Lösung Klausur Nr. 426

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Lösung Klausur Nr. 426
Assessorkurs Hessen - Postversandkurs
- Klausur Nr. 426 - Strafrecht / Seite 1 -
Lösung Klausur Nr. 426
1. Teil: Gutachten / hinreichender Tatverdacht bzgl. der Beteiligten
3. Für den Mitfahrer Torelli (T), der nicht Teilnehmer
im strafrechtlichen Sinne war, gelten diese Erwägungen zwar nicht. Dennoch ist auch bezüglich seiner
Person eine konkrete Gefährdung zu verneinen.
Eine konkrete Gefährdung i.S.d. § 315c StGB liegt
dann vor, wenn die Tathandlung über die ihr innewohnende latente Gefährlichkeit hinaus im Hinblick
auf einen bestimmten Vorgang in eine kritische Situation geführt hat. In dieser Situation muss die Sicherheit einer bestimmten Person oder Sache so
stark beeinträchtigt worden sein, dass es nur noch
vom Zufall abhing, ob das Rechtsgut verletzt wurde
oder nicht. Ein solcher Zufall ist bei Unbeherrschbarkeit des Gefährdungsverlaufs anzunehmen. Dies
ist nach der allgemeinen Lebenserfahrung aufgrund
einer objektiv nachträglichen Prognose zu beurteilen.3
1. Tatkomplex: Die Fahrt bis zur Wohnung des
Schnabels (S)
A. Hinreichender Tatverdacht bzgl. Luca Lahme (L)
I. Auf den ersten Blick käme eine Gefährdung des
Straßenverkehrs (§ 315c I Nr.1a, III Nr.1 StGB)
in Betracht; allerdings wurde durch L jedenfalls weder Leib oder Leben eines anderen, noch fremde Sachen von bedeutendem Wert konkret gefährdet.
1. Dies gilt zunächst für das geleaste Fahrzeug als
möglicher Gegenstand von bedeutendem Wert.1
Da bei der Fahrt keine Besonderheiten auftauchten,
könnte die konkrete Gefährdung allein darin bestehen, dass T im Wagen saß. Zu prüfen ist also, ob bereits die bloße Anwesenheit eines Beifahrers schon
eine konkrete Gefährdung i.d.S. bedeutet; dies war
früher umstritten.
Dieses war zwar "fremd" i.S.d. § 315c StGB, da diese Norm - anders als z.B. § 274 StGB - fremdes Eigentum vor Gefährdung schützt. Gleichwohl lässt die
Rspr. eine Gefährdung des geführten, aber fremden
Fahrzeugs nicht genügen (vgl. T.F., § 315c, Rn. 15b
m.w.N.). Denn das notwendige Mittel der Tat fällt
nicht in den Schutzbereich der Vorschrift.
Nach der ursprünglichen Rechtsprechung des BGH
(etwa BGH NJW 1989, 1227) lag eine konkrete Gefährdung vor. Der Beifahrer sei in einer akuten Gefahrenlage, weil er sich im Zentrum des Geschehens
befinde. Daher sei er wesentlich gefährdeter als Außenstehende. Diese Meinung ist - wie der BGH inzwischen seit ein paar Jahren einräumt - abzulehnen.
2. Auf eine Gefährdung des Beifahrers S kann schon
deswegen nicht abgestellt werden, weil dieser nach
allg. Meinung ebenfalls nicht in den Schutzbereich
des § 315c StGB fällt:
Denn würde man ihn, der ja strafbarer Anstifter zu
der Trunkenheitsfahrt ist, als von § 315c StGB geschützt ansehen, so würde dies zu dem zweifelhaften
Ergebnis führen, dass er nun nicht nur wegen Anstiftung zu § 316 I StGB, sondern auch wegen Anstiftung zu § 315c StGB bestraft werden würde. Er würde daher letztlich um seines eigenen Schutzes Willen
(härter) bestraft werden. Das macht keinen Sinn.2
1
2
Für diesen Begriff kommt es nicht auf den Wert des Fahrzeuges an, sondern darauf, ob diesem bei dem konkreten
Verkehrsvorgang ein entsprechend großer Schaden gedroht hat (vgl. T.F., § 315c, Rn. 15, § 315, Rn. 16).
T.F., § 315c, Rn. 15a. Da der nun folgende Streit für die gerade vorgebrachte Argumentation nicht gilt, erscheint die
getrennte Prüfung von S und T als sinnvoll.
Beachten Sie aber: Dies ist ein Problem des objektiven
Tatbestandes. Streitig ist dagegen, ob auch eine rechtfertigende Einwilligung in Betracht kommt. Nach BGH St 23,
261 schließt die Einwilligung eines Mitfahrenden die
Rechtswidrigkeit der Tat nicht aus; denn Schutzgut des
§ 315c StGB sei die Sicherheit des Straßenverkehrs. Dagegen spricht, dass, soweit es nur um die abstrakte Sicherheit des Straßenverkehrs geht, eine Strafbarkeit aus § 316
StGB ausreicht. Konkretisiert sich jedoch die Gefahr, so ist
danach zu fragen, wer oder was gefährdet wurde. Ist dies
Denn andernfalls würde man qualitative mit quantitativer Gefährdung verwechseln. Für die Sicherheit
des beeinträchtigten Rechtsguts kommt es nicht nur
auf den einen Zufall an, ob sich eine Gefahr in einer
bestimmten Verkehrslage realisiert. Vielmehr ist es
hier von einem weiteren Zufall abhängig, nämlich,
ob es überhaupt zu einer kritischen Verkehrssituation
kommt. Auch wenn die Fahrt eines Alkoholisierten
eine Gefahr darstellt: Dass es zu keinen konkret gefährlichen Verkehrssituationen gekommen ist, zeigt,
dass L - zumindest bei dieser ersten Fahrt - sein
3
ausschließlich ein Mitfahrender und willigt er in die Gefährdung seiner körperlichen Unversehrtheit wirksam ein,
so bleibt darüber hinaus eben nur noch die abstrakte Gefährdung des § 316 StGB. Hierauf käme es dann an, wenn
ein Beifahrer nicht Teilnehmer i.d.S. ist (also in die Gefährdung eingewilligt hat, ohne damit Anstiftung oder psychische Beihilfe zu leisten) und dann - anders als nun im Folgenden bei T - tatsächlich eine konkrete Gefahr für den
nicht teilnehmenden Beifahrer eintritt.
Grundlegend hierzu BGH NJW 1995, 3131 m.w.N. Vgl.
hierzu auch T.F., § 315c, Rn. 15 m.w.N.
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- Klausur Nr. 426 - Strafrecht / Seite 2 Fahrzeug noch so beherrschen konnte, dass sich die
abstrakte Gefahr für seine Beifahrer noch nicht zur
konkreten verdichtet hatte.
Exkurs: Meist ist - in der Praxis wie auch in Klausuren! - die BAK über die Rückrechnung festzustellen
(was hier nur entfiel, weil keine zuverlässige Blutprobe in den Stunden nach der Fahrt vorlag). Bei der
Rückrechnung i.R.d. objektiven Tatbestands ist
von einem Abbauwert von 0,1 Promille je Stunde
auszugehen, und die ersten beiden Stunden sind auszunehmen (T.F., § 316, Rn. 19).
Anders im Rahmen von § 20 StGB: Hier ist bei der
Rückrechnung vom maximalen Abbauwert auszugehen, weil eine möglichst hohe BAK hier für den
Angeschuldigten von Vorteil ist. Die Unsicherheiten,
die durch die Rückrechnung entstehen, müssen aber
jeweils zugunsten des Angeschuldigten ausgeglichen
werden. Dieser maximale Abbauwert errechnet sich
aus dem stündlichen Abbauwert von 0,2 Promille
sowie einem einmaligen Sicherheitszuschlag von 0,2
Promille. Anders als bei der Berechnung i.R.d. § 316
StGB sind hier auch - da es letztlich zugunsten des
Angeschuldigten ist - die ersten beiden Stunden nach
Trinkende in die Rechnung mit einzubeziehen (vgl.
T.F., § 20, Rn. 13 m.w.N.).
Ein (u.U. angeschnallter) Mitfahrer in einem (u.U.
großen) Pkw ist letztlich nicht mehr gefährdet, als
ein Fußgänger am Straßenrand, sondern nur länger.
Bei letzterem aber ist klar, dass eine konkrete Gefährdung nur bei Eintreten einer kritischen Verkehrssituation vorliegen kann. Letztlich schloss der BGH
früher also von der Dauer der Gefährdung auf deren
Qualität. Es liegt hier somit keine konkrete, sondern
eine langandauernde abstrakte Gefährdung vor. Eine andere Auffassung würde also eine saubere Abgrenzung zw. konkretem und abstraktem Gefährdungsdelikt verwischen.
Vorliegend konnte eine derart kritische Situation
aber nicht festgestellt werden.4 Somit ist auch bzgl.
der Person des T eine konkrete Gefährdung zu verneinen. Damit hat sich L bei dieser Fahrt keiner
Straßenverkehrsgefährdung verdächtig gemacht,
folglich der Beschuldigte S auch keiner Anstiftung
hierzu.5
Bei absoluter Fahruntauglichkeit wird aufgrund der
BAK unwiderlegbar vermutet, dass der Täter nicht
mehr in der Lage ist, ein Fahrzeug sicher zu führen.
Dem Fahrer steht kein Gegenbeweis mehr zu.6
II. Trunkenheit im Verkehr, § 316 I StGB
1. Objektiver Tatbestand: L hat im Verkehr ein Fahrzeug geführt, obwohl er dazu aufgrund alkoholbedingter Fahruntauglichkeit nicht mehr in der Lage
war. Denn er hatte bei der Fahrt eine BAK von mindestens 1,2 Promille. Mit dieser Blutalkoholkonzentration überschreitet er die Grenze der absoluten
Fahruntauglichkeit, die für Kraftfahrer bei 1,1
Promille zu ziehen ist (seit BGH NJW 1990, 2393).
2. Er handelte vorsätzlich, da er nach seinen eigenen
Angaben wusste, dass er zu viel getrunken hatte und
trotzdem fuhr.7 Daran ändert auch die Tatsache
nichts, dass er nach seinen Angaben offenbar nur
vom Vorliegen eines OWi-Tatbestandes ausgegangen war. Denn entscheidend ist insoweit nur, dass er
wusste, aufgrund seines Alkoholkonsums nicht mehr
fahrtauglich zu sein. Ein Irrtum über die rechtliche
Einordnung der Promillegrenze kann daher allenfalls
ein Rechtsirrtum sein.
3. Die Tat war rechtswidrig und schuldhaft. Auch die
Subsidiaritätsklausel greift nicht ein, da § 315c
StGB nicht gegeben ist (s.o.).
4
5
Der Schluss allein aus der sehr hohen BAK des Fahrers
auf eine konkrete Gefährdung des Beifahrers hin, kann nur
(noch) für den Fall gelten, dass die alkoholische Beeinflussung des Fahrers einen solchen Grad erreicht hat, dass er
nicht mehr in der Lage ist, kontrollierte Fahrmanöver auszufahren, und damit die Situation einem Fahren ohne die
notwendigen technischen Einrichtungen - z.B. ohne intakte
Bremsen - vergleichbar ist (vgl. T.F., § 315c, Rn. 15a).
Exkurs: Beachten Sie auch die Rechtsprechung des BGH
zu § 315b StGB (BGH NJW 2003, 1613 ff. = Life & Law
2003, 563 ff.): Im fließenden Straßenverkehr ist ein Verkehrsvorgang nur dann als „pervertiert“ und damit als gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr anzusehen, wenn
zu dem bewusst zweckwidrigen Einsatz des Fahrzeugs in
verkehrsfeindlicher Einstellung hinzukommt, dass es mit
wenigstens bedingtem Schädigungsvorsatz – etwa als Waffe oder Schadenswerkzeug – missbraucht wird.
Ergebnis: Es besteht hinreichender Tatverdacht
bzgl. § 316 I StGB.
6
7
Begriff relativer Fahruntauglichkeit: Diese bedeutet, dass
zu der Tatsache der Alkoholisierung noch weitere Anhaltspunkte kommen müssen, die darauf schließen lassen, dass
der Fahrer aufgrund des Alkoholkonsums nicht mehr in der
Lage ist, ein Fahrzeug sicher zu führen (vgl. T.F., § 316,
Rn. 12 ff., 30 ff.).
Aus einer hohen BAK zur Tatzeit kann i.d.R. der Vorsatz
nicht geschlossen werden, NStZ 2006, 380 ff. [384] m.w.N.
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- Klausur Nr. 426 - Strafrecht / Seite 3 B. Hinreichender Tatverdacht bzgl. des S
I. Insbesondere ist keine Anstiftung zu einer Gefährdung des Straßenverkehrs (§ 315c I Nr.1a, III
Nr.1 StGB) gegeben, weil der Fahrer L bei der Fahrt
zur Wohnung des Beschuldigten S - allenfalls zu
dieser hat S ihn angestiftet - eine derartige Haupttat
nicht begangen hat.
II. Anstiftung zur Trunkenheit im Verkehr (§§ 316 I,
26 StGB) liegt vor:
1. L hat vorsätzlich rechtswidrig im Zustand der Fahruntauglichkeit ein Fahrzeug geführt. S hatte den Entschluss dazu in L geweckt.
2. S wusste, dass L nicht mehr in der Lage war das
Fahrzeug sicher zu führen, und wollte die Tat des L
wie auch seine eigene Anstiftung.
Exkurs: Angestiftet werden kann nur zu einer vorsätzlichen Haupttat. Insoweit ist es in der Klausur
problematisch, wenn beim Angestifteten nicht in vollem Umfang ein Vorsatz festgestellt werden kann,
sondern z.B. auf § 315c III Nr.1 StGB zurückgegriffen werden muss. § 11 II StGB stellt aber klar, dass
die Tat auch dann eine vorsätzliche bleibt, wenn hinsichtlich der konkreten Gefährdung nur Fahrlässigkeit des Haupttäters notwendig war. Es handelt sich
um eine Vorsatztat mit fahrlässig herbeigeführtem
Erfolg, bei der Teilnahme möglich ist (T.F., § 315c,
Rn. 19a, 21).
Bei § 315c III Nr.2 StGB und § 316 II StGB wäre
dies aber wiederum anders zu behandeln! Bezüglich
des doppelten Anstiftervorsatzes gilt aber nach den
allg. Teilnahmeregeln, insb. § 29 StGB, dass der Anstifter nur nach seiner eigenen Schuld bestraft werden kann. Als Anstifter zu § 315c III Nr.1 StGB ist
der den Tatentschluss hierzu Hervorrufende daher
nur strafbar, wenn ihm selbst auch hinsichtlich der
Gefährdung ein Fahrlässigkeitsvorwurf gemacht
werden kann.
III. Ein hinreichender Tatverdacht im Hinblick auf
§ 240 StGB scheitert an der Nachweisbarkeit, da
sich anhand der Angaben der Beteiligten nicht feststellen lässt, dass der Beschuldigte S den L durch
Drohung mit einem rechtswidrigen Übel zu der Fahrt
gebracht hat. Die Erklärung, nicht mehr mit ihm reden zu wollen, kann hierfür nicht ausreichen.
2. Tatkomplex: Fahrt bis zum Unfall / hinreichender
Tatverdacht bzgl. L:
I. Gefährdung des Straßenverkehrs (§ 315c I Nr.1a,
III Nr.1 StGB):
1. L hat in absolut fahruntauglichem Zustand (BAK
von mindestens 2,3 Promille) ein Fahrzeug geführt
und dadurch mit der Straßenlaterne eine fremde Sache von erheblichem Wert konkret gefährdet.
2. Er handelte hinsichtlich der Trunkenheitsfahrt vorsätzlich, hinsichtlich der Gefährdung fahrlässig. Die
Tat war auch rechtswidrig.
3. Fraglich ist, ob er schuldhaft handelte oder ob seine
Schuld wegen Schuldunfähigkeit gemäß § 20 StGB
ausgeschlossen war.
a. Zum Zeitpunkt der Tat kann nicht ausgeschlossen
werden, dass L mit einer BAK von über 3 Promille
schuldunfähig war. Die nicht auszuschließenden
Zweifel müssen zugunsten des L zu Buche schlagen.8
b. Auf die Schuldfähigkeit zur Zeit der Tat kommt es
jedoch dann nicht an, wenn die Grundsätze der actio
libera in causa eingreifen.
Dann wird an einen Zeitpunkt vor der Tat angeknüpft, in welchem dem Täter entweder der Vorsatzschuldvorwurf, sich berauscht zu haben, um die
Tat zu begehen, gemacht werden kann, oder (bei
Fahrlässigkeitsdelikten wie hier dann § 315c III Nr.2
StGB) der Fahrlässigkeitsschuldvorwurf, bei der Berauschung nicht bedacht zu haben, dass in schuldunfähigem Zustand Delikte begangen werden würden.
aa. Jedoch lässt der Sachverhalt nicht erkennen, dass L
beim zweiten, schon in stark betrunkenem Zustand (!) beschlossenen "Besäufnis" hätte vorhersehen können, dass er anschließend noch mit dem Auto
nach Hause fahren werden würde. Statt dessen lässt
sich nicht widerlegen, dass L und S vereinbart hatten, gemeinsam bei S zu nächtigen und den Rausch
ausschlafen zu wollen. Es erscheint zumindest als
zweifelhaft, ob man ein Mehr an Vorsorge verlangen
kann.
bb. Im Übrigen ist - unabhängig davon, ob man die
Rechtsfigur der actio libera in causa überhaupt anerkennen will - nach zutreffender Rechtsprechung (vgl.
BGH NStZ 1997, 228) jedenfalls bei den Delikten
8
Zur teilweise streitigen Frage, inwieweit zur Beurteilung der
Schuldfähigkeit andere Tatsachen als die reine BAK herangezogen werden, vgl. etwa T.F., § 20, Rn. 17 ff.; interessant auch NStZ 2006, 380 ff., 2007, 389 ff. m.w.N.
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- Klausur Nr. 426 - Strafrecht / Seite 4 der Straßenverkehrsgefährdung und des Fahrens ohne Fahrerlaubnis die Vorverlagerung der Schuld
unzulässig.
zogene Vorverhalten, auch soweit es sich nicht als
Versuchshandlung, sondern als bloße Vorbereitung
darstellt, im Schuldtatbestand erfasst wird (so Streng
JZ 1994, 709 ff. [711]), ist nicht möglich. Es spricht
nichts dafür, dass das StGB den in § 16 I, § 16 II,
§ 17 S.1 und in § 20 unterschiedslos verwendeten
Begriff der "Begehung der Tat" in § 20 in einem
weiteren Sinn verstanden wissen will als in jenen anderen Vorschriften. Im Übrigen hätte dieses "Ausdehnungsmodell" über die Fallgestaltungen der actio
libera in causa hinaus eine auch unter Präventionsund Gerechtigkeitsgedanken nicht zu rechtfertigende
Einschränkung des 20 StGB zur Folge.
Die verschiedenen Ansätze, mit denen in Rechtsprechung und Literatur die actio libera in causa erklärt
wird, bieten zum einen Teil keine tragfähige Grundlage für die Anwendung der Rechtsfigur auf die hier
in Rede stehenden Verkehrsstraftaten; zum anderen
Teil sind sie mit dem geltenden Recht nicht in Einklang zu bringen.
(1) Die sog. "Tatbestandslösung", der die Vorstellung
zugrunde liegt, dass bereits das Trinken selbst Anfang der Ausführung der geplanten Tat ist (vgl. T.F.,
§ 20, Rn. 52), mag trotz aller grundsätzlichen Bedenken gegen ihren Ansatz, bei anderen Delikten eine tragfähige Grundlage für die Rechtsfigur der actio
libera in causa darstellen (vgl. BGH NStZ 2000,
584 f. = Life & Law 2001, 36 ff.). Bei Tatbeständen
aber, die wie §§ 315c, 316 StGB und § 21 StVG ein
Verhalten verbieten, das nicht auch als die Herbeiführung eines dadurch verursachten, von ihm trennbaren Erfolges begriffen werden kann, kann sie die
Annahme schuldhafter Taten trotz schuldausschließenden Vollrausches bei der eigentlichen Tathandlung nicht rechtfertigen (BGH NStZ 1997, 228).
Die Verkehrsstraftaten nach den §§ 315c, 316 StGB
setzen voraus, dass der Täter das Fahrzeug "führt".
Führen eines Fahrzeugs ist aber nicht gleichbedeutend mit Verursachen der Bewegung. Es beginnt erst
mit dem Bewegungsvorgang des Anfahrens selbst
(vgl. Sie hierzu BGHSt 35, 390 ff. [394]).9 Eine
Ausdehnung auf zeitlich vorgelagerte Handlungen
muss nach der gesetzlichen Umschreibung der Tathandlung ausscheiden. Auch im Sichberauschen in
Fahrbereitschaft liegt daher noch nicht der Beginn
der Trunkenheitsfahrt.
(2) Im Wesentlichen aus denselben Erwägungen kommt
die Heranziehung der Grundsätze der actio libera in
causa auf die Trunkenheitsfahrt auch dann nicht in
Betracht, wenn man die Rechtsfigur als einen Sonderfall der mittelbaren Täterschaft begreift, bei
dem der Täter sich zur Ausführung der Tat seiner eigenen Person als Werkzeug bedient (vgl. RGSt 22,
413 ff. [415]; T.F., § 20, Rn. 52, 53).
(3) Eine Ausdehnung des Begriffs der "Begehung der
Tat" i.S.d. § 20 StGB in der Weise, dass das vortatbestandliche, auf die Tatbestandsverwirklichung be9
Dazu genügt nicht einmal, dass der Täter in der Absicht,
alsbald wegzufahren, den Motor seines Fahrzeugs anlässt
und das Abblendlicht einschaltet (BGH a.a.O.).
Anmerkung: Derart ausführliche Ausführungen zur
a.l.i.c. werden von Ihnen im 2. Staatsexamen i.d.R.
nicht mehr erwartet. Ein bloßer Hinweis auf die
Nichtanwendbarkeit bei §§ 315c, 316 StGB wäre allerdings zu wenig – eine Klarstellung mindestens der
Tatbestandslösung muss jedenfalls erfolgen.
Ergebnis: Damit scheidet ein hinreichender Tatverdacht nach § 315c StGB aus.
II. Vollrausch (§ 323a StGB)
1. Objektiver Tatbestand: Ein ausreichender Rausch
i.d.S. liegt hier vor. Da hier sicher ist, dass der Täter
zumindest den sicheren Zustand des § 21 StGB erreicht hatte, seine Schuldfähigkeit also zumindest erheblich vermindert war als er die Tat beging, kommen alle Meinungen zum Ergebnis einer Bestrafung
(vgl. T.F., § 323a, Rn. 9 ff.). Die Streitfrage, ob etwas anderes gilt, wenn auch uneingeschränkte
Schuldfähigkeit (BAK unter 2 Promille) in Betracht
kommt, muss hier daher nicht entschieden werden.10
10
Exkurs: Sehr problematisch ist der Fall, wenn wegen der
Ermittlungsunsicherheiten alle drei denkbaren Varianten
möglich sind: Volle Schuldfähigkeit, eingeschränkte
Schuldfähigkeit, aber auch Schuldunfähigkeit. In derartigen
Fällen wurde über eine zweite Anwendung von "in dubio
pro reo" bislang freigesprochen. Begründung: Strafgrund
des § 323a StGB sei, dass sich jemand fahrlässig in einen
so hochgradigen Rauschzustand versetzt hat, dass er nicht
mehr "zurechnungsfähig" ist. Hat der Rauschzustand diese
Qualität nicht erreicht, so kann dem Täter aus der Berauschung kein Vorwurf gemacht werden. Auch eine - ungleichartige - Wahlfeststellung kommt nicht in Betracht,
weil § 323a StGB und sonstige Delikte grds. rechtsethisch
und psychologisch nicht vergleichbar sind: Da § 323a StGB
den bestraft, der sich selbst die Fähigkeit nimmt, das Unrecht einer Straftat einzusehen und danach zu handeln,
geht es um ein völlig unterschiedliches Rechtsgut. Damit
käme man zu dem absurd anmutenden Ergebnis, dass
zum einen bei § 315c StGB in dubio pro reo davon auszugehen ist, dass der Täter schuldunfähig war; zum anderen
wird bei § 323a StGB ebenfalls in dubio pro reo angenommen, dass er gerade nicht schuldunfähig war.
Häufig wird dieses Vorgehen als denkfehlerhaft bezeichnet
(vgl. T.F., § 323a, Rn. 11 ff.). Und in der Tat spricht viel da-
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- Klausur Nr. 426 - Strafrecht / Seite 5 2. L hat sich (zumindest) fahrlässig in diesen Rausch
versetzt.
3. Weiter muss der Berauschte in diesem Zustand eine
tatbestandliche und rechtswidrige Tat begangen
haben (§ 11 I Nr.5 StGB), aufgrund der er nur wegen § 20 StGB nicht strafbar ist. Hierbei handelt es
sich um eine objektive Bedingung der Strafbarkeit, auf die sich die Fahrlässigkeit nicht bezieht
(vgl. T.F., § 323a, Rn. 17).11 Hier liegt eine rechtswidrige Tat nach § 315c StGB vor (s.o.).
4. Auch die Subsidiarität steht § 323a StGB hier zumindest im Hinblick auf § 315c StGB nicht entgegen, weil gerade kein Fall der actio libera in causa
vorliegt (vgl. T.F., § 323a, Rn. 10).
Ergebnis: L hat sich daher nach § 323a StGB hinreichend tatverdächtig gemacht.
3. Tatkomplex: Nach dem Unfall
A. Hinreichender Tatverdacht bzgl. L
I. Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort (§ 142 I
StGB) ist mit dem Verlassen des Unfallortes tatbestandlich
gegeben,
jedoch
muss
davon
ausgegangen
werden,
dass
L
mangels
Schuldfähigkeit nicht bestraft werden kann.
II. Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort (§ 142 II
Nr.2, III StGB):
1. L hat sich vom Unfallort entfernt, ohne die notwendigen Feststellungen zu treffen (s.o.).
2. Mit dem Wegfall des Schuldausschließungsgrundes des § 20 StGB (Ernüchterung) könnte für ihn
die Verpflichtung entstanden sein, unverzüglich
nachträgliche Feststellungen zu ermöglichen.
a. Dies tat er nicht und erfüllte so nach einer Meinung
den Unterlassenstatbestand des § 142 II, III StGB.
"Berechtigt oder entschuldigt" meine nämlich (zumindest) alle rechtlich anerkannten Rechtfertigungsund Entschuldigungsgründe. Dazu gehöre auch § 20
StGB. § 323a StGB sei subsidiär und trete daher
auch hier gegenüber § 142 II StGB zurück (vgl. T.F.,
§ 142, Rn. 48).
b. Überzeugender erscheint die Gegenmeinung: Ein
Entfernen im Zustand des § 20 StGB sei kein entschuldigtes Entfernen i.S.d. § 142 II StGB (vgl.
BayObLG NJW 1989, 1685). Statt dessen liege regelmäßig ein Fall des § 323a StGB vor.
aa. Der Zweck des § 323a StGB, Strafbarkeitslücken
bei Rauschtaten zu vermeiden, würde andernfalls
u.U. umgangen: Eine Bestrafung nach § 142 I StGB
komme wegen § 20 StGB ohnehin nicht in Betracht.
Aber auch § 142 II StGB könnte u.U. entfallen,
wenn der Täter später keine Chance hat, die Pflicht
nachzuholen. Dennoch besteht hier ein Strafbedürfnis, da immerhin eine objektive und rechtswidrige
Tat nach § 142 I StGB vorlag.
bb. Der Begriff "berechtigt oder entschuldigt" sei nicht
formal-dogmatisch zu verstehen. Es bedeute vielmehr erlaubtes Verlassen der Unfallstelle. Bei
schuldhafter Herbeiführung des Rausches ist das
Verlassen aber eigentlich nicht erlaubt.
cc. Das Verhältnis von § 142 I zu § 142 II StGB stehe
dem nicht entgegen, sondern spricht sogar für dieses
Ergebnis: Zwar greift grundsätzlich § 142 II StGB
dann ein, wenn § 142 I StGB ausgeschieden ist. D.h.
Voraussetzung des § 142 II StGB ist, dass die Strafbarkeit dem § 142 I StGB nicht entnommen wird
(Subsidiarität des § 142 II StGB).
Nichts zwinge aber dazu, dies nur auf die unmittelbare Strafbarkeit nach § 142 I StGB zu beziehen.
D.h. die Subsidiarität des § 142 II StGB greift auch
dann ein, wenn sich die Strafbarkeit mittelbar aus
§ 142 I StGB ergibt. Dies ist bei der Rauschtat der
Fall, weil hier § 142 I StGB objektive Bedingung der
Strafbarkeit ist, also ohne die objektive und rechtswidrige Tat des § 142 I StGB auch eine Bestrafung
nach § 323a StGB nicht möglich wäre.12
für, den § 323a StGB als Auffangtatbestand anzusehen,
der - ähnlich wie beim Verhältnis Vorsatz / Fahrlässigkeit immer dann eingreift, wenn wegen alkoholbedingten Rausches mindestens wegen in dubio pro reo nicht verurteilt
werden kann.
Wenn allerdings wie im vorliegenden Fall zumindest der
Zustand des § 21 StGB sicher erreicht ist, also nur fraglich
ist, welche der beiden "Rauschnormen" (§ 20 bzw. § 21
StGB) zum Zuge kommt, kommen alle Auffassungen zum
einzig sinnvollen Ergebnis, § 323a StGB insoweit zu bejahen.
11
Dies entspricht der h.M. Interessant zur Frage, ob eine
subj. Vorwerfbarkeitsbeziehung zur Rauschtat zu verlangen ist, OLG Hamm NStZ 2009, 40 ff. mit Anm. Prof. Dr.
Geisler.
Ergebnis: Ein hinreichender Tatverdacht bzgl.
§ 142 II Nr.2 StGB entfällt.
12
A.A. natürlich gut vertretbar, wenn nur das Problem richtig
erkannt wird.
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- Klausur Nr. 426 - Strafrecht / Seite 6 III. Vollrausch (§ 323a StGB) ist nach dem Gesagten
nun aber zu bejahen: Ein ausreichender "Rausch"
i.d.S. liegt hier vor (s.o.), und in diesen hat sich der
L auch zumindest fahrlässig versetzt. Die objektive
Bedingung der Strafbarkeit liegt in der rechtswidrigen Begehung von § 142 I StGB.
B. Hinreichender Tatverdacht bzgl. Babette Lahme
I. Der von der Beschuldigten Babette Lahme eingeräumte Sachverhalt führt nicht zu einem hinreichenden Tatverdacht bzgl. §§ 142 II, 27 StGB.
Dabei kann offen bleiben, ob das Verhalten ihres
verstorbenen Ehemannes überhaupt § 142 II StGB
erfüllte.
In jedem Fall sind bei ihr die Voraussetzungen einer Beihilfehandlung nicht gegeben. Und nur eine
Teilnahme (keine Täterschaft) kommt überhaupt in
Frage, da sie selbst nicht Unfallbeteiligte i.S.d.
§ 142 V StGB war (T.F., § 142, Rn. 66).13
diesem Fall ist15 davon auszugehen, dass der bloße
Auftrag zum Abschleppen des Wagens nicht ausreicht, um eine Gehilfenstellung zu begründen.
1. Bei § 142 II StGB handelt es sich um ein echtes Unterlassungsdelikt. Die Strafbarkeit wird nicht dadurch begründet, dass ein Vereitelungserfolg eintritt.
Dies ist zwar Motiv, aber nicht Tatbestandsmerkmal
des § 142 StGB. Vielmehr ergibt sich die Strafbarkeit bereits und ausschließlich dadurch, dass der Täter die rechtlich gebotene Handlung nicht vornimmt.
2. Daraus ergeben sich auch die Anforderungen, die an
eine Hilfeleistung zu stellen sind. Hilfe leistet daher
nicht der, der mithilft, die Feststellung der Unfallbeteiligung zu vereiteln, sondern nur, wer den Haupttäter beim Unterlassen selbst unterstützt. Dies kann also regelmäßig nur durch psychische Beihilfe geschehen.
Im Übrigen bezieht sich die Anwesenheitspflicht des
§ 142 StGB nur auf den Unfallbeteiligten selbst,
nicht auch auf sein Fahrzeug. Da der Unfallbeteiligte
den Wagen selbst oder durch Dritte hätte entfernen
können, ohne sich damit strafbar zu machen, muss
dies auch - erst recht - für einen Dritten gelten, der
nicht selbst Unfallbeteiligter ist.
Möglich ist nur, dass die Beschuldigte ihrem Ehemann bei einer vorsätzlichen rechtswidrigen Haupttat dadurch Hilfe geleistet hat, dass sie das Fahrzeug
abholen ließ und so die Feststellung der Unfallbeteiligung erschwerte.
Zum einen ist hierbei schon bedenklich, dass sich
nicht endgültig klären lässt, ob bei ihrem Ehemann
als Haupttäter ein hinreichender Tatverdacht bzgl.
§ 142 II StGB vorlag oder ob dieser bereits wegen
des Entfernens selbst nach § 142 I Nr.1 StGB verdächtig war. Geht man – über eine zumindest mittelbare Anwendung des Grundsatzes in dubio pro reo
(vgl. M-G, § 170, Rn. 1, 2) – von letzterem aus, so
ist die Konsequenz, dass zu diesem im Moment der
Vornahme der Handlung der Beschuldigten bereits
abgeschlossenen Vorgang des Entfernens keine Beihilfe mehr möglich war.14
Letztlich sind diese Ermittlungsunsicherheiten hier
aber gar nicht entscheidend, da - wie nun zu zeigen
sein wird - eine Straflosigkeit der Beschuldigten
selbst dann gegeben ist, wenn man beim Haupttäter
auf eine Tat nach § 142 II StGB abstellt. Auch in
13
14
Vgl. BayObLG NStZ-RR 2000, 140 ff. = Life & Law 2000,
634 ff.
Beachten Sie hierbei den modifizierten Anwendungsbereich
des Grundsatzes in dubio pro reo, der insoweit nur mittelbar zur Anwendung gelangt, nämlich über die eigene Prognose des StA, ob er selbst nach Sach- und Rechtslage
wahrscheinlich am Ende der Hauptverhandlung zum Antrag
auf Verurteilung gelangen würde, vgl. M-G, § 170, Rn. 1
und 2.
Beihilfe geleistet hätte die Beschuldigte daher nur,
wenn sie durch den Abtransport des Fahrzeugs den
Ehemann vorsätzlich in seinem Entschluss gestärkt
hätte, sich nicht zu melden. Dies ist jedoch augenscheinlich nicht der Fall. Sie hatte sich nach ihren
nicht zu widerlegenden Angaben nicht einmal Gedanken gemacht, ob er sich freiwillig melden werde,
sondern wollte offenbar nur verhindern, dass die Polizei den Unfall mitbekommt.
II. Soweit eine vollendete oder versuchte Strafvereitelung gemäß § 258 StGB in Betracht kommt, entfällt ein hinreichender Tatverdacht zumindest aufgrund des sog. Angehörigenprivilegs gemäß
§ 258 VI StGB (vgl. § 11 I Nr.1a StGB).
15
So nach der m.E. zustimmungswürdigen Rechtsprechung
des BayObLG (vgl. NJW 1990, 1861).
- RA Christian Daxhammer / Oktober 2013 -
Assessorkurs Hessen - Postversandkurs
- Klausur Nr. 426 - Strafrecht / Seite 7 Nach zutreffender Ansicht (vgl. T.F., § 268,
Rn. 13c, 8) können jedoch der Aufzeichnungsvorgang und das Medium, auf dem er sich verkörpert,
nicht voneinander isoliert betrachtet werden. Geschütztes Rechtsgut des § 268 StGB sei die Sicherheit der Informationsgewinnung durch technische
Geräte, und diese Sicherheit ist durch derartige Manipulationen gefährdet, so dass auch für diese Konstellation der Tatbestand des § 268 III i.V.m. I Nr.1
StGB einschlägig ist.
4. Tatkomplex: Fahrtenschreiber / hinreichender
Tatverdacht bzgl. des Schnabel
I. Fälschung technischer Aufzeichnungen (§ 268
StGB)
1. Objektiver Tatbestand
a. Der Begriff der technischen Aufzeichnung ist in
§ 268 II StGB legaldefiniert. Unter einer Darstellung i.S. dieser Vorschrift ist nach h.M nur eine
Aufzeichnung zu verstehen, bei der die geräteautonom produzierte Information in einem selbständig
verkörperten vom Gerät abtrennbaren Stück enthalten ist. Diese Voraussetzung ist beim Fahrtenschreiber gegeben, da die Tachographenscheibe gerade zur Überprüfung dem Fahrtenschreiber entnommen wird (vgl. T.F., § 268, Rn. 3, 6).16
b. Fraglich ist, wie der Echtheitsbegriff i.S. des § 268
StGB zu verstehen ist, da das Kriterium der Identitätstäuschung des § 267 StGB ja nur schwerlich auf
§ 268 StGB übertragen werden kann (vgl. T.F.,
§ 268, Rn. 11a). Nach h.M ist davon auszugehen,
dass eine technische Aufzeichnung dann unecht ist,
wenn sie überhaupt nicht oder nicht so, wie sie vorliegt, das Ergebnis eines in seiner Selbsttätigkeit unbeeinflussten Aufzeichnungsvorganges ist, obwohl
sie diesen Anschein erweckt (vgl. T.F., § 268,
Rn. 11a m.w.N.). Insofern ist die hier in Betracht
kommende störende Einwirkung auf den Aufzeichnungsvorgang i.S. des Abs. 3 nur ein besonders erwähnter Unterfall des Herstellens einer unechten
technischen Aufzeichnung (vgl. T.F., § 268, Rn. 13).
c. Fraglich ist jedoch, ob S dadurch, dass er die falsche
Tachographenscheibe einsetzte, den Aufzeichnungsvorgang störend beeinflusst hat. Dies scheitert nicht bereits daran, dass die Manipulation bereits vor dem Aufzeichnungsvorgang durchgeführt
wurde, da die störende Einwirkung auch dem Aufzeichnungsvorgang vorausgehen kann. Das BayObLG hat in einer solchen Konstellation die Beeinflussung des Aufzeichnungsvorgangs verneint, da
die Bewegungen des Fahrtenschreibers ordnungsgemäß erfolgt sind und lediglich auf der falschen
Unterlage bewirkt wurden. Daher erfolge die Arbeitsweise des Gerätes ordnungsgemäß (BayObLG
VRS 46, 124 ff.).
16
Daher unterscheidet die h.M zwischen den sog. Anzeigegeräten, die nicht unter § 268 StGB fallen (z.B. Strom- und Kilometerzähler), sowie den Aufzeichnungsgeräten, die gerade von § 268 StGB erfasst sind.
2. Subjektiver Tatbestand: S handelte vorsätzlich, da
er wusste, dass Gerger (G) das Gerät benutzen würde.
Fraglich ist jedoch, ob ein Handeln zur Täuschung
im Rechtsverkehr vorliegt. Wie i.R.d. § 267 StGB
ist auch i.R.d. § 268 StGB keine Absicht i.e.S. erforderlich. Vielmehr genügt bereits das sichere Wissen, dass die Urkunde im Rechtsverkehr gebraucht
werden soll (T.F., § 268, Rn. 16; § 267, Rn. 29 f.).
Auch braucht der Täter nicht die Absicht zu haben,
die Aufzeichnung selbst zur Täuschung im Rechtsverkehr zu gebrauchen. Dies kann nach seinem Willen auch ein anderer sein. Daher ist auch der subjektive Tatbestand des § 268 StGB verwirklicht.
3. Die Tat war auch rechtswidrig und schuldhaft.
Ergebnis: S ist wegen Fälschung technischer Aufzeichnungen gemäß § 268 III StGB hinreichend
verdächtig.17
II. Ein hinreichender Tatverdacht wegen Urkundenfälschung (§ 267 StGB) scheitert bereits daran, dass es
sich bei den Aufzeichnungen des Fahrtenschreibers,
die dieser selbständig tätigt, nicht um eine verkörperte (menschliche) Gedankenerklärung handelt, so
dass es bereits an einer Urkunde fehlt.
17
Exkurs / Strafbarkeit des G: Fraglich ist, ob auch G aus
§ 268 I Nr.1, III StGB strafbar ist, da er ja nicht selbst die
Manipulationshandlung vorgenommen hat, sondern lediglich auf dem bereits manipulierten Gerät die technischen
Aufzeichnungen hergestellt hat. Um eine Strafbarkeit des G
aus § 268 StGB zu begründen, muss gerade nicht auf die
Grundsätze der unechten Unterlassungsdelikte zurückgegriffen werden, mit der eine Rechtspflicht zur Beseitigung der störenden Einwirkung geschaffen werden könnte. Vielmehr ist zu beachten, dass der Fahrtenschreiber
nicht völlig selbsttätig die Aufzeichnungen herstellt, sondern erst nachdem der Lkw durch den Fahrer in Betrieb
genommen wurde. Daher ergibt sich hier die Strafbarkeit
des G bereits aus dem Begehungsdelikt. Darüber hinaus
wäre bei G auch eine Anstiftung des S hierzu gegeben,
doch tritt diese aus Konkurrenzgründen hinter der späteren
täterschaftlichen Begehung des § 268 StGB durch G als
mitbestrafte Vortat zurück.
- RA Christian Daxhammer / Oktober 2013 -
Assessorkurs Hessen - Postversandkurs
- Klausur Nr. 426 - Strafrecht / Seite 8 det das Verfahren von selbst (vgl. M-G, § 206a,
Rn. 8; Meyer-Goßner selbst aber ist a.A.).
Gesamtergebnis / Konkurrenzen:
1. L hat sich hinreichend verdächtig gemacht nach
§ 316 I StGB; ferner nach § 323a StGB; dies in Tatmehrheit gemäß § 53 StGB: Eine Zäsur trat hier mit
dem Entschluss, von neuem zu trinken und dem dann irgendwann folgenden - Entschluss, nun nach
Hause zu fahren, ein. Der Entschluss, nach dem Unfall wegzugehen, ist ebenfalls ein neuer Entschluss
zur Tat.
2. S hat eine einzige Anstiftungshandlung (§§ 316 I, 26
StGB) vorgenommen. § 268 StGB steht dazu eindeutig in Tatmehrheit gemäß § 53 StGB.
_________________
2. Teil: Entscheidungen der StA
Staatsanwaltschaft
14.10.2013
Frankfurt a.M.
.......
Az.: 13 Js 1245/13
Frankfurt,
Verfügung19
Verfahrensstation
I. Zur Aburteilung des Schnabel ist nach §§ 24,
25 Nr.2 GVG, §§ 7, 8, 9 StPO das Amtsgericht
Frankfurt a.M. - Strafrichter - zuständig.
II. Bei Anstiftung zur Trunkenheit im Verkehr und Fälschung technischer Aufzeichnungen handelt es sich
um Vergehen, für die gem. §§ 24, 25 Nr.2 GVG,
§§ 7, 8, 9 StPO der Strafrichter zuständig ist. Das zu
erwartende Strafmaß übersteigt nicht den Rahmen
des § 407 StPO. Die Rechtsfolge muss beantragt
werden. Ein Strafbefehl erscheint nach dem Ergebnis der Ermittlungen geeignet, vgl. § 407 I 2 StPO,
da die Sach- und Rechtslage geklärt und nicht zwingend ein Einspruch zu erwarten ist, vgl. Ziff. 175
RiStBV.
III. Aus der Tat des Schnabel ergibt sich jedoch nicht,
dass er ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen
ist, § 69 StGB. Bei einem Vergehen nach § 316
StGB liegt zwar ein Regelfall gem. § 69 II Nr.2
StGB vor; die bloße Teilnahme an fremden Taten
i.S.d. § 316 StGB hat allerdings keine Regelwirkung
(vgl. auch T.F., § 69, Rn. 25). Auch legen die konkreten Umständen nicht zwingend eine eigene Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen nahe.18
Da S angab, keine Fahrerlaubnis zu haben, kämen
§§ 69, 69a StGB auch nur teilweise in Betracht kein Entzug, aber Sperre, § 69a I 3 StGB.
1. Das Verfahren gegen die Beschuldigte Babette
Lahme, Egerländerstraße 43a, Frankfurt a.M., wird
gemäß § 170 II StPO eingestellt.
Gründe:
(vgl. Gutachten)
2. Formlose Mitteilung von Ziffer 1. ohne die Gründe
an die Beschuldigte.
3. Aktenvermerk: Hinsichtlich des Beschuldigten
Luca Lahme ist das Verfahren durch dessen Tod erledigt.
4. Die Ermittlungen sind abgeschlossen.20
5. Strafbefehl gemäß beiliegendem Entwurf fertigen
und Durchschrift zur Handakte nehmen.
6. Aktenvermerk: Der Strafbefehl bzgl. Herrn Stefan
Schnabel bezieht sich nur auf eine Anstiftung zu
§ 316 I StGB bzw. auf einen täterschaftlich verwirklichten § 268 StGB. Ein weiterer hinreichender Tatverdacht besteht nicht (vgl. Gutachten).
7. U.m.A. dem Amtsgericht Frankfurt a.M. - Strafrichter -, mit dem Antrag, Strafbefehl gemäß beiliegendem Entwurf zu erlassen.
8. WV .....
Unterschrift
Staatsanwalt
IV. Bzgl. des verstorbenen Luca Lahme reicht ein entsprechender Aktenvermerk. Ein Ermittlungsverfahren muss nicht zwingend nach § 170 II StPO eingestellt werden, denn der Tod des Beschuldigten been-
_______________________
19
18
Beachten Sie hier unbedingt NJW 2005, 1957 ff. und die
Anm. von Hentschel in NJW 2006, 477 ff. [482]; T.F., § 69,
Rn. 40 ff.
20
Vgl. Sie allgemein zur Abschlussverfügungsklausur im
2. Staatsexamen Hemmer/Wüst/Gold/Daxhammer, Die
Strafrechtsklausur im Assessorexamen, § 2.
Vgl. § 169a StPO.
- RA Christian Daxhammer / Oktober 2013 -
Assessorkurs Hessen - Postversandkurs
- Klausur Nr. 426 - Strafrecht / Seite 9 Amtsgericht Franfurt a.M.
- Strafrichter Az.: ...
Frankfurt a.M., ...............
Fahrtenschreiber enthaltene Farbstift niedrigere Geschwindigkeiten auf der veränderten Unterlage aufzeichnete.
Vergehen, strafbar gemäß §§ 316 I, 268 I, III, 26, 53
StGB.
Strafbefehl
Herrn
Stefan Schnabel
Keltenstraße 57
... Frankfurt a.M.
Beweismittel:
I. Geständige Einlassungen vom 7. und 25. Juli 2013.
Die Staatsanwaltschaft Frankfurt a.M. schuldigt Sie an,
in Frankfurt am Main
am 7. Juli 2013 und am 11. Juli 2013
durch zwei selbständige Handlungen
1. einen anderen vorsätzlich dazu angestiftet zu haben,
ein Fahrzeug zu führen, obwohl dieser infolge des
Genusses alkoholischer Getränke nicht in der Lage
war das Fahrzeug sicher zu führen,
sowie
2. zur Täuschung im Rechtsverkehr eine technische
Aufzeichnung verfälscht zu haben, indem Sie durch
störende Einwirkung auf den Aufzeichnungsvorgang
das Ergebnis der Aufzeichnung beeinflusst haben.
1. Am Abend des 6. Juli 2013 haben sie sich gemeinsam mit dem inzwischen verstorbenen Luca
Lahme in das Lokal "Playing" in Frankfurt a.M. begeben. Herr Lahme und andere Beteiligte haben sich
dort stark betrunken, wobei Herr Lahme mindestens
acht Bier trank. Als Herr Lahme, der eine BAK von
mindestens 1,2 und höchstens 1,7 Promille hatte und
dem seine Fahruntüchtigkeit bewusst war, nicht mehr
mit seinem Pkw (Kennzeichen F-XY-43) fahren
wollte, haben Sie ihn am 7. Juli 2013 gegen 1 Uhr
dazu überredet, Sie und Herrn Toni Torelli mit dem
Pkw nach Hause zu bringen. Dabei hatten Sie ebenfalls Kenntnis von dessen Fahruntüchtigkeit.
II. Zeugen:
1. PM Schweiger vom Polizeipräsidium Frankfurt a.M.,
Kommissariat 11, ...
2. Gerhard Gerger, Liegnitzerstraße 57, Frankfurt a.M.
als Zeuge.
III. Urkunden:
Protokoll über die Aussage des verstorbenen Luca
Lahme vom 9. Juli 2013.
IV. Gegenstand des Augenscheins:
Sichergestellte Tachographenscheibe.
Auf Antrag der Staatsanwaltschaft wird gegen Sie
eine Gesamtgeldstrafe von 110 Tagessätzen verhängt, die sich aus den Einzelstrafen von 60 Tagessätzen für die Anstiftung zur vorsätzlichen Trunkenheit im Verkehr und 70 Tagessätzen für die Fälschung technischer Aufzeichnungen ergibt. Der Tagessatz beträgt 25,- €. Somit beträgt die Geldstrafe
insgesamt 2.750,- €. An die Stelle einer uneinbringlichen Geldstrafe tritt für jeden Tagessatz ein Tag
Freiheitsstrafe.
Sie haben die Kosten des Verfahrens und Ihre Auslagen zu tragen.
Rechtsbehelfsbelehrung bzgl. Einspruch......
Unterschrift
RiAG
_____________________
2. Am 11. Juli 2013 bauten Sie auf Bitte des anderweitig verfolgten Gerhard Gerger in den Fahrtenschreiber von dessen Lkw Volvo (amtl. Kennzeichen
F-GG-300) eine für Geräte mit anderen Geschwindigkeitsbereichen bestimmte Tachographenscheibe
ein. Dieser nahm damit, wie Sie wussten, eine eilige
Fahrt nach Österreich vor. Die Manipulation hatte wie von Ihnen beabsichtigt - zur Folge, dass der im
- RA Christian Daxhammer / Oktober 2013 -