capitalist melancholia
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Wir freuen uns sehr, Ihnen die neueste Produktion der kuratorischen Plattform „Mittel-Europa“ vorstellen zu dürfen: C A P I TA L I S T MELANCHOLIA Ennui, Morbidität und Zerstörung im Kapitalismus des 21. Jahrhunderts 30.04. - 07.08.2016 ERÖFFNUNG Samstag 30.April 2016 ab 15.00 Uhr HALLE 14, Spinnerei, Leipzig Die HALLE 14 ist ein 4.000 m² Kunstzentrum in der Leipziger Baumwollspinnerei. CAPITALIST MELANCHOLIA THE BATTLE OF PAST AND PRESENT THE GOVERNMENT OF TIMES CEMETERY OF THE FUTURE 3D Sketch - Capitalist Melancholia, 2016 HALLE 14, Leipziger Baumwollspinnerei KURATIERT VON François CUSSET (Paris), Michael ARZT(Leipzig) und Camille de TOLEDO (Berlin) MITARBEIT: Aliocha IMHOFF und Kantuta QUIROS Le peuple qui manque (Paris) EIN PROJEKT VON Mittel-Europa und der Halle 14, Zentrum für zeitgenössische Kunst Leipziger Baumwollspinnerei MIT WERKEN VON CHTO (FR), FAMED (DE), Gregory BARSAMIAN (US), Stefan BRÜGGEMANN (MX), CHITKA (RO/SK), Jeanette EHLERS (DK), Loretta FAHRENHOLZ (DE), Rumiko HAGIWARA (JP), David MAISEL (US), Álvaro MARTÍNEZ ALONSO (ES), Alicja KWADE (DE), Guido VAN DER WERVE (NL) Was kommt nach der „großen Beschleunigung“ des Kapitalismus? Was wird aus uns, aus unseren Körpern, unseren Kräften und unserem Geist, wenn die ununterbrochene Phase des Wachstums zu Ende geht? Der Kapitalismus zeigt sich, in seiner Schaufenster-Version zwischen Jeff Koons und Louis Vuitton, als ein von Luxus, Glamour und Verschwendung geprägtes System, das in gewisser Hinsicht zu einer „globalisierten Ego-nomie“ geworden ist, einem erbitterterten Kampf der Egos und Eitelkeiten. In der Kunstgeschichte steht der VanitasBegriff für die Versinnbildlichung dieses „eitlen, nichtigen Treibens“: Der Künstler konfrontiert den einzelnen Menschen mit seinem Tod und der Melancholie angesichts der eigenen Vergänglichkeit. Diese Auseinandersetzung mit dem Tod findet sich in der Malerei oft in Form von Objekten wie Schädeln oder Säbeln wieder, die den Menschen an sein Schicksal erinnern sollen, an die Vertikalität seines Verschwindens, an die Nichtigkeit seiner Siege und Errungenschaften. Folgt auf die „große Beschleunigung“ unsere Zeit nicht eben diese Erfahrung einer „Melancholie des Kapitalismus“? Ein Moment der Bewusstwerdung, in dem die erschöpften Bewohner dieser Erde die Werke ihres Todes, ja den Tod am Werk sehen? In diesem Sinne könnte man das Anthropozän, das Zeitalter des Menschen, als eine weitreichende globale Vanitas verstehen, in der wir uns mit unserem Werk der Zerstörung konfrontiert sehen, also der Zerstörung der Ökosysteme: Dem rücksichtslosen Plündern der Bodenschätze, dem Auslaugen der einst fruchtbaren Böden, dem Ausbeuten allen Lebens. Seit dem Ende des Kommunismus schreitet der Kapitalismus ohne wirkliche Hindernisse ungebremst voran. In unserer heutigen Wirtschaftswelt sind die Arbeitstage unbegrenzt, verfolgen uns die Mails bis nach Hause. Das Innen als Ort der Autonomie und das Außen als Ort der Arbeit verschmelzen dergestalt, dass das Private eine auszubeutende Ressource wird. Alle Lebensbereiche, die der Kapitalstrom erfasst, werden dazu gezwungen, konkurrenzbasierte Marktstrukturen auszubilden. Dieser dreifachen Entwicklung von Marktausweitung, Wachstum und Beschleunigung gegenüber hat sich die Kritik als immer ohnmächtiger erwiesen und so eine eigene „kritische Melancholie“ hervorgebracht. CAPITALIST MELANCHOLIA ist eine mehrteilige Ausstellung, die eine global betrachtete Auseinandersetzung mit dem Kapitalismus zu Beginn des 21. Jahrhunderts vorschlägt. Eine im wahrsten Sinne des Wortes reflektierende Ausstellung, die dem Kapitalismus einen künstlerischen und theoretischen Spiegel vorhält und so seine Vanitas aufdeckt. Nicht sein glamouröses, glitzerndes Gesicht, sondern seine Schattenseiten. Was bleibt übrig von unseren erschöpften Burnout-Persönlichkeiten? Ist Langsamkeit die passende Antwort auf Beschleunigung? Ist der Suizid das einzig vorstellbare „Anderswo“ des Kapitalismus? Welcher Tod verbirgt sich hinter dem Markt um jeden Preis? Warum ist die Kritik so machtlos geworden? Sollten wir noch schneller werden? Seit einem Jahrzehnt kursiert in der Kunstwelt eine „wiederentdeckte Sorge um die Welt“. Als Gegenentwurf zu einer von Bezüglichkeiten und Ironie bestimmten marktorientierten Kunst hat sich eine Gemeinschaft von Künstlern formiert, die Wege der direkten Einflussnahme auf unsere Wirklichkeit(en) sucht, indem sie weniger parasitäre Lebensweisen vorschlägt, diesen Planeten zu bewohnen. Dieser künstlerischen Strömung, die durch ihre Kritik einen Teil unserer Wirklichkeit zerschlägt, mit ihren konkreten Vorschlägen aber gleichzeitig eine neue Wirklichkeit begrüßt, schließt sich das Projekt CAPITALIST MELANCHOLIA an. Vorgestellt werden zehn Werke von zehn international aufstrebenden Künstlern, drei narrative Plattformen sowie eine szenisch eingerichtete Konferenz. Die kuratorische Idee besteht darin, einen Experten für Ideengeschichte und French Theory, François Cusset (Paris), den Schriftsteller und bildenden Künstler CHTO/Camille de Toledo (Berlin), sowie den Kurator und künstlerischen Direktor des Kunstzentrums HALLE 14, Michael Arzt (Leipzig), in einer Ausstellung zusammen zu bringen. Hinzu kommen die Forscher und Kunsttheoretiker Aliocha Imhoff und Kantuta Quiros. Zusammen werden sie über einen Zeitraum von zwei Monaten auf der gesamten Ausstellungsfläche der HALLE 14 zu einer globalen Auseinandersetzung mit einem Kapitalismus anregen, der sich in seinem melancholischen Endstadium befindet, dem Kapitalismus des Todes. Mit einer Melancholie, die den Blick nicht länger zurückwirft auf das von uns Zerstörte, sondern nach vorne, unserer Zukunft entgegen. Die Ausstellung gliedert sich in die vier folgenden Hauptbereiche: THE GOVERNMENT OF TIMES ist eine von Aliocha Imhoff und Kantuta Quiros organisierte, szenisch eingerichtete Konferenz, bei der am 28. Mai 2016 zehn Forscher und Theoretiker Fragen rund um das Thema „der Zeiten und Geschwindigkeiten“ diskutieren sollen. Nach „Le procès de l’accélérationnisme“ (Centre GeorgePompidou, Museum für zeitgenössische Kunst, Paris), und „The gouvernment of times“ (Chicago 2015), präsentieren die beiden Kuratoren nun im Rahmen von „Capitalist Melancholia“ eine szenisch eingerichtete Konferenz, die die Konfliktlinien in der Debatte um verschiedene Zeitlichkeiten nachzeichnen soll. Die Konferenz lässt die unterschiedlichen Positionen innerhalb des Diskurses zu Wort kommen: Die „Rekonstrukteure“ der Zukunft – Transhumanisten des Silicon Valley –, die Akzelerationisten der „englischen Schule“ – welche auf Maschinen und Algorithmen setzen –, und die Dezelerationisten – welche zwischen apokalyptischen Visionen, Prophezeiung und Erlösung schwanken. So bietet THE BATTLE OF TIMES die Gelegenheit, besser zu verstehen, wie wir durch zeitliche Vorgänge unterdrückt werden können, wie sie uns davon tragen oder von unserem eigenen Leben entfernen können. CAPITALIST MELANCHOLIA ist ein von François Cusset und CHTO/ Camille de Toledo entworfenes Video-Diptychon, das die strukturrelevanten Begriffe des Kapitalismus des 21. Jahrhunderts von A bis Z durchdekliniert: Von A wie „Anthropozän“ über D wie „Dunkin Donuts“, P wie „Prostitution“ bis hin zu Z wie „Zuckerberg“, entwickeln die beiden Autoren eine kritisch-theoretische Videoreihe, in der sich Konzepte und Anekdoten aus Hoch- und Massenkultur mischen und miteinander in Dialog treten. Anstatt eine inhaltlich stringente Abfolge herzustellen, übernimmt das Videoprojekt die zufällige Reihung der Begriffe entlang des Alphabets, und versucht durch kurze, mündliche, unsystematisch-chaotische Sequenzen die klar abgesteckten Positionen der Kapitalismuskritik durcheinander zu bringen. Das von CHTO entworfene Video setzt zwei Köpfe mit Licht-Effekten à la Caravaggio im Profil in Szene, die vergeblich versuchen, einen „sicher geglaubten Diskurs“ in einer Zeit zu verteidigen, in der alle Theorie vereinnahmt und zersetzt wird. Capitalist Melancholia , 2016 François Cusset & CHTO/Camille de Toledo HALLE 14, Leipziger Baumwollspinnerei THE BATTLE OF PAST AND PRESENT ist eine performative Installation von CHTO, die dem Besucher ermöglicht, die Erschöpfung am eigenen Leib zu erfahren. Vor seinen Augen hängen zehn identische Boxsäcke von der Decke, die in einer pakistanischen Fabrik nahe der Grenze zur Kaschmir-Region hergestellt wurden und den Betrachter an Galgen erinnern. Rundherum laden Dutzende, verstreut auf dem Boden liegende Boxhandschuhe dazu ein, auf die Boxsäcke einzuschlagen und den eigenen Körper im Kampf mit dem Fallenden, dem Stürzenden, zu erfahren. The battle of the past and the present ist ein Werk, das an der Schnittstelle von Hoffnung und Entmutigung, von kollektiver Aufgabe und individueller Kapitulation agiert. Inmitten der Ausstellung „Capitalist Melancholia“ trägt es dazu bei, die Vereinnahmungsmechanismen des Kulturkapitalismus aufzudecken. THE CEMETERY OF THE FUTURE ist eine begehbare Installation, die aus zwölf abstrakten Gräbern besteht, zwölf übergroßen Wörtern, die zusammen ein Zufallsgedicht über neue Anfänge bilden. Der Betrachter trifft unter anderem auf die Wörter „hope“, „light“, „morning“, „skies“, „love“, „joy“, und wird dazu eingeladen, zwischen diesen „Gräbern“ entlang zu gehen, die vielen möglichen Gänge und Wege, die sich zwischen den Wörtern auftun, zu erkunden, und sie durch das eigene Abschreiten zu einem neuen Gedicht zusammenzusetzen. Dieses Werk bietet die Möglichkeit, über die Zukunft nachzusinnen, über den geschlossenen Horizont des Anthropozän, der dazu führt, die Zukunft nur noch als das „eigene Grab“ zu betrachten. Der Ort der Installation wird so zu einem Tatort, einem Friedhof, der uns, durch die vielen Möglichkeiten, ihn zu erkunden, auch immer wieder dazu aufruft, den Weg der Zukunft zwischen unseren Gräbern neu zu entdecken. The Battle of Past and Present, 2016 HALLE 14, Leipziger Baumwollspinnerei