Würdevoll sterben mit Demenz Wie sterben Menschen mit Demenz?
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Würdevoll sterben mit Demenz Wie sterben Menschen mit Demenz?
Würdevoll sterben mit Demenz Immer häufiger erreichen Menschen mit Demenz ein fortgeschrittenes Stadium der Demenz. Altenheime, Hospize, Krankenhäuser und ambulante Pflegedienste benötigen deshalb zunehmend entsprechende Konzepte und Wissen zur Begleitung und Pflege von Menschen mit Demenz, um diesen ein selbstbestimmtes und würdevolles Sterben zu ermöglichen. Im Schwerpunkt dieser Ausgabe wollen wir deshalb die folgenden Fragen beantworten: Was passiert beim Sterbeprozess? Sterben Menschen mit Demenz anders? Was brauchen sie und welche Anforderungen erwachsen daraus für die professionelle Pflege und Begleitung? Welche erfolgreichen Konzepte und Modelle gibt es bereits in der Praxis? Wie sterben Menschen mit Demenz? Erkenntnisse aus der medizinischen Forschung • Der Sterbeprozess bei Menschen mit Demenz vollzieht sich nicht einheitlich. Welche Merkmale typisch sind und welche Bedeutung diese für die palliativmedizinische Versorgung haben, beschreibt Dr. Tania Zieschang. • Wissenschaftliche Untersuchungen haben klassische Verläufe beim Sterbeprozess beschrieben (vgl. Abbildung auf der folgenden Seite): Krebspatientinnen können sich beispielsweise auch nach der Diagnose noch lange selbst versorgen und selbstständig leben. In dem Moment, in dem der Prozess der Krebserkrankung trotz einer tumorspezifischen Behandlung nicht mehr aufhaltbar ist, baut eine Patientin/ein Patient schnell ab und erlebt eine relativ kurze Phase der Abhängigkeit bis zum Tod. Bei chronischen Erkrankungen wie der Herzinsuffizienz können die Patientinnen hingegen schon Jahre vor ihrem Tod Einbußen in ihrer Funktionalität haben: Sie werden kurzatmig und können zum Beispiel nur noch schlecht Treppen steigen. Im Rahmen dieser Erkrankung kann es immer wieder zu akuten Verschlechterungen kommen, die gegebenenfalls häufig wiederkehrende Krankenhausauf- enthalte bedingen. Nach jedem dieser Krankenhausaufenthalte verschlechtert sich der Zustand ein Stück. In der Geriatrie weiß man, dass eine Häufung von Krankenhausaufenthalten ein schlechtes prognostisches Zeichen ist. Man weiß nie genau, ob sich eine Patientin/ein Patient von dem schlechten Zustand wieder erholt oder ob dies der Anfang vom Ende ist. Wann beginnt die Sterbephase bei Menschen mit Demenz? Für alte Patientinnen mit Gebrechlichkeit (siehe Kasten S. 10) und auch mit Demenz ist ein anderer Verlauf als bei Krebspatientinnen typisch: Im letzten Lebensjahr verschlechtert sich der Zustand, von einer deutlich eingeschränkten funktioneilen Leistungsfähigkeit ausgehend, langsam und graduell. Manchmal kommen auch Ereignisse wie eine Infektion oder ein Sturz hinzu. In diesen Situationen ist Pro Alter - Würdevoll sterben mit Demenz - Seite 1 Abb.: Klassische Verläufe des Sterbens es sehr schwierig, zu sagen, wann die Patientin/der Patient in die Sterbephase eintritt(1). In einer Langzeitstudie von Gill et al.(2) wurden 383 über 70-jährige und zu Hause lebende Menschen über einen Zeitraum von zehn Jahren regelmäßig zu ihrem gesundheitlichen Zustand befragt. Für die Patientinnen mit Demenz zeigte sich in etwa 70 Prozent der Fälle ein schon von einem sehr niedrigen funktionellen Niveau ausgehender langsam fortschreitender Verlauf, wie in der früheren Studie beschrieben. Die häufigsten Todesursachen in diesem Kollektiv waren Gebrechlichkeit, gefolgt von organischem Versagen und Krebs. Eine fortgeschrittene Demenz war in 13,8 Prozent der Fälle Todesursache. Um zu beleuchten, wie eine Demenz zum Tod führt bzw. mit welchen Komplikationen zu rechnen ist, eignet sich eine Studie von Mitchell et al.(3). 323 Altenheimbewohnerinnen mit einer fortgeschrittenen Demenz wurden über 18 Monate lang beobachtet. Über die Hälfte starb innerhalb dieser 18 Monate, ein Viertel innerhalb von sechs Monaten. Wenn bei diesen Patientinnen zusätzliche Komplikationen auftraten, zum Beispiel ein Infekt, war die Sterblichkeit noch höher. Bei sehr vielen Patientinnen mit fortgeschrittener Demenz treten durch die Hirnschädigung bedingte Schluckprobleme auf. Diese fuhren durch Aspiration, also das Verschlucken von Nahrung oder aber auch Speichel, zu häufig wiederkehrenden Lungenentzündungen. So auch in dieser Studie. Curative oder palliative Behandlung? In diesem Fall stellt sich die Frage, ob eine regelmäßig wiederkehrende Lungenentzündung jedes Mal mit Antibiotika behandelt werden sollte (wobei zu beachten ist, dass die Antibiotikatherapie gerade bei wiederholter Anwendung ihre Wirksamkeit verliert) oder ob eine rein palliative Behandlung zur Verhinderung der Luftnot nicht die bessere Alternative wäre? Symptome wie Luftnot - die ja gerade in der Palliativmedizin effektiv behandelt werden können - nehmen am Lebensende von Menschen mit Demenz zu. Die Lungenentzündung ist ein häufiger Weg älterer Menschen, aus diesem Leben zu gehen. Diesen natürlichen Weg sollte man nicht grundsätzlich versperren. Was tun, wenn der Hunger nachlässt? Mit den Schluckbeschwerden tritt auch häufig eine Unterernährung bei Menschen mit fortgeschrittener Demenz auf. Das Hungergefühl der Menschen verändert sich, sie essen weniger und nehmen ab. Es ist einen Versuch wert, diesen Personen Essen anzubieten, das attraktiv ist Gebrechlichkeit ist keine Krankheit, sondern ein komplexes Syndrom und die Folge des natürlichen Alterungsprozesses. Unmittelbar mit der Gebrechlichkeit assoziiert sind Sarkopenie (Muskelabbau), Osteoporose (Knochenschwund), Muskelhypotonie (Muskelschwäche) und das FatigueSyndrom (Erschöpfungs-Syndrom). Eine Folge der Gebrechlichkeit ist beispielsweise ein erhöhtes Risiko für Schenkelhalsfrakturen (Oberschenkelhalsbruch) bei älteren Patientinnen. Pro Alter - Würdevoll sterben mit Demenz - Seite 2 und das sie auch selbstständig essen können, zum Beispiel Fingerfood. Essen sollte immer ein Gewinn an Lebensqualität sein. Deshalb sollte man das Essen niemals forcieren, zum Beispiel durch das Anlegen einer PEG-Sonde. Die wenigen Studien, die es zu diesem Thema gibt, weisen daraufhin, dass PEG-Sonden weder die Lebensqualität noch die Lebenserwartung verbessern. Auch das Aspirationsrisiko (siehe Kasten) bzw. das Dekubitusrisiko wird hierdurch nicht gesenkt, wie viele Ärzte immer noch annehmen. In der Palliativmedizin unterscheiden wir zwischen Hunger mit Hungergefühl und der Zufuhr von Nährstoffen. Natürlich soll niemand verhungern und verdursten. Aber jemand, der keinen Hunger hat, verhungert auch nicht. Er baut Körpermasse und Muskulatur ab und wird schwächer. Das kann man in vielen Fällen nicht verhindern. Wichtig: Schmerzerkennung bei fortgeschrittener Demenz Im Sterbeprozess haben viele der demenzkranken Patientinnen Schmerzen. Dies zu erkennen, ist sowohl für die Pfiegepersonen als auch für Ärztinnen sehr schwierig, da die meisten Menschen in diesem Stadium der Krankheit ihren Schmerz nicht konkret äußern können. Aus diesem Grund erhält diese Patientengruppe zum Beispiel auch bei einer schmerzhaften Schenkelhalsfraktur dreimal Aspirationsrisiko Es ist eine irrige Annahme, dass Patientinnen, die keine Nahrung zu sich nehmen, sich nicht verschlucken können. Wie die Praxis zeigt, werden durch eine PEG-Sonde Aspirationen nicht vermindert, sondern gegebenenfalls sogar erhöht, etwa wenn der Magen mit Nahrung gefüllt wird, die erbrochen werden kann bzw. in die Lunge gerät und hier einen besseren Nährboden für Entzündungen darstellt als Speichel. weniger Schmerzmedikation als alte Patientinnen ohne Demenz! Wir müssen deshalb verstärkt auf nonverbale Anzeichen für Schmerz achten. Schmerzen können sich auch in Verwirrtheit ausdrücken. Bevor also eine Person wegen Verwirrtheit behandelt wird, sollte genau beobachtet werden, ob es nicht vielleicht Schmerzen sind, die sich so ausdrücken. Verhaltensauffälligkeiten wie Agitation oder aber auch ein apathischer Rückzug treten häufig im Rahmen einer Demenz oder eines Delirs, also Verwirrtheitszustandes, auf. Häufig werden sie jedoch auch übersehen oder es wird nicht nach dem Auslöser des Delirs gesucht und die Verhaltensänderungen falsch behandelt. Auch die Bildung von Dekubitalulzera kann am Lebensende trotz adäquater Pflege zunehmen und ein Zeichen des nahenden Todes sein, insbesondere wenn mehrere schnell nacheinander an verschiedenen Stellen auftreten, denn der Körper kann dann die Durchblutung der Haut nicht mehr regulieren. Pro Alter - Würdevoll sterben mit Demenz - Seite 3 Wichtig: Trauma Notaufnahme vermeiden Immerhin 40 Prozent der Demenzpatientinnen in der Studie(3) von Mitchell et al. erhielten innerhalb dieser letzten Phase eine sie belastende Intervention und wurden noch einmal ins Krankenhaus eingewiesen, davon 9,6 Prozent mit dem Notarzt oder in die Notaufnahme. Es gibt kaum etwas Traumatischeres für einen Menschen mit Demenz, als mit Blaulicht in die Notaufnahme zu kommen und dort alleine auf einer Krankenliege zwischen all den Geräuschen und der herrschenden Hektik zu liegen. Was könnte schlimmer sein für jemanden, der sich bereits in seiner eigenen und gewohnten Welt nicht zurechtfindet? In ihrer Studie befragten Mitchell et al.(3) die Angehörigen, wie sie über die Prognose ihres jeweiligen demenzerkrankten Pflegeheimbewohners aufgeklärt waren: Wenn die Angehörigen verstanden hatten, dass die Prognose einer fortgeschrittenen Demenz per se schlecht ist und dass es dabei zu Komplikationen kommen kann, dann fanden nur in 27 Prozent der Fälle belastende Interventionen und Krankenhausaufenthalte statt. Fehlte den Angehörigen hingegen dieses Hintergrundwissen, fanden in 73 Prozent der Fälle eher unnötige Krankenhausaufenthalte statt. Fazit Wir wissen nicht genau, wann eine Patientin/ ein Patient mit Demenz wirklich in den Sterbe- prozess eintritt. Wir wissen aber, dass wir ein Kontinuum von palliativmedizinischer Behandlung schon viel früher brauchen, gerade bei einer Erkrankung wie Demenz. So können neben rehabilitativen Maßnahmen (etwa intensive Physiotherapie) und kurativen Maßnahmen (etwa eine antibiotische Infektbehandlung) durchaus die palliative Symptombehandlung von Schmerzen und Angst im Vordergrund stehen. Denn Demenz ist nicht wirklich behandelbar und führt früher oder später zum Tod. Die Krankheit greift massiv in die Lebensqualität und die Selbstbestimmung der Betroffenen ein. Das heißt, dass frühzeitig die Wünsche des Patienten oder der Patientin in Form von Patientenverfügungen oder Vorsorgevollmachten festgehalten werden sollten. Sobald jemand durch die Demenz bedingt einen erhöhten Unterstützungsbedarf in den Aktivitäten des täglichen Lebens hat, steht die Lebensqualität absolut im Vordergrund und nicht lebensverlängernde Maßnahmen. Wenn wir zum Beispiel durch eine Medikation die Chance verbessern, dass der Betroffene in zehn oder 15 Jahren weniger gefährdet ist, einen Herzinfarkt zu bekommen, dann quält er sich ggf. monate- oder jahrelang mit sehr vielen Medikamenten und Nebenwirkungen, ohne von dem vermeintlichen Effekt jemals profitieren zu können. Wir müssen bereits im Vorfeld alle therapeutischen Interventionen auch die Medikation - kritisch überdenken, nicht erst in den letzten 48 Stunden. • Zur Autorin: LITERATUR DR. MED. TANIA ZIESCHANG ... Fachärztin für Innere Medizin und Klinische Geriatrie, Oberärztin im AGAPLESION Bethanien-Krankenhaus, Geriatrisches Zentrum, Heidelberg. Der Altersdurchschnitt der Patientinnen liegt bei 83 Jahren. Die geriatrische Palliativstation hat neun Betten, fast die Hälfte davon belegen Tumorpatientinnen. (1) Lunney, June R. et al. (2003): Patterns of Functional Decline at the End of Life. In: The Journal of the American Medical Association, 2003; 289 (18): S. 2387-2392 (2) Gill, Thomas M. et al. (2010): Trajectories of Disability in the Last Year of Life. In: The New England Journal of Medicine (N Engl J Med), 2010; 362: S. 1173-1180 (3) Mitchell, Susan L. et al. (2009): The Clinical Course of Advanced Dementia. In: The New England Journal of Medicine (N Engl J Med), 2009; 361: S. 1529-1538 Pro Alter - Würdevoll sterben mit Demenz - Seite 4 Die Anzeichen des nahenden Todes Wie ändert sich das Verhalten? Welche körperlichen Anzeichen gibt es? • Motorische Unruhe: Drang aufzustehen, Nesteln, Umhergreifen, Entkleiden oder das Wegschieben der Bettdecke • ausgeprägtes, bleiches Mund-Nasendreieck • schmale Risse an den Mundwinkeln (Rhagaden) • veränderter Atemrhythmus (Cheyne-Stoke'sche Atmung); Schnappatmung; Terminale Rasselatmung • Vermehrte Müdigkeit • Teilnahmslosigkeit • Apathie • Blutdruckabfall • Sozialer Rückzug • Schwacher Puls • Längere Schlafphasen bis hin zum Koma . [Übelkeit] • [Erbrechen] • Reduzierung der Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme bis hin zum vollständigen Verzicht (dies ist u. U. somatisch begründbar) • [Verstopfung] • Reduzierung der Urinausscheidung, evtl. Inkontinenz oder Harnverhalt • dunkle, livide Verfärbung der Körperunterseite, Hände, Knie und/oder der Füße (Marmorierung) • bleiche, „wächserne" Haut • kalte Füße, Arme, Hände (schwache Durchblutung) • übermäßiges Schwitzen LITERATUR Kern, M., Nauck, F.: Letzte Lebensphase. In: Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin (Hrsg), Handreichung Palliative Care und Hospizarbeit, Stand 11/2006 Pro Alter - Würdevoll sterben mit Demenz - Seite 5 Kl Pflege und Begleitung sterbender Menschen Praktische Interventionsmöglichkeiten von Gerlinde Strunk-Richter • [ Pflege sterbender Menschen Maßnahmen aufzeigen, um in unterschiedlichen Situationen adäquat reagieren zu können und damit zur Lebensqualität Sterbender beizutragen. Dabei werden Interventionen vorgestellt, für die es bisher keinen Wirkungsnachweis gibt. Dies bedeutet jedoch nicht, dass sie nicht wirken, sondern dass sie bisher empirisch nicht untersucht wurden. McCaffery und Pasero (1999) beschreiben, dass durch pflegerische Handlungen mit emotionaler oder physischer Auswirkung positive oder negative Reaktionen erzielt werden können. • Fragestellung Erläuterungen/ Beobachtungen/ Wissenschaftliche Erkenntnisse Lösungsansätze und Tipps Psychische Situation des Sterbenden In der Sterbephase ist neben einer zunehmenden körperlichen Schwäche und Schläfrigkeit auch sozialer Rückzug, Angst, Unruhe und/oder akute Verwirrtheit (Delir) zu beobachten. Psychopharmaka nach ärztlicher Verordnung, um vor allem Angst und Unruhe zu mindern. Bei Angst und Unruhe ist entsprechend der individuellen Präferenz Nähe, d. h. physische und psychische Kontaktaufnahme, zu gestalten oder Distanz zu wahren: • Berührung, u. U. mit ins Bett legen, gemeinsam im Sessel sitzen • Hand- oder Fußmassagen Die räumliche Umgebung gestalten: • Blumen • Einsatz von Düften • Regelmäßiges Lüften • Blick aus dem Fenster ermöglichen Um die psychische Situation zu erleichtern, kann es erforderlich sein, herauszufinden, ob noch etwas erledigt werden muss oder ob bestimmte Menschen noch einmal kommen sollen. Belastende Situationen, z. B. Krankenhauseinweisung oder Handlungen, z. B. künstliche Ernährung, sollten unterbleiben. Pro Alter - Würdevoll sterben mit Demenz - Seite 6 Fragestellung Erläuterungen/ Beobachtungen/ Wissenschaftliche Erkenntnisse Lösungsansätze und Tipps Schmerzen Es wird davon ausgegangen, dass 40-80 % der Altenheimbewohner unter Schmerzen leiden (Zwakhalen et al. 2006) Systematische Schmerzerkennung In der letzten Lebensphase mit Demenz nimmt das Phänomen Schmerz sehr stark zu (Zieschang 2011). Medikamentöse Behandlung nach ärztlicher Verordnung Nichtmedikamentöse schmerzreduzierende Maßnahmen, z. B.: Reduzierung belastender Handlungen, z. B. absaugen, künstliche Ernährung, unruhige Umgebung Entspannung, beispielsweise mit Lieblingsmusik Kälteanwendung, eher bei akutem Schmerz, z. B. verursacht durch Hämatome Tipps zur Kälteanwendung: • Coldpacks • Geeistes Wasser, Tücher ins Wasser tauchen, auswringen und auf die schmerzende Stelle legen • Quarkwickel, Haushaltsquark auf ein Tuch streichen, einwickeln und auflegen Wärmeanwendung, eher bei chronischem Schmerz Tipps zur Wärmeanwendung: • Kirschkernsäckchen halten sehr gut die Wärme. Diese in der Mikrowelle auf die gewünschte Temperatur erwärmen und auf die schmerzende Stelle legen • Kartoffeln kochen, leicht abkühlen lassen, zerkleinern, in Stoff einschlagen und auf die schmerzende Stelle legen • Massagen Nahrungsaufnahme Flüssigkeitszufuhr In der Praxis lässt sich beobachten, dass generell im Sterbeprozess das Bedürfnis der Nahrungsaufnahme abnimmt (Vogel 2011). 85,8 % der Menschen mit einer fortgeschrittenen Demenz haben Probleme mit der Nahrungsaufnahme (Mitchell et al. NEJM 2009). Natürliche Abnahme des Durstgefühls, daraus resultiert die „Terminale Dehydratation". Diese kann zu Verwirrtheitszuständen führen, jedoch auch zur zentral einsetzenden Analgesie (Schmerzfreiheit), wahrscheinlich durch eine vermehrte Ausschüttung von Endorphinen (Prönneke 2009). Essen anbieten, z. B. als Fingerfood. Es sollte jedoch nicht forciert werden. Mundpflege je nach Vorlieben (s. bei Mundtrockenheit) Es gibt keinen Anhalt dafür, dass künstliche Ernährung die Lebenserwartung steigert und die Lebensqualität verbessert (Zieschang 2011). Laut Bundesgerichtshof ist das Legen einer PEG-Sonde bei Sterbenden eine lebensverlängernde Maßnahme. Bei Vorliegen einer Patientenverfügung, die ausdrücklich die Ablehnung einer PEG-Sonde beinhaltet, dürfen nach einem Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 17. März 2003 (BGH, in: Neue Juristische Wochenschrift 2003, S. 1588 ff.) keine lebensverlängernden Maßnahmen mehr ergriffen werden. Der Bundesgerichtshof hat am 8. Juni 2005 eine Konkretisierung dahingehend vorgenommen, dass eine gegen den Willen des Patienten durchgeführte künstliche Ernährung eine rechtswidrige Handlung ist. Die Entscheidung pro oder contra PEG-Sonde, künstliche Ernährung und Flüssigkeitszufuhr sollte keine Einzelperson treffen (s. auch Urteil des Bundesgerichtshofs), sondern unter Einbezug aller Beteiligten, d. h. Professionelle, Familienangehörige und falls möglich auch des Sterbenden. Es gilt, jeweils auf die individuelle Situation bezogen eine Entscheidung zu treffen. Als Methode eignet sich die ethische bzw. palliative Fallkonferenz. SCHWERPUNKT ! ProAlter i November/Dezember 2011 Pro Alter - Würdevoll sterben mit Demenz - Seite 7 17 Fragestellung Erläuterungen/ Beobachtungen/ Wissenschaftliche Erkenntnisse Lösungsansätze und Tipps Übelkeit/ Erbrechen Treten bei ca. 14 % der Sterbenden auf (Nauck, Europ J Pall Care 2000) Medikamentöse Behandlung mit Antiemetika nach ärztlicher Verordnung Veränderung der Atmung: Rasselatmung, auch Todesrasseln genannt Hiermit ist ein rasselndes Medikamentöse Behandlung nach ärztlicher Verordnung in- und exspiratorisches • Frei machen des Mundes Atemgeräusch gemeint. • Infusionen, PEG-Zufuhr abstellen Es wird bedingt durch Se• Lagerung, d. h. Seitenlagerung, damit das Sekret ablaufen kann kret im Rachen und in der Nicht Absaugen, weil dadurch eine vermehrte Schleimproduktion provoTrachea (Luftröhre). Dieses ziert wird, der Betroffene es als sehr belastend erlebt, es zu Verletzung wird vom Sterbenden im Mund kommen kann und weil das Problem in der Trachea und in den aufgrund der Schwäche Bronchien sitzt (Husebö, 2005) nicht mehr abgehustet. Für die Angehörigen und betreuenden Personen ist es oft sehr belastend. • Für Frischluft sorgen • Bequeme Lagerung • Für entspannte, ruhige Umgebung sorgen, evtl. mit Musik • Eiswürfel aus Lieblingsgetränk Laut Nauck (Europ J Pall Care 2000) tritt es bei 45 % der Sterbenden auf. Luttnot Einem Sterbenden keinen Sauerstoff geben, weil: • die Sauerstoffsättigung ohne eine dicht sitzende Maske kaum ansteigt, • eine Lebensverlängerung nicht mehr das Ziel ist und • Morphin die beste Therapie bei Atemnot-Sterbenden ist (Huseb0, 2005). Tipp: Sich hinter die betroffene Person mit Luftnot setzen und den eigenen Atemrhythmus auf sie übertragen. Psychische Situation der Angehörigen Für viele Angehörige ist die Begleitung eines Sterbenden sehr belastend und nicht selten eine Überforderung. Einher gehen Gefühle wie Angst, Verlust, evtl. Wut und Empfinden von Ohnmacht. Angehörige benötigen in dieser Situation Beratung, Information und Unterstützung. Sie sollten in Entscheidungsprozesse eingebunden werden. Kontakt zu Selbsthilfegruppen, wie zum Beispiel der Alzheimer Gesellschaft aufnehmen. Hinweise auf solche Gruppen findet man im Veranstaltungskalender örtlicher Zeitungen, bei Kirchengemeinden oder Wohlfahrtsverbänden. SCHWERPUNKT ProAlter Pro Alter - Würdevoll sterben mit Demenz - Seite 8 November/Dezember 2011 19 Fragestellung Erläuterungen/ Beobachtungen/ Wissenschaftliche Erkenntnisse Lösungsansätze und Tipps Mundtrockenheit Mundtrockenheit ist in der Sterbphase nicht mit Flüssigkeitsmangel gleichzusetzen und kann durch Flüssigkeitssubstitution nicht immer behoben werden. Mundtrockenheit entsteht durch Atmen mit offenem Mund, aber auch durch Medikamente (Prönneke, 2009). Regelmäßige Mundpflege, orientiert an Vorlieben und Abneigungen des Sterbenden, denn im Mittelpunkt steht dessen Wohlbefinden Zum Anfeuchten der Mundschleimhaut eignen sich: • Sprühflaschen, die einen feinen Feuchtigkeitsfilm erzeugen • Pipetten, zum Träufeln der Flüssigkeit direkt auf die Zunge • Watteträger mit Plastikstil (Holzstile können zerbrechen und Verletzungen hervorrufen) in Flüssigkeit getränkt und/oder gefroren • Kleine Eiswürfel, z. B. aus Wasser; Wein, Bier, Kaffee, Tee, Saft. Diese direkt auf die Zunge legen oder vorher in ein dünnes Baumwolltuch einschlagen, z. B. Taschentuch. Die Körpertemperatur bringt das Eis langsam zum Schmelzen. Bei der verwendeten Flüssigkeit ist auf den Säuregehalt zu achten, da ein hoher Säuregehalt zu Schmerzen führen kann, wenn Verletzungen der Mundschleimhaut vorliegen. Schluckstörung 72 % der Menschen mit einer fortgeschrittenen Demenz entwickeln Schluckstörungen (Hanrahan et al. 2001). Daraus resultiert ein hohes Aspirationsrisiko. Neben zugeführter Flüssigkeit und Nahrung kann auch der eigene Speichel aspiriert werden und damit eine Pneumonie (Lungenentzündung) verursachen. Seitenlagerung, damit der Speichel abfließen kann Wird Nahrung weiterhin von der sterbenden Person gewünscht, sind unter Beachtung ihrer individuellen Situation folgende Aspekte zu berücksichtigen: gute Sitz- und Kopfhaltung, reizarme Umgebung, keine Hektik, nur kleine Bissen und Schlucke, Nachschlucken und gut kauen lassen, auf Mundschluss achten, Mundpflege nach jedem Essen. Um das Risiko der Aspiration von Speiseresten zu minimieren, sollte die Person nach der Nahrungsaufnahme ca. 20 Min. sitzen bleiben. Künstliche Ernährung über eine PEG-Sonde vermindert das Aspirationsrisiko nicht (Zieschang 2011). LITERATUR Husebo, Stein (2005): Würde im Alter. Vortrag im Rahmen der Fachtagung „Sterben im Heim. Palliative Geriatrie Lebensqualität bis zuletzt!", Vortrag Erwin Stauss Institut, Bremen, 17.01.2005. Download unter: http://www.nahrungsverweigerung.de/scripts/vortrag.html ptom control during the last three days of life. In: European Journal of Palliative Care, Vol. 7, Number 3, 2002 Prönneke, Rainer (2009): Das Für und Wider der Flüssigkeitsgabe am Lebensende. In: pflegen: palliativ 2/2009 McCaffery, M.; Beebe, A.; Latham, J. (1997): Schmerz. Ein Handbuch für die Pflegepraxis Rittig, Tanja (2003): Dysphagie-Management. Therapeutische Strategien bei Dementen. In: Zukunftsforum Demenz (Hrsg.): Sprech- und Schluckstörungen - Problemfeld in der Demenztherapie. Wuppertal McCaffery, M.; Pasero, C. (1999): Pain - Clinical Manual. 2nd Ed., Mosby, St. Louis, MO Steudter, Elke (2009): Schmerzlinderung auf sanfte Weise. In: pflegen: Demenz: 13/2009 Nauck, Friedemann; Klaschik, Eberhard; Ostgathe, Christoph (2002): Sym- Zwakhalen, Sandra; Hamers, Jan; Abu-Saad, Huda Huijer; Berger, Mar- 18 SCHWERPUNKT I ProAlter November/Dezember 2011 Pro Alter - Würdevoll sterben mit Demenz - Seite 9 tijn (2006): Pain in elderly people with severe dementia: A systematic review of behavioural pain assessment tools. In: BioMedCentral Geriatrics, Volume 6, 2006