Süddeutsche Zeitung, 15. Januar 2008 Jahre des

Transcription

Süddeutsche Zeitung, 15. Januar 2008 Jahre des
Süddeutsche Zeitung, 15. Januar 2008
Jahre des Verfalls, Tage der Zuversicht
Was sich in Detroit, der ehemaligen Welthauptstadt des Automobilbaus, jenseits
der Internationalen Autoshow sonst noch tut
Alle Jahre wieder trifft sich im Januar die internationale Autowelt zur „North
American International Autoshow” in Detroits Cobo Hall, um die aktuellen
Modellneuheiten zu bewundern. Eine Woche lang kommt dann auch in Amerikas
Motor City Feierstimmung auf. Ansonsten sieht es im einstigen Weltzentrum des
Automobilbaus trist aus. Abgesehen von den Headquarters der „Big Three” und
einigen letzten aktiven Fabriken wie Chryslers „Axle Plant” oder General Motors’
„Hamtramck Assembly Center”, wo der Cadillac DTS und der Buick Lucerne
montiert werden, erinnert heute nur noch wenig an den alten Glanz der
amerikanischen Autoindustrie.
Während deutsche Autokonzerne Architektenstars wie Coop Himmelb(l)au, Zaha
Hadid oder das niederländische UN-Studio engagieren, um mit spektakulären
Avantgardebauten Zukunftsfähigkeit und Innovationskraft an Traditionsstandorten
wie München, Leipzig, Wolfsburg und Stuttgart zu demonstrieren, wird in Detroit
ums nackte Überleben gekämpft. Dass Detroits Autobauer der Welt einst vorgemacht
haben, wie Flagship-Production-Lines werbewirksam Corporate Identity definieren,
ist nur noch schwer vorstellbar.
Wie hohläugige Geister stehen überall in der zerklüfteten Häuserlandschaft von
Detroit verlassene Fabrikruinen herum. In einer Mischung aus jahrmarkttauglicher
Gruselshow und Piranesi-Schönheit verrottet Amerikas architektonisches Autoerbe.
Was nicht schon eingerissen wurde, steht leer: Fabriken wie Highland Park, Fischer
Body, Warren Motor Car Co., U.S. Rubber, Eddie Rickenbacker, Cadillac Fleetwood,
Rolls Royce Engine, ThyssenKrupp Budd. Eine der berühmtesten Ruinen breitet sich
seit der Stilllegung der Marke Packard Ende der fünfziger Jahre am East Grand
Boulevard aus. Der Schriftzug „Motor City Industrial Park” über dem Eingangsportal,
der von einer kurzlebigen Zwischennutzung erzählt, ist nur zu erraten. Wie in einem
post-apokalyptischen Albtraum streunen herrenlose Hunde durch zugemüllte
Fertigungshallen.
Alles in einer Hand
Die „Packard-Motor-Car”-Fabrik war Amerikas erstes Automobilwerk in
Betonskelettkonstruktion – und ihre Einweihung 1903 eine Sensation. Mit dem
innovativen Fabrikbau begann für den 1869 im deutschen Rhauen als Sohn eines
Rabbis geborenen Industriearchitekten Albert Kahn die Karriere als „Builder of
Detroit”. In einzigartiger Monopolstellung entwarf Kahn, ein Selfmademan ohne
akademischen Grad, der zeitweilig 400 Mitarbeiter beschäftigte, für sämtliche
Autobarone die Repräsentativbauten, Showrooms, Messeauftritte und Fabriken – für
die Dodge-Brüder, für Hudson, Cadillac, Maxwell, die Brüder Fisher, Studebaker und
Paige-Hewitt. Sein Credo war einfach: Es kostet keinen Cent mehr, eine Fabrik schön
statt hässlich aussehen zu lassen.
Henry Fords Auftrag für jene Stahlbeton-Fabrik, in der dann von 1913 an jene
Produktionsrevolution stattfand, die später schlicht „Fordismus” hieß, lautete: „Ich
will alles unter einem Dach haben.” Kahns Highland-Park-Fabrik auf der Woodward
Avenue war selbst eine kleine Revolution: 75 Prozent der Wände bestanden aus Glas.
Im vierstöckigen „Crystal Palace” mit zeitweise 70 000 Arbeitern schien das
Tageslicht durch die Decken direkt auf die Arbeitsplätze. „Detroit lag im
Sonnenschein, Autos wuchsen wie Pflanzen unter Glas”, schrieb Wolfgang Koeppen
in den fünfziger Jahren dem Fabrikmythos hinterher, der bis 1927 mehr als 15
Millionen Stück des „Model T” auf die Straße brachte.
Es gehört zu den Seltsamkeiten der Architekturgeschichte, dass der 1942 verstorbene
Kahn heute kaum mehr bekannt ist. Sein rationalisierter Baustil als kongeniale
Entsprechung zur fordschen Fließbandfertigung beeinflusste Le Corbusier und Mies
van der Rohe. Walter Gropius verglich Detroits Fabrikanlagen hymnisch mit den
Bauwundern des alten Ägypten. Bevor Giacomo Mattè Trucco 1916 in Lingotto bei
Turin das legendäre Fiat-Werk mit der Versuchsstrecke auf dem Dach baute, reiste er
zur Besichtungstour nach Detroit. In der einflussreichen New Yorker MoMAAusstellung zum „International Style”, 1932 von Philip Johnson und Henry-Russell
Hitchcock organisiert, werden Albert Kahns „Magnificent Factories” beispielhaft für
eine neue Architektur genannt.
Die Wucht, mit der die Moderne in Detroit eingeschlagen war, lässt sich eigentlich
nur noch an Diego Riveras berühmtem sozialrealistischen Wandfries „The Industry of
Detroit” im „Detroit Institut of Arts” nachvollziehen. Beauftragt von Henry Fords
Sohn Edsel stellte der mexikanische Maler den Fordismus in seiner ganzen momohaft
grauen Maschinenpracht dar – in Gestalt der gigantischen River Rouge Fabrik in
Dearborn westlich von Detroit, die bis 1930 mit rund 100 000 Beschäftigten zur
größten Industrieanlage der Welt gewachsen war.
„The Rouge” ist heute mit noch 6000 Beschäftigten einer der wenigen aktiven
Traditionsstandorte in Detroit. Zwei Milliarden Dollar hat der angeschlagene
Autobauer seit 2000 in diese Industrielegende investiert. Zur neuen Flagship-Fabrik,
einer sogenannten Öko-Fabrik mit einem 41 000 Quadratmeter großen Grasdach,
bietet der Ford-Konzern seit 2004 auch „Factory-Touren” an. Die Montagestraße, wo
der Pickup-Truck F-150 produziert wird, ist allerdings so unspektakulär wie die
Multi-Media-Show, bei der den Besuchern allen Ernstes mit Windgebläse,
Sprühregen und künstlicher Geräusch- und Geruchskulisse Hightech von morgen
vorgespielt wird.
Das Interesse der amerikanischen Industrie an Produktionsprozessen war im Grunde
nie besonders ausgeprägt. Was zählte, war die Masse. Detroits Autokonzernen ist es
deswegen wohl auch fremd, bei amerikanischen Konsumenten eine ähnliche
Begeisterung für Fertigungsverfahren anzuregen, wie es derzeit die deutsche
Konkurrenz mit ihren Autotempeln tut. Die letzte Großinvestition in Aufsehen
erregende Architektur liegt mittlerweile schon ein halbes Jahrhundert zurück: Anfang
der fünfziger Jahre hat Eero Saarinen im Detroiter Vorort Warren für General Motors
ein atemberaubend modernes „Versailles of Industry” gebaut, einen
Forschungscampus, bestehend aus 25 Gebäuden mit künstlichem „Spiegelteich” und
glänzendem Dom. Im Style-Departement hatte Harley J. Earl, die Legende des USAuto-Designs, sein James-Bond-taugliches Büro.
Auch wenn die Autostadt Detroit nur noch ein Schatten ihrer selbst ist – die Besucher
der diesjährigen Automesse können sich wenigstens mit einem „Racing Day” am 25.
Januar auf ein wiederbelebtes Motorsport-Event einstimmen lassen. Ende August
wird der „Detroit Belle Isle Grand Prix”, ein Rennen der IndyCar Serie, auf der
idyllischen Ausflugsinsel „Belle Isle” mitten im Detroit River ausgetragen. Dort steht
sogar noch ein Erstlingsbau von Albert Kahn. Die riesige Glas-Eisen-Konstruktion ist
allerdings keine Fabrikhalle, sondern ein Gewächshaus.