Bretagne-Tagebuch

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Bretagne-Tagebuch
Bretagne-Tagebuch
August 2003
Samstag, 2. August 3
Ein langer, weiter Tag! Nachdem wir schon am Vo rabend mit dem gewohnt hohen Aufwand an (Nerven)Kraft den Kombi befüllt hatten, und dann doch
noch bis elf (Gisela) oder zwölf (Fritz) zu tun hatten,
konnte es im Morgengrauen unterm Sternenhimmel
um 4.20 (km 14.518) Uhr losgehen, aus Bonn, der
Friedrichstraße.
Fritz fuhr, Kölner Ring, Aachen, Gisela und Carla
schliefen. Für Ferienbeginn eigentlich wenig Ve rkehr. Sonnenaufgang in Belgien vor Mons um 7.15
Uhr (km 14.713).
In Frankreich (7.15 Uhr km 14.795) muss man
vom Weg nach Paris von der A1 (Calais –Paris) auf
die A29 Richtung Amiens verlassen und schlägt sich
dann im Norden über Rouen oder Le Havre nach
Caen erst in die Normandie und weiter über Avranches (mit kurzem, fernen Blick auf das burgartige
Mont-St-Michelle) durch, dann knapp südlich St.
Malo vorbei in die Bretagne. Dann hinter St. Brieuc
über Guingamp nach Lannion, Genaueres siehe
www.viaMichelin.com.
Noch in Belgien meldete sich das ansonsten wohlgepflegte Auto mit Ölhunger. Ob das von einem
Loch in der Ölwanne kommt? Fritz war über was
drübergefahren. Also reduzierte Fahrt bis zum nächsten Parkplatz, dort ein beruhigend gutes Ölminimum
ausgelotet, und dann bei der nächsten Tanke einen
Liter Mehrbereichsöl nachgefüllt – außer Zeit wenig
Verlust.
Und richtig waren Meyers, mit denen wir das Ferienhaus teilen, vor uns, zum Ärger Giselas. Wozu
sind wir dann extra früher gestartet! Sie riefen an –
mobil machts mö glich – und dann gab es um halb
zehn ein französisches Frühstück im Hotel Cardinal** in Poix-de-Picardie (km 14.960), 6 Euro die
Person. Jann (11) langte gleich gut zu, Annie (9)
servierte, Carla (1+) lief herum, die zugehörigen
Eltern Sigrid (45) und Arne (38) plus Gisela (38) und
Fritz (61) testeten Tee, denn den gabs in Beuteln.
Beim nächsten Tankstopp für uns in Plelan-Petit
(km 15.356) fuhren dann Meyers genervt davon, die
Funkerei Jann–Fritz hatte ein Ende.
Rest der Reise in sommerlicher Hitze, Ferienverkehr
mit Engländern, Iren, Holländern, Franzosen, Staus,
Engstellen, zwischendurch immer wieder Autobahn –
beeindruckend le Havre mit riesigen Hafenbrücken
zum drüberfahren!
Am Ziel in Lannion waren Meyers nur mehr wenige Minuten vor uns, sodass die weiter nördliche Edelortschaft Perroz-Guirec (PG) – das Sylt der französischen Nordküste voll blühender Hortensien alle
Farben – gemeinsam angefahren und gegen halb
sechs das Quartier in der Rue Clemonceau Nr. 16
gefunden ward (km 15.478, insgesamt 960 km).
Das Quartier1
ist eine schönes, großes Haus der Landlord-Sorte
mit blühendem Garten drumherum, mit netten Besitzern, Herr und Frau Messager, die wohl Winters
selbst hier wohnen und nebenan das Blumengeschäft
betreiben.
Platz für die Autos am Kieswegende, viel Platz für
uns: unten Wohnzimmer mit offenem Kamin (am
Hausende, wie hier üblich), geschmackvoll möbliert
nach alter Art, geräumige Küche mit modernem Ga sherd 2 , Elternschlafzimmer (F+G), Bad mit rosa
Versatzstücken, Klo, Eingang mit Schrank, halt
schon herrschaftlich, sogar Zentralstaubsauger! Im
ersten Stock wohnen Meyers plus Carla, die bei Annie im Einzelzimmer ihr Kinderbettchen (hochgetragen mit Arne) hat.
Oben sind zwei Doppelschlafzimmer, eins für die
Eltern M., das andere für Jann, und wieder ein Bad.
[Bilder: Haus2, Hausein, Bad, Wohnzi1,SpiegelS1]
1
Wolters-Prospekt Côtes d’ Armor: 6 Pers., 118 m²,
Kamin, 100 m bis zum Meer (na ja ...): Dieses große
Ferienhaus, das sich auf einem ca. 300 m² großen
Gartengrundstück befindet, liegt direkt im Zentrum
von Perros-Guirec (na ja ...). Von hier aus haben Sie
einen idealen Ausgangspunkt für Ausflüge an die
Rosa-Granit-Küste. Wohn-Esszimmer, Farb-TV,
Video, Radio, 2 Schlafzimmer (je 1 B), Küche, kombinierter Gas-E-Herd, Mikrowelle, Kaffeemaschine,
Geschirrspüler, Toaster, Kühlschrank, Bad mit Badewanne, 2. Bad mit Dusche, 2 separate WCs ,
Waschmaschine, Zentralheizung, Terrasse, Gartenmöbel, Grill, Garage, PKW-Stellplatz, Sandstrand
800 m, Einkauf 200 m, Restaurant 300 m, Hallenbad
7 km, Tennis 1 km, Golf, Reiten 7 km, Nebenkosten
vor Ort (€ 152 Kaution): Heizung, Kurtaxe, Strom;
+33 2 96232774; € 908 / Woche
2
nur oben die Flammen, Mod. Rosières VG 40, 4
Flammen, 500 (Ausschnitt 490) mm tief, 575 (560)
breit, 50 mm Einbautiefe. [Hof: 52–53 × 58 cm]
Jörns Bretagne-Tagebuch Oktober 2003, Seite 1 von 1en
Hortensien und Oleander
Quartier und nächster Strand [Perros-GuirrecM]
Der Einzug (eigentlich eine Tascheninvasion): Froh
und durchgeradelt wurde in Eile entpackt, geduscht,
und dann gings für Gisela und Fritz ab nach SaintMichel-en-Grèves am Meer, wo Fritz’ Studienfreund
aus Berlin, Elmar Briem, seinen Sechzigsten und
das(selbe) Paar
Gisela und Elmar
dreißig Jahre Ehe im alten Hotel de la Plage feierten (**, +33-96357443), in der Tat mit Blick aufs
Meer, erst auf die untergehende Sonne, dann den
zarten, zunehmenden Mond darüber, richtig mit ein
paar unverdrossenen Badenden. (Wir hatten dort im
Juli 1994 Ferien gemacht, s. Psion.)
Die deutsch-französische Gesellschaft war angeregt, nett, alle drei wohlgeratenen Töchter Briems,
Ann-Sophie (28), Caroline (23) und Luise (22) waren
schön in ihren kleinen Schwarzen gekommen, der
Rest fröhlich und informell. Elmar ist immer noch
der Urigste, besonders mit seinem dürftigen (nur
Gegenwart), dafür viel gebrauchten Französisch.
Nach Mitternacht waren wir wieder in PG zurück
(km 15.521), in unserem eher engen Doppelbett mit
französischer Bedeckung, und haben herrlich geschlafen, in einen strahlenden Sonntag hinein, mit
morgendlicher Kühle, glücklicher Cara und geschäftigen »Meyerinis«.
Sonntag, 3. August 3
Herrlich geschlafen, herrliche Sonne, Kühle, und
dann gemeinsames Frühstück im Ga rten. Ich muss
noch Fotos machen, weiß nur noch nicht, ob die üblichen kleinen Illustrationen mein Tagebuch hier nicht
so aufblähen, dass mit Versenden über den MDA
bzw. XDA und Mobilfunk nichts mehr geht. Hier im
Haus gibts keinen Festnetzanschluss, ich kann gerade
mal Mail über Mobilfunk machen, also dort lesen
oder mü hsam eintasten, oder über Infrarot vom
Thinkpad in den MDA und dann raus in die Welt
senden. Nur gut, dass die deutschen MDA Einstellungen hier unverändert gehen, sofern ich nur
den richtigen Roaming-Partner als Netz habe.
Dann wollten die großen Kinder unbedingt ans
Meer, Gila nicht; wir also erst zu Fuß dorthin, ich
aber kehrte um und holte das Auto, weils doch etwas
weit ist, und nachmittags in der Hitze wohl noch
weiter. Eine schöne Sandstrandbucht, kultiviert, rundrum die Häuser, steil, Blüten, Quadersteinhäuser,
schon edelst! Carla hatte ihre erste Freude am Wasser, im Sand, rennend, bauend, nackert spielend.
[Bild \0803\CarlaStrandlK.jpg]
Nachmittags setzte ich mich ab, Gisela abholen zu
Briems. Suppe. Kleiner Nachmittagsschlaf vorm
Hinfahren.
Carla schlief lange, entsprechend gehetzt war wieder
unsere Abfahrt zu Briems –
und ich fuhr noch dazu einen
anderen, längeren Weg ...
Bei Briems in Tredrez im
ehemaligen Schulhaus (bis
1933) war es wieder sehr nett,
die Gesellschaft von gestern ohne die wenigen Franzosen, und alle am Pool hinter der Scheune, ein Naturschwimmbecken mit Teils Pflanzen, Teils
Schwimmbad, ländlich-natürlich, obwohl Elmar
schon viel Ärger mit einer gerissenen Plane gabt
hatte. Gute Gespräche, Fritz wieder bei seinem Lieblingsthema elektrische Wirkungen auf Nerven, Gisela
doch mehr mit Carla beschäftigt, obwohl auch ich mit
ihr zum Boule-Platz ging, Leute gucken, und in die
Kirche, wie viele hier aus dem 15. Jahrhundert.
Der Versuch, dann noch mit in Yaudet Abend zu
essen, scheiterte dort an Carlas Müdigkeit, die sie
dann quengelig werden lässt. Also fuhren wir leicht
gestresst heim, holten uns noch den Schlüssel von
Meyers, die am Hafen aßen, und haben jetzt einen
ruhigen Abend hier. Um zehn Uhr ist es noch hell, so
weit westlich ists hier.
Montag, 4. 8. 3
Morgens ein eher trüber Tag, angenehm für die leicht sonnenverbrannten Meyers und für uns anderen
auch. Also: Morgens (fast) ruhiges
Frühstück auf der Terrasse, dann
Einkaufen. [Bild: CarlaBag1]
Die Damen machen sich im »Leclerc«-Supermarkt
vor dem Ort mit Lebensmittelbesorgen nützlich, die
Herren und Kinder wandern mitten durchs Dorf auf
der Suche nach Kordeln zum Anhängen von verlierbaren Kleinteilen wie Autoschlüsseln im Sand und
Handys in schützenden Plastikbeuten. Schon zum
Frühstück hatte es eine Debatte gegeben, ob Kordeln
wirklich nur gezopft und Schnüre nur verseilt sind.
Jörns Bretagne-Tagebuch Oktober 2003, Seite 2 von 2en
Wir finden schöne in einem Maritimwarengeschäft.
Danach wird umgesattelt, Fritz schultert die Kraxe
und Carla drin, und es geht pfadfindernd die steile
Küste hinunter zu einem Steinstrand mit herrlich
runden Graniten. Die Gegend ist ja berühmt für ihren
rosa Granit – der ganze Küstenabschnitt heißt so!
[Kueste3] Nach dem opulenten Mittagessen mit (fast)
allem Mitgebrachten zu Hause gings nach einer Mittagsruhe wieder zu unserem Sandstrand – das genaue
Gegenteil dieser sonst wilden Küste: kultiviert, mit
umsorgter Badezone, und tausend Leute. Kinder, die
immer etwas anderes wollen als sie sollen, zum Beispiel für vier Euro (die Stunde) rutschen! Des gibts
net! [CarlaErstMeer3]
Mittwoch, 6. 8. 3
Gestern, ja, das war noch ein dramatischer Tag!
Wir fuhren also im Konvoi, wild funkend (Jann an
das Vorausfahrzeug mit uns drin ...), über Lannion
nach St-Michel-en-Grève und kurz weiter die Küste
hinunter über St. Efflam an unserem 94-er Quartier3
vorbei nach Plestin de Grèves. Erst dort bogen wir
rechts zum Meer ab, zu spät (man muss gleich oben
am »Pass« am halben Weg nach Plestin-les-Grèves
auf die D42 abzweigen), und fanden unseren alten
Strand nicht mehr. Den zwei Autos mangelte die
rechte Geduld.
Links bei den kleinen, roten Punkten der »neue«,
rechts der »alte« Strand.In Trédrez wohnen Briems.
[PlestinM]
Heute war allerdings Niedrigwasser, der Strand weiter drin teils etwas steinig, und leider keine Muscheln.
Jetzt gibts, nach gehörigem Sandabduschen zu
Hause, Seeteufel und Langustinen (Krabben) zum
Abendessen.
Dienstag, 5. 8. 3
In der Nacht hats ein dickes Gewitter gegeben, viel
Donner, wenig Blitze und ganz wenig Regen. Carla
war trotzdem viel wach. Nachts laufe immer ich zu
ihr. So erlebten wir heute den Morgenstern (?) und
eine frühe Müllabfuhr, als wir uns tröstend oben aus
dem Klofenster schauten. Entsprechend lang dauerte
die allgemeine Schlaferei, bis umma Zehne! Inzwischen ists Routine: Jann und Anni gehen Baguettes
kaufen, Jann wird für sein Französisch beglückwünscht, was zu täglich mehr Baguettes und Croissants führt.
Heute wollen wir an den Jörn-Harms -historischen
Strand bei St Michelle en Greves in der Hoffnung,
Muscheln zu finden. Dabei müsste zur Zeit Hochwasser sein. Es ist wieder heiß, so 30 °, Variante schwül.
Die FAZ gibts hier übrigens immer erst einen Tag
später, sodaß (FAZ-Schreibweise) ich meine geschätzte Dienstagsnummer erst am Mittwoch bekam:
Unser kleiner, neuer Strand beim « Camping de la
Corniche » am Ende der Rue de la Pors Mellec war
dennoch schön, lauschig fast. Es mangelte ihm natürlich der Erinnerungen an vergangne Zeiten, sodass
Fritz sauer war – der mit der noch schlafenden Carla
den »richtigen« Strand am Ende der Rue de Poul
Guioch (Richtung Hotel Les Panoramas 4 ) fünf Minuten später gefunden hatte.
Die Badebucht [Bild: BuchtPan] mit dem feinen
Sandstrand wurde bei der Ebbe zusehends größer.
Jann versuchte vergeblich für Carla die Strandmuschel im Wind aufzustellen, Fritz mailte umher, in sich
gekehrt, die Damen und Arne lasen, die Kinder
schnorchelten, Carla genoß Wasser und den vielen
Sand am Po – weniger.
Gegen fünf wurde plötzlich von den Damen zum
Aufbruch geblasen (es war wirklich schon etwas
kühler geworden). Fritz wollte einen Teil der Gesellschaft zur Fußwanderung den Küstenpfad entlang
zum »alten« Strand verführen, den er zuvor barfuß
ausgekundschaftet hatte, doch vergebens. Also wurde
direkt zurückgefahren, qualmend, 22 km, ab 17.37
Uhr, an gegen sechs. Die Stimmung war dicht, wie
3
Chalkies (Bar nimmer!) Bed and Breakfast, 14
Avenue lieu de Grèves, F-22310 Plestin les Grèves,
02-96541048, Johanna (Joanne) Wright
4
** http://www.LesPanoramas.com,
+33 2 96356376, Fax +33 2 96350910
Jörns Bretagne-Tagebuch Oktober 2003, Seite 3 von 3en
sich das nach drei Tagen Reise gehört, was sich
später bis zum Abendessen im feinen Restaurant Le
Marine am Hafen in Perros-Guirec fortsetzen sollte.
Danach haben wir uns dann alle wieder »eingekriegt«, wie man so schön sagt. Die Kinder, Carla
voran, liefen nach gutem Mahl um zehn Uhr abends
noch um den Teich im Hafen herum und dann die
rund zwanzig Minuten heim (Carla im Wagen).
Objektiv und kulinarisch gings uns bestens – Muscheln, die Kinder Pommes, und erst die Nachspeisen
(brutto 120 €)! [Bild: CaEssnA]
Luftbild Ploumamac’h. Sehr empfehlenswert auch
das Vallée des Traouiéros rechts im Vordergrund
Am Nachmittag gabs wegen dem trüben Wetter eine
allgemeine Küstenwanderung zum Naturschutzgebiet
Ploumanac’h 6 [WanderkuekarM, LuftbM], Fritz mit
Carla in der Kraxe, der Rest per pedes, beginnend am
Westende der Plage de Trestrauo, dem Nachbarort
»unseres« Perros-Guirec (unterer roter Punkt). Start
ist bei der alten Hotellerie de Roserie in der Steilkurve auf halber Höhe, Parken dort schwierig. Wir
kamen etwa 1½ km weit bis fast zur Landspitze.
Heute, Mittwoch,
gabs Morgendunst und Dienstags-FAZ, allgemeine
Entspannung (wobei Gisela gewiss lieber ihre Kehrund Aufräumarbeit in der Wohnung recht gewüdigt
hätte). Balkontemperaturen hier bis jetzt: 15—37 °C,
jetzt bei 17°. – Kurzer, aktueller Einschub: »Fritzlein,
kannst du mir mal helfen!«: Gisela ist wieder einmal
einhändig 5 beim Ga rtensprengen und braucht gerade
etwas mehr Schlauch.
Von der jährlichen Million Besucher waren wohl ein
Gutteil mit uns dort unterwegs. Dennoch: Das Meer
mit den Segel- und Ausflugsbooten, das Ufer, teils
steil, teils steinig oder nur felsig, Blasentang bei
Niedrigwasser, dazu die großen roten Steinformationen, das ist schon einzigartig. Je weiter man an die
Landspitze kommt, desto uriger werden die Felsformationen [WanderkuePan, Algen3]
Annie wollte mit dem Handkescher Lachse fischen,
merkte aber bald, dass die sich »verfahren« haben.
Jann erklomm alle Felsen, und Carla
verfing sich promt in einer
Felsspalte.
Gegen sechs waren wir wieder zu
Hause. Der Kälte (17°) halber wird
drin gegessen, in der Küche, Lasagne – ich muss weg, bekomme eh
schon vorgeworfen, ich täte nichts,
wenn ich hier am Tagebuch und an der ebenso täglich
fortgeschriebenen Diashow arbeite (na ja, bastle)!
Donnerstag, 7. 8. 3
Mittw. 6. 8. rote Punkte, Do. 7. 8. blaue,
Feldmesse zu Maria Himmelfahrt beim dunkelroten
Stern in la Clarté
Wieder ein eher trüber, kühler Tag mit Tau am Morgen, ja nächtlich gelbem Nebel, wohl von den Straßenlampen. Carla lässt uns gelegentlich früh aufwachen; Gisela bringt sie meist zu Bett, so um zehn,
wenns geht, und wenn die Kleine dann nachts ein bis
dreimal aufwacht, dann gehe ich zu ihr und gebe ihr
vielleicht eine kleine Flasche Milch, zuweilen sogar
direkt aus dem Kühlschrank, oder Gila steht auch auf
6
5
die andere Hand an der Zigarette ...
früher Poulmanach, »Sumpf des Mönches« Namens
Guirec, der aus Wales kommend hier an Land gegangen sein soll.
Jörns Bretagne-Tagebuch Oktober 2003, Seite 4 von 4en
und wärmt schon mal die Milch für sie in der Mikrowelle auf.
In der Früh geht Jann mit seinem guten Schulfranzösisch und wechselnden Begleitern, heute allen
Kindern und Fritz, zum Bäcker, sieben Croissants
und ein bis zwei Baguettes kaufen.
Am späten Vormittag fuhren Meyers nach St.
Brieuc, »ein Schuss in den Ofen«, sagt Sigrid. »Wir
haben uns die Abtei Beauport angesehen, einem
Zwischenhalt für britische Pilger am Weg nach Santiago. Größtenteils Ruine, aber sehr schön, 11. bis 17.
Jahrh., dann säkularisiert.« Die Abtei liegt in Paimpol
an der Küste östlich »gegenüber« Lannion am halben
(Um-)Weg nach St-Brieuc. Sie kamen gegen halb
sieben wieder und aßen dann Crèpes im Restaurant
am Hafen.
Les Jörns bummelten in der Früh
durch den Ort, kleiner Milcheinkauf,
Kirchenbesuch (hinten romanisch
gedrungen, dunkel, vorn ein etwas
späterer verbreiternder Anbau, mehr
am 8.8.) mit zufälliger Orgelmusik
[KiPerros2], dann, wie sichs gehört,
Kaffeehaus mit der Lokalzeitung.
Die Geschäfte haben hier Lautsprecherreklame vor
dem Laden, gewöhnungsbedürftig.
Nach ausgiebigem Mittagsschlaf – die Länge bestimmt meist Carla, die heut recht müde war – fuhren
wir gegen halb fünf nach Ploumanac’h (sprich Plumanak), den berühmt eren Teil der Küstenwanderung
an dieser »rosa Küste« zu absolvieren (vom linken
blauen Punkt in der Landkarte, St-Guirec, bis zum
rechten), sodass wir nun die ganze Strecke, insbesonders den »Zöllnersteig« kennen. Der Herdenauftrieb
begann mit einer besonders um den Aussichtspunkt
völlig verstopften Küstenstraße D 788, die wir übrigens auf der Rückfahrt über la Clarté umfuhren.
Der Ferienort St-Guirec war völlig überfüllt, der
Blick von dort auf das berühmte Castel Menguy
(Bildmitte) [Bild Ploumanach], gebaut vom Dichter
Henry Scienkewitz? (Ben Hur), heute im Besitz von
Dieter Hallervorden, auf der vorgelagerten kleinen
Insel Costaérès schweifte heute über Niedrigwasser
und Sonnenbadende ohne Sonne, vom Dunst ganz zu
schweigen. Den Hinweg saß Carla in de Krax’n,
zurück lief sie barfuß selbst zurück, hatte ihre Freude
an Steinklettereien, möglichst als Rundlauf. Überhaupt schätzt Carla Rundläufe, sei es hier im Haus
durch die Vordertür hinaus, ums Haus herum und
durch Garten und Terrasse wieder herein, immer
wieder, sei es in Bonn in der Passage zur Sternstraße,
oder eben in der Natur um ein paar rosa Felsen herum. Dazu genoss sie ein paar Brombeeren – die meisten sind hier unreif am Stamm verdörrt. Mich erin-
nerte diese »rosa« Küste an amerikanische Naturparks.
Freitag, 8. 8. 3
Morgenstund, blassheller Himmel, der bald die Sonne
erwarten lässt. Es ist halb acht. Im Haus bis auf die
zehnsekündlichen Zündversuche, zack!, der Gasherdplatte drei und den Sekundentakt der billigen Reklameuhr der örtlichen Bank am Kaminsims noch Ruhe,
warum? Weil Gisela statt meiner romantischen Anwandlung, zur Landspitze im Norden zu wandern (die
Sonne geht hier gegen neun auf, wie am Hof in Südtirol, nur aus einem anderen Grund) – ihre zwanzigplus Mückenstiche zählt, den einen oder anderen
sinnlos bekratzt und ansonsten weiterschläft. Außerdem haben wir ein Kind, da sollte man nicht weggehen!
Ich muss nachtragen, dass wir gestern auf der Brötchentour (Baguette-Voiage) ins Rathaus eingedrungen sind, weil Carla Treppen steigen wollte, und bis
in den obersten, hohen ersten Stock kamen. Eine
freundliche, leider für unsere Verhältnisse zu viel
französisch sprechende Dame, zeigte uns den Ratssaal mit dem beeindruckenden Bürgermeistersessel
und einer Galerie örtlicher Kunstmalermeister samt
grauslicher Gipsbüste, ebenfalls einer Spende ans
hohe Haus. Würdig und schön, Sylt hat so etwas
gewiss nicht, schon gar nicht eine Angestellte, die
einem das umma halbe neune inna Früh vorführt!
Der zweite Nachtrag gilt Carla, natürlich: Die nämlich liebt ihr neues französisches Bilderbuch « Benjamin le Lutin » von Antoon Krings7 , der Wichtel
Benjamin. Der nämlich hat Angst vorm Fuchs, der
am Baumstamm herumschnüffelt, in den sich Benjamin versteckt hat.
Und gleich noch eine Korrektur: Um Punkt acht ist
die Sonne aufgegangen, steht sogar schon ein paar
(morgenkühle, taufrische, duftig-dunstige) Grad
hoch! Ich wische vier volle Vileda-Küchentücher Tau
vom Verandatisch und je eins von den Gartenstühlen.
Kein Wunder, dass hier alles so gut wächst, auch
ohne Gisela mit ihrem Gartenschlauch – der übrigens
auch hier ihre besondere Beachtung genießt, im Sinn
von: »Fritz, zieh mir mal den Schlauch ...!« und »Die
Kinder lassen einfach alles liegen ...!«, was beides
stimmt.
Technisch sei eingeschoben, dass ich hier nach einigen Einbuchungsversuchen mit dem O2-XDAOrganizer maile (der D1-MDA, dasselbe in weniger
Chrom, ging auch). Man muss das Mobilfunkgerät
nicht nur einfach ein zum Telefonieren roaminggenehmes Netz finden lassen, sondern für GPRSBetrieb das dafür richtige manuell oder zufällig eingestellt haben, für den O2-XDA ist das Itineris , für TMobiles MDA Bouygtel, wobei jeweils in der Auf-
7
ISBN 2-07-059452-1, ©Editions Gallimard Jeunesse, 1996, imprimé en Chine par Hablo Co. Ltd.,
Bild Benjamin.jpg
Jörns Bretagne-Tagebuch Oktober 2003, Seite 5 von 5en
popp-Anzeige auf das G für den GPRS-»Träger« zu
achten ist, sonst gehts auch nicht. Bucht das Gerät
nicht gleich richtig ein, so ist die manuelle Umbucherei zuweilen nicht möglich, stundenlang wird fälschlich »kein Netz« angezeigt und Versuche mit normaler Geduld fruchten nicht, nur Neustarts und noch
mehr Geduld, denn der »Radio«-Teil (Funkteil) reagiert äußerst langsam. Ein zweiter Fehler: Gelöschte
Mail wird entgegen dem Versprechen am Server
nicht gelöscht, in keiner Einstellung8 verlässlich,
sodass die Mails immer wieder, nach jedem Abruf
und Löschen im Gerät, teuer neu geholt und mühsam
wieder aus dem Gerät gelöscht werden müssen. Ich
bekomme trotz ein wenig Spam-Filter rund zwanzig
Schrottnachrichten je Nutznachricht und habe nach
dieser knappen Woche 129 Nachrichten am Server,
obwohl sogar ein paar Mal das Löschen funktioniert
hat. Es empfiehlt sich, den Abruf auf je Mail ein
Kilobyte oder gar nur die Kopfzeilen zu begrenzen.9
Ich werd mich wohl aufmachen mü ssen, die alten
Mails über Webmail zu löschen, aber Webmail mit
dem Organizer ist reiner Blindflug auf der überladenen Internetseite. Übrigens muss nach Telefonieren
(nicht Simsen) der Dauermailbetrieb, der mit neueren
Pocket-PC-Betriebssystemen10 möglich ist, stets
wieder händisch aktiviert werden. Ein weiterer
Schwachpunkt: »Zum Downloaden markierte ›Objekte‹« (was für ein geschraubter Ausdruck!) werden bei
bestehender GPRS-Verbindung nicht gleich abgerufen, sondern erst in der nächsten Mailrunde – unverständlich warum. Soviel zur Technik.
Ja, noch ein Tipp zum Telefon in Frankreich. Die
alten Telefonummern haben hier eine 02 vorgeschoben bekommen, aus 96... wurde 02-96... Aus
Deutschland wählt man dafür 0033-2-96... beziehungsweise +33-2-96.
Samstag, ganz in der Früh, schreibe ich weiter. Gila
kann wegen der Mücken, die sie fühl- und sichtbar
arg plagen, nicht schlafen, und so bin auch ich ab
fünf auf, auch weil Carla zu Trinken haben wollte,
diese Nacht schon zum zweiten Mal. Sie hat ja oben
im ersten Stock auch Hitze und Mücken ...
Gestern vormittags gingen die Hausfrauen für das
Elmar-Abendessen einkaufen, alle anderen bis etwa
zwei Uhr an den Strand, willkommen nach den sonnenlosen Tagen, Meyers dann erneut am Nachmittag.
Pünktlich um vier kamen Briems (die hier übrigens
kein Telefon und nirgends ein Handy haben!11 ), wir
hatten vorsichtshalber mit zwei Wäscheklammern
»Schez Meyer-Jörn« ans Gartentor gepinnt, dann
gabs Kaffee und Kuchen comme il faut, ne Tarte du
Pomme vom örtlichen Supermarché.
Mit dem Ehepaar Briem perambulierten wir dann
durch den Ort, wollten stolz »unseren« Rathaussaal
zeigen (Carla war die Treppe schon voraus), wurden
der späten Stunde halber jedoch freundlich abgewiesen. Dafür war die Kirche offen, die wir uns diesmal
fachmännischer ansahen, dank Elmar und dem auch
deutsch erhältlichen Informationsblatt. Schöne Kapitelle 12 , und richtig: zunächst im 12. Jhrh. romanischrechteckig, dann im 14. Jhrh. Anbau mit fünf gotischen Rundbögen und schließlich im 17. Jhrh. ein
barocker Aufbau oben drauf.
Anschließend wanderten wir mit
Elmars botanischen Augen –
eigentlich ist er ja Geologe –
Richtung Meer zum Manoir du
Sphinx13 , so schön, dass Gisela
dort 2022 (oder später, je nach
Mann) ihre silberne Hochzeit
feiern will, und bewunderten die üppige Pflanzenwelt: Yuccapalmen, Kamelien, Mimosen (es gibt da
eine Sorte, die jährlich viermal blüht, sagt Elmar),
Passionsblumen, immer wieder Hortensien in allen
Stadien farblicher Frische, sogar Pfirsiche und zuletzt
im eigenen Ga rten die weiße, magnolienartige Blüte
des Gummibaums! Alles ward gleich abgelichtet und
in die »Diaschau« eingefügt, hier spare ich dem Leser
die Bytes.
Zum Abendessen gabs dann Gilas Salat mit gegrilltem Ziegenkäse, als Hauptspeise Schellfisch (Aiglefin) mit Reis, für die Kinder gebraten, für uns im
Backofen mit Senfsoße, Orangensaft und Créme
fraiche gebacken, und dann Käs, Pfirsiche und süße
Melonen.
Als Sehenswürdigkeiten
empfahlen und Briems schöne Strände bei Bringuillier und auf der Île Grande, die nur bei Ebbe
erreichbare Île Milliau vor Tresmeur, als größeren
Ausflug an der Küste gen Osten den Hafen von PortBlanc, die Kirche mit schiefem Turm und Totentanz
in Porz Bugale, dann als größeren, mittelalterlichen
Ort Tréguier (wo man an den Hafen fahren und dort
parken sollte) mit einem gotischen Kreuzgang, ferner
die Kies-Nehrung Silon de Talbert bei le Québo-Run
11
8
bei Posteingangs-Ansicht: Extras, Optionen, EMail, »Gelöschte Objekte entfernen:« (wohl vom
Server) »Beim Trennen/Verbinden«, »Sofort« oder
»Manuell«, nichts hilft verlässlich, meist gehts nicht.
9
bei Posteingangs-Ansicht (geht nur bei ausgeschalteter GPRS-Übertragung!): Extras, Optionen, Dienst
anklicken, E-Mail-Setup Seite (4/4) Optionen anklicken Erweitert (2/3) »Nur E-Mail-Kopfzeilen übertragen« einschließlich 1 kB oder ganz nackt.
10
ab 3.14, meiner Erfahrung nach
zur Technikfreundlichkeit Briems siehe
www.Joern.De/britting.htm (leicht übertrieben)
12
2. Säule re Adams Schlaf und die Erschaffung
Evas, die Versuchung durch den Apfelbaum, 4. S. r.
Eucharistiefeier, 5. S. r. Abraham, die Hand Sarahs
haltend, während Agar, ihren Sohn in Armen haltend,
abseits steht, S. ggü. Abrahams Opfer
13
***, 67 chemin de la Messe, F-22700 PerrosGuirec, Tél 02 96232542 [email protected], Hotel offen 20.2.—
7.7., 20 Zimmer 96—116 € für 2 Pers. im DZ
Jörns Bretagne-Tagebuch Oktober 2003, Seite 6 von 6en
Trao ganz an der Ostspitze. Einiges davon wollen wir
mit Briems am Mittwoch besichtigen!
Technikfreude genießen die alte Eisenbahn von
Pontrieux nach Paimpol mit schöner Essenspause
inmitten, und hier in unserer Nähe die öffentlich
zugängliche ehemalige Weltraumstation in PleumeurBodou, am hellweißen Radom schon aus weiter Ferne
zu erkennen.
Sigrid, seit ihrer Freienarbeit bei der »Ostfriesischen Landschaft« (Kulturbehörde) Expertin in meso- und neolitischer Steinzeit (Mittel- und Neusteinzeit), erkundigte sich nach Menhiren und Dolmen
hier und lag damit bei Elmar ganz richtig: Es gibt die
ganze Westküste entlang derartige Steindenkmäler.
Der größte Einzelstein (Menhir) steht einen knappen
Kilometer landeinwärts bei Penvern, mit ordentlichem christlichen Kreuz obendrauf! Gräber aus dem
Ende der mittleren Steinzeit (Dolmen, Einzel- und
Mehrfachgräber, letztere hier Allée couverte genannt)
gibt es nördlich Kerénoc bei Kerguntuil. Besonders
beeindruckt war Elmar von einer pyramidenförmigen
Formation, stufenförmig – da müssen wohl alle damaligen Einwohner Frankreichs Steine gebracht und
richtig platziert haben.
Die Weltmeere, so sagte Elmar, seien seit der letzen
Eiszeit vor etwa 10.000 Jahren mit kleinen Unterbrechungen ununterbrochen gestiegen, allein seit Christi
Geburt 2,20 m. Die Pole und Gletscher schmelzen
stetig, obwohl es um 1850 eine gegenläufige »kleine
Eiszeit« gegeben hat. Unsere heutige Entwicklung
liegt also durchaus im Trend, mit und ohne Autos.
Die Nacht wurde sternenklar. Bis um Mitternacht
erzählte Elmar von seinen Wüstenerlebnissen in
Bardaï im Tschad, von rülpsenden Kamelen, örtlichen Stammesvorherrschaften und dem französischen
Rückzug aus Region und Kontinent. Er meint, nach
der mörderischen Dezimierung der afrikanischen
Bevölkerung würden die tüchtigen, raumsuchenden
Inder Afrika besiedeln und bestimmen. In den Küstenstädten bildeten Inder jetzt schon die Führungsschicht – Wasser auf Indienfan Fritz’ Meinungsmü hle!
Samstag, 9. 8. 3
Carla wartet auf ihre Morgenmilch [Morgenmilch2]
Sonntag früh ists, noch vor acht, gute Ruhe im Haus:
Carla schläft, in Mutters Armen (statt meiner) selig
Plastik kauend (ich mag ja diese Nuckel nicht, bin
wohl zu alt dafür), die »großen« Kinder mit ihren
Eltern, die sonst gern in der Früh joggen, wohl auch.
Draußen ists zur Abwechslung wieder einmal feinfeucht dunstig, der Wind spielt in der großen Trauerweide und in der frisch aufgehängten Wäsche – heute
mein Morgensport, Wäscheaufhängen, mit Recken
und Kniebeugen.
Gestern, an diesem wieder so heißen Tag mit im
Land über 35 Grad (Dr. Betz meldet aus Bayern den
Rekord von 40,8!), waren wir alle nachmittags ans
Meer gefahren, an »die alte Bucht«, wie Gisela und
ich verstanden hatten, sehr zu Fritz’ Freude, doch an
eine andere, wie Meyers meinten. Das Missverständnis wurde auf der Fahrt dorthin klar; ein paar
Funksprüche zwischen den Karossen, und wir
trennten uns zu eigenen Erlebnissen.
Meyers fanden rund 15 km östlich bei Port-Blanc
einen riesigen Sandstrand – es war Ebbe – und Jörns
ihre alte Bucht Anno 94. Sie war voll in französischen Kindesbeinen, nur ein deutsches Auto mit –
ausgedacht – einer Studienratsfamilie aus Go slar,
Typ Bärtchen mit Leica und: Kinder, passt auf, das
Wasser ist nass.
In der Loge rechts Gisela mit Carla [StrandSa2]
Wir spielten in zwei Seitenbuchten, die wir eine nach
der anderen dem steigenden Wasser
Platz machend wieder verließen,
Carla im Sand, mit den Muscheln
und kletternd durch die Felsen. Die
sind dort besonders romantisch
anzusehen, steigen mit ihren verwaschenen Formen fast gerade aus
der Tiefe. [CarlaFels2]
Auf der Rückfahrt schaute ich noch kurz bei Johanna (Anne) Wright vorbei, die sich gleich an uns und
unseren roten Mercedes erinnert hat. Ihre Mitbesitzerin hat sich inzwischen scheiden lassen und ist wieder
in England zurück; die Bar hat Anne aufgegeben und
ist immer noch »beim Renovieren des Hauses«, d. h.
man muss wie damals zwischen Bauschutt hinten
über die Hühnerleiter einsteigen.
Abends hier dann ein eher ärgerliches GalletteEssen am Hafen: Wir haben allein auf die Pommes
der Kinder eineinviertel Stunde lang gewartet! Das
fehlen eines Kinder-Hochstuhls nahm Carla erst wild
schreiend und strampelnd, bis vom Nachbartisch
geschenkte Fritten sie und uns beruhigten. Wir, die
Jörns, gingen vor den zuletzt bedienten Meyers, Carla
rutschte und schaukelte am Hafenspielplatz. Als
erstes prägt sie sich in aller Welt die Rutschen ein!
Ein friedlicher Tag war das. Heute solls hier das
Hortensienfest mit Umzug und Trallala geben.
Zunächst aber ging Fritz in die Kirche, um halb
zehn vergeblich, akkreditierte sich dafür als JournaJörns Bretagne-Tagebuch Oktober 2003, Seite 7 von 7en
list beim Hortensienfest, und eilte nach dem feinen
Frühstück made by Arne dann erneut und richtig um
halb elf ins Hochamt. Vier Priester, tragender Gesang
mit der Satzmelodie, die man sonst nur von Brassons’
Chansons kennt, der breitarmig dirigierende Kantor,
zuletzt ein rührend gesungenes Ave Maria, die Kirche
bis in die Gänge voll, einfach und gut. Ob unsere
Kinder im Französischunterricht das Vater Unser
lernen?14
Nach der Kirch Treffen einiger ordensgeschmückter Veteranen mit Fahnen vor dem Kriegerdenkmal,
das ordentlich auch die nach der « Grande Guerre »
Gefallenen in Indochina und Afrika berücksichtigt,
und sonst Dorfpalaver am Kirchplatz. Heute zum
Hortensienfest laufen noch ungeordnet Trachtengruppen umher, die letzten Lautsprecher werden
installiert, Busse umg eleitet.
Ein Einschub zu bretonischen Ortsnamen: Ker ist
ein Dorf, Plou eine Pfarre, Tre ist dann ein Weiler in
einer Pfarrei, Lan eine Einsiedelei. Coz und Hen
heißen alt, Porz ist ein Port, Hafen15 .
Mittags ging Fritz zum Hortensienfest, eine Art Karnevalszug en miniature. Hinter sackleinendichten
Absperrungen – Eintritt zehn Euro,
Kinder weniger, Presse (Fritz)
schnorrt’s – agierten vier Dudels äcke und Historientrachtengruppen
die zweihundert Meter Hauptstraße
vor dem Rathaus auf und ab, zunächst ab, dann immer wieder um den Block herum
auf. Ein gemütliches Schauspiel, familiengerecht,
wenn man vom Eintrittspreis absieht, und ein Ohrenschmaus, wenn man sein Hörgerät abschalten kann.
Im Ernst: Dudelsackmusik ist nicht jeden Ohrs Sache,
und der Anblick der bis hinter die Schlüsselbeine
geblähten Kröpfe der Pfeifer eher beängstigend als
Harmonie verkündend [FestE]. Jetzt am Abend um
zehn dröhnt dank elektronischer Ve rstärkung die
mindestens arabisch klingende Musik des Festivals
laut bis auf unsere Terrasse.
Am Nachmittag waren wir alle, wie wirs uns versprochen hatten, am feinen Sandstrand der »Dünen
von Port Blanc« – der Ort selbst, durch den wir suchend kurvten, erschien uns uninteressant.
14
Notre Père, qui es aux cieux, que Ton nom soit
sacrifié, Que Ton règne vienne, que Ta volonté soit
faite sur la terre comme au ciel. Donne-nous aujourd’hui notre pain de ce jour. Pardonne-nous nos
offenses, comme nous pardonnons aussi à ceux qui
nous ont offensés. Et ne nous soumets pas à la tentation, mais délivre-nous du Mal.
15
Merian »Bretagne« ISBN 9783774203068 p 119
Der leichte Dunst, fast schon Nebel, brachte Linderung und eine besonders »dichte« Stimmung. Dicht
bei dicht lagen auch die Badenden, was wieder der
Nebel gnädig verbarg. Bauingenieur Arne – bitte
nicht »Architekt« nennen, das ist dann Sigrid – errechnete je 25 cm laufenden Strand einen Besucher,
weniger übertrieben gesagt – der weiße Strand war
vielleicht 25 m breit – 0,16 Bader je m² oder 0,6 m² je
Person [StrandSo4].
Am Abend jetzt gabs Bandnudeln mit Langustinen,
und wieder Kontroversen mit dem vorlauten Jann, der
mit einem IQ von 138 geschlagen ist, und wirklich
zahlreiche nicht zur Sache gehörenden kuriosen Einzelheiten immer besser weiß. Dafür spricht er hier
mutig französisch, bestellt sich und seiner Schwester
selbständig Cola nach und ist überhaupt ein lieber
Kerl, nur aufsässig halt. Ein unfreiwilliges Atlantikbad hat er heute deshalb schon hinter sich.
Montag, 11. 8. 3
Zugegeben, es ist noch nicht einmal eins in der Früh,
und schon berichte ich. Ich war so frei gewesen, mir
den Abend mit Carlos Nuñez zu genehmigen.
Ich also nach dem Abendessen und dem üblichen
Gekabbel ums Abräumen, ob hier nun auch noch
abgetrocknet werden muss oder Spülenselbsttrocknung genügt, ab ins Dorf, dem Ruf des Schalles folgend.
Die erste halbe Stunde passierte
aber nichts, denn die »Muvrini«s,
ein « groupe corse emblématique
», waren bereits aufgetreten, und
nun wurde der Galizier Carlos
Nuñez erwartet, von der geduldigträgen Menge: auf der Bühne
beschauliches Treiben an den
Gerätschaften, noch wurden Kabel geprüft und Mikrophone bezählt. Der Gitarrist kehrte sitzend in sich,
der Schlagzeuger und Bruder Nuñez’ machte zuweilen Bums. Dann bekam Nuñez einen Kuchen zum
Jubiläum, vielleicht dem zwanzigjährigen des Blumenfests; das Fernsehen war dabei, er selbst vermu tlich nicht, wir im Publikum könnens nicht sehen.
Zehn Minuten später erklang ein Synthesizerakkord,
ein einziger, die Menge jubelte auf. Sie klatsche
gelegentlich und eckenweise, als könne das den Nuñez herbeiklonen. Weitere zehn Minuten später die
Ansage, französisch etwa: »Begrüßet alle Nuñez, den
Star!« Wieder Applaus, doch wieder zehn Minuten
nichts. Dann ging noch das Bühnenlicht aus, der
Gitarrist tappte raus, um dann endlich zehn Minuten
später mit seinem Nuñez aufzutreten. Mädchen
kreischten, Arme reckten sich, gleich wars richtig
laut. Nuñez, weiß, im semitransparenten Seidenhemd,
lange Haare (hinter seiner eleganten Glatze aber nur
so viele, dass es in Summa wieder auf die normale
Bedeckung hinauskommt) springt umher, streckt sich
halb gen Himmel (fast Vollmond heute!) und halb
hinüber übers Publikum, dabei wechselt er Pfeifinstrumente, auf denen er wahrlich virtuos fiffert, meist
Jörns Bretagne-Tagebuch Oktober 2003, Seite 8 von 8en
körperlich nach links oben und mit seinem linken
Bein stampfend, als träte er ein virtuelles Schwungrad. [NunezP] Die Stücke sind traditionell, das heißt
eher unausgeprägt, doch die Leistungstyristoren vor
den Lautsprechern bringen da schon Wumm rein. Der
Prospekt verspricht mit diesem « génie absolu » des
Gaita- und Flötenspiels eine Reise von Galizien nach
Irland und eine « interprétation exdeptionelle (sic!)
du flamenco à la cornemuse ». Dazu begleiten zwei
hoppende Violinmaiden lang und blond den Star, die
eine darf auch mal Solo spielen, die andere mit Handtrommel chanten. Mir klingts alleweil arabisch, wenn
nicht spanisch.
Die meisten Leute stehen rum, wenige drängen
durch, hand- oder handyhaltend, um sich nicht zu
verlieren. Das bescheidene Bier in Bechern kostet
zwei Euro. Übermüdete Kinder mit großen Augen
und kleinen Ohren leidens anfangs noch, bis sie dann
im Konzert ganz einschlafen, in Buggis, auf Sesseln
oder gleich auf der Mama. Die etwas ältere Jugend
hockt in Ecken – oder geht zur Konkurrenz, einer
noch lauteren Dreimannband mit lastwagengroßen
Lautsprechern am anderen Dorfende, aber modern!
Sie nennen sich »Red Cardell, Electro Celtic Rock«
und spielen prospektmäßig »Rock trado-electrotonitourant« Eine alte Frau wird in aller Ruhe von der
Ambulanz weggefahren. Ein Tagedieb lässt seinen
dreibeinigen Schäferhund an mir vorbeihumpeln und
ruft mir was zu, das wohl nur der Hund versteht.
Gegen eins verziehen sich die Touristen-Folkloris ten, ich auch. Der dicke Fahrer im Kastenwagen-Peugot der Protection Civile dreht schon mal am Lenkrad, das sich an seiner Fülle reibt. Die Kasse im
anderen Peugot-Kastenwagen macht zu – tausend
Leute waren gewiss gekommen. Die Kontrolleure
klappen ihre roten Stempelkissen zu, markiert wird
jetzt keiner mehr. Der Truck für den Bühnenabbau
nimmt in einer Seitengasse Stellung. Die kleine
Schwarze, dies lang neben mir auf einem Poller balancierend ausgehalten hatte (sie war wirklich klein)
und sich bestens auskannte mit der Musik, auch die
ist schon lang fort.
Derweil kann Gisela des Krachs halber nicht einschlafen – von welcher Band bleibt unbekannt –. Die
Mücken haben sich nicht wie erhofft zum für sie
kostenlosen Festessen beim Hortensienfest verzogen
sondern sausen nach wie vor bei uns im Haus herum.
Wie sagt doch der Hervè Sanquier, der « Prezident
Gould-meur ar Bleuñv Kaouled », in seinem von der
Fédération Al Levrig eigens übersetzten « Ger-stur »
(Vorwort) im örtlichen Idiom (das nicht einmal in der
Kirche gesprochen wird!): « Ha bez’ ez omp en-sell e
teufet d’hon gouel da lidañ an delz-hablaaz dreistmañ ... », »Und wir hoffen lebhaft, dass Sie mit uns
dieses außergewöhnliche Jubiläum feiern ...«
Morgens Abreise Arne ab Guincamp 9.52 Uhr mit
TGV nach Paris Montparnasse – und am Hof in Südtirol gleichzeitig die von Birte, die sechs Wochen
dort gewesen war, Praktikum beim Locher machen.
Sie hat uns täglich mit ihrem Tagebuch und untertags
oft mit SMSen versorgt, durch ihre gut geschriebenen
Geschichten und die moderne Kommunikationstechnik den Raum aufhebend, ja beinah Allgegenwart
herstellend. Heut nacht um 3.20 Uhr simst sie (Von:
Birte Tim): »Shlaflosigkeit bei vollmondhelle, albert
smst+mir wirds herz shwer,wird abr zeit zurückehr,wzahn fängt widr a.swar sho shön,abr sGw bin
i ja bald shneler dou.«, übersetzt von Birte auf Telecom Italia Mobile: Schlaflosigkeit bei Vollmondhelle, Albert [unser Jagdaufseher und Freund] sendet
eine SMS, und mir wird das Herz schwer. (Es) wird
aber Zeit zurückzukehren, (der) Weisheitszahn fängt
schon wieder an (zu schmerzen). Es war schön, aber
so Gott will bin ich ja bald schneller da (als ihr?).«
Am Spätvormittag kleiner Ausflug zur »Nordspitze«,
« Pointe du Château », ohne Gisela und Bilder, weil
die Speicherkarte noch hier im PC saß ...
Nach dem Nachmittagsschlaf und lautem Streit
zwischen Jann und seiner Mutter wegen nackt oder
nicht-nacktem Sonneneincremen gings gegen halb
vier relativ spät zu unserem alten 1994-er Strand.
Gila erinnerte sich noch, wie wir damals meist allein
und schon sauer waren, als ein drittes Pärchen aufkreuzte. Heute waren dort schätzungsweise 500 Leute, die, je höher die Flut stieg und sich der Strand
verengte, dann auch die Sonne lange Schatten warf,
immer dichter zusammenrückten. Auch wir mussten
unsere Privatbucht bald verlassen und uns dem allgemeinen Volk anschließen. Mit einem deutschen
Paar kam ich ins Gespräch, weil er mit ungelenken
Beinen seinen Rollstuhl Schritt für Schritt vor sich
herschob und sie schon mal das Auto holte: Multiple
Sklerose wars, und nicht durch Übung zu bessern,
was mir für die beiden Netten besonders leid tat.
[Strand1108d, mit “PhotoStitch” aus sechs Einzelfotos zusammengefügt, ich kann ja nicht fliegen!] Am
Rückweg fanden wir noch auf Umwegen nach Trédrez zu Briems, die aber leider nicht da waren. So
gabs hier zu Abend Spaghetti, zu aller Kinder Freude.
Nur die Hahnenkämpfe zwischen Jann und seiner
Mutter sollten aufhören, der Junge zieht den Kürzeren und die Mutter verliert die Nerven ...
Dienstag, 12. 8. 3
Jörns Bretagne-Tagebuch Oktober 2003, Seite 9 von 9en
.
Wieder ein hochsonniger Tag, die Damen gehen
einkaufen, wir, der Rest, zum Strand und vorher auf
der »Nordspitze« klettern. Hier die heutigen Badedaten [Foto Wasserdaten]: « Le Soleil fera des son
mieux pour vous en mettre plein les yeaux ! ». Die
Kommentare waren gern lyrisch, nicht nur französisch, was in knapper Form ohnehin ein Gedicht ist.
Der davor hatte gemeint, die Sonne müsse sich erst
von der langen Nacht erholen, käme dann aber zu
Mittag voll zur Geltung. Was der Coéf, der Koeffizient von 89, zu sagen hat, wurde uns erst am Nachmittag gegen sieben Uhr klar, als das Wasser immer
höher und höher stieg! Wir hatten uns etwa um halb
fünf gemü tlich in die Menge gelegt, dem bisschen
Schatten und zum Anlehnen nah der Hafenmauer,
und bestaunten die Umliegenden, ganz wenige barbusig (und wenn, dann eher die falschen), viele aber
echt tiefbraun, besonders die athletische Familie
neben uns: Vater klein und Body wohl gebildet, Typ
südlicher Häuptling, Mutter schon heller – sie
verbarg sich hinter einer Sichtblende aus Stoff – ,
sozusagen die Weiße der Familie, die drei Kinder (2
Jungen, 1 Mädchen) eines bräuner und schöner als
das andere! Der Strand war wohl noch hundert bis
zweihundert Meter breit, der Sprungturm stand gerade mal ein wenig unter Meer. Doch mit der Zeit stieg
das Wasser höher und höher, sodass sich die vielen
Leute immer enger zusammendrängen mussten oder
gleich heim gingen. Wir machten uns keine Sorgen,
hatte Jann doch kolportiert, der Höchststand sei für
19.15 Uhr avisiert. Also wird das Wasser doch bald
wieder zurückgehen, dachten wir um sieben. Um
viertel nach sind wir dann doch gegangen und sahen
dann an der Tafel, dass das Wasser noch eine halbe
Stunde länger steigen würde, bis wohl nichts mehr
vom Strand übrig bliebe. Morgen ist ein Koeffizient
von 92 angesagt, da wird der Tidenhub noch höher
sein.16
16
Elmar erklärte uns anderntags den Koeffizienten:
Hebung und Senkung vom Mittelstand aus in Zehntel
Metern. Da am 12. Vollmond war, war der Tidenhub
besonders hoch.
Am Ende des sonnigen Tages brachte dieses schäumend immer höher aufsteigende Wasser allgemein
eine angeregte, fast aufgeregte Stimmung. Das viele
Zusammenrücken, das immer näher kommende Rauschen, der wohl generelle Stupor nach dem langen
Sonnentag – alles addierte sich zu einer fast vorgewittrig-gespannten Stimmung unter den Leuten. Oder
hab nur ich das so empfunden? [Carla1208pm4]
Carla hatte ihre Freude, rannte umher, holte unermüdlich Wasser aus dem Meer, spielte mit anderen
Kindern Ball, sprang in fremde Sandgruben, und war
in ihrem Element!
Abends dann mussten wir wie immer erst uns,
Kinder und Böden vom Sande befrei’n. Dann gabs
ein leckeres Abendessen, von Gila mit aktiver Hilfe
der Kinder schnell bereitet: Faux Filet mit Champignonsoße, Flagolets (Bohnenkerne), Kartoffelbrei,
zum Nachtisch Eis, wovon sich Carla zwei erbat und
erhielt. Jetzt sitzen die Damen wie gewohnt bei Rotwein und Zigaretten vor einer flackernden Kerze
draußen, ich herinn vor den Tasten.
Die Nacht war unruhig, diesmal nicht wegen Carla,
die das erste Mal erst um sechs Uhr aufwachte und
zur Mama wollte (und kam), sondern wegen der
Hitze und der Mücken, die einen nur unruhig (wenn)
schlafen lassen. Erst liest Gisela noch lang in ihren
Krimis, dann Schlaf, zwischendurch wache ich auf
und leuchte mir mit der Taschenlampe in Janns aktuellen Tim und Struppi (Le Crabe aux Pinces d’Or,
hier im Original gekauft)17 , mal verzweifelt der eine,
dann die andere. Jedenfalls sitze ich schon wieder im
Wohnzimmer am Compi, umma halber Sechse!
Mittwoch, 13. 8. 3
– übrigens meiner Mutter 84. Geburtstag!
Nachdem nun auch Carla vor sieben Uhr aufwachte, ging Fritz mit ihr im Kinderwagen (mit Plattfuß
hinten links!) auf die Walz. So konnte wenigstens
Gila noch etwas nachschlafen. Doch vom erhofften
Sonnenaufgang war leider nichts zu sehen; um acht
quälte sich ein mondartiges Rund relativ hoch oben
durch die Wolken. Dafür wars eine besinnliche Fahrt
17
Gisela liest gerade Sarah Lovett, Fatale Nähe
Jörns Bretagne-Tagebuch Oktober 2003, Seite 10 von 10en
mit der Kleinen im Morgengrauen, an den teils verkommenden Villen aus dem 19. Jahrhundert mit
knorrigen Zäunen aus Beton-Astimitat vorbei, an
einem illegal Zeltenden an der Nordspitze, der noch
in seinen Schlafsack gehüllt frühstückte, an Frauen mit Hunden und
nur einem anderen Vater mit genauso schlaflosen Kind am Aussichtspunkt. Wir ließen uns Zeit, Carla
schlief (nur fast), und ich sinnierte
über die vergänglichen Reichtümer
und Vorlieben dieser Welt nach.
Carla und Bärli durften am Panoramablick aussteigen. [Baerlis trand]
Dann wurden noch die üblichen
drei Baguettes und vier Croissants
eingeholt, die Dienstags-FAZ (zwei
Euro, und wieder einmal von mir
nichts drin!). Es gab ein schnelles
Frühstück, weil wir Briems erwarteten. Fritz nahm noch seinen Viertagesbart ab [FritzBart2], und da standen sie schon in
der Tür, zu dritt, mit Tochter Luise, übrigens modelhaft schön Typ Blondnatur.
Wir fuhren dann mit zwei Autos nach Tréguier,
wos Markt gab und Fremde zuhauf. Die mittelalterliche Stadt mit großer Kathedrale (Grabstätte St. Yves)
und schönem, ungewöhnlich geformtem Kreuzgang
(Eintritt), ist wirklich wert, gesehen zu werden. Die
Kirche ist hauptsächlich gotisch und neugotisch, mit
einem romanischen Teil, woraus ein ganz unkonventioneller Grundriss entstand. Selbst der Kreuzgang ist
keineswegs quadratisch sondern auf einer Seite unterbrochen und hat einen Eingang zum Platz. Angeblich ist er lange Zeit als Markt genutzt worden.
Als langsam alle hungrig wurden, die Damen drei
Körbe gekauft und sich die Männer derweil lang
genug alten Jazz einer Straßenkappelle angehört
hatten, fuhren wir hinaus an die Küste nach PortBlanc, das wir zwar schon kannten, nur eben nicht
von dieser Seite: Man muss an der richtigen Stelle
zum Hafen hinunter abzweigen und dann entdeckt
dann ein kleines Plateau, eine größere Wiese, mit
Blick über Segelboote, rote Felsen und Meer, besonders beliebt für Picknicks. [BriemsA]
Wir lagerten uns in der Nähe zweier französischer
Familien, die das Ganze noch vornehmer als wir mit
Klapptisch zum Essenfassen arrangierten. Carla –
ziemlich unleidig bis dahin – kam mit ihnen ins Ballspiel und wanderte dann, wieder um den restlichen,
leicht schläfrigen Gesellschaft a Ruah zu lassen, mit
Fritz an den nicht ganz nahen Sandstrand. Dort gabs
herrlich schöne kleine Schnecken für (die abwesende)
Gisela, Sand und Kletterpartien für Carla. Bald ka-
men noch Elmar und die großen Kinder nach; Badefreuden, Spass mit Elmar, der von den Kindern angebetet wird! Die Damen blieben lieber konversativ
oben im Gras, zumal Sigrid ihren Badeanzug vergessen hatte. Beim Zurücktragen Carlas über die großen Steine stoße
ich Carlophorus noch gehörig den linken Mittelzeh, dass er anderntags nur so blau beziehungsweise rot wird! Doch insgesamt: Das war mir
ein edler Nachmittag!
Gegen halb sechs fuhren wir alle wieder nach Perros-Guirec zurück, es gab Kaffee und Kuchen, Carla
schlief (wie schon am Vormittag) im Auto ein und
dann hier in Mamas Bett gleich weiter und weiter und
weiter. Mal sehen, wie dann heute die Nacht wird!
Donnerstag, 14. 8. 3
Die Nacht wurd’ gut, nach der abendlichen Kühle
gestern – ein Gewitter versuchte sich sogar mit ein
paar Tropfen – und kulinarischen Abstinenz. (Ich
lobe mir ja die Franzosen, die abends zum BouleSpiel zusammenkommen und nicht bloß zum Essen.
Wir vielessendes Deutschen sollten uns wieder andere Einladungsgelegenheiten schaffen als immer nur
Speisen: Kegeln zum Beispiel!)
Selbst Carla schlief fast 15 Stunden am Stück bis
sechs Uhr früh durch, trank dann eine kühle Milch
ausm Flaschl, und ratzelt jetzt weiter (s ist 6.20 Uhr).
– Na ja, so gegen fünf saßen Gisela und ich doch in
der Küche, unsere Mückenstiche leckend, Gisela bei
der leidigen Zigarette, die sie angeblich verscheuchen, ich wieder neugierig am E-Mail-Handgerät.
Dem entnahm ich Nachricht über Brittings Mangfall-Fahrt mit Jörn-Erwähnung. So schließen sich die
Kreise! Ich hatte Anfang der 90er-Jahre ein paar Mal
in Weyarn liebevollen Urlaub gemacht, noch ohne
Gisela und dann sogar noch einmal ohne sie, als ich
sie schon kannte ... So sind mir die Mangfallpfade
vertraut, der Simsee, ein paar Gasthäuser dort (das
zweite unter der Brücke, weiter unten, »zum goldenen Tal«?, soll inzwischen eher heruntergekommen
sein, das direkt unter der Brücke ist fest in österreichischer Hand und floriert).
Zurück nach Perros-Guirec. Hier gibts heute Abend
ein großes Freudenfeuer, morgen die Mariä-Himmelfahrtsfeiern. Für einen »großen Ablass« – so übersetze ich mir den « Grand Pardon » – wirds bei mir
dennoch nicht reichen.
Sigrid und Gisela wollen allein in die Hauptstadt
Lannion fahren, die Kinder bleiben bei mir.
Weil alle schlafen und der Morgen so frisch und kühl
ist, 17 bis 18 Grad, setze ich mich rasch entschlossen
ins Auto und kurve heut statt mit Kind und KinderJörns Bretagne-Tagebuch Oktober 2003, Seite 11 von 11en
wagen mit der Karosse umher. So komme ich nicht
im Morgen-»Grauen« sondern in schönem Morgen»Rot« an die Nordspitze. Uhus oder Eulen oder gurrende Tauben rufen ihr Uh-uh-uh–uh-uh in den Wind.
Im Auto heizt die auf 21 Grad gestellte Klimaanlage,
ein ganz neues Gefühl! Schön ist der Morgen, einsam, wie ganz persönlich für mich gebracht [Morgenst6]. Anschließend wasche ich hier noch für Gis ela das Auto.
Vormittags gehe ich mit den Kindern in den Ort,
wir kaufen kleine Überraschungen für Birte, ebenso
kleine Spiralblocks für mich, und besuchen vor allem
wieder den Rathaussaal, um ein paar Bilder davon zu
machen. Dabei fällt mir der Aufruf Charles de
Gaulles aus dem Juni 1940 auf, emailliert am Eingang. Mit der Digitalkamera – ich bin nolens auf die
Ixus 300 zurückgekehrt, und mag sie jetzt eigentlich
wieder mehr als die 400er – macht es mir Spass einfach Dinge am Rand aufzunehmen, zu »dokumentieren«, so auch dieses edle Schild, das ich den Tagebuchlesern hier allerdings erspare. Wir kaufen noch
in einem streng riechenden Radshop Richtung Hafen
für vier Euro Tip-Top-Reifenflickzeug für den Kinderwagen, nur um zu Hause festzustellen, dass das
fragliche Rad jetzt dicht hält.
Dann gehts ans Meer, das vormittäglich leere.
Klugkopf Jann sagt, das Wasser sei ablaufend. Ich
frage natürlich nach, wie er da drauf kommt? Er hats
daran erkannt, dass der Sand noch nass ist. Beim
Drachensteigen hat er allerdings Pech: Der fesche
Rettungspolizist eilt herbei und verbietets. Später
lässt ein Franzose mit seinem Sohn einen Luftkissendrachen steigen, scheints problemlos, was Jann natürlich aufregt. Voller Entrüstung will der die Leute
verpetzen, was ich gerade noch verhindern kann. Mit
»Freud dich doch für den anderen!«, »Petzen gilt
nicht!« versuche ich mich erzieherisch, nachdem ich
vor ein paar Tagen schon die Begründung meines
ersten Internatserziehers, Barthel, für eine unterschiedliche Behandlung mir gegenüber kolportiert
hatte: »Du musst lernen, ungerecht behandelt zu
werden!« Die Kinder haben trotzdem bald viel Freude am und im Wasser, ich beobachte Carla mit dem
Fernglas oder laufe mit ihr herum.
Zurück kommen wir nach zwei Uhr ganz synchron
mit den Frauen, Mittagspause, und dann wieder ans
Meer, bis es uns zu kühl wird. Die Sonne verschwindet hinter Wolken. Gespräche mit einer belgischen
Familie, bei der Carla spielt. Und unsere großen
Kinder finden schnell deutsche Gesellschaft gleichen
Alters und Geschlechts. Am Abend wird feiner, edler
Fisch unbekannter Art mit Nudeln und Sauce serviert,
so fein, dass ich frage, ob denn wer ein Tischgebet
sagen kann? Keiner. Mir fällt gerade noch etwas
besseres als mein knappes »Gottes Brünnlein hat
Wasser die Fülle« ein, mit dem ich schon im Internat
gelegentlich Erfolg hatte, wenn das Gebet aus irgendeinem Grund auf sich hatte warten lassen. Später
fragen die Kinder über Fleisch und Fasten, von Jesus
über Taufe bis Pontius Pilatus, nur Carla ist übermüdet und eher unleidig und sorgt so für Stress. Das
religiöse »Freudenfeuer« ist, wie wir mittags in der
Kirche erfragten, wegen allgemeiner Waldbrandgefahr verboten worden, vielleicht in Don-Camillo-undPepponescher Weise, denn hier herrscht wirklich
keine Feuergefahr. Also wird geboggelt.
Freitag, 15. 8. 3, Mariä18 Himmelfahrt
Der Herbst ist gekommen. Die schönen Tage von
Aranjuez, so sinniert der Schiller-Fan19 , sind nun
vorüber, selbst wenns nur in Perroz-Guirec ist. Ich
mein aber, in ganz Europa müsste die Hitze abgeflaut
haben.
Den Tagebuchschreiber nervt sein Word, das alleweil die französische Silbentrennung installieren will,
die ich nicht einmal zu Hause, wo ich sie auf der
Office-CD habe, hineinbekomme, weil jeglicher
weiterer Installationsversuch von Office 2000 an der
angeblich fehlerhaften Installationsdatei scheitert.
Gisela nervten nachts ihre Mücken. Sie haben hier
im ›Land der Mücken und Zanzaren‹20 vom plötzlich
deutlich kühleren Wetter – 18 Grad hats, bedeckt und
Wind – noch nichts gemerkt. Gisela floh nachts zwei
Stunden lang vor ihnen, so sagt sie, in die Küche, mit
zerstochenen Armen. Carla bekommt von den Mücken ja auch einige ab. Nur ich scheine wenig
schmackhaft zu sein, und wenn, dann die Bisse rasch
zu vergessen. A bissl Spucke, dös reicht mr do.
s ist zehn nach neun, ein lindes Lüfterl durchzieht
das Wohnzimmer, die Pappel rauscht, die Weide
wedelt, die beiden Oleanderstöcke neben der Balkontür nicken mir mit ihren rosa Blüten wie Alpenrosen
zu. Die Mütter sind noch im Bett (in
Giselas hier unten nebenan), die
Kinder schlafen oder lesen oben,
Carla, väterlich frisch gewickelt und
wohlig mit einem viertel Liter warmer Milch versorgt, kommt jetzt nebenan bei Gisela und Sigrid zu
Besuch, stinkt, wie ich höre. So schnell geht das! Der
Organizer – die Dinge haben wirklich keinen gscheiten Namen: Handheld, Organizer, PCA, MDA, XDA,
Pocket-Peh-Zeh, »das Ding da« – hat wieder mal sein
Netz verloren und schwimmt dann wie so oft stundenlang unkontrolliert ohne Leine (»kein Signal«) in
den Ätherwellen. Oder das Netz ist sichtbar da (»Itineris ^ G« für den XDA), und doch klappt der GPRSZugang nicht (»Die gewählte Nummer antwortet
nicht«, als ob das eine Nummer wäre!). In der Nacht
kam ohnehin nur wieder nur Schrott als Mail herein.
Von den über 500 Mails (So: 546), die sich in diesen
18
für die jungen Leser: ›Mariä‹ ist ein alter Genitiv
von Maria, statt Marias
19
Don Carlos, erster Aufzug, s. z. B.
http://felix.unife.it/Root/Gedichte/Dramen/DonCarlos
20
zanzare, it. Mücken. »Das Land, wo die Zitronen
blühn« gibts bei Goethe in Wilhelm Meisters Lehrjahren als melancholisches Gedicht (»Mignon«),
siehe z. B.
http://members.aol.com/hlaaks3/goet96.htm
Jörns Bretagne-Tagebuch Oktober 2003, Seite 12 von 12en
zwei Wochen bei mir angesammelt haben, sind wohl
480 Spam. 21
Nach dem Frühstück, knapp vor halb elf, eilt Fritz
mit Carla »zu Jesus«, wie Carla zu sagen und scheints
zu schätzen pflegt – doch der ist heute zu Gast bei
seiner Mutter. Und die wird in einem Feldgottesdienst in Notre Dame de la Clarté gefeiert (siehe
Wanderkarte vom 6. und 7. 8., dort der dunkelrote
Stern). Zurück also von der geschlossenen örtlichen
Kirche, quer durch den Wochenmarkt (ja, hier haben
alle Geschäfte offen, ein fleißiges Volk!), das Auto
genommen und erst einmal mit Carla am Rücksitz im
Nachbardorf diesen Gottesdienst gesucht. Der stellt
sich zunächst als Parkplatzsuche heraus, dann als
Wanderung, schließlich als lautsprecherbeschalltes
Dorf mit leerer Kirche, hinter der sich dann endlich
die Menge findet, vielleicht ein- oder zweitausend
Leute, auf einem Platz mit erhabenem Blick aufs
ferne Meer und ein paar flache Inseln, alles bei angenehmen 21 Grad. [Feldg2]
Vorne und aus allen Lautsprechern wird marianisch
gesungen, mutig, sopranig hell und eher schlicht. Die
Leute stehen oder lagern umher, viele mit Kindern.
Neben uns ist ein junges französisches Paar mit vier
Mädchen. Beim Friedenswunsch werden zögerlich
Hände geschüttelt. Sonst sind alle eher für sich, in
sich gekehrt vielleicht, eine ruhige Menge.
Die Stimmung ergreift auch mich und ich denke
(jetzt zum Ende der Ferien) an die Leben, die ich
nicht gelebt habe, an die nicht gegangenen Pfade, all
die möglichen Verzweigungen des Lebensbaums –
Sackgassen oder Offenbarungen, nie werd ichs wissen. Ich denke an die Menschen, bei denen ich nicht
geblieben bin oder nur ein kleines Stück; weiß Gott,
wo sie nun alle sind. Ich bin hineingeboren in eine
wohlhabende, aber vielfältige und komplizierte Familie, war dann selbst gern jemand Besonderes, ohne
wirklich zielstrebig genug dafür zu tun (das war ja
nun nicht nötig), und sehnte mich dabei doch nach
einem einfachen Leben, für das ich wohl in den ent21
vielleicht sollte ich doch GMX’ Spam-Filter einschalten, den ich anfangs deaktiviert hatte, weil er
mir gute Mails verwarf und den Abruf komplizierte;
außerdem hab ich Cloudmark auf den normalen PCs.
Doch am Organizer, wo ich immer nur einen kleinen
Teil oder inzwischen bloß die Kopfzeilen hole, hilft
Cloudmark nicht!
scheidenden Momenten Schlichtheit, Weisheit oder
Mut nicht gehabt habe – oder es einfach langweilig
gefunden hätte. Mäanderleben.
Die Gottesdienstteilnehmer um mich herum denke
ich mir allesamt sorglos, schlicht und gläubig. Dabei
hat die Familie mit den vier Kindern vielleicht Stress
gehabt in der Früh, Ärger mitsammen, Sorgen ums
Geld oder den Füllstand der Campinggasflasche, wer
weiß? Ich stelle mir eben lieber vor, sie alle lebten
glücklich und zufrieden für immer und ewig.
Zurückgekommen im Quartier schläft Carla schon im
Auto, wird dann aber hier angesichts Gilas Einpackerei wieder putzmunter. Nervosität.
Die Meyers waren inzwischen in einer « Village
Gaulois » in Pleumeuer-Bodou (Erwachsene 4 €,
Kinder 3,50). Das Gallierdorf war aber eher ein Dorf
aus Togo, um afrikanischen Kindern zu helfen. Für
Annie und Jann gab es Spiele, etwa ein Katapult zum
Beschuss von Alesia. In dieser Stadt hatte Cäsar
Vercingetorix eingeschlossen. Aus dem Labyrinth,
zweistöckig und höhlenhaft, gingen sie allerdings
wieder vorne heraus. Auch die Bootsfahrt am künstlichen See litt etwas unter der Unerfahrenheit der Kinder als Ruderer. Mutter Sigrid bekam dann noch in
Uzec ihren Menhir zu sehen, den mit dem romanischen Kreuz oben drauf. Ann-Christin wünschte sich
was, und fand, dass der Stein kribbelte, als sie ihn
anfasste, Jann dann ebenso. (Vermutlich eine noch
wenig erforschte Folge von Mobilfunkwellen, meint
Fritz.)
Am Nachmittag gehen wir noch »ins Dorf«, Kaffee
trinken, Eis essen und letzte unnütze Besorgungen
machen (noch n Korb, Geschenk für Charlotte Preil).
Für den Abend ist hausgemachte Pizza angesagt. Die
unterschiedlichen kindlichen Belegungswünsche
beziehungsweise Nicht-Wünsche – das ess ich nicht!
– ärgern die Pizzistin (Gisela), es kommt zu einem
Jörns Bretagne-Tagebuch Oktober 2003, Seite 13 von 13en
kurzzeitigen Zerwürfnis mit räumlicher Trennung der
in jedem Sinn kochenden Kontrahentinnen. Doch:
»Hoch ist hier Frau Koch zu loben, denn ein heißes
Pizzastück in den hungrig’ Bauch gebracht, hat es
wieder gut gemacht!22 « – sie kriegten sich wieder, die
Schwestern, rechtzeitig zum Mahl. Jetzt gießt es
draußen.
Morgen vor zehn ist Hausübergabe. Danach wirds
wohl noch einmal Tagebuch geben, dann aber ist die
Jörn-Meyersche Bretagne endgültig vorüber.
Samstag, 16. 8. 3
Das schreibe ich natürlich schon zu Hause in Bonn,
am Sonntag, den 17. 8., Carlas zweitem Geburtstag.
Dies nur zur Chronik, ja, und eine wichtige Neuigkeit
dazu: Birte ist zum Studium im Rosenheim zugelassen, Wirtschaftsingenieurwesen an der dortigen Fachhochschule, genau, wie sie es wollte, obwohl scheints
der Andrang nach diesem ziemlich neuen Kombistudium größer war als erwartet!
Ja, die Rückreise. Die hatte es in sich! Erst einmal
hieß es »Plündern« – ein südtiroler Singulare Tantum
fürs Ausziehen! Da gab es ein letztes, hastiges Frühstück (Carla zu Jann und Annie, um sie zum Bäcker zu
scheuchen: »Jann, Anni, packmers!«). Dabei kam
natürlich wieder mords Stress auf, zumal ich mit
einer Übergabe um zehn gerechnet hatte, die Damen
aber schon um neun loswollten, also musste Messieur
Messager angerufen werden, er möge doch früher
kommen. Dann spielte ich noch mit den beiden Pocket-PCs herum, damit wir auch (über den Kurzstreckenfunk mit meinen zwei Handfunken hinaus) eine
billige Verbindung haben, was sich allerdings als
schwieriger denn gedacht herausstellte und schließlich nur alle noch nervöser machte23 : »Du tust nichts,
Fritz, spielst herum!« Außerdem hatte ich nachts die
Heckklappe des Passat offen gelassen, es hatte ein
wenig hereingeregnet, was ich dann auch noch erklären musste!
Messagers kamen um halb zehn, sie hatten die
heiße Zeit im Süden im Wohnwagen verbracht, röstend und mückenumschwirrt. Ihr Haus stammt aus
dem Jahr 1968. Später haben sie dann Teile des im-
22
Frei nach Wilhelm Busch, Max und Moritz: »Hoch
ist da Frau Böck zu loben, denn ein heißes Bügeleisen auf den kalten Bauch gebracht, hat es wieder gut
gemacht!«
23
Die Geräte waren entladen, mussten nachts abwechselnd an dem einen Netzgerät, das ich mithatte,
geladen werden. Die Rufumleitung bei NichtErreichbar war nicht ausgeschaltet (##002# – alle
Umleitungen aus!), sodass im Zweifelsfall die Mailboxen ansprangen. Die Klingeln waren leise gestellt.
Und der XDA mit Einstellung Netzsuche manuell
fand wieder nur sehr, sehr zögerlich ein Netz, was
einem beim Versuch, ein abgehendes Gespräch zu
führen, von diesem Mist-Betriebssystem nicht gesagt
wird.
mer noch großen Grundstücks verkauft und das Blumengeschäft, zu
dem ein Durchgang aus der Küche
bestanden hatte. Nette Leute, die an
Bekannte auch direkt vermieten, man
muss sich nur vor April entscheiden,
sonst gehts nur noch über die Agentur. Sie nannten uns den Namen der
kleinen, roten Blumen am Wegesrand: Montbretia, Montbrezien [unbek1].
Um 9.45 Uhr (km 15.940) fuhren wir im Konvoi
ab. Gleich ging der Funk nicht, weil Meyers die Lautstärke auf Null gedreht hatten. In Lannion fuhr ich,
voraus, einen Umweg durch die Stadt. Dann mussten
wir Jörns tanken, Sigrid wartete. Der Ve rkehr war
mörderisch, vor allem die einspurigen Stellen südlich
St. Malo musste man sich lange erwarten und am
Ende oft noch erkämpfen. So bekam ich wenigstens
in weiter Ferne Mont St. Michel zu sehen. Ab Avranches ging es dann besser, Caen, le Havre. Vorher
Vorher hatten wir
uns eines
urplötzlichen kleinen
Bedürfnisses
Janns schon einmal
verloren,
woraufhin dann die
Telefonitis
losgeht und dazu das
Raten, wo
man eigentlich selbst ist in Bezug zum anderen. Übrigens pinkelte unser Held direkt gegen die Leitplanke, was sich an seiner Hose wiederspiegelte.
Hinter Caen gab es eine Essenspause, Baguette und
französische Wurst und Käse mit Apfelschorle, Carla
rutschte und ward gewindelt.
Dann überquerten wir, noch gemeinsam, Sigrid brav hinter uns,
die Seilbrücken der Seine-Mündung
in le Havre. Wirklich ein spannendes Erlebnis, wenn die diagonal
gespannten Tragseile über einem
hinweggleiten24 . Die Brückenmaut
mag ausnahmsweise keine normalen Kreditkarten, was unsere Durchfahrt verzögerte;
Sigrid war daraufhin weit vorne und entschloss sich
urplötzlich zu tanken. Ihr Funkmeister Jann sollte uns
das mitteilen, doch vergeblich, mobiltelefonisch
sprang nur die Mailbox an. Wir nun versuchten, Sigrid zu erreichen, ebenso schwierig und mühsam,
zumal wir erst nur die palavernden Kinder dran bekamen und Sigrid im entscheidenden Moment bei der
Kasse stand. Es blieb Verärgerung, die wir erst einmal durch Fortfahren hinter uns ließen. Mit etwas
Mühe, genug Zeit im Stau vor der nächsten Maut
nördlich Rouen (17.15 Uhr, km 16.401) und Glück
mit den Mobilfunknetzen gelang dann doch ein Treffen auf der langen Landstraße (N 29) zwischen Neuchâtel-en-Braye und Amiens in Aumale. Nomen est
omen, zu dem Kaff kann man nur »au weh!« sagen.
Wir pausierten dort von sechs bis sieben, zumal Sig-
24
Foto LeHavre2. Unscharf, da durch die Scheibe
fotografiert. Ich hätte händisch auf unendlich stellen
müssen! Schön auch das Filmchen LeHavre2!
Jörns Bretagne-Tagebuch Oktober 2003, Seite 14 von 14en
rid erst nachkam. Verfallender wilder Westen mit nur
einem Kaffeehaus mit roten Lederbänken, das eher
als Bar und Pferdewettannahme durchgeht. Dafür
hatte der Bäcker noch offen und eine fleißige Marktfrau in der historischen Markthalle am Dorfplatz mit
Kriegerdenkmal am hinteren Ende.
Danach übernahmen die Jörns die Steuer, Gisela
vorab, siehe Bild [Fahrt1], Fritz mit dem Saab und
den großen Kindern hinterher.
So gings ruhig und gelassen größtenteils die von
unseren Paris -Fahren bekannte Strecke bis nach Belgien hinein – na ja, ganz gelassen nun auch nicht,
denn bei Gisela brannte schon eine Zeit lang die
Lampe vom Reservetank (21.20 Uhr, km 16.637).
Ein bisschen die Beine vertreten, Carla umherlaufen
lassen, die großen Kinder entdeckten kalorienlose
Fantas, und so haben wir uns dann harmonisch und
gerührt getrennt. Sigrid war noch bis Mitternacht
unterwegs – sie fuhr über die Koblenzer Autobahn in
den Westen Bonns und kam in eine Sperrung –, wir
bis viertel vor zwölf über Köln in die Bonner Innenstadt (23.43 Uhr, km 16.902; insgesamt 962 km, 14
Stunden); der Michelin-Internetführer hatte tatsächlich bei der Hinfahrt diese unterschiedlichen Routen
empfohlen.
Reise schön, Ende gut! Jetzt, am trüb-heißen Sonntagnachmittag schläft Carla im Elternbett ihre Reis emüdigkeit aus, Gisela durchjätet ihren (trotz bestem
Gießen von Nachbarin Renate und Birte) doch etwas
trocken gewordenen Ziergarten, erntet dabei Unmengen reifer Tomaten und Weintrauben, und Fritz
macht die Wäsche (fünf Maschinen, trotz waschen
dort!), tippt, nicht ohne sich wieder mal vergeblich
mit nicht-funktionierenden Lan-Verbindungen herumgeschlagen zu haben 25 . Das wars!
–––––––––––––––
Datei Bretagne.doc (.pdf)
Korrekturen, auch von Tippfehlern, erbeten an
©[email protected]
25
Das heißt, die Lan-Verbindung läuft schon, man
sieht, wie viele Pakte ausgetauscht werden, nur »der
Netzwerkpfad wurde nicht gefunden«! Ein weiteres
Ärgernis: In Word laufen die eingeblendeten Bilder
immer wieder weg.
Jörns Bretagne-Tagebuch Oktober 2003, Seite 15 von 15en