Catull, carmen 51 einige interpretatorische Ansätze 1. Versmaß

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Catull, carmen 51 einige interpretatorische Ansätze 1. Versmaß
Catull, carmen 51
einige interpretatorische Ansätze
1. Versmaß: 2. Situation:
Sapphische Strophen (jeweils drei Verse „Sapphicus“, 4.Vers „Adoneus“)
Catull ist im höchsten Maße in Clodia (= Lesbia) verliebt. Vor allem ihr reizvolles Aussehen scheint ihn derartig zu faszinieren, dass er in ihrer Nähe seine Emotionen nicht mehr beherrschen kann, da dies, wie er feststellt, nur mit göttlichen Fähigkeiten möglich sei. Dieses Geständnis ist ein sehr deutliches und offenes Kompliment an diese Frau, deren Liebe er sich vermutlich (noch) nicht sicher sein kann.
3. Sachliches im Einzelnen:
­ reges (Zeile 15):
Möglicherweise denkt Catull z.B. an den assyrischen König Sardanapal, der nach der Überlieferung des Ktesias ein zurückgezogenes Leben voller Luxus und Ausschweifung führte und damit zum Sinnbild eines völlig verweich­
lichten Menschen wurde. Nachdem seine Truppen von den Medern und Babyloniern vernichtend geschlagen worden waren, nahm er sich das Leben, indem er aus all seinen Reichtümern einen Scheiterhaufen errichtete und dort den Tod in den Flammen suchte. ­ urbes (Zeile 16):
Vielleicht schwebt Catull das Schicksal der süditalischen Stadt Sybaris vor, die zu einer gewissen Zeit vor allem wegen ihrer hohen Kochkunst und Esskultur bekannt war. Sie wurde im Jahre 510 v. Chr. von der Nachbarstadt Kroton zerstört.
4. Sprache / Darstellung / Form / Aussage:
− simul (Zeile 6):
= simulatque = simulac
− est super mi (Zeile 7) =
mihi superest
− Zeile 8: Diese Stelle ist nicht überliefert, bei der Formulierung „Lesbia, vocis“ handelt es sich um eine nachträgliche, so oder ähnlich vermutete Ergänzung.
− Zeilen 9­12: Die beschriebenen „Körpersymptome“ zeugen davon, dass Catull von Lesbias Schönheit im höchsten Maße beeindruckt ist. Dies gesteht er hiermit auch ganz offen. Verstärkt werden seine Gefühle, ja sein Leiden wohl auch dadurch, dass Lesbia seine Liebe (vielleicht) nicht (genügend) erwidert.
− gemina (Zeile 11)
:
Dieses Adjektiv ist grammatikalisch eindeutig auf „nocte“ es bezogen, was durch die metrische Analyse klar wird: Denn bei der Endung „­a“ handelt es sich um einen metrisch langen Vokal bzw. eine lange Silbe; innerhalb der a­Deklination ist dies ein sicheres Zeichen für den Ablativ Singular.
Inhaltlich passt das Adjektiv jedoch viel besser zu „lumina“. Es handelt sich also um das Stilmittel der „Enallage“, also die Beziehung eines Adjektivs auf ein anderes Substantiv als das, zu dem es logischerweise passen würde. − Zeilen 13­15: Die Anaphern (Beginn aufeinander folgender Sätze oder Wortgruppen mit dem gleichen Wort) „otium“, „otio“, „otium“ heben den in dieser Strophe dominierenden Begriff klanglich hervor.
−
Form / Vorbild des Gedichts:
Catull teilt mit Clodia (= Lesbia) die Begeisterung für die griechische Dichterin Sappho, die im 6. Jahrhundert v. Chr. auf der Insel Lesbos lebte.
Diese Tatsache dürfte auch der Grund dafür sein, dass Catull für seine Geliebte das Pseudonym „Lesbia“ gewählt hat. Möglicherweise schickt er ihr als ersten Liebesbeweis die Übersetzung eines bekannten Gedichtes dieser Poetin, das er jedoch inhaltlich merklich abändert und auf seine eigene Situation bezieht:
Sappho richtet ihr Gedicht an eine gewisse Agallis, eine ihrer jugendlichen Gefährtinnen, die gerade im Begriff ist zu heiraten. Sie beneidet deren künftigen Mann um sein bevorstehendes Glück, da dieser nun weitaus öfter mit Agallis zusammen sein kann als sie selbst.
Catull dagegen gibt hier vor, den Mann (vielleicht Clodias Ehemann?) zu beneiden, der Lesbias Nähe gelassen ertragen kann, den ihre Reize nicht aus der Fassung bringen. Beim Vergleich von Catulls Gedicht mit dem Original der Sappho fällt auch auf, dass Catull einige der von der Griechin angeführte „Körpersymptome“
weggelassen hat, den „kalten Schweiß“, „Blässe des Gesichts“, „Zittern am ganzen Körper“. Die letzte Strophe ist von Catull völlig neu hinzugedichtet. Sie enthält einen fast philosophisch wirkenden Gedanken über die negativen Auswirkungen eines zu großen „otium“, die insbesondere in einer Situation der Sehnsucht oder des Liebeskummers auftreten können.