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Jahrestage  400 Jahre Vatikanisches Geheimarchiv
Der Saal der musizierenden Engel im "Piano Nobile" des Vatikanischen Geheimarchivs.
Die Kirche und ihr
Hang zur Bewahrung
des Gedächtnisses
Interview mit Kardinal-Bibliothekar
Raffaele Farina: Warum die Kirche
schon immer das Bedürfnis verspürt hat,
die Akten und Dokumente ihres Wirkens
systematisch aufzubewahren.
Auf diesen Seiten, Exponate
der Ausstellung Lux in arcana,
Kapitolinische Museen, Rom
(bis 9. September 2012).
von Roberto Rotondo
er transitus Domini, der
“Durchgang des Herr n
durch die Welt”, der die Kirche gemäß diesem von Paul VI. geprägten Begriff mit der Tradition
und ihren Ursprüngen verbindet, ist
der wichtigste, aber auch am wenigsten betonte Aspekt des Vatikanischen Geheimarchivs. Weitaus
D
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berühmter ist das Zentralarchiv des
Heiligen Stuhls wegen seiner Dimensionen: geschaffen vor 400
Jahren von Papst Paul V. an dem
Sitz, wo es sich noch heute befindet
und den man über den BelvedereHof erreicht, sind in seinen stolzen
85 Regalkilometern 12 Jahrhunderte Geschichte gesammelt. Es ist
eines der wichtigsten und berühmtesten Zentren geschichtlicher Forschung der Welt. Sein Bestand
beläuft sich auf Millionen von Dokumenten – viele davon von unschätzbarem historischen Wert –, und ist
natürlich in ständigem Wachstum
begriffen. Um zu verstehen, wozu
das Archiv der Päpste dient und wie
Lux in arcana
Ab dem 4. Jahrhundert konnte
hunderte aufzubewahes aufgebaut ist, haben
ren. Der Grund dafür war das Archiv der Kirche von Rom eiwir Kardinal Raffaele Faeinmal das Erfordernis, nen wahren Reichtum anhäufen an
rina, Archivar des Vatikadas Gedächtnis der ent- Dokumenten, Kodexen, Provinznischen Geheimarchivs
stehenden Kirche nach büchern, Eidesformeln, Urkunden
und Bibliothekar der Heiden Verfolgungen wei- zu Kirchenweihen oder Abtei-Grünligen Römischen Kirche,
terzugeben. Es hatte dungen, Papyri über den päpstlieinige Fragen gestellt.
aber auch eine „verwal- chen Briefwechsel mit den Kaisern,
Der Kardinal-Bibliothetungstechnische“ Ursa- zuerst des Morgen- und dann des
kar ist eine Art Patron
che, denn natürlich hatte Abendlandes, sowie andere pastoder Vatikanischen Apo- Kardinal
die Kirche von Rom den rale und administrative Schriften –
stolischen Bibliothek und Raffaele Farina.
Wunsch, die für Christus beispielsweise den Liber diurnus
des Geheimarchivs; die
Leitung dagegen obliegt zwei Prä- gestorbenen Glaubenszeugen (ihren Romanorum Pontificum, eine anfekten. Kardinal Farina, Salesianer, wertvollsten Glaubensschatz!), das tike Brief- und Formularsammlung
Historiker und Exeget, der auch als Wirken der Bischöfe und der Gläubi- für den kirchlichen Kanzlei- und Verwaltungsgebrauch, die auf Ende ¬
Präfekt der Vatikanischen Apostoli- gen in der Ewigen Stadt zu kennen.
schen Bibliothek Erfahrungen sammeln konnte, empfängt uns in seiVorderansicht des goldenen Siegels von Papst Klemens VII.
nem Arbeitszimmer. Bevor unser eigentliches Interview beginnt, ist es
ihm ein Anliegen, die besondere Beziehung herauszustellen, die Papst
Benedikt XVI. zur Bibliothek und
zum Archiv hat: als er 2007 in die
Bibliothek kam, erzählte er, Johannes Paul II. mehrfach um seine Ernennung zum Kardinal-Bibliothekar
gebeten zu haben, als er noch Präfekt der Kongregation für die Glaubenslehre war; ja, dass er eine Zeitlang sogar überzeugt davon gewesen sei, dass das seine Zukunft wäre.
Doch dann kam bekanntlich alles
Die Ausstellung in den Kapitolinischen Museen
anders, und in die Bibliothek ist er
erst wieder gekommen, als er schon
Papst war...
ie Abschwörungsurkunde Galileo Galileis und die Urkunde der AbEminenz, das Geheimarchiv
ist 400 Jahre alt, die Dokumente in seinem Besitz sind noch
viel älter. Woher dieses Bedürfnis der Kirche, Akten und Dokumente über ihre Aktivität systematisch aufzubewahren?
RAFFAELE FARINA: Schon seit
den Anfängen der Kirche von Rom
pflegten die Päpste – wie uns auch
der Liber Pontificalis berichtet – in
ihrem jeweiligen “scrinium” (Archiv)
die Gesta martyrum [lateinische
Sammlung von Erzählungen zu den
Taten der Märtyrer, Anm.d.Red.]
die liturgischen Kodexe, die Urkunden von Bischofsweihen und Schenkungen für den Bischof von Rom
und die Christen der ersten Jahr-
D
setzung von Kaiser Friedrich II. Die Regel des Franz von Assisi und
die Heiligsprechungsbulle von Franz Xaver; ein Brief von Erasmus von
Rotterdam und einer von Michelangelo Buonarroti: mehr als eine Ausstellung ist Lux in arcana ein Eintauchen in die Quellen der Geschichte.
Hundert Originaldokumente aus dem Vatikanischen Geheimarchiv –
Kodexe und Pergamente, Aktenbündel, Register und Handschriften –
werden zum ersten Mal rund sieben Monate lang, von März bis September 2012, in den Kapitolinischen Museen in Rom öffentlich ausgestellt.
Die Ausstellung zum 400. Jahrestag der Gründung des Vatikanischen Geheimarchivs will nicht nur erklären, wie das Archiv der Päpste funktioniert, sondern auch “das Unsichtbare sichtbar machen” –
und der Öffentlichkeit einige dokumentarische Raritäten vorstellen.
Ausgestellt werden auch Dokumente aus der Epoche, die den Gelehrten noch nicht zugänglich gemacht worden ist: das Pontifikat von Pius
XII. Zu sehen sind u.a. ein Bericht des Nazi-Massakers in den Fosse
Ardeatine, eine Liste der Namen nach Dachau deportierter Priester
und ein Bericht der Bombardierung des römischen Stadtviertels “San
Lorenzo fuori le Mura”.
R.R.
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Jahrestage  400 Jahre Vatikanisches Geheimarchiv
Das Vatikanische Geheimarchiv
W
enn man vom Vatikanischen Geheimarchiv spricht,
meint man das um 1610 von Paul V. gegründete Archiv des Heiligen Stuhls, das sich noch heute im Belvederehof befindet, obwohl es natürlich inzwischen stark angewachsen ist. Aber die Geschichte des Archivs der Päpste von Rom ist noch viel älter, hat sie doch mit dem Ursprung, dem Wesen, dem Wirken und der Entwicklung
der Kirche zu tun.
Der dokumentarische Reichtum in den großen Magazinen deckt eine Zeitspanne von ca. 12 Jahrhunderten ab
(8. bis 20. Jahrhundert). Das aus mehr als 600 Archivfonds bestehende Archiv umfasst 85 Regalkilometer, die
im “Bunker” untergebracht sind: einem Raum auf zwei
Etagen unterhalb des “Cortile della Pigna” der Vatikanischen Museen. Seit Papst Leo XIII. den Gelehrten 1881
die Pforten des Vatikanischen Geheimarchivs öffnete, ist
es zu einem der wichtigsten und berühmtesten Forschungszentren der Welt avanciert. Als Lektüre zur Vertiefung seiner Geschichte und Entwicklung empfehlen
wir: Archivio Segreto Vaticano (Herausgeber: Msgr. Sergio Pagano, Verlag Gangemi, 2000). Darin wird nicht nur
die lange Entstehungsgeschichte des Archivs beschrieben, sondern auch der Ursprung der hier zusammengeführten Archive, seine bewegte Vergangenheit und die
Verlegung an die verschiedenen Standorte (beispielsweise die zeitweilige Unterbringung in der Engelsburg, die
Zwangsverlegung auf Befehl Napoleons und die nachfolgende Rückkehr nach Rom).
Hunderte von Historikern der ganzen Welt bitten darum, das Archiv konsultieren zu dürfen. Aber es besitzt
auch eine journalistische Aktualität, wie der berühmte Va-
8. /Anfang 9. Jahrhundert zurückgeht.
Der Grund war also nicht allein eine Notwendigkeit, die mit
den Funktionen des Papsttums,
vor allem mit der Ausübung der
zeitlichen Macht zu tun hatte...
Am Anfang stand nicht die zeitliche Macht des Papstes – die begann
erst mit Papst Hadrian (772-795) –,
sondern die pastorale, administrative Sorge der Bewahrung des Gedächtnisses. Mit der Entstehung des
Kirchenstaats kam dann noch die
Sorge dazu, das dem Papst unterstellte Patrimonium Petri verwalten
zu müssen. Die Hauptsorge der Kirche ist jedoch wie gesagt das fast
schon instinktive Bedürfnis, das, was
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Das Magazin des Geheimarchivs.
tikanist Benny Lai verriet, als er vor ein paar Jahren
schrieb, dass man durch das Archiv die Strukturen und die
Arbeitsweise der vatikanischen Ämter besser verstehen
lernen könne. So gehe beispielsweise aus der diplomatischen Korrespondenz zwischen Staatssekretariat und
Apostolischen Nuntien hervor, dass sich die Denk- und Arbeitsweise im Laufe der Jahre nicht grundlegend verändert hat. Die Konsultation der Archivdokumente dient
nicht nur der Klärung – kleiner oder großer – geschichtlicher Probleme, sondern erlaubt es auch, die Entstehungsphasen der westlichen Zivilisation und die Frage
der Beziehung zwischen Kirche und Staat unter verschiedenen Aspekten zu studieren. Und dabei gehen aus den
alten Akten, die für viele mehr sind als nur toter Buchstabe, nicht selten Wechselfälle des menschlichen Lebens
hervor, denen die Zeit nichts von ihrer Aktualität nehmen
konnte.
R.R.
sie mit ihren Ursprüngen verbindet,
zu bewahren und zu pflegen. Auch
Handschriften wurden in der Antike
als eine Art Reliquie betrachtet.
Das Archiv hat eine bewegte
Geschichte hinter sich, bevor es
an seinen jetzigen Sitz verlegt
wurde. War die Einrichtung eines Zentralarchivs im 17. Jahrhundert auch auf die Erfordernisse der neu entstandenen Archivwissenschaft zurückzuführen?
Dabei haben wohl verschiedene
Gründe eine Rolle gespielt. Bestehen bleibt jedoch der Umstand,
dass die Päpste des 16. und 17.
Jahrhunderts mehrfach versucht
haben, die Dokumente des Heiligen
Stuhls an einem einzigen, gut bewachten Ort unterzubringen: das
hat nicht nur Paul IV. (1555-1559)
getan, sondern auch der hl. Pius V.
(1566-1572), Sixtus V. (15851590) und Klemens VIII. (15921605). Aus verschiedenen Gründen sind jedoch alle diese Versuche
gescheitert. Gelungen ist es erst
Paul V. Borghese. Anfang 1612
ließ er mehrere Einzelsammlungen
aus dem Apostolischen Palast und
dem alten Engelsburgarchiv in den
Gemächern zusammenführen, die
an den Sixtinischen Saal der Vatikanischen Bibliothek angrenzen und
die bis zum damaligen Zeitpunkt
vom Kardinalnepoten bewohnt
worden waren.
Lux in arcana
Links, eine Seite der Akten des Prozesses
gegen Galileo Galilei mit dessen
Unterschrift; unten, Pergament
des Briefes, den Kalif Abu Hasfs ‘Umar
al-Murtada an Innozenz IV. geschrieben
hat: darin bat der marokkanische
Herrscher den Papst, dass der neue,
nach Marokko entsandte Bischof ein
Mann von klarem Geist sei und darum
bemüht, jedes Übel abzuwenden.
Das Archiv wurde auch als
“Ozean” definiert – aber gibt es
vielleicht nicht doch einen Sektor, der wichtiger ist als die anderen?
Alle Archivakten sind gleichwertig. Sie gehören alle zu einem unicum, das die Bestände miteinander
verbindet, sie zusammenhält. Einem dieser Werke mehr Bedeutung
beizumessen und ein anderes abzuwerten würde bedeuten, dass man
es entweder behalten oder aussortieren müsste. Und so verfährt man
in Archiven nicht. Alle Schriften
sind wichtig, alle haben ihren
Grund, der sie letztendlich alle miteinander verbindet. Das soll aber
nicht heißen, dass manche berühmte geschichtliche Dokumente die
Phantasie oder das Interesse der Historiker nicht mehr anregen könnten als andere.
Welche Rolle spielt das Vatikanische Geheimarchiv heute für die Kir che und den
Papst? Welche Bedeutung hat
es?
Im Vatikanischen Geheimarchiv
sind die Akten der römischen Päpste
und ihrer Kurie nahezu lückenlos
aufbewahrt, vom 11. Jahrhundert
bis heute. Daher seine unleugbar
große Bedeutung. Die Rolle des Archivs ist zunächst einmal “administrativer” Art, dient es dem Papst
und den Ämtern der Römischen Kurie doch für das Studium von Präzedenzfällen bei heiklen Fragen und Situationen. In diesem Sinne kommt
das Archiv hauptsächlich und vor allem dem Papst und dem Staatssekretariat zugute. Seine Rolle ist aber
auch die der Bewahrung des Gedächtnisses des Heiligen Stuhls. Das
Archiv erhält in regelmäßigen Abständen „Zuwachs“ aus den Archiven der Ämter der Römischen Kurie
(mit einigen Ausnahmen) und aus
dem Dokumentationsmaterial der
verschiedenen Päpstlichen Vertretungen auf der ganzen Welt.
Glauben Sie nicht, dass das
Archiv, unter einem journalistischen Aspekt, gerade wegen
seiner Aktualität einen guten
Einblick in die Strukturen und
die Arbeitsweise der vatikanischen Ämter erlaubt? Schließlich wirft die diplomatische Korrespondenz zwischen dem
Staatssekretariat und den Apostolische Nuntien – unabhängig
von den behandelten Themen –
Licht auf eine Art zu denken und
zu handeln, die sich mit den
Jahren – und den Pontifikaten –
nicht wirklich verändert hat…
Ja, aber es gibt noch einen anderen Aspekt, der sehr genau studiert
wurde: die Kirche trägt seit dem Ende der Verfolgungen den Stempel
der von Diokletian und Konstantin
gewollten Staatsreform, und das gilt
sowohl für die geographische Aufteilung in Diözesen, als auch für die
“Übernahme” der kaiserlichen
Kanzleien. Manchmal übersehen die
Historiker, dass die Kanzleien ihre eigene Politik verfolgten und in man-
chen Bereichen auch ein gewisses
Entscheidungsrecht hatten. Um die
Verhaltensweisen der Päpste der
Vergangenheit zu verstehen, muss
man also auch das Staatssekretariat,
die Kurie, in Betracht ziehen.
Wie viele Beschäftigte hat
das Archiv?
Die ordentliche Leitung des Archivs vertraut der Papst seinem Präfekten an, dem wiederum ein Vizepräfekt zur Seite steht, ein Generalsekretär, Archivare, Skriptoren,
Hilfspersonal und Angestellte auf
verschiedenen Ebenen: insgesamt
54 Personen. Eine geringe Zahl, verglichen mit dem Personal ähnlicher
anderer Staatsarchive. Wir hoffen,
dass das Personal, im Rahmen des
für die Bilanz des Heiligen Stuhls
Möglichen, noch aufgestockt werden kann. Der Heilige Stuhl stellt allerdings für das Vatikanische Geheimarchiv, das Gelehrte aus der ¬
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Jahrestage  400 Jahre Vatikanisches Geheimarchiv
Die Kanonisierungsbulle Franz Xavers .
ganzen Welt unentgeltlich konsultieren können, ohnehin schon eine
große Summe bereit.
Wie wichtig ist das Archiv für
die Gelehrten heute? Für welche
Geschichtsepochen interessiert
man sich am meisten?
Die Bedeutung des Vatikanischen Geheimarchivs für seriöse
geschichtliche Studien ist offensichtlich. Kein ernstzunehmender
Historiker aus Europa oder anderen Orten der Welt, an denen die
katholische Kirche präsent war,
kann das Vatikanische Geheimarchiv ignorieren. Jedes Jahr kommen mehr als 2000 Forscher aus
der ganzen Welt zu uns. Welche
Epochen am meisten studiert werden, hängt von dem historiographischen Interessen der jeweiligen Zeit
ab: bis Mitte des 20. Jahrhunderts
interessierte man sich zweifelsohne
am meisten für das Mittelalter und
die Neuzeit; seit Mitte des 20. Jahrhunderts, und mehr noch in den
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letzten Jahrzehnten, interessiert
man sich auch sehr für unsere Epoche, für die Zeit bis zum Tod von
Pius XI. (Februar 1939).
Welche Päpste der Neuzeit
haben sich am meisten für das
Geheimarchiv interessiert?
Soviel ich weiß, wurde das Geheimarchiv vor allem von Pius XI., Pius
XII., dem seligen Johannes XXIII.
(der es mehrfach besucht hat) und
Paul VI. als Quelle für ihr Lehramt
oder ihre ordentliche Regierung
benützt. Und das gilt auch für unseren jetzigen Papst Benedikt XVI.
Das Vatikanische Geheimarchiv ist eines der am leichtesten
zugänglichen Archive der Welt –
und doch steht es in dem ungerechtfertigten Ruf, dass es dunkle Geheimnisse birgt, die Kirche hier „unbequeme“ Dokumente versteckt. Woher kommt
dieses Vorurteil, das in der Forderung gipfelt, der Öffentlichkeit immer wieder neue Archivbereiche und –bestände zugänglich zu machen?
Diese Frage ist mir schon oft gestellt worden, aber nur von Personen, die sich nicht mit geschichtlicher Forschung befassen oder keine
wirkliche Kenntnis des Archivs besitzen. Die Mähr von geheimen dunklen Machenschaften, die dort ausgeheckt werden, ist auf seinen Namen
zurückzuführen: Vatikanisches Geheimarchiv. In Wahrheit bedeutet
dieses “Geheim” aber einfach nur
“Privat”-Archiv (wie im Falle des
“Geheimarchivs” der Familien Este,
Gonzaga, Sforza usw.) – in den Köpfen einiger phantasievoller Leute und
Romanciers ist daraus dann aber etwas “Mysteriöses”, Geheimnisumwittertes geworden. Dabei ist kein
Archiv der Welt “offener” als das Vatikanische Geheimarchiv, das den
Forschern seit mehr als einem Jahrhundert seine 630 Bestände zur Verfügung stellt!
Welche Projekte stehen in
den nächsten Jahren an – außer
dem des Zugänglichmachens
der Dokumente zum Pontifikat
von Pius XII.?
Projekte gibt es viele, aber die zur
Verfügung stehenden finanziellen
Mittel für deren Umsetzung sind leider recht bescheiden, zumindest im
Moment. In den vergangenen Jahrzehnten konnten unter der Leitung
des Präfekten Msgr. Sergio Pagano
drei neue Lesesäle und drei neue Labors eingerichtet werden; wir sind
zur Digitalfotografie übergangen, zur
Computerisierung der Verwaltungsprozeduren, der Bestand der Schriftenreihen und der Bände des Archivs
ist stark angewachsen. Abgesehen
davon würden wir in Zukunft auch
gern zur Computerisierung der Benutzeranfragen schreiten und die
mehr als 2000 Archivindexe und -inventare digitalisieren. Und vielleicht
noch vieles anderes, so Gott will.
Aber um wieder auf Ihre Frage
zurückzukommen: die Dokumente
zum Pontifikat von Pius XII. werden
sehr wahrscheinlich in knapp 2 Jahren einsehbar sein.
Können die Dokumente des
Archivs und der Vatikanischen
Apostolischen Bibliothek der
Kirche auch bei der Lösung ihrer
heutigen Probleme helfen?
Diese Frage betrifft sowohl die
Theologie als auch die Geschichte.
Zur Zeit des Zweiten Vatikanischen
Konzils z.B. war die Konsultation antiker Texte aus der Bibliothek für die
Vertiefung des Themas der Liturgiereform überaus wichtig. Es wird auch
mit dem Mythos aufgeräumt, das
Mittealter sei ein dunkles Zeitalter gewesen: in Wahrheit war es unter dem
Aspekt der Liturgie und der Volksfrömmigkeit eine überaus reiche
Epoche! Allgemein gesprochen denke ich, dass das Wiederentdecken
der Tradition im Laufe der Jahrhunderte die Kirche wachsen lässt. Das
ist in unserem eigenen Leben ja nicht
sehr viel anders: was wir Gutes getan
haben, wird nicht ausgelöscht. Und
das gilt auch für die Kirche. Erneuerung bedeutet auch, dass man
zurückblickt und die Kirche vergangener Tage als Reform-Modell betrachtet, die Kirche als Leib Christi
ohne Makel und ohne Falten. Bewahrung ist auch Bereicherung. q