Folge 6
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18 SERIE: DER VATIKAN – FOLGE 6 Nr. 32 || 9. 8. 2015 Der Sonntag Ein Hort des Wissens VAT I K A N KOMPAKT TEIL 6 EINE SERIE VON FRANZ HASENHÜTL D as bis heute bestehende Amt des Archivars und Bibliothekars der Heiligen Römischen Kirche weist auf die enge Verbindung von Vatikanischer Bibliothek und den päpstlichen Archiven hin. Die Ursprünge dieser Einrichtungen lassen sich bis ins 4. Jahrhundert zurückverfolgen. Erste Sammlungen von wichtigen Schriften, Urkunden und Dokumenten standen etwa schon im 6. Jahrhundert Gelehrten zur Verfügung. Die Bibliothek – Arsenal des Wissens Den Grundstock für den heutigen Bestand der Vatikanischen Apostolischen Bibliothek bildet die Sammlung von Papst Nikolaus V. (1447–1455). Als Humanist strebte er danach, den bereits vorhandenen Schriften die Texte aller bedeutenden Schriftsteller der Antike hinzuzufügen. Er schickte eigens Gelehrte in die ganze Welt aus, um Bücher aus anderen Sammlungen abzuschreiben oder Unbekanntes zu erwerben. Auch Sixtus IV. (1471–1484) sah die Bibliothek als Instrument „zur Förderung des katholischen Glaubens, zum Nutzen der Wissenschaft und Glanz des Römischen Papstes“. Nachdem Schenkungen und die Erfindung des Buchdrucks zu einem rasanten Anwachsen ▶ Am 16 . August lesen Sie: Der Vatikan und die Schweizergarde. Salone Sistino. Der ursprüngliche Lesesaal. Die Vatikanische Bibliothek stand immer schon Wissenschaftlern zur Verfügung, seit 1881 auch das Geheimarchiv. Allerdings gibt es – wie auch in anderen Archiven üblich – eine Sperrfrist für Dokumente der jüngeren Vergangenheit. der Bestände geführt hatten, gab Sixtus V. (1585–1590) ein neues Gebäude in Auftrag. Napoleon allerdings versetzte der Bibliothek einen Rückschlag. Ende des 18. Jahrhunderts kamen wertvolle Schriften als Kriegsbeute nach Paris. Nicht alles landete wieder in Rom, vieles war als Altpapier verkauft worden. Auch sonst verschwanden immer wieder einzelne Werke. Mittlerweile ist jedoch jedes Buch mit einem Mikrochip gesichert. Auch vor den Handschriften macht die moderne Technik nicht Halt. Seit 2013 sind die ersten in digitalisierter Form im Internet abrufbar. Das Geheimarchiv – gar nicht so geheim Archivbestände, die aus der Bibliothek herausgelöst wurden, und Unterlagen aus mehreren anderen Archiven bilden seit 1612 das „Geheimarchiv“. Die deutsche Bezeichnung ist irreführend und nährt Spekulationen. Das lateinische „Archivum Secretum“ meint nämlich lediglich einen abgetrennten (= secretum) Teil des Archivs. Als Privatarchiv der Päpste umfasst es von ihnen erlassene Gesetze und die diplomatische Korrespondenz des Vatikans. Für „nicht einmal gut erfunden“ hält der Münsteraner Kirchenhistoriker Hubert Wolf die spektakulären Ausführungen in Dan Browns Bestseller „Illuminati“ über das Archiv. Und Wolf muss es wissen: Er forscht seit Jahren in den Beständen, was bereits seit 1881 für Wissenschaftler möglich ist. Interview Fotostudio Meister Ist von Vatikanischer Bibliothek und Geheimarchiv die Rede, haben Verschwörungstheoretiker Hochsaison. Die Realität sieht allerdings weniger spektakulär aus. wmc DER VATIKAN UND SEINE BIBLIOTHEK Dr. Andreas Sohn, Univ.-Prof., Historiker und Theologe, lehrt und forscht seit 2001 an der Universität Paris XIII – Sorbonne Paris Cité (vorher auch in Rom). ▶ Unterscheidet sich die Vatikanische Bibliothek von anderen? Die Bibliothek zeichnet sich durch die Vielfalt und Bedeutung ihrer Bestände (Handschriften und Bücher) aus der ganzen Welt und allen historischen Epochen aus. ▶ Was sind die Herausforderungen? Mit umfangreichen Renovierungsund Modernisierungsarbeiten hat die Vatikanische Bibliothek dafür gesorgt, die Bestände langfristig zu sichern, die Benutzung zu erleichtern (teilweise digitalisiert) und weiterhin eine Führungsrolle unter den bedeutendsten Bibliotheken der Welt einzunehmen. ▶ Wie wird man Benutzer dieser Bibliothek? Die Benutzung wird – in Form eines Ausweises – unabhängig von jedweder Konfessions-, Religions- oder Nationalitätszugehörigkeit gewährt. Voraussetzung ist ein wissenschaftliches Anliegen. Der Sonntag 24. August 2014 9. 8. 2015 || Nr. 32 INFOGRAFIK 19 Die Vatikanische BiBliothek Cortile della Pigna. Tausende Touristen tummeln sich hier täglich. Einige Meter unter ihnen befindet sich das Geheimarchiv. Würde man alle Regale aneinanderreihen, ergäbe dies eine Strecke von 85 Kilometern (Bild links). Codex Vaticanus Graecus 1209. Eine der bedeutendsten Handschriften des Alten und Neuen Testaments aus dem 4. Jht. Fotos: wmc Begriffe Zahlen und Fakten Vatikanische Bibliothek Manuskripte > 80.000 Inkunabeln Autographen Karten und Stiche Lux in arcana. Zum 400-Jahr-Jubiläum 2012 brachte das Geheimarchiv „Licht in die Geheimnisse“ und machte wichtige Dokumente der Weltgeschichte in den Kapitolinischen Museen in Rom öffentlich zugänglich. Foto: Lux in arcana > 8300 > 200.000 > 70.000 Münzen und Medaillen > 300.000 Nutzer jährlich ca. 20.000 Päpstliches Geheimarchiv – besondere Schriftstücke Briefe von Michelangelo an die jeweiligen Päpste (16. Jh.) Manuskript: Handschrift, von lat. manus (Hand) und scribere (schreiben) Inkunabel: Druck aus der Zeit, als der Buchdruck „noch in den Windeln lag“, von lat. incunabula (Windel, Wiege) Autograph: eigenhändige Niederschrift des Verfassers, von griech. autos (selbst) und graphein (schreiben) Briefe von Kaiserin Elisabeth von Österreich (19. Jh.) Briefe der Bernadette von Lourdes an Pius IX. (19. Jh.) Bannbulle gegen Martin Luther (1521) Brief eines Lords mit der Bitte um Annullierung der Ehe Heinrichs VIII. (16. Jh.) Bulle von Gregor XIII. zur Einführung des Gregorianischen Kalenders (1582) Brief Maria Stuarts an den Papst (1586) Prozessakten aus den Prozessen gegen die Templer (14. Jh.) Prozessakten aus den Prozessen gegen Giordano Bruno (16. Jh.) Prozessakten aus den Prozessen gegen Galileo Galilei (17. Jh.) Sixtus IV. ernennt Bartolomeo Platina 1475 zum Präfekten der Vatikanischen Bibliothek. Das Fresko von Melozzo da Forli entstand im späten 15. Jht. Foto: wmc Gratulation zur Papstwahl an Pius XII. durch den japanischen Kaiser Hirohito (1939) Einberufung des II. Vatikanischen Konzils durch Johannes XXIII. (1961) Alfons Maria Stickler. Der niederösterreichische Kardinal Alfons Maria Stickler (191 0–2007) war von 1983 bis 1988 Bibliothekar und Archivar der Heiligen Römischen Kirche. Foto: araldicavaticana