. den der
Mittellosigkeit entsprechenden Anteil innerhalb einer angemessenen Frist zu
bezahlen. Wird diese Zahlung nicht geleistet, so kann das Schiedsgericht das
Verfahren mit Bezug auf die mittellose Partei ohne Entscheidung in der Sache beenden. Das Schiedsgericht kann von einer Partei mit ungenügenden
Mitteln aber die Zahlung oder Sicherstellung jener Beträge verlangen, zu
denen sie in der Lage ist.
28.7
In seinem endgültigen Schiedsspruch hat das Schiedsgericht gegenüber den
Parteien über die Verwendung der hinterlegten Beträge Rechnung zu legen.
Ein nicht verbrauchter Restbetrag ist den Parteien zurückzuzahlen.
114
Schiedsstandort Liechtenstein
F.
Vertraulichkeit
Article 29
29.1
Haben die Parteien nicht schriftlich ausdrücklich etwas anderes vereinbart,
so sind die Parteien, ihre Vertreter, Sachverständige, die Schiedsrichter, ein
Kommissär, das Sekretariat sowie ihre Hilfspersonen grundsätzlich verpflichtet, über alle Schiedssprüche und Verfügungen sowie alle von anderen
Verfahrensbeteiligten im Rahmen des Schiedsverfahrens eingereichten Unterlagen oder bekannt gegebenen Tatsachen, auf welche nicht in anderer
Weise ein Recht besteht, Stillschweigen zu bewahren, sofern und soweit nicht
die Offenlegung durch eine Partei unerlässlich ist, um einer Rechtspflicht
nachzukommen, einen Rechtsanspruch zu wahren oder durchzusetzen oder
den Schiedsspruch zu vollstrecken oder anzufechten.
29.2
Die Beratungen des Schiedsgerichts sind vertraulich. Die Parteien anerkennen diese Vertraulichkeit und verpflichten sich zu deren Schutz.
29.3
Das Schiedsgericht trifft allenfalls zusätzlich gebotene Massnahmen zur
Wahrung von Geheimhaltungsbedürfnissen einer Partei. Es kann insbesondere die Parteien zur strikten Verschwiegenheit über Tatsachen, über die sie
in ihrer Eigenschaft Kenntnis erlangen, verpflichten und dabei den Kreis der
kenntnisberechtigten Personen abschliessend umschreiben, sowie bei besonderen Fällen Dokumente zur Prüfung einem Sachverständigen übergeben,
der einer Geheimhaltungspflicht untersteht, ohne dass die übrigen Parteien
Einblick in die Dokumente erhalten.
29.4
Parteien, ihre Vertreter, Sachverständige, die Schiedsrichter und ein Kommissär haben geeignete organisatorische Massnahmen zu treffen, dass die
Vertraulichkeit des Schiedsverfahrens gewahrt bleibt. Das Schiedsgericht
kann auf Verlangen einer Partei anordnen, dass Kommunikation per E-Mail
unzulässig oder durch geeignete Verschlüsselung zu schützen ist. Unterlagen
müssen zu jedem Zeitpunkt so sorgfältig aufbewahrt werden, dass Dritte
weder Kenntnis über deren Bestand noch über deren Inhalt erlangen können.
29.5
Soweit eine Möglichkeit zur Verweigerung des Zeugnisses über das Schiedsverfahren und die im Rahmen dieses Verfahren erhaltenen vertraulichen
Informationen besteht, ist diese wahrzunehmen. Die Parteien verpflichten
sich, Personen, die nach Artikel 29.1 der Verschwiegenheit verpflichtet sind,
nicht in irgendeinem gerichtlichen oder anderen mit dem Schiedsverfahren
zusammenhängenden Verfahren als Zeugen zu den der Verschwiegenheit
unterstehenden Informationen zu benennen.
29.6
Die Pflicht, die Vertraulichkeit zu wahren, gilt auch nach Beendigung des
Schiedsverfahrens weiter.
115
Johannes Gasser
29.7
Verstösst eine Partei, ihr Vertreter, ein Sachverständiger, Schiedsrichter,
Kommissär oder eine ihrer Hilfspersonen gegen die Verschwiegenheitspflicht gemäss Artikel 29.1, so hat diese oder dieser eine Konventionalstrafe
in Höhe von CHF 50’000 an die verletzten Parteien zu bezahlen, sofern die
Parteien nichts anderes vereinbart haben. Parteien haften auch für das Verhalten ihrer Parteienvertreter. Die Haftung für Hilfspersonen richtet sich
nach dem Gesetz. Verletzen mehrere Personen die Geheimhaltungspflicht, so
haften diese solidarisch. Eine Mässigung der Konventionalstrafe durch ein
Gericht oder Schiedsgericht ist möglich, wenn der Verstoss ohne schwere
Schuld erfolgte, ein materieller oder immaterieller Schaden ausgeschlossen
ist und keine vertrauliche Tatsache weithin bekannt wurde. Die Geltendmachung darüber hinaus gehenden Schadens bei bewusstem Verstoss bleibt
vorbehalten.
29.8
Hinsichtlich eines Anspruches auf Konventionalstrafe oder Schadenersatz
nach Artikel 29.7 gilt ein Schiedsgericht nach diesen Bestimmungen vereinbart. Betrifft der Verstoss eine Partei, kann die anspruchsberechtigte Partei
bis zum Schluss des Verfahrens den Antrag bei jenem Schiedsgericht stellen,
welches für das ursprüngliche Verfahren zuständig war. Ansonsten hat die
anspruchsberechtigte Partei die Wahl, ein neues Verfahren am in der ursprünglichen Schiedsvereinbarung gewählten Ort oder am Sitz oder Wohnsitz des im neuen Verfahren Beklagten einzuleiten.
Haftungsausschluss
Article 30
Die LIHK oder ihre Angestellten, die Schiedsrichter, der Kommissär, das Sekretariat,
die vom Schiedsgericht ernannten Sachverständigen oder ein allfälliger Sekretär des
Schiedsgerichts haften für keine ihrer Handlungen oder Unterlassungen in einem nach
diesen Regeln durchgeführten Schiedsverfahren, es sei denn, eine solche Haftung sei
gesetzlich zwingend vorgeschrieben. Artikel 29.7 bleibt vorbehalten.
G.
Sekretariat und Kommissär
Article 31
31.1
116
Die LIHK ernennt einen Sekretär für das Schiedswesen (der «Sekretär») und
zwei Stellvertreter, welche zusammen das Sekretariat bilden. Dieses wird
von der LIHK mit unabhängigen, rechtskundigen oder sonst geeigneten Personen besetzt, welche vorzugsweise keine beruflichen Parteienvertreter
(Rechtsanwälte, Treuhänder, Patentanwälte, Steuerberater etc.) sind.
Schiedsstandort Liechtenstein
31.2
Das Sekretariat gibt sich eine Geschäftsordnung und macht seine Kontaktdaten in geeigneter Form bekannt.
31.3
Anträge auf Ernennung eines Kommissärs sind direkt beim Sekretariat einzubringen.
31.4
Entscheidungen des Sekretariates sind endgültig und müssen nicht begründet
werden.
Article 32
32.1
Das Sekretariat ernennt auf Antrag für ein bestimmtes Schiedsverfahren
einen unabhängigen Kommissär. Die Ernennung gilt für das gesamte
Schiedsverfahren. Der Antrag muss nur die Parteien, ihre Vertreter, allenfalls
direkt betroffene Dritte (wie namentlich Gesellschaften, Stiftungen, Trusts,
etc.) und, soweit bereits ernannt, die Schiedsrichter benennen. Falls zwischen
den Parteien mehrere Schiedsverfahren eingeleitet worden sind, sind solche
weiteren Angaben zu machen, um das Schiedsverfahren eindeutig zu bezeichnen.
32.2
Für den Kommissär gelten Artikel 6 und Article 10 sinngemäss. Ein Kommissär kann unter sinngemässer Anwendung des Article 11 oder aus sonstigen wichtigen Gründen abgelehnt und vom Sekretariat abberufen werden.
32.3
Ist für die Anrufung des Kommissärs eine Frist vorgesehen und ist ein Kommissär noch nicht ernannt, so hat der Antrag nach Artikel 32.1 innert dieser
Frist zu erfolgen.
32.4
Ist für den Entscheid des Kommissärs eine Frist vorgesehen, so beginnt der
Fristenlauf in jedem Fall nicht vor der Ernennung des Kommissärs.
32.5
Der Kommissär trifft die nach dieser Schiedsordnung dem Kommissär zukommenden Entscheidungen selbstständig. Die Entscheidungen des Kommissärs sind endgültig und unterliegen keinem Rechtszug. Er entscheidet
selbständig über etwaig anfallende Vorfragen, wie etwa ob eine angeblich
säumige Partei tatsächlich säumig ist. Die Beurteilung von Vorfragen durch
den Kommissär bindet das Schiedsgericht nicht.
32.6
Parteien und Schiedsrichter, welche Anträge an den Kommissär stellen, erstatten das notwendige Vorbringen und übersenden dem Kommissär und den
anderen Parteien und Schiedsrichtern je eine Kopie. Der Kommissär gewährt
allen Parteien das rechtliche Gehör, soweit ihre Rechte betroffen sein können.
32.7
Im sonstigen Schiedsverfahren wird der Kommissär nicht eingebunden. Der
Vorsitzende des Schiedsgerichts teilt dem Kommissär und dem Sekretariat
lediglich das Ende des Verfahrens schriftlich mit. Ist kein Kommissär ernannt worden, muss keine Mitteilung an das Sekretariat erstattet werden.
117
Johannes Gasser
32.8
118
Die LIHK haftet nicht für Entscheidungen, Handlungen oder Unterlassungen
des Schiedsgerichts, des Kommissärs oder des Sekretariats. Das Sekretariat
haftet nicht für Entscheidungen, Handlungen oder Unterlassungen des
Schiedsgerichts oder des Kommissärs. Der Kommissär haftet nicht für Entscheidungen, Handlungen oder Unterlassungen des Sekretariats oder des
Schiedsgerichts.
Schiedsstandort Liechtenstein
II.
Anhang A – Kostenordnung
A.
Kosten des Sekretariats
A.1
Wer Entscheidungen oder Ernennungen durch das Sekretariat beantragt,
haftet für die Verwaltungskosten des Sekretariats und hat diese über Aufforderung des Sekretariats umgehend und, soweit vom Sekretariat verlangt, im
Voraus zu bezahlen. Er kann bezahlte Beträge jedoch als Kosten im Schiedsverfahren geltend machen. Mehrere Antragsteller haften solidarisch.
A.2
Die Verwaltungskosten des Sekretariats betragen:
•• für die Ernennung eines Kommissärs
CHF   1’000
•• für die Abberufung eines Kommissärs
CHF 10’000
B.
Kosten des Kommissärs
B.1
Wer eine Entscheidung des Kommissärs beantragt, haftet für die Verwaltungskosten des Kommissärs und hat diese nach Erhalt der Rechnung umgehend zu bezahlen. Er kann bezahlte Beträge jedoch als Kosten im Schiedsverfahren geltend machen. Mehrere Antragsteller haften solidarisch.
B.2
Der Kommissär kann die Bezahlung seiner Verwaltungskosten im Voraus
verlangen. Werden diese nicht bezahlt, informiert er die Parteien und führt
er das Verfahren nicht weiter.
Die Verwaltungskosten des Kommissärs betragen:
•• für die Ernennung eines Schiedsrichters für eine Partei
oder Zustimmung nach Art. I.B.6.1
CHF   2’000
•• für die Ernennung eines Schiedsrichters für mehrere
Parteien
CHF   3’000
•• für die Entscheidung über die Abberufung eines
Schiedsrichters
CHF 10’000
•• für die Entscheidung über die Höhe des Honorars
oder der Auslagen des Schiedsgerichts
CHF   8’000
•• für die Entscheidung über die Aufteilung des Honorars
zwischen den Schiedsrichtern
CHF   3’000
C.
Honorar der Schiedsrichter
C.1
Die Honorare der Schiedsrichter sollen die Tätigkeiten des Schiedsgerichts
vom Zeitpunkt der Aktenübergabe bis zum endgültigen Schiedsspruch de-
119
Johannes Gasser
cken. Bei vorzeitiger Verfahrensbeendigung ohne Anspruchsprüfung durch
Nichteintreten, Klagerückzug, ‑anerkennung oder Vergleich etc. sind die
Honorare angemessen zu reduzieren.
C.2
Vorschüsse der Parteien sind auf einem separaten Bankkonto zu hinterlegen,
das nur für das betreffende Schiedsverfahren verwendet und entsprechend
identifiziert ist.
Einzelschiedsrichter
Streitwert
von
bis
0
Honorar Schiedsrichter
250’000
14’000
250’000
500’000
28’000
500’000
1’000’000
42’000
1’000’000
2’000’000
60’000
2’000’000
3’000’000
80’000
3’000’000
5’000’000
90’000
5’000’000
7’500’000
105’000
7’500’000
10’000’000
125’000
10’000’000
15’000’000
160’000
15’000’000
20’000’000
185’000
20’000’000
25’000’000
200’000
25’000’000
50’000’000
225’000
50’000’000
100’000’000
275’000
100’000’000
(Beträge in CHF)
–
350’000
120
Schiedsstandort Liechtenstein
Dreierschiedsgericht
Streitwert
von
bis
Honorar Schiedsrichter
0
250’000
29’000
250’000
500’000
68’000
500’000
1’000’000
105’000
1’000’000
2’000’000
140’000
2’000’000
3’000’000
180’000
3’000’000
5’000’000
210’000
5’000’000
7’500’000
255’000
7’500’000
10’000’000
300’000
10’000’000
15’000’000
370’000
15’000’000
20’000’000
420’000
20’000’000
25’000’000
455’000
25’000’000
50’000’000
510’000
50’000’000
100’000’000
620’000
100’000’000
–
850’000
(Beträge in CHF)
D.
Steuern und Abgaben
D.1
Die Parteien sind verpflichtet, allfällige Mehrwertsteuer oder andere Steuern
und Abgaben auf die oben genannten Gebühren und Honorar zusätzlich zu
entrichten. Der Bezug solcher Steuern und Abgaben von den Parteien ist
Sache des betreffenden Gebühren- bzw. Honorarberechtigten.
121
Johannes Gasser
III.
Musterschiedsklauseln
Für Vertragsstreitigkeiten:
Streitigkeiten, Meinungsverschiedenheiten oder Ansprüche aus oder im Zusammenhang mit diesem Vertrag, einschliesslich dessen Gültigkeit, Ungültigkeit, Verletzung
oder Auflösung sowie ausservertraglicher Ansprüche, sind durch ein Schiedsverfahren gemäss der Schiedsordnung der Liechtensteinischen Industrie- und Handelskammer unter Ausschluss der staatlichen Gerichte zu entscheiden.
Das Schiedsgericht soll aus
Der Sitz des Schiedsgerichts ist
(einem oder drei) Schiedsrichter(n) bestehen.
(gewünschten Schiedsort einfügen).
Die Sprache des Schiedsverfahrens ist
(gewünschte Sprache einfügen).
Für Trusts:
Alle Streitigkeiten, Meinungsverschiedenheiten oder Ansprüche irgendwelcher Art
aus oder im Zusammenhang mit diesem Trust – einschliesslich des Vorliegens und
Umfanges einer Begünstigung, der Bestimmung der Begünstigten, der Gültigkeit,
Ungültigkeit, Änderung oder Auflösung des Trusts, der Anfechtung von Beschlüssen
und aufsichtsrechtlicher Massnahmen – ist durch ein Schiedsverfahren gemäss der
Schiedsordnung der Liechtensteinischen Industrie- und Handelskammer unter Ausschluss der staatlichen Gerichte zu entscheiden. Jedenfalls mit Annahme einer Begünstigung unterwirft sich der Begünstigte dieser Schiedsvereinbarung. Der Trustee
kann den Begünstigten anhalten, dies unterschriftlich zu bestätigen. Verweigerung
der Bestätigung gilt als Verzicht auf die Begünstigung.
Das Schiedsgericht soll aus
Der Sitz des Schiedsgerichts ist
(einem oder drei) Schiedsrichter(n) bestehen.
(gewünschten Schiedsort einfügen).122
Die Sprache des Schiedsverfahrens ist
(gewünschte Sprache einfügen).
Bei Bedürftigkeit einer Partei kann der Trustee nach seinem Ermessen für die Dauer
des Verfahrens die Kosten des Verfahrens, inklusive eines Kostenvorschusses und
einer angemessenen Prozessvertretung dieser Partei, vorläufig auf Kosten des Trusts
übernehmen unter Vorbehalt einer Entscheidung des Schiedsgerichts im Schiedsspruch über die endgültige Kostentragungspflicht.
Für Stiftungen
Alle Streitigkeiten, Meinungsverschiedenheiten oder Ansprüche zwischen der Stiftung, ihren Organen, dem Stifter oder Begünstigten im Zusammenhang mit der Stif122
122
Schiedsstandort Liechtenstein
tung, deren Errichtung, Tätigkeit oder Liquidation, einschliesslich des Vorliegens und
Umfanges einer Begünstigung, der Bestimmung der Begünstigten, der Gültigkeit,
Ungültigkeit, Änderung oder Auflösung der Stiftung, Anfechtung von Beschlüssen
und aufsichtsrechtlicher Massnahmen, sind durch ein Schiedsverfahren gemäss der
Schiedsordnung der Liechtensteinischen Industrie- und Handelskammer unter Ausschluss der staatlichen Gerichte zu entscheiden. Jedenfalls mit Annahme einer Begünstigung unterwirft sich der Begünstigte dieser Schiedsvereinbarung. Die Stiftung
kann den Begünstigten anhalten, dies unterschriftlich zu bestätigen. Verweigerung
der Bestätigung gilt als Verzicht auf die Begünstigung.
Das Schiedsgericht soll aus
(einem oder drei) Schiedsrichter(n) bestehen.
Der Sitz des Schiedsgerichts ist
(gewünschten Schiedsort einfügen). Das Schiedsgericht kann auf Antrag den Sitz des Schiedsgerichts an den Sitz der Stiftung verlegen,
wenn dies zur gesellschaftsrechtlichen Gültigkeit des Schiedsspruchs für die Stiftung
notwendig ist.
Die Sprache des Schiedsgerichts ist
(gewünschte Sprache einfügen).
Bei Bedürftigkeit einer Partei kann die Stiftung nach ihrem Ermessen für die Dauer
des Verfahrens die Kosten des Verfahrens, inklusive eines Kostenvorschusses und
einer angemessenen Prozessvertretung dieser Partei, vorläufig übernehmen unter
Vorbehalt der Rückforderung nach einer Entscheidung des Schiedsgerichts über die
endgültige Kostentragungspflicht.
Für Gesellschaften
Alle Streitigkeiten, Meinungsverschiedenheiten oder Ansprüche zwischen der Gesellschaft, ihren Organen, den Anteilsinhabern (Gesellschaftern, Aktionären) im Zusammenhang mit der Gesellschaft, deren Errichtung, Tätigkeit oder Liquidation, einschliesslich des Vorliegens und Umfanges einer Anteilsinhaberschaft, der Gültigkeit,
Ungültigkeit, Änderung oder Auflösung der Gesellschaft, Anfechtung von Beschlüssen und aufsichtsrechtlicher Massnahmen, sind durch ein Schiedsverfahren gemäss
der Schiedsordnung der Liechtensteinischen Industrie- und Handelskammer unter
Ausschluss der staatlichen Gerichte zu entscheiden. Jedenfalls mit Erwerb der Anteile unterwirft sich der Anteilsinhaber dieser Schiedsvereinbarung. Das Schiedsgericht
kann auf Antrag den Sitz des Schiedsgerichts an den Sitz der Gesellschaft verlegen,
wenn dies zur gesellschaftsrechtlichen Gültigkeit des Schiedsspruchs für die Gesellschaft notwendig ist.
Das Schiedsgericht soll aus
Der Sitz des Schiedsgerichts ist
(einem oder drei) Schiedsrichter(n) bestehen.
(gewünschten Schiedsort einfügen).
Die Sprache des Schiedsverfahrens ist
(gewünschte Sprache einfügen).
123
Johannes Gasser
Rules of Arbitration of the
Liechtenstein Chamber of Commerce and Industry
(LCCI)
Principality of Liechtenstein 2012
Table of contents
I.
Rules
A. General provisions
Scope of application
Seat
Notice and calculation of periods of time
Initiation of arbitration
B. Composition of the arbitral tribunal
Eligibility conditions
Number of arbitrators
Appointment of a sole arbitrator
Appointment of a three-member arbitral tribunal
Independence and challenge of arbitrators
Replacement of an arbitrator
C. Arbitral proceedings
General provisions
Jurisdiction of the arbitral tribunal
Interim measures of protection
Evidence
Default
Closure of proceedings
Waiver of Rules
D. The award
Decisions
Form and effect of the award
Applicable law
E. Costs
Determination of costs
Deposit of costs
Confidentiality F. Exclusion of liability
G. Secretariat and commissioner
II. Appendix A – Schedule of the costs of arbitration
A. Costs of the secretariat
B. Costs of the commissioner
C. Arbitrators’ fees
D. Taxes and duties
124
125
125
125
126
126
127
128
128
129
129
130
131
132
132
132
133
134
134
135
136
136
136
136
137
137
138
138
139
140
141
142
144
144
144
144
146
Schiedsstandort Liechtenstein
III. Model arbitration clauses
For contractual disputes: For trusts:
For foundations:
For companies:
I.
Rules
A.
General provisions
147
147
147
147
148
Scope of application
Article 33
33.1
These Rules shall govern national and international arbitrations if the parties
agree that an arbitral tribunal has jurisdiction under these Rules. It shall not
be necessary for the arbitration agreement to designate these Rules precisely;
it shall suffice if it can be concluded with sufficient certainty from the designation used that the parties are likely to have meant these Rules rather than
others.
33.2
The parties may make different arrangements.
33.3
Unless the parties’ agreement provides otherwise, the version of the Rules
shall apply that is valid at the time the arbitration proceedings are initiated
(receipt of notice of arbitration by the responding party served first).
33.4
To the extent these Rules contain no relevant provision and unless the applicable law of the state provides otherwise, the arbitral tribunal shall orient itself by the justifiable interests of the parties, taking appropriate account of
proven arbitral practice.
33.5
These Rules shall be published in several languages by the Liechtenstein
Chamber of Commerce and Industry (LCCI) and the secretariat for arbitration. If a publication exists in the language of the proceedings of the arbitration in question, the version in that language shall be used as the basis for the
proceedings, otherwise in all other cases the English version shall be used.
125
Johannes Gasser
Seat
Article 34
34.1
The parties may determine any place as the seat. The Rules shall also be applicable if the parties choose a seat outside Liechtenstein, subject to the binding laws in the state of the seat.
34.2
Unless arranged otherwise by the parties, the seat of the arbitral tribunal shall
be Vaduz, Principality of Liechtenstein. Where the parties have agreed only
the state of the seat or a territory, the capital thereof shall be deemed the seat
of the arbitration.
34.3
When deemed by the arbitral tribunal to be conducive to the proceedings,
hearings may also be held in a place other than the seat of the arbitral proceedings.
Notice and calculation of periods of time
Article 35
35.1
A communication is deemed to have been received if it is physically delivered
to the addressee or if it is delivered to its habitual residence, place of business
or mailing address, or, if none of these can be found after making reasonable
inquiry, then at the addressee’s last-known residence or place of business. The
communication shall be deemed to have been received on the day it is so
delivered.
35.2
For the purposes of calculating a period of time under these Rules, such period shall begin to run on the day following the day when the communication
is received. If the last day of such period is an official holiday or a generally
non-business day at the residence or place of business of the addressee of the
communication, the period is extended until the first business day which follows. This provision is subject to special orders of the arbitral tribunal.
35.3
To meet a time-limit, delivery by fax shall suffice if the submission has also
been handed over within the time-limit to a governmental postal service or
recognised courier service for delivery. This provision is subject to special
orders of the arbitral tribunal.
126
Schiedsstandort Liechtenstein
Initiation of arbitration
Article 36
36.1
Proceedings shall be initiated when the claimant delivers the relief or remedy
sought to the respondent in writing.
36.2
Arbitral proceedings shall be deemed to commence on the day on which the
relief or remedy sought is received by the respondent. In multi-party proceedings, arbitral proceedings shall be deemed to commence on the first day on
which the relief or remedy sought is received by a respondent.
36.3
The relief or remedy sought shall be written in the language agreed by the
parties for the proceedings, and where no such agreement exists at the claimant’s discretion in English or in German.
36.4
The claimant shall communicate one copy of the relief or remedy sought to
each of the other parties.
36.5
The relief or remedy sought shall include the following:
(a) a demand that the dispute be referred to arbitration, including a copy of
the arbitration agreement, if any;
(b) the names and contact information (addresses, telephone and fax numbers) of the other parties and their counsel, to the extent known;
(c) the relief or remedy sought, with complete reasons;
(d) a proposal as to the number of arbitrators (i.e. one or three) and the
language of the proceedings, if the parties have not previously agreed
thereon;
(e) if three arbitrators have been proposed or agreed, the name and contact
details of the arbitrator to be appointed by the claimant.
3.6
The relief or remedy sought may also include:
(a) the claimant’s proposal for the appointment of a sole arbitrator referred
to in
Article 8;
(b) procedural requests to be decided by the arbitral tribunal after its appointment.
36.7
If the relief or remedy sought does not meet these requirements, the arbitral
tribunal may, at the request of the respondent, request the claimant to remedy
the defect within an appropriate period of time. If the claimant complies with
such directions within the applicable time-limit, the relief or remedy sought
shall be deemed to have been validly filed on the date when the initial version
was received. Otherwise the proceedings shall be discontinued.
127
Johannes Gasser
Article 37
37.1
37.2
Within thirty days from receipt of the relief or remedy sought, the respondent
shall transmit to the claimant a statement of defence. The respondent shall
also submit a statement of defence to every other party.
The statement of defence shall, to the extent possible, include the following:
(a) the name and contact information (addresses, telephone and fax numbers) of the respondent and of its counsel (if different from the description contained in the relief or remedy sought);
(b) any plea that an arbitral tribunal constituted under these Rules lacks
jurisdiction;
(c) complete comments by the respondent on the relief or remedy sought
and the reasons thereof, or partial comments with a reasoned request to
the arbitral tribunal for temporary restriction of the issue under arbitration;
(d) the respondent’s proposal as to the number of arbitrators (i.e. one or
three) and the language of the proceedings, if the parties have not previously agreed thereon;
(e) the respondent’s proposal for the appointment of a sole arbitrator referred to in Article 8 or the respondent’s designation of an arbitrator for
the purpose of constituting a three-member arbitral tribunal referred to
in Article 9.
37.3
Any counterclaim or set-off defence shall in principle be raised with the respondent’s statement of defence. The provisions of Article I.A.4.5 are applicable mutatis mutandis.
37.4
In the case of a counterclaim, the claimant shall within thirty days from receipt of the counterclaim transmit a statement of defence in reply to the
counterclaim. The provisions of Article 5.1 and 5.2 are applicable mutatis
mutandis.
B.
Composition of the arbitral tribunal
Eligibility conditions
Article 38
38.1
128
Unless otherwise provided in the arbitration agreement or all parties or the
commissioner consent, only persons may be selected who are subject to a
legal confidentiality obligation that at least includes criminal liability for
violation of that confidentiality obligation or a right to refuse testimony in
civil matters (specifically lawyers, auditors, patent lawyers and professional
Schiedsstandort Liechtenstein
trustees subject to Liechtenstein law). Merely disciplinary liability shall suffice only if the penalty is on the whole at least equivalent to the penalty for
lawyers under Liechtenstein law. If an arbitrator is nominated, he shall confirm this eligibility condition in writing and refer to the applicable legal
provisions. In the case of dispute, the commissioner shall make the final decision. The proceedings shall be governed by Article 11.
38.2
The secretariat shall publish a list with countries and professions that meet
the conditions set out in this Article in any case.
Number of arbitrators
Article 39
39.1
If the arbitration agreement does not specify the number of arbitrators and if
the parties do not agree on the number of arbitrators, then, if the relief or
remedy sought concerns money, requests reaching or exceeding
CHF 1,000,000 (or the equivalent) shall be decided by a three-member arbitral tribunal, taking account of any counterclaims and set-off defences referred to in Article 5.3. If the sum at issue for a relief or remedy sought is less
than CHF 1,000,000, the case shall fall within the jurisdiction of a sole arbitrator.
39.2
If the relief or remedy sought does not concern money, then the claimant shall
assess the amount in dispute. If the respondent contests the sum determined
pursuant to Article I.B.7.2 and it is at issue whether the contested amount is
less than CHF 1,000,000, then a three-member arbitral tribunal shall have
jurisdiction.
39.3
The assessment shall be made as of the date on which the request in question
was delivered to the other party, and in the case of several other parties as of
the date the first of these parties was served.
39.4
Where the arbitration agreement provides for an even number of arbitrators,
the commissioner shall, by inviting an arbitrator to that effect, appoint a
presiding arbitrator with the casting vote. This invitation may be issued at any
time during the proceedings. The arbitral tribunal shall decide itself whether
and to what extent any procedural steps made prior to appointment of the
presiding arbitrator must be repeated.
Appointment of a sole arbitrator
Article 40
40.1
Where two or more parties have agreed that the dispute shall be referred to a
sole arbitrator, they shall jointly designate the sole arbitrator within 21 days
129
Johannes Gasser
from the date when the statement of defence was received, unless agreed
otherwise. The same shall apply if the referral of the dispute to a sole arbitrator arises from Article 7. The period of time shall also commence if one or
more respondents are in default in transmitting the statement of defence.
40.2
If the parties fail to reach agreement on appointment of the sole arbitrator, the
commissioner shall appoint the sole arbitrator on the request of a party.
Appointment of a three-member arbitral tribunal
Article 41
41.1
Where a dispute between two adverse parties is referred to a three-member
arbitral tribunal, each party shall designate one arbitrator. The two arbitrators
so appointed shall designate, within 21 days, a third arbitrator who shall act
as the presiding arbitrator of the arbitral tribunal. Failing such designation or
agreement, the commissioner shall appoint the presiding arbitrator on the
request of a party. This provision is subject to a different arrangement in the
arbitration agreement.
41.2
If a party fails to designate an arbitrator within the time-limit resulting from
the arbitration agreement or, if no time-limit was agreed, within 21 days from
the date applicable to that party (relief or remedy sought; statement of defence), the commissioner shall appoint the arbitrator on request of a party.
The party in default may make up its selection until the time the commissioner makes his decision, but the arbitral tribunal shall, at the request of
another party, impose all costs arising from the delay (partial award) on the
party in default immediately after the arbitral tribunal is constituted.
41.3
If the parties have not agreed upon a procedure for the constitution of the
arbitral tribunal in multi-party proceedings, several claimants shall appoint
a joint arbitrator to decide the relief or remedy sought. Several respondents
have a thirty-day time-limit to designate a joint arbitrator from the delivery
of the relief or remedy sought to the last respondent. If the group or groups
of parties have each designated an arbitrator, Article 9.1 shall apply by analogy to the designation of the presiding arbitrator.
41.4
If, in multi-party proceedings, one side has chosen an arbitrator, but the
other side is unable to agree on an arbitrator, the right to determine both arbitrators shall be transferred to the commissioner. The commissioner shall
select both arbitrators, taking the best possible account of the parties’ interests. The commissioner may also determine one of the arbitrators that one or
more parties on the respective side have selected for themselves or have proposed to the parties on that side.
130
Schiedsstandort Liechtenstein
Independence and challenge of arbitrators
Article 42
42.1
All arbitrators conducting an arbitration under these Rules shall be and remain at all times impartial and independent of the parties.
42.2
A requested arbitrator shall disclose in writing any circumstances likely to
give rise to justifiable doubts as to his impartiality or independence. It shall
be the responsibility of the appointing person to provide the requested arbitrator with the necessary information in this regard concerning the parties and
the matter in dispute. An arbitrator, once appointed or chosen, shall immediately disclose such circumstances to the parties and the other members of the
arbitral tribunal unless they have already been informed by him of these
circumstances. An arbitrator shall confirm his independence and impartiality in writing upon his appointment. He shall likewise confirm that he is
submitting to these Rules in his capacity as arbitrator, especially the confidentiality provisions.
Article 43
43.1
Any arbitrator may be challenged if circumstances exist that give rise to
justifiable doubts as to the arbitrator’s impartiality or independence. The
challenge must be made to the arbitrator concerned, with an indication of the
reasons, within 15 days from receipt of the communication of the appointment or after that party becomes aware of the relevant circumstances.
43.2
A party may challenge the arbitrator appointed by it only for reasons of which
it becomes aware after the appointment has been made.
43.3
Within 15 days from receipt of the challenge, the challenged arbitrator must
withdraw or communicate to all parties and the other arbitrators in writing
that he is not withdrawing. A copy of the challenge letter must accompany
this communication to the extent other parties have not yet received it. If the
challenged arbitrator does not withdraw, the challenging party may, within 7
days from receipt of the communication or after the time-limit has expired
without action, demand a decision by the commissioner on the challenge. The
commissioner shall decide on the challenge within 30 days from when it is
received.
Article 44
If an arbitrator fails to perform his functions despite a written warning and reasonable
deadline imposed by the other arbitrators or a party, the commissioner may revoke the
appointment of that arbitrator at the request of a party or arbitrator after a hearing. The
decision is final.
131
Johannes Gasser
Replacement of an arbitrator
Article 45
If an arbitrator designated by a party deceases or becomes unable to perform his functions due to any reasons beyond his control, the party that designated the arbitrator is
required to designate a replacement arbitrator within a time-limit of 21 days from
certain knowledge of this circumstance. If the party fails to honour this obligation even
after being warned by another party or an arbitrator with a grace period of 14 days,
the commissioner shall on request of a party or an arbitrator designate a replacement
arbitrator. This rule also applies if an arbitrator has been successfully challenged, has
been otherwise removed or has resigned, or if several parties selected the arbitrator
but failed to agree on a successor.
Article 46
If an arbitrator is replaced, the proceedings shall as a rule resume at the stage where
the arbitrator who was replaced ceased to perform his functions, unless the arbitral
tribunal decides otherwise.
C.
Arbitral proceedings
General provisions
Article 47
47.1
Subject to these Rules, the provisions of the arbitration clause or arbitration
agreement and the parties’ agreements, the arbitral tribunal may conduct the
arbitration in such manner as it considers appropriate, provided that it ensures
equal treatment of the parties and their right to be heard. Within its discretion,
it shall endeavour to conduct fair, efficient and cost-effective proceedings.
The parties are required to participate in good faith.
47.2
At an early stage of the arbitral proceedings and in consultation with the parties, the arbitral tribunal shall prepare a provisional time-table for the arbitral
proceedings up until delivery of the award.
47.3
In consultation with the parties, the arbitral tribunal shall determine the
language of the proceedings, unless already agreed by the parties.
47.4
Unless otherwise agreed or determined by the arbitral tribunal, at least one
exchange of submissions shall take place in the form of the relief or remedy
sought, the statement of defence, and where applicable the statement of defence in reply to the counterclaim. The arbitral tribunal shall decide on the
admissibility of additional submissions and shall determine the time-limits.
132
Schiedsstandort Liechtenstein
The arbitral tribunal shall honour the rights of the parties to be heard in this
regard.
47.5
New or amended requests for legal remedy after submission of the claim or
the statement of defence require admission by the arbitral tribunal. The arbitral tribunal shall in this regard take account of the closeness of the substantive connection, the interests of the parties and the consequences for the
conduct of the proceedings.
Jurisdiction of the arbitral tribunal
Article 48
48.1
Objections to the jurisdiction of the arbitral tribunal must be raised at the
latest in the statement of defence or, in the case of a counterclaim, set-off
defence or amendment of the requests for legal remedy (in accordance with
Article I.C.15.5) or of the legal bases of the claim, in the first comments in
that regard. The arbitral tribunal may permit a later objection if it deems the
delay excusable in that specific case. Subject to the admission of a later plea
by the arbitral tribunal, consent to consideration of the matter by the arbitral
tribunal shall be deemed given if an objection to the arbitral tribunal’s jurisdiction has not been raised on time.
48.2
The arbitral tribunal shall have the power to rule in an interim decision or in
the final decision on objections that it has no jurisdiction, including any objections with respect to the existence or validity of the arbitration clause or of
the separate arbitration agreement. The arbitral tribunal may continue the
proceedings in its discretion and make an award, even if a decision on jurisdiction is being contested in court.
48.3
The arbitral tribunal shall have jurisdiction in principle to hear a set-off defence. It may refuse to hear a set-off defence if the relationship out of which
this defence is said to arise as such would not fall within the jurisdiction of
the arbitral tribunal and either the consideration of the set-off defence would
delay or complicate the proceedings such that the justifiable interests of the
other party would be significantly affected or other justifiable interests of the
other party so require.
48.4
The arbitral tribunal shall have jurisdiction to hear a counterclaim only if the
counterclaim is subject to the same arbitration agreement of the parties.
133
Johannes Gasser
Interim measures of protection
Article 49
49.1
At the request of a party, the arbitral tribunal may take any interim measures
it deems necessary or appropriate.
49.2
Such interim measures may be established in the form of an interim award.
The arbitral tribunal shall be entitled and expected to order the provision of
appropriate security and to adjust that security if needed.
49.3
If the arbitral tribunal has already been constituted and the parties have not
agreed otherwise, no party may address requests to a judicial authority concerning interim or provisional measures without approval by the arbitral
tribunal. In the case of an arbitral tribunal with three arbitrators, the presiding
arbitrator shall decide alone on consent to requests by parties for provisional
measures addressed to judicial authorities. It shall be in his discretion whether or not to hear the other side first. No reasons need be given for a positive
decision, and a positive decision should not be delivered to opposing parties
or other parties to the arbitration proceedings before the judicial authority has
decided.
49.4
If a party breaches this rule, the arbitral tribunal may at the request of an opposing party make appropriate arrangements as a remedy. Moreover, the
breach may constitute a violation of the confidentiality provisions, and the
opposing parties may demand compensation and payment in accordance with
Article 29.7.
Evidence
Article 50
50.1
The arbitral tribunal shall decide independently on whether to take evidence.
A party shall not have a claim to a hearing unless mandated by law.
50.2
The production of documents by the other party shall in principle be governed
by §§ 303 ff. of the Liechtenstein Code of Civil Procedure. The arbitral tribunal shall, at the request of the producing party, order that documents and
evidence not be handed over to the other party, but rather be presented for
inspection only at the seat of the arbitral tribunal or other suitable location, if
the requesting party can prove an interest in the confidentiality of the materials. The arbitral tribunal shall furthermore make all appropriate arrangements to protect justifiable secrecy interests of the parties and third parties.
In particular, it may order that an expert who in turn is subject to professional secrecy review the documents and report on any relevant content to the
134
Schiedsstandort Liechtenstein
arbitral tribunal without the need to produce the documents for inspection by
the arbitral tribunal or the other side itself.
50.3
Failure to produce documents that a party is not required to produce pursuant
to §§ 303 ff. of the Liechtenstein Code of Civil Procedure or the substantive
law applicable to this question may not be considered to the detriment of that
party.
50.4
If a person has a right to refuse to give evidence and is not discharged from
a confidentiality obligation by a party, this may not be considered to the detriment of that party.
50.5
Anyone may be a witness, even a party itself. The parties shall in principle
be responsible themselves for the appearance of their witnesses. If a witness
does not appear or refuses to participate, the arbitral tribunal shall at the request of a party and at its discretion decide whether to set a new date for the
hearing, to examine the witness by judicial process or also to do without the
testimony. In this regard, the arbitral tribunal shall in particular take account
of the interests of the parties. Witnesses may on an exceptional basis and to
the extent appropriate also be examined by video conference or telephone.
50.6
The arbitral tribunal, after consulting with the parties, may appoint one or
more experts. The parties shall give the expert any relevant information and
produce for his inspection any relevant materials or goods. The expert shall
be required to maintain the strictest secrecy in relation to third parties regarding the facts of which he gains knowledge as part of the arbitration proceedings or pursuant to his position as an expert. After conclusion of his task, the
expert shall return all materials and goods and destroy all copies.
50.7
The arbitral tribunal shall assess the evidence freely.
Default
Article 51
51.1
If, within the period of time set out in Article 5.1, the respondent has failed
to communicate its statement of defence without showing sufficient cause for
such failure, the arbitral tribunal shall order that the proceedings continue,
without being able to deem this failure a recognition of the actual assertions
of the claimant. This shall apply to a failure of the claimant to answer a counterclaim.
51.2
The additional costs associated with late submissions due to a delay of the
proceedings may at the request of a party be imposed immediately on the
party responsible for the delay (partial award).
135
Johannes Gasser
51.3
If one of the parties, duly notified under these Rules, fails to appear at a hearing, without showing sufficient cause for such failure, the arbitral tribunal
may proceed with the arbitration.
51.4
If a party, duly invited by the arbitral tribunal to produce documentary evidence or other evidence it is required to produce, fails to do so within the
established period of time, without showing sufficient cause for such failure,
the arbitral tribunal may make the award on the evidence before it.
Closure of proceedings
Article 52
52.1
After the evidence procedure is completed, the arbitral tribunal may declare
the proceedings closed. The parties shall then be precluded from further
submissions.
52.2
The arbitral tribunal may, if it considers it necessary owing to exceptional
circumstances, decide, on its own motion or upon application of a party, to
reopen the proceedings at any time before the award is made.
Waiver of Rules
Article 53
A party who knows or should know that any provision of, or requirement under, these
Rules, the applicable procedural law at the seat of the arbitral tribunal, or the arbitration agreement or any order of the arbitral tribunal has not been complied with and yet
proceeds with the arbitration without stating its objection to such non-compliance
without unnecessary delay or within any time-limit provided for that purpose, shall be
deemed to have approved the violation and waived its right to object for that reason.
D.
The award
Decisions
Article 54
54.1
136
When the arbitral tribunal is composed of more than one arbitrator, any award
or other decision of the arbitral tribunal shall be made by a majority of the
arbitrators. In the event of a tie vote, the presiding arbitrator’s vote shall decide. No arbitrator may abstain.
Schiedsstandort Liechtenstein
54.2
In the case of questions of procedure, when the parties or the arbitral tribunal
so authorise, the presiding arbitrator may decide on his own, subject to later
revision, if any, by the arbitral tribunal. Subject to any other arrangements by
the parties or the arbitral tribunal, the presiding arbitrator may decide on the
imposition and extension of time-limits on his own.
Form and effect of the award
Article 55
55.1
In addition to making a final award, the arbitral tribunal shall be entitled to
make interim, interlocutory, or partial awards.
55.2
The award shall be made in writing and shall be delivered to the parties. It
shall be final and binding on the parties. The parties undertake to carry out
the award without delay. The parties shall waive the right to appeal the award
in any way to judicial authorities, to the extent such a waiver is legally permissible.
55.3
The arbitral tribunal shall state the reasons upon which the award is based,
unless the parties have agreed that no reasons are to be given.
55.4
An award shall be signed by the arbitrators and it shall contain the date on
which the award was made and the place of arbitration. Where there are
several arbitrators and one or more of them fail to sign, the award shall state
the reason for the absence of the signature(s).
55.5
Any correction, explanation, or completion of the award shall be governed by
§ 627 of the Liechtenstein Code of Civil Procedure.
Applicable law
Article 56
56.1
The arbitral tribunal shall decide the case in accordance with the rules of law
agreed upon by the parties or, in the absence of a choice of law, by applying
the rules of law with which the dispute has the closest connection.
56.2
The arbitral tribunal shall decide as amiable compositeur or ex aequo et bono
only if the parties have expressly authorised the arbitral tribunal to do so.
56.3
In all cases, the arbitral tribunal shall decide in accordance with the terms of
the applicable contracts, trust settlements or articles of association and shall
take into account the usage of the trade applicable to the transaction.
137
Johannes Gasser
E.
Costs
Determination of costs
Article 57
57.1
The arbitral tribunal shall determine the costs of arbitration in its award. The
term «costs» includes only:
(f) the fees of the arbitral tribunal to be stated separately as to each arbitrator and to be determined by the tribunal itself in accordance with Appendix A, as well as appropriate fees of the experts called to the arbitral
tribunal;
(g) appropriate travel and other expenses incurred by the arbitrators, experts and witnesses, to the extent their costs have been approved by the
arbitral tribunal;
(h) the costs for legal representation and assistance of the parties, as well as
for their experts and witnesses, if such costs were claimed during the
arbitral proceedings, and only to the extent that the arbitral tribunal
determines that the amount of such costs is reasonable;
(i) the costs for obtaining and securing evidence;
(j) any costs incurred by the LCCI and/or a commissioner for administration of the arbitration in accordance with Appendix A (Schedule of the
costs of arbitration).
57.2
No additional fees may be charged by an arbitral tribunal for any interpretation or correction or completion of its award.
Article 58
58.1
The fees of the arbitral tribunal shall be determined in conformity with Appendix A (Schedule of the costs of arbitration).
58.2
The arbitral tribunal shall decide on the allocation of the fees among its members. As a rule, the Chairman shall receive between 40 % and 50 % and each
co-arbitrator between 25 % and 30 % of the total fees, in view of the time and
efforts spent by each arbitrator.
58.3
If a party or an arbitrator believes the schedule of the costs set out in Appendix A is obviously unreasonable in the specific case, if a party believes the
determination by the arbitral tribunal of the amount in dispute used to calculate the fees is obviously excessive, or if the arbitrators do not agree on the
allocation of the fees (Article 26.2), then the party or any arbitrator may request that the commissioner determine the fees accordingly. Making such a
request shall not hinder continuation of the proceedings or the enforceability
138
Schiedsstandort Liechtenstein
of the other decisions of the arbitral tribunal or of the other operative parts of
the award.
58.4
Pursuant to a request in accordance with Article 26.3, the commissioner shall
deviate from the schedule of the costs set out in Appendix A only if, in the
individual case, the schedule of the costs is obviously unreasonable in light
of the complexity of the subject-matter, the time reasonably spent by the arbitrators, and any other relevant circumstances. The commissioner’s decision
shall be deemed the award with respect to the question of the arbitrators’ fees.
Article 59
The costs of arbitration shall in principle be borne by the unsuccessful party, to the
extent it was unsuccessful. However, the arbitral tribunal may provide a different apportionment of costs if it determines that such apportionment is reasonable and correct, taking into account the circumstances of the case.
Deposit of costs
Article 60
60.1
The arbitral tribunal, on its establishment, shall request each side to deposit
an equal amount as an advance for the costs referred to in Article 25.1, paragraphs (a), (b) and (d), unless the parties have arranged otherwise with respect
to allocation of the costs. The arbitral tribunal shall hear the parties before
determining the relevant amount in dispute, unless that amount follows from
the parties’ quantified requests for legal remedy.
60.2
If, after being requested to do so by the arbitral tribunal, a party fails to meet
its obligation within thirty days to make deposits as referred to in Article
28.1, the other party shall be free to deposit the advance on costs for the nonpaying party. If no payment is made, the arbitral tribunal may order the
suspension or termination of the arbitral proceedings. The arbitral tribunal
may refuse to take evidence associated with costs and offered only by the
party in default. Moreover, the party making payments for another party in
default shall be granted at its request appropriate interim measures against
the party in default to safeguard its claim to repayment.
60.3
When requested by the respondent, the claimant shall provide appropriate
security to the respondent for the legal costs, unless the parties have arranged
otherwise. The arbitral tribunal shall decide on the permissibility of the security in terms of justification and amount.
60.4
Where a respondent submits a counterclaim, or it otherwise appears appropriate in the circumstances, the arbitral tribunal may in its discretion establish
separate deposits.
139
Johannes Gasser
60.5
During the course of the arbitral proceedings the arbitral tribunal may request
supplementary deposits from the parties.
60.6
If a party asserts and satisfactorily proves insufficient funds for the proceedings, the arbitral tribunal shall call upon the other parties to deposit the advance on costs in lieu of the party lacking funds, or the share corresponding
to the lack of funds, within a reasonable period of time. If this payment is not
made, the arbitral tribunal may discontinue the proceedings without a decision on the merits and with reference to the party lacking funds. The arbitral
tribunal may, however, demand that the party with insufficient funds pay or
secure the amounts it is able to.
60.7
In its final award, the arbitral tribunal shall render an accounting to the parties
of the deposits received. Any unexpended balance shall be returned to the
parties.
Confidentiality
Article 61
61.1
Unless the parties expressly agree in writing to the contrary, the parties, their
representatives, experts, the auditors, any commissioner, the secretariat and
their auxiliary persons shall as a general principle keep confidential all
awards and orders as well as all materials submitted and facts made available
by other participants in the proceedings in the framework of the arbitral
proceedings, unless a right to them exists in other ways, save and to the extent
that a disclosure by a party may be imperative to fulfil a legal duty, to protect
or pursue a legal right or to enforce or challenge an award.
61.2
The deliberations of the arbitral tribunal are confidential. The parties shall
recognise this confidentiality and undertake to protect it.
61.3
The arbitral tribunal shall take any additional measures called for to protect
the secrecy needs of a party. In particular, it may require the parties to keep
strict confidentiality regarding facts of which they attain knowledge in their
capacity and it may exhaustively delimit the circle of persons entitled to know
such facts, and it may in special cases hand documents over to an expert
subject to a secrecy obligation for review without granting the other parties
access to the documents.
61.4
Parties, their representatives, experts, the arbitrators and any commissioner
shall take appropriate organisational measures to safeguard the confidentiality of the arbitral proceedings. At the request of a party, the arbitral tribunal
may order that communication by e-mail is impermissible or must be protected by appropriate encryption. At all times, materials must be kept with
such care that third parties are unable to gain knowledge of their existence or
content.
140
Schiedsstandort Liechtenstein
61.5
To the extent a possibility of refusing to testify on the arbitral proceedings
and the confidential information received within the framework of such proceedings exists, it shall be used. The parties undertake not to call persons
subject to confidentiality pursuant to Article 29.1 as witnesses in any judicial
or other proceedings connected with the arbitral proceedings with respect to
the information subject to confidentiality.
61.6
The obligation to maintain confidentiality shall persist even after conclusion
of the arbitral proceedings.
61.7
If a party, its representative, an expert, an arbitrator, any commissioner or one
of their auxiliary persons breaches the confidentiality obligation set out in
Article 29.1, that person or those persons shall pay a contractual penalty in
the amount of CHF 50,000 to the injured parties, unless the parties have
agreed otherwise. Parties shall also be liable for the conduct of their counsel.
The liability of auxiliary persons shall be governed by law. Several persons
breaching the confidentiality obligation shall be held jointly and severally
liable. A court or arbitral tribunal may mitigate the contractual penalty if the
breach was without serious fault, material and immaterial damage is ruled
out and no confidential fact was widely disseminated. This shall be without
prejudice to claims of more far-reaching damage if the breach was deliberate.
61.8
With respect to a claim for a contractual penalty or compensation under article 29.7, an arbitral tribunal shall be deemed constituted under these provisions. If the breach concerns a party, the entitled party may until closure of
the proceedings submit the request to the arbitral tribunal with jurisdiction
for the original proceedings. Otherwise, the entitled party shall have the
choice between initiating new proceedings at the place selected in the original
arbitration agreement or at the domicile or residence of the respondent in the
new proceedings.
F.
Exclusion of liability
Article 62
None of the LCCI or its employees, the arbitrators, the commissioner, the secretariat,
the tribunal-appointed experts or any secretary of the arbitral tribunal shall be liable
for any act or omission in connection with an arbitration conducted under these Rules,
save where such an act is absolutely required by law. This provision is subject to Article 29.7.
141
Johannes Gasser
G.
Secretariat and commissioner
Article 63
63.1
The LCCI shall appoint a secretary for arbitration (the «secretary») and two
deputies who together form the secretariat. The secretariat shall be staffed by
the LCCI with independent, legally trained or otherwise suitable persons who
preferably are not professional representatives of parties (lawyers, professional trustees, patent lawyers, tax advisors, etc.).
63.2
The secretariat shall adopt its own rules of procedure and shall make its
contact information available in suitable form.
63.3
Requests for appointment of a commissioner shall be made directly to the
secretariat.
63.4
Decisions of the secretariat are final and need not include reasons.
Article 64
64.1
On request, the secretariat shall appoint an independent commissioner for
specific arbitral proceedings. The appointment shall apply to the entire proceedings. The request must only designate the parties, their representatives,
any directly affected third parties (especially such as companies, foundations,
trusts, etc.) and, if already appointed, the arbitrators. If several arbitral proceedings have been initiated between the parties, such additional information
shall be provided to designate the specific arbitral proceedings unambiguously.
64.2
Article 10 apply to the commissioner mutatis mutandis. A commissioner may
be challenged under the provisions of Article 11 mutatis mutandis or on
other important grounds and be removed by the secretariat.
64.3
If a time-limit exists to call for a commissioner and if no commissioner has
been appointed yet, the request pursuant to Article 32.1 must be made within
that time-limit.
64.4
If a time-limit exists for the decision of the commissioner, that time-limit
shall in any event not commence before the appointment of the commissioner.
64.5
The commissioner shall independently make decisions that are assigned to
the commissioner under these Rules. The decisions of the commissioner are
final and not subject to legal remedy. He shall decide independently on any
preliminary questions, such as whether a party allegedly in default is in fact
in default. The adjudication of preliminary questions by the commissioner
shall not bind the arbitral tribunal.
142
Schiedsstandort Liechtenstein
64.6
Parties and arbitrators directing requests to the commissioner shall make the
necessary submission and transmit a copy each to the commissioner and the
other parties and arbitrators. The commissioner shall grant all parties the
right to be heard, to the extent their rights may be affected.
64.7
The commissioner shall not participate in the rest of the arbitral proceedings.
The presiding arbitrator shall merely notify the commissioner and the secretariat of the end of the proceedings in writing. If no commissioner has been
appointed, no notification need be made to the secretariat.
64.8
The LCCI shall not be liable for decisions, acts or omissions of the arbitral
tribunal, the commissioner or the secretariat. The secretariat shall not be liable for decisions, acts or omissions of the arbitral tribunal or the commissioner. The commissioner shall not be liable for decisions, acts or omissions
of the secretariat or the arbitral tribunal.
143
Johannes Gasser
II.
Appendix A – Schedule of the costs of arbitration
A.
Costs of the secretariat
A.1
Anyone requesting decisions or appointments by the secretariat shall be liable
for the administrative costs of the secretariat and shall immediately pay those
costs at the request of the secretariat and, if demanded by the secretariat, in
advance. He may, however, claim amounts paid as costs in the arbitral proceedings. Several applicants shall be held jointly and severally liable.
A.2
The administrative costs of the secretariat shall be:
•• for the appointment of a commissioner
CHF   1’000
•• for the removal of a commissioner
CHF 10’000
B.
Costs of the commissioner
B.1
Anyone requesting a decision by the commissioner shall be liable for the
administrative costs of the commissioner and shall pay these costs immediately upon receiving the invoice. He may, however, claim amounts paid as
costs in the arbitral proceedings. Several applicants shall be held jointly and
severally liable.
B.2
The commissioner may demand advance payment of his administrative costs.
If these costs are not paid, he shall inform the parties and discontinue the
proceedings.
The administrative costs of the commissioner shall be:
•• for the appointment of an arbitrator for a party or consent
under Article I.B.6.1
CHF   2,000
•• for the appointment of an arbitrator for several parties
CHF   3,000
•• for the decision on removal of an arbitrator
CHF 10,000
•• for the decision on increasing the fee of the arbitral
tribunal CHF 10,000
•• for the decision on allocation of the fee among
the arbitrators
CHF   3,000
•• […]
C.
Arbitrators’ fees
C.1
The arbitrator’s fee shall cover the activities of the arbitral tribunal from the
moment the file is transmitted until the last award.
144
Schiedsstandort Liechtenstein
C.2
Deposits by the parties must be made to a separate bank account that is used
only for the arbitral proceedings in question and is identified accordingly.
Sole arbitrator
Amount in dispute
from
to
0
Arbitrators’ fee
250’000
14’000
250’000
500’000
28’000
500’000
1’000’000
42’000
1’000’000
2’000’000
60’000
2’000’000
3’000’000
80’000
3’000’000
5’000’000
90’000
5’000’000
7’500’000
105’000
7’500’000
10’000’000
125’000
10’000’000
15’000’000
160’000
15’000’000
20’000’000
185’000
20’000’000
25’000’000
200’000
25’000’000
50’000’000
225’000
50’000’000
100’000’000
275’000
100’000’000
(amounts in CHF)
–
350’000
145
Johannes Gasser
Three-member arbitral tribunal
Amount in dispute
from
to
Arbitrators’ fee
0
250’000
29’000
250’000
500’000
68’000
500’000
1’000’000
105’000
1’000’000
2’000’000
140’000
2’000’000
3’000’000
180’000
3’000’000
5’000’000
210’000
5’000’000
7’500’000
255’000
7’500’000
10’000’000
300’000
10’000’000
15’000’000
370’000
15’000’000
20’000’000
420’000
20’000’000
25’000’000
455’000
25’000’000
50’000’000
510’000
50’000’000
100’000’000
620’000
100’000’000
–
850’000
(amounts in CHF)
D.
Taxes and duties
C.1
The parties are required to pay additionally any value added tax or other
taxes and duties on the charges and fees referred to above. Collecting such
taxes and duties from the parties shall be the responsibility of the person
entitled to the charge or fee in question.
146
Schiedsstandort Liechtenstein
III.
Model arbitration clauses
For contractual disputes:
Any dispute, controversy or claim arising out of or in relation to this contract, including the validity, invalidity, breach or termination thereof as well as non-contractual
claims, shall be resolved by arbitration in accordance with the Rules of Arbitration of
the Liechtenstein Chamber of Commerce and Industry to the exclusion of the judicial
authorities.
The number of arbitrators shall be
(one or three).
The seat of the arbitral tribunal shall be
(insert desired place of arbitration).
The arbitral proceedings shall be conducted in
(insert desired language).
For trusts:
Any dispute, controversy or claim of any kind arising from or in relation to this trust
– including the existence and scope of any beneficial interest, the designation of beneficiaries, the validity, invalidity, amendment or dissolution of the trust, the appeal of
decisions, and supervisory measures – shall be resolved by arbitration in accordance
with the Rules of Arbitration of the Liechtenstein Chamber of Commerce and Industry
to the exclusion of the judicial authorities. In any event by accepting a beneficial interest, the beneficiary shall submit to this arbitration agreement. The trustee may call
upon the beneficiary to confirm this by signature. Refusal of this confirmation shall
be deemed a waiver of the beneficial interest.
The number of arbitrators shall be
(one or three).
The seat of the arbitral tribunal shall be
(insert desired place of arbitration).
The arbitral proceedings shall be conducted in
(insert desired language).
If a party is indigent, the trustee may in his discretion for the duration of the proceedings provisionally assume the costs of the proceedings, including advances on costs
and reasonable representation of that party, at the expense of the trust, subject to a
decision by the arbitral tribunal in the award on the final obligation to bear the costs.
For foundations:
Any dispute, controversy or claim arising between the foundation, its executive bodies, the founder or beneficiaries in relation to the foundation, its formation, activity or
liquidation, including the existence or scope of a beneficial interest, the designation of
beneficiaries, the validity, invalidity, amendment or dissolution of the foundation, appeal of decisions, and supervisory measures, shall be resolved by arbitration in accordance with the Rules of Arbitration of the Liechtenstein Chamber of Commerce and
147
Johannes Gasser
Industry to the exclusion of the judicial authorities. In any event by accepting a beneficial interest, the beneficiary shall submit to this arbitration agreement. The foundation may call upon the beneficiary to confirm this by signature. Refusal of this confirmation shall be deemed a waiver of the beneficial interest.
The number of arbitrators shall be
(one or three).
The seat of the arbitral tribunal shall be
(insert desired place of arbitration). On
request, the arbitral tribunal may transfer the seat of the arbitral tribunal to the domicile of the foundation if this is necessary for the award to be valid for the foundation
under company law.
The language of the arbitral tribunal shall be
(insert desired language).
If a party is indigent, the foundation may in its discretion for the duration of the proceedings provisionally assume the costs of the proceedings, including advances on
costs and reasonable representation of that party, reserving the right to reclaim these
costs after a decision of the arbitral tribunal on the final obligation to bear the costs.
For companies:
Any dispute, controversy or claim arising between the company, its executive bodies,
its shareholders or partners in relation to the company, its formation, activity or liquidation, including the existence or scope of a shareholding or partnership, the validity,
invalidity, amendment or dissolution of the company, appeal of decisions, and supervisory measures, shall be resolved by arbitration in accordance with the Rules of Arbitration of the Liechtenstein Chamber of Commerce and Industry to the exclusion of
the judicial authorities. In any event by acquiring shares or partnership rights, the
shareholder or partner shall submit to this arbitration agreement. On request, the arbitral tribunal may transfer the seat of the arbitral tribunal to the domicile of the company if this is necessary for the award to be valid for the company under company law.
The number of arbitrators shall be
(one or three).
The seat of the arbitral tribunal shall be
(insert desired place of arbitration).
The arbitral proceedings shall be conducted in
148
(insert desired language).
Zur Rechtsfähigkeit der liechtensteinischen
Treuhänderschaft
Bernhard Lorenz
Inhaltsübersicht
A. Gegenstand
B. Ausgangspunkt
I. Spurfolgestreit
II. Verwandtschaft von Treuhand und Gesamthand
C. Gang der Untersuchung
D. Aussenwirkung der Treuhänderschaft
I. Gesetzesbestimmungen
II. Vertragliche Erklärungsversuche
III. Abgrenzung zur Fiduzia
IV. Sachenrechtliche Erklärungsversuche
V. Personenrechtliche Einordnung
a. Einleitendes
b. Konkursfähigkeit
c. Schuldfähigkeit
d. Parteifähigkeit
e. Treuhänderwechsel
E. Aussenwirkung mittels personen- und gesellschaftsrechtlicher Instrumente
F. Keine juristische Person
G. Zusammenfassung
A.
149
150
150
151
153
154
154
156
157
158
162
162
162
164
168
169
175
178
180
Gegenstand
Gegenstand dieser Abhandlung ist die Frage, ob die liechtensteinische Treuhänderschaft mit Rechtsfähigkeit ausgestattet ist. Sie wird vom Verfasser mit
ja beantwortet. Doch soll damitnichteiner Qualifikation der liechtensteinischen Treuhänderschaft als juristischen Person das Wort geredet werden. Wie
der schlichte Blick auf die Kollektiv- oder Kommanditgesellschaft zeigt, gibt
es personenrechtliche Gemeinschaften, die als rechts-, partei- und konkursfähig gelten, ohne juristische Person zu sein.
149
Bernhard Lorenz
B.
Ausgangspunkt
I.
Spurfolgestreit
Im Ausgang dieser Untersuchung steht ein Gerichtsfall, den die liechtensteinischen Gerichte vor kurzem zu entscheiden hatten.1 Es ging dabei um die Geltendmachung des Spurfolgerechts nach Art. 912 Abs. 3 PGR. Diese Bestimmung gewährt Begünstigten einer liechtensteinischen Treuhänderschaft sowie– über die Regelung des Common Law des Trust hinaus2 – dem Treugeber
die Befugnis, Klage auf Heraus- und Rückgabe gegen Dritte zu erheben, welche aufgrund eines Treubruchs des Treuhänders unrechtmässig Besitz an
einzelnen oder allen Stücken des Treuhandvermögens erlangt haben. Die Klage ist «zugunsten des Treuhandvermögens» geltend zu machen. Im Gerichtsfall war Gegenstand des Treubruchs das gesamte Vermögen der Treuhänderschaft. Der handelnde Treuhänder stellte nach Durchführung des Transfers die
Vermögenslosigkeit des Trust fest und liess die Treuhänderschaft aus dem
liechtensteinischen Öffentlichkeitsregister austragen. Im Gerichtsverfahrenwurde die Frage releviert, ob die Klagebefugnis des Art. 912 Abs. 3 PGR in
Ansehung einer so «beendeten» Treuhänderschaft fortbesteht. Im Zusammenhang damit spielte eine Rolle, ob die Klagsführung die namentliche Bezeichnung des Treuhänders erfordert oder die namentliche Bezeichnung der Treuhänderschaft, zu deren Gunsten die Klage erhoben wird, ausreicht. Ersterenfalls hätte der Klagsführung ein Verfahren zur Bestellung eines Treuhänders
vorauszugehen, sofern man den Begünstigten nicht zur Klage zugunsten des
treubrüchigen Treuhänders zwingen will, der angesichts seiner Gesamtverfügung über das Treuhandvermögen nicht mehr amtswilligsein wird, sondern
überhaupt der Ansicht, gar nicht mehr Treuhänder zu sein. Das setzte freilich
die Klärung der Vorfrage voraus, ob die Vermögensentäusserung treubrüchig
war oder nicht, denn nur dann könnte von einem Fortbestand der Treuhänderschaft die Rede sein. Damit ist insgesamt die Frage releviert, ob die Treuhän1
2
OGH 2.8.2011, 06 CG.2007.337,www.gerichtsentscheidungen.li; im zweiten Rechtsgang OGH 2.8.2011 06 CG.2007.337, www.gerichtsentscheidungen.li. Der Verfasser
war am Gerichtsverfahren als Parteienvertreter auf Klägerseite beteiligt.
Siehe Hayton/Matthews/Mitchell, Underhill And.hayton Law Relatingto Trusts and
Trustees18 (2010) Rz. 90.2 ff.; Mowbray/Tucker /Le Poidevin/Simpson/Brightwell,
Lewin on Trusts18 (2008) Rz. 41–01 (der Rechtsbehelf steht Begünstigten und Treuhändern zu) und 41–46 (auch der treubrüchige Treuhänder kann das Spurfolgerecht
geltend machen).
150
Zur Rechtsfähigkeit der liechtensteinischen Treuhänderschaft
derschaft eine vom Treuhänder unabhängige Existenz führt oder nicht. Letztlich muss man sich der Frage der Rechtsfähigkeit der Treuhänderschaft stellen.
Die Gerichtsinstanzen in Liechtenstein waren verschiedener Ansicht. Eine, die
Berufungsinstanz, hielt dafür, der Beendigungserklärung des Treuhänders,
unabhängig von der Frage, ob ein Treubruch begangen worden sei oder nicht,
konstitutive Wirkung zuzugestehen und die Klagebefugnis zu verneinen.3
Falls der Beendigung ein Treubruch vorangegangensei, könnte man mit dem
Gesetz höchstens noch die Wirkung vereinbaren, dass sich die jetzt vermögenslose Treuhänderschaft in eine Gesamthänderschaftumwandle und die
Klagebefugnis gegen Dritte nur durch sämtliche Begünstigten gemeinschaftlich, also zur gesamten Hand, ausgeübt werden könne.4 Der Oberste Gerichtshof indessen blieb bei der strikt wörtlichen Anwendung des Art. 912 Abs. 3
PGR. Die Klagebefugnis des Art. 912 Abs. 3 PGR erlösche durch eine treuwidrige Beendigung der Treuhänderschaft nicht, bei der Klagsführung zugunsten der Treuhänderschaft reiche die namentliche Bezeichnung der Treuhänderschaft aus, für das Erkenntnisverfahren sei unerheblich, ob sich ein
Treuhänder im Amt befinde oder nicht, und die exekutive Durchsetzung eines
Spurfolgeurteils könne zugunsten eines dann bestellten Treuhänders erfolgen,
was eine Titelergänzung in analoger Anwendung der Art. 5 f. EO erfordere.5
Der Staatsgerichtshof, an den die Rechtssache weitergezogen wurde, erkannte
in der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs keinen Verfassungsverstoss.6
II.
Verwandtschaft von Treuhand und Gesamthand
Der Verfasser dieser Abhandlung lässt sich von der These leiten, dass zwischen Gesamthand und Treuhand, zwischen Gesamthänderschaft und Treuhänderschaft eine Verwandtschaft besteht, die schon inder Sprachähnlichkeit
angedeutet liegt.7 Gesamthänderschaft und Treuhänderschaft gehen stark auf
deutschrechtliche Wurzeln zurück.8 Treuhandbindung und Gesamthandbin3
4
5
6
7
8
OG 18.3.2010, 06 CG.2007.337 (unveröffentlicht).
OG 18.3.2010, 06 CG.2007.337 (unveröffentlicht).
OGH 1.10.2010, 06 CG.2007.337, www.gerichtsentscheidungen.li.
StGH 4.9.2012, StGH 2011/139 (unveröffentlicht).
Siehe Brehm /Berger, Sachenrecht2 (2006) 80 ff.
K rause, Der deutschrechtliche Anteil an der heutigen Privatrechtsordnung, Juristische Schulung 1970, 313 (318 f. für Gesamthand, 320 für Treuhand); ausführlich zu
den deutschrechtlichen Wurzeln der liechtensteinischen Treuhänderschaft Bösch,
151
Bernhard Lorenz
dung eines Vermögens wirken nach aussen.9 Dieser Aussenwirkung des Innenverhältnisses wegen liegt eine Zuordnung ins Sachenrecht nahe, und tatsächlich wurde die Gesamthänderschaft ursprünglich als Phänomen des Sachenrechts betrachtet, die sich ins Personen- und Gesellschaftsrecht fortentwickelte.10 In der Gesamthänderschaft ist die Verfügungsbefugnis jedes einzelnen
Gesamthänders über das zur gesamten Hand gehaltene Vermögen durch die
gleichwertige Verfügungsbefugnis der anderen Gesamthänder beschränkt.11
Und in der Treuhänderschaft ist die Verfügungsbefugnis des Treuhänders
durch die Vermögensrechte der anderen Beteiligten, der Begünstigten, beschränkt.12 Während die Gesamthänderschaft eine primär horizontale Dimension aufweist, indem die Rechte aller Gesamthänder grundsätzlich gleichwertig sind und gleichzeitig bestehen, zeichnet sich die Treuhänderschaft durch
eine vertikale Dimension aus. Die Vermögensrechte der Beteiligten bestehen
grundsätzlich weder gleichranging noch gleichzeitig und weisen eine Komplexität aus, die eine Selbstverwaltung der Berechtigten (Begünstigten) schon
strukturellausschliesst. Die Treuhänderschaft weist daher die mit dem Eigentum verbundenen Verfügungsrechte dem Treuhänder zu, der sie allerdings nur
zweckkonform und zugunsten der Begünstigten ausüben darf und ausüben
kann.13
9
10
11
12
13
Die liechtensteinische Treuhänderschaft zwischen trust und Treuhand (1995) 270 ff.,
291 ff.
Für die deutschrechtliche Treuhand siehe nur K rause (Fn 8) 320 (rSp); zur Gesamthand siehe ebenfalls nur K rause (Fn 8) 319 (lSp): «Nicht körperschaftlich verdichtet,
aber andererseits auch nicht nur, wie die römische societas, eine reine vertragliche
Innenbeziehung der Beteiligten (allenfalls mit Bruchteilseigentum) sind die Gemeinschaften zur gesamten Hand aus mittelalterlichen Vorbildern in das geltende Recht
übernommen.» Siehe zur Gesamthand auch Wiedemann, Gesellschaftsrecht I (1980)
242 ff., zur Treuhand siehe auch Kötz, Trust und Treuhand (1963) 125.
Schauer in Kalss/Nowotny/Schauer, Österreichisches Gesellschaftsrecht (2008)
Rz. 2/114 m.w.N.
Brehm /Berger (Fn 7) 80: «Bei der Verfügung über einen zum Gesamthandvermögen
gehörenden Gegenstand müssen alle Gesamthänder mitwirken, weil sie nur zusammen verfügungsbefugt sind.»
Dazu im Einzelnen unten D.I. Die dingliche Bedeutung der deutschrechtlichen Treuhand allgemein ausdrückend, K rause (Fn 8) 320: «Aus dem Kapitel vom Wiederaufleben im BGB nicht aufgenommener deutschrechtlicher Gedanken soll wenigstens noch
die Treuhand erwähnt werden, die «zum ältesten Bestande der germanisch bestimmten Rechte» gehört und elastischer als die römische Fiducia der Zweckbindung des
Eigentums dingliche Wirkung zu verleihen vermochte.»
Im Detail unten D.I.
152
Zur Rechtsfähigkeit der liechtensteinischen Treuhänderschaft
Die Nähe von Gesamthänderschaft und Treuhänderschaft sei anhand des folgenden Gedankens weiter illustriert. Die bekannteste Gesamthandgemeinschaft ist die kaufmännische Personengesellschaft, deren Gesellschafter persönlich und unbeschränkt haften: die Kollektivgesellschaft liechtensteinischen
und Schweizer Rechts, die Offene Gesellschaft österreichischen und die Offene Handelsgesellschafts deutschen Rechts.14 Schon die Kommanditgesellschaft reichert sich aber mit treuhandrechtlichen Elementen an und nähert
sichderTreuhänderschaft, indem beim Kommanditisten die vermögenswerte
Seite des Eigentums betont, die verfügungsrelevante aber reduziert ist und die
mit dem Eigentum grundsätzlich verbundenen Verwaltungs- und Verfügungsrechte primär beim Kommanditär/Komplementär liegen.15 In der Kautelarpraxis, insbesondere wenn man ausländische Rechtsordnungen miteinbezieht,
geht das bis zu jenem Extrem, bei dem der Kommanditär/Komplementär über
das Gesellschaftsvermögen allein verfügungsbefugt ist, der Kommanditist
indessen allein vermögensbegünstigt.16 Die Rechtstellung eines solchen Kommanditärs ist der Rechtstellung eines Treuhänders bereits sehr ähnlich und der
Schritt zur «reinen» Treuhänderschaft ein kleiner.
C.
Gang der Untersuchung
Der Verfasser beschäftigt sich zunächst mit der Aussenwirkung der Treuhänderschaft als solcher, bevor er zu ergründen sucht, welche Erklärungsmodelle
dafür herangezogen werden können. Diese Betrachtung führt zur Abgrenzung
von Rechtsinstituten wie der Fiduzia, die dafür keine Begründung zu liefern
vermögen. Letztlich geht es darum, die Aussenwirkungen der Treuhänderschaft dem Sachenrecht oder dem Personen- und Gesellschaftsrecht zuzuordnen, welch beide freilich, wie zu zeigen sein wird, ihrerseits in einem Zusammenhang stehen. Der Verfasser wird aufzeigen, dass das PGR hinreichende
14
15
16
Art. 639 ff. PGR; Art. 552 OR; §§ 105–160 UGB; §§ 105 ff. HGB.
Siehe Wiedemann, Gesellschaftsrecht II (2004) 761.
Delaware Code Title 6 § 17–401: «… Unless otherwise provided in a partnership
agreement, a person may be admitted to a limited partnership as a general partner of
the limited partnership without acquiring a partnership interest in the limited partnership …» Vgl. auch Wiedemann II (Fn 15) 776: «In die umgekehrte Richtung weisen
Gesellschaftsverträge, die die Kommanditisten als reine Anlagegesellschafter, also in
der Nähe von stillen Gesellschaftern mit geringen Mitgliedsbefugnissen ausstatten.
Das trifft vor allem, aber nicht nur für Publikumsgesellschaften zu.»
153
Bernhard Lorenz
Elemente zur Anerkennung der Rechts- und Parteifähigkeit der liechtensteinischen Treuhänderschaft enthält und der personen- und gesellschaftsrechtlichen
Ausdeutung gegenüber der sachenrechtlichen der Vorzug zu geben ist.
D.
Aussenwirkung der Treuhänderschaft
I.
Gesetzesbestimmungen
Die Aussenwirkung der treuhänderischen Vermögensbindung der Treuhänderschaft, die durch rechtsgeschäftliche Erklärung geschaffen wird, scheint dem
Verfasser das prägende Merkmal der Treuhänderschaft zu sein. Den zivilistisch geschulten Juristen fasziniert dieses Phänomen am meisten, wenn er mit
der liechtensteinischen Treuhänderschaft in Berührung gerät, durchbricht es
doch den auf römisches Recht zurückgehenden Grundsatz der scharfen Trennung von Innen- und Aussenverhältnis,17 der reinen Binnenwirkung rechtsgeschäftlicher Rechte und Pflichten. Die Aussenwirkung der Treuhänderschaft
ist bereits in der Definition der Treuhänderschaft, die Art. 897 PGR aufstellt,
angelegt:
Treuhänder (Trustee oder Salmann) im Sinne dieses Gesetzes ist diejenige
Einzelperson, Firma oder Verbandsperson, welcher ein Anderer (der Treugeber) bewegliches oder unbewegliches Vermögen oder ein Recht (als Treugut),
welcher Art auch immer, mit der Verpflichtung zuwendet dieses Treugut im
eigenen Namen als selbständiger Rechtsträger zugunsten eines oder mehrerer
Dritter (Begünstigter) mit Wirkung gegen jedermann zu verwalten oder zu
verwenden.18
Die Bestimmung bezeichnet den Treuhänder zwar als selbstständigen Rechtsträger, schränkt aber zugleich ein, dass diese Rechtsträgerschaft «zugunsten
eines oder mehrerer Dritter (Begünstigter)» besteht. Die Bestimmung spricht
weiter von der «Wirkung gegen jedermann». Damit ist nicht nur die Rechtsträgerschaft des Treuhänders gemeint, sondern vor allem die Hinwendung der
Treuhänderschaft zugunsten eines oder mehrerer Begünstigter, die mit einer
Beschränkung der Verfügungsmacht des Treuhänders einhergeht. Dem entspricht die Begründung der Pflicht des Treuhänders, das Vermögen zugunsten
der Begünstigten zu «verwalten» und zu «verwenden». Mit einer schlichten
17
18
Siehe Kötz (Fn 9) 128.
Hervorhebungen durch Verfasser.
154
Zur Rechtsfähigkeit der liechtensteinischen Treuhänderschaft
Eigentümerschaft wäre eine Verwaltungs- und Verwendungspflicht nicht verbunden. Der Rechtsverkehr, soviel deutet die Definitionsbestimmung bereits
an, muss daher die Rechte von Begünstigten auf das Treuhandvermögen gegen
sich gelten lassen.
Die konkrete Kernbestimmung, die der Aussenwirkung Biss verleiht, ist das
im liechtensteinischen Sprachgebrauch meist sogenannte Spurfolgerecht. Von
ihm war bereits kuRz. die Rede. Festgelegt ist es, für die einfache Treuhänderschaft, in Art. 912 Abs. 3 PGR und, für Treuunternehmen, in § 30 Abs. 1
TrUG:
Art. 912 Abs. 3 PGR: Haben Dritte zum Treugute gehörende Sachen oder
Rechte in Kenntnis ihrer Treuhandeigenschaft vom Treuhänder, ohne dass
dieser verfügungsberechtigt war, erworben, so kann der Treugeber, ein Mittreuhänder oder ein Begünstigter oder endlich ein vom Landgericht bestellter
Treuhänder, sei es einzeln oder als Streitgenossen mit anderen den Herausgabe- oder den Bereicherungsanspruch zugunsten des Treuhandvermögens
geltend machen.
§ 30 Abs. 1 TrUG: Hat ein Treuhänder … entgegen Treuanordnung oder
Gesetz Treugut unrechtmässig veräussert, so hat jeder andere Treuhänder
oder Begünstigungs- oder Anwartschaftsberechtigte das Recht zur Spurfolge
nach dem Treugute, und er kann dasselbe nach Mitteilung an die geschäftsführenden Treuhänder namens und zugunsten des Treuunternehmens nach
den Besitzregeln herausverlange, sofern das Treugut nicht von einem Dritten,
der keine Kenntnis von der Treuhandeigenschaft zur Zeit des Erwerbes hatte,
gegen angemessenes Entgelt erworben worden ist.
Die Bestimmungen weisen kleine Unterschiede auf, die für Zwecke dieser
Abhandlung nicht bedeutsam sind. Beide gewähren jedem einzelnen Begünstigten der Treuhänderschaft die Befugnis Klagen gegen Dritte zu erheben, die
durch Treubruch des Treuhänders in den Besitz von Treuhandvermögen gelangt sind. Die Klage ist «zugunsten des Treuhandvermögens» (Art. 912
Abs. 3 PGR) bei der Treuhänderschaft und «namens und zugunsten des Treuunternehmens» (§ 30 Abs. 1 TrUG) beim Treuunternehmen zu erheben. Das
Begehren ist auf Herausgabe oder Bereicherung gerichtet. Das bedeutet, dass
kein obligatorischer, sondern zumindest primär ein dinglicher Anspruch geltend gemacht wird.19 Ist die treuwidrig entäusserte Sache noch vorhanden,
kann Herausgabe begehrtwerden, wurde sie verbraucht oder in andere Vermö-
19
Bösch (Fn 8) 116.
155
Bernhard Lorenz
genswerte gewandelt, besteht der Bereicherungsanspruch – der freilich seinerseits eine Fortwirkung sachenrechtlicher Zuordnung darstellt.20
Art. 912 Abs. 3 PGR bzw§ 30 Abs. 1 TrUG beschränken die Verfügungsbefugnis des Treuhänders gegenüber jedermann. Nicht nur knüpft Art. 912
Abs. 3 PGR an die Verfügung des Treuhänders, «ohne dass dieser verfügungsberechtigt21 war», sondern der Anspruch lautet ausdrücklich auf Herausgabe bzw. Bereicherung und nicht Schadenersatz. Durchausbedeutender ist
diese Dimension der beiden Bestimmungen als die Verleihung der Klagebefugnis an Begünstigte, Treugeber und Mittreuhänder, auf die sich die Diskussion meist konzentriert, wenn die Betrachtung auf Art. 912 Abs. 3 PGR (oder
§ 30 Abs. 1 TrUG) fällt. Unter den gesetzlichen Voraussetzungen entzieht
Art. 912 Abs. 3 PGR der treuwidrigen Verfügung des Treuhänders die sachenrechtliche Verfügungswirkung.
Die Frage, die sich bei der Lektüre der Bestimmungen aufdrängt, ist die nach
der materiellen Rechtsträgerschaft des geltend gemachten Anspruchs. Wessen
Recht wird geltend gemacht, das des Treuhänders oder das der Treuhänderschaft? Begünstigte, Treugeber oder Mittreuhänder klagen nach Massgabe von
Art. 912 Abs. 3 PGR nicht aus eigenem Recht. Ausdrücklich ist ihre Befugnis
eine schlichte Klagsbefugnis «zugunsten des Treuhandvermögens» bzw. «zugunsten des Treuunternehmens». Der handelnde Treuhänder selbst ist in der
Aufzählung der zur Klagsführung Befugten nicht erwähnt. Schon dies legt
nahe, dass das materielle Recht nicht dem Treuhänder, sondern der Treuhänderschaft zugeordnet ist. Die Frage nach der Rechtsfähigkeit der Treuhänderschaft ist damit einmal mehr aufgeworfen.
II.
Vertragliche Erklärungsversuche
Vertragliche Erklärungsversuche zur Fassung des Phänomens der liechtensteinischen Treuhänderschaft können die Aussenwirkung nicht erklären. Die
20
21
Bösch (Fn 8) 120 f. Zur Funktion des bereicherungsrechtlichen Verwendungsanspruchs, den sachenrechtlichen Zuweisungsgehalt eines Rechts zu schützen siehe nur
Stanzl in Klang/Gschnitzer, Kommentar zum Allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuch
IV/12 (1968) 1041. AA Biedermann, Die Treuhänderschaft des liechtensteinischen
Rechts, dargestellt an ihrem Vorbild, dem Trust des Common Law (1981) 411 ff., der
die Haftung des schlechtgläubigen Dritten schadenersatzrechtlich ausdeutet.
Anmerkung des Verfassers dieser Abhandlung.
156
Zur Rechtsfähigkeit der liechtensteinischen Treuhänderschaft
Treuhänderschaft entsteht zwar, in aller Regel, durch Vertrag (Art. 899 Abs. 1
PGR), ihre Wirkungen erschöpfen sich aber nicht in der Begründung relativer
Rechte und Pflichten zwischen den Parteien. Vertragliche Rechte und Pflichten
wirken nur zwischen den Parteien, nicht gegenüber Dritten.22 Die zwischen
Treugeber und Treuhänder vertraglich geschaffene Treuhänderschaft begründet ein Rechtsverhältnis freilich zwischen dem Treuhänder und den Begünstigten – eine typologische Ähnlichkeit mit dem Vertrag zugunsten Dritter ist
nicht zu bestreiten –,23 und verleiht dem Widmungszweck der Treuhänderschaft darüber hinausWirkungen nach aussen und spätestens ab diesem Zeitpunkt ist das Schuld- und Vertragsrecht verlassen.
III.
Abgrenzung zur Fiduzia
Auch von der römisch-rechtlichen Fiduzia unterscheidet sich die liechtensteinische Treuhänderschaft, denn Erstere beschränkt die Treuhandbindungen, die
bei der Verwaltungstreuhandschaft zwischen Fiduziant und Fiduziar bestehen,
auf deren Innenverhältnis.24 Gegenüber Dritten beschränkt die Treuhandbindung die Verfügungsmacht des Fiduziars nicht.25 Treuwidrige Verfügungen
lösen Schadenersatzansprüche des Fiduzianten aus, die sich, von Ausnahmen
abgesehen, nur gegen den Fiduziar, nicht den Dritten richten.26
22
23
24
25
26
Siehe nur Welser in Koziol/Welser, Grundriss des bürgerlichen Rechts II13 (2007) 1
m.w.N.
Angedeutet bei Bösch (Fn 8) 334. Zur Abgrenzung im Einzelnen Scott/Fratcher/
Ascher, Scott and Ascher on Trusts I5 (2006) 118 ff. Siehe auch Kötz (Fn 9) 128 f.
Schurr, Der liechtensteinische Trust als alternatives Gestaltungsinstrument zur Stiftung, in Schurr, Das neue liechtensteinische Stiftungsrecht – Anwendung, Auslegung
und Alternativen (2012) 133 (137).
Bösch (Fn 8) 258 ff. (259): «Kennzeichen der fiduziarischen Treuhand ist die überschießende Rechtsmacht des Treuhänders im Außenverhältnis, die oft mit der auf
v. Thur zurückgehenden Merkformel «Der Treuhänder kann mehr als er darf» umschrieben wird.» Kötz (Fn 9) 125.
Siehe nur Kötz (Fn 9) 139 f. (allerdings unter Herausarbeitung von Tatbeständen, unter
denen ein Dritter, der im Wissen um die Vertragsverletzung des Fiduziars bösgläubig
erwirbt, ebenfalls schadenersatzpflichtig werden kann).
157
Bernhard Lorenz
IV.
Sachenrechtliche Erklärungsversuche
Ein sachenrechtlicher Erklärungsversuch ist nicht von vornherein auszuschliessen. Denn die Aussenwirkung von Rechten hat dort ihren Ursprung.
Und im Zusammenhang mit der liechtensteinischen Treuhänderschaft ist immer wieder von der dinglichen Wirkung des Zweckes der Treuhänderschaft
die Rede.27 Das Gesetz selbst bezeichnet den Treuhänder an einer Stelle als
Träger eines «dinglich[en] Verwaltungsrecht[es]» (Art. 910 Abs. 3 PGR).
Durchaus kann man sich die Treuhandbindung des Vermögens als dingliche
Belastung vorstellen, die auf den Vermögensstücken haften bleibt, solange
darüber nicht mit befreiender Wirkung verfügt wurde.
Für den Trust des Common Law – der dem liechtensteinischen Gesetzgeber
des Jahres 1926 primär, aber nicht nur als Vorbild diente28 – könnte man eine
solche sachenrechtliche Ausdeutung vertreten.29 Sie krankt dort allerdings
daran, dass das Common Law – unter Berücksichtigung der Equity mit ihrer
Billigkeitsrechtsprechung dieser Art der Systematisierung nicht wirklich zugänglich ist.30
27
28
29
30
Statt anderer Schurr (Fn 24) 137: «Insoweit weist der Trust liechtensteinischer Prägung vorwiegend sachenrechtliche Züge auf, die nur am Rande mit schuldrechtlichen
Elementen vermischt sind.»
Siehe Biedermann (Fn 20) 1 ff. unter Betonung der Vorbildwirkung des Common
Law Trust; Bösch (Fn 8) 291 ff. unter Herausarbeitung der Vorbildwirkung der
deutschrechtlichen Treuhandlehre. Soweit es um die Aussenwirkung des Treuhandverhältnisses geht, ist der Unterschied zwischen Trust und deutschrechtlicher Treuhand nicht überzubetonen, weil auch letztere der Treuhandabrede Aussenwirkung
zuerkennt, dazu zusammenfassend Bösch (Fn 8) 345 ff.; siehe auch Kötz (Fn 9) 125:
«Während nämlich der fiduziarische Treuhänder …, wird dem Treuhänder bei der
deutschrechtlichen Treuhand von vornherein gerade nur diejenige Verfügungsbefugnis eingeräumt, die er nach Maßgabe des Innenverhältnisses zur ordnungsgemässen
Treugutverwaltung braucht». Gewichtige Stimmen meinen überdies, dass der Trust
des Common Law seinerseits deutschrechtliche Wurzeln hat, siehe Scott on Trusts
(Fn 23) 26 m.w.N.: «Others, including Justice Holmes, argued that the trust had a Germanicorigin, in the Salmann or Treuhand.»
Siehe Scott on Trusts (Fn 23), Trust als Form geteilten Eigentums: «[The courts of equity] gave the trust beneficiary an interest in the trust property … The result is something unique: a form of double ownership. The trustee holds legal title, but the beneficiary has equitable ownership.»
VglKötz (Fn 9) 36; Biedermann (Fn 20) 20 ff. Grundsätzlich Pejovic, Civil Law and
Common Law: Two Different Paths Leading to the Same Goal, (2001) 32 VUWLR
817, ww.victoria.ac.nz, abgefragt 13.12.2012.
158
Zur Rechtsfähigkeit der liechtensteinischen Treuhänderschaft
In Liechtenstein scheitert die sachenrechtliche Einordnung am Typenzwang
des Sachenrechts.31 Wollte man die eingeschränkten Verfügungsbefugnisse
des Treuhänders sachenrechtlich deuten, so müsste diese Beschränkung auf
einem konkurrierenden Sachenrecht der Begünstigten beruhen. Sachenrechtlich fassen lassen sich die Rechte von Begünstigten am Treuhandvermögen
aber nicht, weil keines der zur Verfügung stehenden Sachenrechte darauf
passt. Die Begünstigtenrechte bei einer Treuhänderschaft sind fast grenzenlos
vielgestaltig, nach freiem vertraglichen Ermessen, sie sind manchmal mit
konkreten Vermögensrechten überhaupt nicht verbunden, etwa wenn der Trust
eine reine Ermessenstreuhänderschaft ist (§ 78 Abs. 2 TrUG). Nur in einem
eng begrenzten Bereich könnte man die sachenrechtliche Zuordnung noch
machen, zum Beispiel bei strikt wirkenden Ertragsbegünstigungen; dortläge
eine Parallele zum sachenrechtlichen Recht der Nutzniessung vor– darüber
hinaus scheitert die sachenrechtliche Ausdeutung an der Starrheit des liechtensteinischen Sachenrechts.
Nein, die Rechte der Begünstigten, die aus der Treuhänderschaft entstehen,
sind keine Sachenrechte, sie lassen sich viel eher personen- und gesellschaftsrechtlich ausdeuten. Die personen- und gesellschaftsrechtliche Systematik
liegt der liechtensteinischen Treuhänderschaft in der Tat zugrunde. Wenn der
Gesetzgeber die Treuhänderschaft ins Personen- und Gesellschaftsrecht statt
in das Sachenrecht integriert dann ist das keiner Ungeschicklichkeit des liechtensteinischen Gesetzgebers zu verdanken, wie kürzlich an anderer Stelle
behauptet,32 sondern einer tiefen rechtshistorischen und –dogmatischen Einsicht des historischen Gesetzgebers. Beim bereits besprochenen Art. 912
Abs. 3 PGR zeigt sich die personenrechtliche Prägung doppelt, sowohl hinsichtlich der Beschränkung der Verfügungsmacht des Treuhänders auf den
Widmungszweck33 als auch hinsichtlich der Klagebefugnis der Beteiligten bei
treuwidrigem Verhalten des Treuhänders. Entsprechende Klagebefugnisse von
an einem komplexen Vermögensarrangement Beteiligten kennt das Personenund Gesellschaftsrecht nämlich auch sonst. Gerade aus dem Recht der Gesamt-
31
32
33
Zum numerus clausus der dinglichen Rechte im Schweizer Sachenrecht, dem das
liechtensteinische Recht nachgebildet ist, siehe nur Wiegand in Honsell/Vogt/Gaiser,
Basler Kommentar Zivilgesetzbuch II3 (2007) Vor Art. 641 ff. Rz. 61 ff.
Schurr, Spurfolgerecht neu interpretiert oder Ende des liechtensteinischen Trusts?
LJZ 2011, 170 (172 rSp).
Oben D.I. Zur Bedeutung des Widmungszweckes bei den personenrechtlichen Gemeinschaften, unten E.
159
Bernhard Lorenz
händerschaften, deren Entstehung ursprünglich mit dem Sachenrecht in Verbindung steht, wurde die prozessstandschaftliche Klage der actio pro socio
entwickelt.34 Mit ihr macht ein Gesamthänder den Anspruch der Gesamthänderschaft geltend, wenn die an sich dafür Zuständigen pflichtwidrig untätig
bleiben.35 Die actio pro socio des Personengesellschaftsrechts ist subsidiär,36
das heisst die Klagebefugnis kann nur ausgeübt werden, wenn die im Rahmen
der vorhandenen Organisation Zuständigen nicht handeln können oder wollen,
und sie wird auf Ansprüche aus dem Gesamthandverhältnis, sogenannte Sozialansprüche, beschränkt.37 Doch erklärt sich diese zweite Einschränkung aus
dem Grundsatz der Subsidiarität:38 Über die Organisation bestimmt in der
34
35
36
37
38
Dass es sich bei der actio pro socio um eine Prozessstandschaft handelt, die den Prozessstandschafter zur Geltendmachung eines materiell-rechtlich fremden Anspruchs
im eigenen Namen zugunsten des materiell Berechtigten befähigt, ist heute herrschende Meinung: Statt vieler Ulmer in Rebmann/Säcker/Rixecker, Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch V/34 (2004) § 705 Rz. 208 m.w.N.: «Der Lehre von
der actio pro socio als Verfolgung eines eigenen Rechts ist nicht zu folgen. … Bei
der actio pro socio handelt es sich vielmehr um einen Fall der Prozessstandschaft.»
– Schwab, Das Prozeßrecht gesellschaftsinterner Streitigkeiten (2005) 118 m.w.N.:
«Der Gesellschafter, der einen Sozialanspruch mit Hilfe der actio pro socio verfolgt,
klagt alsProzeßstandschafter aus dem Recht der Gesellschaft. Dieser Sicht scheint sich
neuerdings auch die höchstrichterliche Rechtsprechung anzuschließen»; Wiedemann
(Fn 15) 282: «Überwiegend wird heute für die organisierte Personengesellschaft die
Auffassung vertreten, es handele sich um eine mitgliedschaftliche Prozeßführungsbefugnis, mit der ein fremdes Recht im eigenen Namen geltend gemacht werden kann.»
– Schmidt in Schmidt, Münchener Kommentar zum Handelsgesetzbuch II 2 § 105
Rz. 202: «Prozessrechtlich liegt eine Prozessstandschaft vor (…), also eine Befugnis
des Gesellschafters, im eigenen Namen ein der Gesellschaft zustehendes materielles
Recht einzuklagen.» – Oberhammer, Die OHG im Zivilprozeß (1998) 366: «Als herrschend ist dem gegenüber wohl anzusehen, daß die materiell-rechtliche Sachlegitimation subspecie «Sozialanspruch» allein bei der Gesellschaft liegt, die Klagebefugnis des Gesellschafters mithin nur einen Übergang der Prozeßführungsbefugnis der
Gesellschaft auf diesem bedeutet; nach dieser Auffassung handelt es sich mithin bei
der Befugnis zur Erhebung der actio um einen Fall gesetzlicher Prozeßstandschaft.»
Ebenso Fellmann/Müller in Hausheer/Walter, Berner Kommentar, Das Obligationenrecht VI/2 8. Teilband Art. 530 Rz. 639.
Schmidt, Gesellschaftsrecht4 (2002) 636 ff. (bei organisierter Personengesellschaft
handelt es sich um eine Hilfszuständigkeit).
Schauer (Fn 10) Rz. 2/357 m.w.N.
Statt anderer siehe nur Schauer (Fn 10) Rz. 2/356.
Schmidt (Fn 35): «Allerdings bezieht sich die actio pro socio bei Gesellschaften mit
einer geregelten Außenorganisation nur auf Ansprüche aus dem Gesellschaftsverhältnis». Im liechtensteinischen Treuunternehmensrecht besteht die der actio pro socio
entsprechende Begünstigtenklage auf sämtliche Ansprüche des Treuunternehmens,
160
Zur Rechtsfähigkeit der liechtensteinischen Treuhänderschaft
Regel der Mehrheitsgesellschafter und während dieser Einfluss die Einbringung von Drittansprüchen typischerweise nicht tangiert, kann er jene von
Sozialansprüchengefährden, weil Interessenkonflikte vorhanden sind, die
mitunter dazu führen, dass Sozialansprüche, insbesonderesolche gegen den
Mehrheitsgesellschafter «brach liegen» bleiben.39 Von einem Organisationsversagen geht das Recht primär innerhalb des Gesellschaftsverhältnisses, nicht
gegenüber Dritten aus. Trotzdem handelt es sich um Ansprüche der Gesamthänderschaft, die jeder einzelne Gesamthänder im Rahmen der actio pro socio
zugunsten der Gesellschaft geltend machen kann. Die Parallele zum Spurfolgeanspruch des Art. 912 Abs. 3 PGR und § 30 Abs. 1 TrUG ist frappierend.
Vom Grundsatz der Subsidiarität ist nur formell, nicht materiell dispensiert,
denn das Gesetz nimmt a priori an,dass der zur Geltendmachung des Anspruchs an sich zuständige Treuhänder nicht tätig werden will oder kann, wenn
es um die Rückgängigmachung einer von ihm vorgenommenen treuwidrigen
Verfügung geht. Deshalb verzichtet das Gesetz auf die der Klagsführung vorangehende – im Rahmen der actio pro socio an sich nötige40 – Aufforderung
an den Treuhänder zum Tätigwerden.41 Bei § 30 Abs. 1 TrUG ist das Prinzip
der Subsidiarität noch stärker sichtbar, weil der zur Klage Bereite und Befugte das Treuunternehmen immerhin noch vorab zu benachrichtigen hat. Dass
der Anspruch des Art. 912 Abs. 3 PGR sich nicht notwendig gegen einen Beteiligten richten muss, sondern einen Dritten, stört den Vergleich zur actio pro
socio nicht.42 Denn typischerweise geht es bei Art. 912 Abs. 3 PGR oder § 30
Abs. 1 TrUG um die Rückgängigmachung von unentgeltlichen Vermögensverfügungen, die eigentlich nur zugunsten des Treuhänders selbst oder ihm nahe-
39
40
41
42
als Notzuständigkeit bei Untätigkeit des Treuhänders, gegenüber Beteiligten oder
Dritten (§ 99 Abs. 2 TrUG).
vergleiche Lutter, Theorie der Mitgliedschaft – Prolegomena zu einem Allgemeinen
Teil des Korporationsrechts –, AcP 1980, 132; Fellmann/Müller (Fn 34) Art. 530
Rz. 642 (actio pro socio ist ein Minderheitsrecht).
Statt vieler siehe nur Wiedemann II (Fn 15) 284.
Die ähnliche Begünstigtenklage des TrUG gegenüber Beteiligten oder Dritten zugunsten des Treuunternehmens (siehe oben Fn 38) verlangt eine vorige Aufforderung
gegenüber dem Treuhänder unter Fristsetzung (§ 99 Abs. 2 TrUG).
Die actio pro socio ist ihrerseits als Gesellschafterklage zur Geltendmachung von
Ansprüchen der Gesellschaften gegenüber Dritten als Gesellschafterklage vorstellbar
und bei Gesellschaften ohne selbständige Vertretungsorganisation auch zulässig, siehe nur Schmidt (Fn 35) 634 m.w.N.; siehe auch Fikentscher /Heinemann, Schuldrecht10
(2006) 382 f. (die externe Gesellschafterklage ist bei der BGB-Gesellschaft zulässig,
«wenn die anderen Gesellschafter die Einziehung aus gesellschaftswidrigen Gründen
verweigern und der Schuldner an diesem Verhalten beteiligt ist».).
161
Bernhard Lorenz
stehender Personen oder einen am Trust Beteiligten denkbar sind, mit dem der
treuwidrig handelnde Treuhänder kolludiert. In der Regel werden also nicht
Verkehrsgeschäfte angegriffen, sondern Verfügungen zugunsten von Personen, die ein Naheverhältnis zum Treuhänder haben.
V.
Personenrechtliche Einordnung
a.
Einleitendes
Die Aussenwirkung der Treuhänderschaft sucht der Verfasser demnach in
Übereinstimmung mit der Systematik des Gesetzes im Personen- und Gesellschaftsrecht. Es geht um die Frage, ob die Treuhänderschaft kraft der Aussenwirkungen ihres Zweckes mit einer personenrechtlichen Identität ausgestattet
ist. Der Verfasser geht im Folgenden Hinweisen des Gesetzes nach, aus denen
sich in der Gesamtschau die Rechtsfähigkeit der Treuhänderschaft ableiten
lässt. Die Abgrenzung zur juristischen Person wird am Schluss gezogen.
b.
Konkursfähigkeit
Ein entscheidendes Argument für die hier vertretene Ansicht ist der Umstand,
dass die Treuhänderschaft liechtensteinischen Rechts konkursfähig ist. Geregelt ist dies in Art. 916 Abs. 1 PGR:
Über das Treuhandvermögen kann nach den Vorschriften der Konkursordnung ein besonderer Konkurs durchgeführt werden, in welchem Falle die
Gläubiger des Treugutes ihre Forderung für den Ausfall beim Treuhänder
geltend machen können, soweit sich nicht gemäss den vorausgehenden Absätzen ein Ausschluss dieser Geltendmachung ergibt.
Die Konkursfähigkeit des Treuhandvermögens unterscheidet die liechtensteinische Treuhänderschaft vom Trust des Common Law. Dem Treuhandvermögen wird dort eine Insolvenzfähigkeit nicht zugestanden.43 Soweit Konkurs43
Zumindest finden sich dazu keine Hinweise in der verfügbaren liechtensteinischen
und englischen Standardliteratur. Selbst Biedermann (Fn 20), der den Einfluss der
deutschrechtlichen Treuhand auf die liechtensteinische Treuhänderschaft weitgehend
ignoriert und Unterschiede zum englischen Common Law tendenziell eher klein- oder
wegredet – oder der Ignoranz des Gesetzgebers zuschreibt –, findet zur Insolvenzfähigkeit der liechtensteinischen Treuhänderschaft kein Pendant im englischen Recht,
siehe Seite 372 ff. zum Common Law und Seite 379 ff. zur liechtensteinischen Treuhänderschaft. Auf den Unterschied verweisend, dass im liechtensteinischen Treuhän-
162
Zur Rechtsfähigkeit der liechtensteinischen Treuhänderschaft
fragen behandelt werden, geht es immer um die Frage der Aussonderung des
Treuhandvermögens im Konkurs des Treuhänders. Insolvenzfähig ist der
Trustee, und weil dieser Eigentümer nicht nur seines Privat-, sondern auch des
Treuhandvermögens ist, besteht naturgemäss die Gefahr der konkursmässigen
Verwertung auch des Treuhandvermögens.44 Gegenüber dieser zweckwidrigen
Wirkung sind die Begünstigten eines Common Law Trust durch Regeln geschützt, die dem Art. 915 PGR weitgehend entsprechen.45 Gläubiger des Trustee dürfen demnach auf Treuhandvermögen im Exekutions- oder Konkursverfahren nicht zugreifen, und nur insoweit doch, als der Trustee Anspruch auf
Überführung von Treuhandvermögen in Privatvermögen besitzt, also im Rahmen seiner Ansprüche auf Entlohnung und Freistellung (siehe Art. 915 Abs. 1
PGR).46
Warum es keine Regeln für ein eigenes Konkursverfahren über das Treuhandvermögen zum Schutz der Gläubiger im Common Law gibt, erklärt sich
schlicht daraus, dass der Trustee Schuldner aller für das Treuhandvermögen
eingegangener Verbindlichkeiten ist, und er auch mit seinem Privatvermögen
für all diese Schulden haftet.47 Für die Begründung einer Insolvenzfähigkeit
des Treuhandvermögens besteht daher kein Bedarf.
Die Frage der Konkursfähigkeit hängt mit der Schuldfähigkeit, und damit der
Rechtsfähigkeit eng zusammen. Konkursfähig sind nämlich grundsätzlich nur
44
45
46
47
derschaftsrecht die Haftung mit dem Treugut – anders als im englischen Trustrecht
– die primäre sei, gebe esin Liechtenstein folgerichtig einen besonderen Konkurs über
das Treugut (Seite 382 mit Hinweis auf Seite 371).
Siehe Lewin on Trusts (Fn 2)Rz. 22–01 ff.
Im Detail siehe Lewin on Trusts (Fn 2) Rz. 22–01 ff.
Der Insolvency Act 1986, sec 283 (3) (a), bestimmt, dass Treuhandvermögen zur Befriedigung der (generellen) Gläubiger des Treuhänders nicht zur Verfügung steht. Lewin on Trusts (Fn 2) Rz. 22–24: Soweit der insolvente Treuhänder eigenes Vermögen
verwendete, um Verbindlichkeiten zu tilgen, die er für den Trust einging, können die
generellen Gläubiger des insolventen Treuhänders auf den korrespondierenden Freistellungsanspruch greifen. Soweit indessen solche Verbindlichkeiten noch unberichtigt aushaften, können auf den Freistellungsanspruch die persönlichen Gläubiger nicht
greifen.
Siehe Underhill And.hayton (Fn 2) Rz. 815: «The right to an indemnity is normally
of crucial importance to a trustee. Since a trust is not a legal entity that can enter into
contracts, sue or be sued, it is the trustees who are personally liable to the third parties
unless as a matter of contract law the trustees can persuade a third party to agree that
the trustees› liability should be limited or excluded, or that the trustees should only
pay the debt out of the trust property under the statutory right of indemnity in s 31(1) of
the Trustee Act 2000.»
163
Bernhard Lorenz
natürliche und juristische Personen sowie Gesellschaften, Vermögensmassen
und sonstigen Gebilden, die zwar nicht notwendig Rechtspersönlichkeit besitzen, aber rechts- und verpflichtungsfähig sind.48 Die Anordnung der Konkursfähigkeit ist damit zumindest indiziell für die Rechtsfähigkeit des betreffenden
Gemeinschuldners.
c.
Schuldfähigkeit
Dass das PGR die Konkursfähigkeit der Treuhänderschaft anordnet, steht in
engem Bezug mit den Bestimmungen zu Schuld und Haftung für die dem
Treuhand zugeordneten Verbindlichkeiten. Die massgebliche Bestimmung
hierfür ist Art. 916 Abs. 1 PGR:
Der Treuhänder haftet für die von ihm zulasten des Treugutes eingegangenen
Schulden des Treugutes, soweit sie durch das Treugut nicht gedeckt sind,49
persönlich unbeschränkt und mit allfälligen Mittreuhändern solidarisch, jedoch, wenn die Treuhandurkunde es nicht anders bestimmt, unter Vorbehalt
des Rückgriffsrechts gegen den Treugeber und, sofern die Voraussetzungen
für eine Anfechtung oder eine ungerechtfertigte Bereicherung gegeben sind,
gegen den Begünstigten. Eine Haftung des Treuhänders und ein Rückgriffsrecht besteht jedoch nur soweit,50 als dem Dritten nicht nachgewiesen wird,
dass er sich nicht auf eine weitergehende Haftung verlassen hat.
An der Bestimmung fallen verschiedene Umstände auf. Erstens ist bemerkenswert, dass sprachlich Schuld und Haftung unterschieden wird. Gesprochen
wird von den «Schulden des Treugutes», für die «[d]er Treuhänder haftet». Die
Schuld ordnet die Bestimmung dem Treugut zu, dem Treuhänder nur die Haftung. Schuld und Haftung gehören zwar grundsätzlich zusammen,51 sind
Schuld ohne Haftung oder Haftung ohne Schuld im Prinzip doch undenkbar.52
Um die im Schrifttum unter dieser Überschrift diskutierten Abweichungen,
unvollkommene Verbindlichkeiten etwa oder Obliegenheiten, geht es hier
48
49
50
51
52
Buchegger in Buchegger/Pollak, Österreichisches Insolvenzrecht I4 (2000) Rz. 4 ff.;
siehe auch Art. 39 Abs. 1 SchKG und § 11 dInsO.
Hervorhebung durch Verfasser.
Hervorhebungen durch Verfasser.
Grundsätzlich Koziol/Welser (Fn 22) 10 ff. (m.w.N.).
Gschnitzer in Klang/Gschnitzer, Kommentar zum Allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuch IV/12 (1968) 30: «So wie eine Haftung ohne Schuld (Sanktion ohne Sanktioniertes) undenkbar ist, so ist auch eine Schuld ohne Haftung ein rechtliches Nichts.»
164
Zur Rechtsfähigkeit der liechtensteinischen Treuhänderschaft
nicht.53 Aber die Sprache indiziert, dass bei der Haftung des Treuhänders die
Haftung für eine «fremde», von seiner eigenen Rechtsphäre unabhängig bestehende Schuld gemeint ist. Die sprachliche Trennung von Schuld und Haftung
sowie die Verortung der Schuld beim Treugut, der Haftung beim Treuhänder
erinnert an die gesamthänderische Kollektivgesellschaft und ihren Art. 704
Abs. 1 PGR (bzw. ähnliche Bestimmungen in benachbarten Rechtsordnungen
zur Offenen Handelsgesellschaft oder Offenen Gesellschaft):
Die Gesellschafter haften für alle Verbindlichkeiten der Gesellschaft solidarisch mit ihrem ganzen Vermögen …
Für die Gesellschafterhaftung bei der Kollektivgesellschaft gilt der Grundsatz
der Akzessiorietät und dieser setzt eine eigenständige Schuld der Gesellschaft
voraus.54 An dieser Stelle wäre zwar immerhin noch denkbar, dass der Treuhänder nach der gesetzlichen Konzeption trotz dieser Sprachverwendung als
alleiniger Schuldner der für das Treuhandvermögen begründeten Verbindlichkeiten gilt. Die weiteren Regelungen dieser Bestimmung schliessen eine solche
Schlussfolgerung freilich aus.
Zweitens ist nämlich zu sehen, dass die Haftung des Treuhänders nur eine
subsidiäre ist. Er haftet nur, «soweit [diese Schulden] durch das Treugut nicht
gedeckt sind». Daher muss der Gläubiger die Verbindlichkeit primär gegenüber dem Treugut geltend machen, und erst, wenn dies erfolglos bleibt, kann
er gegen den Treuhänder vorgehen.55 Die Geltendmachung darf sich nicht auf
aussergerichtliche Eintreibungen beschränken, sondern muss bis zur exekutiven oder konkurslichen Betreibung gehen.56 Der Zusammenhang mit Art. 916
Abs. 4 PGR belegt dies klar. Erst wenn über das Treuhandvermögen ein Konkurs durchgeführt worden ist, können «die Gläubiger des Treugutes ihre Forderung für den Ausfall beim Treuhänder geltend machen».
Es ist die Subsidiarität der persönlichen Haftung des Treuhänders, die die
Anordnung der Konkursfähigkeit des Treuhandvermögens notwendig macht.
53
54
55
56
Statt vieler Westermann in Erman, Bürgerliches Gesetzbuch I11 (2004) Einl § 241
Rz. 22 ff.; Gschnitzer (Fn 52) 29 ff.
Statt vieler Pestalozzi /Hettich in Honsell/Vogt/Watter, Basler Kommentar Obligationenrecht II4 (2012) Art. 568 Rz. 2 m.w.N.; Schmidt (Fn 34) § 128 Rz. 16 ff. m.w.N.;
Wiedemann (Fn 9) 283 f.
Vgl. die subsidiäre Haftung des Kollektivgesellschafters bei der Kollektivgesellschaft
schweizerischen und liechtensteinischen Rechts, Art. 568 Abs. 3 OR, Art. 704 Abs. 3
PGR; dazu Vogt, Haftungsverhältnisse in der Kollektivgesellschaft GesKR 2009, 96.
Die bedingt übrigens auch die Parteifähigkeit der Treuhänderschaft, dazu unten D.V.d.
165
Bernhard Lorenz
Das Common Law des Trust kennt eine Subsidiarität der treuhänderischen
Schuld.h.aftung nicht57 und folgerichtig auch keine Insolvenzfähigkeit des
Treugutes.
Drittens geht die Bestimmung noch einen Schritt weiter. Selbst die subsidiäre
Haftung des Treuhänders kann ausgeschlossen werden. Nach Massgabe des
letzten Satzes von Art. 916 Abs. 3 PGR kann sich der Treuhänder von der
persönlichen Haftung für die Schulden des Treugutes überhaupt befreien,
wenn er dem Dritten nachweist, dass dieser sich auf eine persönliche Haftung
nicht verlassen hat.58 Die Offenlegung des Handelns als Treuhänder wird dafür
regelmässig ausreichen.59 In seiner treuhänderischen Bindungswirkung zu und
mit den Beteiligten ist das Treugut also selbst Zuordnungssubjekt der Schulden.
Wollte man an dieser Stelle die Grundsätze des Common Law Trust eisern und
mechanisch auf das liechtensteinische Treuhänderschaftsrecht übertragen,
würde der Gläubiger – der sich nach dem Vorgesagten auf eine persönliche
57
58
59
Lewin on Trusts (Fn 2) Rz. 21–10: «A trustee in a different position from an agent. In
general terms an agent acts on behalf of a principal and does not incur any personal liability … By contrast, a trustee acts as principal in connection with the administration
of the trust and consequently does incur personal liabilities to third parties, whether or
not he is acting in accordance with his powers and duties as trustee.»
Satz 2 von Art. 916 Abs. 1 PGR war im Urbestand des PGR (LGBl 1926/4) Teil von
Art. 916Abs. 2 PGR, der bei der «offenen Treuhand» die vollständige Befreiung von
persönlicher Haftung ermöglichte. Abs. 1 sah auch bei der «verdeckten Treuhand» die
persönliche Haftung des Treuhänders nur subsidär vor.
Dies ergibt sich schlicht daraus, dass die PGR-Reform 1980 (LGBl 1980/39) die Unterscheidung zwischen verdeckter (Art. 916 Abs. 1 PGR vor 1980) und offener Treuhand
(Art. 916 Abs. 2 PGR vor 1980) aufgab. Bis dahin entfiel die persönliche Haftung
nur bei der offenen Treuhand, wenn dem Dritten darüberhinaus das fehlende Vertrauen auf die persönliche Haftung nachgewiesen wurde; das setzte offensichtlich mehr
voraus als die Offenlegung allein. Bösch (Fn 8) 92 f, verlangt die Offenlegung der
Treuhänderschaft und, zumindest im Verkehr mit Personen aus dem Common Law
wegen gegenläufiger Erwartungen den ausdrücklichen Hinweis auf den Entfall der
persönlichen Haftung. Biedermann (Fn 20) 371 f, tendiert dazu, eine Vereinbarung
mit dem Dritten – wie im Common Law (Underhill And.hayton (Fn 2) Rz. 81.5) – zu
verlangen, um den Haftungsausschluss sicher nachweisen zu können, eine Lösung,
die der Rechtssituation im Common Law entspricht. Der Wortlaut des Art. 916 Abs. 1
Satz 2 lässt aber jedenfalls einseitige Hinweise des Treuhänders ausreichen. Vgl. Pfeifer, Der BGH und die GbR mbH – Rückschlag oder Fortschritt auf dem Weg zum
Verständnis der Gesamthand? NZG 2001, 193 (194 f.), der begründet, warum die Einschränkung der persönlichen Haftung des BGB-Gesellschafters nach der klassischen
Gesamthandlehre mit dem Dritten vereinbart werden muss.
166
Zur Rechtsfähigkeit der liechtensteinischen Treuhänderschaft
Haftung des Treuhänders nicht verlassen durfte – vollends scheitern. Im Common Law Trust ist stets der Trustee der Schuldner, der persönlich und unbeschränkt für alle eingegangenen Verbindlichkeiten haftet.60 Die Schuld.h.aftung
endet nicht mit dem Amtsverlust.61 Ist ein neuer Treuhänder im Amt, kann der
Treuhandgläubiger des Vortrustees, nicht auf den Neutrustee greifen, jedenfalls nicht direkt.62 Vielmehr muss er sich weiterhin an den Alttrustee wenden
und gelangt an das Treugut nur abgeleitet, nämlich in dem Umfang, als der
Alttrustee für seine amtsbezogenen Verpflichtungen einen Freistellungsanspruch gegenüber dem Treugut und dem Neutrustee hat.63
Zwänge man auch in Liechtenstein den Gläubiger zur Klage gegen den nicht
mehr im Amt befindlichen Alttreuhänder, so wäre seine Schuld nicht mehr
einbringlich, wenn sich der Alttreuhänder im Sinne des Art. 916 Abs. 1 letzter
Satz PGR wirksam enthaftet hätte. Auch auf den Freistellungsanspruch des
Treuhänders könnte nämlich nicht gegriffen werden, weil dieser Anspruch
zum Privatvermögen des Treuhänders gehört (siehe Art. 915 Abs. 1 letzter
Halbsatz PGR), mangels persönlicher Haftung aber nicht verwertet werden
könnte. Dann lägeeine Schuld ohne Haftung vor, die den Gläubiger rechtlos
stellt,64 was ganz gewiss nicht dem Zweck des Art. 916 Abs. 1 PGR entspricht.
Es bleibt daher nichts anderes übrig als den Gesetzeswortlaut ernst zu nehmen
und nicht den historisch handelnden Treuhänder als Zuordnungssubjekt der
Schuld zu identifizieren, sondern den jeweils im Amt befindlichen Treuhänder,
den der Gläubiger für die Schuld belangen kann. Wenn freilich der jeweilige
Treuhänder für die Verbindlichkeiten (ohne persönliche Haftung) geradestehen muss, ist das Zuordnungssubjekt in Wahrheit die Treuhänderschaft, weil
dieses Phänomen nur mit der (begrenzten) Rechts- und Schuldfähigkeit der
Treuhänderschaft selbst erklärt werden kann.65
60
61
62
63
64
65
Siehe nur Lewin on Trusts (Fn 2) Rz. 21–10, 22–20.
Lewin on Trusts (Fn 2) Rz. 22–20.
Underhill And.hayton (Fn 2) Rz. 81.33.
Lewin on Trusts (Fn 2) Rz. 22–21 ff.
Vgl. Gschnitzer (Fn 52) 30: «So wie eine Haftung ohne Schuld (Sanktion ohne Sanktioniertes) undenkbar ist, so ist auch eine Schuld ohne Haftung ein rechtliches Nichts.»
So BGH 29.1.2001, II ZR 331/00, www.bundesgerichtshof.de, abgefragt 26.2.2012, für
die BGB-Gesellschaft.
167
Bernhard Lorenz
d.
Parteifähigkeit
Aufgrund der vorstehenden Analyse müsste man zum Ergebnis kommen, dass
die Treuhänderschaft als solche parteifähig ist. Bereits die blosse Subsidiarität
der treuhänderischen Haftung bedingt eigentlich die Parteifähigkeit des Treugutes genauso wie seine Insolvenzfähigkeit. Umso mehr gilt dies, wenn die
persönliche Haftung des Treuhänders nach Massgabe von Art. 916 Abs. 1
letzter Satz überhaupt entfallen ist. Doch muss die dogmatische Analyse hier
nicht allzu komplex ausfallen, denn die Parteifähigkeit der liechtensteinischen
Treuhänderschaft ist positivrechtlich angeordnet. Art. 920 PGR regelt die
persönlichen Ansprüche des Treuhänders und bestimmt, wer dafür in Anspruch genommen werden kann. Gemäss Art. 920 Abs. 4 kann sich der Treuhänder dabei direkt gegen die Treuhänderschaft wenden und diese unter ihrer
treuhandurkundlichen Bezeichnung einklagen.
Wie immer, ist bei solchen Bestimmungen die Frage zu stellen, ob sie eine
Ausnahme von der Regel begründet oder der Regel selbst Ausdruck verleiht.
Zweiteres ist nach Vorgesagtem der Fall. Es sind auch keine Gründe ersichtlich, warum man aus Art. 920 Abs. 4 PGR einen Umkehrschluss in Bezug auf
andere Kläger als den Treuhänder ziehen sollte. In Bezug auf seine persönlichen Ansprüche ist der Treuhänder Gläubiger wie jeder andere. Man könnte
einwenden, dass es hier um die Auflösung einer Personalunion geht, weil sich
der Treuhänder ja schlecht selber klagen könne. Aber dieser Einwand trägt
nicht. Denn solange sich der Treuhänder im Amt befindet, gäbe es eigentlich
kein Klagsbedürfnis, wenn man den Treuhänder als uneingeschränkten Eigentümer betrachtet. Dann könnte er sich für seine Ansprüche einfach unmittelbar
aus dem Treugut befriedigen. Gerade indem das Gesetz ein Klagserfordernis
aufstellt, bringt es die Verschiedenheit der Rechtsphären und die eigene
Rechtsfähigkeit des Treugutes gegenüber dem Treuhänder zum Ausdruck. Für
den aus dem Amt geschiedenen Treuhänder, zu dessen Gunsten Art. 920
Abs. 4 PGR gleichermassen gilt, ist der Einwand von vornherein nicht zulässig. Er könnte nämlich ohne jede Interessenkollision den Neutreuhänder einklagen. Indessen eröffnet das Gesetz die Klage unmittelbar gegen das Treugut.
Die Schuldfähigkeit des Treuguts bringt seine Parteifähigkeit mit sich, und den
Schluss hat der Reformgesetzgeber 1980 durch Schaffung des Art. 920 Abs. 4
PGR66 ausdrücklich nachvollzogen.
66
LGBl 1980/39.
168
Zur Rechtsfähigkeit der liechtensteinischen Treuhänderschaft
Wieder fallen Parallelen zu den Gesamthandgemeinschaften des PGR auf.
Kollektiv- und Kommanditgesellschaften, obwohl keine juristischen Personen,
sind gemäss Art. 659 Abs. 4 PGR parteifähig. Die einfache Gesellschaft an
sich nicht, doch begründet Art. 663 Abs. 4 PGR eine Ausnahme:
Soweit das Gesetz es nicht anders bestimmt, ist zur Zwangsvollstreckung in
das Vermögen einer Gesellschaft ohne Firma ein gegen alle Gesellschafter
bzw. ein gegen alle Geschäftsführer wirkender Vollstreckungstitel erforderlich.
Umgekehrtes gilt demnach für einfache Gesellschaften mit Firma: Gegen sie
kann ein Vollstreckungstitel unter ihrer Firma erwirkt werden und dies setzt
ihre Parteifähigkeit voraus. Einfache Gesellschaften mit Firmen treten nach
aussen als Einheit in Erscheinung und sie werden als solche wahrgenommen.
An diese Wirkung knüpft das Gesetz die Folge der Parteifähigkeit der Gesellschaft. Der in Art. 663 Abs. 4 PGR zutage tretende Gedanke, die Frage der
Parteifähigkeit von der Aussenwahrnehmung der Gesellschaft abhängig zu
machen, ist exakt derselbe, der den BGH in einer viel beachteten Entscheidung
2001 dazu veranlasst hat, Gesellschaften bürgerlichen Rechts, BGB-Gesellschaften, die Parteifähigkeit zuzuerkennen, wenn es sich um Aussengesellschaften handelt.67 Was im Rahmen des BGB vertiefter dogmatischer Analyse
bedurfte,68 ist im PGR ausdrücklich bestimmt.
e.
Treuhänderwechsel
Man muss erwarten, dass sich das vorhin Gesagte bei den Regelungen zum
Treuhänderwechsel fortsetzt, und zwar dergestalt, dass ein Treuhänderwechsel
die Zuordnung von Rechten und Pflichten nicht berührt, sondern ein neu eintretender Treuhänder unmittelbar die mit dem Treuhandvermögen verbundenen Rechte und Pflichten übernimmt. In der Tat enthält Art. 911 Abs. 4 PGR
eine entsprechende Regelung:
67
68
BGH 29.1.2001, II ZR 331/00, www.bundesgerichtshof.de, abgefragt 26.2.2012, 1
(Leitsatz lit a), 22 f.
BGH 29.1.2001, II ZR 331/00, www.bundesgerichtshof.de, abgefragt 26.2.2012, 1
(Leitsatz lit a), 5 ff. Kritisch Pfeifer, Rechtsfähigkeit und Rechtssubjektivität der Gesamthand – die GbR als oHG? NZG 2001, 296. Siehe Überblick der Entwicklung hin
zur heute unstrittigen Anerkennung der Rechtsfähigkeit der nach aussen auftretenden
BGB-Gesellschaft mit vielen Nachweisen zu Rechtsprechung und Schrifttum bei Ulmer (Fn 34) Vor § 705 Rz. 9 ff.
169
Bernhard Lorenz
Ergibt es sich aus Gesetz oder sonstiger Treuanordnung nicht anders, so finden auf das Treugut als Sondergut die Vorschriften über das Gesamteigentum,
jedoch mit Ausschluss jener über die Teilung, mit der Massgabe Anwendung,
dass die Treuhänder zur gesamten Hand berechtigt und verpflichtet sind und
dass bei Ausscheiden eines Treuhänders oder bei Eintritt eines neuen Treuhänders die Rechte und Pflichten ohne Weiteres, soweit für die Übertragung
nicht besondere Formvorschriften aufgestellt sind und, abgesehen von der
Pflicht zur Bestellung neuer Treuhänder, den jeweiligen Treuhändern anwachsen.
Nicht nur sprachlich tritt in dieser Bestimmung die hier konstatierte Nähe der
Treuhänderschaft zur Gesamthänderschaft besonders stark zutage, sondern
auch inhaltlich. Angeordnet ist nämlich nichts anderes als das für Gesamthandgemeinschaften typische An- und Abwachsungsprinzip beim Gemeinschafterwechsel. Bei Gesamthandgemeinschaften besagt dieses Prinzip, dass
einem austretenden Gesellschafter die mit seiner Gesellschafterstellung verbundenen Rechte automatisch ab- und den verbliebenen anwachsen, beim
Neueintritt eines Gesellschafters den bisherigen Gesellschaftern die mit ihrer
Stellung verbundenen Rechte ab- und dem neu eintretenden anwachsen, und
bei der Übertragung der Gesellschafterstellung eines bisherigen Gesellschafters auf einen neuen dem bisherigen Gesellschafter die Rechte ab-,den übrigen
vorübergehend an- und wieder ab- und dem Neugesellschafter schliesslichauf
Dauer anwachsen.69 Das An- und Abwachsungsprinzip wirkt nach aussen. Das
heisst, dass der Neugesellschafter auch gegenüber Dritten unmittelbar (Mit-)
Träger des Gesellschaftsvermögens geworden ist.70
Das An- und Abwachsungsprinzip zeigt sich auch bei den Verbindlichkeiten.
Zwar geht eine mit Gesamthandgemeinschaften typischerweise verbundene
persönliche Haftung des Gesamthänders für die Schulden der Gemeinschaft
nicht auf einen Neugesellschafter über – (jedenfallsnicht ohne ausdrückliche
gesetzliche Anordnung, wie sie für die Kollektivgesellschaft besteht, aber nicht
69
70
Im Einzelnen Fellmann/Müller (Fn 34) Art. 542 Rz. 30 ff.
Fellmann/Müller (Fn 34) Art. 542 Rz. 75: «Mit der Aufnahme in der Gesellschaft
erwirbt der neue Gesellschafter daher neben der Mitgliedschaft ohne weiteres auch
die dingliche Berechtigung am Gesamthandsvermögen». Selbst Grundeigentum geht
anwachsungshalber ohne besondere Übertragungshandlungen direkt auf den Erwerber über und der Eintragung im Grundbuch kommt nur noch deklaratorische Wirkung
zu, Fellmann/Müller (Fn 34) Art. 542 Rz. 76 m.w.N. und Rz. 36 ff. m.w.N.; Wichtermann in Honsell/Vogt/Geiser, Basler Kommentar Zivilgesetzbuch II 3 (2007) Art. 652
Rz. 32: «Ein Eigentumsübergang findet grundsätzlich nicht statt».
170
Zur Rechtsfähigkeit der liechtensteinischen Treuhänderschaft
die einfache Gesellschaft) –,71 aber in seiner Stellung als Gesellschafter schuldet der Neueintretende die Verbindlichkeiten der Gesellschaft zur gesamten
Hand.72 Er kann daher mit seinen Mitgesellschaftern auf Erfüllung geklagt
werden, ohne dass es einer Schuldübernahme bedürfte, wobei die Zwangsvollstreckung in Ansehung seiner Person auf das Gesellschaftsvermögen beschränkt bleibt.73
Genau dieser Schuldübergang im Übrigen ist es, der den BGH veranlasst hat,
von der Rechts- und Schuldfähigkeit der BGB-Gesellschaft selbst zu sprechen
– aber gleichwohl hervorzuheben, dass es sich um keine juristische Person
handle – weil sich sonst die Wirkung des Schuldeintritts eines beitretenden
Gesellschafters in seiner Eigenschaft als Gesellschafter nicht erklären lasse.74
Gegen diese Auffassung wendet sich Biedermann. Nach seiner Meinung betreffe Art. 911 Abs. 4 PGR nur das Innen-, nicht das Aussenverhältnis. Ein neu
bestellter Treuhänder werde nicht automatisch Eigentümer des Treuhandvermögens und nicht automatisch Verpflichteter der für das Treuhandvermögen
eingegangenen Verbindlichkeiten.75 Rechtsträger und Verpflichtete blieben
vielmehr der ausgeschiedene Treuhänder, im Falle des Ablebens sein Gesamt-
71
72
73
74
75
Für die Kollektivgesellschaft Art. 708 PGR. Für die einfache Gesellschaft (keine persönliche Haftung des neu eintretenden Gesellschafters gegenüber Gläubigern der Gesellschaft) Fellmann/Müller (Fn 34) Rz. 154. Dass die persönliche Haftung neu eintretender Gesellschafter trotz des Grundsatzes der Akzessorietät der Gesellschafter
Haftung gegenüber der Gesellschaftshaftung (d.h., dass der Gesellschafter so haftet
wie die Gesellschaft) auch rechtsvergleichend kein Dogma ist, siehe Wiedemann, Urteilsanmerkung JZ 2001, 661 (664).
Siehe Fellmann/Müller (Fn 34) Rz. 196. Siehe auch Ulmer (Fn 34) § 718 Rz. 60 ff.
BGH 29.1.2001, II ZR 331/00, www.bundesgerichtshof.de, abgefragt 26.2.2012, 1
(Leitsatz lit a), 8 f. Siehe auch Geibel, Treuhandrecht als Gesellschaftsrecht (2008)
340 f.
Die österreichische Gesellschaft bürgerlichen Rechts gilt dagegen sachenrechtlichlich
überwiegend als Miteigentumsgemeinschaft nach Bruchteilen (der römisch-rechtlichen societas, nicht der deutschrechtlichen Gesamthand entsprechend, oben Fn 9),
nicht als Gesamthandgemeinschaft: Grillberger in Rummel, Kommentar zum Allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuch II/13 (2002) § 1215 Rz. 3 (Forderungen werden
gleichwohl als gesamthänderisch verbunden betrachtet, Grillberger (Fn 74) § 1215
Rz. 9); Nowotny in Kalss/Nowotny/Schauer (Fn 8) Rz. 2/27. – Die einfache Gesellschaft Liechtensteins ist indessen genauso wie die der Schweiz, der sie nachgebildet ist, und die BGB- Gesellschaft Gesamthandgemeinschaft, Art. Abs. 1 OR bzw.
Art. 560 Abs. 1 PGR; siehe Fellmann/Müller (Fn 34)Art. 530 Rz. 23 m.w.N.
Biedermann (Fn 20) 228 f.
171
Bernhard Lorenz
rechtsnachfolger, und der oder die verbliebenen Treuhänder.76 Der Erwerb von
Eigentum am Treuhandvermögen bedürfe eines Verfügungsaktes der verbliebenen Treuhänder.77
Diese Auffassung ist ganz eindeutig vom englischen Recht geprägt78 und mit
dem Wortlaut von Art. 911 Abs. 4 PGR nicht in Einklang zu bringen. Allein
die Ausnahme in Bezug auf «Übertragung[en]», für die «besondere Formvorschriften aufgestellt sind»,79 zeigt, dass die Bestimmung im Prinzip die unmittelbare Wirksamkeit eines Treuhänderwechsels nach aussenanordnet. Dass
Schulden des Treuhandvermögens nicht auf einen Neutreuhänder übergingen
(ohne persönliche Haftung mit dem Privatvermögen freilich), wie Biedermann
es als selbstverständlich darstellt,80 widerspricht den oben ausgedeuteten Bestimmungen des Art. 916 PGR klar.
Nun könnte man sich fragen, ob Art. 911 Abs. 4 PGR eine Mehrheit von Treuhändern voraussetzt, um Anwendung zu finden. Dies ist nämlich bei Gesamthandgemeinschaften der Fall. Eine Gesamthandgemeinschaft löst sich in dem
Zeitpunkt auf, in dem nur noch ein Gesellschafter vorhanden ist. Mit dem
Ausscheiden des Vorletzten wächst dem Verbliebenen das Gesellschaftsvermögen ins Alleineigentum zu und ein Gesamteigentum besteht nicht mehr.81
Ab diesem Zeitpunkt kann ein neuer Gesellschafter nicht mehr aufgenommen
werden. Wollte der jetzige Alleineigentümer des früheren Gesellschaftsvermögens neuerlich eine Gesellschaft gründen, müsste sie neu geschaffen werden.
76
77
78
79
80
81
Biedermann (Fn 20) 228, insbesondere Fn 125
Biedermann (Fn 20) 229 Fn 127.
Siehe Principles für die Auswirkungen des Ausscheidens eines Treuhänders unter Bestellung eines neuen Treuhänders in Underhill And.hayton (Fn 2) Rz. 69.1, 71.1 und
73.1.
Der Sache nach dürfte sich diese Bestimmung primär auf unbewegliches Vermögen
beziehen, weil die Eintragung im Grundbuch bestimmte Formalakte voraussetzt.
Gleichwohl wird man, so wie bei einfachen Gesellschaften aus dem Gesamthandprinzip und der damit verbundenen An- und Abwachsung annehmen müssen, dass die
Eintragung im Grundbuch nur deklaratorischen Charakter besitzt, und der Neutreuhänder auch an unbeweglichem Vermögen anwachsungshalber unmittelbar Eigentum an Liegenschaftsvermögen (ausserbücherlich) erwirbt: Siehe Fellmann/Müller
(Fn 34) Art. 542 Rz. 37 f. m.w.N.
Biedermann (Fn 20) 229 Fn 127.
Ulmer (Fn 34) § 718 Rz. 13, Vor § 723 Rz. 9.
172
Zur Rechtsfähigkeit der liechtensteinischen Treuhänderschaft
Eine strikt formelle Übertragung dieser Regel auf die Treuhänderschaft würde
dem Art. 911 Abs. 4 PGR nicht entsprechen. Es ist nicht erkennbar, dass
Art. 911 Abs. 4 PGR nur dann angewendet werden soll, wenn im Zeitpunkt
eines Treuhänderwechsels mindestens zwei Treuhänder vorhanden sind. Die
Bestimmung gilt nach ihrem schlichten Wortlaut auch dort, wo ein Treuhänder
unter Bestellung eines Nachfolgers aus dem Treuhandverhältnis ausscheidet.
Die Worte «ausscheiden» und «Eintritt» beziehen sich nicht auf eine Gemeinschaft von Treuhändern, sondern auf das Treuhandverhältnis an sich.
Dem entspricht übrigens auch die Regelung des § 59 Abs. 2 TrUG:82
Ersatzweise oder sonst nachträglich bestellte oder verbleibende Treuhänder
treten mangels abweichender Anordnung, wie beispielsweise, wo eine besondere Form für die Übertragung von Rechten und Pflichten … vorgesehen …
ist, ohne weiteres in die gleiche rechtliche Stellung ein wie ihre Vorgänger,
jedoch nicht in die aus der Verantwortlichkeit, aus persönlicher Haftung oder
Nachschusspflicht entstandenen oder sonstigen rein persönlichen Rechtsverhältnisse ihrer Vorgänger bzw. Mittreuhänder.
Wenn dem so ist, müsste die Wirkung des Art. 911 Abs. 4 PGR auch gelten,
wenn zwischen dem Ausscheiden des (einzigen) Treuhänders und der Bestellung eines neuen Treuhänders eine Lücke liegt, dem Treuhandvermögen also
ein Treuhänder mangelt so wieeinem Nachlass in der Zeit zwischen dem Ableben des Erblassers und der Einantwortung der Erben. Denn unter geht die
Treuhänderschaft nicht, wenn kein Treuhänder mehr vorhanden ist, ist doch
auch das liechtensteinische Treuhänderschaftsrecht, wie der Trust des Common Law, dem Grundsatz verpflichtet: «No trusts hall fail for want of a
trustee».83 Dieses Prinzip verankert zunächst Art. 904 Abs. 1 PGR:
Ausser den im Gesetze vorgesehenen Fällen hat das Landgericht im Ausserstreitverfahren einen gerichtlichen Treuhänder zu bestellen, wenn … ein
Treuhänder aber nicht namentlich oder sonst in kenntlicher Weise bezeichnet
ist oder der Bezeichnete die Annahme des Amtes ablehnt, oder wenn ein sonst
wie bestellter Treuhänder aus irgendeinem Grunde wegfällt.
Nicht geregelt ist in Art. 904 Abs. 1 PGR, wie der neue Treuhänder Besitz und
Eigentum am Treuhandvermögen erwirbt oder ob die Verfügungsbefugnis des
Treuhänders mit Wirkung nach aussen bereits durch die Bestellung erfolgt.
82
83
Dank Art. 910 Abs. 5 PGR gilt § 59 Abs. 2 TrUG auch für die Treuhänderschaft.
Siehe nur Underhill And.hayton (Fn 2) Rz. 8.8.
173
Bernhard Lorenz
Anwendungsfälle für die Ausübung der gerichtlichen Bestellbefugnis sind in
Art. 908 und 909 PGR geregelt. Art. 908 PGR beschäftigt sich mit dem kündigungsbedingten Ausscheiden des Treuhänders aus dem Treuhandverhältnis.
Gemäss Art. 908 Abs. 2 PGR ist der Treuhänder von gesetzeswegen befugt
jeweils auf den Schluss des Kalenderjahres unter Einhaltung einer dreimonatigen Frist zu kündigen. Er muss die Kündigung dem Grundbuch- und Öffentlichkeitsregisteramt mitteilen, wenn ein sonst Beteiligter (insbesondere ein
Mittreuhänder) nicht vorhanden ist (Art. 908 Abs. 3 PGR). Dieses wiederum
leitet den Umstand dem Landgericht weiter, das für eine Neubestellung zu
sorgen hat, wenn die Treuhandurkunde keine Regelung (oder eine in concreto
nicht wirksame) enthält (Art. 908 Abs. 4 PGR). Hervorzuheben ist eine Abweichung zum Common Law des Trust. Das liechtensteinische PGR gewährt dem
Treuhänder das Recht der Kündigung, und zwar auch dann, wenn kein Mittreuhänder vorhanden ist. Dies gestattet das Common Law nicht.84 Es gibt
zwar auch dort Möglichkeiten, eigeninitiativ aus dem Amt zuscheiden, aber
nur mit voriger Mitwirkung des Gerichts, so dass die Übertragung des Treuhandvermögens vom Alt- auf den Neutreuhänder abgeschlossen werden
kann.85 Die Regelung verstärkt den bisherigen Befund, nämlich, dass das PGR
die Treuhänderschaft selbst als Zuordnungspunkt für Rechte und Pflichten
betrachtet. Läge die Rechtsfähigkeit allein beim Treuhänder, dürfte ein Kündigungsrecht nicht bestehen, denn Eigentum kann man nicht kündigen, höchstens derelinquieren.
Art. 909 PGR trifft eine ähnliche Regelung für den Fall des Ablebens (natürliche Person) oder Beendigung (juristische Person) des Treuhänders, des
Eintritts seiner Handlungsunfähigkeit oder Konkurses. Verschiedene Beteiligte haben die Pflicht (Erbe, gesetzlicher Vertreter) oder das Recht (Begünstigter) dem Landgericht Mitteilung zu machen und dieses hat eine Vakanz durch
Bestellung eines Neutreuhänders zu beheben. Bestimmungen zum Übertrag
des Treuhandvermögens auf den Neutreuhänder oder eine gerichtliche Befugnis zur Verfügung einer Einverantwortung oder einer Vesting Order, wie in
84
85
Siehe Lewin on Trusts (Fn 2) Rz. 13–04 ff.
Lewin on Trusts (Fn 2) Rz. 13–12. Grundsätzlich führt der Treuhänderwechsel im
Common Law zum Eigentümerwechsel, der zur sachenrechtlichen Wirksamkeit entsprechender Verfügungsakte bedarf, die, falls direkte Übertragungsakte zwischen
den Treuhändern scheitern, durch eine Verfügungsanordnung des Gerichts, eine Vesting Order, ersetzt werden können, siehe Underhill And.hayton (Fn 2) Rz. 73.1 ff.
174
Zur Rechtsfähigkeit der liechtensteinischen Treuhänderschaft
England,86 begründet das PGR nicht. Es hat aber dafür die Regelung des
Art. 911 Abs. 4 PGR geschaffen, die die entsprechende Anwendung des Anund Abwachsungsprinzips aus dem Recht der Gesamthänderschaften anordnet
und die den Treuhänderwechsel wie den Gesamthänderwechsel behandelt.
E.
Aussenwirkung mittels personen- und gesellschaftsrechtlicher Instrumente
Entgegen der ersten Intuition besteht zwischen Sachenrecht und Gesellschaftsrecht eine engere Verwandtschaft, als man vermuten mag. Gesamthand und
Treuhand stehen dafür exemplarisch. Bei der Gesamthand kam man dies direkt
durch das Gesetz belegen, durch Art. 31 f. des SR:
Art. 31 SR: Haben mehrere Personen, die durch Gesetzesvorschrift oder
Vertrag87 zu einer Gemeinschaft88 verbunden sind, eine Sache kraft ihrer
Gemeinschaft zu Eigentum, so sind sie Gesamteigentümer, und es gilt das
Recht eines jeden auf die ganze Sache.
Art. 32 Abs. 1 SR: Die Rechte und Pflichten der Gesamteigentümer richten
sich nach den Regeln, unter denen ihre gesetzliche oder vertragsmässige
Gemeinschaft steht.
Art. 32 Abs. 2 SR: Besteht keine andere Vorschrift, so bedarf es zur Ausübung
des Eigentums und insbesondere zur Verfügung über die Sache des einstimmigen Beschlusses89 aller Gesamteigentümer.
Die Bestimmung ermöglicht die Schaffung von Gesamteigentum durch Vertrag, mit der Massgabe, dass die damit einhergehenden Verfügungsbeschränkungen nach aussen wirken. Die Vergesellschaftung von Eigentum durch
Vertrag begründetdinglich eine Gesamthand und der gesellschaftsvertraglichen Innenordnung wird Aussenwirkung verliehen.90 Die Entwicklung ins
Gesellschaftsrecht, die der Gesamthand als solcher den Auftritt im Rechtsverkehr gestattet, ist vorgezeichnet.
86
87
88
89
90
Siehe Underhill And.hayton (Fn 2) Rz. 73.14 ff.
Hervorhebung durch Verfasser.
Hervorhebung durch Verfasser.
Hervorhebung durch Verfasser.
Art. 32 Abs. 2 SR verlangt nur mangels «andere[r] Vorschrift» eine Verfügung sämtlicher Gesamteigentümer. Die Referenzpunkte für «keine andere Vorschrift» sind nicht
nur gesetzliche, sondern auch vertragliche Bestimmungen aus dem Innenverhältnis
gemäss Art. 32 Abs. 1 SR: So zur Parallelbestimmung des Art. 653 ZGB Wichtermann (Fn 70) Art. 653 Rz. 12.
175
Bernhard Lorenz
An dieser Stelle kann dieses Verhältnis zwischen Sachen- und Gesellschaftsrecht nicht breit ausgeleuchtet werden. Aber auf eines ist hinzuweisen: Das
Gesellschaftsrecht dient der Regelung komplexer Rechtsbeziehungen zu bestimmten Vermögensstücken (oder besser einer Vermögensmasse). Ein Grundbedürfnis der Beteiligten will den so geregelten Rechten und Pflichten Wirkung gegenüber Dritten verleihen und das Gesellschaftsrecht bewirkt genau
dies. Ebendieses Bedürfnis bedient auch das Sachenrecht. Neben dem sachenrechtlichen Vollrecht, dem Eigentum, gibt es eine Reihe beschränkter dinglicher Rechte, die dem Nichteigentümer eingeräumt werden können. Doch beziehen sich solche Sachenrechte immer auf bestimmte Vermögenswerte und
die Beteiligten sind durch den Typenzwang des Sachenrechtes beschränkt.91
Es eignet sich nicht, einer komplexen gesellschaftsvertraglichen Regelung in
Bezug auf heutiges und künftiges Vermögen Aussenwirkung zu verleihen.
Das Gesellschaftsrecht verleiht einem solchen Arrangement Aussenwirkung
typischerweise, indem es die Beteiligten als Organisationseinheit fasst und
dieser entweder Rechtspersönlichkeit (wie bei der juristischen Person) zugesteht oder die Verselbständigung der Organisation immerhin soweit Rechnung
trägt, als sie parteifähig, namensfähig, konkursfähig und dergleichen ist, wie
bei den Gesamthandgemeinschaften der Fall.92 Das Gesellschaftsrecht kreiert
also einen neuen Verkehrsteilnehmer, umfassend oder für bestimmte Rechtsfragen, um die Zuordnungseinheit aussenwirksamwerden zu lassen.
Verknüpft damit ist die Bedeutung des Gesellschaftszweckes.93 Soweit dieser
mit Wirkung gegenüber Dritten ausgestattet ist, begrenzt er die Rechtsfähigkeit, und zwar so, dass die Gesellschaft zweckwidrige Handlungen des Verwaltungs- und Vertretungsorgans nicht gegen sich wirken lassen muss und ein
Dritter sich nicht darauf berufen kann.94 Man spricht von der Unwirksamkeit
91
92
93
94
Siehe nur Koziol/Welser, Bürgerliches Recht13 I (2006) 238 f. Siehe, numerus clausus
der dinglichen Rechte, Wiegand (Fn 31) Vor Art. 641 ff. Rz. 61 ff., unter Hinweis auf
«Tendenz[en] zur Kreation neuer dinglicher Rechte», namentlich das Treuhandrecht,
Rz. 64 f.
Für die Kollektivgesellschaft siehe Art. 690 Z2 PGR (Namens- bzw. Firmenfähigkeit)
Art. 697 PGR (Vermögens- und Parteifähigkeit, Art. 703 Abs. 1 PGR (Konkursfähigkeit).
Zur Bedeutung des Gesellschafts- bzw. Verbandszwecks grundsätzlich Schmidt
(Fn 35) 61 ff.
Dazu, für das deutsche Recht ablehnend, Schmidt (Fn 35) 214 ff.
176
Zur Rechtsfähigkeit der liechtensteinischen Treuhänderschaft
von Handlungen ultravires.95 Die die Handlungsmacht der Geschäftsführungsorgane beschränkende Aussenwirkung des Zweckes besteht gerade auch bei
den Gesamthandgemeinschaften, den «personenrechtlichen Gemeinschaften»,
wie das PGR sie sinnig nennt. Art. 698Abs. 1 PGR bestimmt dies für die Kollektivgesellschaft ausdrücklich:
Jeder zur Vertretung der Gesellschaft befugte Gesellschafter ist ermächtigt,
im Namen der Gesellschaft alle Arten von Rechtshandlungen und Geschäften
vorzunehmen, die der Zweck der Gesellschaft mit sich bringen kann,96 jedoch
nicht zur Abänderung des Gesellschaftsvertrages, zur Veräusserung des Geschäftes als ganzes oder dergleichen.
und zwar in regelrecht wörtlicher Übereinstimmung mit dem historischen –
mittlerweile abgemilderten – Art. 187 PGR in seiner ursprünglichen Fassung
für die Verbandspersonen:
Die Organe, sowie die andern zur gesamten Geschäftsführung und Vertretung
berufenen Personen sind gutgläubigen Dritten gegenüber von Gesetzes wegen befugt, alle Geschäfte für die Verbandsperson abzuschliessen, die der
Zweck des Unternehmens mit sich bringen kann.97
Die Aussenwirkung des Zweckes gilt aber auch für die nicht-kaufmännischen
Gesamthandgemeinschaften, die einfache Gesellschaft des Schweizer und
liechtensteinischen Rechts bzw. die Gesellschaft bürgerlichen Rechts deutschen Rechts.98
95
96
97
98
Die ultravires – doctrine wird im deutschen Recht überwiegend abgelehnt, dazu
Schmidt (Fn 35) 214 ff. Der Grundsatz der Unwirksamkeit von Handlungen ultravires
hat bei Verbandspersonen, die auf den Rechtsverkehr ausgerichtet sind, wegen des
Gläubigerschutzes geringere Berechtigung und befindet sich daher, auch rechtsvergleichend, auf dem Rückzug, siehe Wiedemann (Fn 15) 143. Bei Strukturen, die der
Erhaltung insbesondere von Familienvermögen dienen, wie Treuhänderschaften oder
Stiftungen, ist er nach der hier vertretenen Auffassung aber zeitgemäss.
Hervorhebung durch den Verfasser.
Hervorhebung durch den Verfasser.
Für Deutschland Ulmer (Fn 34) § 714 Rz. 25: «Aber auch Geschäfte ausserhalb des
Gesellschaftszwecks überschreiten nicht nur die Geschäftsführungsbefugnis, sondern
sind … auch von der Vertretungsmacht im Regelfall nicht gedeckt.» Für Liechtenstein
und die Schweiz siehe Art. 666 Abs. 3 PGR bzw. 543 Abs. 3 OR, einfache Gesellschaft, dazu Fellmann/Müller (Fn 34) Art. 543 Rz. 86 ff: «Wie die Geschäftsführungsbefugnis … ist auch die Vertretungsbefugnis ihrem Umfang nach grundsätzlich
auf Rechtsgeschäfte oder rechtsgeschäftsähnliche Handlungen beschränkt, die im
Rahmen des gewöhnlichen Betriebs der gemeinschaftlichen Geschäfte … liegen …»
(Rz. 89); für die Kollektivgesellschaft besonders deutlich Art. 698 Abs. 1 PGR bzw.
Art. 564 Abs. 1 OR. Für die Gesellschaft bürgerlichen Rechts in Österreich ist dies
deutlich weniger ausgeprägt, wird dort doch überwiegend verneint, dass das Gesell-
177
Bernhard Lorenz
Begreift man mit dem Verfasser das Treuhandverhältnis als ein personenrechtlich deutbares zweckgebundenes Arrangement komplexer Beteiligungsverhältnisse zu einem Vermögen, ergibt sich die Einordnung der Aussenwirkung
des Treuhandzweckes als mit der Aussenwirkung des Gesellschaftszweckes
vergleichbares Phänomen von selbst. Art. 912 Abs. 3 PGR steht in diesem
Sinne in derselben Tradition wie Art. 698 Abs. 1 oder Art. 187 Abs. 1 PGR
ursprüngliche Fassung, nur dass er die Aussenwirkung des Zwecks gleichzeitig mit einem Rechtsbehelf der Beteiligten zur Rückgängigmachung der
Zweckverletzung verbindet, einer Klagebefugnis zugunsten des Treuhandvermögens. Mit seinen auffallenden Ähnlichkeiten zur actio pro socio des Personengesellschaftsrechts ist das Instrument der prozessstandschaftlichen Klagebefugnis ebenfalls dem Gesellschaftsrecht entlehnt.99
F.
Keine juristische Person
Es bleibt die Frage, warum der Verfasser hervorhebt, dass die liechtensteinische Treuhänderschaft keine juristische Person ist und worin denn der Unterschied zur Rechts- und Parteifähigkeit liegt, die der Verfasser der Treuhänderschaft gleichwohl zugesteht. Die Frage ist allerdings für das Personengesellschaftsrecht genauso zu stellen. Denn auch die Kollektivgesellschaft (sowie die
einfache Gesellschaft mit Firma) ist zwar rechts- und parteifähig, wird aber
gemeinhin nicht als juristische Person bezeichnet.100 Der Unterschied liegt
darin, dass die Gesamthänder einer Gesamthandgemeinschaft und die Beteiligten einer Treuhänderschaft «am Vermögen näher dran» sind.101 Bei Gesamthandgemeinschaften gilt das Prinzip der Selbstorganschaft: Nur Gesamthänschaftsvermögen im Gesamthandeigentum der Gesellschafter steht, Koziol/Welser
(Fn 91) 295 m.w.N.
99
Zur actio pro socio oben D.IV.
100
Baudenbacher in Honsell/Vogt/Watter, Basler Kommentar Obligationenrecht II4
(2012) Art. 552 Rz. 2: «Ganz überwiegend wird die Rechtspersönlichkeit der Kollektivgesellschaft abgelehnt». Für die Gesellschaft bürgerlichen Rechts trotz Anerkennung der Rechtsfähigkeit BGH 29.1.2001, II ZR 331/00, www.bundesgerichtshof.de
5 f: «Soweit [die Gesellschaft bürgerlichen Rechts] in diesem Rahmen eigene Rechte
und Pflichten begründet, ist sie (ohne juristische Person zu sein) rechtsfähig».
101
Siehe Pfeifer (Fn 68) NZG 2001, 296 (297): «Die Unterscheidung zwischen Rechtsfähigkeit und Rechtssubjektivität erscheint dem flüchtigen, alltäglichen Sprachgebrauch
künstlich. Doch in der Sache kann man sie gar nicht hoch genug hängen. Sie führt
letztlich dazu, dass die Individualität der Gesellschafter nicht hinter die von ihnen ge-
178
Zur Rechtsfähigkeit der liechtensteinischen Treuhänderschaft
der können Organstellung bekleiden.102 Eigentümer- und Organstellung gehen
notgedrungen Hand in Hand. Bei der Treuhänderschaft zwar materiell aufgeweicht, besteht das Prinzip der Selbstorganschaft auch dort formal weiter, denn
das zwingende Verwaltungsorgan der Treuhänderschaft (siehe Art. 897 PGR)
kann nur der gleichzeitig als Eigentümer des Treugutes fungierende Treuhänder sein. Bei juristischen Personen ist die Fremdorganschaft, die Organstellung
von Nichtmitgliedern nicht nur zugelassen, sondern geradezu typisch.103 Die
juristische Person tritt als vollkommen eigenständige Person neben die Mitglieder und getrennt von diesen.104 Eine Gesamthänderschaft kann nach Massgabe des An- und Abwachsungsprinzip von selbst untergehen, wenn die Gemeinschaft zu bestehen aufhörte und nur noch ein Gesamthänder übrig
bleibt.105 Für die Treuhänderschaft gilt das Gleiche, wenn sich sämtliche Vermögensinteressen in einer Person vereinigt haben oder das Vermögen untergegangen ist.106 Juristische Personen indessen sind in ihrer Existenz von der
Existenz von Mitgliedern oder sonst Beteiligten unabhängig. Eine Kapitalgesellschaft geht nicht unter, wenn sich sämtliche Aktien in einer Person
vereinigen,107 und auch eine Stiftung nicht, wenn die Begünstigen weggefallen
gründeten Organisationen zurücktritt. Die Gesellschafter einer Personengesellschaft
bleiben an «ihrer» Gesellschaft «näher dran».
102
Pfeifer (Fn 68) NZG 2001, 296 (297); Ulmer (Fn 34) § 709 Rz. 5 m.w.N.; (Fn 34) § 125
Rz. 5 m.w.N.; Wiedemann (Fn 15) 333 ff.; Fellmann/Müller (Fn 34) Art. 535 Rz. 61.
Analog zu Art. 535 Abs. 1 OR lässt Art. 635 Abs. 1 PGR ausdrücklich die Übertragung der Geschäftsführung einem Dritten durch Vertrag oder Beschluss zu. Gleichwohl wird dieser Dritte nicht Organ der Gesellschaft, sondern seine Befugnis ist «abgeleiteter Natur» (Ulmer [Fn 34] § 709 Rz. 5), Fellmann/Müller (Fn 34) Art. 535 202:
«Anders als den Gesellschaftern steht die Geschäftsführungsbefugnis dem Dritten
nicht kraft eigenen Rechts zu. Sie kann ihm daher auch ohne sein Zutun wieder entzogen werden».
103
Ulmer (Fn 34) Vor § 705 Rz. 13 m.w.N.
104
Grundsätzlich Wiedemann (Fn 15) 13 ff: «Die Absonderung und damit die Eigenständigkeit des Sondervermögens vom Rechtskreis der Mitglieder ist in der Gesamthand
weniger strikt eingehalten als in der juristischen Person» (13) «Bei der juristischen
Person sind die Mitglieder letztlich entbehrlich, weil alle Rechtsverhältnisse auf das
organisierte Vermögen zulaufen» (14).
105
Ulmer (Fn 34) § 718 Rz. 13, Vor § 723 Rz. 9.
106
Biedermann (Fn 20) 473.
107
Art. 281 Abs. 2 PGR verlangt bei der Gründung noch immer das Vorhandensein von
mindestens zwei Gründungsgesellschaften. Die spätere Vereinigung der Aktien bei
einem Gesellschafter berührt die Existenz der Aktiengesellschaft aber weder unmittelbar noch mittelbar (kein Auflösungsgrund). Diesen Unterschied betont Ulmer, Die
Gesamthandgesellschaft – ein noch immer unbekanntes Wesen?,Archivfür die civilis-
179
Bernhard Lorenz
sind.108 Als juristische Personen setzt der Untergang ein Auflösungs- und Liquidationsverfahren voraus,109 während der auflösungslose Untergang, wie bei
der Gesamthänderschaft oder der Treuhänderschaft, nicht möglichist.
G.
Zusammenfassung
Die Ergebnisse dieser Abhandlung sind wie folgt zusammenzufassen:
Erstens besteht zwischen Gesamthänderschaft und Treuhänderschaft eine
bereits in der Sprachähnlichkeit zum Ausdruck kommende enge Verwandtschaft. Beide Rechtsphänomene gehen auf deutschrechtliche Wurzeln zurück.
Beiden ist zu eigen, dass der Widmungszweck des gesamthänderisch bzw.
treuhänderisch gebundenen Vermögens als Gesellschaftszweck bzw. Zweck
der Treuhänderschaft dinglich, also nach aussen wirkt. Beide finden ihre Ursprünge im Sachenrecht, gelten heute aber als Phänomene des Personen- und
Gesellschaftsrechts. Für die Gesamthänderschaft ist dies unstrittig, trifft aber
auch auf die Treuhänderschaft zu, und dementsprechend ist sie in Liechtenstein nicht im Sachenrecht, sondern im PGR geregelt.
Zweitens: Wie die Gesamthänderschaft als Gruppe ist die Treuhänderschaft
als Zusammenfassung der Beteiligten eines komplexen Vermögensarrangements rechtsfähig. Kraft ausdrücklicher gesetzlicher Bestimmung ist sie parteifähig, schuldfähig und konkursfähig. All diese Eigenschaften teilt sie mit
den Gesamthandgemeinschaften, insbesondere der Kollektivgesellschaft, aber
auch der einfachen Gesellschaft mit Firmao.
Drittens gilt das für Gesamthandgemeinschaften typische An- und Abwachsungsprinzip beim Treuhänderwechsel. Der jeweilige Treuhänder wird sohin
Eigentümer des Treugutes, ohne dass ein Eigentumswechsel stattfände. Der
jeweilige Treuhänder kann auch für die mit Wirkung für das Treugut begründeten Schulden (ohne persönliche Haftung) belangt werden. Die persönliche
tische Praxis 1998, 113 (122) und Ulmer (Fn 34) Vor § 705 Rz. 13. Siehe auch Wiedmann (Fn 15) 14.
108
Die Unerreichbarkeit des Zweckes verpflichtet den Stiftungsrat zur Auflösung der
Stiftung, der die Liquidation und Beendigung nachfolgt (§ 39 Abs. 2 Z2 iVmAbs. 1 Z4
und § 40 StiftG).
109
Siehe nur §§ 39 f. StiftG. Selbst wenn Essentialia von Anfang an fehlen geht die einmal
entstandene Verbandsperson nicht ohne Formalakt unter, siehe Art. 124 bis 127 PGR.
180
Zur Rechtsfähigkeit der liechtensteinischen Treuhänderschaft
Haftung des bei Schuldaufnahme handelnden Treuhänders ist wie die persönliche Haftung des Gesellschafters einer Kollektivgesellschaft nur subsidiär.
Durch Herstellung der Publizität entfällt sie überhaupt, ohne dass es einer
Vereinbarung mit dem Dritten bedürfte. Da der jeweilige Treuhänder mit
Amtsantritt Eigentümer des Treugutes und Schuldner der mit dem Treugut
verbundenen Schulden ist, liegt die Rechts- und Schuldfähigkeit in Wahrheit
bei der Treuhänderschaft selbst.
Viertens ist die Treuhänderschaft trotzdem keine juristische Person, so wenig,
wie rechtsfähige Gesamthandgemeinschaften juristische Personen sind. Gesamthänderschaften und Treuhänderschaften sind vom Prinzip der Selbstorganschaft geprägt. Eigentümer- und Organstellung gehen Hand in Hand.
Fremdorganschaft gibt es nur bei juristischen Personen. Bei ihnen ist Organisations- und Abstraktionsgrad weiter fortgeschritten,die Existenz der juristischen Person von der Existenz ihrer Mitgliedern unabhängig. Bei Gesamthänderschaft und Treuhänderschaften bleibt die Verbindung der Beteiligten zum
Vermögen trotz Rechtsfähigkeit aufrecht. Das An- und Abwachsungsprinzip
belegt dies. Seinetwegen gehen Gesamthänderschaften und Treuhänderschaften– anders als juristische Personen – auflösungslos unter, wenn die konstitutiven Elemente, eine Mehrzahl von Beteiligten insbesondere, weggefallen sind.
Fünftens hat der historische Gesetzgeber konzediertermassen bei der Regelung der Treuhänderschaft erstaunliche rechtsvergleichende und rechtshistorischeEinsicht besessen. Ausgehend vom Common Law wurde die Treuhänderschaft mit deutschrechtlichen Traditionen und Grundsätzen verbunden, damit
ihre Integration ins liechtensteinische Recht ohne Systembruch und strukturellen Umbau materiellen wie Verfahrens-Rechts – über das eigentlich Treuhänderschaftsrecht hinaus – gelang. So kann sie ein einer dem Common Law
formal sehr ähnlichen und funktional gleichwertigen Weise wirken.
181
Der Finanzplatz Liechtenstein im Jahr 20201
Klaus Tschütscher
Inhaltsübersicht
I.
II.
III.
IV.
V.
Die Rahmenbedingungen Wie hat Liechtenstein seine eigene Strategie d­ efiniert? Die Rolle und Bedeutung der Schweiz Der Finanzplatz 2020 Schlussbemerkung 184
190
191
192
194
«Die Zukunft hat viele Namen: Für Schwache ist sie das Unerreichba­re, für
die Furchtsamen das Unbekannte, für die Mutigen aber ist sie die Chance.»
Das sagte bereits der französische Schriftsteller Victor Hugo. Seine Worte
gelten 2011 genauso wie für das Paris des 19. Jahrhunderts. Auch die Zu­kunft
des Finanzplatzes Liechtenstein ist nicht etwas Unerreichbares oder etwas
Unbekanntes. Nein diese Zukunft eröffnet vor allem neue Chancen und Möglichkeiten.
Ich freue mich ausserordentlich, anlässlich der Gründungsveranstaltung des
neuen Zentrums für liechtensteinisches Recht an der Universität Zürich zu
Ihnen sprechen zu können. Ich bedanke mich für diese Ehre. Es entsteht etwas
Neues und etwas Wichtiges. eine Brücke zwischen zwei eng verbun­denen
Partnerländern, auf die ich später zurückkommen werde.
Es erscheint Ihnen möglicherweise in diesen Tagen ziemlich kühn, eine Vi­sion
für den Finanzplatz Liechtenstein für das Jahr 2020 zu formulieren. Das ist in
knapp 10 Jahren und liegt für viele hinter dem Horizont des zeitlichen Vorstel1
Referat anlässlich der Gründungsveranstaltung des Zentrums für Liechtensteinisches
Recht vom 4. November 2011. Dieser Beitrag wurde erstveröffentlicht in: Europe at
the Crossroads, Referate zu Fragen der Zukunft Europas 2011, Andreas Kellerhals
(Hrsg.) EIZ Band 128, Zürich 2012.
183
Klaus Tschütscher
lungsvermögens. Zu oft müssen wir in diesen Tagen und Wochen zu viele und
zu schnelle Veränderungen auf den Finanzplätzen vor allem Euro­pas und
Amerikas zur Kenntnis nehmen.
Dort bleibt scheinbar praktisch kein Stein mehr auf dem anderen. Nach der
Bankenkrise im Herbst 2008 sind wir mit einer Schuldenkrise ganzer Staaten
konfrontiert. Sie trifft die Währungsunion in Europa in ihren Grundfesten und
exportabhängige Staaten im Nicht-Euroraum wie die Schweiz und Liechtenstein. Gerade in Zeiten des schnellen Wandels aber ist es entschei­dend, den
weiten Blick in die Zukunft und die Weitsicht nicht zu verlieren.
«Die Zukunft hat viele Namen: Für die Mutigen ist sie vor allem eine
Chance.»
Worin besteht also auf lange Sicht die Chance für den Finanzplatz Liechten­
stein? Das ist die Frage, die uns, sehr verehrte Zuhörerinnen und Zuhörer, im
Folgenden beschäftigen wird.
Ich möchte meine Ausführungen in drei Teile gliedern. Erstens: Welche inneren und äusseren Grundannahmen gelten für die Zukunft des Finanzplat­zes
Liechtenstein? Zweitens: Welche Rolle und Bedeutung hat die Schweiz und ihr
Finanzplatz für Liechtenstein? Und drittens: Wie könnte der Finanz­platz
Liechtenstein 2020 tatsächlich aussehen?
I.
Die Rahmenbedingungen
Liechtenstein ist ein Kleinststaat. Liechtenstein ist eine Monarchie. Das sind
zwar zwei einfache Feststellungen. Im Bezug auf die künftige Stärke, Quali­tät
und Wettbewerbsfähigkeit des Finanzplatzes erhalten sie aber eine enor­me Bedeutung.
«Die Zukunft hat viele Namen: Vor allem für Kleinstaaten ist sie eine
Chance.»
Ich bin überzeugt, dass wir vor einem Zeitalter der Kleinstaaten stehen. Einer
meiner Vorgänger hat einst einem ausländischen Politiker die Vorteile eines
Kleinststaates so erklärt: «Bevor die Politiker in den grossen Ländern ein
Problem überhaupt erkennen, haben wir es schon gelöst.» Diese Aussage muss
natürlich im Zeitalter der Globalisierung doch etwas relativiert werden:
184
Der Finanzplatz Liechtenstein im Jahr 2020
Wenn man von der Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft spricht, dann
hört man häufig die Forderung an die Politik, die klassischen Standortvortei­le
zu erhalten und weiterhin für gute Rahmenbedingungen zu sorgen. Viel­fach
wird dabei aber etwas ganz Entscheidendes übersehen: Dass die Quali­tät von
Standortvorteilen nämlich nicht isoliert, sondern immer nur im Vergleich mit
anderen Standorten und Systemen bewertet werden kann. Wenn sich Europa
und die Welt verändern, verändert sich auch die wirt­schaftliche Ausgangslage
für Liechtenstein und die Schweiz. Gute Rahmen­bedingungen sind damit in
unserer Zeit der raschen Veränderungen weniger denn je etwas Statisches,
sondern einem permanenten Anpassungsdruck aus­gesetzt.
Trotzdem gilt: Die Wege in einem Kleinststaat sind kurz und einmal getrof­fene
Entscheide können schnell umgesetzt werden. Mit der Liechtenstein-Erklärung vom März 2009 zum Beispiel haben wir einen solchen Entscheid für den
Finanzplatz getroffen. Sie ist die neue Charta des 21. Jahrhunderts für unseren
Finanzplatz.
Die darin formulierten Verpflichtungen, internationale Steuer- und Auf­
sichtsstandards anzuwenden, sind weitgehend umgesetzt. Die Reputation des
Finanzplatzes hat sich seither klar und nachhaltig verbessert. Wir sind auf dem
richtigen Weg. Ich möchte aber nicht ausschliessen, dass der Wandel der Welt
eine Fortsetzung oder Ergänzung der Liechtenstein Erklärung ein­fordert.
Liechtenstein ist ein Kleinststaat und eine Monarchie auf parlamentarischer
Grundlage. Was aber hat die Staatsform mit dem Finanzplatz zu tun? – Auf
den ersten Blick nicht viel. Auch auf den zweiten Blick nicht. Denn die Poli­tik
ist nicht Marktteilnehmerin, sondern in meinem Verständnis ausschliess­lich
für die Schaffung möglichst optimaler Rahmenbedingungen verantwort­lich.
Den Erfolg am Markt suchen müssen dann die Wettbewerber schon selber. –
Der Staat kann nicht Markt spielen und der Markt auch nicht Staat.
Was aber hat die Staatsform Liechtensteins mit seinem Finanzplatz zu tun?
Der dritte Blick auf diese Frage gibt dann allerdings eine besondere Antwort:
nämlich die historische Kontinuität im Amt des Staatsoberhauptes. Es wech­
selt nicht im Abstand von ein oder zwei Legislaturperioden wie in anderen
westlichen Demokratien, sondern im Abstand von Generationen.
Erbprinz Alois hat das Amt des Staatsoberhauptes vorzeitig von seinem Vater
Fürst Hans Adam übernommen und führt es geschäftsführend aus. Damit
besteht in Liechtenstein eine spezifische Kultur der politischen Stabi­lität auf
185
Klaus Tschütscher
höchster Ebene. In Zeiten der Transformation, der Umbrüche und der damit
verbundenen Unsicherheiten ist diese Stabilität ein Schlüssel für die Zukunft
des ganzen Landes.
Ich habe jetzt wichtige innere Rahmenbedingungen für den Finanzplatz 2020
beschrieben, die sich alle auf drei elementare Faktoren zurückführen lassen:
auf die liechtensteinische Integrationspolitik, auf die Eigenstaatlichkeit und
auf die politische Stabilität. Was sind jedoch die äusseren Rahmenbedingun­
gen?
Sie sind derzeit alles andere als stabil. Sie sind vielmehr von systemischen
Unsicherheiten geprägt. Das ist allerdings nur die Oberfläche. Denn die In­
stabilitäten in den Finanzsystemen sind nicht isoliert zu betrachten. Sie sind
vielmehr eingebettet in einem globalen Wandel.
Das Stichwort hier heisst Paradigmenwechsel.
Wir erfahren einen welt- und europapolitischen Trend zur Zentralisierung und
zur Harmonisierung, was sich ganz besonders stark auf die Finanz- und Steuerpolitik der Staaten auswirkt. Niedrigsteuerländer wie Liechtenstein sind aber
nicht durch den internationalen Steuerwettbewerb selbst, sondern durch die
Reaktion anderer Staaten in der Regel Hochsteuerländer zuneh­mend unter
Druck geraten. Aus diesem Grund gilt für die institutionellen Regelungen
dasselbe wie für die wirtschaftspolitischen Nischenstrategien. Liechtenstein
muss bei der Gestaltung seiner Rahmenbedingungen der Tat­sache Rechnung
tragen, dass künftige wirtschaftliche Erfolge weniger auf­grund eines Regelungsgefälles, sondern ganz stark aufgrund von innovativen Dienstleistungen,
Wissensvorsprung und unternehmerischen Leistungen entstehen werden.
Diese wichtige Erkenntnis leitete die Neuausrichtung unseres Standorts und
insbesondere des Finanzplatzes Liechtenstein.
Gerade in Zeiten, in denen die internationalen Rating-Agenturen etlichen
Ländern die Kreditwürdigkeit herabstufen, erhält das AAA-Länder-Rating
Liechtensteins durch Moody’s und Standard & Poor’s zusätzliches Gewicht.
Unsere Banken haben in der Krise die Nagelprobe bestanden und waren nicht
auf staatliche Hilfe angewiesen. Unsere solide Finanzpolitik, die uns möglichst
rasch wieder zu einem ausgeglichenen Staatshaushalt führen soll, hat ebenfalls
ganz wesentlich zur Stabilität in der Krise beigetragen. Liech­tenstein legt gerade deshalb auf die Erhaltung gesunder Staatsfinanzen und einen effizienten
Staat allergrösstes Augenmerk. Damit können wir unserer Wirtschaft und dem
186
Der Finanzplatz Liechtenstein im Jahr 2020
Finanzplatz wahrscheinlich am meisten helfen. Denn alle Unternehmen haben
ein berechtigtes Interesse daran, dass die günstigen steuerlichen Rahmenbedingungen erhalten bleiben, weil sonst die Attraktivi­tät des Unternehmensstandorts leiden würde. Es sind mit anderen Worten heute nicht mehr die Unternehmen allein, die in einem globalen Wettbewerb stehen, sondern auch die
Staaten untereinander.
Der globale Wandel wird auch in den gesellschaftlichen Megatrends sichtbar.
Schon seit längerem weisen Statistiker auf eine Alterung und damit einen
Rückgang der Bevölkerung in Europa und den USA hin. Im Gegensatz dazu
besteht in Entwicklungsländern ein Geburtenboom. Die Folge davon sind anwachsende, auch durch die Überwachung der Aussengrenzen nicht aufzu­
haltende Migrationsströme vor allem von Süd nach Nord. Im Ergebnis kommt
es zu demografischen Verwerfungen.
Die Folgen für die öffentliche und private Altersversorgung beziehungswei­se
für die globalen Kapitalmärkte werden in verschiedenen Ländern erst langsam
sichtbar. Sicher dürfte sein: Das Echtkapital wird wegen der Über­alterung und
dem damit deutlich erhöhten Vorsorgekapitalbedarf in ver­schiedenen Weltregionen knapp.
Zu den Megatrends im 21. Jahrhundert gehört eine neue, global manifeste
Stufe der Individualisierung der Gesellschaften. Das Beziehungsgeflecht des
Einzelnen ist von wenigen starken und vielen losen Bindungen geprägt. Aus­
druck dieser Atomisierung ist unter anderem der Wandel vom Massemarkt
zum Mikromarkt, der von Selbstversorgung und Do-it-Yourself-Ökonomie
geprägt ist. Die Individualisierung hat bereits markante Auswirkungen auf das
Anforderungsprofil erfolgreicher Kundenberater von Finanzdiens­tleistern.
«Die Zukunft hat viele Namen: Für die Mutigen ist sie die Chance.»
Die boomende Gesundheit ist ebenfalls ein wichtiges Element des Wandels in
der Gesellschaft: Steigendes Bewusstsein, neue Nahrungsmittel wie Functional Food, Gen Food, Novel Food sowie neue Konvergenzmärkte zwischen
Ernährung, Pharma, Medizin und Kosmetik sind dafür Ausdruck. Für viele ist
die eigene Gesundheit zur mit Abstand wichtigsten Anlage- und Vorsorgemöglichkeit geworden.
Nicht nur einzelne gesellschaftliche Megatrends sind spektakulär. Auch neue
Technologien bestimmen die Gesamtentwicklung im neuen Zeitalter mass­
geblich. Das digitale Leben ist geprägt von neuen Medien, die den Alltag er-
187
Klaus Tschütscher
obern. Virtuelle Realität wird real und bestimmte Business-Welten werden
virtuell. Die Folge davon ist die so genannte ubiquitäre Intelligenz. Wir stel­len
eine fortschreitende Revolution fest. Maschinen haben auch auf den Ka­
pitalmärkten viele Funktionen und Operationen übernommen. Die Folgen
davon sind noch nicht wirklich definierbar.
Neurowissenschaften, künstliche Intelligenz und Robotik kommen zu immer
spektakuläreren Ergebnissen. Auf der anderen Seite hat diese neue techni­sche
Revolution das Potenzial zum gläsernen Bürger, der überwacht und kontrolliert wird. Das alles ist nur möglich, weil eine Konvergenz der Tech­nologien
stattfindet. Zentrale Treiber dafür sind die Informations- und Nano­technologie.
Die Folgen im Form des gläsernen Bürgers beziehungsweise die Folgen für
seine Privatsphäre im Bereich der Finanzdienstleistungen sind bereits konkret.
Fazit ist: Eine neue Welt entsteht. Die neue politische Weltordnung ist durch
den Aufstieg Chinas und Indiens zu Weltmächten und durch eine Krise der
westlichen Demokratien geprägt. Russland erlebt eine «Renaissance» und der
vergessene Kontinent Afrika und der Magreb sind in einem historischen Aufbruch begriffen. Die neue Welt ist schliesslich geprägt von wachsender Bedrohung.
Wir leben inzwischen in einer Weltrisikogesellschaft. Das globale Finanz­
system ist Teil dieser Risikogesellschaft. Wie gehen wir mit dieser geballten
Ladung um?
«Die Zukunft hat viele Namen: Für Schwache ist sie das Unerreichba­re, für
die Furchtsamen das Unbekannte, für die Mutigen aber ist sie die Chance.»
Die erwähnten Umwälzungen im internationalen Umfeld fordern die Wirt­
schaft, aber auch den Staat als Hüter der Rahmenbedingungen des Wirt­
schaftsstandorts heraus. Die Globalisierung erzwingt auch im Finanzbereich
einen raschen Wandel. Wie sollen wir diesem Wandel begegnen? Wie sollen
wir mit dem Standortwettbewerb umgehen? Meine Damen und Herren, die
wichtigste Erkenntnis muss doch sein: Probleme und Herausforderungen kann
man niemals mit der gleichen Denkweise lösen, durch die sie entstan­den sind.
Auch der Finanzplatz Liechtenstein musste sich dem Leistungswettbewerb
stellen. Wir haben das getan und damit die Grundlage für den integren, qua­
litativen sowie innovativen Finanzplatz der Zukunft gelegt.
Lassen Sie mich dies an einem bildlichen Vergleich verdeutlichen: Stellen Sie
sich vor, dass das Finanzgeschäft ein Spiel ist, in dem es gilt, 5 Kugeln zu
188
Der Finanzplatz Liechtenstein im Jahr 2020
jonglieren. Auf der ersten Kugel steht «Produkte und Dienstleistungen», auf
der zweiten «internationale Zusammenarbeit», auf der dritten «internati­onale
Standards», auf der vierten «Integrität» und auf der fünften «Selbstver­ständnis
und Standortfaktoren des Finanzplatzes». Gelingt es, alle Kugeln zu jonglieren, dann ist der Finanzplatz im Gleichgewicht und somit erfolgreich.
Aber was geschieht, wenn eine Kugel zu Boden fällt? – Da muss man wis­sen,
dass nur die Kugel «Produkte und Dienstleistungen» aus Gummi ist und wieder zurückspringt. Alle anderen Kugeln, «die internationale Zusammen­
arbeit», «die internationalen Standards», «die Integrität» und «das Selbstver­
ständnis» sind aus Glas. Fällt eine dieser Kugeln zu Boden, wird sie unwi­
derruflich beschädigt, zerspringt vielleicht in tausend Stücke. Und selbst wenn
sie nicht zerspringt – so wird sie nicht mehr so sein wie vorher.
Liechtenstein hat mit der Kugel «internationale Zusammenarbeit», vielleicht
noch mit dem Zusatz «in Steuerangelegenheiten», seine Erfahrungen ge­macht
und die richtigen Schlüsse daraus gezogen. Deshalb würde ich den Weg Liechtensteins so umschreiben, dass wir uns vom reinen Standortwett­bewerb hin zu
einem Leistungswettbewerb mit Standortvorteilen bewegen.
Sichtbarstes und starkes Zeichen der Neupositionierung ist die bereits er­
wähnte Liechtenstein-Erklärung der Regierung vom März 2009. Darin haben
wir unsere neuen Eckwerte für den Finanzplatz, insbesondere für die interna­
tionale Steuerpolitik Liechtensteins pro-aktiv definiert, öffentlich formuliert
und internationalkommuniziert. Liechtenstein bekennt sich seither, wie die
Schweiz auch, zum globalen OECD-Standard für Transparenz und Informa­
tionsaustausch in Steuerfragen.
Der Lohn für diese enormen Anstrengungen Liechtensteins ist der Erhalt und
Ausbau der Rechtssicherheit und der Rechtskonformität für in- und ausländi­
sche Kunden des Finanzplatzes. Liechtenstein kommt damit sowohl seiner
Verantwortung gegenüber den Kunden des Finanzplatzes nach wie auch den
berechtigen Steueransprüchen seiner Vertragspartner.
Lassen Sie mich noch kurz auf die gegenwärtige Befindlichkeit und die Er­
wartungen Liechtensteins in der internationalen Steuerkooperation zu spre­
chen kommen.
189
Klaus Tschütscher
II.
Wie hat Liechtenstein seine eigene Strategie
­definiert?
Unsere Steuerstrategie zum Erhalt und zur Stärkung der Wettbewerbsfähig­keit
des Standorts Liechtenstein beruht auf drei Säulen: Erstens auf der in­
ternationalen Steuerkooperation, zweitens auf einer innovativen und wettbe­
werbsfähigen nationalen Steuergesetzgebung und drittens auf einer hervorra­
genden Qualität der Dienstleistungen in Wirtschaft und Verwaltung. Liech­
tenstein ist mit anderen Worten in seiner Finanzplatzstrategie neue und eigene
Wege gegangen.
Ein Beispiel für die innovative Umsetzung der Finanzplatzstrategie ist das
Steuerabkommen mit Grossbritannien, ein Steuerabkommen sui generis. Mit
dieser Art von Steuervertrag konnten wir eine Alternative zum automati­schen
Informationsaustausch aufzeigen. Unser Modell besteht nämlich darin, dass
der Schutz der Privatsphäre ausschliesslich in der Disposition des Kun­den
bleibt.
Der in Grossbritannien Steuerpflichtige hat bis 2015 Zeit, sich für die Steu­
erkonformität zu entscheiden. Tut er das nicht, wird er die Geschäftsbezie­hung
zu Liechtensteins Finanzintermediären auflösen müssen.
Bisher haben über 1500 Kunden von dieser Möglichkeit der Regularisierung
Gebrauch gemacht. Das übertrifft unsere Erwartungen und diejenigen der
britischen Steuerbehörde. Mehr als ein Drittel dieser Kunden sind Neukun­den
in Liechtenstein. Das Abkommen hat die Steuerwelt positiv beeindruckt.
Ein Grund dafür ist sicher, dass wir zu keinem Zeitpunkt Daten an die briti­
schen Steuerbehörden liefern. Das ist der Kern der Sache: Es entscheidet nicht
jemand anders, dass das Bankkundengeheimnis aufgehoben wird, son­dern nur
der Kunde selber.
Wir haben eine Verantwortung gegenüber dem Kunden, der uns unter ande­ren
Rahmenbedingungen aufgesucht hat. Wir müssen ihm deshalb eine Brü­cke in
die neue Finanzwelt bauen. Denn diese neue Welt wird weder in Liechtenstein
noch in anderen Kleinststaaten definiert, sondern auf internati­onaler Ebene.
Bestimmende Vektoren auf dieser Ebene waren bisher die G-20, die USA und
die EU. Basel III-Vorschriften, Facta und MiFID sind Beispiel für die admi-
190
Der Finanzplatz Liechtenstein im Jahr 2020
nistrativen Bürden, die auf Finanzdienstleister auch in Kleinststaaten zugekommen sind oder noch zukommen werden.
Mehr Regulierung heisst allerdings nicht unbedingt bessere Regulierung. Die
Politik auch eines Kleinststaates muss sich entschieden dafür einsetzen, dass
für alle dieselben Regeln gelten. Weil wir im 21. Jahrhundert weltweit ver­netzt
sind, muss das Ziel ein «level playing field» sein. Wenn wir das nicht schaffen,
bedeutet mehr Regulierung ein klarer Wettbewerbsnachteil für die kleineren
Finanzplätze in Europa. Mit Schnelligkeit, Kreativität und Innova­tion können
wir uns auch als Kleinststaat behaupten. Seit dem 1. August gilt zum Beispiel
in Liechtenstein auch ein neues, vollständig revidiertes Fonds­gesetz.
Es setzt die EU-Richtlinie für gemeinsame Anlagen in Wertpapiere, die so
genannte UCITS-Richtlinie um. Die schnelle, schlanke und kundenfreundli­
che Umsetzung der Richtlinie erleichtert für liechtensteinische Fondsproduk­
te und deren Anbieter den Zugang zum europäischen Binnenmarkt wesent­lich.
Gleichzeitig stärkt das Gesetz den Finanzplatz insgesamt.
Es schafft Flexibilität, Dynamik und Reputation für den Finanzplatz und es ist
gleichzeitig ein Meilenstein in seiner Entwicklung. Tatsächlich kann sich
Liechtenstein mit den neuen Rahmenbedingungen als optimaler Hub für Drittländer ausserhalb der EU und des EWR positionieren. Massenprodukte sind
dafür immer weniger gefragt. Massanzüge dafür umso mehr.
Ebenfalls um eine nachhaltige Bewirtschaftung geht es im vor drei Jahren
vollständig revidierten Stiftungsrecht. Die neuen Vorschriften haben die
Rechtssicherheit für alle Beteiligten erhöht. Der Zulauf zum Beispiel von so
genannten gemeinnützigen Stiftungen ist gross. Bisher gibt es schätzungs­
weise gegen 1000 gemeinnützige Stiftungen neuen Rechts in Liechtenstein.
Liechtenstein als politisch stabiles Fürstentum im Herzen Europas erweist sich
damit als sehr geeigneten Standort für grenzüberschreitende Philanthro­pie.
III. Die Rolle und Bedeutung der Schweiz
Mit Mut zu Massarbeit, mit Nischenprodukten wollen wir im Wettbewerb zu
anderen Finanzplätzen wie der Schweiz bestehen. Mit ihr lebt Liechtenstein
seit bald einem Jahrhundert in einer einmaligen Zoll- und Währungsunion.
191
Klaus Tschütscher
Liechtenstein und die Schweiz sind ein einmaliges Beispiel, wie sich Wett­
bewerb und Kooperation nicht ausschliessen. Lassen Sie mich dazu klar festhalten: Der Finanzplatz Liechtenstein ist strukturell seit jeher auf eine gute
Zusammenarbeit mit dem Finanzplatz Schweiz angewiesen.
Und lassen Sie mich es hier an dieser Stelle ebenfalls klar aussprechen: Die
Finanzplätze von Liechtenstein und der Schweiz mussten und müssen sich
beide der Herausforderung von Angriffen aus dem näheren und ferneren Umfeld stellen. Gangbare Wege, die aus diesem Schussfeld führen, gibt es verschiedene.
Wir sind zwar Konkurrenten im Streben um Best Practices. Ein Beispiel sind
die bilateralen Abkommen mit verschiedenen grossen europäischen Ländern
zur Legalisierung von bisher unversteuertem Altvermögen ausländischer Privatkunden.
Die Schweiz und Liechtenstein sind aber gleichzeitig grossem gegenseitigen
Respekt und einer historisch-freundschaftlichen Nachbarschaft verpflichtet.
Lassen Sie mich damit zum dritten Teil meiner Ausführungen kommen: Wie
könnte der Finanzplatz 2020 tatsächlich aussehen?
IV.
Der Finanzplatz 2020
Die Zukunft kann niemand voraussehen, aber jeder kann sich auf sie vorbe­
reiten. Der bekannte deutsche Politiker Willy Brandt hat einmal gesagt: Der
beste Weg, die Zukunft vorauszusagen, ist – sie zu gestalten.
Vor ziemlich genau einem Jahr hat die liechtensteinische Regierung die Agenda 2020 verabschiedet. Sie dient einzig und allein der Zukunftssiche­r ung unseres Landes. Die Agenda geht tatsächlich bis 2020, also weit über die Legislaturperiode hinaus. Sie wurde gemeinsam von beiden Regierungs­parteien
ausgearbeitet und führt daher zu einer gemeinsamen Anstrengung über die
Parteigrenzen hinweg.
Das lateinische Wort «Agenda» bedeutet: «Was zu tun ist». – Nun, zu tun ist
eine ganze Menge. Denn wir haben festgestellt – und dies gilt im Grundsatz
auch für viele andere Staaten ─, dass wir uns in einem kritischen Punkt unse­
rer Entwicklung befinden.
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Der Finanzplatz Liechtenstein im Jahr 2020
Wie vorher gesehen, stehen wir in langfristig angelegten und ganzheitlichen
Transformationsprozessen. Sie betreffend alle und alles. Nicht nur für Welt­
konzerne, sondern auch für Regierungen sind strategische Entscheide in verschiedensten Bereichen entscheidend. Da ist eine geballte Ladung an Veränderungen, die besonders für kleine Staaten eine gewaltige Herausfor­derung
bedeuten. Viele Entscheide von heute sind von langfristiger Tragwei­te und
werden auch künftige Generationen betreffen.
Deshalb die «Agenda 2020». Darin konzentriert sich die Regierung in einem
permanent ändernden Umfeld auf die wichtigsten strategischen Ziele, die zu
einer erfolgreichen Entwicklung Liechtensteins massgeblich beitragen kön­nen.
Diese Kontinuität in der politischen Arbeit macht uns berechenbar und verlässlich, was das Vertrauen in die Institutionen stärkt und die Planungssi­cherheit
für die Wirtschaft erhöht. Mit der Agenda 2020 wollen wir
1. Die Chancen des Kleinstaates in der Internationalisierung nützen,
2. die innenpolitische Handlungsfähigkeit erhöhen,
3. die fiskalpolitische Handlungsfähigkeit erhalten
4. den Wirtschaftsstandort stärken,
5. die natürliche Lebensgrundlage sichern und
6. die Lebensqualität der Bürgerinnen und Bürger erhöhen.
Damit Sie sich darunter etwas Konkretes vorstellen können, nenne ich Ihnen
für jedes dieser strategischen Ziele in der gleichen Reihenfolge eines der insgesamt 37 Handlungsfelder:
•• Wir wollen die Nachbarschaftsbeziehungen vertiefen.
•• Wir wollen eine historische Regierungs- und Verwaltungsreform um­
setzen.
•• Wir wollen Public Private Partnership fördern.
•• Wir wollen für unsere Wirtschaft, das heisst auch unserem Finanzplatz,
den diskriminierungsfreien Zugang zu den internationalen Märkten si­
cherstellen.
•• Wir wollen eine Energievision entwickeln und umsetzen.
•• Und wir wollen die hohe Qualität des Bildungssystems sichern.
Es entspricht unserem Staatsverständnis, dass wir bei der Umsetzung der
Agenda 2020 die staatlichen Interventionen möglichst beschränken und den
Raum für private Initiativen offen halten wollen.
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Klaus Tschütscher
Unsere Zielsetzungen haben wir auf der Basis solider und abgestützter Werte
definiert. Dieses Wertfundament fassen wir unter den Begriffen «Selbstbe­
stimmung», «Sicherheit» und «Humanismus» zusammen. Die Agenda 2020
ist mehr als eine Vision. Sie ist eines unserer Instrumente, die Zukunft als
Chance zu begreifen.
Wie könnte der Finanzplatz 2020 tatsächlich aussehen? Ich bin nicht Zu­
kunftsforscher, sondern Politiker. Deshalb stelle ich die Frage anders. Näm­lich:
Wer ist der neue Banker, der neue Treuhänder, der neue Fondsmanager oder
der neue Vermögensverwalter des 21. Jahrhunderts?
Ich bin nicht Hochschullehrer, sondern Politiker eines Kleinststaates mit einem
spezifischen Finanzplatz. Deshalb bekommen Sie von mir auch nur eine politische Antwort: Der neue Finanzdienstleistende muss vor allem ein kompetenter Dienstleister und damit ein verlässlicher Treuhänder der inzwi­schen fast
unendlich vielfältigen Bedürfnisse seines Kunden sein. Erfolgrei­che Kundenberater werden künftig ganz anders gefordert sein als bisher.
Der Kunde wird seinen Berater oder Vermögensverwalter nicht fragen, wo er
seinen Abschluss mit welchen Qualifikationen gemacht hat und wie viel Geld
er verdienen möchte. Der Kunde wird von seinem Berater vor allem seine
fachlichen und strategischen, seine menschlichen und persönlichen, seine innovativen und kreativen Kompetenzen einfordern.
Die Kunst des erfolgreichen Finanzdienstleisters im Jahr 2020 besteht unter
anderem darin, sich dort zu spezialisieren, wo er oder sie im Innern stark ist.
Und das, ohne den Prozess und seine Konsequenzen des laufenden und noch
lange nicht abgeschlossenen Paradigmenwechsels aus den Augen zu verlie­ren.
V.
Schlussbemerkung
Dieser Anspruch ist hoch. Er ist eine Gratwanderung. Aber eine Gratwande­
rung verschafft naturgemäss auch den besten Ausblick.
Die Zukunft hat viele Namen: Für Schwache ist sie das Unerreichbare, für die
Furchtsamen das Unbekannte, für die Mutigen aber ist sie die Chance.
Liechtenstein sieht im eingeschlagenen Weg ein grosses Zukunftspotenzial
und viele Chancen. Ich hoffe, dass ich Ihnen mit meinen Ausführungen die
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Der Finanzplatz Liechtenstein im Jahr 2020
Perspektiven des Finanzplatzes Liechtenstein etwas näher bringen konnte und
bedanke mich sehr herzlich für Ihre grosse Aufmerksamkeit!
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