Begründungsmuster religiös motivierter Beschneidungen von Jungen.
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Begründungsmuster religiös motivierter Beschneidungen von Jungen.
Begründungsmuster religiös motivierter Beschneidungen von Jungen. Religionswissenschaftliche Perspektiven auf eine aktuelle Debatte Bachelor Thesis Religionswissenschaft Evangelisch-Theologische Fakultät WS 2012/2013 Autor: Martin-Sebastian Abel Matrikelnummer: 108010115499 Gutachter: Dr. Michael Waltemathe Dr. Markus Hero Beginn: 10. September 2012 Abgabe: 22. Oktober 2012 Begründungsmuster religiös motivierter Beschneidungen von Jungen. Religionswissenschaftliche Perspektiven auf eine aktuelle Debatte von Martin-Sebastian Abel steht unter einer Creative Commons Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen 3.0 Deutschland Lizenz. INHALTSVERZEICHNIS EINLEITUNG 1 THEOLOGISCHE HINTERGRÜNDE 6 Brit Mila - Beschneidung im Judentum 6 Symbol der Auserwählung 7 Berichte über die Praxis 9 Nationales Identitätsmerkmal Prophetentradition - Beschneidung im Islam Ritualkultur der Prophetentraditionen 10 11 12 RELIGIONSGESCHICHTLICHE UND ETHNOLOGISCHE HINTERGRÜNDE 15 RELIGIÖSE PRAXIS DER BESCHNEIDUNG 18 Daten und Zahlen 18 Ist die Beschneidung wirklich Pflicht? 18 Innerjüdische Kontroversen 19 Islamische Kontroversen 19 DAS URTEIL DES KÖLNER LANDGERICHTS VOM 7. MAI 2012 20 Reaktionen und Folgen 21 Kritik 22 DEBATTE DES ETHIKRATS AM 23. AUGUST 2012 23 Begründungsmuster im Beitrag von Dr.med. Leo Latasch 24 Begründungsmuster im Beitrag von Dr. phil. Ilhan Ilkilic 25 FAZIT 27 LITERATURVERZEICHNIS 30 Einleitung Am 7. Mai 2012 fällte das Kölner Landgericht ein folgenschweres Urteil1: die bisherige Praxis für die medizinisch nicht indizierte Beschneidung von Jungen in der Bundesrepublik Deutschland wurde gestoppt. Die durch das Urteil ausgelöste öffentliche Debatte ist in mehrfacher Hinsicht für eine religionswissenschaftliche Untersuchung relevant: die juristische Auseinandersetzung um die Beschneidung von Jungen brachte die religiöse Praxis vieler hunderttausender Juden und Muslime in den Fokus einer kontrovers geführten gesellschaftlichen Debatte. Im Kern dieser Debatte geht es um nichts geringeres als die Frage nach den Grenzen der Religionsfreiheit in unserem Rechtssystem und damit in unserer Gesellschaft. Dabei sind zweifelsohne Parallelen zu vergangenen Debatten erkennbar: Auseinandersetzungen um die Stellung der christlichen Volkskirchen, exemplarisch genannt seien die Diskussionen um Religionsunterricht, Kirchensteuer und Bekenntnisschulen, stellten den bisher gültigen gesellschaftlichen Konsens über die Rolle und Funktionen der - hier christlichen - Religion in einer pluralen Gesellschaft grundlegend in Frage. Hauptsächlich entlang dieser Themenstränge verliefen die markanten Konfliktlinien der öffentlichen juristischen und gesellschaftlichen Diskussion, um die Stellung von Religion in der Öffentlichkeit und die Auslegung des Grundrechts der Religionsfreiheit. In der Rechtsprechung und juristischen Literatur der letzten Dekade sind nunmehr auch Auswirkungen einer pluralisierten Gesellschaft zu beobachten2 : so waren Objekte der Auseinandersetzung vor den Gerichten beispielsweise das „Kopftuchverbot“, das Schächten von Tieren sowie die Bestrebungen kleinerer Religionsgemeinschaften, welche die gleichen rechtsstaatlichen Privilegien 1 Urteil des Landgerichts Köln (151 Ns 169/11). 2 Vgl. Hilgendorf, Eric: „Strafrecht und Interkulturalität, Plädoyer für eine kulturelle Sensibilisierung der deutschen Strafrechtsdogmatik“, in: JuristenZeitung (JZ) 2009, S. 139-144., hier S.139.; sowie Rohe, Mathias: „Islamisierung des deutschen Rechts?“, in: JZ 2007, S. 801-806., hier 801f.; sowie die empirischen Ergebnisse bei Langer, T./Poscher. R.: „Integration und Recht: Religionsrechtliche Konflikte vor den Verwaltungsgerichten in Nordrhein-Westfalen“, in: Hero, M./Krech, V./Zander, H. (Hg.), Religiöse Vielfalt in NordrheinWestfalen, Empirische Befunde und Perspektiven der Globalisierung vor Ort, Paderborn 2008, S. 179-189., hier S. 181ff. 1 der großen Amtskirchen erlangen wollten.3 Die Debatte um eine Lehrerin, die im Schulunterricht ein Kopftuch tragen wollte, berührte das Grundrecht der Religionsfreiheit in Form der individuellen, authentischen Religionsausübung und den möglichen Konflikt mit der erforderlichen weltanschaulichen Neutralität von Beamten im Staatsdienst.4 Die Debatte um das rituelle Schächten berührte zweifelsohne den Konflikt zwischen freier Religionsausübung und rechtlichen Vorschriften, doch handelte es sich hierbei im juristischen Sinne nicht um den Konflikt mit einem anderen Grundrecht, das durch die Religionsfreiheit tangiert wurde.5 Die letztgenannten Beispiele spiegeln eine jeweils ähnlich gelagerte Anordnung zwischen den Interessen von religiösen Gruppen in einer multikulturellen Gesellschaft und der Rechtspraxis wider, wie sie auch in der Debatte um die religiös motivierte Beschneidung erkennbar wird. Ganz im Gegensatz zu diesen vergangenen öffentlichen Debatten tangiert die Beschneidung jedoch das Grundrecht der körperlichen Unversehrtheit. Diese qualitative Stufe unterscheidet die aktuelle Debatte gravierend von den vergangenen. Neben dem Interesse an der skizzierten ethisch-moralischen Auseinandersetzung, fand ich besonderes Interesse an diesem Thema aufgrund meiner Annahme, dass die theologischen Hintergründe dieses Rituals einer großen Mehrheit der Bevölkerung durch die alttestamentliche Überlieferung bekannt sein müssten. Schließlich handelt es sich um eine Jahrtausende alte Tradition, die durch Religionsunterricht, Predigten, populäre Einführungsliteratur in die abrahmitischen Religionen 6 und nicht 3 Heining, Hans Michael/Morlok, Martin: „Von Schafen und Kopftüchern. Das Grundrecht auf Religionsfreiheit in Deutschland vor den Herausforderungen religiöser Pluralisierung“, in: JZ 2003, S.777-785., hier S. 777f. 4 Vgl. Rohe, Mathias: „Thesen zu Grundlagen und Folgen eines „Kopftuchverbots", für Lehrkräfte an öffentlichen Schulen." Stellungnahme im Rahmen der öffentlichen Anhörung des Landtags von Nordrhein-Westfalen am 6. Mai 2004., hier Punkt 7.; dazu auch: Heining / Morlok: „Von Schafen und Kopftüchern.“, 784. 5 vgl. Urteil des BVerwG vom 23.11.2006 (BVerwGE 127, 183)., hier insbesondere Punkt 8. 6 Etwa Affolderbach, Martin/Wöhlbrand, Inken (Hg.): „Was jeder über den Islam wissen muss.“, 8. Aufl., Gütersloh 2011. 2 zuletzt vielfältigster Rezeption in der Popkultur 7 wahrgenommen wurde. Jedoch war dieser Ritus in vielen Jahrzehnten deutscher Nachkriegsgeschichte bisher kein Gegenstand einer solch kontroversen öffentlichen Debatte, wie sie an der Entscheidung der Richter am Kölner Landgericht entbrannte. Angesichts der emotionalen Intensität und Tonalität in manchen Beiträgen ist dies erstaunlich. Umso bemerkenswerter scheint es deshalb, dass es sich bei der Beschneidung um eine bisher ohne jegliche Gesetzgebung8 durchgeführte Praxis handelt. Jahrzehntelange öffentlich begangene religiöse Praxis und Teil der Biographie vieler Juden und Muslime in Deutschland sind auf einmal Gegenstand einer intensiven Wertedebatte geworden. Zudem übte dieser Ritus seit jeher eine Faszination auf mich aus: Er verlangt von den Empfangenden Schmerzen zu ertragen, bei Kindern natürlich in erster Linie die Bereitschaft der gläubigen Eltern, die Schmerzen über ihr Kind ergehen zu lassen. Diese Verbindung von Spiritualität und Körperlichkeit, die Bereitschaft zur Einschränkung der körperlichen Integrität unter Billigung von unangenehmsten Schmerzen und Gefahren, unterscheidet die Beschneidung gravierend von anderen etablierten (religiösen) Ritualen in unserer Gesellschaft. Es ist daher anzunehmen, dass eben dies ursächlich ist für die Intensität der gegenwärtig andauernden Debatte. In einem relativ kurzen Zeitabschnitt zwischen der Urteilsverkündung und ersten Gesetzesinitiativen im Deutschen Bundestag 9 äußerten sich viele 7 Der soziokulturelle Kontext dieses Rituals beschränkt sich nicht auf religiös-theologische Aspekte vgl. dazu Fateh-Moghadam, Bijan: „Religiöse Rechtfertigung? Die Beschneidung von Knaben zwischen Strafrecht, Religionsfreiheit und elterlichem Sorgerecht“, in: Rechtswissenschaft, Heft 2/2010, S. 115-142., hier S.118.; beispielhaft die Darstellung in: Larry Charles (Autor): Seinfeld, Season 5, Episode 5: „The Bris“. 8 Zur ausführlichen Darstellung des rechtlichen Rahmens vgl. Putzke, Holm: „Die strafrechtliche Relevanz der Beschneidung von Knaben, Zugleich ein Beitrag über die Grenzen der Einwilligung in Fällen der Personenfürsorge“, in: Putzke, H./Hardtung, B./ Hörnle, T. et al. (Hg.), Strafrecht zwischen System und Telos, Festschrift für Rolf Dietrich Herzberg zum 70. Geburtstag am 14. Februar 2008, Tübingen 2008, S.669-709., hier S. 669ff.; sowie Fateh-Moghadam: „Religiöse Rechtfertigung“, 116. 9 BT-Drs. 17/10331 3 Verbände, Organisationen und religiöse Institutionen in Stellungnahmen zum Thema der religiös motivierten Beschneidung und waren vielfältig an der publizierten Debatte beteiligt. Diese Arbeit konzentriert sich auf die Begründungsmuster für die religiöse Beschneidung von Jungen. Dabei steht das wissenschaftliche Interesse an der Motivation für das Ritual und seine religiöse Dimension im Mittelpunkt. Begehen Juden und Muslime aus dem Glauben, ein Gebot Gottes erfüllen zu wollen oder zu müssen die Beschneidung, oder steht die Erhaltung eines identitätsstiftenden Ritus, das Fortbestehen einer Jahrtausende alten Tradition und die Frage der Zugehörigkeit im Mittelpunkt? Warum wird dieser Ritus, im Gegensatz zu vielen anderen Vorschriften und Bräuchen aus den heiligen Büchern, heute noch immer vollzogen und welche Stellung hat er? Eine qualitativ-empirische Befragung von Gläubigen kann im Rahmen dieser Bachelor-Arbeit freilich nicht geleistet werden. Gegenstand der Untersuchungen bilden daher stellvertretend Publikationen, Stellungnahmen und Äußerungen anerkannter Institutionen und Persönlichkeiten der Religionsgemeinschaften des Judentums und des Islams in der Bundesrepublik Deutschland, die in Reaktion auf das Urteil des Kölner Landgerichts vom 7. Mai 2012 und der dadurch ausgelösten öffentlichen Debatte erfolgten. Das Landgerichtsurteil sowie notwendige Erläuterungen über juristische Publikationen, die zu diesem Urteil führten, werden dargestellt, da diese in einigen Stellungnahmen erwähnt und in unterschiedlichen Aspekten kritisiert werden. In diesem Zusammenhang wird auch die Entwicklung der rechtlichen Argumentation erläutert, deren Wurzeln an die juristische Fakultät der Ruhr-Universität Bochum führen. (siehe Abschnitt: Urteil des Kölner Landgerichts vom 7. Mai 2012) Die Debatte im Ethikrat, besonders die Stellungnahmen der Vertreter des Zentralrats der Muslime und des Zentralrats der Juden in Deutschland, wird 4 in einem eigenen Abschnitt untersucht: Sie sind einerseits von besonderem Interesse, weil die öffentliche Debatte zum Zeitpunkt der Sitzung des Gremiums bereits weit voran geschritten war. Andererseits behandeln die Beiträge in dieser Sitzung sowohl die religiöse Praxis, als auch die theologisch-dogmatische Verankerung des Rituals in den jeweiligen Religionsgemeinschaften. Im Verlauf der Erstellung dieser Arbeit dauerte die Debatte um eine mögliche rechtliche Rahmengebung für die religiös-motivierte Beschneidung noch immer an. Ein entsprechender Gesetzentwurf der Bundesregierung sowie die Beratungen im Deutschen Bundestag können in dieser Arbeit nicht berücksichtigt werden. Die Parlamentsdebatte und die Reden in der Sondersitzung des Deutschen Bundestags vom 19. Juli 2012, aus der eine Resolution hervorging 10, welche die Bundesregierung zu einer gesetzlichen Regelung auffordert, die Beschneidung grundsätzlich weiterhin zu ermöglichen, bleiben unberücksichtigt, da die in den Redebeiträgen vorgebrachten Begründungsmuster denen in dieser Arbeit ausgewählten Texten gleichen. Zum anderen werden Ausführungen über juristische Abwägungen und die Konsequenzen des Landgerichtsurteils durch die Darstellung der rechtlichen Argumentation für die Zwecke dieser Arbeit ausreichend erläutert. Die Begründungsmuster für Knabenbeschneidung der Vertreter der Religionsgemeinschaften stehen demnach im Fokus der Untersuchung. Die verschiedenen Stellungnahmen zeigen unterschiedlichste Auslegung der Gebote und Vorschriften zur Beschneidung, meist unter Berufung auf heilige Schriften. Deswegen werden die unterschiedlichen Erwähnungen der Beschneidung in der alttestamentlichen Überlieferung dargestellt und in ihrem jeweiligen Kontext beleuchtet. Gleiches gilt für die theologische Verankerung des Rituals im Islam. Zudem werden die wichtigsten ethnologischen Entstehungshypothesen dargestellt. 10 BT-Drs. 17/10331 5 Diese Arbeit will eine kompakte religionswissenschaftliche Perspektive auf die aktuelle Debatte geben und die religiös-theologischen Hintergründe verständlich machen. Zweifellos können nicht alle Aspekte, und durch die aktuelle Debatte aufgeworfenen Fragestellungen, im Rahmen einer Bachelor-Arbeit erschöpfend beantwortet werden. Eventuell eignen sich die folgenden Ausführungen als Anstoß für eine tiefergehende religionssoziologische Forschung; etwa für eine qualitative Untersuchung über die Bedeutung der religiösen Praxis der Knabenbeschneidung für jüdische und muslimische Eltern und Jugendliche in Deutschland. Theologische Hintergründe Brit Mila - Beschneidung im Judentum Im Tanach finden sich mehrere Erwähnungen der Beschneidung in unterschiedlichen Zusammenhängen und Motiven. Die gebräuchlichste Bezeichnung für Beschneidung in der jüdischen Religion und auch in unserem heutigen Sprachgebrauch, ist „Brit Mila“11 das aus dem hebräischen ב ְ ּ ר ִית12 (Gebot, Zusage)13 und der Wurzel ( מ ּ ֥ ו ֹלbeschneiden) zusammengesetzt, in der Literatur häufig mit „Beschneidungsbund“ übersetzt wird. Die Beschneidung gilt im Judentum gemeinhin als Zeichen des Bundes zwischen Gott und seinem Volk. In der theologischen Betrachtung soll dieser Ursprung näher untersucht werden, der zum Beginn der Tora, zu der Erzväter-Erzählung des Pentateuch14 führt. „ “ מּ֥וֹלwird im gesamten Tanach 36 mal verwendet15, die Auswahl beschränkt sich deshalb auf die zentralsten Stellen. 11 Siehe Ausführungen zu Gen 17,4 S.7. 12 Nach Gesenius, Wilhelm: „Hebräisches und Aramäisches Handwörterbuch über das Alte Testament“, Nachdruck der 17. Aufl. 1915, Berlin, Göttingen, Heidelberg 1962. 13 Ebd. (so auch ff.); Blum, E., Art. „Beschneidung II. Bibel“, in: Betz, H.D. et al. (Hg.), Religion in Geschichte und Gegenwart (RGG). Handwörterbuch für Theologie und Religionswissenschaft, 4.Aufl., Tübingen 1998, Bd. 1, S.1355. 14 Siehe Ausführungen zu Gen 17,4 S.7. 15 Lisowsky, Gerhard: „Konkordanz zum Hebräischen Alten Testament“, 3. Aufl., Stuttgart 1993, S. 757. 6 Symbol der Auserwählung Die zentrale biblische Überlieferung der Beschneidung ist zweifelsohne Gen 17,4 16: „ich habe meinen Bund mit dir“17 mit diesen Worten schließt Gott „seinen Bund“ ()בְרִיתִ֖י18 mit Abraham, der zum Stammvater Israels werden soll. Dieser Bund wird später durch die Beschneidung symbolisiert. Bis Gott ihn in Gen 17,5 auf „Vater vieler Völker“19, w. „Vater von vielen“20()אַבְרָהָם umbenennt, was mit der Beschneidung korrespondiert, hieß Abraham eigentlich Abram ()אַבְרָם, was übersetzt wird mit „der Vater ist erhaben“21 . Das Gebot und die Bedeutung der Beschneidung wird in den folgenden Versen verdeutlicht und detailliert beschrieben: so befiehlt Gott Abraham „(...) alles was männlich ist unter Euch, (das) soll beschnitten () ה ִ מ ּ ֥ ו ֹל werden“ (17,10) und präzisierend wird wortwörtlich hinzugefügt „das Fleisch eurer Vorhaut“ ()בְּשַׂ֣ר עָרְלַתְכֶ֑ם. Diese Präzisierung wird im Hinblick auf die religionsgeschichtlich-ethnologische Betrachtung von großer Bedeutung sein, denn sie unterscheidet einerseits die Art der Beschneidung wesentlich von der älterer Verfahren22, andererseits handelt es sich bei Gen 17 wahrscheinlich um eine nachexilische Erzählung23, so dass vieles darauf hindeutet, dass die Präzisierung einen bereits praktizierten, somit 16 Alle Bibelstellen nach „Beschneidung“, in: RGG; sowie Müller,G./Balz,H./Krause,G. (Hg.), Theologische Realenzyklopädie (TRE), Bd. 5., Berlin 1976–2004.; Botterweck,G. et al. (Hg.): Theologisches Wörterbuch zum Alten Testament (ThWAT), Stuttgart 1973ff.; Zimmermann, Ulrich.: „Kinderbeschneidung und Kindertaufe. Exegetische, dogmengeschichtliche und biblisch-theologische Betrachtungen zu einem alten Begründungszusammenhang“, Hamburg 2006.; Blaschke, Andreas.: „Beschneidung. Zeugnisse der Bibel und verwandter Texte“ (TANZ 28), Tübingen / Basel 1998.; Lisowsky: „Konkordanz“. 17 Text: Die Bibel. Nach der Übersetzung Martin Luthers. Revidierte Fassung von 1984, Stuttgart 1985.; w. Übersetzungen teilweise entnommen aus Steurer, Rita Maria: „Das Alte Testament. Interlineare Übersetzung“, hebr.-dt., Bd. 1., Gen-Deut. 1989. (so auch im ff.) 18 Text: Elliger, K./Rudolph,W. (Hg.): Biblica Hebraica Stuttgartensia (BHS), 5. Aufl., Stuttgart 1997. (so auch im ff.) 19 Nach Luther 1984; allerdings weist Hieke, Th., Art. „Abraham“, in: Das wissenschaftliche Bibellexikon im Internet (www.wibilex.de), 2008 (Zugriffsdatum: 23.9.2012) unter Punkt 1 auf eine Volksetymologische Erklärung hin. 20 Blum, E.: Art. „Abraham I“, in: RGG, Bd. 1, S.70-73., hier 70. 21 Hieke, Th., Art. „Abram/Abraham“, in: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon (BBKL), Bd. XXIV, Nordhausen 2005, S.1-49., hier S.1.; vgl. auch Martin-Achard, R., Art. „Abraham I“, in: TRE, Bd.1, S.364-371., hier 365. 22 Siehe Ausführungen in Religionsgeschichte und ethnologische Herkunft 23 Vgl. Blaschke 80; Blum „Abraham I“ RGG. 7 vorexilischen Brauch wiedergibt, wofür auch Ex 4,24-26 spricht24. Dieser Vorgang der Beschneidung soll „Zeichen des Bundes“ ( )לְאֹ֣ות בְּרִ֔יתsein. Ohne den folgenden Kapiteln vorzugreifen, ist der Rückbezug auf den in der Literatur häufig genannten „Abrahamsbund”25 , in fast allen ausgewählten Stellungnahmen der Religionsgemeinschaften wiederzufinden. Die Erzählung von Gen 17 scheint also bis heute wichtiger theologischer Orientierungspunkt für das Ritual der Beschneidung zu sein. In diesem werden Erwählung und Beschneidung unzertrennbar miteinander verknüpft.26 In Gen 17,12 folgt die genaue Zeitvorgabe zur Beschneidung „wenn das Kind acht Tage alt ist“ ()וּבֶן־שְׁמֹנַ֣ת יָמִ֗ים. Das Gebot der Beschneidung erstreckt sich nach Gen 17,13 auch auf Haussklaven, oder, in eigener Interpretation des MT: soll beschnitten sein ein jeder, der in deinem Haus und [von] deinem Geld lebt (ָ)הִמֹּ֧ול׀ יִמֹּ֛ול יְלִ֥יד בֵּֽיתְךָ֖ וּמִקְנַ֣ת כַּסְפֶּ֑ך.27 Die Bedeutung der Beschneidung in der Priesterschriftlichen Überlieferung geht über einen rein symbolischen Charakter weit hinaus: nach der Erzählung in der Genesis wird ohne die Beschneidung der „Bund“ mit Gott durch den Menschen „gebrochen“ ( )אֶת־בְּרִיתִ֖י הֵפַֽרund dies zieht die Strafe nach sich, dass derjenige „(...)ausgerottet werden [soll] aus seinem Volk(...)“ (Gen 17,14). Dabei handelt es sich um eine Bannformel 28, (ָ )וְנִכְרְתָ֛ה הַנֶּ֥פֶשׁ הַהִ֖וא מֵעַמֶּ֑יה, welche im Pentateuch häufig verwendet wird und hier die Bedeutung des Bundes verstärkt.29 Häufig wird „( “וְעָרֵ֣לUnbeschnittener) noch durch die in Gen 17,10 eingeführte Präzisierung „“בְּשַׂ֣ר עָרְלָתֹ֔ו, bzw. auch in Gen 17,14 „( “לֹֽא־יִמֹּול֙ אֶת־בְּשַׂ֣ר עָרְלָתֹ֔וw.= ist nicht beschnitten am Fleische der Vorhaut) verstärkt. 24 Vgl. Blaschke 80. 25 Vgl. Zimmerli, Walther: „Sinaibund und Abrahambund“, in: ders., Gottes Offenbarung, gesammelte Aufsätze zum Alten Testament, München 1963, S. 205-216.,hier 205ff. 26 Wobei dies auf P eingeschränkt werden muss, vgl. dazu Blaschke 88. 27 Luther übersetzt: „Gesinde, was Dir im Hause geboren oder was gekauft ist“ 28 Vgl. Blaschke 90. 29 Ebd. s. Anm. zu 473. 8 Abraham folgt diesem Befehl und beschneidet seinen Sohn Ismael und alle Knechte im Hause (Gen 17,23). Er ließ sich im Alter von 99 Jahren (בֶּן־תִּשְׁעִ֥ים )וָתֵ֖שַׁע שָׁנָ֑הschließlich selbst „am Fleische seiner Vorhaut“ ()בְּשַׂ֥ר עָרְלָתֹֽו beschneiden (Gen 17,24), wobei im MT nicht erwähnt wird durch wen30. Sein Sohn Ismael soll 13 Jahre alt gewesen sein ( )בֶּן־שְׁלֹ֥שׁ עֶשְׂרֵ֖הals er beschnitten wurde. Auffällig ist, dass die in Gen 17,10 eingeführte Präzisierung „am Fleische seiner Vorhaut“ (ֹ )בְּשַׂ֥ר עָרְלָתֽוauch in diesen Perikopen zum hebr. Verb beschneiden ( )מוּלhinzugefügt wird. Nach Isaaks Geburt folgt Abraham dem Gebot Gottes und beschneidet seinen Sohn 8 Tage ()בֶּן־שְׁמֹנַ֖ת יָמִ֑ים31 nach der Geburt (Gen 21,4). Berichte über die Praxis Obwohl genauer Zeitpunkt (Gen 17,12) und mehrfach die zu beschneidende Stelle der Haut (u.a. Gen 17,10) erwähnt werden, bleibt die Praxis in der Genesis unerwähnt. Insofern ist die Überlieferung der Beschneidung des Sohnes von Mose in Ex 4,24-26 besonders interessant, da die Ehefrau Mose, Zippora, ihren Sohn mit einem „scharfen, harten Stein“ 32 ( )צֹ֗רdie, wie in Gen 17,10ff. erwähnt, „Vorhaut“ ( )וַתִּכְרֹת֙ אֶת־עָרְלַ֣תbeschneidet33. Diese Stelle ist eindeutig ein Beleg dafür, dass der Brauch der Kindesbeschneidung geläufig war. Da Zippora dies ausweislich der Überlieferung jedoch vollzieht, um Ihren Sohn vor Gott ( )יְהוָ֔הzu retten (Ex 4,24), muss hier von einer Notsituation ausgegangen werden, bei der die Wahl des Instruments wohl eher zufällig auf einen Stein fiel. Dafür spricht auch die Bezeichnung des Werkzeugs in der LXX, die von einem kleinen Stein (ψῆφον) berichtet, was auch am deutlichsten durch die Übersetzung von Buber/Rosenzweig 30 LXX hingegen lässt vermuten, dass sich Abraham selbst beschnitten hat, aufgrund der aktiven Form περιέτεµεν vgl. dazu Blaschke 109. 31 Wie in Gen 17,12 32 Nach Gesenius, wobei dies die einzige Perikope darstellt, in denen צֹ֗רeine so detaillierte Bedeutung haben soll. 33 Wobei die LXX deutlich von MT abweicht und מֹ֥לwahrscheinlich durch περιτέµνειν eingetragen wurde vgl. Blaschke 110f. 9 gewürdigt wird: „Zippora nahm einen Kiesel und riß die Vorhaut(...)“34. Dieser Interpretation folgend, kann schwerlich von einer Beschneidung, sondern muss vielmehr von einer „Herunterreißung“ ausgegangen werden. Gänzlich anders verhält es sich bei der Wahl des Instrumentariums in Jos 5,2: hier sprach Gott (֙ )יְהוָהzu Joshua: „(...)Mache dir steinerne Messer ()חַֽרְבֹ֣ות צֻרִ֑ים und beschneide die Israeliten [noch einmal] 35 ()שֵׁנִֽית.“ Die Israeliten hatten während der 40 Jahre andauernden Wüstenwanderung, also seit über einer Generation, keine Beschneidung mehr durchgeführt36. In Kanaan wird dieser Ritus am Passa schließlich zum ersten Mal wieder begangen. Da hier die Beschneidung an erwachsenen Männern durchgeführt wurde, scheint es doch mit Schmerzen und Komplikationen einhergegangen zu sein, so berichtet in Jos 5,8: „Und als das ganze Volk beschnitten war, blieben sie (...) bis sie genesen waren.“ Von Schmerzen nach der Beschneidung berichtet auch Gen 34,25: Simeon und Levi nutzen die schmerzlichen Folgeerscheinungen der Beschneidung aus, um aus Rache für ihre Schwester Dina, die dort „geschändet“ (֙ )טִמֵּאwurde, über die Stadt Sichem und ihre Bewohner herzufallen, welche sie zuvor durch einen Hinterhalt zur Beschneidung gedrängt haben. Nationales Identitätsmerkmal Das Motiv der Beschneidung wird in den weiteren Erwähnungen, vor allem als Unterscheidungsmerkmal zu anderen Völkern erwähnt: So wird in Gen 34 die Beschneidung zum Kriterium der Volkszugehörigkeit erhoben und, wie auch in Gen 17,10 und 17,13, ist diese genau so Voraussetzung für Wohngemeinschaft und Familiengründung. So wollen Simeon und Levi (wenn auch aus vorgeschobenen Gründen) ihre Schwester Dina nicht „an einen, der unbeschnitten ist“ ( )אֲשֶׁר־לֹ֣ו עָרְלָ֑הüberlassen, weil das eine „Schande“ ( )חֶרְפָּ֥הsei (Gen 34,14). Dieser Perikope fehlt jedoch völlig die theologische Dimension der Beschneidung.37 34 Text: Buber, Martin/Rosenzweig, Franz: „Die Schrift. Aus dem Hebräischen verdeutscht von Martin Buber gemeinsam mit Franz Rosenzweig“, 1. Aufl., Stuttgart 1992. 35 Gesenius; Konkordanz. 36 Siehe Jos 5,5f. 37 Vgl. Blaschke 33ff. 10 Das Kriterium der Volkszugehörigkeit findet sich auch in Ri 14,3 und 15,18: Dort werden, wie in vielen anderen Perikopen, die Philister ( )פְּלִשְׁתִּ֖יםmit den „Unbeschnittenen“ ( )הָעֲרֵלִ֑יםgleichgesetzt. In 1. Sam 18,25 wünscht sich König Saul als Brautpreis hundert Vorhäute von Philistern (בְּמֵאָה֙ עָרְלֹ֣ות )פְּלִשְׁתִּ֔ים. Auch in 1. Sam 14, 6 und 1. Sam 17,26ff. werden die Philister als „Unbeschnittene“ bezeichnet. Beide Bezeichnungen lassen die Denotation erahnen. Ein deutlicher Beleg, wie verhasst die Völker untereinander waren, kommt wohl am eindrücklichsten in der Überlieferung des Freitods Sauls zum Ausdruck: Dieser stürzt sich nach 1. Sam 31,4 in sein Schwert, damit er nicht durch „diese Unbeschnittenen“ ( )הָעֲרֵלִ֨ים הָאֵ֤לֶּהgepeinigt werden konnte. Zusammenfassung: Aus der Genesis Erzählung lässt sich die elementare theologische Bedeutung der Beschneidungszeremonie ableiten: Wer sich nicht beschneiden lässt, steht außerhalb des Bundes zwischen Gott und seinem Volk, ja sogar außerhalb des Volkes. Die Beschneidung ist also die notwendige Bedingung für die Einhaltung des Bundes. Sie ist nach Ex 12,43ff. außerdem Voraussetzung an der Teilnahme des Passahmahls. Dieser Ritus wird nach Blaschke auch nicht durch Jer 4,438 in Frage gestellt oder abgewertet, gleiches gilt für Jer 9,24-25. Beide Perikopen weisen auch auf die Exklusivität des Bundes für die Israeliten hin, geben aber gleichzeitig zu bedenken, dass die Beschneidung allein nicht die volle Hinwendung zu JHWH ersetzen kann. Prophetentradition - Beschneidung im Islam Ist die theologische Verankerung für das Ritual der Beschneidung im Judentum im Tanach zu finden und durch zahlreiche weitere Berichte erläutert und verstärkt, fehlen diese Berichte im Koran ebenso wie eine Gebotsvorschrift39 . Und das, obwohl Abraham (im arabischen: „Ibrahim“) in 38 In Jer 1-4 wird die Beschneidung nach wie vor als konstitutiv angesehen, jedoch wird vom Mensch verlangt sich JHWH mit ganzem Herzen zuzuwenden, vgl. dazu Blaschke 55f. 39 Vgl. Kueny, Kathryn., Art. „Circumcision“, in: Martin, Richard C.: Encyclopedia of Islam, New York u.a. 2004, S.148-149. 11 25 Suren 40 benannt wird und somit, natürlich nach dem Propheten Mohammed, die am häufigsten genannte Person im Koran41 ist. Dem Propheten galt Abraham als Vorbild im Glauben 42 und die gesamte Religion Abrahams hatte für Mohammed Weisungscharakter43, was unter anderem durch Sure 3,95 zum Ausdruck gebracht wird: „(...)So folgt der Glaubensrichtung Abrahams, als Anhänger des reinen Glaubens(...).“44 Die Bedeutung und Stellung dieser Sure als so weitreichend zu interpretieren, dass in ihr die Grundlage für die Verbreitung der Beschneidung in der islamischen Ritualkultur angelegt ist, wäre angesichts der theologischen Gewichtung der Prophetentradition, welche die Beschneidung vorgibt45 , sowie der religionshistorischen Erkenntnisse 46, fraglich. Zumal die Beschneidung in der gesamten Überlieferung des Koran unerwähnt bleibt und auch keinen Bericht enthält, ob Mohammed beschnitten war. Ritualkultur der Prophetentraditionen Die theologische Grundlage der Beschneidung muss also in der Sunna, der zweiten wichtigen Quelle in der islamischen Theologie47, gesucht werden. Dabei ist der Begriff „Sunna“ ein vorislamischer Begriff48 , der wörtlich mit „Brauch“49 übersetzt, sinngemäß als „Brauch der Väter“50 bezeichnet werden 40 BBKL „Abram/Abraham“ 34. 41 Ebd.; Nagel, Tilman., Art. „Abraham IV. Koran“, in: RGG, Bd.1. 42 Ebd.; Schall, A., Art. „Islam I“, in: TRE, Bd.16, S. 315-336., hier S. 325. 43 BBKL „Abram/Abraham“ 34.; vgl. auch die Ausführungen über das Abrahamsbild im Koran bei Küng, Hans: „Der Islam.“, München 2004., S.85. 44 Khoury, Adel Theodor: „Der Koran: arabisch-deutsch / Übers. und wiss. Kommentar von Adel Theodor Khoury.“, Bd. 4., Gütersloh, 1993., S.182. 45 Siehe „Ritualkultur und Prophetentraditionen“ 46 Siehe „Religionsgeschichtliche und ethnologische Hintergründe“ 47 Art. „Hadith“, in: Wensinck, A.J./Kramers, J.H. (Hg.), Handwörterbuch des Islam, Leiden 1976, S. 146-151.,hier S. 147f.; Tworuschka, Monika., Art. „Hadith“, in: Kasper, Walter (Hg.), Lexikon für Theologie und Kirche (LThK), 3. Aufl., Freiburg 1995., S.1132. 48 Vgl. Hadith, in „Handwörterbuch Islam“, 147.; Halm,Heinz., Art. „Sunna/Sunniten“, in: RGG, Bd.4, S.1904. 49 Heine, Peter: „Der Islam. Erschlossen und kommentiert von Peter Heine.“ Düsseldorf 2007., hier S.110. 50 Hadith, in „Handwörterbuch Islam“, 147. 12 kann. Die Tugenden dieser heidnischen Sunna und die Lebensweise der vorislamischen Gesellschaft51 standen großenteils im Widerspruch zum theologischen Programm 52 des expandierenden Islams, so dass diese im weiteren Wachstum durch eigene Handlungsempfehlungen ersetzt wurden, welche sich aus Berichten über das Handeln oder Aussagen von und über den Propheten speisten. Nur Überlieferungen von direkten Zeugen oder Teilnehmern der Ereignisse werden als authentisch angesehen.53 Diese Mitteilungen sind als eine wichtige Quelle für die Entwicklung des islamischen Rechts 54 anzusehen und werden als „Hadith“55 (Pl. Hadithe) bezeichnet. Der Begriff Sunna in der islamischen Theologie meint also die Sammlungen der Hadithe. Hierbei ist zu beachten, dass verschiedene Hadithsammlungen existieren, die unterschiedlich alt sind und nur teilweise kanonisiert wurden.56 Die Vielfalt der Topoi variiert dabei erheblich: „(...)alles, was das Verhältnis zwischen Gott und dem Menschen betrifft(...)“57 kann Gegenstand der Hadithe sein. Über Authentizität und Gewichtung der Sunna gegenüber dem Koran existieren unterschiedlichste theologische Konflikte zwischen den einzelnen Rechtsschulen und Konfessionen im Islam.58 Die Hadithsammlung Sahih al-Buhari, des Rechtsgelehrten Al-Buhari, gilt als alte 51 Heine, Peter: „Islam. Zur Einführung.“ Hamburg 2003., hier S.24. 52 Ebd., siehe auch Heine, Peter „Der Islam.“ 110. 53 Vgl. die Ausführungen über „isnad“ bei Heine „Islam“ 110.; vgl. außerdem Mason, Herbert W., Art. „Hadith“, in: Martin, Richard C., Encyclopedia of Islam. New York u.a. 2004, S. 285-290., hier S. 286.; vgl. „Hadith“ LThK. 54 Heine „Einführung“ 97. 55 ebd.; Hadith „Handwörterbuch“ 147. 56 Heine „Islam“ 111f. 57 Hadith „Handwörterbuch“ 147.; Heine „Islam“ 112. 58 Hadith „Handwörterbuch“. 148f.; vgl. auch die Ausführungen zur Stellung der Hadith bei Heine „Islam“ 111f.; Es kann jedoch als „common sense“ betrachtet werden, dass die Sunna insgesamt eine Weisungsfunktion für Muslime hat vgl. dazu auch Mason „Hadith“ 285.; vgl. dazu auch Ilkilic, Ilhan: „Beschneidung der minderjährigen Jungen aus der Sicht der Muslime bzw. des Islam.“, Vortrag auf der Plenarsitzung des Deutschen Ethikrats vom 23. August 2012., hier S.1. 13 und anerkannte Sammlung.59 Im Hadtih 589160 dieser Sammlung wird der beschnittene Zustand des Mannes zur „Fitra“ (= nach der Art und Weise der Erschaffung durch Gott)61 zugeordnet. So wird die Vorschrift zur Beschneidung an gleicher Stelle mit dem Schneiden der Fingernägel, Kürzen des Schnurrbarts und Rasur der Schambehaarung erwähnt.62 Dies lässt vermuten, dass diese Vorschrift eher die Charakteristik eines Reinheitsgebots hat. Zusammenfassung: Es herrschen, je nach Rechtsschule und Konfession, unterschiedliche theologische Beurteilungen der Beschneidung, insbesondere in Bezug auf die Stellung gegenüber anderen Geboten und Vorschriften.63 Ein Gebotscharakter wie im Judentum fehlt aufgrund der theologischen Hintergründe, ebenso wie eine damit verbundene soteriologische Komponente. Innerhalb der Muslime herrscht dennoch Konsens über die Pflicht zur Beschneidung und wird als Symbol der Zugehörigkeit zum Islam anerkannt.64 Für die Beschneidung existiert keine klar festgeschriebene Altersgrenze im Islam. Es gibt allerdings Hinweise, dass der Prophet Mohammed empfohlen hat, die Beschneidung in einem frühen Alter vorzunehmen und es ist berichtet, dass er seine Söhne 7 Tage nach der Geburt hat beschneiden 59 Vgl. Heine „Islam“ 112.; Mason „Hadith“ 286.; Hadith „Handwörterbuch“ 151.; Tworuschka LThK.; besonders Halm „Sunna/Sunniten“ RGG. 60 Anm: in der gesamten von mir recherchierten wiss. Literatur über die Beschneidung im Islam und die Inhalte der Hadithe finden sich weder Quellenangaben noch Textbelege oder Zitate für die Erwähnung der B. in der Sunna. Da die Sammlung al-Buhari authentisch eingestuft werden kann (s. Anm. 59), der Verweis auf eine Internet-Quelle: http://islamischedatenbank.de/option,com_buchari/action,display/chapterno,70/hadith_id,28/ [Stand: 10.10.2012]; Gefunden wurde der zitierte Hadith aufgrund der wortwörtlichen Erwähnung auf der Internetpräsenz des Zentralrats der Muslime. Abrufbar im Internet: http://islam.de/20776 [Stand 10.10.2012]. 61 S. Art. Fitra, in: Handwörterbuch Islam, S.137.; Ilkilic übersetzt „Menschenbild“, S.1. 62 S. Anm. zu 60 63 S. Anm. 58.; vgl. Heine „Islam“ 117.; Wißmann, Hans., Art. „Beschneidung I“, in: TRE, Bd. 5, S.714-716., hier Seite 714. 64 S. Ilkilic S.1. 14 lassen.65 Daher lassen viele Muslime die Beschneidung an diesem Tag durchführen, obwohl ein Muslim in jedem Alter beschnitten werden kann. Religionsgeschichtliche und ethnologische Hintergründe66 Abb. 1: das wohl älteste Dokument: Szene einer Beschneidung von Männern. Aus Sakkara, Ägypten. Quelle wird datiert etwa 2300 v.CHr. 67 Beschneidung ist ein Sammelbegriff für operative Eingriffe mit unterschiedlichen Instrumenten an Geschlechtsteilen von Männern und Frauen. Es gibt unterschiedliche Arten der Beschneidung, die von Kulturkreis und Kontinent variiert.68 Die Beschneidung von Männern ist weit älter als die 65 WHO/UNAIDS: „Male circumcision: global trends and determinants of prevalence, safety and acceptability.“, Genua 2007., hier S.3.; Vgl. Rebstock, Ulrich., Art. „Beschneidung V. Islam“, in: RGG, S. 1354. 66 Anm.: Praktiken, bei denen die Harnröhre aufgeschnitten oder Nadeln o.ä. Gegenstände durch den Penis getrieben, oder bei denen Genitalien teilweise amputiert werden, verbreitet besonders in Afrika, müssen unerwähnt bleiben, da sie für die Untersuchung der Zirkumzision wenig ertragreich u. z.T ohne gänzlichen Bezug dazu sind. Selbiges gilt für den ges. Themenkomplex der B. von Frauen. Eine umfassende Darstellung der anthropologischen Reichweite der B. bietet Gray, L.H., Art. „Circumcision“, in: ERE, S. 659-670. 67 WHO/UNAIDS „Circumcision“ S.1. 68 Vgl. Schuster, Meinhard., Art. „Beschneidung Religionswissenschaftlich“, in RGG, Bd.1, S. 1354-1355. 15 Religion des Judentums und war über den später jüdischen bzw. muslimischen Kulturraum hinaus weltweit verbreitet.69 Die älteste erhaltene Darstellung (siehe Abb.1) ist etwa 4300 Jahre alt und zeigt ägyptische Männer bei der Beschneidungszeremonie mit messerähnlichen Werkzeugen. Die historische Einordnung über die Beschneidung in Mitteleuropa wird anhand von Moorleichenfunden, welche vermutlich aus der Bronze- und Kaiserzeit (also 2200 bis 800 v.Chr.) stammen70, vorgenommen. Belege für die männliche Beschneidung im AT erwähnen auch andere Beschneidung praktizierende Völker71 , diese sind teilweise mit den Berichten des Philo von Alexandria und Flavius Josephus (hier: Ägypter und Edomiter) kongruent72 . Die bereits erwähnte Präzisierung des Beschneidungsgebots durch die Hinzufügung „das Fleisch eurer Vorhaut“ ( )בְּשַׂ֣ר עָרְלַתְכֶ֑םist im Hinblick auf diese religionsgeschichtliche Betrachtung bemerkenswert, da sie entweder als Unterscheidungsmerkmal zwischen der z.B. in Ägypten praktizierten Form angesehen werden muss, oder ein Beleg für die Eintragung früherer Riten in die heiligen Schriften darstellen73. Die in Jos 5,2 erwähnten Instrumente der Steinmesser deutet Blum (RGG) als Beleg für einen steinzeitalterlichen Brauch.74 Philo von Alexandrien war dieser Brauch nicht nur bekannt, sondern er diskutierte über seine Deutung: So äußerte er die Vermutung, dass die Beschneidung dazu diente, Krankheiten vorzubeugen75 . Auch in den Aufzeichnungen Herodots 76 werden medizinische Argumentationen als Ursache vermutet. Generell ist in frühen Überlieferungen, so auch bei 69 Ebd.; „Circumcision“, Encyclopedia of Islam, 287.; WHO/UNAIDS S.3. 70 Siehe Schuster „Beschneidung Religionswissenschaftlich“ RGG, 1354. 71 Siehe Erklärungshypothesen zu Jer 9,24, Blaschke 120. 72 Vgl. „Circumcision“, Encyclopedia of Islam, 287. 73 Siehe Erklärungshypothesen zu Jer 9,24, Blaschke 120. 74 Siehe Blum „Beschneidung“ RGG: dieser erwähnt im selben Zusammenhang auch Ex 4,25, was m.E. unhaltbar ist, siehe dazu die Ausführungen zum Kontext und Übersetzung im Kapitel theologische Hintergründe. 75 Vgl. „Beschneidung“ TRE, 714. 76 Siehe Blaschke 15.; „Circumcision“, Encyclopedia of Islam, 287. 16 Josephus Flavius, die Theorie stark vertreten, dass die Beschneidung im Zusammenhang mit Reinlichkeit77 stehe. Außerdem vermutet Philo, dass die Beschneidung ein Fruchtbarkeitsritual sei, weil der Samen sich nicht verlieren könnte 78. Diese Begründungsmuster sind allerdings umstritten 79, ebenfalls wie Motive von Nahtod-Erfahrungen beim Ritual im alten Ägypten.80 Religionsgeschichtlich wurde die Beschneidung folglich vom Judentum und später dem Islam antizipiert und mit neuen Bedeutungsdimensionen versehen.81 Die ethnologischen Befunde über die angewandten Techniken im Islam und Judentum lassen auch auf die Technik der Zirkumzision schließen und weisen darauf hin, dass die Eingriffe ohne Betäubung ausgeführt wurden.82 Über die Ursachen und Entwicklungen existieren viele Entstehungshypothesen, die in vier unterschiedliche Begründungskategorien aufgeteilt werden können: Religion, Sexualität, Soziales und Medizin.83 Blaschke führt nach ausführlicherer Diskussion dieser Hypothesen zu dem Fazit, dass die Beschneidung „mehrfach unabhängig voneinander entstanden ist“, weswegen „eine monokausale Herleitung des gesamten Phänomens“ nicht haltbar sei.84 Deswegen wird von einer näheren Betrachtung dieser Begründungskategorien abgesehen (mit Hinweis auf Anm. 66). Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass vielfältige Einträge und Einflüsse aus der Umwelt des Alten Testaments, auf die Ritualkultur der Beschneidung im Judentum als wahrscheinlich anzunehmen sind. Gleiches gilt für die Einflüsse der vorislamisch geprägten arabischen Welt auf die Ritualkultur im Islam.85 77 Vgl. „Beschneidung“ TRE, 715. 78 Siehe ebd. 79 Vgl. dazu Schuster „Beschneidung Religionswissenschaftlich“ RGG, 1354. 80 Siehe ebd. 81 Ebd. 82 Ebd. 83 Übernahme von Blaschke S. 6. 84 Blaschke S. 17. 85 Vgl. „Circumcision“, Encyclopedia of Islam, 287. 17 Religiöse Praxis der Beschneidung Daten und Zahlen Eine statistische Erhebung zur Beschneidung von Jungen in der Bundesrepublik ist nicht vorhanden. Lediglich die Angaben der WHO86 können eine grobe Andeutung über die Praxis erahnen lassen: Die Weltgesundheitsorganisation nimmt an, dass wahrscheinlich 30% der männlichen Weltbevölkerung im Alter von 15 Jahren oder älter, beschnitten ist. Davon sind etwa zwei Drittel (69%) Muslime (hauptsächlich aus Asien, dem Mittleren Osten und Nordafrika), 0.8% sind Juden und 13% sind konfessionslose Männer aus den Vereinigten Staaten von Amerika. Diese Zahlen basieren auf Annahmen über die religiöse Praxis in Relation zu Einwohnerzahlen in bestimmten Regionen und sind mangels qualitativer Grundlage für eine Übertragung auf die Verhältnisse in Europa begrenzt valide. Bemerkenswert an den Zahlen der WHO ist jedoch, dass fast alle Juden dieses Ritual zu praktizieren scheinen: So sind nahezu alle jüdischen Männer in Israel, sowie 99% der jüdischen Männer in Großbritannien und 98% der Juden in den Vereinigten Staaten beschnitten. Am häufigsten wird die Beschneidung in den USA im Säuglingsalter vorgenommen.87 In islamisch geprägten Ländern variiert das Alter hingegen stark.88 Die Zahlen lassen jedoch vermuten, dass sich die Beschneidung als Fest zum Beginn des Lebenszyklus 89 in beiden Religionen weitgehend etabliert hat. Ist die Beschneidung wirklich Pflicht? Auch wenn die publizierte Berichterstattung über Reaktionen auf das Urteil des Kölner Landgerichts zur Annahme verleiten könnte, dass es einen 86 Alle Zahlenangaben übernommen aus: WHO/UNAIDS „Circumcision“. (sowie ff.) 87 WHO/UNAIDS „Circumcision“ S.11, die Studie besagt außerdem, dass 75% der amerikanischen Männer beschnitten sind. Zur medizinisch-ästhetischen Dimension siehe Anm. 7. 88 WHO/UNAIDS „Circumcision“ S.10 89 Vgl. Riesebrodt, Martin: „Cultus und Heilsversprechen. Eine Theorie der Religionen“, München 2007., hier S. 158f. 18 einvernehmlichen Konsens in den Religionsgemeinschaften über die Beschneidung gäbe, ist diese Vorschrift keineswegs unumstritten. Um eine ausgewogene Darstellung zu gewährleisten, sollen aus dem vielfältigen Spektrum schlaglichtartig zwei divergierende Positionen skizziert werden. Innerjüdische Kontroversen Eines der Begründungsmuster in der Debatte ist die verbindende Funktion der Beschneidung. Doch gibt es innerhalb des Judentums eine lang andauernde Kontroverse über das Ritual. Eine gute Zusammenfassung aller Gegenpositionen bietet die Internetseite der Onlinebewegung „Jews Against Circumcision“ (JAC). Diese Gruppe gibt an, ein Zusammenschluss von Juden aus unterschiedlichen Konfessionen, sozialen Schichten und Professionen und aus dem englischsprachigen Raum zu sein.90 Neben gesammelten Erkenntnissen über Auswirkungen und Risiken der Beschneidung unter verschiedenen Gesichtspunkten, enthält sie auch einen vielseitigen theologischen Diskurs. Wesentliche theologische Einwände sind der Praxis der Beschneidung widersprechende Stellen aus dem Tanach, wie z.B. Lev 19,28 (Verbot von Einschnitten in den Körper). Aufgrund auch der vielfältigen medizinischen Auswirkungen der Brit Mila, hat diese Gruppe einen Ersatz für das Ritual entwickelt, die Bris Shalom (=Bund des Friedens), welche auf die Beschneidung verzichtet und im Wesentlichen als Fest zum Beginn des Lebenszyklus verstanden wird. Islamische Kontroversen Wie in den vorangegangenen Abschnitten mehrfach erläutert, ist die Stellung der Beschneidung im Islam in Liturgie und Dogmatik aufgrund der Quellenlage uneinheitlich. Auch die religiöse Praxis der Beschneidung ist umstritten. Die Soziologin Necla Kelek bringt in einem Gastbeitrag91 wesentliche Kritik an der, aus ihrer Sicht, nicht vorhandenen theol. Begründung hervor. Der Brauch der Beschneidung werde in vielen 90 http://www.jewsagainstcircumcision.org [so gesehen 14.10.2012]. 91 Siehe Kelek, Necla: Die Beschneidung - ein unnützes Opfer für Allah., in: Die Welt vom 28.06.2012, online: http://www.welt.de/debatte/kommentare/article107288230/DieBeschneidung-ein-unnuetzes-Opfer-fuer-Allah.html [so gesehen 14.10.2012]. 19 muslimischen Gesellschaften längst nicht mehr mit religiösen, sondern soziologischen Motiven begründet. Medizinische und hygienische Begründungen sieht sie als Schutzbehauptung. Die Autorin schrieb in ihrem Buch „Die verlorenen Söhne“ u.a. über die Beschneidung ihres Neffen. Dieses Buch spielt auch eine maßgebliche Rolle in der Entwicklung der rechtlichen Argumentation. Das Urteil des Kölner Landgerichts vom 7. Mai 2012 Die nicht medizinisch intendierte Zirkumzision unterlag in der Bundesrepublik Deutschland bislang keiner gesonderten gesetzlichen Regelung.92 Der publizierte rechtswissenschaftliche Diskurs zeigte, meist in den Strafrechtswissenschaften, eine zunehmende Ansicht, nach welcher der Eingriff durch einen Arzt ohne medizinische Notwendigkeit und trotz elterlicher Einwilligung eine ungerechtfertigte Körperverletzung darstellt.93 Diese neuere strafrechtliche Diskussion um die Beschneidung wurde von dem an der Ruhr-Universität Bochum promovierten und an der Universität Passau lehrenden Juraprofessor Holm Putzke angestoßen. Auf seine in Aufsätzen und Artikeln zum Ausdruck gebrachte Rechtsansicht zur strafrechtlichen Bewertung der Knabenbeschneidung verweist die Strafkammer des Landgerichts Köln in ihrer Entscheidung 94 . Rückblickend kann die Ruhr-Universität durchaus als Wiege der im Urteil aufgegriffenen Argumentation bezeichnet werden 95: in einer Diskussion des emeritierten Rechtsprofessors Rolf D. Herzberg mit einer muslimischen Studentin und einem muslimischen Arzt lag für Herzberg (der das Buch „Die verlorenen Söhne“ von Necla Kelek gelesen hatte) der entscheidende Anstoß, sich dem Thema der Beschneidung juristisch zuzuwenden und er bat seinen damaligen Mitarbeiter Holm Putzke, die juristische Einordnung des Rituals der Beschneidung zu prüfen. 92 Vgl. Fateh-Moghadam, RW 2/2010, S. 117. 93 Ebd. S.116.; siehe auch Stellungnahme der Urologen (Anm. 99). 94 Siehe Urteil des Landgerichts Köln (151 Ns 169/11). 95 Darstellung nach: Eppelsheim, Philip: Beschneidungen. Das Urteil, in: FAZ vom 15.07.2012, online: http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/beschneidungen-dasurteil-11820431.html [so gesehen 16.10.2012]. 20 Reaktionen und Folgen Der dargestellten Rechtsauffassung durch Putzke, Herzberg et al. folgten auch die Richter am Kölner Landgericht und lösten damit eine breite und teilweise international 96 aufgenommene Debatte aus, die sogar zu außenpolitischen Irritationen führte97. Putzke kommentierte das Urteil mit den Worten: „Es wird nachdem die reflexhafte Empörung abgeklungen ist, hoffentlich eine Diskussion darüber in Gang setzen, wie viel religiös motivierte Gewalt gegen Kinder eine Gesellschaft zu tolerieren bereit ist.“98 Obwohl das Urteil keine Rechtsbindung entfaltete, führte es zu einer erheblichen Verunsicherung bei Gläubigen und bei Ärzten. Der Bundesverband der Deutschen Urologen warnte davor anzunehmen, man könne die rituelle Beschneidung durch Gerichtsurteile abschaffen 99. Er wies außerdem auf die Möglichkeiten weiterer Urteile hin, die bei Gerichten anderenorts unterschiedlich ausfallen könnten. Der Verband plädierte deswegen für eine gesetzliche Regelung, oder will andernfalls eine höchstrichterliche Entscheidung herbeiführen. Seinen Mitgliedern empfiehlt er aus dieser Rechtsunsicherheit heraus die Beschneidung nicht durchzuführen.100 Auch das Jüdische Krankenhaus in Berlin stellte seine Praxis als Reaktion auf das Urteil vorerst ein.101 Nach 96 Z.B. Dumalaon, Janelle: Circumcision ban ignites a religious battle in Germany, in: The Washington Times vom 29.08.2012, online: http://www.washingtontimes.com/news/2012/ aug/29/circumcision-ban-ignites-a-religious-battle-in-ger/?page=all [so gesehen 16.10.2012]. 97 Siehe: (ohne Autorenangabe) Irritationen ausgelöst. Westerwelle kritisiert Urteil zu Beschneidungen, in: FAZ vom 29.06.2012, online: http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/ irritationen-ausgeloest-westerwelle-kritisiert-urteil-zu-beschneidungen-11804167.html [so gesehen 16.10.2012]. 98 Siehe: (ohne Autorenangabe) Religiöse Beschneidungen sind strafbar. Zentralrat der Juden fordert Korrektur von Gesetzgeber, in: dradio.de vom 26.06.2012, online http://www.dradio.de/aktuell/1795599/ [so gesehen 16.10.2012]. 99 Siehe: Stellungnahme des Bunds Deutscher Urologen zum „Beschneidungsurteil“ des Landgerichts Köln vom 03.07.2012, online http://www.urologenportal.de/1802.html [so gesehen 16.10.2012]. 100 Ebd. 101 Siehe: (Ohne Autorenangabe) Jüdisches Krankenhaus Berlin stoppt religiöse Beschneidungen., in: Spiegel Online vom 29.06.2012, online: http://www.spiegel.de/ panorama/gesellschaft/juedisches-krankenhaus-berlin-stoppt-religioese-beschneidungena-841804.html [so gesehen 16.10.2012]. 21 Angaben des Krankenhauses werden dort jedes Jahr über 300 Beschneidungen durchgeführt, mehrheitlich an muslimischen Jungen 102. Auch niedergelassene Ärzte stoppten als Reaktion auf das Urteil die bisherige Praxis.103 Kritik Der Zentralrat der Juden in Deutschland bezeichnete das Urteil in einer ersten Stellungnahme als „(...) beispiellosen und dramatischen Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften.“104 Die Beschneidung von neugeborenen Jungen wird außerdem als „fester Bestandteil der jüdischen Religion (...)“ dargestellt, die „(...) an den heiligen Bund, den Gott mit dem Stammvater Abraham geschlossen hat(...)“, erinnert. Der Koordinationsrat der Muslime in Deutschland übte ebenfalls heftige Kritik und bezeichnete das Urteil als „Eingriff in die Religionsfreiheit.“105 Auch in seiner Stellungnahme verweist der Koordinationsrat auf die „abrahamitische Tradition“ und stuft die Beschneidung als „wesentlichen Bestandteil von Islam und Judentum“ ein. Die ehemalige Präsidentin des Zentralrats der Juden, Charlotte Knobloch, bezeichnete die Beschneidung in einem Gastbeitrag in der Süddeutschen Zeitung106 als „Kern der jüdischen Identität“. So überschrieb sie Ihren Beitrag mit der provokativen Frage "Wollt ihr uns Juden noch?" und führt weiter aus: "Ich frage mich ernsthaft, ob dieses Land uns noch haben will". Sie geht 102 Ebd. 103 Siehe: (Ohne Autorenangabe) Nach Kölner Urteil verzichten viele Ärzte auf Eingriff., in: stern.de vom 28. Juni 2012, online: http://www.stern.de/panorama/religioese-beschneidungnach-koelner-urteil-verzichten-viele-aerzte-auf-eingriff-1847388.html [so gesehen 16.10.2012]. 104 Siehe: Presseerklärung des Zentralrats der Juden in Deutschland. Zum Urteil des Kölner Landgerichts zur Beschneidung von Jungen, vom 26.06.2012, online http:// www.zentralratdjuden.de/de/article/3705.html [so gesehen 16.10.2012]. (so auch im ff.) 105 Siehe: Presseerklärung des Koordinationsrats der Muslime. Kölner Beschneidungsverbot ist ein massiver Eingriff in die Religionsfreiheit, vom 27.06.2012, online: http:// koordinationsrat.de/detail1.php?id=91&lang=de [so gesehen 16.10.2012]. (so auch im ff.) 106 Knobloch, Charlotte: Wollt ihr uns Juden noch?, in: Süddeutsche Zeitung vom 25.09.2012, online: http://www.sueddeutsche.de/politik/beschneidungen-in-deutschlandwollt-ihr-uns-juden-noch-1.1459038 [so gesehen 16.10.2012]. 22 konkret auf die aktuelle Debatte und insbesondere auf die Stellungnahmen ein, die den Richterspruch positiv kommentierten: "Ich frage mich, ob die unzähligen Besserwisser aus Medizin, Rechtswissenschaften, Psychologie oder Politik, die ungehemmt über 'Kinderquälerei' und 'Traumata' schwadronieren, sich überhaupt darüber im Klaren sind, dass sie damit nebenbei die ohnedies verschwindend kleine jüdische Existenz in Deutschland infrage stellen. Eine Situation, wie wir sie seit 1945 hierzulande nicht erlebt haben." Knobloch verknüpft hiermit die Frage nach jüdischem Leben in Deutschland mit der Befolgbarkeit des Beschneidungsgebots. Im Bezug auf Ihre eigene Biographie, habe Sie die Entscheidung als Überlebende der Schoah in Deutschland ihren Lebensmittelpunkt zu halten gegenüber "der restlichen jüdischen Welt" verteidigt, aber aufgrund der aktuellen Debatte schreibt sie: "Erstmals geraten nun meine Grundfesten ins Wanken." Und geht noch weiter: „Nicht einmal in meinen Albträumen habe ich geahnt, dass ich mir kurz vor meinem achtzigsten Geburtstag die Frage stellen muss, ob ich den Judenmord überleben durfte, um das erleben zu müssen.“ Sie trifft zudem eine deutliche Unterscheidung zwischen der jüdischen und islamischen Tradition: Anders als im Islam gehöre die Beschneidung im Judentum zum Wesenskern der Religion, betont Knobloch. "Anders als im Islam ist die Beschneidung im Judentum konstitutiv. Sie ist Kern der jüdischen Identität." Anstatt die Entscheidung über künftige Regelungen dem Gesetzgeber zu überlassen, gehe die Debatte darüber unvermindert weiter und stehe nun wie ein „Keil zwischen Juden und Nichtjuden“. Debatte des Ethikrats am 23. August 2012 Der Beitrag von Charlotte Knobloch lässt zweifelsohne Rückschlüsse darauf zu, wie hitzig und emotional die gesellschaftliche Debatte von Befürwortern und Gegnern zum Teil geführt wurde. Dies beeinflusste auch die Debatte im Ethikrat. 23 Begründungsmuster im Beitrag von Dr.med. Leo Latasch107 Der Mediziner Leo Latasch ist seit 2012 Mitglied des Ethikrats und zudem Direktoriumsmitglied im Zentralrat der Juden in Deutschland. Ihm kommt aufgrund seiner Profession gewissermaßen eine Doppelrolle zu. Auch er geht auf den Ton der aktuellen Debatte ein und beginnt seine Präsentation mit der Ankündigung „die in den letzten Wochen den Rahmen des Normalen deutlich über- oder eigentlich eher unterschritten hat, wieder auf ein normales Niveau zurückführen.“108 Was er damit meinte, zeigte er direkt auf den ersten Folien seiner Präsentation auf: antijüdische, antireligiöse, ausländerfeindliche und sonstige beleidigende Äußerungen, besonders häufig in Form von anonymen Kommentaren im Internet, in abgeschwächter Form auch in Leserbriefen und Kommentaren in Printmedien. Über den Beitrag Lataschs kann nicht geschrieben werden, ohne auf die in seiner Präsentation gezeigten Videos 109 einzugehen, die zugleich Kernstück seiner Entgegnung auf medizinisch-psychologische Bedenken gegenüber der Beschneidung sind: Ein Video zeigt eine Brit Mila. Die Schreie eines Säuglings bei der Beschneidung sind markerschütternd. Das nächste Video zeigt ebenfalls ein schreiendes Kind, ein etwa vier bis sechs Jahre altes Mädchen, das beim Durchstechen ihrer Ohrlöcher nicht minder erschütternd schreit. Das Audioprotokoll 110 vermittelt einen Eindruck der Reaktionen der Zuschauer und des Gremiums über das Gezeigte111. Im folgenden verstärkt Latasch diese Argumentationskette, indem er auf weitere schmerzhafte 107 Latasch, Leo: „Brit Mila (Mila, Peria, Metzitza) - Medizin und Religion“, Präsentation auf der Plenarsitzung des Deutschen Ethikrats vom 23. August 2012. Abrufbar im Internet: http:// www.ethikrat.org/dateien/pdf/plenarsitzung-23-08-2012-latasch-ppt.pdf [Stand: 11.10.2012]. (so auch im ff.) 108 Siehe: Deutscher Ethikrat. Simultanmitschrift der Vorträge und Diskussion zum Thema „Religiöse Beschneidung“, Plenarsitzung vom 23. August 2012. Abrufbar im Internet: http://www.ethikrat.org/dateien/pdf/plenarsitzung-23-08-2012-simultanmitschrift.pdf [Stand: 11.10.2012]. (so auch im ff.) 109 Die auf den Seiten des Ethikrats hinterlegte Version (s. Anm. 67) lässt diese Videos leider nicht abspielen. Daher wird an dieser Stelle auf Haupt, Friederike: Ethikrat. Jacobs Beschneidung, in: FAZ vom 03.09.2012, online: http://www.faz.net/aktuell/politik/ ethikrat-jacobs-beschneidung-11875890.html [so gesehen 16.10.2012], verwiesen, der Artikel enthält auch Links zu den gezeigten Videos. 110 Siehe Deutscher Ethikrat: Audioprotokoll des Votrags von Dr.med. Leo Latasch auf der Plenarsitzung vom 23. August 2012. Abrufbar im Internet: http://www.ethikrat.org/dateien/ audio/plenarsitzung-23-08-2012-latasch.mp3 [Stand: 11.10.2012]. 111 Sehr eindrücklich auch Haupt „Jacobs Beschneidung“ FAZ. 24 Eingriffe, wie Piercings, Tattoos etc. eingeht, über die es keine kontroverse Diskussion wie bei der Beschneidung aus religiösen Gründen gäbe, obwohl sie ähnlich schmerzhaft seien. Auch Latasch sieht in der Erzählung über den Abrahamsbund in Gen 17, die Begründung für die Beschneidung, also ein theologisches Begründungsmuster. Zudem würde die Beschneidung gewissermaßen einen Brückenkopf für unterschiedlichste Strömungen im Judentum bilden. Sie ist bis heute Voraussetzung für liturgische Feste und nicht zuletzt für eine jüdische Beerdigung. Natürlich gibt es auch keine Bar-Mitzwah ohne Beschneidung. Ihr hoher Stellenwert im Judentum sei auch daran zu erkennen, weil Sie der einzige Akt ist, der an hohen Feiertagen vorgenommen werden dürfe. Wie überaus wichtig sie auch in der Praxis sei, zeige die Diskussion bei verstorbenen Juden, die unbeschnitten sind und zum Teil noch postmortem beschnitten werden. Der Zeitpunkt der Beschneidung am 8. Tag sei außerdem ebenfalls essentiell. In seiner medizinischen Argumentation verstärkt er die Vorteile der Altersvorgabe, da zu diesem Zeitpunkt weniger Komplikationen und Schmerzen auftreten. Er geht auf die Vorwürfe von Traumata ein. Diese bestreitet er nicht grundsätzlich, sondern versucht vielmehr über eine Folgenabschätzung eine Einordnung vorzunehmen. Begründungsmuster im Beitrag von Dr. phil. Ilhan Ilkilic112 Der Medizinethiker der Uni Mainz beginnt seinen Vortrag ebenfalls mit einer Ermahnung zur Sachlichkeit. Im Gegensatz zum Beitrag von Leo Latasch, fokussiert sich Ilkilic in seinem Beitrag auf die theologische Begründung und die gesellschaftliche Dimension. Er beschreibt die theologische Verankerung der Beschneidung in den Hadithen und auch die fehlende Erwähnung der Beschneidung im Koran. Auf den fehlenden Gebotscharakter geht er hingegen nicht ein, sagt lediglich, die Beschneidung sei eine „Anlehnung“ an 112 Ilkilic, Ilhan: „Beschneidung“. 25 die abrahamitsche Traditon.113 Vielmehr weist Ilkilic auf einen wichtigen Aspekt, der auch für die aktuelle Debatte wichtig sei: die religiöse Praxis. Die praktische Ausübung dieses Ritus habe auch bei den in Deutschland lebenden Muslimen „einen hohen Stellenwert im religiösen Leben“.114 Sie sei unabhängig von religiösen Experten anerkannt und geachtet und würde häufiger wahrgenommen als andere Pflichten. Dieser Umstand müsse stärker be- und geachtet werden. So habe die Beschneidung für viele Muslime einen identitätsbildenden Charakter, weswegen es Parallelen zur Taufe gäbe. So sei die Beschneidung ein „Zeichen der persönlichen Gottesbeziehung.“ Zudem werde die Beschneidung oft als Übergang zum Erwachsenenleben, also als Initiationsritus, wahrgenommen. Die Empfangenden dürften nach der Beschneidung stärker am religiösen und sozialen Leben der Erwachsenen teilnehmen. Zwar sei dies mit der Taufe nicht vergleichbar, aber in der Bedeutungsdimension seien diese ähnlich. Aus diesen Gründen plädiert er auch gegen ein Verbot der Beschneidung, da sie so fest bei den Gläubigen verankert sei, dass sie auch Verbote umgehen würden. 113 Ebd., S.1. 114 Ilkilic, Ilhan: „Beschneidung“. (so auch im ff.) 26 Fazit In den dargestellten Stellungnahmen lassen sich im Wesentlichen zwei unterschiedliche Begründungsmuster erkennen: zum einen gesellschaftlichethischer und zum anderen theologisch-dogmatischer Ausprägung. Zu den gesellschaftlich-ethischen Begründungsmustern werden diejenigen Argumentationen zugeordnet, die auf die identitätsstiftende und soziale Konnotation der Beschneidung eingehen, dies sowohl innerhalb der Religionsgemeinschaft als auch bei der Frage nach gesamtgesellschaftlicher Akzeptanz. Theologisch-dogmatische Begründungsmuster umschließen die Rückbezüge auf ein Gebot oder eine Erzählung aus einer heiligen Schrift. Theologisch-dogmatische Begründungsmuster kommen in allen Stellungnahmen vor, allerdings sehr unterschiedlich gewichtet: im Beitrag von Latasch und in den Stellungnahmen des Zentralrats finden sich deutliche Rückbezüge auf den Abrahamsbund: Das Ritual sei aufgrund des Gebots zwingend. Sie verweisen aber auch ganz deutlich auf identitätsstiftende Elemente. Die sehr unterschiedlichen Konfessionen im Judentum würden durch die gemeinsame Bedeutungszuweisung und die gemeinsame Eigenschaft der Beschneidung verbunden. Dies ist angesichts der starken Segmentierung 115 im Judentum wohl besonders gewichtig. Die Beiträge des Koordinationsrats und von Ilikic beziehen sich auf die Prophetentradition, also eher auf theologisch-dogmatische Begründungsmuster. Jedoch zumeist in Erklärungszusammenhängen, warum die Beschneidung auch ohne Überlieferung Pflicht sei. Ilikic verweist selbst darauf, dass die theologische Bedeutung der Beschneidung für die Gläubigen eher auf einer Verankerung in der Praxis beruht und zieht Parallelen zur Taufe: das Motiv der Beschneidung als Initiationsritus, Übergang zum Erwachsenenleben. In dieser Argumentation überschneiden 115 Vgl. Rubinstein, Michael: „Zwischen Normalität und neuem Aufbruch: Das jüdische Gemeindeleben.“, in: Religiöse Vielfalt in Nordrhein-Westfalen, S. 140-152., hier S. 144. 27 sich die theologisch-dogmatischen mit den gesellschaftlich-ethischen Begründungsmustern zum Teil. Der Beitrag von Charlotte Knobloch ist unter den ausgewählten Texten wohl nicht nur der emotionalste, sondern auch kontroverseste. Ich habe ihn aber deswegen nicht ausgewählt, sondern vielmehr um neben den religiösgesellschaftspolitischen Stellungnahmen der Verbände eine persönliche Sichtweise auf die Debatte einer Überlebenden der Schoah einzubringen. Ohne diese historisch-biographischen Hintergründe würde eine wichtige Dimension der aktuellen Debatte nicht ausreichend gewürdigt und die Beschreibung wäre in ihrer affektiven Nachvollziehbarkeit deutlich reduziert. Zweifelsohne nutzt Charlotte Knobloch in ihrem Beitrag theologischdogmatische Begründungsmuster, bezieht sich aber lediglich in zwei Sätzen auf die eigentliche Bedeutung der Beschneidung. Aus Ihrem Text ist abzulesen, dass es ihr im Wesentlichen um die Akzeptanz und die Stellung des jüdischen Glaubens in der deutschen Gesellschaft geht. Dieser Rückbezug auf die Geschichte ist somit eindeutig einem gesellschaftlichethischen Begründungsmuster zuzuordnen. Dieses Motiv klingt auch in den Stellungnahmen der Verbände an: der Platz in der Gesellschaft der eigenen Religion, ja der Religion insgesamt. Wie bereits festgestellt ist die Beschneidung für die Israeliten wahrscheinlich seit dem Exil das Symbol für den Bund zwischen Gott und ihrem Volk. (s. Kapitel theologische Hintergründe). Damit verbunden ist auch die soteriologische Dimension im Heilsversprechen des Bundes. Das unumkehrbare Zeichen am eigenen Fleisch weist jeden Mann als Mitglied des Volkes Israels, also als Mitglied des Bundesvolkes aus. Besonders durch die Erzählung des Abrahambundes hat die Brit Mila bis heute ihre Verankerung im jüdischen Lebenszyklus. Im Islam scheint die religionssoziologische Komponente stärker ausgeprägt. Die Zugehörigkeit zum Islam drückt sich bei Männern durch die 28 Beschneidung aus. Die Stellungnahmen bedienen sich daher weniger den theologisch-dogmatischen, als den gesellschaftlich-ethischen Begründungsmustern. Wie im Judentum wird auch die Bedeutung der Beschneidung als Klammer zwischen heterogenen Gruppen116 gesehen. Die Beschneidung ist hier Beispiel eines kollektiven Prozesses in den Religionsgemeinschaften. Es wäre vor diesem Hintergrund interessant zu erforschen, welche Begründungsmuster für die religiöse Praxis von Juden und Muslimen in Deutschland tatsächlich vorhanden sind, welche Motivationen dominieren und wie geläufig der theologische oder religionsgeschichtliche Hintergrund überhaupt ist. Religionswissenschaftlich besonders vielversprechend wäre eine Befragung über die Motivation dieser Praxis im Islam, um die in der theologischen Begründung fehlende Heilsdimension dieser institutionellen Praxis im Glauben der Praktizierenden zu erforschen. 116 Chbib, Raida: „Heimisch werden in Deutschland: Die religiöse Landschaft der Muslime im Wandel.“, in: Religiöse Vielfalt in Nordrhein-Westfalen, S. 125-139., hier S. 126. 29 Literaturverzeichnis Abbildungen Abb.1: Quelle: http://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/geschichte-derbeschneidung-kein-kind-ist-je-daran-gestorben-11829537.html [Stand: 17.10.2012] Monografien, Kommentare und Aufsätze Blaschke, Andreas.: „Beschneidung. 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Berlin / New York 1992. 35 Hiermit versichere ich an Eides statt, dass ich die vorliegende Arbeit selbständig angefertigt, außer den im Quellen- und Literaturverzeichnis sowie den Anmerkungen genannten Hilfsmitteln keine weiteren benutzt und alle Stellen der Arbeit, die anderen Werken dem Wortlaut oder dem Sinn nach entnommen sind, unter Angabe der Quellen als Entlehnung kenntlich gemacht habe. ________________________ Unterschrift 36 Düsseldorf, den 19.10.2012