Emotionales Design löst Purismus ab
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Emotionales Design löst Purismus ab
Echt schräg! I Saloni Emotionales Design löst Purismus ab 2013 Die Mailänder Möbelmesse zeigte trotz wirtschaftlichen Turbulenzen in Italien heitere, kreative und spannende Möbelideen für 2013/2014. Dabei waren die wichtigsten Themen die Verschmelzung von Wohnen und Arbeiten, die Multifunktionalität kleiner, flexibler Möbel sowie die Komposition der Materialien und Farben als einzigartige Rauminstallation. Ein Trendbericht von Innenarchitektin und Trendexpertin Katrin de Louw, die sich in Mailand für den MÖBELMARKT umgeschaut hat. 2 3 2 | Neue Designkombinationen im „Multi-Wood“-Stil sind Trend, hier Sideboard „Cest of Drawers“ von Molteni. Design: Gio Ponti. Foto: De Louw 3 | Der „Walking Cabinet“ von Markus Johansson zeigt eine attraktive Variante des neuen, dynamischen Möbeldesigns. Foto: Markus Johansson 4 | Das Spiel mit unterschiedlichen Materialien, mit Licht und Schatten, 3-D-Optiken u.ä. bestimmen die Oberflächen-Designs. Jesse zeigte z.B. spannende Materialkombinationen im Couchtisch, inkl. Matt-/Glanzkombinationen. Foto: De Louw 4 1 | Die neue Formensprache ist vor allem eines: schräg! Hier ein Möbel des italienischen Herstellers Pacini & Cappellini. Foto: De Louw. Einer der wichtigsten Trends, die wir in diesem Jahr in Italien beobachten konnten, ist die Mehrfarbigkeit im Möbel, insbesondere in gleichberechtigten Elementen. Währenddessen die Farben- und Materialkombinationen bis vor Kurzem themenbezogen waren, also Farbkontraste innen-außen oder Korpus-Front, werden jetzt unterschiedliche Materialien gleichberechtigt nebeneinander gezeigt. Es stehen Stühle unterschiedlichster Art an einem Tisch und es liegen auch in Farbe und Material verschiedene Kissen als gesammelte Werke auf einem Sofa zusammen. So waren z.B. Tischplatten zu sehen, die als Patchwork aus verschiedenen Materialien zusammengesetzt wurden oder Regale, die verschiedene Materialien und Farben aufwiesen. Dabei mussten die Materialien nicht zwingend im Kontrast zueinander stehen, sondern es gab auch sehr sanfte Farbnuancen, sowie Matt-/ Glanzeffekte, die sehr edel wirken und erst beim zweiten Blick bemerkt wer- MÖBELMARKT 05 / 2013 den. Das Ganze gibt der Einrichtung eine Patchwork-Atmosphäre und die Möglichkeit, sehr individuell und einzigartig zu sein, da es unendlich viele Kombinationsmöglichkeiten gibt. Das bedeutete für die gezeigten Einrichtungsdesigns auch, dass es nicht mehr nur um die eine Trendfarbe geht, sondern insbesondere um deren „Komposition“ im Kontext mit anderen Farben, Strukturen und Materialien im Raum. Neben all den vielfältigen Farben, die zur Zeit aktuell sind, waren Senfgelb, Hellblau, Altrosa, Petrol, Violett und Ziegelsteinrot auffällig häufige Trendakzente auf der Möbelmesse in Mailand. Für die Farbkombinationen hieß das oftmals, dass Pastell neben knalligen Farben oder sogar kleinen Hinguckern in Neon steht oder süße Sorbetfarben mit gräulichen Erdtönen kombiniert werden. Holz wird unserer Einrichtung in den nächsten Jahren die notwendige Wärme und Natürlichkeit verleihen und bleibt wichtiger nachwachsender Roh- stoff für unser zunehmend ökologisches und nachhaltiges Möbel. Dabei schienen die auf der Messe gezeigten Hölzer nicht mehr ganz so rustikal zu sein wie in den letzten Jahren, sondern insgesamt dezenter und glaubwürdiger bei bleibender Natürlichkeit. Neben der vielseitigen Eiche und dem bekannten Nussbaum war in diesem Jahr in Mailand sehr viel Esche zu sehen, sowohl im Naturfarbton als auch als dunkles Thermoholz. Daneben gab es Nadelhölzer wie Fichte, Pinie, Lärche, auch in vergrauten oder geweißten Varianten. Dabei soll das Holz oftmals natürlich matt aussehen und wird entsprechend geölt und gewachst. Auch beim Holz gibt es neue Designkombinationen im „Multi-Wood“- Stil, also Möbelstücke, bestehend aus mehreren Holzarten und -farben. Die Formensprache ist vor allem eines: schräg! Insbesondere Regale spielen mit Winkeln und Schieflagen. Manchmal scheint das Möbel optisch zu kippen und spielt so mit den Gefühlen des Betrachters. Das Ende des Purismus ist eingeläutet und niemand möchte mehr ein cleanes Möbel ohne Emotion. Das zeigte sich in vielen neuen und liebevollen Details, die man erst auf dem zweiten Blick sieht. Auch die vielen Dekorationen auf und an den Ausstellungsstücken waren wirklich aller Achtung wert. Die gezeigten Möbel bekamen durch diese wertvollen, oftmals alten oder alt-anmutenden Dekorationsgegenstände eine Story und somit eine zusätzliche, emotionale Ausstrahlung. Eine neue Üppigkeit zeigt sich mit einer großzügigen Stoffauswahl im Schlafraum, die im Mix ebenfalls mit Gegensätzen spielt. Da liegen transparente Textilien neben groben Leinenstoffen, 3D-Gewebe ergänzen metallisch anmutende Laken und Kissen. Auch neue Technologien, wie der Lasercut oder der Digitaldruck zeigen einzigartige Variationen der Materialvielfalt. Eine weitere Symphonie bildeten die Materialstärken, die mit Dick und Dünn, aber am Liebsten nur mit Dünn spielten. Glas kommt bei diesem Spiel mit Schwere und Leichtigkeit zu neuen Einsätzen in seiner klaren Form. Es gab viele Möbel, bei denen die vertikalen Lasten durch Glas getragen wurden oder nur durch sehr filigrane Metallgestelle und die damit eine wunderbare optische Spannung erzeugten. So waren z.B. Sideboards ausgestellt, die auf einem beleuchteten Glassockel standen und somit zu schweben schienen oder dünne Metallfüßchen unter schweren Möbeln, die das Gewicht nur durch eine konstruktiv geschickte Tragwerkskonstruktion aufnehmen konnten. Dabei waren die Metalle hin und wieder auch farbig oder weiß lackiert. Design & Produkt 3 Echt schräg! Emotionales Design löst Purismus ab 5 | „Airberg“, inspiriert von Eisbergen, heißt dieses unkonventionelle Sitzmöbeldesign von Jean-Marie Maussaud. Foto: Offecct 6 6 | Die Oberfläche dieses Beistelltisches aus dem Hause Presotto ist 3D-geprägt und farblich durch Wischtechnik mit Patina versehen. Foto: De Louw 7 | „Psycho Furniture“ heißen diese Möbel junger Nachwuchsdesigner aus Aachen. Die „depressive lamp“ lässt den Kopf hängen und der „hyperactive chair“ scheint eine bewegte Sitzfläche zu haben. Foto: PYG/Sülzkotelett 7 3D-gefräste oder geprägte Möbeloberflächen sprechen gleich mehrere Sinne an und zeigen die oft grafischen Motive und Strukturen mit Unterstützung von Licht und Schatten. Dabei gab es in Italien 2013 auch über mehrere Möbeltüren gefräste Motive zu sehen, z.B. auf großen Schlafraumfronten. Das Thema der 3D-Haptik und -Optik ist allgegenwärtig. Egal ob Holz, Keramik, Stoff, Metall, Beton oder Kunststoff. Überall spielen 3D-Strukturen mit dem Licht und der Haptik des Benutzers. Bei den Polstermöbeln ist es ähnlich: Es gilt die Komposition der Materialien und Farben. Die Kissen sind bunt und fröhlich. Die Musterstoffe sind oft grafisch, floral, historisch verspielt oder einfach klassisch, wie z.B. „Pepita“ oder „Hahnentritt“, was häufig zu sehen war. Oftmals werden die Nähte an Sofas und Kissen akzentuiert mit Kreuzstichen oder farblich hervorgeho- benen Nähten, manchmal als Keder. Dabei sind die Sessel und Sofas kuschelig und weich gepolstert, auch Asymmetrie spielt hier seine Raffinesse am Möbel gerne aus. Und diese großräumigen und raumgreifenden Sitzlandschaften zeigen mehr und mehr das Verschmelzen von Wohnen und Arbeiten und damit deutliche Veränderungen in ihrer Nutzung. Mit unserem Laptop oder dem Tablett arbeiten wir schon längst nicht mehr nur im Büro. Im Gegenzug dazu ist auf der Arbeit ebenfalls das „Lümmeln“ auf dem Polstermöbel zur Besprechung gesellschaftsfähig geworden. Diese Veränderung unserer Gewohnheiten ist an den neuen Möbeln schon jetzt abzulesen. Bequeme Polster zum Ruhen haben zusätzlich akustisch schützende, hohe Abtrennungen sowie Steckdosen, die uns eine ruhige Kurzzeit-Arbeitsecke bieten – egal, ob im Büro oder zu Hause. Wenn wir uns die Beschläge und damit die Bewegung der Möbel der Zukunft anschauen, so ist die Schiebetür das Element unserer Wahl. Sogar Küchen werden geöffnet durch großflächige Elemente, die nach der Nutzung einfach wieder geschlossen werden können und moderne Regale mit horizontaler Linienführung bekommen Schiebeelemente, die die Optik und Nutzung des Möbels variabel machen. Nicht nur junge Nachwuchsdesigner zeigten auf der Messe in Mailand in diesem Jahr unkonventionelle Materialien und arbeiteten mit einfachen Holzwerkstoffen. Dabei werden Grobspanplatten (OSB) oder Multiplexplatten zu echten Designermöbeln. Die Verwendung dieser Plattenmaterialien ist in der Regel ein politisches Statement: Sie drücken den Wunsch der jungen Generation nach Reduktion und Einfachheit einerseits aus, aber fordern auch auf zum bewussten Umgang mit Rohstoffen und deren Konsum. Zudem zeigen die Trendsetter zunehmend Möbel ohne oder mit nur sehr einfachen Beschlägen und Verbindungselementen. Auch dieser Trend ist inspiriert von dem Bedürfnis nach Einfachheit, der Nähe zur Natur und der soliden Basis des Handwerks in unruhigen Zeiten. Es wird also an vielen neuen Möbeldesigns flexibel gesteckt und geklappt, ohne Werkzeug. Flexibilität und Mobilität ist wichtig, sowohl in der Nutzung des Möbels, als auch bei der Position im Raum. Die neuen multifunktionalen Möbel sind schnell und werkzeuglos zu montieren und zu demontieren und haben zukünftig keinen festen Platz mehr im Raum. Diese Variabilität macht das Möbel der Zukunft zu unserem lebenslangen Begleiter: klein, flexibel, wertig und einzigartig. Katrin de Louw/neelsen.com MÖBELMARKT 05 / 2013 Design & Produkt 5