Fürst Joseph Wenzels von Liechtenstein

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Fürst Joseph Wenzels von Liechtenstein
Die «Livree» Fürst Joseph
Wenzels von Liechtenstein.
Ein Beitrag zur
Kostümgeschichte des
18. Jahrhunderts
Herbert Haupt
Beim festlichen Einzug Fürst Joseph Wenzels von Liechtenstein als
kaiserlicher Sonderbeauftragter in Parma am 8. September 1760 begleiteten auch sechs Läufer die Auffahrt des Fürsten. Sie waren wie alle
Livree-Bedienten Joseph Wenzels «sehr prächtig von dem schönsten
roten Scharlach, mit durchbrochenen goldenen Borten und etwas blauen
Sammet fast gänzlich bedecket, gleich wie die blauen Vesten eben mit
Gold darauf galoniret waren». V o n den sechs Läufern gehörten
drei dem Hofstaat des Fürsten an, drei waren aus gegebenem Anlass
gleichsam «ausgeborgt» worden: Leopold Hagger vom Fürsten Franz
von Liechtenstein, August Meyer vom Grafen Kaunitz und Johann
Georg Füringer vom Grafen Leslie. F ü r die Beschreibung der in den
fürstlich liechtensteinischen Haus- und Wappenfarben rot-blau gearbeiteten Livreen der Läufer, Haiduken, Büchsenspanner und Edelknaben
hat sich im Haus-, Hof- und Staatsarchiv in Wien ein vergleichbares
Pendant des kaiserlichen Hofes erhalten: die in zwei Büchern aufgeteilten Rechnungen der «Campagne Livree für Ihro Maytt. der verwittibten
römischen Kayßerin Elisabethae Christinae EdlKnaben, LeibLaggey,
Sesseltrager, Lauffer, Heyducken, Stall-Parthey und KnabenDiener de
Anno 1746». Demzufolge bestand die Läuferbekleidung aus Mantel,
Rock, Weste, Hose, Camisol, Schurz und Binde. Aus den 1746 angeführten Schneiderlöhnen für die Herstellung der Gala- und Campagne1
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Wienerisches Diarium, Num. 75 vom Mittwoch, dem 17. September 1760.
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Ihre Namen sind in den Schuhmacher- und Hosenschneiderrechnungen
Nr. 184 und Nr. 176 im Rahmen der Endabrechnung der Parmasaner Mission
Fürst Joseph Wenzels überliefert. Die Rechnungsbelege und die Abrechnungsprotokollbücher befinden sich im Hausarchiv des Regierenden Fürsten
von Liechtenstein in Vaduz. Für die Möglichkeit, diese Archivalien benützen
zu dürfen, möchte ich an dieser Stelle nicht versäumen, Seiner Durchlaucht
Dem Regierenden Fürsten Franz Joseph II. von Liechtenstein meinen ergebenen Dank auszusprechen. Mein Dank gilt auch dem Direktor der fürstlich
liechtensteinischen Sammlungen, Herrn Dr. Reinhold Baumstark, der die
vorliegende Studie in jeder Hinsicht verständnisvoll unterstützte. Frau Dr.
Evelyn Oberhammer hatte die Freundlichkeit, mich auf das Vorhandensein
der Rechnungsbelege Nrr. 1 — 50 und Nrr. 250 — 290 hinzuweisen, die bisher
als verloren gegolten hatten.
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Haus-, Hof- und Staatsarchiv, OMeA. SR: Hofstaatsarchive; in der Folge
abgekürzt zitiert HHStA und Folioangabe.
4
HHStA. a.a.O. f. 9—10'.
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livreen kann eine gewisse Ordnung in der Wertschätzung der einzelnen
Chargen abgelesen werden. A n der Spitze stehen die Läufer, deren
Livree neun Gulden kostete. Dazu ist aber zu bemerken, dass ihre
Kleidung aus mehr Einzelteilen bestand als die der anderen hier
behandelten Livree-Bedienten. A n zweiter Stelle folgen die Edelknaben,
die in den Quellen auch als Pagen bezeichnet werden, und die Leiblakaien: ihr Galagewand wird mit je acht Gulden berechnet. D e n
Schluss bilden die Sesselträger und Kammertrabanten, deren Kleider
mit etwa sieben Gulden die billigsten waren. D i e hier versuchte Beschreibung der Livreen musste grossteils deskriptiv bleiben, da es in der
kostümkundlichen Literatur kaum vergleichbare Untersuchungen gibt.
Überhaupt betrachtete man die Beschäftigung mit der Dienerkleidung
offenbar als «cura posterior» und die Livree wurde in den verschiedenen Handbüchern — wenn überhaupt — nur nebenbei zur Kenntnis
genommen. Dass diesem unbegründeterweise vernachlässigten Thema
aber durchaus kostümkundliche und darüber hinaus auch kulturgeschichtliche Bedeutung zukommt, sollen die folgenden Ausführungen
zeigen.
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Die Läuferlivree war besonders reich ausgestattet (Abb. 1). Das entspricht der Tradition und der Aufgabe dieses Hofdienstes, der i m 18.
Jahrhundert neben die sozial höher eingestuften Herolde trat. Kaiserliche Läufer werden i n Wien erstmals 1704 genannt (Abb. 2). Ihre
Zahl schwankte, erreichte aber in den Jahren 1718 und 1745 mit 16
Läufern ihren höchsten Stand. Im Zeitalter des Josephinismus verloren
die Läufer sukzessive an Bedeutung und ab 1788 stehen nur mehr zwei
Läufer in kaiserlichen Diensten. 1808 scheinen sie zum letzten M a l in
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HHStA. a.a.O. f. 86 —94.
6 Vgl. Hilaire and Meyer H i l e r , Bibliography of Costume (1939) 548 und
Ingeborg P e t r a s c h e k - H e i m , Die Sprache der Kleidung. Wesen und
Wandel von Tracht, Mode, Kostüm und Uniform (1966) 99 f.
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Ein frühes Beispiel für die Herstellung eines «lauffer Khlait» findet sich in
einem Musterbuch des Freistädter Stadtschneidermeisters Johann P i r i n g e r
aus dem Jahr 1720; vgl. Gustav B r a c h m a n n , Ein Musterbuch des Freistädter Schneider-Handwerks von 1720. Oberösterreichische Heimatblätter 7
(1953) 256 — 261. Erwähnt auch von Ingeborg P e t r a s c h e k - H e i m in:
Figurinen nach alten Schnittbüchern. Katalog zur Ausstellung des Stadtmuseums Linz (1968) 75 — 77.
Abb. 1
M. v. Meytens, Der Einzug Isabellas von Parma in Wien, 1760.
Detail: 2 Läufer des Fürsten Joseph Wenzel von Liechtenstein.
(Wien, Kunsthistorisches Museum, Gemäldegalerie, Inv. Nr. 7.506).
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Abb. 2
Caspar Luycken, Neu-eröffnete Welt-Galleria (1703): Ein Lauffer an den Kayserlichen Hof (Wien, Kunsthistorisches Museum, Monturdepot, Inv. Nr. Z 16/27)
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den Hofkalendern auf. Fürst Joseph Wenzel von Liechtenstein besass
1760 drei Läufer. F ü r die Funktion in Parma, bei der er als kaiserlicher
Sonderbevollmächtigter auch entsprechend «imperial» zu repräsentieren
hatte, lieh sich Jospeh Wenzel, wie eingangs erwähnt, weitere drei
Läufer von befreundeten Hofstaaten aus.
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Alle Läufer erhielten aus dem gegebenen Anlass neue Livreen,
deren Herstellung dem Hofguardarobier Andreas H e s s unterstand.
E r machte die reine Schneiderarbeit an den sechs Samtkleidern mit
ihrem Schurz und «Leibel». Die Galakleider, die je sieben Gulden
kosteten, waren reich mit Goldborten und goldenen Fransen «garniret»,
und auch die zwei Gulden teuren Leibein oder Westen waren mit G o l d borten geschmückt. Silber ersetzte das Gold bei der Campagnelivree, die
dementsprechend billiger war: die Schurzkleider wurden mit sechs G u l den, die Westen nur mit 35 Kreuzer berechnet. A l l e diese Kosten sind,
wie schon erwähnt, als reiner «Macherlohn» zu verstehen, das heisst,
Hess verarbeitete die ihm gelieferten Textilien, die bereits entsprechend
zugerichtet waren. Bei dieser Verarbeitung ist besonders die Wiener
Stickerin A n n a Sophia K o b 1 e r zu nennen. Sie schloss am 26. März
1760 mit dem fürstlichen Bevollmächtigten, Baron von Loeschenkohl,
einen «Arbeits-Contract», wonach sie sich verpflichtete, «die
6 laufferkleyder auf alle näth mit Schönn und Reinen gold gestückht,
nach außgesuchten Dessen und Muster zu verferdigen». A l s Preis
wurde pro Stück 420 Gulden vereinbart, was zusammen die stattliche
Summe von 2.520 Gulden ausmachte. Der Wortlaut des Vertrags ist so
zu verstehen, dass die Stickerin dem Baron von Loeschenkohl verschiedene Muster und Stickereiproben vorlegte. Aus ihnen wurde nach
Rücksprache mit dem Fürsten das definitive Dessin f ü r die Stickereien
an den Läuferlivreen ausgewählt und in Auftrag gegeben. Aus optischen
Gründen wurde auf die, wie es in den Rechnungen heisst, « G a r n i e r u n g »
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Vgl. die maschinenschriftliche Zusammenfassung von Erwin M. A u e r ,
Sesseltrager, Heyduken, Läufer und Senftenknechte in den Schematismen und
Hofkalendern, p. 4 — 7.
Rechnung Nr. 213.
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Herbert H a u p t , Zur Mission Fürst Joseph Wenzels von Liechtenstein. In:
Der Goldene Wagen des Fürsten Joseph Wenzel von Liechtenstein (1977) 42 ff.
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Rechnung Nr. 81.
Rechnung Nr. 168 u. a.
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der Gewänder besonderer Wert gelegt. Die Stickarbeiten wurden ausnahmslos der genannten A n n a Sophia K o b l e r ( i n ) anvertraut: sie
lieferte die goldenen, beziehungsweise silbernen Spitzen f ü r die Läuferwesten, nähte auf die Schuhe sogenannte Crepin-«Flinderln» und befestigte blau-goldene/silberne Quasten und Schnüre aus Crepin an den
Läuferstöcken. A u c h der Läuferschurz wurde von A n n a Sophia
K o b 1 e r(in) mit goldenen Crepinfransen dekoriert, ebenso die breiten
L ä u f e r b i n d e n . A l s Kopfbedeckung diente den Läufern das Casquet,
an dessen helmartiger F o r m sie auch leicht von den übrigen LivreeBedienten zu unterscheiden sind. Diese H ü t e erhielten schwere Quasten,
je eine goldene Rosette und die Crepinfransen wurden «auf die Schild
oben-herumb» gelegt. Nicht einmal auf die eigens f ü r die besondere
Form der Casquet hergestellten Hutschachteln wurde in der Rechnungslegung vergessen: der bürgerliche Siebmacher Johann Georg H o f f e r
lieferte zu je 30 Kreuzern «12 schachdteln zu die Laufer Gaschgeder
welche mit wadten Außgefidterd und i n Eine jede ein Stockei gemacht
w u r d t e » . In die Crepinrosette hineingesteckt war die hohe Läuferfeder,
die vom kaiserlichen Federschmücker Anton B e r n a r d i bezogen
wurde. A u c h dabei wird zwischen Federn zur Galalivree und Federn
zur «zweiten» Livree, also der ä la Campagne, unterschieden. Dass bei
den Läufern der prunkvollen Ausstaffierung des Schuhwerks grosses
Gewicht beigemessen wurde, ist verständlich. Im Handelshaus «Zum
goldenen Brunn» am Kohlmarkt in W i e n wurden zu diesem Zwecke
von Johann P e h a m b je drei Ellen weissen und blauen schweren
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13 Zur Geschichte des Stricker- und Stickerhandwerks Hanns J ä g e r - S u n s t e n a u , 350 Jahre Innung der Stricker in Wien. In: Maschen. Geschichte
der Mode der Strick- und Wirkwaren (Wien o. J.) 131 —142.
14 Rechnung Nr. 168.
15 Rechnung Nr. 130.
16 Rechnung Nrr. 129 und 130.
17
Daniel S a n d e r s , Fremdwörterbuch (1871) 631 und allgemein Michael
H a r r i s o n , The History of the Hat (1960).
18 Rechnung Nr. 129.
19
Rechnung Nr. 125.
20 Rechnung Nr. 98.
21 Gustav G u g i t z , Bibliographie zur Geschichte und Stadtkunde von Wien
nebst Quellen und Literaturhinweisen III (1956) 323.
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Damasts gekauft, der mit goldenen und silbernen Plüschborten verziert wurde. Die Schuhe selbst wurden nebst je einem Paar hoher
Stiefeln vom bürgerlichen Schuhmachermeister Matthias P r u s s herhergestellt. Ihre grossen feuervergoldeten Schnallen lieferte der auch
sonst bekannte kaiserliche Goldarbeiter Dominik S u t e r e 1 1 , Interessant ist dabei das Verhältnis zwischen den Materialkosten und dem
reinen Arbeitslohn. So kostete etwa eine Elle schweren Damasts drei
Gulden 15 Kreuzer, während der L o h n des Schuhmachermeisters f ü r
ein Paar Schuhe mit einem Gulden 25 Kreuzer nur etwa ein Drittel davon betrug. Überhaupt fällt im Vergleich mit anderen zeitgenössischen
Berichten auf, dass Fürst Joseph Wenzel von Liechtenstein nur das
Teuerste und Beste an Spitzen, Borten, Tüchern, Stoffen und dergleichen Rohware einkaufen Hess. Die Erklärung dafür liegt wohl zum
einen in dem auch sonst zu beobachtenden Hang des Fürsten zur Repräsentation, zum andern aber im Anlass, der zur Anfertigung der
neuen Livreen führte, nämlich seiner Funktion als kaiserlicher Bevollmächtigter in Parma. In der Hand trugen die Läufer den an den Heroldstab erinnernden Läuferstock. E r war die Arbeit des schon genannten
Goldschmieds Dominik S u t e r e 11, der «vor einen Lauffer Knopf
samt R o r und Fason» nicht weniger als 600 Gulden erhielt. Dieser
unverhältnismässig hohe Betrag zeigt den Wert, den man diesem repräsentativen Attribut der Läuferlivree beimass. Fassen wir abschliessend
zusammen: die dem Heroldsgewand kostümkundlich verwandte Läuferkleidung besteht im vorliegenden Fall aus dem Schurzkleid mit der
Läuferbinde, Kniehosen, weissen Seidenstrümpfen und Damastschuhen.
Als Kopfbedeckung diente das federngeschmückte Casquet. Dieses und
der der Facon und dem Material nach besonders wertvolle Läuferstock
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Rechnung Nr. 220.
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Rechnung Nr. 184.
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Julius F l e i s c h e r , Das kunstgeschichtliche Material der geheimen Kammerzahlamtsbücher in den staatlichen Archiven Wiens von 1705 bis 1790
(Quellenschriften zur barocken Kunst in Österreich und Ungarn 1, 1932).
25
Besonders ist auf die hohen Beträge hinzuweisen, die der Edle Johann von
Friess für seine Tuch- und Bortenlieferungen ausbezahlt bekam; vgl. u. a.die
Rechnung Nr. 159.
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Rechnung Nr. 96.
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sind die Charakteristika der Läuferlivree, die sie auch von den anderen
Livree-Bedienten unterscheidet.
27
Beim festlichen Einzug Fürst Joseph Wenzels von Liechtenstein in
Parma zogen in seinem Gefolge auch zwei Büchsenspanner mit. (Abb. 3)
So berichtet das Wienerische Diarium: «Die Auffahrt hat besagter Introducteur (sc. der Marchese Roma Pallavicini) erofnet worauf des Fürstens
von Liechtenstein Livree gefolgt, als: Zwey Thor-steher zu Pferd,
6. Lauffer, 24. Livree-bediente, 2. Büchsenspanner, und 6. H e y d u c k e n » .
Die dem Stallmeisteramt unterstehenden Büchsenspanner hatten ihre
ursprüngliche Funktion bei den Hofjagden verloren (Abb. 4) und
waren zu einer Dienercharge geworden. A l s Reminszenz ihrer eigentlichen Verwendung beim Jagdwesen blieb die grüne Farbe der Büchsenspannerlivree. Wieder war es der Hofguardarobier Andreas H e s s , der
die beiden fürstlichen Büchsenspanner Franz Pantz und Philipp Gödel
neu ausstattete. Seine Abrechnung ermöglicht eine recht genaue Rekonstruktion der Büchsenspannerkleidung. A l s Ergänzung kann auch
hier die schon bei den Läufern genannte Abrechnung der Hoflivreen der
Kaiserinwitwe Elisabeth Christine vom Jahr 1746 vergleichsweise herangezogen werden. Andreas H e s s fertigte drei Garnituren von K l e i dern an: zwei grüne Kleider mit Goldborten zur Verwendung in Gala,
abermals zwei grüne Kleider mit Silberborten, zu tragen ä la Campagne,
und schliesslich zwei graue Livreen, die gleichsam beim «Innendienst»
bei H o f getragen wurden. Dieser Farbwechsel ist auch f ü r den Wiener
Hof nachzuweisen, wo 1746 neben dem grünen Galakleid und einem
«glatten bürst (sc. Pirsch-) kleyd ein «glatt-graues Campagne kleyd»
genannt wird. Der mit neun Gulden vergleichsweise hohe Arbeitslohn
beinhaltete die Herstellung von «2 grünnen Kleider mit gold-bortten
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Eine die Herkunft und modische Entwicklung dieser besonders reich ausgesaugten Livreeart berücksichtigende Einzeluntersuchung ist vom Verfasser
geplant.
28
Wienerisches Diarium, Num. 75 vom Mittwoch, dem 17. September.
29
Forst-Archiv zur Erweiterung der Forst- und Jagd-Wissenschaft und der
Forst- und Jagd-Literatur, hrsg. von Wilhelm Gottfried von M o s e r .
Dritter Band: Etwas von der Jäger-Kleidung und den Jagd-Uniformen (1788),
besonders 240 ff.
30
Rechnung Nr. 213.
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HHStA. a. a. O. f. 30 — 33.
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doppelt und allen näthen braimbt». Verrechnet werden weiters «Massivballeten» ( = Goldschnüre) f ü r die Knopflöcher und Nähgold «zum
Uberstechen». Z u m Unterfüttern werden verschiedene Arten von
Leinwand genannt: Siegelleinwand, weisse Leinwand f ü r «Leib und
Hosen» und Glanzleinwand f ü r die Rockärmeln. Z u r Livree gehörten
selbstverständlich auch die Kniehosen. Sie wurden aber bei der Reise
geschont und durch bockhäutene Reisehosen ersetzt, die vom bürgerlichen Hosenschneidermeister Johann Georg E n i n g e r geliefert
wurden. F ü r die Verwendung ä la Campagne wurde die Livree, wie
schon gesagt, in zweifacher Ausführung hergestellt: Andreas H e s s
berechnet «für deto zwey Kleider mit silbern bortten gebraimbt» ebenso fünf Gulden Lohn wie «deto 2 graue Kleider mit Silber Balleten
ausgenäth, Vestie mit bortten braimbt». Der f ü r die Büchsenspanner kennzeichnendste Teil ihrer Livree war das breite um die
Schultern quer über die Brust gelegte Bandelier. Die reiche Stickarbeit besorgte wieder A n n a Sophia K o b 1 e r (in). Die Wertschätzung ihrer Arbeit spiegelt sich in der hohen Endsumme von 170 Gulden
pro Bandelier ebenso wieder wie die offenbar besonders prunkvolle
und reiche Ausstattung der Bandeliere. A u f den Bandelieren waren
feuervergoldete und ornamentale Messingbeschläge appliziert, ein Galahirschfänger vervollständigte den charakteristischen Behang. Sowohl
die Appliken als auch der Hirschfänger samt Scheide und Handgriff
waren die Arbeit des Wiener Goldschmieds Dominik S u t e r e 11, der
dafür fast 270 Gulden berechnete. Die Riemerarbeiten besorgte bei
den Bandelieren der Wiener bürgerliche Riemermeister Johann Franz
W a l t e r . Seine Angaben geben ein anschauliches B i l d vom Aussehen der Bandeliere und sind zudem ein so gutes Beispiel f ü r die
oft eigenwillige Orthographie des 18. Jahrhunderts, dass seine A b rechnung in der Folge auszugsweise wiedergegeben werden soll:
«Ao. 760 den 6 Juni vor die zwey hern Pegssen Spanner 4 Neye
Zeigger ( = Bandaliere) gemäht V o n grien Samet, daß ist 4 horn-fässelRiem, wie auch 4 Cuppel uhm dem leib, 2 M i t goldt und 2 M i t Silbern
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Wie Anm. 28.
Rechnung Nr. 176.
Rechnung Nr. 82.
Rechnung Nr. 96.
Abb. 3
M. v. Meytens, Der Einzug Isabellas von Parma in Wien, 1760.
Detail: Büchsenspanner des Fürsten Joseph Wenzel von Liechtenstein
(Wien, Kunsthistorisches Museum, Gemäldegalerie, Inv.Nr. 7.506).
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Abb. 4
Caspar Luycken, Neu-eröffnete Welt-Galeria (1703): Ein Jaeger
(Wien, Kunsthistorisches Museum, Monturdepot, Inv. Nr. Z 16/28).
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Portten besetz, und widter Egstra ( = extra) M i t goldten und Silbern
berdl ( = Borten) besetz wordten, dan auch die hofft-horen ( = H i f t hörner) und die Reichen Maschen daran gebundten wordten, wie auch
alles Silbernes und vergoldtes beschlag darauf gemäht wordten. V o r
eines . . . 14 f l . Item von den Trägssler ( = Drechsler) 2 Weysse H i f f t hohrn Machen lassen, von helffenbeyn, vor eines Selbsten bezalt
wordten 8 f l » .
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Ansonsten finden sich in den Rechnungsbelegen keine unmittelbaren
Hinweise auf die Büchsenspannerlivree. Das besagt freilich nur, dass
die restliche Ausstattung ihrer Kleider als nicht besonders kennzeichnend erachtet und daher unter Allgemeinem subsumiert wurde. Das
betrifft, um nur einige Beispiele anzuführen, die grossen Lieferungen
von weissen Seidenstrümpfen, Hemden, Plastrons, Perücken, Schuhen
und dergleichen mehr. Immerhin fällt auf, dass bei den Büchsenspannern im Gegensatz zu fast allen anderen Livreebedienten keine
Hutfedern angeführt werden.
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Nach der Beschreibung der ursprünglich vom Jagdkostüm herzuleitenden Büchsenspannerlivree soll nun das aus der Volkstracht stammende Gewand der ungarischen Haiduken vorgestellt werden. Die seit
dem Jahre 1605 zum Teil in der ungarischen Provinz H a j d ü beheimatete
Volksgruppe galt als besonders kriegerisch. Sie bildete den Grundstock fast aller Söldnerheere am Balkan und trat besonders i n den
ungarischen Parteien- und Magnatenkämpfen des 16. und 17. Jahrhunderts hervor. Nach ihrer Ansiedlung in einem unabhängigen
Haidukendistrikt mit dem Zentrum in Debreczin wurde der Name der
Haiduken nicht nur zum Synonym f ü r die gesamte ungarische Infanterie,
sondern ging auch auf Gerichtsdiener der ungarischen Behörden über.
Später besoldeten die ungarischen Magnaten Haiduken als Kammertrabanten und von hier fanden sie auch Eingang beim Kaiserhof, beziehungsweise den Hofstaaten der deutschen Fürsten. Der Wiener H o f schematismus vom Jahr 1725 weist bereits 20 «Heyducken» unter einem
38
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36 Rechnung Nr. 157.
37 Rechnung Nr. 99.
38 Zu den Haiduken allgemein noch immer am Besten G. R o s e n , Die Balkanhaiduken (1878).
39 A. B e r e s und G. M 6 d y, A hajdusäg törtenetenek es neprajzänak irodahna
(Bibliographie zur Geschichte der Haiduken) (Debreczen 1956).
102
eigenen «Corporal» auf, was auf eine paramilitärische Organisation der
Haiduken bei H o f als eine mit den Schweizern vergleichbare A r t von
Garde hindeutet. Sie unterstanden dem Oberststallmeisteramt und
standen rangmässig den Sesselträgern nahe, von denen sie ab der
zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts auch schrittweise verdrängt wurden. 1781 werden die Haiduken am Wiener H o f zum letzten mal
erwähnt, nachdem ihre Zahl schon seit 1774 auf zwei abgesunken war,
die man offensichtlich ausdienen hatte lassen. Die romantisierenden
Tendenzen des 19. Jahrhunderts führten zu einer Neubelebung des
Brauches, Haiduken im Hofstaat zu haben. Freilich hatten diese «neuen»
Haiduken mit ihren Vorfahren kaum mehr als den Namen gemeinsam.
A u c h ihre malerische und exotische, an Theaterkostüme erinnernde
Tracht weist keine Ähnlichkeiten mit dem Haidukengewand des 17. und
18. Jahrhunderts mehr auf, wie sie verschiedentlich in kostümkundlichen
Abbildungswerken zu sehen ist.
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Wie haben wir uns nun die Haidukenkleidung am Hofe Fürst
Joseph Wenzels von Liechtenstein vorzustellen? Die Galalivreen wurden
von dem bürgerlichen ungarischen Schneidermeister Gregor D r e x 1 e r
aus Eisenstadt angefertigt. D r e x 1 e r scheint ein geschätzter H o f lieferant gewesen zu sein, hatte doch schon 14 Jahre vorher die Kaiserinwitwe Elisabeth Christine bei ihm die Bekleidung ihrer Haiduken in
Auftrag gegeben. Nimmt man nun seine und vergleichbare Abrech44
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A u e r a.a. O. (Anm. 8) 7.
41
Vgl. die Erklärung in Christoph A d e l u n g , Versuch eines vollständigen
grammatisch-kritischen Wörterbuches der Hochdeutschen Mundart II (1775)
1053.
Georg K u g l e r , Die Wagenburg in Schönbrunn (1976) 104.
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43
Vgl. Wolfgang B r u h n - Max T i 1 k e , Kostümgeschichte in Bildern. Eine
Übersicht der Kostüme aller Zeiten und Völker vom Altertum bis zur Neuzeit einschliesslich der Volkstrachten Europas und der Trachten der aussereuropäischen Länder (1955) Abb. 82 und Seite 38.
44
Rechnung Nr. 215. Zur Geschichte auch des Schneiderhandwerks siehe allgemein Viktor T h i e l , Gewerbe und Innung. Geschichte der Stadt Wien IV/1
(1911) 411 — 523, besonders 502 — 508.
45
HHStA. a.a.O. (Anm. 3) f. 13 —15 mit dem interessanten Notandum:
«für die heyducken wird keine seiden passiret, weilen sich der hungarische
Schneidermeister Gregorius D r e x 1 e r in seinem gemachten accord obligiret
hat, solche selbst darzu zu geben.»
103
nungen her, so ergeben die angeführten Einzelposten, ähnlich wie es bei
der Büchsenspannerlivree zu beobachten war, ein recht gutes B i l d von
der Tracht jener zur «Stallpartei» zählenden Dienergruppe (Abb. 5 ) .
D r e x 1 e r verrechnete und erhielt f ü r die sechs neuen Haidukenlivreen je 25 Gulden, zusammen also 150 Gulden. Unabhängig davon
stellte er jene Kosten i n Rechnung, die ihm aus dem Ankauf verschiedener Rohtextilien erwachsen waren, wie etwa f ü r Seide, Hafteln,
Siegelleinwand und das zum Unterlegen und Füttern benötigte Federit.
Gekauft wurden von ihm auch 12 schwarze hohe Hauben, von denen je
sechs zur Gala- und zur Stadtlivree gehörten. Die f ü r die Gala bestimmten Hauben überzog D r e x 1 e r mit blauem Samt und verbrämte sie
mit goldenen spanischen Spitzen, der sogenannten Point d'Espagne.
Die Eigenheit dieser gestickten Spitze liegt in ihrer starken Farbigkeit,
die vom Umnähen der Gold- und Silberfäden herrührt. Das Gold
leuchtet dabei aus der bunten Seide hervor und tritt an der Stickunterlage ösenförmig zwischen dem eigentlichen Muster zutage. Die sechs
für die Stadtlivree benötigten Haidukenhauben wurden mit schwarzem
Samt überzogen und hatten silberne spanische Spitzen als Zierde. G e kauft wurden die Spitzen von Ludwig S c h u l t z , Händler i m Haus
«Zum blauen S t e r n » und zwar das L o t um 44 Kreuzer. A u f den
Hauben waren die charakteristischen langen weissen Haidukenfedern
montiert, die der schon genannte hofbefreite kaiserliche Federschmucker
Anton B e r n a r d i dem fürstlich liechtensteinischen Hofmeister Johannes Wiegand um immerhin neun Gulden pro Stück geliefert hatte.
Unter der Kopfbedeckung trugen die Haiduken Perücken, die in doppelten Z o p f b ä n d e r n von je vier Ellen Länge, das sind zusammen etwa
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46 H a u p t a. a. O. (Anm. 10) 44 ff.
47
Eine Art grober Leinwand, zum Teil als Synonym für Zwilch gebraucht;
vgl. J. Andreas S c h m e 11 e r , Bayerisches Wörterbuch I (1872) Sp. 691.
48 Zu den spanischen Spitzen vgl. den Artikel «Lace» in der Encyclopaedia
Britannica 13 (1962) 563 — 571.
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Marie S c h u e 11 e , Alte Spitzen. Nadel- und Klöppelspitzen (Bibliothek für
Kunst- und Antiquitätenfreunde VI, o. J.) Abb. 32 und besonders Seite 204 f.
50 G u g i t z a. a. O. (Anm. 21) 318 oder 429.
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Rechnung Nr. 174.
52 Rechnung Nr. 98.
104
Abb. 5
M. v. Meytens, Der Einzug Isabellas von Parma in Wien, 1760.
Detail: Haiduken des Fürsten Joseph Wenzels von Liechtenstein
(Wien, Kunsthistorisches Museum, Gemäldegalerie, Inv.Nr. 7.506).
105
2.80 Meter, ausliefen. U m die Galazopfbänder zu schonen, wurden
auch billigere Z o p f b ä n d e r «auf die reiß» angeschafft. Beide Arten von
Z o p f b ä n d e r n sowie die mit Moire gefütterten Haarbeutel zur Aufbewahrung der Perücken stellte Anton S t i e r m b zur V e r f ü g u n g , seines
Zeichens Handelsmann im Haus «Zum silbernen Becher» in der Wiener
Kärntnerstrasse. V o n den übrigen Livrierten unterschieden sich die
Haiduken neben den charakteristischen hohen federngeschmückten
Kegelhauben auch durch ihren bodenlangen Umhang, dem sogenannten
«Mantee», der über dem eigentlichen Kleid getragen wurde. Das dafür
verwendete rote Tuch stammte aus der schlesischen Stadt Neurode, die
im 18. Jahrhundert f ü r ihre Tuchwalkereien und -fabriken bekannt war.
Es wurde von Joseph S p 1 e y e r , dem Besitzer eines Modegeschäftes
im Haus «Zum silbernen V o g e l » um 32 Gulden die Elle gekauft. V o m
selben Händler stammte auch das silberfarbene und kornblaue «Neuroter» Tuch, das dem schon genannten ungarischen Schneider Gregor
D r e x 1 e r als Grundlage f ü r die Verfertigung der Haidukenkleider
diente. Dieses i n den Quellen als «Casackel» bezeichnete reich besetzte Gewand wurde um die Taille von einer breiten Binde zusammengerafft und endete i n knielangen schwarzen «Schlaff-Hosen». F ü r die
Haiduken besonders kennzeichnend ist ihre aus der ungarischen Volkstracht stammende Beinkleidung. Der Czismamacher Johann G e l l e m e n verrechnete drei Garnituren der charakteristischen hohen
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53 Vgl. zur ersten Information Fritz V e r d e n h a l v e n ,
und Gewichte aus dem deutschen Sprachgebiet (1968).
Alte Masse, Münzen
54 Rechnung Nr. 218.
55 G u g i t z a.a.O. (Anm. 21) 318.
56 Eine Frühform ist der sogenannte ungarische Mantel, auch Mande oder
Mente genannt, wie er in Linzer Schnittmusterbüchern des frühen 18. Jahrhunderts überliefert wird; vgl. Lucie H a m p e l , Zwei Linzer Schnittbücher
aus dem ersten Viertel des 18. Jahrhunderts. Historisches Jahrbuch der Stadt
Linz (1960) 272 ff. und jüngst Ingeborg P e t r a s c h e k - H e i m , Das «Rissbüchel» (Schnittbuch) aus Retz. Ein Beitrag zur Wiener Kostümgeschichte.
Wiener Geschichtsblätter 31 (1976) Sonderheft 2, besonders Seite 148 ff.
57
G u g i t z s. s. O. (Anm. 21) 438.
58 Rechnung Nr. 180.
59
Rechnung Nr. 215.
60 Vgl. Maria V a r j ü - E m b e r , Die ungarische Galakleidung im X V . und
XVIII. Jahrhundert. Waffen- und Kostümkunde 7 (1965) 73 ff.
107
Abb. 6
Ein Beispiel aus späterer Zeit: Ein Haiduk der Fürsterzbischöfe von Salzburg
in Galalivree (Salzburg, Museum Carolino-Augusteum: Kuenburg'sche Sammlung
Salzburger Trachtenbilder, Inv.Nr. 2.611/49).
108
Schnürstiefel, der sogenannten Topanken. Die sechs Paar schwarzen,
gelben und blauen Stiefel wurden in der nämlichen Reihenfolge zur
Reise, in der Stadt und bei Gala angezogen. Vergleichbar mit den
Läuferstöcken und den Bandelieren der Büchsenspanner hatte auch die
Haidukenlivree ein besonders signifikantes Zubehör, bei dessen prunkvoller Ausstattung keine Kosten gespart wurden. Gemeint ist der in der
Säbeltasche steckende sogenannte «Pusican», ein Säbel, der an einem
mit blauem Samt überzogenen und mit breiten Goldborten verzierten
Lederriemen hing. Wieder war es der Goldarbeiter Dominik S u t e r e 11, der den Auftrag f ü r die A u s f ü h r u n g sowohl der Pusicans als
auch der Säbel- und Riemenbeschläge erhielt. Wie wir seiner Abrechnung entnehmen, machte er zuerst «ein . . . Model von Silber . . . vor
die Fason». Danach stellte S u t e r e 11 die Appliken und Beschläge f ü r
die sechs Haidukensäbel her, deren silberne Gefässe ihm vom bürgerlichen Langmesserschmiedemeister Joseph W . F i n d t e r 1 zusammen
mit neuen vergoldeten Klingen geliefert wurden. F ü r die Pusicans und
die verschiedenen Verzierungen erhielt S u t e r e 11 mehr als 2000 G u l den ausbezahlt. A u c h die mit Stickarbeit geschmückten ledernen Säbeltaschen — meistens zeigten sie das Wappen des jeweiligen Herrn
(Abb. 6) — wurden von Suterell entworfen. Doch damit nicht genug,
fertigte der Meister auch «einen Muster Säbel samt Mundirung und
Sappenen Scheid ( = Scheide aus Zappenhaut)» an, f ü r den er, wie
übrigens f ü r alle Modelle, 40 Gulden berechnete.
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Nicht nur f ü r die Livree der Haiduken wurden ungarische Schneider
und Czismamacher benötigt. A u c h bei der Ausstattung der zwei ungarischen Edelknaben waren sie massgebend beteiligt. Die Institution der
Edelknaben oder Pagen, deren Gewänder zum Abschluss besprochen
werden sollen, unterstand seit altersher dem Stallmeisteramt. Die
Söhne ausgewählter Edelleute wurden im Knabenalter an den Kaiser63
61
Rechnung Nr. 140.
62
Rechnung Nr. 96.
63
Rechnung Nr. 111.
64
Wie Anm. 62.
65
Albert H ü b 1, Die k. u. k. Edelknaben am Wiener Hof. Jahresbericht des
k. k. Obergymnasiums zu den Schotten in Wien (1912), und allgemein Ivan
Ritter von Z o 1 g e r, Der Hofstaat des Hauses Österreich (Wiener Staatswissenschaftliche Studien 14, 1917) 134 ff.
109
Abb. 7
Caspar Luycken, Neu-eröffnete Welt-Galleria (1703): Kaiserliche Edel-Knaben.
(Wien, Kunsthistorisches Museum, Monturdepot Inv.Nr. Z 16/18).
110
Abb. 8
M. v. Meytens. Der Einzug Isabellas von Parma in Wien, 1760.
Detail: Der Zug der Edelknaben Fürst Joseph Wenzels von Liechtenstein
(Wien, Kunsthistorisches Museum, Gemäldegalerie, Inv.Nr. 7.506).
111
oder Fürstenhof geschickt, wo sie als Pagen unter der Leitung eines
eigenen Edelknabenmeisters am Hofleben teilnahmen. Aber nicht nur
das, sie erhielten auch Unterricht in Fremdsprachen, Fechten, Reiten,
kurz in allem, was ein junger Adeliger in seiner Zeit benötigte. So war
der Pagendienst bei H o f ein begehrtes Ziel, stellte er doch of die Grundlage f ü r eine spätere politische oder gesellschaftliche Karriere dar. Die
Institution der Edelknaben mit ihren «Praeceptoren» hat sich im Laufe
der Jahrhunderte zwar den veränderten Gegebenheiten angepasst, ist in
ihrer Grundkozeption am Wiener Kaiserhof aber bis zu dessen A u f lösung i m Jahre 1918 unverändert erhalten geblieben (Abb. 7 ) . Beim
festlichen Einzug Fürst Joseph Wenzels von Liechtenstein in Parma im
Jahr 1760 waren acht fürstliche Edelknaben in seinem Gefolge, zwei
ungarische und sechs deutsche. Die Kleidung der Pagen war schon auf
Grund der adeligen Herkunft der Träger besonders aufwendig und die
als Quelle herangezogenen Abrechnungen berichten immer wieder von
hohen Kosten, die bei der Neuanschaffung der Edelknabengewänder
aufgewendet wurden. Dabei ist zu bedenken, dass sich die Tracht der
ungarischen Edelknaben wesentlich von der der deutschen unterschied,
was in der Folge eine einheitliche Darstellung der Pagenkleidung unmöglich macht.
66
Die Neuanfertigung der Livree der ungarischen Edelknaben war das
Werk des Wiener G o l d - und Perlstickers Peter Anton D i e r c k e s
sowie der beiden ungarischen Schneidermeister Gregor D r e x 1 e r und
Jakob L u t s c h a n d s k i . Die Hauptarbeit leistete aber ohne
Zweifel Peter Anton D i e r c k e s , der zum gleichen Anlass auch
die prachtvollen, erhalten gebliebenen fürstlichen Handdecken schuf.
E r schloss am 12. A p r i l 1760 einen Vertrag mit dem Baron von
Loeschenkohl und verpflichtete sich darin, «bis Ende Juni 8 Edel
Knaben oder sogenannte Baägen Kleider, 6 teütsche und 2 hun67
66
Das Monturdepot des Kunsthistorischen Museums in Wien bewahrt bis heute
die Gala- und Trauergarderobe der kaiserlichen Edelknaben auf, die anlässlich der Krönung Kaiser Karls I. von Österreich im Jahr 1916 in Budapest
teils ausgebessert, und teils neu angeschafft wurde.
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Der Goldene Wagen des Fürsten Joseph Wenzel von Liechtenstein. Katalog.
Verf.: Rudolf H. W a c k e r n a g e l , Herbert H a u p t und Georg K u g 1 e r
(1977) 58 Nr. 6 und Abb. 34.
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garische Kleider, zu sticken in Gold von Passee A r b e i t und zum A u f sezen gestickt einzulieffern.» A l s Kostenpunkt sowohl der ungarischen
als auch der deutschen Livreen wurden je 560, zusammen also 4480
Gulden vereinbart und am 18. Juli des Jahres durch den fürstlichen
Haushofmeister Johannes Wiegand auch tatsächlich ausbezahlt. Doch
wie so oft hatte sich der Kostenvoranschlag als zu niedrig herausgestellt.
Ende Juli 1760 erstellte D i e r c k e s die endgültige Abrechnung und
stellte fest: «Ein hochfürstl. Liechtensteinisches E d l Knaben Kleydt
sambt Beltz Dalmang ( = Pelzdoman) und Hosen Kost mich 584 f l . »
Dem Baron Loeschenkohl blieb nichts Anderes übrig als dem Sticker,
mit dessen Arbeit der Fürst offensichtlich zufrieden war, den Mehrbetrag zu ersetzen. So heisst es in einem diesbezüglichen Notandum vom
26. Juli: «Auf Ihro Dhlt. gnädigsten Befehl und Erlaubnuß sollen dem
Sticker, herrn Tirckeß, . . . 480 f l über seinen accord gezahlet werden.»
Der von Peter Anton D i e r c k e s gelieferte kunstvolle Stickaufsatz
wurde von dem schon bei den Haiduken genannten bürgerlichen ungarischen Schneidermeister Gregor D r e x l e r " auf die von ihm zugeschnittenen und verfertigten Kleider aufgenäht. F ü r die Galakleider
inclusive den dazugehörenden Säbelgehängen verrechnete D r e x l e r
je 16 Gulden, die Stadtkleider kosteten zehn und die Reisekleider je
sechs Gulden. Z u allen drei Garnituren stellte der ungarische Schneidermeister Jakob L u t s c h a n d s k i die Knöpfe, Schnüre und Schlingen
zur Verfügung. F ü r die Reise und in der Stadt dominierte dabei das
Silber, f ü r die Galakleider wurden breite goldene Schnüre und je 54
Paar massive Goldknöpfe f ü r die Pelze, Röcke und Hosen verwendet.
Über dem Edelknabenkleid trugen die ungarischen Pagen den sogenannten Dolman. Dieser kimonoförmig geschnittene bis zu den Knien
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Unter «Passee» oder deutsch «Sattel» ist sowohl eine aufgesetzte Schulterverstärkung als auch das quergeteilte Stück oberhalb der Hüfte zu verstehen.
Vgl. Ruth K l e i n , Lexikon der Mode. Drei Jahrtausende europäischer
Kostümkunde (1950) 283.
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Rechnung Nr. 195.
70
Rechnung Nr. 196.
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Vgl. Seite
72
Rechnung Nr. 216.
73
H a m p e 1 a. a. O. (Anm. 56) 273 ff.
114
reichende ungarische M a n t e l wurde, wie erwähnt, ebenfalls von Peter
Anton D i e r c k e s hergestellt. Die Pelze dazu lieferte der «k. k. L e i b und Hofkierschner» Friedrich Andreas D i e 1 b r i c h . Es handelte
sich dabei allgemein um «2 Campagni Peltz» zu je 12 Gulden und um
zwei rotsamtene Galapelze, die der Kürschner mit feinem «moscowitischen», d. h. russischen Zobel verbrämte. Die Kosten dafür betrugen
je 43 G u l d e n . Ähnlich wie bei den Haiduken bestand auch die Kopfbedeckung der ungarischen Edelknaben aus den sogenannten «ungarischen Hauben», die ohne Federn getragen wurden. Sie waren mit rotem
Samt ü b e r z o g e n und wie der Mantel mit russischem Zobel verbrämt.
Zur Aufbewahrung der zwei «Rauchen ( = aus Pelz) Ungarischen
Mitzen» stellte der bürgerliche Wiener Siebmacher Johann Georg
H o f f e r «2 Schachdln mit Stöckeln» her, die er mit Watte ausfütterte
und pro Stück mit 27 Kreuzern berechnete. F ü r die langen Zopfperücken wurden im Handelshaus «Zum silbernen Becher» 16 Ellen
besten französischen Zopfbandes gekauft. A l s Schuhwerk dienten die
sogenannten Zischmen, die der bürgerliche Czismamacher Johann
G e 11 e m e n lieferte. Blaue Zischmen zu neun Gulden wurden zur
Galalivree getragen, rote «en Campagne» und schwarze bei der Reise.
Weisse Hemden , Seidenstrümpfe und feine weisse englische Handschuhe rundeten schliesslich die Elegance der Livreen ab, mit denen
die ungarischen Edelknaben bekleidet waren.
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Doch auch die deutschen Pagen standen ihren ungarischen Kollegen
an prunkvoller Kleidung nicht nach (Abb. 8). So verrechnete der fürstlich liechtensteinische Garderobier Andreas H e s s «6 (rot-) Sametene
Kleyder mit einem gold gestückten aufsatz» um einen Preis von je 16
74
H a m p e 1 a. a. O. (Anm. 56) 271, Abb. 17 und 17a.
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Rechnung Nr. 178.
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Der Hauptlieferant tür alle Sorten von Samt war der Edle Johann von Friess.
Vgl. die Anm. 25.
Rechnung Nr. 162.
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Rechnung Nr. 218.
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Rechnung Nr. 141.
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Geliefert von der Hemdenmacherin Catharina M a y e r ,
Nr. 114.
81
Rechnung Nr. 218.
vgl. Rechnung
115
Gulden f ü r die deutschen Edelknaben. Der Stickereibesatz war das Werk
des kurz zuvon genannten Perlstickers Peter Anton D i e r c k e s und
man darf annehmen, dass die Arbeit von der gleichen hervorragenden
Qualität war, wie bei den ungarischen Pagengewändern. F ü r die Stadt
macht Andreas H e s s sechs Kleider aus rotem Tuch, die doppelt mit
breiten Silberborten besetzt waren und zehn Gulden kosteten. U m drei
Gulden billiger waren die mit silbernen Schlingen gezierten sechs
«Campagnie Reiß Kleider.» Wie immer verrechnete H e s s zusätzlich
Schnallen, Seide, das Nähsilber zum Überstechen und die verschiedenen
Arten von Leinwand als Futtermaterial. Die deutschen Edelknaben
trugen keinen Mantel. D a f ü r waren auf der Schulter der Kleider prunkvoll gestickte Achselbänder aufgenäht, die die schon mehrfach genannte
Wiener Stickerin Anna Sophia K o b 1 e r(in) herstellte. Gemäss ihrem
Arbeitsvertrag vom 26. März 1760 verpflichtete sie sich, die Achselbänder «nach ausgesuchten muster und Desseng von Schönnen gold
guether Arbeith bis Ende May 1760 zu verschaffen und zu verfertigen».
Aus dem Datum, an dem die vereinbarte Summe von je 50 Gulden bezahlt wurde, geht hervor, dass die Stickerin die gestellte Lieferfrist genau einhielt, wie überhaupt Terminverzögerungen in den durchgesehenen Rechnungen äusserst selten sind. Die eingeräumte Lieferfrist von
zwei bis längstens drei Monaten wurde fast immer genau eingehalten,
was auf eine beachtliche Arbeitskapazität der beauftragten Handwerker
und ihrer Betriebe schliessen lässt. Z u m Edelknabenkleid gehörten auch
die bis zu den Knien reichenden Pluderhosen, ein Fachausdruck, der
in den zwanziger Jahren des 18. Jahrhunderts erstmals begegnet, bald
aber zu einem festen Begriff der Mode wurde. Wie die ungarischen
Edelknaben trugen auch die deutschen Pagen lederne Degengehänge.
Sie waren mit blauem Samt überzogen und hingen mit feuervergoldeten Schnallen an roten Hosenriemen, die der Riemermeister Johann
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Rechnung Nr. 195; vgl. Seite 114.
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Rechnung Nr. 213.
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Rechnung Nr. 81.
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Vgl. den zeitgenössischen österreichischen Lexikographen Johann Sigmund
Valentin P o p o w i t s c h , Vocabula Austriaca et Stiriaca (1705 —1774).
Österreichische Nationalbibliothek. Hs. N.Ser. 9504, und H a m p e l a.a.O.
(Anm. 56) 274, Abb. 19 und 19a.
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Rechnung Nr. 218.
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Franz W a l t e r um 34 Kreuzer das Stück hergestellt hatte. M a n
sieht, dass der den liechtensteinischen Livreefarben entsprechende
Farbkontrast rot-blau bis ins Detail eingehalten wurde und die Livrierten dadurch optisch sofort als liechtensteinische Bedienstete erkennbar
waren. Der bürgerliche Hutmachermeister Franz Joseph S c h n e i d e r
stellte f ü r die deutschen Edelknaben 12 neue Hüte in Rechnung, die
mit feinen silbernen spanischen Spitzen geschmückt wurden. A u f den
Hüten steckten die Pagenfedern, die vom kaiserlichen Federschmucker
Anton B e r n a r d i in zwei Garnituren f ü r die Gala- und die «zweyte»
Livree gekauft wurden. F ü r die hohen Allongeperücken erwarb man
im Handelshaus S t i e r m b «Beim silbernen Becher» in der Kärntnerstrasse in W i e n sechs Haarbeutel aus Moiree. Wie die ungarischen
Pagen trugen auch die deutschen Edelknaben weisse englische Handschuhe und Seidenhemden. Weisse Strümpfe und schwarze lacklederne
Schnallenschuhe komplettierten die deutsche Edelknabenlivree.
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A m Ende eines Aufsatzes, der einen so speziellen und, wie mancher
einwenden wird, vergleichsweise «unbedeutenden» Teilbereich wie die
Dienerkleidung behandelt, kann ein Blick aufs Allgemeine nicht schaden, um das Thema einem grösseren Ganzen einzufügen und ihm
damit den richtigen Stellenwert zu geben. Diese übergeordnete Einheit
aber ist — wie könnte es in der Geschichtswissenschaft auch anders
sein? — der Mensch und das menschliche Leben in allen seinen E r scheinungsformen. Und wer will bestreiten, dass die Kleidung mit zu
den wirkungsvollsten Gestaltungsmitteln des Menschen zählt? Ist sie
doch der Mode unterworfen, die ihrerseits der Ausdruck eines den verfeinerten und jeweiligen sozialen Bedürfnissen angepassten Geschmacks
darstellt. Nicht zu übersehen ist dabei auch die optische Wirkung der
Kleidung, die im gegenständlichen Fall nicht nur das Auge erfreute,
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Rechnung Nr. 157.
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Rechnung Nr. 202.
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Die «Pointe Spange», wie sie in den Quellen heisst, wurde bei Ludwig
Schultz im Haus «Zum blauen Stern» gekauft; vgl. die Rechnung Nr. 174.
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Rechnung Nr. 98.
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Wie Anm. 55.
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Rechnung Nr. 218.
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sondern als eine A r t «Rangzeichen» aufgefasst wurde. So war durch
die spezielle Kleidung die Stellung seines Trägers im Hofleben festgelegt und bot besonders bei zeremoniellen Anlässen dem Betrachter
ein anschauliches Bild vom Rang und Bedeutung des Einzelnen innerhalb des Hofstaates. Jeder A u f - und Abstieg fand seinen Ausdruck in
der Kleidung und wurde durch sie auch verstanden. Die Erforschung
der Zusammenhänge zwischen Zeremonie, Kleidung und dem Sozialprestige des jeweiligen Trägers steht freilich noch aus.
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Ingeborg P e t r a s c h e k - H e i m , Die Sprache der Kleidung (Anm. 6) 100.
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Herbert H a u p t , Der Prunkwagen als Bestandteil höfischen Zeremoniells.
Blätter für Kunst und Sprache. Heft 30 (1978) 16.
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