Vom Samurai zum Action-Held: filmische Remakes als

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Vom Samurai zum Action-Held: filmische Remakes als
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Vom Samurai zum Action-Held: filmische Remakes
als Spiegel der Kultur
ALIÉNOR DIDIER
Evi Hallermayer, Filme analysieren – Kulturen verstehen. Über Akira Kurosawas »Yojimbo« und seine beiden Remakes »Per un pugno di dollari« und »Last man standing«.
Konstanz: UKV Verlagsgesellschaft 2008. 547 S.
Zu filmischen Remakes liegt bereits eine Vielzahl medienwissenschaftlicher Publikationen vor. Ihrer kulturellen Dimension wurde jedoch bislang vor allem in der englischsprachigen Fachliteratur nachgegangen. Einen deutschen Beitrag unter Fortführung einer bereits von Concepción Carmen Cascajosa Virino angeregten analytischen
Perspektive1 bietet nun Evi Hallermayers Dissertation Filme analysieren – Kulturen
verstehen. Sie betrachtet Filme als den Ausdruck der Kultur ihrer jeweiligen Produktionsländer, als kulturelle Artefakte. Zur Illustration kultureller Spezifika fokussiert
sie jene Unterschiede, die sich beim Remake einer Filmvorlage aus der Umsetzung
desselben filmischen Stoffs in verschiedenen Kulturen ergeben und die aus dem Vergleich von Vorlage und Remake abgeleitet werden können. Mit dieser Herangehensweise will Hallermayer nicht nur einen Einblick in die Kulturen verschiedener Produktionsländer geben, sondern diese darüber hinaus auch verstehbar machen, also
dem Leser kulturelle Kompetenz vermitteln.
Hallermayers Analyserahmen ist weit gefasst: Neben der Produktseite, auf der auch
Genremerkmale Berücksichtigung finden, schließt er die Produktionsseite mit ein.
Aufgezeigt werden der politische und gesellschaftliche Produktionshintergrund sowie
die kulturellen Einflüsse, denen die Regisseure der von ihr untersuchten Filme unterworfen waren und die sich in ihren Arbeiten äußern. Ihre Untersuchungsobjekte hat
die Autorin so gewählt, dass eine deutliche Veränderung der Filmvorlage schon aufgrund der kulturellen Heterogenität der Produktionsländer zu erwarten ist: Akira
Kurosawas Samurai-Film Yojimbo (1961) stellt sie zwei Remakes gegenüber, die zudem unterschiedlichen Genres zuzuordnen sind: zum einen Sergio Leones Italo-Western Per un pugno di dollari (1964), zum anderen Walter Hills amerikanischen ActionFilm Last Man Standing (1996).
Methodisch folgen Hallermayers Filmanalysen einem kulturhermeneutischen Ansatz. Ausgehend von der Annahme, dass es kulturspezifische Vorzugslesarten von Filmen gibt, zeigt sie die dazu analogen kulturtypischen Arten der Thematisierung an
den drei Filmen auf. Die vergleichende Analyse erfasst die inhaltlichen Aspekte: relevante normative Strukturen sowie die Filmfiguren und deren Handlungsrahmen, d. h.
den sozialpolitischen, gesellschaftlichen und religiösen Kontext, in dem sie agieren.
Neben der Ebene der »ideellen Filminhalte« erstreckt sie sich auch auf die der filmästhetischen Visualisierung von Kultur. Hallermayers Arbeit liegt damit auch ein semiotischer Kulturbegriff zugrunde, wie er sich u. a. in den Arbeiten von Clifford Ge1 Vgl. Concepción Carmen Cascajosa Virino, El Remake Cinematográfico y la Comunicación Intercultural. In: Razón y Palabra 44 (2005): www.razonypalabra.org.mx/anteriores/n44/ccascajosa.html.
KulturPoetik Bd. 9,2 (2009), S. 295–297, ISSN 1616-1203
© Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen 2009
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ertz findet. Die Bedeutung der Zeichen, die das ›System‹ Kultur nach diesem Verständnis konstituieren, erschließt sie auf der Basis von Erkenntnissen aus so vielfältigen
Disziplinen wie der Anthropologie, der Kulturanthropologie, der Soziologie, der Geschichte und der Psychologie. Leider bleibt die Arbeit hier erstaunlich beispielarm.
Hallermeyer unterscheidet zwei Zeichentypen: diejenigen, die sich zu »kulturellen
Codes« (Geertz) ergänzen, und »kulturelle Motive«. Beispiele dafür, in welcher Form
sich diese Analyseeinheiten im Film äußern, werden mit Bildern, Gesten und Kleidung jedoch nur für die letzte Kategorie gegeben.
Filme analysieren – Kulturen verstehen ist so aufgebaut, dass die zum Verständnis
der Ergebnisdarstellung notwendigen Informationen eingangs geliefert werden. In einem ersten Teil, der die theoretischen Ausführungen umfasst, werden die Charakteristika der Genres beschrieben, denen die drei Filme zuzuordnen sind. Im Anschluss
daran wird den drei Regisseuren als kulturell geprägten Individuen Aufmerksamkeit
geschenkt, denn, so die Autorin: »Jeder Regisseur erzählt in seinen Filmen bis zu einem gewissen Grad etwas über die Kultur, in welcher er sozialisiert wurde« (7). Hier
finden sich sowohl biographische Informationen als auch ein Überblick zu inhaltlichen und stilistischen Merkmalen ihrer Filme. Der zweite Teil ist den Analyseergebnissen vorbehalten. Jeweils ein Kapitel widmet sich einem Film, wobei immer die o. g.
inhaltlichen Aspekte beleuchtet werden: Figuren, die als »hochgradig kulturspezifisch« (478) qualifiziert werden, sowie Normen und Handlungsrahmen.
Hallermayers Fazit, dass über alle Analyseaspekte hinweg die Differenzen zwischen
den Filmen dominieren, lässt sich bspw. anhand der Frauendarstellungen illustrieren.
In Yojimbo fänden sich typisch japanische Frauenfiguren, da entweder leidende Frauen
oder Mütter inszeniert werden, die ihr Schicksal geduldig tragen. Auch im Italo-Western lassen sich, so Hallermayer, zwei Weiblichkeitsmodelle unterscheiden: das der katholischen Mutter, die ihre Familie beschützt, und das einer Amerikanerin, die als wenig
emotionale Puritanerin im direkten Kontrast zur gefühlvollen Mutterfigur steht. Die
Frauenfiguren des US-Films werden wiederum als begehrenswert sowie sexuell aktiv
portraitiert. Selbst bei einer Vertreterin religiöser Ideale steht die Weiblichkeit im Vordergrund. Doch auch Ähnlichkeiten, z. B. in Bezug auf den inszenierten Handlungsrahmen, sind von Film zu Film nicht nach demselben Schema zu lesen: So zeichnen sich
der Samurai und der italienische Westernheld beide durch Anonymität aus, aber die in
den jeweiligen nationalen Rezeptionskulturen dazu vorherrschenden gedanklichen Assoziationen sind unterschiedlich: Dass der Held in Kurosawas Film herrenlos und damit
von Pflichten und Aufgaben befreit ist, legt die Annahme persönlicher Freiheit nach
westlichem Verständnis nahe. In Japan stelle sich jedoch das Gefühl von Freiheit nur in
Situationen ein, in denen gesellschaftliche Regeln für angemessenes Verhalten definiert
sind. Fehlten diese, entstehe für den Japaner eine Haltlosigkeit, die zu Verunsicherung
führe. Die Bindungs- und Namenlosigkeit des Samurai werde von diesem demnach als
schmerzhafter Verlust einer stabilen Gesellschaftsordnung erfahren, während im Fall
des Westernhelden Anonymität Handlungsfreiheit bzw. Selbstbestimmung und Ungebundenheit bedeute.
Ein weiterer Aspekt, für den Hallermayers Buch sensibilisiert, ist die Verschiedenartigkeit der narrativen Strukturen, die sich in Filmen unterschiedlicher kultureller
Produktionskontexte ausmachen lassen. Die für Hollywood-Filme typische Darstellung tugendhafter Helden und die eindeutige Lösung des Konflikts bzw. das Happy
End, sind in japanischen Filmen unbeliebt, so die Autorin. Als heldenhaft werde in
Japan eine Filmfigur erachtet, die im Kampf für ihr Ziel stirbt. Auch ihre Leiden verliehen dieser in den Augen des Rezipienten wahre Größe. Die meisten japanischen
Filme endeten deshalb tragisch. Dass diese zudem eine Vielzahl ästhetisch anspreKulturPoetik 9, ISSN 1616-1203
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chender Szenen aufweisen, die keinesfalls zum Fortkommen der Narration beitragen,
begründet Hallermayer mit einer ausgeprägten Liebe der Japaner zum Ästhetischen
– ob in Form der Kalligraphie, der Blumensteck-Kunst, der Gartenkunst oder der
Malerei. Auch die langen Einstellungen japanischer Filme seien kulturbedingt und auf
die Neigung zurückzuführen, sich nicht auf eine Richtung festzulegen, sondern sich
möglichst lange alle Wege offen zu halten.
Der Umfang von Filme analysieren – Kulturen verstehen, knapp 550 Seiten, ist der
Entscheidung Hallermayers für eine ganzheitliche Betrachtung des Produktes Film
geschuldet. In Anbetracht der Komplexität der Themenstellung ist die Berücksichtigung produktionsseitiger Faktoren als Stärke der Arbeit zu werten, auch wenn sich
über den o. g. »gewissen Grad«, bis zu dem ein Film Aufschluss über die Kultur seines
Produktionslandes auf der gesellschaftlichen Ebene gibt, streiten lässt: Das Ausmaß
etwa des Einflusses, den ein Regisseur als Individuum auf einen Film nehmen kann,
ist von Land zu Land sehr unterschiedlich, wie die Gegenüberstellung von französischen Autorenfilmen und Hollywood-Blockbustern zeigt. Gerade in Bezug auf die
interkulturellen Verweise von Remakes, die Hallermayer ebenfalls aufzeigt, erlaubt der
Einblick in die Biographie der Regisseure produktive Rückschlüsse.
Besonders detailliert und aufschlussreich sind Hallermayers Ausführungen zum
japanischen Film und zur japanischen Kultur. Sie lassen auf ein breites Wissen der
Autorin schließen, die als Unternehmensberaterin für japanische Firmen tätig ist.
Da filmische Remakes, wie schon ihre Originale, heutzutage zwar weltweit exportiert,
aber von jedem Rezipienten durch Rückgriff auf die eigenen kulturellen Referenzen gedeutet werden, ist eine Sensibilisierung für unterschiedliche narrative und ästhetische
Gestaltungsweisen in Abhängigkeit der geographischen und zeitlichen Verankerung der
Filmhandlung überaus sinnvoll. Diese bewirkt Hallermayers Dissertation zweifellos. Mit
ihrem Anliegen, »die kulturelle Kompetenz des Lesers zu schärfen, damit dieser auch in
Zukunft kompetent mit anderweitigen Werken aus unterschiedlichen Kulturen umgehen
kann« (479), muss sie jedoch scheitern. Die Auswahl der Filme, die nicht nur über ihre
nationale Herkunft, sondern auch über ihr Genre hinweg variieren, erlaubt keine Systematisierung der identifizierten Unterschiede. Eine solche wäre aber die Voraussetzung
zur Erstellung eines Analyserasters mit dessen Hilfe der Rezipient bspw. genrespezifische
Filmmerkmale fokussieren könnte, die in der Regel kulturell unterschiedlich gestaltet
werden. Die Anschlussfähigkeit ihrer Forschungsarbeit, die in den Bereichen Remakes
sowie Fernsehformatadaptionen durchaus reizvoll wäre, wird zudem dadurch erschwert,
dass die interdisziplinären Anleihen zum Thema Kultur in den nur knappen Reflexionen
zur methodischen Grundlage der Arbeit nicht näher spezifiziert werden. Auch wechseln
die territorialen Referenzen für den Kulturbegriff in Abhängigkeit der fokussierten Filmmerkmale: Er bezeichnet gleichermaßen Nationalkulturen wie Kulturräume. Ein Kulturraum, Europa,wurde auch als Kontrastfolie zu Japan und den Vereinigten Staaten gewählt
und von ihm ausgehend die Spezifika der in diesen Ländern produzierten Filme erklärt.
Für Forschungsarbeiten, deren Kulturvergleich auf innereuropäischer Ebene erfolgt, bieten sich deshalb nur bedingt Anknüpfungspunkte.
Filme analysieren – Kulturen verstehen schlägt eine Brücke zwischen Medien- und
Kulturwissenschaft und zeigt, dass man Filme für kulturwissenschaftliche Fragestellungen fruchtbar machen kann. Die Antwort auf das Wie sollte aber ein Impuls für
weitere methodische Ansätze sein.
Aliénor Didier, M. A., Universität des Saarlandes, FR 4.2 Romanistik, Französische Kulturwissenschaft und Interkulturelle Kommunikation, Postfach 15 11 50, D-66041 Saarbrücken, E-Mail: [email protected]
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