Interview anzeigen - Deutscher Frauenrat

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Interview anzeigen - Deutscher Frauenrat
Thema
Wir können uns nicht vor
jeden Karren spannen lassen
Die ehemalige Nationalspielerin und DFB-Nachwuchstrainerin Anouschka
Bernhard über Widerstände und Fortschritte im Frauenfußball
Als Anouschka Bernhard Ende der Siebzigerjahre mit dem Spielen anfing, gab es im
Nachbardorf bereits einen Klub, der Mädchen- und Frauenfußball anbot. Das war
Glück – denn damals noch eine Rarität. Heute boomt der Sport für Frauen und
Mädchen in Vereinen und Schulen. Dennoch ist das Fußballfeld, in Deutschland stärker
noch als in anderen Ländern, ein von Männern heftig verteidigtes Terrain, das nur von
Frauen mit mit Mut, Willen und Ausdauer erobert werden kann.
FrauenRat: Turbine Potsdam hat
im vergangenen März zum dritten
Mal den Meistertitel der FrauenBundesliga geholt. Beim Endspiel
war das Stadion mit 7.000 BesucherInnen »imposant« besetzt,
wie es in der Berliner Zeitung auf
der dritten Seite des Sportteils
hieß. Im Vergleich mit Männerfußball schneidet Frauenfußball hierzulande meist nicht gut ab.
Warum?
Anouschka Bernhard: Mich nerven
diese ständigen Vergleiche im Fußball,
von denen sich andere Sportarten
längst befreit haben. Als Steffi Graf
damals auf dem Höhepunkt ihrer Tenniskarriere war, hat kein Mensch
gesagt: »Na gut, aber wenn die mal
gegen Boris Becker spielen würde.«
Diesen Vergleich zwischen Männern
und Frauen gibt es nur im Fußball.
Dabei unterscheiden sich Frauenfußball und Männerfußball extrem voneinander, auch wenn das Spiel nach
den gleichen Regeln und mit dem
gleichen Sportgerät ausgetragen
wird. Schnelligkeit, Dynamik, Kraft
sind einfach unterschiedlich. Männerfußball lebt extrem von seiner Athletik, Frauenfußball besticht durch ein
taktisch sehr ausgeprägtes Spiel,
durch eine andere Spielauffassung.
Und wir dürfen auch nicht vergessen,
dass Frauenfußball in Deutschland
erst seit vierzig Jahren anerkannt
wird, während Männerfußball hierzu-
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lande seit 140 Jahren gespielt wird.
Klar, dass der Entwicklungsstand da
ein anderer ist.
Sie haben mal gesagt, Männerfußball sei ein Individualsport in der
Gruppe, Frauenfußball hingegen
ein Teamsport. Das müssen Sie
erklären!
Ja (lacht), das zeigt sich in allen
Altersstrukturen an sehr kleinen
Dingen. Wenn Jungs oder Männer
auf den Platz rausgehen, um sich
warm zu machen, schießen sie zuerst
mal auf das Tor, egal ob da einer
drinsteht oder nicht. Jeder hat seinen
Ball und beschäftigt sich damit
alleine. Frauen kommen raus und
beschäftigen sich in Kleingruppen
mit dem Ball, manchmal besprechen
sie dabei auch noch Sachen. In
Übungs- und Spielformen mit Jungs
geht es immer darum: Wie stehe ich
da? Sie sagen auch »Ich hab das Tor
geschossen«, auch wenn drei daran
beteiligt waren. Mädchen schauen
mehr auf das Team, sie sagen: »Wir
haben gewonnen.« Bei ihnen steht
der Output der Gruppe im Vordergrund. Und diese Unterschiede muss
man bei der Ausbildung berücksichtigen: Den Jungs muss man beibringen
im entscheidenden Moment vor dem
Tor auch mal einen Querpass zu
machen. Denn wenn die einen Ball
am Fuß haben und Richtung Tor
gehen, blenden die links und rechts
alles aus und wollen nur eines: das
Tor selbst machen. Den Mädchen
muss man diesen Egoismus erst beibringen. Auffallend ist, dass Mädchen, die länger bei den Jungs
gespielt haben, diese Verhaltensweisen schon eher adaptiert haben. Sie
bringen diesen positiven Egoismus
bereits mit, den man absolut braucht
für den Erfolg. Man braucht beides:
Egoismus und Teamgeist.
Sie haben die gleiche Trainerlizenz
wie Joachim Löw, der Trainer des
Männer-Nationalteams. Dennoch
haben Sie bis vor Kurzem bei
Hertha BSC nur die sieben- bis
13-jährige Jungs trainieren
dürfen. Warum nicht die Älteren?
Ich bin an der Tradition bei Hertha
BSC gescheitert. Man hat mir dort
nicht zugetraut, eine B-Jugend zu trainieren, obwohl ich sehr viel Spielerfahrung mitgebracht habe und lange
Rekord-Nationalspielerin war, bis Arne
Friedrich irgendwann mal mehr Länderspiele gemacht hatte als ich. Ich
habe alle Trainerlizenzen durchlaufen,
habe viele Teams trainiert, habe als
Zweitbeste den Elitelehrgang absolviert. Aber für einen Männerligisten
wie Hertha BSC war das eine noch
nicht akzeptable Situation.
Wir sind derzeit 16 oder 18 Frauen,
die eine Trainingslizenz haben. Doch
so gut wie keine trainiert im oberen
Thema
Männerbereich. Sissy Reith (vgl. S. 20)
war eine der wenigen. Sie hat 2009
eine bayerische Landesliga-Mannschaft erfolgreich trainiert. Die
Begründung für die Trennung nach
zehn Monaten lautete: Es sei »für
einen Mann, der nach einem harten
Arbeitstag ins Training kommt, vielleicht doch besser, sich nicht mit einer
Frau auseinandersetzen zu müssen«.
Der Fußball ist ein sehr starres, traditionell männliches Konstrukt, und
Frauen wird rasch die Fachkompetenz
abgesprochen. Für mich als Trainerin
der Jungs war es superhilfreich, dass
ich Fußball spielen kann – gerade
auch gegenüber den Eltern. Da gab
es natürlich am Anfang viele Bedenken: Wie viele Eltern mich in unsäg­
liche Diskussionen über Taktik verstrickt haben! Ich habe nur darauf
gewartet, dass einer der Väter mal
fragt: Was ist denn eigentlich
Abseits? Es war deutlich zu spüren,
dass die abchecken wollten: Hat die
überhaupt Ahnung? Egal, was ich als
Spielerin geleistet hatte, welche Trainerlizenz ich hatte – Ruhe war erst,
nachdem ich einmal über 35 Meter
Distanz einem Trainerkollegen den
Ball direkt vor die Füße gelegt habe.
Da hat es bei denen »Aha« gemacht.
Sind Sie also gern von Hertha
zurück zum Frauenfußball
gewechselt?
Auf jeden Fall. Auch wenn ich nach
fast acht Jahren auch mit einem weinenden Auge weg bin, denn mit den
Trainern im Jugendbereich, die mir
bei Hertha BSC unterstellt waren, gab
es nie Probleme. Da waren wir von
Anfang an fachlich auf einer Ebene.
Aber der DFB ist für eine Trainerin,
auch für einen Trainer, ein großer
Schritt. Ich finde außerdem die Altersstufe der jungen Frauen und Mädchen spannend. Die sind ja gerade so
beim Übergang; die noch ein bisschen zu begleiten, die zu fördern und
auch zu fordern, das ist eine ganz
spannende Aufgabe. Sie bringen
zwar schon viel Potenzial mit, sind
aber noch super trainierbar. Da ist
noch extrem viel Luft nach oben. Es
ist für mich auch eine schöne
Geschichte, dass ich etwas von dem
zurückgeben kann, was ich als Spiele-
Anouschka Bernhard
Jahrgang 1970, war Verteidigerin beim VfL Sindelfingen und
beim FSV Frankfurt. 1995 und 1998 gewann sie mit dem
FSV den Deutschen Meisterinnen-Titel, 1994 und 1995 mit
der Auswahl Hessens den Länderpokal der Frauen, 1995
den DFB-Pokal. Insgesamt war sie bei 47 Länderspielen
dabei, wurde 1995 Europameisterin und Vizeweltmeisterin.
Nach ihrer aktiven Karriere trainierte die Sportwissenschaftlerin den FSV, später das Studentinnen-Nationalteam. Von
2003 bis 2011 arbeitete sie als Jugendkoordinatorin (U7 bis
U13) bei Hertha BSC. 2009 absolvierte sie als Zweitbeste
die Ausbildung zum Fußballlehrer. Seit dem 1. März 2011
gehört sie dem Trainerinnenteam des DFB im weiblichen
Nachwuchsbereich an.
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Thema
rin bekommen habe.
Sie gehen auf die Plätze und
halten unter den Nachwuchsspielerinnen nach Talenten für das
Nationalteam Ausschau. Was sind
die Kriterien?
Da streiten sich die Geister. Manche
Trainerinnen und Trainer sagen: groß
und schnell, alles andere bringen wir
noch bei. Für mich persönlich sind
andere Kriterien wichtig: Kreativität,
Wille und Einstellung. Mir sind Spielerinnen am allerliebsten, die mal was
Außergewöhnliches machen, nicht so
konform sind. Dass dabei auch mal
was danebengehen kann, mag sein.
Aber das ist für mich ein Talentkriterium: Mut zum Außergewöhnlichen.
Natürlich sind körperliche Merkmale
wie Schnelligkeit und koordinative
Fähigkeiten auch ein Talentkriterium,
da kommen wir im Leistungsport
nicht drumherum.
Ziehen die Eltern der jungen
Frauen mit?
Ja, in diesem Alter sind die größten
Hürden überwunden. Doch bei den
Mädchen sind die Eltern noch mehr
als bei den gleichaltrigen Jungen
darauf bedacht, die Karriere ihrer
Tochter mitzuverfolgen oder das Kind
noch ein Stück weit zu behüten. Das
ist manchmal anstrengend, zum Beispiel wenn ein Vater am Telefon ist
und uns erzählt, wir würden seine
Tochter ganz falsch einschätzen. Da
muss man Geduld haben, denn wir
dürfen die Eltern nicht verprellen. Sie
sind ein, wenn nicht sogar der wichtigste Förderer zu Beginn der Sportlaufbahn der Kinder und Jugend­
lichen.
Sind Sie von Ihren Eltern gefördert worden?
Mein Vater war mein absoluter Fußballförderer. Meine Mutter hat dasselbe mit Tennis versucht; und da gab
es ein paar Reibungspunkte, denn
mein Tag hatte auch nur 24 Stunden.
Es war nicht immer leicht, beiden
gerecht zu werden. Ich habe mich
dann irgendwann für den Fußball
entschieden, wurde aber grundsätz-
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lich und gern von meinen Eltern in
allen sportlichen Aktivitäten unterstützt.
Hatten Sie ein Vorbild?
Mein Vater hatte mich früh Pelé
genannt oder Diego – von Diego
Maradona, dem überragenden Fußballstar der Achtzigerjahre. Zwischen
sieben und fünfzehn hieß ich nur so.
Ich habe mich auch gefühlt wie Diego
Maradona – und mich so verhalten.
Das hat meinem Selbstbewusstsein
sehr viel Auftrieb gegeben, um nicht
zu sagen: Ich bin auch manchmal
über das Ziel hinausgeschossen.
Wie gut ist der heutige Nachwuchs im Frauenfußball?
Im Moment verzeichnen wir einen
stetigen Qualitätszuwachs, einfach
weil die Mädchen früher anfangen zu
spielen, auch in besseren Strukturen,
es gibt mittlerweile einige Eliteschulen
des Fußballs, die auch Mädchenfußball haben, wo es sensationelle Möglichkeiten gibt. Die Mädchen können
dort sehr häufig trainieren, mit guten
Trainern, die Trainingsgruppe ist sehr
homogen und auf hohem Niveau,
was sie dann auch im Wettkampf
weiterbringt. Es bleibt aber abzuwarten, ob die Kurve weiter ansteigt oder
ob mittelfristig auch wieder eine
kleine Delle kommt.
Das heißt, die Situation für Fußballerinnen hat sich seit Ihrer Zeit
als Aktive deutlich verbessert?
Absolut. Es gibt sehr viel mehr Möglichkeiten zu spielen. Ich hatte das
Glück, ich habe 1977 angefangen,
dass es im Nachbarort einen Verein
gab, der Frauen- und Mädchenfußball
anbot, aber das war nicht die Regel.
Der DFB macht inzwischen extrem viel,
was die Förderung von Frauen- und
Mädchenfußball betrifft, das wirkt sich
letztendlich auch auf die Landesverbände und die Vereine aus. Und natürlich führen die Erfolge der Nationalmannschaft des A-Teams dazu, dass
Frauenfußball aus seinem Schatten­
dasein herauskommt und wahrgenommen wird, auch als mögliche
Sportart für Mädchen – und das hof-
fentlich zunehmend auch innerhalb
von Zuwandererfamilien. Im Männerfußball haben wir damit kein Problem.
Die Hälfte der Jungs in den Nationalteams haben Namen wie Öztürk,
­Gündogan oder Tasci. Bei den Mädchen sieht das ganz anders aus,
obwohl es zahlenmäßig genauso viele
junge Frauen mit Migrationshintergrund gibt wie Männer. Doch Frauen
wie Fatmire Bajramaj (vgl. S. 25) im
A-Team sind noch eine absolute Ausnahme. Wir haben es hier also mit
einem kulturellen Problem zu tun. Das
ist schon eine Herausforderung, vor
dem der Frauen- und Mädchenfußball
in den nächsten Jahren steht: diese
Spielerinnen in die Vereine zu bekommen und sie dort entsprechend zu fördern.
Es gibt etliche dieser Integrationdurch-Fußball-Projekte. Nicht nur
hier, auch in der Entwicklungs­
politik wird seit einigen Jahren
auf Mädchen- und Frauenfußball
gesetzt, so als ob er ein neues
emanzipatorisches Wundermittel
sei. Ist das nicht übertrieben?
Der Frauenfußball kann aufgrund des
gestiegenen medialen Interesses vor
der Heim-WM einige Themen
anschieben, aber er muss schon
schauen, dass er nicht vor jeden
Karren gespannt wird. Frauenfußball
kann nicht die Welt retten, auch
wenn Sport, gerade auch Teamsport,
entwicklungsfördernd ist in vielerlei
Hinsicht.
Handball, Hockey oder Volleyball
sind das auch. Ein bisschen kommt
mir diese Frauenfußball-Euphorie
vor wie die früheren Initiativen
»Mädchen in Männerberufe«. Als
sei es eine besonders emanzipatorische Leistung von Frauen, sich in
besonders männlich definierten
Bereichen zu behaupten – der Ritterschlag sozusagen.
Da haben Sie Recht, das sehe ich so
ähnlich.
Gleichzeitig lässt sich seit geraumer Zeit eine »Verweiblichung«
des Frauenfußballs beobachten.
Mehr »Sexyness« forderte bei-
Thema
Kreativität und Mut zum Außergewöhnlichen: U20-Weltmeisterschaft 2010
spielsweise der FIFA-Chef Sepp
Blatter nach der letzten Frauen-WM. Die ehemalige Libera und
heutige Managerin des Frauen­
nationalteams Doris Fitschen
sagte, sie habe nichts dagegen,
wenn sich die Spielerinnen für
den Playboy auszögen. Hat der
Frauenfußball, wenn er kommerziell größer rauskommen will, nur
eine Chance über den nackten
Körper?
Zunächst können wir froh sein, dass
wir nicht Beachvolleyball spielen. Da
gibt es ja eine klare Vorschrift, dass
das Höschen die breiteste Stelle um
höchstens vier Zentimeter überschreiten darf. Das ist offener Sexismus,
und dagegen sieht es beim Frauenfußball doch noch etwas anders aus.
Was Herr Blatter sagt, würde ich nicht
so ernst nehmen, weil er sich zu sensiblen Themen in letzter Zeit manchmal etwas unbedarft geäußert hat. Es
ist aber schon so, wenn man die Spielerinnen von vor zwanzig Jahren aus
dem A-Team vergleicht mit den heutigen, dass da eine deutliche Hinwendung zur Weiblichkeit zu erkennen
ist. Ich sehe das als Ausdruck eines
veränderten Selbstbewusstseins der
Mädchen heute, glaube aber nicht,
dass Spielerinnen ihre Weiblichkeit
bewusst zur Schau stellen, um damit
den Frauenfußball attraktiver zu
machen. An dem WM-Slogan »20Elf
von seiner schönsten Seite« scheiden
sich ja auch die Geister. Viele sagen,
er ziele nur auf die Weiblichkeit, auf
den Körper ab. Ich finde das aber
nicht schlimm, Frauenfußball ist
ästhetisch und schön anzusehen.
Fußball ist doch auch für die Massen;
und wenn die Zuschauer sagen, das
ist schön, das guck ich mir an, dann
ist das ok.
Stehen die Chancen gut, dass das
deutsche Team die WM gewinnt?
Es wird sehr schwer. Die Spitze wird
dichter, auch im Frauenfußball. Die
absolute Vormachtstellung gibt es
nicht mehr, aber die Chancen sind auf
jeden Fall da.
Mit Anouschka Bernhard sprach
Ulrike Helwerth.
Altersklassen
im Fußball
DFB-Einteilung
A-JuniorInnen (U19/U18):
SpielerInnen, die im Kalenderjahr, in
der das Spieljahr beginnt, das 17.
oder das 18. Lebensjahr vollenden
oder vollendet haben.
B-JuniorInnen (U17/U16): analog A
C-JuniorInnen (U15/U14): analog A
D-JuniorInnen (U13/U12): analog A
E-JuniorInnen (U11/U10): analog A
F-JuniorInnen (U9/U8): analog A
G-JuniorInnen (Bambini/U7): analog A
Im Bereich der B-JuniorInnen und jünger sind gemischte Staffeln (Jungenund Mädchenmannschaften) zulässig. Wo die örtlichen Verhältnisse es
notwendig erscheinen lassen, können
vom zuständigen Jugendausschuss
Spielrunden mit Mannschaften zugelassen werden, in denen Spielerinnen
und Spieler unterschiedlicher Altersklassen mitspielen.
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